Im Rahmen dieser überwiegend hermeneutischen Arbeit werden die jeweiligen Interaktionsprinzipien und entwicklungstheoretischen Annahmen der Montessori-Pädagogik mit denen des Sozialen Konstruktivismus in der Frühpädagogik nach Lev Vygotsky einander gegenübergestellt. Die Konzepte de "sutained shared thinking" und "scaffolding" werden hier als die bedeutensten Handlungsmodelle der sozialkonstruktivistischen Strömungen betrachtet, während in der Montessori-Pädagogik die Drei-Stufen-Lektion, neben der allgemein bedachten und auf Verständnis für die Fähigkeiten des jeweiligen Kindes basierender Interaktionsweise, eine zentrale Rolle.
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Kontext
1.2 Fragestellung
1.3 Aufbau der Arbeit
2 Definition der Schlüsselbegriffe
2.1 Interaktion
2.2 Bildung
2.3 Erziehung
2.4 Resümee
3 Montessori in der Frühpädagogik
3.1 Erziehungskonzept und Schlüsselbegriffe
3.2 Stufen der Entwicklung 0-6 Jähriger
3.3 Frühpädagogik nach Montessori in der Praxis
3.4 Erziehung in der Kinderkrippe (0-3 Jährige)
3.5 Vorschulerziehung im Kindergarten (3-6 Jährige)
3.6 Forschungsergebnisse der Untersuchungen im Elementarbereich
3.7 Grenzen und kritische Betrachtung der Montessoripädagogik
3.8 Zusammenfassung
4 Postmoderner Konstruktivismus in der Frühpädagogik
4.1 Postmoderne konstruktivistische Schlüsselbegriffe und Grundannahmen in der frühkindlichen Pädagogik
4.2 Theorien kindlicher Entwicklung bei Vygotskij
4.3 Das Konzept des “sustained shared thinking” als pädagogisches Werkzeug
4.4 „Scaffolding” als frühpädagogische Didaktik
4.5 Forschungsergebnisse von Studien zur Qualität der Erziehenden-Kind-Interaktionen
4.6 Kritische Auseinandersetzungen mit der ko-konstruktivistischen Prämisse
4.7 Zusammenfassung
5 Diskussion der Erziehenden-Kind-Interaktion der vorgestellten Ansätze
5.1 Annahmen zur kindlichen Entwicklung im Vergleich
5.2 Betrachtungen der jeweiligen Interaktionsmuster unter kulturellen und soziologischen Aspekten
5.3 Theoretischer Vergleich einer potenziellen Förderung kognitiver Entwicklung
5.4 Zusammenfassung und Ausblick
6 Fazit
Literaturverzeichnis
Anhang
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Einleitung
Bildung und Erziehung in der frühen Kindheit erfährt aktuell wieder verstärkt gesellschaftliche Beachtung. Die in dieser Arbeit verwendeten Begriffe „frühe Kindheit“ oder „frühkindlich“ bezeichnen in der Regel Kinder im Alter von null bis sechs Jahren. Spätestens seit dem Ergebnis der ersten Pisastudie[1] im Jahr 2000 geht es in der öffentlichen Diskussion um Verbesserungsmöglichkeiten der Entwicklungsförderung von Kindern in Kindertageseinrichtungen (vgl. Neuß: 2007, S. 15f; Thöne in Budde: (Hrsg.) 2009, S.7; König: 2009, S. 15, Schäfer: 2007, S. 11; McKinsey: 2005). Wie genau konkrete Bildungsangebote für den Primarbereich aussehen sollten, bleibt dabei häufig unklar (vgl. ebd.).
Ein Konsens scheint sich hingegen dahingehend abzuzeichnen, dass sozialkonstruktivistische[2] Theorien innerhalb der internationalen Richtlinien für Frühpädagogik als maßgebend angesehen werden (vgl. Bertram, Pascal, 2002 S.34, Grell: 2010, S. 154). Auch scheint Einigkeit darüber zu herrschen, dass positive Erziehenden-Kind-Beziehungen[3] und somit zwischen ihnen ablaufende Interaktionsprozesse zentral für die Prozessqualität[4] in der Bildung und Erziehung sind[5]. Der Aufbau einer positiven Erziehenden-Kind-Beziehung wird in dieser Arbeit als konstitutiv betrachtet.
1.1 Kontext
In dieser Arbeit werden die Interaktionsprinzipien der Montessori-Pädagogik[6] denen der Konzepte des „sustained shared thinking[7] “ und des „scaffolding[8] “ einander gegenübergestellt. Die Montessori-Pädagogik wurde gewählt, da sie seit 100 Jahren praktiziert wird und noch immer aktuelle Aspekte für frühkindliche Bildung bietet. Außerdem lassen sich in den pädagogischen Grundgedanken Montessoris system-[9] bzw. ko-konstruktivistische[10] Züge feststellen (vgl. Hedderich: 2005: 27f bzw. Schäfer, C: 2005, S. 43; Prien: 2007, S.67ff). Speziell das Vorgehen der Erziehenden-Kind-Interaktion[11], wie sie u.a. zur Darbietung des Einsatzes der Materialien[12] der Montessori-Pädagogik praktiziert wird, stellt ein vorschultaugliches Curriculum[13] dar, welches viele Parallelen zu manchen frühkindlichen Bildungsplänen aufweist (vgl. in Bezug auf den Bayrischen Bildungsplan Hagemann, Börner: 2009, S. 96).
Das „gemeinsame längerfristige Denken“[14] wurde gewählt, da unter anderem die aktuellen EPPE- und REPEY- Studien[15] eine hervorragende Entwicklungsförderung im kognitiven und sozialen Bereich von Vorschulkindern durch diese Interaktionsform festgestellt haben. Dieses Interaktionsmodell des „sustained shared thinkings“ und das des „scaffolding“ sind in ihrer wissenschaftlichen Verortung bei den sozialkonstruktivistischen[16] Theorien anzusiedeln. Da heutzutage aber nicht nur Vorschulkinder (ca. 4-6 Jährige), sonder bereits Kleinstkinder (0-3 Jährige) in Kindertageseinrichtungen betreut werden und Unterschiede kognitiver Entwicklungsstände im Schulalter vor dem Zeitraum der Vorschulerziehung liegen[17], werden die Interaktionsmodelle auf die Anwendbarkeit bereits in der gesamten frühen Kindheit[18] (0-6 Jährige) betrachtet.
1.2 Fragestellung
In dieser Arbeit möchte ich folgende Frage an Hand der vorhandenen Literatur untersuchen:
Wie unterscheiden sich die derzeit modernen ko-konstruktivistischen Interaktionskonzepte in der frühkindlichen Pädagogik, insbesondere die Handlungskonzepte des „sustained shared thinking“ und des „scaffolding“, von den in der Montessori Pädagogik praktizierten Interaktionsmustern und welche Gemeinsamkeiten haben sie?
Wie sich später zeigen wird, liegt die Vermutung nahe, dass die „neuen“ Interaktionstechniken eine Ergänzung zur traditionellen Montessoripädagogik darstellen könnten.
1.3 Aufbau der Arbeit
Bevor der eigentliche Vergleich erfolgen kann wird im 2. Kapitel dieser Arbeit die Bedeutung der sozialen Interaktion für den frühkindlichen Erziehungs- und Bildungskontext erläutert. Wie sich soziale und damit auch pädagogische und didaktische Interaktionen in den in dieser Arbeit untersuchten Methoden vollziehen und die Bildung und Entwicklung des einzelnen Kindes unterstützen, soll im Hauptteil genauer betrachtet werden. Für die Begriffe Erziehung und Bildung wird eine operationale Definition bezüglich dieser Arbeit vorgenommen. Zum Ende des Kapitels werden die jeweiligen Wortbedeutungen zusammengefasst und in Relation zueinander gesetzt.
Unter Kapitel 3 werden die klassischen Grundannahmen und Handlungsmuster der Pädagogik von Maria Montessori unter besonderer Betrachtung des Interaktionsaspekts dargestellt. Es werden zunächst die theoretischen Grundlagen und das Erziehungskonzept aufgezeigt. Im weiteren Verlauf wird die praktische Arbeit mit den Montessori-Materialien dargestellt. Im Anschluss an die Darlegung der Erziehungspraxis folgt eine kritische Betrachtung der Maximen der Montessori-Pädagogik. Abschließend wird die Quintessenz themenspezifisch zusammengefasst.
Im 4. Kapitel wird der Weg des Einzugs ko-konstruktivistischer Grundgedanken, über den Konstruktivismus, in die derzeitige Frühpädagogik skizziert. Es folgt die Darstellung der soziokulturellen Theorie[19] Lev Vygotskijs[20] und darauf basierende Annahmen des postmodernen Konstruktivismus in der Frühpädagogik. Daraufhin werden die Prinzipien des „sustainded shared thinking“ und des „scaffolding“ erläutert. Anschließend werden die Ergebnisse der Studien EPPE, REPEY und andere Studien dargestellt, welche die Interaktionsprozesse zwischen Erziehenden und Kindern in Kindertageseinrichtungen untersuchten. Wie in Kapitel 3. folgt eine kritische Betrachtung sozialkonstruktivistischer Interaktions-Ansätze der Frühpädagogik. Am Ende dieses Kapitels werden die wichtigsten Aspekte zusammengefasst.
Darauf aufbauend werde ich unter 5. die jeweiligen Prinzipien vergleichen. Dabei stelle ich die verschiedenen zuvor dargestellten, zentralen Begrifflichkeiten und die damit verbundenen Denkmodelle einander gegenüber. Anhand dessen soll die Erziehenden-Kind-Interaktionen aus verschiedenen Perspektiven dargestellt werden. Schließlich setze ich die konkreten Handlungsmuster in Relation zueinander, um die Unterschiede und die Gemeinsamkeiten der Interaktionsprinzipien zu analysieren und aufzuzeigen.
2 Definition der Schlüsselbegriffe
Um zu klären, wie die zentralen Begriffe im Titel dieser Arbeit zu verstehen sind, werde ich mich mit ihren Definitionen eingehend auseinandersetzen, um eine für diese Arbeit relevante Bedeutung herauszukristallisieren. Verschiedene Interaktionsarten haben gerade in der heutigen Zeit der neuen Medien weitreichende Ausläufer. Um diese zu ihren sozialwissenschaftlichen Wurzeln zurückzuführen und sie in den frühpädagogischen Kontext zu stellen, wird der Interaktionsbegriff stark eingegrenzt und in für die vorliegende Arbeit geeignete Teilaspekte kategorisiert. Da die Wortbedeutungen von Bildung und Erziehung sogar in den Erziehungswissenschaften, deren Grundbegriffe sie sind, nicht eindeutig verortet werden können (vgl. Miller-Kipp, Oelkers, in Tenorth, Tippelt (Hrsg.): 2007, S. 204), soll hier eine geeignete Annäherung versucht werden.
Bildung und Erziehung schließt in Kindertageseinrichtungen Betreuung[21] mit ein. Dieser Aspekt wird als gegebene Bedingung vorausgesetzt und kann im Rahmen dieser Arbeit aufgrund der thematischen Eingrenzung nicht explizit behandelt werden.
2.1 Interaktion
Der Begriff setzt sich aus den lateinischen Wörtern Inter (= zwischen ) und actio (= Sachverhalt, Ereignis, Handlung) zusammen. Aus dem englischen wird er mit Wechselwirkung übersetzt. Der Sachverhalt der Interaktion ist untrennbar verknüpft mit Kommunikation[22]. Kommunikation bezeichnet im Allgemeinen den Prozess der Übermittlung jeglicher Information (vgl. Reinhold, G. et al. 1991, S. 309 ). Kommunikation ist über symbolische Zeichen vermittelte Interaktion. Diese Zeichen können verbaler Art sein oder in Form von Mimik, Gesten oder Handlungen erfolgen und sind vielschichtiger Natur (vgl. Lay: 2003, S. 53). Die zwischenmenschliche Kommunikation ist ein zentrales Medium jeglicher Pädagogik, das kindliche Entwicklung blockieren oder vorantreiben kann.
Wesentlich geprägt wurde der Interaktions-Begriff im soziologischen Kontext von Georg Herbert Mead[23], einem amerikanischen Philosoph und Sozialtheoretiker. Seine Theorie des sozialen Handelns im Modell des Symbolischen Interaktionismus[24] geht davon aus, dass die Selbstkonstruktion des Menschen innerhalb der Gesellschaft begründet ist. Die Philosophie des von Charles Sanders Peirce[25] begründeten Pragmatismus[26], bildet die Grundlage des Symbolischen Interaktionismus (vgl. Tenorth, Tippelt (Hrsg.) 2007, S. 707). Im Sinne des Pragmatismus sind Interaktionen „Handlungen, welche den Handelnden mit seiner Umwelt verbinden [27] “ (vgl. Schäfer, K: 2005, S. 118).
Der Pragmatismus basiert daher wie der Symbolische Interaktionismus auf der Annahme, dass die Wechselwirkung vom Einzelnen mit seiner Umwelt jegliche Weiterentwicklung bedingt. In der Pädagogik nahmen William James[28] und John Dewey[29] innerhalb der Theorie des Pragmatismus entscheidend Einfluss. Vor allem Dewey wird als Vorreiter der konstruktivistischen Lerntheorien betrachtet (vgl. Reinmann-Rothmeier, Mandl in Prien: 2007, S. 3).
Unabhängig von pragmatischer interaktionistischer Sichtweise eignet sich die psychologische, soziologische und der speziell auf Kinder-Erziehung ausgerichtete pädagogische Kontext bestens zur Erläuterung des Interaktionsbegriffs. Im „Lexikon der Psychologie“ wird hier nach Dorsch soziale Interaktion folgendermaßen definiert:
„(…) die gegenseitige Beeinflussung von Individuen (auch innerhalb von und zwischen Gruppen) sowie die dadurch entstehende Auswirkung, wie Meinungs-, Einstellungs- oder Verhaltensänderungen bei den beteiligten Personen oder Gruppen.“(Dorsch: 1976, S.282)
Beim Vergleich verschiedener Definitionen in psychologischen und soziologischen Lexika, fällt deutlich der gemeinsame Aspekt der wechselseitigen Beeinflussung auf, welche als Kernaussage der Definitionen angesehen werden kann. Im „Lexikon der Pädagogik“ wird der sozialen Interaktion der Zweck unterstellt, dass die Beteiligten ihr Verhalten aufeinander abstimmen. Weiter werden gemeinsame normative Vorstellungen und kommunikative Techniken als Vorraussetzung betont. (vgl. in Tenorth, Tippelt (Hrsg.): 2007, S.344). Ebenda wird pädagogische Interaktion als eine zielgerichtete Form sozialer Interaktion interpretiert:
„Pädagogische Interaktion ist die Teilmenge der sozialen Interaktion, die sich in einer erzieherischen Situation abspielt, mit dem Ziel, auf eine oder mehrere Akteure Einfluss zu nehmen; bezieht sich auf den unterschiedlichen Wissens- und Erfahrungsstand der interagierenden Personen und zielt auf den Abbau der Informations- und Kompetenzdifferenz ab.“ (Tenorth, Tippelt:2007, S.344)
Es kann folglich behauptet werden, dass die Erziehenden in der pädagogischen Interaktion die Fähigkeit besitzen müssen, durch ihre Wahrnehmung das kindliche Verhalten interpretieren zu können. Zudem müssen sie verstehen, wie die Kinder den Interaktionsgegenstand erfassen und damit einen gemeinsamen kommunikativen Rahmen schaffen. Erst dadurch kann die Interaktion für beide Seiten erfolgreich werden, also eine Verhaltensänderung in Form von Weiterentwicklung erreicht werden. Wobei bei dieser Definition die Worte „Abbau der Informations- und Kompetenzdifferenz“ implizieren, dass das Kind Informationen bekommt und sich damit Kompetenzen aneignet. Außerdem sammeln auch die Erziehenden durch die Interaktion mit den Kindern Informationen über die einzelnen Kinder und letztlich Erfahrungen oder Übung in professioneller Interaktion [30] . Vor allem bei der pädagogischen Komponente der Interaktion soll die Einflussnahme von dem Erziehenden bewusst gesteuert werden. Dies soll unter Rücksichtnahme der Verschiedenartigkeit der Wahrnehmung, des jeweiligen Entwicklungsstandes und der derzeitigen Stimmung des Kindes geschehen. Ziel dieser Steuerung ist es, die Entwicklung des Kindes voranzutreiben, allgemein anerkannte und erwünschte Kompetenzen oder Werte zu vermitteln und die eigene Erziehungskompetenz zu verbessern.
Als Ergänzung des Teilbereichs der pädagogischen Interaktion, welche vor allem auf soziale und moralische Verhaltensbeeinflussung abzielt, möchte ich noch explizit auf didaktische Interaktion [31] als einen Teilbereich des erwachsenen Interaktionverhaltens hindeuten, welcher auf die kognitive Stimulation des Kindes gerichtet ist (vgl. Bornstein, Bruner: 1989, S. 197).
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass soziale Interaktion die wechselseitige psychische Beeinflussung und Verbindung von Menschen ist. Dieser Einfluss kann sich auf verschiedenen Ebenen (der Emotionen, des Verhaltens zueinander, der persönlichen Einstellungen, Meinungen über eine Sache oder Personen usw.) auswirken. Ziel und Zweck ist es, das Verhalten der Beteiligten aufeinander abzustimmen. Die anfänglich geschilderte pragmatische Sichtweise von Interaktion schwingt auch in dieser Zusammenfassung mit und soll in dieser Arbeit besonders hervorgehoben werden. Montessoris Ansatz lässt sich teilweise darauf beziehen und die Theorie des postmodernen Konstruktivismus basiert auf vergleichbaren Annahmen.
2.2 Bildung
Die Wurzeln des Bildungsbegriffes lassen sich bis in die Antike zurückverfolgen. Zudem prägte jüdisch-christliches Gedankengut die pädagogische Fachsprache des 18. Jahrhunderts. Bildung bezeichnete zu jener Zeit „ die Formung des Menschen“ in Hinblick auf seine „ geistigen, kulturellen“ und „ sozialen Fähigkeiten“. Gottfried Wilhelm Leibniz[32] brachte eine psychologische Komponente hinein, indem er Bildung als „(…)Entfaltung der Seele von Natur aus innewohnenden Kräften.“ (Leibniz, G.W. zitiert in Eberle, Hillig, (Hrsg.):1988, S.79) auslegte, was bei Jean Jaques Rousseau[33] in seiner Kulturkritik Einzug fand. Die Natur des Menschen wurde von Rousseau idealisiert, Gesellschaft und Kultur verachtet (vgl. ebd. S. 79). Verfolgt man die Linie weiter zum deutschen Humanismus, bekommt diese Sichtweise, geprägt durch Willhelm Humboldt, eine auf die Menschheit ausgeweitete Dimension:
„Das Ziel ist höchste und proportionierlichste Bildung der Kräfte zu einem Ganzen (…)“ (Humboldt zitiert in Tenorth: 2007, S. 93)
Dies bedeutet, dass der Mensch vor allem durch seine eigene Motivation, in Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen und kulturellen Bedingungen, zur vollen Entfaltung seines innewohnenden Potentials gelangen kann und soll (vgl. Schäfer, G. in Fried, Roux (Hrsg.): 2006, S.34). Richtet sich der Mensch jedoch nur nach den Zielen der Gesellschaft, kann er seinen höchstmöglichen Entwicklungsstand nicht erreichen und ebenso wenig die jeweilige Gesellschaft, welche er mitprägt. An dieser Stelle lässt sich Maslows Bedürfnisspyramide[34] hinzuziehen, wonach Humboldts „proportionierlichste Bildung“ mit der Spitze der Maslowschen Pyramide, also der Transzendenz[35] gleichgesetzt werden kann. Meist wird jedoch die Selbstverwirklichung als die Spitze der Pyramide dargestellt, weil diese innerhalb erfahrbarer Gesetzmäßigkeiten liegt. So kann Bildung als ein menschliches Bedürfnis gelten, dessen Erfüllung aber erst unter der Vorraussetzung der Befriedigung von Basisbedürfnissen gegeben ist.
Der Humboldtsche Bildungsbegriff ist derzeit noch immer die Basis des modernen Bildungsbegriffs (vgl. Laewen: 2006, S.98). Heute noch kann Bildung als Selbstbildung betrachtet werden, welche nicht von außen erzeugt werden kann, sondern selbsttätig verwirklicht werden muss (vgl. Schäfer, G. in Fried, Roux, (Hrsg.) S.34).
In der gegenwärtigen Gesellschaft wird Bildung häufig mit Kompetenzvermittlung gleichgesetzt. Zwar ist die Vermittlung von Kompetenzen und auch der Kompetenzerwerb ein Bestandteil von Bildung, aber sie müssen in ihrer Prozesshaftigkeit betrachtet werden, wobei die zu erlernenden Kompetenzen nicht direkt vermittelt werden, sondern auf vorangegangenen Erfahrungen des sich Bildenden gründen und in dessen Erfahrungshorizont integriert werden (vgl. Laewen: 2006, S.98).
Zusammenfassend lässt sich dementsprechend behaupten: Bildung ist ein Prozess mit dem Ziel, die einem Menschen innewohnenden Potenziale seelischer, geistiger, kultureller und sozialer Art zu seiner individuell bestmöglichen Entfaltung zu bringen. Bildung bedeutet in erster Linie Selbstbildung, welche aus den für das Kind bedeutungsvollen Erfahrungen (u.a. in einem sicheren Beziehungskontext eingebettet) resultiert. Aufgabe des Erziehenden ist es, ausgehend vom Wissen des individuellen Entwicklungsstandes und Interessengebiets des Lernenden, Erfahrungsspielräume (ob nun verbaler oder nonverbaler, etwa mit Hilfe von Mimik, Gestik oder Materialien) zu schaffen, innerhalb derer sich die kindlichen Bildungsprozesse vollziehen können. Anders gesagt wird Bildung, wie in dieser Arbeit vorausgesetzt, durch soziale, pädagogische bzw. didaktische Interaktion vorangetrieben. Das dieser Arbeit zu Grunde liegende Bildungsverständnis lässt sich anhand dieses Gedankengerüsts auf die Formel Anke Königs reduzieren:
„Bildung heißt, sich Horizonte zu eröffnen“ (König: 2010, S. 23)
2.3 Erziehung
Der Begriff Erziehung leitet sich laut „Duden Herkunftswörterbuch“ vom althochdeutschen Begriff irziohan ab, was soviel wie herausziehen bedeutet (vgl. Duden 2001, S. 948). Vermutlich meinte man früher damit, dass der Charakter und die Tugenden eines Menschen aus dem noch unorganisierten Wesen des Kindes „herauszuziehen“ wären. Im „Lexikon der Pädagogik“ wird dagegen ein anderer Ursprung angegeben, welcher anderorts auch mit dem Ursprung des Bildungsbegriff gleichgesetzt wird: Erziehung leitet sich vom lateinischen Begriff Educatio ab, was mit „Aufzucht“ übersetzt wird (vgl. Miller-Kipp, Oelkers, in Tenorth, Tippelt (Hrsg.) 2007, S. 204; www.kindergartenpädagogik.de/bildung). In den Erziehungswissenschaften gibt es keine einheitliche Definition von Erziehung, nicht einmal eine eindeutige Abgrenzung von Erziehung, Sozialisation und Bildung (vgl. ebd.).
„ Ein Problem der Begriffsbestimmung ist es, dass eine große Diskrepanz besteht zwischen dem alltagssprachlichen Gebrauch von Erziehung und dem wissenschaftlichen.“ (Miller-Kipp, Oelkers, in Tenorth, Tippelt (Hrsg.) 2007, S. 204)
Darüber hinaus soll betont werden, dass Erziehung sich nicht nur von seiner handlungspraktischen und von seiner theoretischen Bedeutung fundamental unterscheiden kann, sondern in beiden Kontexten stark subjektiven Verständnissen unterliegt. Gerade der Erziehungsbegriff wird in der Alltagssprache oft mit sehr individuellen Vorstellungen verknüpft, die stark mit persönlichen Emotionen besetzt sein können. Das mag ein Grund dafür sein, dass selbst in der Wissenschaft keine eindeutigen Definitionen der Begriffe Erziehung und Bildung existieren. Größtenteils wird davon ausgegangen, dass Erziehung das Einwirken eines Erwachsenen auf ein Kind bedeutet, um es an die Bedingungen in seiner Welt anzupassen. Einen kindzentrierten Ansatz bietet der Erziehungswissenschaftler Otto Speck:
„Das Kind macht sein autonomes Selbst geltend, seine Eigeninteressen, seine eigene Sicht der Dinge. So gesehen ist Erziehung Angebot. Kinder werden nicht erzogen, werden nicht ge-fördert, werden nicht be-handelt (…) sondern gehen aus dem Prozess der Erziehung gemäß dem eigenen Ansatz, der ontogenetischen Eigengesetzlichkeit mit einem eigenen Resultat hervor.“ (Speck: 1991, S. 112)
Erziehung ist demnach ein sich Auseinandersetzen zwischen dem eigenständigen Handeln des Erwachsenen und dem eigenständigen Handeln des Kindes. So verfolgt der Erwachsene sein erzieherisches Ziel und der Zu-Erziehende wird seine Persönlichkeit unter dessen Einfluss entfalten und dabei seine Eigenständigkeit wahren (vgl. Speck: 1991 S. 112f). Die Aussage, dass in jedem Fall ein individuelles Resultat entsteht, da Erziehung ein nicht kontrollierbarer Prozess ist, kann als Teilaspekt der Definition von Erziehung im Kontext dieser Arbeit verstanden werden. Lediglich die These: „So gesehen ist Erziehung ein Angebot“ greift m.E. nach zu kurz und bietet Raum für Fehlinterpretationen. Denn gerade in einer kritischen Situation (beispielsweise einer Rauferei), wenn erzieherische Intervention notwendig wird, würde nicht mehr von einem Angebot gesprochen werden, wenn der Erziehende eingreift. Erziehung ist mehr als nur ein Angebot. Der noch unselbstständige Mensch bedarf der Erziehung, um sich in ein gesellschaftliches Gefüge zu integrieren und macht dies durch seine Anpassungsfähigkeit an soziale Normen und Werte möglich. Erziehung als solche umfasst vor allem soziale Aspekte, deren Aneignung unbedingt auf Freiwilligkeit basieren sollte. Zwar sollen Kinder sich entsprechenden Normgefügen anpassen, aber auch lernen diese kritisch zu hinterfragen und sich so mit ihrer Umwelt produktiv auseinanderzusetzen (Textor: www.kindergartenpädagogik.de ).
Die folgende Definition von Klaus Hurrelmann bezeichnet die äußere Einwirkung des Erziehers als Versuch und den Erziehungsprozess als soziale Handlung, welcher die Situation des Zu-Erziehenden verbessern soll. Es sollen positive Charaktereigenschaften gefördert und negative abgeschwächt werden:
„Erziehung ist die soziale Interaktion zwischen Menschen, bei der ein Erwachsener planvoll und zielgerichtet versucht, bei einem Kind unter Berücksichtigung der Bedürfnisse und der persönlichen Eigenart des Kindes erwünschte Verhalten zu entfalten oder zu stärken.“ (Hurrelmann: 1994, S.13)
Er sieht die Erziehung eingebunden in einen Sozialisationsprozess, bei dem der Erwachsene versucht, auf die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes Einfluss zu nehmen, um es zu einem selbstständigen, leistungsfähigen und verantwortungsvollen Mitglied der Gesellschaft zu machen. (Hurrelmann: 1994, S.13ff)
Diese Definition eignet sich ebenfalls gut für diese Arbeit, zumal sie 1. eine klare Abgrenzung zu dem Begriff der Bildung zulässt, da der Bildungsprozess in dieser Arbeit als ein beim Lernenden verorteten Begriff verstanden wird und 2. das Phänomen der sozialen Interaktion einbezieht und eindeutig benennt und schließlich 3. die Individualität des Kindes in den Mittelpunkt stellt, die der Erziehende in sein Verhalten einbeziehen muss.
Grundsätzlich lässt sich sagen, dass Erziehung hier verstanden werden soll als ein Versuch, eine allgemein positive Entwicklung, aber auch gesellschaftliche Anpassung zu ermöglichen. Dies soll mithilfe von sozialer Interaktion, unter Berücksichtigung der Persönlichkeit des Kindes erreicht werden. Erziehung bezieht sich folglich vor allem auf soziales und moralisches Lernen der Kinder.
Die positiven Verhaltensweisen eines Kindes sollen gestärkt, die negativen vermindert werden. Erziehung ist als wechselseitiger Prozess anzusehen, dessen Aushandlung einzigartig, individuell und nicht vorhersehbar ist.
2.4 Resümee
Als Kurzüberblick gebe ich an dieser Stelle noch einmal eine verdichtete Übersicht der oben ausgearbeiteten Definitionen:
Interaktion: Bringt das handelnde Subjekt mit seiner Umwelt in Kontakt. Zwischen Personen geschieht dies mit den Werkzeugen der Kommunikation (Sprache, Mimik, Gestik, Handlungen, Zeichen, Symbole usw.). Der Mensch interagiert aber auch mit seiner materiellen Umgebung und der Natur.
- Soziale Interaktion: Die wechselseitige Beeinflussung von Individuen auf verschiedenen Ebenen. Ziel ist es, das Verhalten aufeinander abzustimmen. Soziale Interaktion ist immer ein Aushandlungsprozess.
- Pädagogische Interaktion: Teil der sozialen Interaktion. Mit Hilfe geeigneter (verständlicher) kommunikativer Mittel versucht der Erziehende emphatisch das kindliche Verhalten positiv zu beeinflussen, um dessen Weiterentwicklung voranzutreiben. Betrifft vor allem moralische und soziale Entwicklung.
- Didaktische Interaktion: Ebenfalls Teil (des Erziehendenverhaltens) der sozialen Interaktion und bezieht sich vor allem auf die Erweiterung kognitiver Ressourcen (z.B. Sprache, Wissen etc.) beim Kind.
- Bildung: Bezeichnet meist Selbstbildung, welche sich unter Einfluss sozialer Interaktion und/oder anhand eines Erfahrungsraums vollzieht. Bildung soll dementsprechend als ein Prozess angesehen werden, der innerhalb einer Person eine Erweiterung deren Erfahrungshorizonts bewirkt, durch Informationsvermittlung einer anderen Person und/oder anhand eines Sachverhalts.
- Erziehung: Ist der Versuch eines Erwachsenen mithilfe von sozialer Interaktion auf ein oder mehrere Kinder, unter Berücksichtigung der jeweiligen Gegebenheiten (Entwicklungsstand, Stimmungslage, etc.), einzuwirken. Bezieht sich vor allem auf soziale und moralische Verhaltensweisen.
Was vor allem bei der hier unternommenen Ausführung auffällt ist, dass alle Begriffe sich durch ihren Prozesscharakter auszeichnen. Zwischenmenschliche Kommunikation und ihre verschiedene Ebenen ist das zentrale Arbeitsmittel, welches die Bedingung für erfolgreiche soziale, pädagogische und didaktische Interaktionen darstellt. Es fällt weiter auf, dass sich die Definitionen für pädagogische Interaktionen und Erziehung weitgehend gleichen. Folglich kann vereinfacht behauptet werden, Erziehung ist pädagogische Interaktion oder Erziehung werde hauptsächlich vom Erziehenden aus initiiert. Bildung hingegen kann als Prozess gesehen werden, der sich im Lernenden vollzieht und durch soziale und didaktische Interaktion günstig beeinflusst bzw. bereichert werden kann. Dabei integriert das Kind neues Wissen in sein bisheriges Denksystem. Der Prozess geschieht in Abhängigkeit von einer anregenden Lernumgebung und einem kompetenten Erziehenden und bezieht sich eher auf die kognitiven, motorischen und psychischen Persönlichkeitsbereiche.
Im folgenden Kapitel wird zuerst explizit auf den Bildungs- bzw. Erziehungsbegriff in der Pädagogik Maria Montessoris eingegangen und ihre Methode in Hinblick auf die pädagogische Interaktion umrissen.
3 Montessori in der Frühpädagogik
„Wir verstehen unter Erziehung, der psychischen Entwicklung des Kindes von Geburt an zu helfen.“ (Montessori: 1996, S. 10)
Das hier einführende Zitat skizziert den Grundgedanken Montessoris darüber, wie Erziehung bzw. Bildung verstanden werden soll, nämlich als Hilfe zur Aneignung bzw. zum Begreifen und Verstehen der Außenwelt. Hier kommt in Montessoris Überlegungen bereits eine Komponente zum Ausdruck, die auf die psychische Gesundheit des Kinde bezogen ist: Eine Grundvoraussetzung für bestmögliche Selbstbildung ist in ihrem Sinne psychische Gesundheit, welche sie mit dem zentralen Begriff Normalisierung[36], als eines der wichtigsten Erziehungsziele betrachtet. Der psychosoziale Aspekt ihres Denkens kommt beispielsweise in der Einleitung zu „Kinder sind anders“[37] in Form eines Plädoyers für das Erkennen und die Anerkennung der Andersartigkeit der kindlichen Erlebniswelt zum Ausdruck. Hierin beschreibt sie den ewigen Kreislauf der Repression und Übertragung menschlicher Irrtümer von der älteren Generation auf die jüngere, deren Durchbrechen sie einzig darin sah, Erstarrtes aufzuspüren, welches verhindert Kinder zu verstehen (vgl. Montessori: 2009, S. 15ff). Das Infragestellen und die kritische Auseinandersetzung mit dem historisch und kulturell gewachsenen Verständnis von Erziehung, tragen zum Aufbruch dieser starren Strukturen bei.
Es ist weiterhin zu erwähnen, dass Maria Montessori Erziehung nicht von den Begriffen Bildung und Unterricht abgrenzte, sie häufig sogar als Synonyme verwendete (vgl. Krachtochwil: 1992 S. 125). Dies könnte am allgemeinen Sprachgebrauch des Italienischen liegen, da dort wie in den meisten europäischen Sprachen die Begriffe synonym verwendet werden (vgl. Laewen, 2007, S. 41). Was aber trotz der begrifflichen Unklarheiten in der Montessori-Pädagogik mit den hier erläuterten Begriffsdefinitionen dieser Arbeit übereinstimmt, ist der Selbstbildungsgedanke in der Humboldtschen Tradition: Die beträchtliche Relevanz, die Montessori der Persönlichkeits-Entwicklung zugesteht . Das Kind wird als Initiator seiner Entwicklungsschritte betrachtet, welche in Beziehung mit seiner Umwelt bzw. Umgebung[38] vollzogen werden können. Dies verdeutlicht z.B. auch diese vielzitierte Aussage:
„Hilf mir, es selbst zu tun“ (Montessori: 1972, S.102)
Viele Montessorieinrichtungen führen dieses Montessori-Zitat als Leitsatz ihrer Broschüren, Informationsseiten im Internet auf (z.B. www.houseofkids.ch).Sie geht davon aus, dass das Kind seinen Charakter selbst nach seinen „eigenen Bauplan[39] “ bildet, vorausgesetzt es bekommt die Möglichkeit dazu. Diese Persönlichkeitsbildung impliziert eine Auseinandersetzung mit der Umwelt, welche auf die Menschheit ausgeweitet wird, in der These:
„ Das Kindes als Baumeister des Menschen“ (Montessori: 1972, S. 13)
Diese Annahme ähnelt den Grundgedanken des Bildungsbegriffs nach der Humboldtschen Definition: „Das Ziel ist höchste und proportionierlichste Bildung der Kräfte zu einem Ganzen“ (Humboldt zitiert in Tenorth: 2007, S.93; Kapitel 2.2 dieser Arbeit). Die maßgeblich schöpferischen Kräfte gehen nach Montessoris Ansicht vom Kind aus, welches später die Menschheit mitbilden wird (vgl. Montessori 1972, S. 23ff). Anhand der Intelligenz ist der Mensch in der Lage seine Umwelt kreativ mit zu gestalten.
„Der Mensch ist ein höheres Wesen, (…).Er muss sie umbilden, sie erobern, sie benutzen, um eine wunderbare ´neue Welt ´ aufzubauen, (…). Der Mensch schafft Kultur.“ (Montessori: 1966, S.94)
Hier kommt der kulturelle und soziale Aspekt der Montessori-Pädagogik zum Ausdruck, auch wenn diese nicht in den Schriften Montessoris gesondert dargelegt werden, sondern mehr als Nebenwirkung bzw. eine Grundvoraussetzung der Charakterbildung verstanden wird (vgl. Eisenbrand: 1987, S.42).
Mario Montessori[40] bezeichnet die „ Art der Interaktion“ als wesentlichen Teil der Montessori-Erziehung zur Aneignung der jeweiligen kulturellen Bedingungen[41] (Montessori: 2006, S. 85). Oberstes Ziel sei es angemessene Hilfe zur Entwicklung zu stellen (vgl. Montessori: 2000, S. 85f). Maria Montessori interpretiert Bildung als lebenslangen Prozess und die Erziehung von Kindern betrachtet sie als eine Art Entwicklungshilfe für die Menschheit. Trotzdem hält sie nur bis zum Erwachsenenalter Unterstützung von außen (Erziehung) notwendig. Wie diese in der frühen Kindheit praktiziert werden soll, wird im folgenden Punkt dargestellt.
3.1 Erziehungskonzept und Schlüsselbegriffe
Ein Problem der theoretischen Verortung der Montessoripädagogik ist der oft sehr bildhafte und übersteigerte Stil der geschriebenen Sprache ihrer Abhandlungen. Zum einen liegt es an Montessoris Ausdrucksweise, welche in ihren Vorträgen großartige Effekte erzielte, aber in ihrem Schrifttum eher zu Unklarheit führte. Zum anderen handelt es sich bei Ihren Texten häufig um Mitschriften ihrer Vorträge, was wiederum durch den Redencharakter das Lesen erschwert. (vgl. Eisenbrand: 1987, S. 4ff)
Häufig kommt es zu Missverständnissen oder zu einseitigen Darstellungen von Montessoris Gedanken. Um die Vielschichtigkeit der Leitgedanken der Montessori Pädagogik darzustellen, werden im Folgenden die anthropologischen Aussagen von Maria Montessori dargestellt. Anschließend an die knappe Illustration von Montessoris Menschenbild werden die Grundlagen des Erziehungskonzepts anhand der Schlüsselbegriffe ihrer Pädagogik aufgezeigt.
Die anthropologischen Leitgedanken lassen sich laut Holstiege[42] in drei Kategorien eingliedern:
a) Der Mensch als göttliches Wesen
Die Anthropologie der Pädagogik Montessoris sieht das Kind und somit den Menschen als Teil vom „Wunder der Schöpfung“. Bei ihren Ausführungen über das Göttliche werden stets die religiösen und die theosophischen, aber auch die biologischen Einflüsse deutlich. So wird bei Hedderich erläutert, dass Montessori beispielsweise ihren Begriff der sensiblen Phasen [43] der Biologie entlehnt hat Des Weiteren bezeichnete sie das Stadium eines Neugeborenen mit dem Begriff geistiger Embryo [44] der alle Eindrücke der Umwelt in sich aufnimmt und damit einem „absorbierenden Geist“ gleiche. (Hedderich: 2005, S. 27ff)
b) Der Mensch in seiner persönlichen Existenz
Als zentrales Merkmal der menschlichen Daseinsform sieht Maria Montessori die Persönlichkeit des einzelnen, unabhängig von gesellschaftlichen und kulturellen Bedingungen. Den Charakter bildet der Mensch ihrer Ansicht nach durch den menschlichen Geist und dessen Hilfsmittel der Intelligenz, durch die der Mensch in der Lage ist mit seiner Umwelt in Beziehung zu treten.
„Die Aufgabe der Umgebung ist nicht, das Kind zu formen, sondern ihm zu erlauben, sich zu offenbaren.” (Montessori: 1972, S. 249)
Der menschliche Geist ermöglicht die Freiheit, über sich selbst zu verfügen und verantwortlich zu handeln. (vgl. Hedderich: 2005, S. 24f)
c) Der Mensch in der Gemeinschaft
In Montessoris Denken kann nur eine ausgeglichene Persönlichkeit in Harmonie mit anderen zusammen leben und gleichzeitig seine Individualität bewahren. Anders gesagt impliziert ungehindert entwickelte Personalität gesundes Sozialverhalten. Nur wer eigenständig denken kann, könne mit seiner Arbeit die Gesellschaft mitformen, diese Annahme kann aus folgendem Zitat abgeleitet werden:
„Die Individualität bildet (…) das Grundelement, den Ausgangspunkt für den Aufbau der Gesellschaft, die sich aus vielen Individuen zusammensetzt, die alle alleine arbeiten, aber mit den anderen durch einen gemeinsamen Zweck verbunden sind.“ (Montessori zitiert in Eisenbrand: 1987, S.43)
Alles in allem schreibt Montessori dem Kind schöpferische Kräfte zu, das sich nach seinem eigenen „ Bauplan “[45] seine Persönlichkeit bildet (vgl. Raapke: 2006, S. 39ff). Sie ging davon aus, dass die genetisch angelegten Wirkungsfähigkeiten sich in Auseinandersetzung mit der Umwelt entwickeln (vgl. ebd. S. 39ff/Becker-Textor: 1996, S. 14f).
„(…) es (das Kind) [Anmerkung der Autorin] trägt das Potenzialitäten in sich, die seine Entwicklung bestimmen, indem es den Charakter seiner Umwelt annimmt.“ (Montessori: 1972, S.52)
Als Kern Montessoris anthropologischer Aussagen lässt sich der Mensch bzw. das Kind als Individuum, dessen innere Kräfte den Aufbau seiner Persönlichkeit steuern, betrachten. Demnach ist es Aufgabe der Erziehenden, das Kind darin zu erkennen und zu unterstützen (vgl. Hedderich: 2005, S.39). So besteht die Rolle der Lehrerin [46] vorrangig darin zu beobachten, um dadurch über den Entwicklungsstand und das Lerninteresse des Kindes im Bilde zu sein. Der Erziehende muss den Kräften des Kindes vertrauen. Auch ist es wichtig, dass eben dieser das Vertrauen und das Ansehen der Kinder genießt, um bei Bedarf mit dem Kind in Dialog über ein Problem zu kommen (vgl. Becker-Textor: 1996, S. 18; Raapke: 2006, S. 208). Der Erziehende sollte mit Freude und motivierend die Vorführung der didaktischen Materialien gestalten, um so das Interesse der Kinder zu wecken. Den Kindern gegenüber sollte er sehr aufmerksam sein und Eingreifen in Form von Lob und Tadel vermeiden (vgl. Montessori: 1972, 250).
Eine zentrale Grundlage der Montessori-Pädagogik ist die Freiarbeit [47] oder die Freiheit der Materialwahl [48]. Wobei für Montessori Freiheit und Disziplin nicht unabhängig von einander zu denken sind (Tilmann: 2000, S. 16). Damit ist gemeint, dass innere Disziplin nur aufgrund der freien Entscheidung zu einer sinnvollen Tätigkeit aufgebracht werden kann.
Auf dieses Prinzip stütz sich einer der Leitlinien der Montessori-Pädagogik, jene Entdeckung, welcher die Methode ihre Berühmtheit verdankt: Die Polarisation der Aufmerksamkeit. Die absolute Vertiefung in eine Handlung, die ungeheuer hohe Konzentration, welche nach Abschluss der Tätigkeit in tiefer Zufriedenheit mündet, wird derzeit häufig mit intrinsischer Motivation [49] oder dem Flow-Phänomen [50] verglichen (Hagemann, Börner: 2009, S.19; Hedderich: 2005, S. 124f). Dieses Phänomen tritt nach Montessori auf, wenn ein Kind sich spontan und frei eine Arbeit auswählen kann.
Daraus ergibt sich eine weitere Aufgabe des Erziehenden, das Schaffen einer vorbereiteten Umgebung. Diese umfasst nicht nur eine räumliche Ausstattung mit Mobiliar in Kindergröße und für alle zugänglich bereitgestellte Materialien sondern beinhaltet auch eine für Kinder übersichtlich strukturierte und ästhetische Gestaltung dieser (Montessori: 1969, S. 53ff, Raapke: 2006, S. 207). Maria Montessori legte außerdem besonders Wert auf die gepflegte Erscheinung der Erziehenden. Das erstrebenswerteste Ziel des Erziehenden sei es weiterhin, sich überflüssig zu machen. Sie spitze dies so zu, dass schließlich der Erziehende der „ lebendigste Teil der Umgebung“ werde (vgl. Montessori: 1972, 249ff). Mit dieser Aussage wollte Montessori der damals üblichen Machtposition der Erziehenden entgegenwirken und die ihrer Meinung nach eigentliche Aufgabe als Helfer für die kindliche Entwicklung verdeutlichen.
Die Kommunikation bzw. Interaktion zwischen Erziehenden und Kindern basieren demnach während der Freiarbeitszeit fast immer auf der Auseinandersetzung mit der materiellen Umwelt, welche den wichtigsten Teil des Lehrplans darstellt, an dem sich das Kind selbst bildet. Die Interaktionsfolge der Einführung bzw. Darbietung eines Materials wird Dreistufenlektion genannt. Die drei Stufen der Einführung des Materials durch den Erziehenden sind:
1. Assoziation (Erziehender zeigt und benennt Material), 2. Reproduktion (Erziehender lässt sich benanntes Material vom Kind zeigen) und 3. Abstraktion (Erziehender prüft, ob das Kind das Material richtig benennen kann) (vgl. www.montessori-didaktik.de). Da die Materialien von jedem Kind frei gewählt und so lange wie es möchte benutzt werden, setzt dies Aushandlungsprozesse unter den Kindern voraus - beispielsweise darüber, wer wann mit wem und welchen Materialien spielt. Bei Bedarf greift der Erziehende bei der Konfliktregulierung ein und tut dies im Bewusstsein seiner Modellfunktion: respektvoll, ruhig und gerecht. (vgl. Montessori: 1969, S. 56; Raabke: 2006, S. 86f)
Dementsprechend gelten als Grundvoraussetzung des Erziehenden umfassende entwicklungspsychologische Kenntnisse, sowie eine reife Persönlichkeit, die sich durch Attribute wie „ Geduld “, „ Demut “ und „ Liebe “ auszeichnet (Montessori: 2009. S. 212; Hedderich: 2005, S. 39). Die Betonung dieser „Tugenden“ geschah wiederum in besonderer Abgrenzung zu den üblichen Verhaltensweisen von Lehrern und Erziehern im 19. Jahrhundert, deren Haltung dem Kind gegenüber in der Regel durch Überheblichkeit, Anmaßung und Unterdrückung geprägt war. Wie die Entwicklungsstufen nach Montessori kategorisiert werden, werde ich im Folgenden erläutern.
3.2 Stufen der Entwicklung 0-6 Jähriger
1950 fasste Montessori ihre entwicklungspsychologischen Erkenntnisse von 0-24 Jährigen in Form eines Vortrags zusammen, dabei unterschied sie vier aufeinander folgende Phasen von je sechs Jahren. Die erste und die dritte als formativ [51] und die zweite und die vierte als stabil [52] (Raapke: 2006, S. 62). Da für diese Arbeit nur die erste Phase relevant ist, werde ich ausschließlich diese darstellen.
Montessori betrachtete diese erste Stufe (0 bis 6 Jahre) der menschlichen Entwicklung als besonders schöpferisch produktiv, aber auch besonders verletzlich. Des Weiteren unterteilt sie die erste Phase in zwei Teilphasen, von 0-3 und von 3-6 Jahren (ebenda S. 60).
Die erste Phase beginnt mit dem geistigen Embryo [53] , der von Geburt an in Interaktion mit seiner Umwelt tritt und sich selbst durch diese erschafft (Montessori: 2009, S. 54ff; Montessori: 1972, S. 55ff). So zeichnet sich der Säugling durch seine Hilfsbedürftigkeit aus, welche er durch seine Mittel zur Kommunikation verdeutlichen kann. Darüber hinaus sucht der Säugling bereits aktiv den Austausch mit seinen Bezugspersonen und nimmt deren Kultur in sich auf. Montessori drückt dies folgendermaßen aus:
„Das Kind hat einen Geist, der fähig ist Wissen zu absorbieren, und hat das Vermögen, sich selbst zu bilden; es genügt eine oberflächliche Beobachtung, dies zu beweisen. Das Kind spricht die Sprache der Eltern.“ (Montessori: 1972, S.3)
Während in dieser frühen Phase der „ersten Entwicklungsstufe“ das Kind die Umgebung unbewusst in sich aufnimmt, beginnt es ab ca. 3 Jahren das Erworbene bewusst zu realisieren und dieses zu vervollkommnen (vgl. Raapke: 2006, S. 62).
Maria Montessori nannte die Bereitschaft des Kindes verschiedene Entwicklungsschritte zu tätigen bzw. Lernprozesse besonders leicht zu vollziehen, sensitive Perioden [54] oder sensible Phasen [55] (vgl. Becker-Textor 1996, S. 17; Schäfer, C: 2006, S. 20) . Die sensiblen Phasen der ersten Teilphase der Entwickelung (0-6) sollen in Abbildung 1 übersichtlich dargestellt werden und im folgenden Kapitel ausführlich erläutert werden.
Die sensiblen Phasen der Entwicklung
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(vgl. Raapke: 2006, S. 60)
3.3 Frühpädagogik nach Montessori in der Praxis
Als Orientierung zur frühkindlichen Erziehung nach Montessori dienen die folgenden, von Maria Montessori aufgestellten drei Grundsätze ihres Vortrags von 1923 „Das Kind in der Familie“.
- „Man muss alle Formen der vernünftigen Betätigung des Kindes achten und sie zu verstehen suchen.“
- „Man muss den Tätigkeitsdrang des Kindes so weit wie möglich unterstützen, es nicht bedienen, sondern zur Selbstständigkeit anregen.“
- „Das Kind ist äußerlichen Einwirkungen gegenüber viel empfänglicher, als wir glauben: Wir müssen in unseren Beziehungen zu ihm sehr behutsam sein“ (Montessori:1937, S. 33ff zitiert in Raapke, H. 2006, S. 68f, Holstiege in Ludwig:. 2004, S. 30)
Je jünger das Kind ist, desto schwieriger scheint es für uns den Sinn kindlicher Tätigkeit richtig zu erfassen. So erwähnte Montessori in jenem Vortrag ein Beispiel, bei dem ein drei Monate altes Mädchen die ihr gereichte Gegenstände fallen ließ, weil sie sich in dem Moment mit der Funktion des Greifens auseinandersetzte, da sie gerade ihre Hände entdeckt hatte. Sie wollte die Dinge nicht haben, wie die Erwachsenen es annahmen. (Raapke: 2006, S. 68)
Demgemäß stellt die Bewegung der Hand eine besondere Bedeutung der kindlichen Erlebniswelt dar. Mit der Entdeckung der Hand beginnt für das Kind die Chance Dinge zu „begreifen“ im doppelten Sinne, zuerst mit ca. drei Monaten noch in ungenauen Bewegungen, welche bereits bis zum ca. sechsten Lebensmonat zum gezielten präzisen Greifen führen. Auch kausale Zusammenhänge erfasst das neun Monate alte Kind mit den Händen, indem es z.B. beim Erwähnen von etwas oder jemanden, darauf zeigen kann. Und mit ca. zehn Monaten gelingt es dem Kind nicht nur einfach zu greifen, sondern zielgerichtete Tätigkeiten mit den Händen auszuüben. (Holstiege in Ludwig (Hrsg.): 2004, S. 32f)
Zur Entwicklung der menschlichen Intelligenz ist die spontane kindliche Bewegung in den ersten Jahren unabdingbar (Raapke: 2006, S.32) An dieser Stelle möchte ich expliziter auf die „sensiblen Phasen“ des ersten Teilabschnitts der ersten Entwicklungsphase (0-3) eingehen, als erstes auf die sensible Phase der Bewegung. Die eben bereits beschriebenen konkreter werdenden Bewegungen der Hand sind ein Teil dieser Phase. Sie beginnt bereits mit den unkoordinierten, teils reflexiv ausgelösten Bewegung Neugeborener, welche durch diese ständigen Bewegungen im Verlauf ihrer Entwicklung die gezielten Bewegungen erlernen. Montessori ist davon ausgegangen, dass den Bewegungen „psychische Entwürfe“ vorausgehen, welche die „Anleitung“ der Bewegungen darstellen. So entwickelt das Kind in Interaktion mit seiner Umwelt seine sensomotorischen Fähigkeiten, die es zu einem zunehmenden Verständnis seiner Umwelt befähigen. (Schäfer, C. 2006, S. 28ff; Raapke: 2006, S.71ff)
Ein weiterer Teilabschnitt der ersten Entwicklungsphase ist die sensible Phase der Ordnung. Damit ist nicht die Ordnung im bürgerlichen Sinne gemeint, welche durch Aufräumen erreicht wird, sondern die innere und äußere Ordnung im Sinne von Kategorien und Gewohnheiten, welche zur Orientierung innerhalb der für das Kind noch fremden Welt dienen. Montessori unterscheidet äußere und innere Ordnung (vgl. Montessori: 1996, S. 12f/ Schäfer, C. 2006, S. 41ff, 28f Raapke: 2006, S.75 ff). Dabei kann innere Ordnung verstanden werden als Bild, Vorstellung und Erwartung des Kindes von der Welt und äußere Ordnung als die Umwelt mit der es konfrontiert wird. Dabei ist die Konstruktion der inneren Ordnung geprägt durch die erlebte äußere Ordnung. Entsprechend werden in der Montessoriliteratur immer wieder Beispiele von Kleinkindern genannt, deren innere Ordnung aus den Fugen gerät, weil ein Erwachsener einen Gegenstand „falsch“ platziert (vgl. Montessori: 2009, S. 83f). Dabei legte Montessori besonderen Wert auf das Erkennen der Beziehung der Dinge zueinander, weniger auf die einfache Unterscheidung der Dinge. So lässt sich abschließend hierzu erwähnen, dass die Sensibilität für Bewegung und die für Ordnung miteinander in Beziehung stehen. (Vgl. Raapke: 2006, S.75ff)
Letztlich muss noch die sensible Periode der Sprache erwähnt werden, welche die Idee des „absorbierenden Geistes“ des Kleinstkindes am deutlichsten nachvollziehbar macht. Das Kind hört bzw. lernt und versteht die Sprache im Grunde bevor es selbst spricht. Dazu werden auch immer die Beispiele mehrsprachig erzogener Kinder angeführt, welche innerhalb kürzester Zeit eine
Zweitsprache oder Drittsprache erlernen. Die „sensible Phase der Sprache“ endet nach Montessori etwa zeitgleich mit dem Abschluss der ersten Stufe, im Alter von etwa sechs Jahren (Schäfer, C. 2006, S. 35f; Raapke: 2006, S.79ff).
Für die erste und entscheidende Teilphase der Entwicklung 0-3 Jahre werden Sprache, Bewegung und Ordnung jedoch nicht isoliert voneinander betrachtet, sondern müssen in Relation zueinander gesetzt werden, da beispielsweise die innere Ordnung bzw. das immanente System der Sprache erkannt werden muss und Sprache oft in Zusammenhang mit Gebärden, Gestik und Mimik erst vom Kind entschlüsselt werden kann (vgl. Raapke: 2006, S. 83). Dementsprechend ergänzt die Sensibilität für Ordnung und Bewegung die der Sprache und auch umgekehrt. Daraus erschließt sich die Relevanz der Interaktion mit der Umwelt. Zum einen muss das Kind gut versorgt sein und sich sicher bei einer Bezugsperson aufgehoben fühlen, um seinen Erkundungen nachzugehen, zum anderen benötigt das Kind Modelle (Vorbilder), die es nachahmen kann und eine Umgebung die Anreize zum sich Ausprobieren schafft.
Für die zweite Teilphase der Entwicklung von 3-6 Jahren kommt zu der „absorbierenden“ Komponente des kindlichen Geistes noch die der Möglichkeit der aktiven Auseinandersetzung und Analyse der Umwelt hinzu, welche Montessori in ihrer ersten Veröffentlichung von 1909 behandelte. In Anbetracht dessen werden weitere Besonderheiten dieser Phase in Kapitel 3.5 zusammen mit den dafür entwickelten Montessorimaterialen und Übungen erörtert.
3.4 Erziehung in der Kinderkrippe (0-3 Jährige)
Eingangs muss hierbei erwähnt werden, dass es in Deutschland in der Krippenpädagogik nach Montessori noch keine standardisierten Ausbildungs- und Weiterbildungsangebote gibt (vgl. www.montessori-deutschland.de). Folglich ist die Montessoripädagogik in diesem Bereich gezwungen, sich den Erkenntnissen aktuellerer Konzepte zu bedienen. Im englischsprachigen Raum hingegen gibt es einen AMI (Association Montessori International) standarisierten Ausbildungskurs „Assistant to infancy 0-3“, der umfassend Belange der frühkindlichen Phase berücksichtigt. (www.lift-kurs.ch)
„Ordnung“ ist, wie im vorangegangenen Kapitel erläutert, in der frühkindlichen Montessoripädagogik ein entscheidendes Kriterium. Nicht nur räumliche Ordnung ist hierbei gemeint, sondern auch personelle und zeitliche. Dementsprechend wird speziell darauf geachtet, dass zeitliche Abläufe gleichförmig und dadurch mit der Zeit durchschaubar für das Kind gestaltet werden. Die Zusammenarbeit mit den Eltern, als wichtigste Bezugspersonen des Kindes, erhält einen besonderen Stellenwert. Zur Eingewöhnung erhält das Kind eine Bezugspädagogin[56]. (Schäfer, C: 2006, S. 68ff)
Zur Förderung der Sprachentwicklung wird darauf geachtet, alle Handlungsabläufe am Kind bzw. Säugling (z.B. hochnehmen, wickeln, füttern) verbal zu begleiten, selbst wenn dieses noch nicht der Sprache mächtig ist. Spielerisch, beispielsweise durch Lieder, Schossreiterreime usw. wird die Sprache für die Säuglinge ansprechend gestaltet. Des Weiteren soll der Erziehende langsam, deutlich und klar sprechen, möglichst Face-to-face-Situationen zur Interaktion nutzten und dabei der Lautproduktion des Säuglings mit korrekter Sprache antworten. (vgl. Schäfer, C: 2006, S. 126ff)
Mit den Kleinkindern werden Lektionen[57] nach dem Prinzip der Drei-Stufen-Lektion[58] mit einfach strukturiertem Sprachmaterial durchgeführt, wobei die 3. Stufe (Abstraktion) unter Berücksichtung des Entwicklungsstandes von Kleinkindern weggelassen wird. Zur Veranschaulichung einer konkreten Erziehenden-Kind-Interaktion soll an dieser Stelle ein Beispiel zum Verlauf einer solchen Sprachlektion bzw. -darbietung dargestellt werden.
Ein ca. eineinhalb jähriges Kind hat sich einen Korb mit Plastiktieren ausgesucht und spielt nicht mehr aktiv mit Ihnen. Die/der Erziehende beobachtet dies und nutzt die Gelegenheit, um dem Kind anzubieten ihm die Tiere zu benennen.
1. Stufe:
Erziehende: „Gestern haben wir auf unserem Spaziergang Kühe gesehen, erinnerst Du Dich? (Hier wird einleitend eine Beziehung zu gemeinsam erlebten hergestellt um die Aufmerksamkeit des Kindes zu reaktivieren.) Möchtest Du mit mir zusammen diese Tiere anschauen?“
Kind nickt.
Dann bereitet Erziehende ein Deckchen vor auf die dann später die einzelnen Tiere platziert werden. In der Montessoripädagogik wird der Raum der zur Arbeit mit dem Material benötigt wird mit einer Matte oder einem Tablett bzw. in diesem Fall einem Deckchen eingegrenzt. Daraufhin wird ein Tier aus dem Körbchen geholt und begleitet mit den Worten: Erziehende: „Das ist ein Schwein. Ein Schwein. Ich stelle das Schwein dorthin.“ (Hier wird der Name des Objekts bewusst wiederholt.)
Erziehende nimmt das zweite Tier aus dem Körbchen.
Erziehende: „Das ist ein Meerschweinchen. Ein Meerschweinchen. Ich stelle das Meerschweinchen hierher.“
Stellt das Meerschweinchen neben das Schwein. Der Vorgang wiederholt sich mit insgesamt vier Tieren, die alle noch einmal benannt werden.
2. Stufe
Erziehende: „Eine Kuh, ein Meerschweinchen, ein Schwein und ein Pferd. Wo ist das Schwein?“ Kind zeigt auf das Schwein .
Wenn alle Tiere aufgestellt und von Kindern erkannt worden sind, vertauscht Erziehende die Tiere[59]. Das Vertauschen soll den Sinn haben, das das Kind den Namen mit dem Objekt in Beziehung bringt und nicht mit dessen Standort (Scrimes: 2005, o.S.).
Erziehende fragt: „Möchtest Du die Kuh nehmen?“ Kind nimmt sie oder schüttelt mit dem Kopf.
Im zweiten Fall reagiert Erziehender empathisch und bietet eine Alternative (z.B. ein anderes Tier) an.
Wenn das Kind oder die Kinder (die Sprachlektionen können mit beliebig vielen Kindern durchgeführt werden bzw. die Kinder können kommen und teilnehmen und wieder gehen wie sie selbst mögen.) alle Tiere richtig bestimmen kann und noch genügend Aufmerksamkeit da ist, kann die Lektion auch erweitert werden (je nach Entwicklungsstand des Kindes). Beispielsweise könnte der Erziehende das Kind dazu auffordern ein bestimmtes Tier an einen Ort zu stellen, das das Kind bereits sicher kennt. Das ist wichtig, damit das Kind Erfolge erlebt und auf diese Weise sich selbst als Kompetent erfährt. Dass man das Kind das Tier nicht benennen lässt hat den Grund, dass man davon ausgeht, dass das Kind falls es noch nicht in der Lage sein sollte den korrekten Wortlaut zu treffen nicht durch Abfragen verunsichert werden soll. Wenn das Kind sich zutraut das Tier zu benennen, wird es das von selber tun. Eines der Ziele, neben der sprachlichen Förderung und der Beziehungsherstellung unter den Dingen, ist es bei allen Übungen, „einen Anfang, eine Mitte und einen Abschluss“ zu praktizieren. Es wird nicht davon ausgegangen, dass ein 18 Monate altes Kind selbstständig aufräumt, eher wird versucht, durch gemeinsames Handeln oder Vorbildverhalten dies zu vermitteln. (Scrimes: 2005, o.S.; Album/Scrimes, J. Teamtraining 2010)
Die Entwicklungsmaterialien, welche in der Krippe bereitgestellt werden, sind zum Teil vereinfachte Abwandlungen der klassischen Montessorimaterialien der Alterstufe 3-6. Für taktile und sensumotorische Erfahrungen werden verschiedene Naturmaterialien z.B. Kastanien, Bohnen usw. bereitgestellt und auch Experimente mit Wasser z.B. Umfüllen in verschiedenartige Behälter sollten für die Kinder frei zugänglich sein. Es wurden darüber hinaus speziell für frühe kognitive Stadien von Säuglingen z.B. für die Entwicklung der Objektpermanenz[60] Montessorimaterialien entwickelt. Auch vereinfachte und farbige Versionen der klassischen Einsatzzylinder[61] wurden zur Übung der Hand-Auge-Koordination und Farbsortierung entworfen (Holstiege, H. in Ludwig (Hrsg.): 2004, S. 47). Des Weiteren sieht die Montessoripädagogik das Erleben von Natur vor, was den Raum auf das Außengelände erweitert - im Optimalfall einen Garten und Erkundungstouren im Wald.
Wie bereits bei der theoretischen Darstellung des Erziehungskonzepts Montessoris allgemein unter Kapitel 3.1 erläutert, spielen für den Krippenbereich die Schlüsselkriterien, vorbereitete Umgebung und vorbereitete Lehrerin eine zentrale Rolle, damit eine Polarisation der Aufmerksamkeit erfolgen kann. Sprachelektionen und Bilderbuchbetrachtung stellen einen wichtig Teil des Curriculum dar, sowie die Bewegungsentwicklung, Hygiene- und Gesundheitserziehung (Sauberkeitserziehung, Ruhebedürfnisse wahrnehmen lernen, Körperpflege, selbstständiges und bewusstes Essen usw.) und Übungen des täglichen Lebens [62] . Ein Fokus liegt auf der Beobachtung und Analyse des individuellen Entwicklungsstandes des Kindes und besteht auf das Nichtvorschnelleingreifen bei aufkommenden Schwierigkeiten (z.B. wenn ein Kind einen gewünschten Gegenstand nicht gleich erreichen kann), um die Entwicklung und die Konzentration und Anstrengung, die das Kind aufbringen muss, nicht zu stören und ihm so das Training und das Erfolgserlebnis zu bewahren.
3.5 Vorschulerziehung im Kindergarten (3-6 Jährige)
Ausgehend von der zweiten Teilphase der ersten Entwicklungsstufe nach Montessori beginnt ungefähr mit drei Jahren die Phase bei der vom Kind das „Absorbierte“ geübt, gefestigt und erweitert wird. Um die Motorik, die Ordnungskategorien und beispielsweise sprachliche Fähigkeiten weiter zu entwickeln, dienen die verschiedenen Materialien bzw. Übungen. Diese lassen sich unterteilen in folgende Untergruppen:
- Materialen / Übungen des täglichen Lebens (z.B. das Teespiel, Obst und Gemüse schneiden, Fensterputzen etc.)
- Materialien für kulturelle Aktivitäten (z.B. malen, zeichnen, bauen, musizieren usw.)
- Sinnesmaterialien (welche die Gesetzmäßigkeiten der realen Welt reflektieren sollen, z.B. lang/kurz; hoch/niedrig, flach/tief usw.)
- Materialien für die Anfänge der Mathematik, des Schreibens und Lesens
- Übungen der Bewegung und der Stille
(vgl. Raabke: 2006, S. 86)
Spezielle Übungen zum Sozialverhalten sind in der Montessoripädagogik nicht vorgesehen, sondern ergeben sich indirekt durch die geltenden Regeln. (Raabke: 2006, S. 86)
Die Übungen des täglichen Lebens beziehen das Kind in die anstehenden häuslichen Aufgaben mit ein, die Kinder fühlen sich so zum einen ernst genommen und die Erziehenden wahren damit die Würde der Kinder, indem sie sie als kompetente Macher ernst nehmen. Zum anderen erhalten die Kinder die Möglichkeit mit und an in Kindergröße angefertigten Haushaltsgeräten, ihre Geschicklichkeit insbesondere der Hand-Auge-Koordination zu üben und dabei Erwachsene zu spielen. (Raabke: 2006, S.90f, Eichelberger: 1997, S. 39ff)
Oftmals ist es nicht bekannt, dass auch Materialien für kulturelle Aktivitäten Bestandteil der Montessori-Pädagogik sind, so finden sich beispielsweise Staffeleien, Bücher, Nähzeug und Musikinstrumente in den Kinderhäusern. In den Ausbildungskursen für Erziehende war die Musikpädagogik lange fester Bestandteil und ist erst mit der Zeit nach und nach verschwunden (Raabke: 2006, S. 92). Vorbereitungen auf Feste wie z.B. Weihnachtsbasteleien werden in der Regel neben der Freiarbeit angeboten. Es werden in manchen Kindergärten Workshops in den Bereichen Theater, Tanzen, Musizieren, Basteln und Kunst angeboten, welche speziell zur kreativen Tätigkeit Platz einräumen (vgl. www.houseofkid.ch ).
Die Sinnesmaterialien dienen zum „Begreifen“ bezeichnender Begriffe, wie z.B. kurz/lang, gross/klein, dünn/dick, laut/leise. Die Kinder werden einzeln in die Anwendung eines Materials nach dem System der Dreistufenlektion[63] eingeführt. Sinnesmaterialen gibt es zur Unterscheidung von Dimensionen, Farben, Formen, Geräuschen, Temperaturen, Gerüchen und Geschmäckern (Raabke: 2006, S.93ff). „Die Einsatzzylinder“ sind vier längliche Blöcke aus Holz, mit verschieden abgestuften Löchern für jeweils zehn Holzzylinder. Die unterscheidbaren Dimensionen reichen hier von schmal zu breit, groß zu klein, tief zu flach usw. Das Kind kann auch den „Schwierigkeitsgrad“ selbst bestimmen, indem es die Zylinder entweder nacheinander entfernt, durcheinander stellt oder gar mit verbunden Augen versucht sie wieder auf den richtigen Platz zu bringen (ebd. 2006, S.93ff).
Die Materialien für die Anfänge der Mathematik, des Lesens und Schreibens lassen sich nicht strickt abgrenzen von den Sinnesmaterialien, da Sinnesmaterialien bereits häufig mathematische Grundstrukturen beinhalten. So entsprechen beispielsweise die Würfel des „Rosa Turms[64] “, mit einem bis zehn Zentimeter Kantenlänge, dem Dezimalsystem. Dem eigentlichen Schreiben- und Lesenlernen gehen in der Montessori-Pädagogik eine Reihe von Geschicklichkeitsübungen voraus, z.B. das Nachfahren geometrischer Formen möglichst in einem Zug. Die Sandpapierbuchstaben (Brettchen in Buchstabenform mit Sandpapier beschichtet) zum Nachfahren können als das eigentliche Einstiegsmaterial zum Schreiben- und Lesenlernen betrachtet werden. Das didaktische Material fängt mit besonders großen Buchstaben an, die allmählich kleiner werden, was das Entziffern für den Anfänger leichter machen soll. (ebd. S.93ff)
Montessori beobachtete zu ihrer Zeit eine „Schreibexplosion“ bei den Kindern, wenn diese entdeckten, dass sie schreiben können. Diese sollte nicht durch stures Beharren auf Rechtschreibung gestört werden.
Die Übungen der Bewegung und der Stille waren für Montessori letztlich zwei gegensätzliche Pole, wobei die Stille für sie absolute Bewegungslosigkeit bedeutete. Die Bewegungszeit wird in der Regel zum Ausgleich nach der konzentrierten Freiarbeitszeit (welche meist ziemlich ruhig verläuft) gegeben und die Stille dient zur Entspannung und Verfeinerung der Wahrnehmung. In der Regel ermöglicht der Erziehende ein bis zwei Stunden Spiel im Freien oder in einem Bewegungsraum zum Abbau überschüssiger Energien. Außerdem gibt es in vielen Montessorikindergärten einen Waldtag, wobei Bewegung und Koordination in etlichen Situationen zur Notwendigkeit werden (z.B. wenn es sehr kalt ist). Auch die dargestellten Übungen des täglichen Lebens dienen dem Training von Koordination. Trotz der oben genannten ruhig verlaufenden Freiarbeit werden noch spezielle Übungen der Stille angeboten, bei der die Kinder aber nicht unbedingt „bewegungslos“ sind, sondern aktiv aufmerksam sein müssen um nicht versehentlich die Stille zu durchbrechen. Stilleübungen werden z.B. im Morgenkreis, nach Liedern, Sprüchen oder Informationen, die der Erziehende mitzuteilen oder mit den Kindern zu besprechen hat, durchgeführt (Beobachtungen im Montessorikindergarten Adliswil).
Abschließend sei noch einmal erwähnt, dass die beschriebenen vorstrukturierten Übungen dazu dienen sollen, dem Kind Gelegenheit zu geben, sich seiner in der ersten Phase von 0-3 Jahren gelernten Fähigkeiten (der Sprache, Bewegung, Ordnung) durch eigenständiges Handeln bewusst zu werden und weiter auszubauen.
3.6 Forschungsergebnisse der Untersuchungen im Elementarbereich
Ich beziehe mich in dieser Arbeit hauptsächlich auf die Studie „Die soziale Dimension im Erziehungswerk Montessoris“ von Margarete Eisenbrand, da diese derzeit die einzige mit konkreten Transkriptionen und Aussagen über die Art der Interaktionen zwischen Kindern und Erziehenden in der vorschulischen Montessoripädagogik ist (Hedderich: 2005, S. 121ff). Eisenbrand fasst in Ihrer Studie elf übergeordnete[65] Kontaktkategorien zusammen, von denen ich die beiden, welche die Erzieherin betreffen mit je zwei Unterkategorien, exemplarisch darstellen möchte:
“Erzieher will etwas vom Kind
(…)
- bittet Kind um Mithilfe bei der Lösung einer Aufgabe, eines Problems z.B.: Kannst Du Uwe mal helfen? Er weiß nicht, wie man mit der braunen Treppe und dem rosa Turm noch gestalten kann.
(…)
- bittet Kind um einen Spielvorschlag z.B.: Hast Du eine Idee, was der Lars mit den blau-roten Stangen noch machen könnte?
(…)
Erzieher tut etwas für das Kind
(…)
- hilft dem Kind bei der Lösung einer Aufgabe, eines Problems z.B: lässt sich vom Kind erklären, welches das Problem ist und hilft durch Denkanstösse oder Hinweise, das Problem, die Aufgabe zu lösen
(…)
- vermittelt bei der Lösung einer Streitsituation: Sie hört sich die Probleme der Kinder an und trägt durch Denkanstösse bzw. Vorschläge zur Problemlösung bei.“ (Eisenbrand: 1987, S. 153ff)
Die Erziehendenkontakte stellten einen sehr geringen Anteil der Gesamtkontakte dar und sind zum größeren Teil reaktiver Art. (ebd. S. 244) Interessant ist weiterhin, dass die am häufigsten genutzte Kontaktart der Erziehenden die des Fragens ist (ebd. S. 205). Zwar lassen sich keine validen Aussagen über die Technik oder Qualität der Erziehenden-Kind-Interaktionen davon ableiten, da die exakten Inhalte der Aussagen in den einzelnen Kategorien exemplarisch dargestellt wurden. Aber es wird in diesen Beispielen mit dem Anregen von weiterführenden Denkprozessen gearbeitet anstatt vorgefertigte Lösungen zu präsentieren und es wird offenbar der Dialog mit dem Kind gesucht.
Da Frageformen anstelle von Lösungsvorschlägen für die kognitive Entwicklung des Kindes als förderlicher betrachtet werden können (vgl. Studie von Fliedener), kann davon ausgegangen werden, dass dies als eine didaktische Maßnahme eingesetzt wird. Im 5. Kapitel dieser Arbeit wird im Vergleich noch einmal genauer auf den Sachverhalt eingegangen. Diese Aufteilung lässt scheinbar die Kategorie „Erziehende tut etwas gemeinsam mit dem Kind“ vermissen, was jedoch in dieser Studie unter „Erzieherin tut etwas für das Kind“ subsumiert wird (ebd. S. 154f).
Eine weitere Studie vom September 2006 „The early years: Evaluating Montessori Education“ vergleicht die Förderung sozialer und kognitiver Fähigkeiten in der Montessoripädagogik. Dabei wurden 30 Montessori-Kinder und eine Kontrollgruppe von 25 Kindern aus einem Regelkindergarten im Alter von 5 Jahren unter anderem auf kognitive und soziale Fähigkeiten getestet. Signifikante Unterschiede zeigten sich in den Bereichen Buchstaben-Wort-Identifikation, phonologisches Dekodieren und angewendete Problemlösung in der Mathematik. Die Montessorikinder schnitten in allen Testgebieten besser ab. Außerdem argumentierten sie auf höherem Niveau und plädierten dabei für Gerechtigkeit bei Spielplatzstreitigkeiten. Beobachtungen zeigten auch, dass die Montessori-Kinder mehr positive gemeinsame Aktivitäten mit anderen Kindern verfolgten und wesentlich weniger grobe Auseinandersetzungen mit anderen hatten. (Lillard., Els-Quest: http://www.montessori-ami.org)
3.7 Grenzen und kritische Betrachtung der Montessoripädagogik
Es gibt eine Reihe von Kritikpunkten, an der Montessoripädagogik, welche an dieser Stelle aufgegriffen werden könnten. Im Rahmen dieser Arbeit mit dem besonderen Fokus auf die Erziehenden-Kind-Interaktion, wird an dieser Stelle das Augenmerk auf Montessoris Annahmen über die Rolle des freien Spiels gerichtet, weil dies in Abgrenzung zu den ko-konstruktivistischen Interaktionsformen in der Frühpädagogik ein entscheidendes Faktum stellt. Zwar bezeichnete Montessori jegliche sinnvolle Tätigkeit des Kindes respektvoll als Arbeit, wertete aber das Phantasiespiel als untergeordnetes Moment ab, welcher möglichst schnell von den Kinder selbst durch reale Tätigkeit ersetzt werde, wenn sie nur die Möglichkeit dazu hätten (Montessori: 2009, S. 171). Diese Ansicht ist nach dem heutigen Stand der Forschung nicht gerechtfertigt, zumal das Spiel auch eine beträchtliche Bedeutung für die Selbstregulation der psychischen Gesundheit trägt, welche von Maria Montessori so sehr betont wurde (vgl. Hedderich: 2005 S.47f, Kapitel 4. und Kapitel 4.2 dieser Arbeit). Ferner gilt es den Normalisierungs- Begriff Montessoris nicht zu eng zu fassen (nur stille fleißig arbeitende Kinder), sondern die Vielfalt von Temperamenten in ihrer Art und Weise wertzuschätzen. Auch Claudia Schäfer[66] warnt in ihrem Buch vor der Funktionalisierung von Kindern um der Methode Willen vor der Stilisierung zu „Montessorikindern“. Vor allem sollen zu starre Strukturen nicht zugunsten „richtigen“ Materialgebrauchs die kindliche Kreativität und Phantasie einschränken. Sie verweist dabei auf Montessoris Grundgedanken, die Freiheit des Kindes zu achten. Deshalb hebt Schäfer hervor, Erziehende sollten ausreichend Gelegenheiten zum Freispiel neben dem vorstrukturierten Materialgebrauch schaffen (Schäfer 2005: S.138). Letztlich liegt es im individuellen Ermessen der Montessoripraktizierenden und deren Institutionen, welche Bedeutung und welchen Raum sie dem freien Spiel und der Phantasie der Kinder zugestehen. Außerdem muss davon ausgegangen werden, dass die Pädagogik nicht ausnahmslos für alle Kinder geeignet sein kann. Es gilt das erzieherische Handeln nach den Montessoriprinzipien auf die pragmatische Anwendung in den jeweiligen Situationen stets neu zu überprüfen und dementsprechend zu modifizieren. Schließlich schrieb Montessori selbst:
„Es gilt unendlich viel Statisches und Erstarrtes zu beseitigen, das uns daran hindert das Kind zu verstehen.“ (Montessori: 2009, S. 20)
3.8 Zusammenfassung
Um die Essenz der Fülle der in diesem Kapitel beschriebenen Informationen zu rekapitulieren, werde ich zu den einzelnen Themenbereichen das Wichtigste in Stichpunkten zusammenfassen:
- Montessori betrachtet das Kind aus verschiedenen Perspektiven (in der Gemeinschaft, als Individuum und als göttliches Wesen).
- Montessoris Curriculum setzt sich vor allem aus den folgenden aufeinander bezogenen Begebenheiten zusammen: innerer Bauplan, sensible Phasen, absorbierender Geist, vorbereitende Umgebung, die Polarisation der Aufmerksamkeit, das Entwicklungsmaterial, beobachtende und dienende Lehrerin
- Die Entwicklungsstufen nach Montessori beinhalten jeweils zeitlich begrenzte Sensitivitäten für bestimmte Lernprozesse: 0-3 Jahre Bewegung, Ordnung, Sprache; 3-6 Jahre Erweiterung der vorangegangenen Erfahrungen durch Fähigkeit zur Analyse, Vertiefung und feineren Differenzierung
- Darbietung und experimentierende Anwendungsmöglichkeit der didaktischen Materialien, Präsenz und Dialogbereitschaft des Erziehenden
- Das praktische Geschehen spielt sich vor allem durch die Interaktion zwischen dem Kind und seiner Umgebung (Materialien, Erziehende andere Kinder) ab und darf nicht verkürzt als die ausschließlich strukturierte Anwendung der Entwicklungsmaterialien gesehen werden.
Abschließend lässt sich sagen, dass in der Literatur der klassischen Montessoripädagogik keine konkrete Konzeption der Interaktionsgestaltung existiert, abgesehen von dem Prinzip der Dreistufenlektion, welche aber einen sehr geringen Teil der gesamten Erziehenden-Kind-Interaktionen ausmacht. Verallgemeinernd lässt sich sagen, dass didaktische Erziehenden-Kind-Interaktion in der Montessoripädagogik eigentlich als Erziehenden-Umwelt-Kind-Interaktion bezeichnet werden könnte. Aufbauend auf den von Montessori vorgeschlagenen freundlichen Umgangston und die anregenden Gespräche, können spezifischere Interaktions-Konzepte in den erzieherischen Praxisalltag einbezogen werden.
4 Postmoderner Konstruktivismus in der Frühpädagogik
Dem Konstruktivismus verwandtes Gedankengut, in Form einer Erkenntnistheorie, welche der Frage nach der Wissensaneignung von Individuen nachgeht, wird in der Philosophie bereits seit der Antike (z.B. Sokrates/Platon) praktiziert (Müller: 1996 in König: 2009. S. 128).
Der postmoderne[67] Konstruktivismus hat sich aus dem radikalen Konstruktivismus[68] entwickelt. Als Vorgängertheorie des „neuen Konstruktivismus der Soziologie, Kognitionswissenschaft und Psychologie“ [69] , die als Grundlage der allgemeinen Pädagogik fungieren, können die pragmatischen Ideen zur Unterrichtsgestaltung John Deweys[70] betrachtet werden (Gerstenmaier, Mandel 1995 S. 867). In dem Sinne können auch die Ideen von Pierce, Meads, Williams und anderer wichtiger Vertreter des Pragmatismus betrachtet werden.
Ihr Zeitgenosse Lev Vygotskij hat etwa in den 1920ern seine Forschungen zur kindlichen Entwicklung betrieben. Seine in den letzen zwei Jahrzehnten wiederentdeckte Theorie der „Zone der nächstfolgenden Entwicklung“ [71] wird häufig mit der ZdnE oder ZNE abgekürzt und im englischen Veröffentlichungen entsprechen mit ZPD. John Dewey, Jean Piaget[72] und Lew Vygotskij gelten nach Kersten Reich[73] als die Vordenker konstruktivistischer Lerntheorien (Reich: 2006, S.71).
Bezeichnend für den Konstruktivismus ist die aktive Rolle des Individuums im Erkenntnisprozess. Im Allgemeinen ist der radikale Konstruktivismus schwer zu fassen, es kann aber gesagt werden, dass er sich im wesentlichen durch die „individuelle Konstruktion von Wirklichkeit“ zum Sozialkonstruktivismus abgrenzt, welcher Wirklichkeit als Produkt sozialer Interaktionsprozesse betrachtet (vgl. König: 2009, S. 130). Das erinnert an die in 2.1 kurz dargestellte Theorie des symbolischen Interaktionismus von Herbert Meads.
Ein Vertreter des radikalen Konstruktivismus[74], dessen entwicklungspsychologische Forschungen von der eben benannten Grundvorstellung ausgingen, war Jean Piaget. Seine Forschungsergebnisse und Theoriebildung lassen sich bis heute in zahlreichen Veröffentlichungen wiederfinden[75]. Lev Vygotskij hat sich seinerzeit intensiv mit Piagets Forschung auseinandergesetzt. Bis heute sind beide Theorien (zu großen Teilen) präsent und mancherorts wird versucht, eine Synthese der Schnittpunkte[76] ihrer Theorien für bestmögliche Unterrichtsgestaltung zu nutzen (vgl. Burremann: 2002 S. 61ff). Piagets Theorie des „ genetischen Strukturalismus [77] “ postuliert, dass ein Individuum in Auseinandersetzung mit seiner materiellen Umwelt zu seinem Wissen gelangt. Er geht davon aus, dass durch nicht mehr funktionieren bekannter Handlungsmuster beim Ausprobieren und daraus resultierendes Ausweichen auch andere, neue Muster zum Aufbau kognitiver Strukturen entstehen (vgl. König: 2009. S. 128). Die von Vygotskij und anderen[78] begründete kulturhistorische Schule [79] betrachtete höhere psychische Funktionen [80] als Produkte gesellschaftlich-historischer Entwicklung der jeweiligen Gesellschaft in der der Mensch lebt (Burremann: 2002, S. 17). Vereinfacht lässt sich sagen, dass der Hauptunterschied im Denken Piagets und dem Vygotskijs in der Gewichtung der Rolle des Individuums und des Sozialen in der Interaktion verorten lässt: Piaget maß dem Individuum (den inneren Prozessen) mehr Relevanz zu, während Vygotskij den Austauschprozess (und der damit einhergehenden Internalisierung) zwischen Individuum und Umwelt (sozialkulturellen Faktoren) mehr Bedeutung zumaß[81] (vgl. auch Reich: 2006, S. 72ff). Ein weiterer grundlegender Unterschied im kulturhistorischen Denken ist die Annahme, dass Entwicklung durch Lernprozesse vorangetrieben wird. Piaget setzt die Entwicklung kognitiver Strukturen zum Erlernen neuer Fähigkeiten voraus und sieht im Lernen die Verfestigung durch Assimilationsprozesse (Gisbert: 2004, S. 109). Darüber, wie der Internalisierungsprozess vonstatten geht, trifft Vygotskij keine Aussage. (Sigel: 2004, S. 90)
Der „neuere“ Konstruktivismus lässt sich nach Gerstenmaier und Mandl in drei Unterformen einteilen:
- Der anthropologische und ethnomethologische Ansatz. Bei dieser Sichtweise wird vor allem die kognitiv konstruierte Identitätsentwicklung unter sozialen, kulturellen und historischen Aspekten betrachtet (vgl. Prien, 2007 S. 17).
- Der Ansatz der situierten Kognition. Dieser Ansatz geht davon aus, dass alle Denkprozesse situationsbedingt beeinflusst werden. Er untersucht die Entstehung und Bedeutungszuweisung dieser auf den verschiedenen Ebenen (biologische, soziale, kognitive), sowie die von alltäglichen Handlungen (vgl. Calncey zit. Bei Gerstenmaier, Mandl 1995).
- Der soziale Konstruktivismus. Dieser ist u.a. geprägt durch die Annahmen von P.A. Berger und T. Luckmann und beschäftigt sich vor allem mit der Frage, wie gesellschaftliches Zusammenleben geregelt werden kann, bzw. wie dieses von den handelnden Menschen geformt wird (vgl. Fuchs-Heinritz, Werner: 2007, S. 357).
Derzeit werden international insbesondere sozialkonstruktivistische Theorien für den vorschulischen Bereich diskutiert (vgl. Bertram, Pascal: www.inca.org.uk) Wobei nach der hier dargestellten Unterteilung der „Sozialkonstruktivismus“ in der Literatur der frühkindlichen Pädagogik eigentlich unter dem Titel „neuerer Konstruktivismus“ laufen müsste, da Aspekte aller drei Ansätze integriert wurden.
Diese Unterteilung wird jedoch in den Veröffentlichungen zur Frühpädagogik nicht berücksichtigt und oftmals fließen die anthropologischen und situierten Aspekte ebenfalls als Bestandteile des Sozialkonstruktivismus ein. Deshalb werde ich mich in dieser Arbeit an den weniger stark festgelegten Begriff des postmodernen Konstruktivismus halten.
4.1 Postmoderne konstruktivistische Schlüsselbegriffe und Grundannahmen in der frühkindlichen Pädagogik
Als essentielles Merkmal des postmodernen Konstruktivismus in der Pädagogik der frühen Kindheit erschafft James Youniss[82] den Begriff der Ko-Konstruktion. Dieser bezeichnet einen gemeinsamen Aushandlungsprozess von Personen, welcher zu einer gemeinsamen Vorstellung über etwas führt (vgl. König: 2009 S.130). Ein grundlegender Aspekt für das Fortschreiten kindlicher Entwicklung, ist die Initiative vom Kind[83] aus. Weiter wird intensives, aufmerksames Mitwirken (Involvement[84]) beider Seiten am Interaktionsinhalt, sowie eine instruktive Komponente die Erweiterung ermöglicht, als konstitutiv betrachtet (Siray-Blatchford et al.: www.education.gov.uk). Diese Möglichkeit sollte in Form von pädagogischer und didaktischer Interaktion genutzt werden, um gemeinsame Denkprozesse, durch eine gemeinsame Perspektive (Ko-Konstruktion) aufzubauen und innerhalb dieser mit Hilfe eingebundener „instruktiver[85] Momente“, einen Kompetenzaufbau des Kindes zu fördern (König: S. 132f). Bei diesen Ausführungen ist im Grunde das Prinzip des „sustained shared thinking“ bereits vorweggenommen.
Die Theorien Vygotskijs, unter anderem die der Zone der nächsten Entwicklung (ZdnE), wurden in 1970er bis 80er Jahren (vor allem in den USA) wiederentdeckt (Textor: 2000, S. 71). Vygotskij hat es in seinem kurzen Leben nicht geschafft, eine konkrete Theorie für ein Unterrichtskonzept zu entwerfen, er hat aber eine große Anzahl theoretische Grundlagen[86] geschaffen, welche bis heute wissenschaftlich relevant sind (Elkonin in Lompscher: 2003, S. 37). Zu Unterrichtszielen, Lernstrategien, Dialogstrukturen, Emotionen usw. gibt es in Vygotskijs Werk keine Hinweise (Sigel: 2000, S. 90). Aber er betrachtete Unterricht als Ansporn für die kindliche Entwicklung. Unterricht sollte dieser immer einen Schritt voraus sein.
„Ein wesentliches Merkmal des Unterrichts ist die Tatsache, dass er die Zone der nächsten Entwicklung schafft, dass heißt, durch ihn werden beim Kind viele innere Entwicklungsprozesse ins Leben gerufen und in Bewegung gebracht, die das Kind nur in Wechselwirkung mit der Umgebung, nur in der Zusammenarbeit meistern kann, die aber eine innere Entwicklung erfahren und dann zum inneren Besitz des Kindes werden“ (Wygotski: 1987, S. 303)
Das Arbeiten in der Zone der nächsten Entwicklung sieht er in dieser Weise als obligatorisch für effektiven Unterricht an (Burrmann: 2002, S. 25). Zur Bestimmung dieser Zone muss der Erziehende die Wechselwirkungen einiger Faktoren analysieren, um für ein Kind die geeignete Aufgabe, sowie das angemessene Maß an Unterstützung zu bieten (Siraj-Blatchford: 2007, S. 106, Lompscher: 1996, S. 349):
- Die Anforderung des Lerngegenstands (Inhalts- und Aufgabenstruktur)
- Individuelle Bedingungen des Lernenden (Wissen, Strategien und Einstellungen)
- Entwicklungsstand des Lernenden (z. B. Stand der kognitiven oder motorischen Fähigkeiten) (ebd.)
Auf dieser Grundlage bereitet der/die Erziehende, mögliche Etappen der Aufgabestellung vor, bei der er/sie aber Veränderungen bei der realen Ausführung in Betracht ziehen muss. Da Unterricht und Entwicklung für Vygotskij untrennbar miteinander verknüpft sind werde ich im Folgenden weitere Schlüsselbegriffe im Rahmen seiner Entwicklungstheorie näher erläutern.
4.2 Theorien kindlicher Entwicklung bei Vygotskij
Eine grundlegende Unterscheidung bei Vygotskij ist die der niedrigeren (biologischen) und der höheren (sozial – kulturell vermittelten) psychischen Funktionen (Vygotskij: 2003, S. 629). Die Entwicklung höherer geistiger Funktionen des Kindes verläuft für Vygotskij stets in Abhängigkeit mit der jeweiligen Lebenswelt.
„Die Strukturen der höheren psychischen Funktionen sind also ein Abguss der kollektiven, der sozialen, zwischenmenschlichen Beziehungen. Sie sind nichts anderes als eine in die Persönlichkeit übertragene innere Sozialbeziehung, die ihrerseits die Grundlage für die soziale Struktur der Persönlichkeit des Menschen bildet.“(Vygotskij, L. 2003, S. 629)
Zur Darstellung dieses Vorgangs verwendet er die Termini des interpsychischen (zwischen den Personen) in Gegenüberstellung mit den intrapsychischen (innerhalb einer Person) Faktoren. Vygotskij betont den Vorgang der Verinnerlichung (Interiorisation) von beispielsweise Sprache, Moral, Logik, Normen, Werte usw. durch gesellschaftliche Symbole (ebd. S. 629f). Es kommt zum Wechselspiel zwischen Internalisierungsprozessen und Externalisierungsprozessen. Der dynamische Prozess der Interiorisation bedingt somit persönliches Wachstum. Diesem Wachstum wird in den derzeitigen (postmodernen) konstruktivistischen Lerntheorien ein systemischer[87] als auch zirkulärer[88] Charakter zugeschrieben (Burrmann: 2002, S. 19). Dem entsprechend gibt es interkulturelle Variationen d. h. die sozialen Praktiken und Werkzeuge in den jeweiligen Kulturen bedingen unterschiedliche Ausbildung höherer psychischer Funktionen. Es wird zusätzlich von zwei Linien der Entwicklung, den natürlichen (biologisches genetisch bedingtes Wachstum und Reifungsprozesse physiologischer und kognitiver Strukturen) und den kulturellen Entwicklungslinien (Kulturelles Bewusstsein formen, Symbolische Werkzeugen gebrauchen lernen, Teilhabe an kulturellen Praktiken) gesprochen. (Vgl. Gisbert: 2004, S.110) So sondert er beispielsweise auch die Entwicklung des Denkens von der Sprachentwicklung ab und sagt, dass die beiden Linien anfangs unabhängig voneinander verlaufen und sich schließlich im Alter von etwa 2 Jahren treffen:
„Es (Das Kind) [Anmerkung der Autorin] entdeckt, dass jedes Ding einen Namen habe. Dieser Zeitpunkt, von dem an die Sprache intellektuell und das Denken sprachlich wird (…)“ (Wygotski: 1986, S. 89)
Als ein besonderes Werkzeug höherer geistiger Funktionen betrachtet er die Sprache, die Handlungen steuert und das Denken auf eine gehobenere Ebene befördert. Beim Kind unterscheidet er vier Stufen der psychischen Funktionen, wobei diese ineinander übergehend betrachtet werden. Als die Basis der sich aufbauenden Entwicklung, betrachtet er ein „primitives, natürliches Stadium“, z.B. erste Lautbildungen eines drei Monate alten Säuglings. Das zweite Stadium nennt er „naive Psychologie“, was er mit einem noch nicht zweckhaften oder zielgerichteten Ausprobieren der kulturellen Werkzeuge vergleicht, z.B. haben Eineinhalbjährige großen Spaß an beliebigen Effekten die sie mit der Anwendung bekannter Worte bei Erwachsenen erzielen. Die dritte Stufe bezeichnet er als das „Stadium der äußeren Zeichen“, wobei das Kind externe Hilfsmittel zurate zieht, z.B. das Bilden erster grammatikalisch konstruierter Sätze ca. 2 Jähriger, obwohl die Bedeutung der Grammatik noch nicht verstanden wurde. Meist orientieren sie sich dabei an häufig gehörten Satzstrukturwörtern. Schließlich braucht es diese nicht mehr, da es zum „Hineinwachsen“, d.h. der Integration der Kompetenzen im kindlichen Bewusstsein gekommen ist, beispielsweise hat das Kind die grammatikalischen Regeln verinnerlicht und wendet sie automatisch richtig an. (Wygotski: 1986, S. 93f)
Er unterscheidet dabei das „innere Sprechen“ von der „äußeren Sprache“ und setzt das innere Sprechen mit dem Denken und die äußere Sprache den wörtlichen Ausführungen in Beziehung (Wild: 1980, S. 81). Für ihn ist das ein sich gegenseitig bedingender Prozess und nicht die einfache Abfolge „von Innen nach Außen“, wie naheliegender Weise angenommen werden könnte. Folgendes Zitat versinnbildlicht sein Denken darüber:
„Doch während sich der Gedanke in der äußeren Sprache im Wort verkörpert, stirbt das Wort in der inneren Sprache und gebiert den Gedanken. Die innere Sprache ist im beträchtlichen Maße ein Denken mit reiner Bedeutung.“ (Wygotski: 1986, S.350)
Ein bedeutender Zusammenhang ergibt sich für ihn aus der Entwicklung der inneren Sprache mit dem Phänomen der kindlichen egozentrischen Sprache[89] (vgl. Wygotski: 1986, S. 39ff). Mitte der 70er Jahre wurde der Begriff Metakognition[90] als ein Sammelbegriff eingeführt für alles, war mit dem Wissen und der Kontrolle der eigenen kognitiven Funktionen zu tun hat (Hasselhorn: 2001, S.348ff). In der konstruktivistischen Pädagogik der frühen Kindheit wird nach Bruner[91] die egozentrischen Sprache, von Vygotskij auch Flüstersprache genannt, als erste Steuerungsfunktion des kindlichen Denkens, also als ein Vorläufer der Metakognition verstanden (Wygotski: 1986, S. 92/Gisbert: 2004, S. 143ff). Vygotskij hat, in den frühen 1930ern, bereits erkannt:
„(…), dass die egozentrische Sprache sehr früh zu einem Mittel des realistischen Denkens beim Kinde wird.“. (Wygotski: 1986, S. 41)
Folglich nimmt vor allem das freie Spiel des Kindes in Bezug auf die Ausbildung kognitiver Steuerungsfunktionen (Denken, Erinnern, Abstrahieren, Kreativität) eine besondere Rolle ein (Gisbert, K. 2004, S. 149ff). Besonders das Rollenspiel hat realitätsreflektierenden[92] Charakter innerhalb einer Vorstellungswelt, die von Bedeutungen dominiert wird. Das bereitet den Weg zum abstrakten Denken, weiterhin dient das Spiel der psychischen Selbstregulation, da z.B. der Umgang mit aufgeschobenen Bedürfnissen oder Wünschen im Spiel geübt werden kann. Wenn es zwischen zwei Kindern stattfindet müssen die Rahmenbedingungen des Spiels geklärt werden (Metakommunikation) kommt noch eine Interpsychische bzw. soziale Komponente hinzu. Dabei werden „absorbierte“ gesellschaftliche Normen und Regeln durch das Spiel von den Kindern internalisiert und beispielsweise die Rollenverteilung ausgehandelt . Folgendes Vygotskij-Zitat soll zur seiner Vorstellung von Vorschulunterricht überleiten:
„Beim Vorschulkind sieht es so aus, dass es tut was es will, dass es aber auch das will, was derjenige will, der es anleitet.“ (Vygotskij: 2003, S. 257)
Dieses Zitat könnte so aus seinem Zusammenhang gerissen, kritisch betrachtet, als ein subtiles Aufdrängen des Erziehenden bzw. Erwachsenendenken aufgefasst werden. Tatsächlich wurde er von einer Nachfolgerin seiner Denktradition für die ungenügende Betonung der Beteiligung des Kindes am Interiorisationsprozess kritisiert (vgl. Rogoff 1990 in Burremann: 2002, S.29). Bezug nehmend auf die sensiblen Phasen der Entwicklung Montessoris, geht Vygotskij von bestimmten Zeitabschnitten aus, in denen das Kind bestimmte Inhalte begünstigt lernt (z.B. das Erlernen der Sprache). In „Unterricht und Entwicklung im Vorschulalter[93] “ referierte er über die Phase 0-3 Jahre. Dabei betonte er sie sei ausschließlich Lernen aus Eigeninitiative[94]. Er verglich durchgehend mit dem schulischen Unterricht (reaktiver Unterricht) und bezeichnete diese erste Lernphase als „ spontanen Unterricht “.
Beim Vorschulkind (3-6 Jahre) geht er von einer „Umbruchphase“ aus, innerhalb der das Kind zwar noch immer größten Teils aus eigenem Antrieb heraus lernt, aber auch das lernen will, was ihm von einer kompetenteren Person gezeigt wird. Er bezeichnet dies als „spontan-reaktiven Unterricht“. Er plädiert dafür, die kindliche Fähigkeit, Dinge miteinander in Beziehung zu setzen (bzw. eigene Theorien aufzustellen) in den Unterricht einzubeziehen, da diese allmählich zu einem pragmatischen Verständnis der Welt hinführen. Dabei sollen die Anforderungen einerseits die vom Erwachsenen wichtig erachteten Kenntnisse vermitteln und andererseits die Persönlichkeit, der Entwicklungsstand und das Interesse des Kindes einbezogen werden. Eine Hauptaufgabe von Vorschulunterricht besteht für ihn darin, dass das Kind lernt zu differenzieren. Hilfestellungen sollen sich am Stand des Kindes orientieren, die Aufgabestellung soll sein (des Kindes) bisheriges Denken ausweiten. (Vygotskij: 2003, S. 256ff)
Auf dieser Grundlage sollen folglich die konkreten Handlungsmuster der postkonstruktivistischen Frühpädagogik aufbauen. Auf diesen Annahmen aufbauend wurde von Galina Doyle[95] ein umfassendes Curriculum für 3- 6 Jährige geschaffen, welches sich aus gleichen Teilen Kind-Initiierten-Aktivitäten (Rollenspiele etc.) und Erziehenden-Initiierten-Aktivitäten (verschiedenster Bereiche Instruktionen unter Einsatz von Symbolen) zusammensetzt (Doyle: 2010, S.18ff). Auf Ihr Konzept kann im Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht ausführlich eingegangen werden. Auf dieser Grundlage basieren ebenfalls die interaktionsgebundenen Handlungskonzepte des „sustained shared thinking“ und des „scaffolding“ welche unter der Weiterentwicklung des Gedankengerüsts Vygotskijs ausgearbeitet wurden. Dies wird in den folgenden Kapiteln dargestellt.
4.3 Das Konzept des “sustained shared thinking” als pädagogisches Werkzeug
In der internationalen Diskussion der Frühpädagogik, welche momentan stark sozial-konstruktivistisch geprägt ist, stellt das „sustained shared thinking“ ein seit langem erwünschtes konkretes Handlungskonzept dar (vgl. Bertram, Pascal 2002 unter www.inca.org.uk).
„Sustained shared thinking“ (gemeinsames längerfristiges Denken) bedeutet einen regelmäßigen intensiven, über eine längeren Zeitraum andauernden, gedanklichen Austausch zwischen Erwachsenen und Kind oder unter zwei (selten mehr) Kindern, was zu einem tiefern oder erweiterten Verständnis führen soll. (Textor: http://www.kindergartenpädagogik.de) Es entsteht durch das Erweitern und/oder Differenzieren innerhalb des Interaktionsprozesses eine intersubjektive Erfahrungsebene[96] (Siray-Blatchford et al.: 2003, S 49).
Die Definition der Begriffsschöpfer lautet:
„…an episode in which two or more individuals (children together, or adults and children) work together in an intellectual way to solve a problem, clarify a concept, evaluate activities or extend a narrative etc. Both parties must contribute to the thinking and develop and extend the understanding.” (Siray-Blatchford et al: www.earychildhoodaustralia.org.au)
Wichtig, wie bereits in Kapitel 4.1 erläutert, ist hierbei die Vorraussetzung der Ko-Konstruktion, wobei bisher sich fortwährend auf eine Altersgruppe konzentriert wurde, welche die Fähigkeit zur intellektuellen Sprache besitzt. Doch das Konzept des „sustained shared thinking“ sollte nicht nur auf sprachmächtige Vorschulkinder eingeschränkt werden, sondern auch bereits nonverbale Kommunikation mit Klein- und Kleinstkindern mit einbeziehen, bei der Erziehende sich auf deren Erlebniswelt einstellen. Auch mit einem Säugling kann es gelingen über einen längeren Zeitraum mit ihm zu interagieren, auch wenn die Abstraktionsfähigkeit seines Denkens noch nicht entwickelt ist, wird in der Interaktion bereits eine Voraussetzung geschaffen. Der Psychologe Daniel Stern geht beispielweise davon aus, dass es mit jeder Interaktion die Wahrnehmung seines Selbst und seiner Umwelt erweitert[97] (Brodin, Hylander: 2002, S. 24ff). Die stärkste Betonung liegt bei dieser Methode auf dem Denken bzw. der Anregung zu verschieden Denkprozessen, das schließt sowohl Metakognition, vielseitiges Sprechen, Reflexion, Aufmerksamkeit auf Phänomene richten, die als gegeben hingenommen werden und einige andere Denkoperationen ein (Clark: 2009, S. 11). Kinder sollen quasi zum Nachdenken erzogen werden.
Als Aufgaben des Erziehenden wird in Jenny Clarks Buch „sustaining shared thinking“, indem sie die Prinzipien dieser Interaktionstechnik in ein pädagogisches Konzept einbettet, folgende beschrieben:
Das schaffen einer Umgebung mit Materialen usw., in der sie mit ihren bisher erworbenen Fähigkeiten agieren und experimentieren können Unterstützung beim Wissenserwerb (vgl. Internalisierungsprozess) Dabei zu helfen, dass Kinder Dinge auf eigene Faust entdecken können Offene Fragen stellen und innovative Antworten akzeptieren Das Geleiten durch Denkprozesse und das Unterstützen der Aufrechterhaltung der Prozesse auch dann noch, wenn Unstimmigkeiten auftreten. (Zeigen, dass man aus Misserfolgen lernen kann) Modellfunktion in Ausdauer, Bedachtheit, der Fähigkeit zum Zuhören (Clark: 2007, S. 42)
Als einen zentralen Aspekt des „sustained shared thinking“ möchte ich hierbei besonders auf die Beschaffenheit Offener Fragen eingehen. Sie sind das Gegenteil von geschlossenen Fragen, welche einfaches Abfragen von Tatsachen zum Ziel haben oder das Kind durch assoziative Antworten unterfordern. Ziel des Erziehenden ist es mit der Fragetechnik bzw. den sprachlichen Anregungen den Kindern die Möglichkeit zu bieten Weiterzudenken, Theorien zu entwickeln, Vorraussagen über etwas zu treffen, Verhalten zu reflektieren oder logische Schlussfolgerungen zu ziehen. Mögliche Formulierungen wären beispielsweise:
Was glaubst Du weshalb hat das nicht funktioniert?
Was glaubst Du passiert als nächstes?
Was könntest Du hierzu verwenden?
Wie könnte das weitergehen?
Weshalb könnte das so sein?
Könnte es nicht so sein….
Ich wundere mich warum…
Ich glaube nicht, dass…
Warum hast Du das so gemacht?
usw. (Clarke: 2007, S. 51/61)
Eine Gelegenheit solche Fragen einzubringen könnte die Teilnahme an einem von Kindern initiierten Rollenspiel sein. Dies ist aus konstruktivistischer Sicht der geeignetste Kontext, da die Motivation, Ausdauer und Kreativität dabei weit über die bei von Erziehenden initiierten Aktivitäten hinausgehen (vgl. Kapitel 4.2). Wichtig ist es erst gut zu beobachten und zuzuhören, um zu verstehen, was die Kinder tun (Tuning in[98] ). Dann ohne das Spiel zu dominieren ein Rolle annehmen und zu versuchen wichtige Aspekte des eigenen Spiels in Worte zu fassen, sowie durch offene Fragen zum Spiel neue Anreize zu schaffen. (Clarke: 2007, S. 61) Im Grunde stellt die Methode eine effektive Verbindung konstruktiver und instruktiver Momente dar (König: 2009, S. 139). Bei der neben anderen in Kapitel 4.5 beschriebenen REPEY Studie werden fünf Aspekte unter der Kategorie „sustained shared thinking“ in Abgrenzung zum „direkten Unterricht“ zusammengefasst:
1. „extending“, das bewusste Erweitern des kindlichen Denkens.
2. „discussing“, das Diskutieren von Problemen, bzw. Moderieren bei einer Auseinandersetzung.
3. „modelling“, das verbal begleitete Vorführen einer Handlung oder das Mitteilen eigener Denkoperationen (z.B. Organisation privater Aufgaben).
4. „playing“, das in kindliches Spiel Einsteigen oder sich dem Kind spielerisch nähern.
5. „scaffolding“, das Unterstützen des Kindes bei selbst gewählten Handlungen nach dem im folgenden Zitate beschriebenen vorgehen:
„Scaffolding is an interaction which requires the teacher to know the target child’s level of knowledge, and to stretch his/her abilities through a series of questions or comments in order to take the child to a higher level of knowledge than s/he would have had before.“ (Siraj-Blatchford: 2002, S. 144 in www.education.gov.uk)
„Scaffolding“ kann somit als ein didaktischer Bestandteil des „sustained shared thinking“ betrachtet werden. Unklar bei dieser Unterteilung ist, wie sich den „extentding“ von „scaffolding“ abgrenzen lässt abgesehen von der Art und Weise der Durchführung. Im Folgenden wird auf diese eingegangen.
4.4 „Scaffolding” als frühpädagogische Didaktik
Der Begriff „Scaffolding“ basiert auf dem englischen Begriff scaffold = Gerüst, er wurde von Woods, Bruner u.a. 1976 erstmals in einem Artikel verwendet und 1985 von Bruner in Beziehung zu Lew Vygotskijs These der Zone der nächstfolgenden Entwicklung (ZdnE) gesetzt (vgl. Woods, Bruner, Ross: 1976 zitiert in Scott: 2004, S. 87). Er bezeichnet eine didaktische Interaktion, bei der der Lehrende, von den individuellen Fähigkeiten des Lernenden ausgehend, Hilfestellung zur Erreichung eines Lernziels bietet, welche stufenweise abgebaut wird, bis der Lernende schließlich die notwendigen Kompetenzen in sein Denksystem bzw. Fähigkeiten integriert hat. Eine klar eingegrenzte Definition gibt noch nicht, so wird der Begriff im Alltag für diverse unterrichtsstützende Maßnahmen hergenommen (ebd. S. 89). Offensichtlich ist hingegen beim „scaffolding“ die Rollenverteilung des Lehrenden und des Lernenden, welche nach Youniss eine „komplementäre Reziprozität“ impliziert, welche die Extension des Wissens beim Lernenden forcieren soll, dies geschehe aber vor allem durch sich wechselseitiges Ablösen von „symmetrischer“ und „komplementärer Reziprozität“ (vgl. König: 2009, S. 138). Folglich sollte der Lehrende, der sich auf die kindliche Perspektive einlassen muss um die eben beschriebenen wechselseiten Prozesse anzuregen, nie das Lernziel aus den Augen verlieren.
Auch anderenorts wird der Terminus „scaffolding“ lediglich als der Prozess, durch den Kinder von den Interaktionen mit den Erwachsenen lernen können, definiert und mit dem Konzept „guided participation [99] “ gleichgesetzt (vgl. Williams, Mastergeorge,, Ontai, 2010, S. 252).
„scaffolding“ kann als eine Instruktionsmethode betrachtet werden, die kindliche Lernprozesse verbessern könnte. Demnach kennzeichnen vier Aspekte „scaffolding“ als effektive Methode:
- Ko-Konstruktion während der Erziehenden-Kind-Interaktion. Einfühlung und Anpassung der Erziehenden in die kindliche Erlebniswelt in sofern, dass er/sie sich mit seinen/ihren Reaktionen auf das Kind in der Zone dessen nächsten Entwicklung befinden (Rogoff & Gardner: 1984 S. 95).
- Ein autoritativer Interaktionsstil[100]. Dieser ist gekennzeichnet durch Verantwortung und Empathie verbunden mit dem Entwicklungsstand des Kindes angemessenen und klaren strukturellen Zielvorstellungen. Dem liegt eine demokratische Ansicht zugrunde, die Unabhängigkeit fördern soll, die aber auch durch klare Regeln gekennzeichnet ist, welche zwischen Kind und Erziehenden immer wieder ausgehandelt werden.
- Arbeit in der ZdnE des Kindes beinhaltet folgende Vorgehensweisen. Erziehende nehmen die Rolle des fördernden Partners ein. Es werden die Aufgaben mit hohem Anforderungscharakter gestaltet und die Unterstützung fortwährend stufenweise abgebaut (fading out). Bzw. wenn sich ein Kind eine allzu leichte Aufgabe wählt können Erziehende diese komplexer und damit herausfordernder gestalten.
- Förderung der Selbstregulation bedeutet, dass der Erziehende zulässt, dass das Kind im Lernprozess aufkommende Fragen und Anforderungen zuerst versucht selbstständig zu lösen und erst dann eingreift, wenn es nötig ist. Dieses Eingreifen sollte verbal so gestaltet werden, dass das Kind eine Möglichkeit erhält selbst zu einer erfolgreichen Lösung zu kommen (z.B. Durch mit Hinweisen verknüpfte, anregende Fragen). (Gisbert, K. 2004, S. 146ff)
Das Problem den ”scaffolding”-Begriff eindeutig zu verorten kann im Rahmen dieser Arbeit nicht gelöst werden. Nicht einbeziehen werde ich die ”acht Charakteristiken des Scaffolding” nach McKenzie, da diese für die Zielgruppe der 0-6 Jährigen ungeeignet scheinen. Letzlich kann ”scaffolding” als eine postmodern konstruktivistische Lehrform betrachtet werden, die sich in ihrer hier dargestellten Grundstruktur bereits in die Arbeit mit Kleinstkindern beziehen lässt.
4.5 Forschungsergebnisse von Studien zur Qualität der Erziehenden-Kind-Interaktionen
An dieser Stelle möchte ich zuerst die Studien skizzieren, welche zu dem Ergebnis kamen, dass „sustained shared thinking“ (neben anderen Rahmenbedingungen) eine sehr erfolgreiche Methode für kognitive Förderung im frühen Kindesalter darstellt. Darauffolgend werden weitere Ergebnisse von Studien dargestellt, welche teils durch die Anregung der Ergebnisse dieser Studien hin ihre Forschungsfragen gestaltet haben.
Wie bereits in der Einleitung erwähnt wurde ist die EPPE (Effective Provision of Preschool Education) die erste umfassende Längsschnittstudie zu den Auswirkungen von Fremdbetreuung in Kindertageseinrichtungen (Textor: www.kindergartenpädagogik.de). Zwischen 1997 und 2003 wurden fast 3000 Kinder und ihre Eltern in 141 Kindertageseinrichtungen und 300 Kinder die nur Zuhause aufwuchsen untersucht und bis Ende der 2. Klasse (ca. 7 Jahre alt) mehrfach getestet. Des Weiteren wurde die jeweiligen Rahmenbedingungen (Qualität der Kindertageseinrichtung, Qualifikation des Personals, Familienverhältnisse) berücksichtigt (Sylva, et al: www.ioe.ac.uk). Es wurde dabei eine Reihe von „qualitativen Charakteristiken“ herauskristallisiert, welche Einrichtungen besonders effektiv machten.
Die 14 erfolgreichsten Kindertageseinrichtungen[101] wurden in den REPEY (Research in Effective Pedagogy in Early Years) genauer untersucht. 46 besonders erfolgreiche Betreuungspersonen und einzelne Kinder wurden längerfristig beobachtet. Dabei stellte sich heraus, dass das „sustained shared thinking“ besonderen Einfluss auf die Förderung kognitiver und sozialer Fähigkeiten bei Kindern haben, unabhängig ihrer Herkunft (sozialer Status der Familie). Allerdings trat diese Art der Interaktion sehr selten auf (5% aller Interaktionen). (ebd.)
Die 1994 bis 1996 von Renate Fliedner durchgeführte Untersuchung zur Feststellung unterschiedlicher Qualitätsniveaus kognitiver Förderung in der Erziehenden-Kind-Interaktion wurden unter anderen[102] vier verschiedenen Erziehungscharakteristika herausgearbeitet: lehrreiche Erziehungsqualität (Qualität höchster kognitiver Förderung), unterhaltende Erziehungsqualität (mit 40% die häufigste , aber wenig kognitiv förderlich) , adaptive Erziehungsqualität (stellt eine Form angemessener Förderung dar) und belehrende Erziehungsqualität (=Qualität mit geringsten Nutzen für kognitiver Förderung). (Fliedner: 2004, S. 228) Sie folgerte aus ihren Ergebnissen, dass die Verbesserung der Erziehungsqualität (im Kontext Bilderbuchbetrachtung) in Kindertageseinrichtungen für ein drittel der Kinder höhere Entwicklungschancen bedeuten könnte (ebd. S. 229).
Anke König betrachtete in ihrer Videostudie im Kindergarten die Dauer und Qualität von ErzieherIn-Kind-Interaktionen vor allem dialogisch-entwickelte Interaktionsprozesse (im Sinne des sustained shared thinking) und kam zu dem Ergebnis, dass ein Grossteil der Erziehenden-Kommunikation Handlungsanweisungen zur Verhaltensregulation der Kinder umfasste. Bei angeregten Gesprächen zögen sich die Erzieheneden oftmals zu schnell aus der Interaktion zurück ohne weiterführende Prozesse in Gang setzen zu können. Häufig bleiben Gelegenheiten zu weiterführenden Interaktionen ungenutzt. (Vgl. König: 2009. S. 259ff)
Timm Albers, der den Fokus seiner qualitativ-quantitativen Analyse zur Interaktion im Kindergarten auf sprachliche Kompetenzen der Kinder legte, stellte fest, dass „sustained shared thinking“ auch bei sprachlich „schwächeren“ Kindern aufgrund der subjektiven Interessenorientiertheit „ Involvement“ möglich ist und besonders ihnen zur Erweiterung der kognitiven und sozialen Fähigkeiten verhelfen kann. Bei den von ihn untersuchten Einrichtungen wurden aber diese oder ähnliche Techniken selten oder gar nicht eingesetzt. (Albers: 2009, S. 267f)
Anhand der hier dargestellten Studienergebnisse lässt sich sagen, dass dialogisch entwickelte Interaktionsprozesse im Sinne des „sustained shared thinking“ zwar unbestritten zu besseren Entwicklungschancen führen könnten, diese aber nur schwer praktisch umzusetzen zu sein scheinen.
4.6 Kritische Auseinandersetzungen mit der ko-konstruktivistischen Prämisse
Ob Handlungssmuster nun mit „Scaffolding“, „Sustained shared thinking“, oder „Guided participation“ bezeichnet werden, ein Risiko kann innerhalb noch so genau formulierter ko-konstruktivistischer Handlungskonzepte nicht ausgeschlossen werden: Die Tatsache, dass verschleierte Machtverhältnisse den Prozess verfälschen oder hemmen könnten (Ostermayer, E. 2006, S.43). Beim praktizierten „Scaffolding“ wird beispielsweise eine klare Erwartungsstruktur, als ein wichtiges Merkmal betont, was mit der ko-konstruktivistischen Prämisse insofern kollidiert, dass ein unbestimmt größerer Anteil erzieherischer Führung gegeben ist, als der Anteil der Selbstbestimmung des Kindes beim Lernprozess (vgl. Kap. 4.3). Es bleibt die Frage offen, ob es sich in den einzelnen Situationen jeweils tatsächlich um einen reziproken, produktiven Austausch handelt, oder ob es nicht vielleicht doch eher um das Durchsetzen von Lernzielen geht. Schließlich lässt sich hierbei eine hierarchische Struktur nicht leugnen, indem der Lehrende als der Kompetentere, der dem Kind zu seiner Weiterentwicklung verhilft betrachtet. Auch bei den von Dolay entwickelten Curriculum nach Vygotskij lässt sich eine sehr starke Vorstrukturierung und Lernzielausrichtung der „Teacher-directed-Sessions“ feststellen (siehe Dolay: 2010). In der konkreten Interaktionssituation sollten die beiden Wisensdomänen (des Kindes und des Erziehenden) als gleichrangig und gleichwertig nebeneinander gestellt und miteinander verbunden werden. Wenngleich sie sich vom Volumen der Gestaltungs- und Deutungsmöglichkeiten her eklatant unterscheiden. Dieser Unterschied sollte nichts an der prinzipiellen Gleichwertigkeit der Wissensdomänen ändern in der Interaktion ungleicher aber gleichberechtigter Teilnehmer. Bei der Veröffentlichung von Clarke über das „sustained shared thinking“ wird explizit betont, dass ein vielleicht unerwarteter Ausgang akzeptiert wird und das Rollenspiel nicht vom Erziehenden dominiert werden soll (vgl. Kap. 4.3).
Wissenschaftliche Kritik wird von manchen Forschern an der Unbestimmtheit der ZdnE Vygotskijs geübt. Es ist unklar wie man die ZdnE bestimmt, wie viele solcher Zonen es gibt oder welches Vorgehen man dabei anwenden soll (vgl. Burrmann: 2002; S. 28, Sigel in Fthenakis: 2000, S. 89). Außerdem bemängelt Sigel unter anderem die Auslassung der Rolle der Emotionen beim wechselseitigen Lernprozess (vgl. ebd). Hierzu scheint heute allerdings der Schlüssel in der Feinsinnigkeit, der professionellen Ausbildung und den emphatischen Fähigkeiten der Erziehenden gesehen zu werden, die im aufmerksamen Dialog mit dem Kind variable Faktoren wie z.B. Entwicklungsstand, Emotionen, Situation usw. einbeziehen sollen.
4.7 Zusammenfassung
Konstruktivistisches Gedankengut hat im Grunde lange Tradition (bis in die Antike) im Umgang mit Lerntheorien (vgl. Kapitel 4). Die Theorien Piagets und in letzter Zeit vor allem Vygotskijs stellen neben anderen noch immer Hauptbezugspunkte derzeitiger Forschungsprojekte im Bereich frühkindlicher Bildung und Erziehung dar. Sie werden gleichfalls zu den Wegbereitern des postmodernen Konstruktivismus innerhalb dieses Bereichs gezählt. Vygotskijs Entwicklungstheorien beziehen sich in erster Linie auf die soziokulturelle und kognitive Entwicklung. Sie bilden eine Basis für das Interaktionskonzept des „sustained shared thinking“ und das Instruktionskonzept des „scaffolding“, welche hinsichtlich der Betonung der Selbstregulation und der Berücksichtigung von demokratischen Erziehungsansichten erweitert wurden. Weiter kann „Scaffolding“ als didaktischer Part des „sustained shared thinking“ betrachtet werden, beide betonen die Wichtigkeit des „Involvement“ der Beteiligten und damit den dialogischen oder ko-konstruktiven Charakter. Außerdem spielt der Aspekt der kindinitiierten Situiertheit eine entscheidende Rolle. Im abschließenden Kapitel werde ich der Einfachheit halber, wegen seiner konkreteren Bestimmbarkeit das Konstrukt des „sustained shared thinking“ zum Vergleich der möglichen kognitiven Förderung hernehmen.
5 Diskussion der Erziehenden-Kind-Interaktion der vorgestellten Ansätze
Nachdem die Erziehenden-Kind-Interaktion in der Montessoripädagogik und die postmodern konstruktivistischen Handlungskonzepte des „sustained shared thinking“ und „scaffolding“ dargestellt wurden, lässt sich feststellen, dass die Grundhaltungen und Herangehensweisen an den pädagogischen Interaktionsprozess in beiden pädagogischen Ausrichtungen Parallelen aufweisen.
Dabei ist zu beachten, dass in dieser Arbeit nur die Aspekte Interaktion in der frühkindlichen Bildung und Erziehung verglichen werden und nicht die theoretischen Grundannahmen. Die Parallelen sind:
- Wertschätzung des Erziehenden der individuellen kindlichen Persönlichkeit.
- Vorbildsfunktion des Erziehenen in Anbetracht auf gewählte Sprache, Werte und Verhaltensweisen.
- Orientierung des Erziehenden am kindlichen Entwicklungsstand und der Interessen des Kindes. (sensible Phasen/ Entwicklungsschritte)
- Tätigkeit und Eigenaktivität sind bei beiden Ansätzen konstitutiv. „ Kind als aktiver Lernender“. (wenn auch diese in den verschiedenen Ansätzen durch unterschiedlichen Einsatz von Hilfsmitteln und in unterschiedlichen Ausgangssituationen gestaltet werden)
- Betonung der Freiheit als Bedingung für die gesunde kindliche Entwicklung. (wenn auch der Freiheitsaspekt unterschiedlich ausgelegt wird)
- Beide gehen von einer Art intrinsischer Motivation aus. ( bei Montessori durch Polarisation der Aufmerksamkeit und bei den ko-konstruktivistischen Konzepten durch den Situiertheitsaspekt)
- Elemente direkten Unterrichtens, wenn auch in unterschiedlicher Form.
Wenn man allein die semantische Bedeutung des Begriffs „scaffolding“ betrachtet könnte er im weitesten Sinne als eine Zusammenfassung des Satzes „Hilf mir, es selbst zu tun“ benutzt werden, da in dem Prinzip der Montessoripädagogik die didaktischen Materialien und der Erziehende das Gerüst bilden. Vergleichend fehlt in der Montessoripädagogik in der Arbeit mit den Materialien das wesentliche Moment der Ko-Konstruktion. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass der Kontext bei der Arbeit mit den Materialien bereits weitgehend festgelegt ist und so nicht die gemeinsame Perspektive eines Sachverhalts ermöglicht, sondern das Kind die Erwachsenensichtweise durch den Umgang mit dem Material verstehen lernen soll.
Ein wesentlicher Unterschied besteht in der Zielsetzung der Erziehung. Während Montessori das Kind in erster Linie als individuelle Persönlichkeit sieht, wird die Persönlichkeit bei der ko-konstruktivistische Sichtweise stärker in den Kontext seiner Umwelt bzw. seine Beziehungen (Interaktion) ins Zentrum gestellt. Es kann behauptet werden, dass Montessori dem Individuum mehr Eigendynamik zumaß als der Umgebung anhand derer es sich entwickelt. So lässt sich ihre Sichtweise eher mit Inhalten des radikalen Konstruktivismus vereinbaren, als mit sozialkonstruktivistischen Ideen. Des Weiteren liegt in der postmodernen konstruktivistischen Frühpädagogik ein besonderer Schwerpunkt auf der Bildung kognitiver Fähigkeiten vor allem die Ausbildungen der sogenannten höheren psychischen Funktionen, also den Kompetenzen im Umgang mit kulturellen Werkzeugen. Bei der Montessoripädagogik ist das Ziel das Kind zur komplett selbstständigen Arbeit hinzuführen, während das Ziel des „sustained shared thinking“ die gemeinsame Konstruktion von Wirklichkeit darstellt.
Ko-konstruktivistische Ansätze geben beispielsweise auch nach dem „scaffolding“- Prinzip mehr Freiraum für weiterführende Gedankengerüste, da es keinen durch den Einsatz der Materialien vorstrukturierten Rahmen gibt wie er in der Montessoripädagogik gegeben ist.
5.1 Annahmen zur kindlichen Entwicklung im Vergleich
Die Mutmaßungen Montessoris über frühkindliche Entwicklung weisen wie bereits in Kapitel 4.1 angedeutet eine Reihe von Gemeinsamkeiten mit denen der kulturhistorischen Schule und darüber hinaus mit der ko-konstruktivistischen Prämisse auf. Eine Differenz der beiden Methoden besteht im Ausgangspunkt des Aufbaus der Lehrstrategien: Bei beiden wird zwar von zeitlich begrenzten Phasen als besonders geeignet zur Erfüllung von bestimmten kindlichen Entwicklungsaufgaben ausgegangen[103], aber Montessori betont noch den Einsatz vorbereitender Arbeiten, die zu der nächsten Phase hinführen. So gibt es beispielsweise eine Menge Entwicklungsmaterialien zur Vorbereitung auf das Schreiben. Die Materialen zielen darauf ab, „Abstraktes zu materialisieren“ (vgl. Hedderich: 2005, S. 50ff).
Nach Vygotskijs Ansicht hingegen soll der Unterricht der Entwicklung immer einen Schritt voraus sein (vgl. Kapitel 4.1). Nach seiner Idee der ZdnE orientiert sich der Erziehende am aktuellen Entwicklungsstand und stellt dem Lernenden Aufgaben, die dieser noch nicht allein bewältigen kann, aber durch den Einsatz seiner bisher erworbenen Fähigkeiten und unter Anleitung einer kompetenteren Person innerhalb kurzer Zeit in seinen Erfahrungshorizont integriert und darüber letztlich doch selbständig zum Ziel kommt.
Das Entwicklungsmaterial und die Übungen stellen den Hauptteil des eigentlichen Curriculums der Montessoripädagogik dar. Somit bezieht sich ein Grossteil der pädagogischen Interaktionen auf den Umgang mit den Materialen oder auf die Ausübung einer Tätigkeit. Da die Fehlerkontrolle beim Lernen mit den Materialien einbezogen ist, gibt das dem Kind Sicherheit und fördert die Selbstständigkeit. Dahingegen wird eine kreative Exploration über die Grenzen des vorgegebenen Rahmens hinaus nicht forciert. Nichts desto trotz muss ergänzt werden, dass die Erziehenden-Kind-Interaktionen eine zentrale Rolle spielen, da das selbstständige Arbeiten, auch impliziert, dass die Kinder in der Lage sind sich bei nicht weiterkommen an kompetentere Kinder bzw. die Erziehenden zu wenden. In einem solchen Moment versucht die Erziehende durch gezieltes Fragen das Kind zu weiterführenden Denkprozessen anzuregen. Des Weiteren sind einige Materialen auch auf dialogisch und instruktiv gestalteten Unterricht ausgelegt (z.B. das Weltkartenpuzzle).
Auf der anderen Seite lässt sich ein Grundlegender Unterschied mit dem der Sichtweisen Piagets und Vygotskijs (Kapitel 4) vergleichen: Wie Montessori geht Piaget davon aus, dass ein Kind erst einen bestimmten Entwicklungsschritt vollzogen haben muss, um sich für etwas zu interessieren. Montessori verlässt sich in Form der vorbereiteten Umgebung darauf, dass das Kind selbst zu dem für seine Förderung geeigneten Entwicklungsmaterial findet, der Erziehende ist dabei passiv und kommt erst zum Zug, wenn das Kind gewählt hat. Zwar war Vygotskij sich mit Montessori darin einig, dass es Sensible Phasen zur Tätigung von bestimmten Entwicklungsschritten gibt. Innerhalb dessen geht er aber von einem gegenteiligen Prinzip aus: Er postuliert, dass das Kind will, was es noch nicht alleine bewerkstelligen kann. Dabei bietet der Erziehende seine Unterstützung an, um die Kompetenzen des Kindes zu erweitern. Er tut dies in vorführender Weise, sodass das Kind von ihm abschauen und lernen kann. Mit steigender Kompetenz des Kindes zieht der Erziehende seine Hilfe stufenweise zurück, bis das Kind die Aufgabe eigenständig bewältigen kann. Wie diese Gegensätzlichkeit sich in der Art und Weise der kognitiven Förderung durch die verschiedenen Methoden unterscheidet wird in 5.3 noch ausführlicher erläutert. In der folgenden Tabelle sind die wichtigsten Grundannahmen der hier erörterten Entwicklungstheorien einander gegenübergestellt:
Uebersicht der entwicklungspsychologischen Annahmen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
5.2 Betrachtungen der jeweiligen Interaktionsmuster unter kulturellen und soziologischen Aspekten
Da Kinder sich immer, wie die kulturhistorische Schule postuliert und vom postmodernen Konstruktivismus übernommen wurde, im Kontext einer spezifischen Umwelt entwickeln und dementsprechend die Interaktionen zwischen Erziehenden und Kindern ebenfalls in den zeitgeschichtlichen Kontext zu verorten sind, werden in diesem Kapitel versucht die jeweiligen Methoden unter diesem Aspekt zu vergleichen. Ein erklärtes Ziel der Qualitätsforschung in der Frühpädagogik ist es durch ein hohes Maß an Erziehungsqualität soziale Ungleichheiten abzubauen. Auch für Montessori war damals dieser Aspekt von Bedeutung, aufgrund der beginnenden Industrialisierung und des damit einhergehende „Auf sich allein gestellt sein“ und zum Teil Verwahrlosung der Kinder sozial schwacher Eltern (Industriearbeiter) waren Ausgangspunkt des Projektes ihres ersten Kinderhauses 1907 in Rom (vgl. Schwegman: 2002, S. 127). In der „Interaktion“ mit diesen Kindern hat sie quasi ihre Methode entwickelt. Die damaligen Gegebenheiten unterscheiden sich natürlich von den heutigen Anforderungen der „beschleunigten“ Welt der Postmoderne. D.h. aber nicht zwangsläufig, dass die Montessoripädagogik veraltet ist, lediglich, dass sie sich den gesellschaftlichen Prozessen anpassen muss, was meiner Erfahrung nach zumindest in Teilbereichen geschieht. Als ein förderlicher Aspekt kann sogar die umstrittene strikte Isolation eines Themenbereichs durch die vorgefertigten Materialien[104] sein, da diese Ablenkung vom eigentlichen Interessenziel vermeiden. Gerade heute erleben viele Kinder einen Mix von Unter- und Überforderung, sind zuhause durch moderne Medien Reizüberflutung ausgesetzt (Hurrelmann: S. 31). Die Montessori-Materialen (vor allem die Sinnesmaterialien) und die Bewegungsübungen schulen explizit die Anregung der Sinne. Laut Hurrelmanns Artikel zu wenig in Familien, Kindergärten und Schulen geboten wird (ebenda, S. 32). 10% der Kinder und Jugendlichen haben demnach motorische Koordinationsprobleme (vgl. ebenda).
Aus sozialisationstheoretischer Sicht, wird Entwicklung als Persönlichkeitsentwicklung und damit als lebenslänglich und durch soziale Faktoren bestimmt, betrachtet. Wie bei der kulturhistorischen Theorie wird von inneren (vgl. biologischen, intrapsychische Faktoren) und einer äußeren (vgl. externe Eindrücke, intrapsychische Faktoren) Realitäten gesprochen. (Hurrelmann: 1993, S. 71).
„(…)die individuelle, in Interaktion und Kommunikation mit Dingen wie mit Menschen erworbene Organisation von Merkmalen, Eigenschaften, Einstellungen, Handlungskompetenzen und Selbstwahrnehmungen eines Menschen auf der Basis der natürlichen Anlage und als Ergebnis der Bewältigung von Entwicklungs- und Lebensaufgaben zu jedem Zeitpunkt der Lebensgeschichte.“ (Hurrelmann: 1993, S. 71)
Grundlegend bei diesem interaktiven Konzept der Persönlichkeitsentwicklungs sind zum einen die Interaktion mit der Umwelt und zum anderen die unablässige Wechselwirkung zwischen inneren und äußeren Wirklichkeiten (vgl. ebd. S. 71ff). Dies erinnert auch an das Prinzip der Äquilibration[105] bei Piaget.
Auch die Montessoripädagogik setzt ihren Selbstbildungsgedanken in Relation zur Interaktion mit der Umwelt, wenn auch zum überwiegenden Teil der materiellen Umwelt in Form der von ihr gefertigten Materialien. Diese werden nachdem das Kind damit experimentiert hat und Interesse zeigt am vorgesehen Umgang damit, durch Erziehende in Form der 3-Stufen-Lektion eingeführt. Aber betrachtet man eine Reihe von Schriften Montessoris, so stößt man immer wieder auf gegensätzliche Aussagen, was im Grunde Interpretationsspielraum bietet. Demnach könnte die strikte Rahmengebung der „Freiarbeit“ als Orientierungshilfe für das Kind, auf das täglich ohnehin zahlreiche Reize einströmen, betrachtet werden. Damit hätte diese Form der didaktischen Interaktion im psychosozialen Kontext seine Berechtigung. In der folgenden Tabelle werden in stark verkürzter Form die wesentlichen Unterschiede zwischen den beiden Interaktionsmustern einander gegenübergestellt:
Vergleich der 3-Stufen-Letion mit dem „sustained shared thinking“
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Nachdem ich nun ausführlich auf Montessori eingegangen bin wende ich mich nun dem „sustained shared thinking“ zu, indem ich entgegengesetzt argumentiere, dass dies eben durch die spielerische Erweiterung der kognitiven Fähigkeiten, das kindliche Denken zur Organisation, Reflexion und Selektion der Vielzahl auf ihn einströmender Reize befähigt. Der Kontexttheoretiker, Pädagoge und Psychologe I. E. Sigel hat in den 60er Jahren in den USA aus den Forschungsergebnissen seiner Studien an Niedrig- und Mittelklassekindern gefolgert, dass entscheidende Kriterium, das die Differenzen intellektueller Fähigkeiten (der symbolischen Repräsentation) der Kinder bedingt, mit signifikanten interaktiven Erfahrungen (z.B. gemeinsame Bilderbuchbetrachtung bzw. keine derartige Anregung) zwischen dem 2. und dem 4. Lebensjahr zusammenhängt (Sigel: 1984, S.257f, Fliedner: 2004, S. 18).
Um explizit auf die Lernförderung durch Interaktionsprozesse zukommen versuche ich im Folgenden anhand der Distanzierungstheorie von Sigel[106] einen Vergleich der klar definierten Interaktionsformen der 3-Stufen-Lektion der Montessoripädagogik und des „sustained shared thinking“.
5.3 Theoretischer Vergleich einer potenziellen Förderung kognitiver Entwicklung
In diesem Kapitel wird eine mögliche kognitive Förderung durch das Interaktionsverhalten des Erziehenden, in den vorher dargelegten Interaktionsformen[107] anhand der Distanzierungstheorie von Sigel betrachtet. Diese Theorie wurde gewählt, da sie die fundamentale kognitive Fähigkeit zum „symbolisch repräsentierenden Denken“ behandelt, auf der andere Denkprozesse entscheidend aufbauen. Zur Entwicklung von logischem Denken, Problemlösestrategien, Fähigkeiten zur Beurteilung eines Sachverhalts u. a. braucht demnach ein Kind neben eigenen Erfahrungen auch die Fähigkeit äußere Erfahrungen durch symbolische Repräsentanten (vor allem durch Sprache) internalisieren zu können (Vygotskij: 2003, S. 471ff, Sigel: 1984, S.258ff). Sigels Theorie unterteilt Vorstufen bis zum komplett internalisierten symbolisch repräsentierenden Denken des Kindes. Die im Folgenden dargestellten Stufen bilden hierbei das Raster anhand dessen die potenzielle Qualität des Interaktionsverhaltens der Erziehenden gemessen wird.
Der amerikanische Psychologe Irving E. Sigel hat anhand seiner Untersuchungen von Erwachsenen-Kind-Interaktionen eine Theorie entwickelt, deren Bezugspunkte größtenteils bei der Hypothese der ZNE Vygotskijs und der biologische Perspektive Piagets Theorie[108] liegen. Sigels Distanzierungstheorie richtet das Augenmerk auf das Distanzierungsniveau [109] der Erwachsenen-Kind-Interaktion. In dieser Arbeit verwende ich z. T. den Abstraktionsbegriff synonym mit dem Distanzierungsbegriff, da die Distanzierung von der vorhandenen kindlichen Umgebung und Situation Teilschritte hin zur vollständig ausgebildeten Fähigkeit zur Verallgemeinerung [110] darstellen. Die Erwachsenenrolle beinhaltet dabei Distanzierungsstrategien, welche unterschiedlicher Art und Qualität sein können. Als Formen der Anregung benennt er: Erklären, Fragen, indirekte Lenkung und direkte Lenkung der Aufmerksamkeit. Die Qualität der Anregung unterteilt er in drei Niveaus der Distanzierung:
Geringes Distanzierungsniveau: Orientierung am Beobachtbaren. Es wird dem kindlichen Denken nur im geringen Maße Abstraktion von der gegenwärtigen Situation abverlangt, z.B. durch beobachtbare, assoziative oder automatische Informationen. „Was für ein Auto ist das?“ „Welche Farbe hat der Traktor?“
Mittleres Distanzierungsniveau: Abwandlung des Beobachtbaren, Repräsentation von Ereignissen und das in Beziehung setzen dieser. Das Kind wird aufgefordert zu analysieren, klassifizieren und repräsentativ zu denken. „Welcher Stein ist größer?“ „Sieht das grüne Fahrrad nicht anders aus, als das rote?“
Hohes Distanzierungsniveau: Weiterführung des Beobachtbaren. Das Kind soll ursächliche Schlüsse ziehen, reflektieren, Alternativen vorschlagen oder Prognosen treffen darüber, was eintreten könnte. „Was wird wohl passieren, wenn wir das tun?“ „Warum sollten wir das als nächstes tun?“ „Was könnten wir anstatt dessen tun?“ (Fliedener: 2004 38ff, Gisbert: 2004, S.148)
Sigel bestimmte diese Kategorisierung infolge seiner Untersuchungen mit Vorschulkindern. Es liegt die Frage nahe, ab wann das Kind denn überhaupt in der Lage ist eine Denkoperation auf derart hohem Niveau auszuführen. Eine Orientierung dafür kann anhand der folgenden Darstellung Rolf Oerters[111] gefunden werden. Er untersuchte in Längsschnittstudien, in Bezug auf die Annahme der ZdnE, anhand von gemeinsamer Bilderbuchbetrachtung von Eltern und Kindern, ab welchen Alterstufen diese Distanzierungsstufen möglich sind:
Hierzu nennt Oerter als erste Stufe das Herauslösen abgebildeter Gegenstände aus dem gegebenen Zusammenhang und deren Benennung als „Dekontextualisierung“. Diese Leistung ist frühestens von Anderthalbjährigen zu erwarten. „Neukontextualisierung“ nennt er es, wenn ein gegebenes Objekt in Beziehung zu einem anderen Ereignis aus dem kindlichen Erfahrungshorizont gesetzt wird. Dies geschieht seiner Meinung nach frühestens ab zwei Jahren und drei Monaten. Wenn das Kind diese Abstraktionsebene erreicht hat kann es zur „Kontextintegration“ fortschreiten, d.h. neue Kontexte (z.B. verbal) zu konstruieren. Hierfür gibt er keine Alterstufe an, aber es lässt sich annehmen, dass dies etwa um den gleichen Zeitraum bzw. kurz nach dem Eintreten der zweiten Stufe möglich wird. Hat das Kind erst mal genügend Erfahrungen mit einem Gegenstand gesammelt kann es anfangen diese zu reflektieren und damit zu experimentieren. (vgl. Oerter: 1993, S. 156)
Nach der bereits ausführlichen Darstellung mit Fragebeispielen des „sustained shared thinking“ in 4.3 fällt nun auf, dass die dort dargestellten Fragen (z.B. Was passiert als nächstes?) denen des höchsten Distanzierungsniveaus nach Sigel entsprechen (vgl. Kapitel 4.3). Was auch nicht verwundert in Anbetracht der Tatsache, dass beide Gedankenkonstrukte, Sigels Theorie und das „sustained shared thinking“, auf Piagets und Vygotskijs Theorien Bezug nehmen. Da im Rahmen dieser hermeneutischen Arbeit keine realen Dialoge zur Verfügung stehen, wird davon ausgegangen, dass Erziehende beim „sustained shared thinking“ ihre Fragen dem Entwicklungstand des Kindes anpassen und so eine kontinuierliche Distanzierung forcieren würden. Folglich kann behauptet werden, dass eine hohe Form der Abstraktion, also eine Erweiterung des kindlichen Denkens, durch dieses Interaktionsmodell („sustained shared thinking“) erreicht werden kann. Letztlich muss hier bei zu Bedenken gegen werden, dass das „sustained shared thinking“, wie sämtliche Studien zum Thema belegen, selbst in Einrichtungen „hoher pädagogischer Qualität“ nur einen geringen Teil der Gesamtinteraktionen ausmachte. Daraus lässt sich schließen, dass sich diese dialogischen Interaktionen nicht forcieren lassen, sondern nur in Abhängigkeit von unbeeinflussbaren Faktoren, wie z.B. der Laune oder Tagesform des Kindes und dessen Motivation über den gemeinsam konstruierten Sachverhalt längerfristig nachzudenken, stattfinden. Eine fassbarere Rolle spielt dabei sicher eine positive Erziehenden-Kind-Beziehung und die Abwesenheit von Angst oder Langeweile (ähnlich wie die beschriebenen Komponenten zum Entstehen des „Flow-Phänomens“[112] ). Die Schwierigkeit besteht vermutlich darin eine Balance herzustellen unter der Vielzahl der einwirkenden Faktoren im pädagogischen Alltag.
Wird nun dieses Raster über die Drei-Stufen-Lektion gelegt, wie sie in der Montessoripädagogik praktiziert wird, fällt auf, dass diese Fragetechnik lediglich eine mögliche Entwicklung zwischen 1. Distanzierung- (Benennen) und 2. Distanzierungsniveau (das in Beziehung setzen der Dinge zueinander z.B. kalt, lauwarm, warm, heiß) impliziert. Die Abstraktion bezieht sich in diesem Sinne nur auf die bloße Benennung des Betrachteten. Aber das ist es eben, worum es bei dieser Art von Lektionen ausschließlich geht. Das wiederum liegt daran, dass Montessori ihre Materialien mit der Idee entworfen hat, Abstraktes für die kindlichen Sinne erlebbar zu machen und annahm, dass dies zu Verinnerlichung führe (Schäfer: 2005, S. 28). Zur Illustration das Beispiel des „goldenen Perlenmaterials[113] “ zum Erlernen des Dezimalsystems:
1. Assotiation: Das ist ein Hunderter. (Das Kind zählt dabei 10 Zehnerstangen)
2. Reproduktion: Bitte gib mir einen Hunderter.
3. Abstraktion: Was ist das? (vgl. Schäfer: 2005 S.121f)
Dieses Beispiel verdeutlicht, was eben die Gegensätzliche Herangehensweise von Montessori gegenüber Vygotskijs Vorstellung ausmacht: Ihr ging es nicht darum die kognitiven Fähigkeiten abstrakt zu fördern, sondern das Abstrakte über sinnliche Erfahrungen erlebbar zu machen. Während der 3-Stufen-Lektion geht es lediglich um das Erlernen der Bezeichnung eines Sachverhalts. Der Umgang mit dem Material soll durch konkretes Ausprobieren in diesem Fall der Artikulation unterschiedlicher Mengen, damit experimentieren, rechnen etc. erfolgen. D.h. das hier, die abstrakten Beziehungen von Zahlenverhältnissen (deren Bezeichnungen über die 3-Stufen-Lektion internalisiert wurden) über die sinnlich wahrnehmbare Erfahrungen zueinander in Beziehung gesetzt werden.
Wie bereits in 3.4 erwähnt stellt die 3-Stufen-Lektion nur einen sehr geringen Teil der gesamten Erziehenden-Kind-Interaktionen dar. Es gibt für den größten Teil der Interaktionen während des Montessorialltags kein spezifisches Konzept. Anhand meiner Erfahrungen bei der Arbeit in einem Montessorikindergarten kann ich behaupten, dass im Alltag eine Reihe von Distanzierungsstrategien verwendet wird. Exemplarisch kann folgendes Verhalten der Erziehenden aus Eisenbrands Studie betrachtet unter diesem Aspekt betrachtet werden:
„Der/die Erziehende (Anm. d. Autorin) lässt sich vom Kind erklären, welches das Problem ist und hilft durch Denkanstösse oder Hinweise, das Problem, die Aufgabe zu lösen.“ (Eisenbrand: 1986, S. 154)
Dieser Sachverhalt beschreibt eine Distanzierungsstrategie, die zu einem höheren Niveau führen könnte. Die Erziehende könnte z.B. indirekt auf den Grund des Misserfolges hinweisen und fragen: „Nachdem Du mir erklärt hast, dass Du das so gemacht hast und es jetzt nicht weitergeht? Hast Du eine Idee, warum das so ist und wie Du das anders machen könntest, damit es weitergehen kann?“ Abschließend möchte ich hierzu noch folgendes schriftlich festgehaltenes Interaktionskonzept aus dem Montessori-Diplomkurs „Assistant to infancy 0-3“ darstellen:
„Questioning Exercise
Age : Age 2+
Material Description : An adult and a child. adult initiated
Presentation : At any moment during the day. During activity.
Beispiel: (Anm. d. Autorin) Eg. Picking and washing basil leaves, mushing the herb into cream cheese
„Do you remember when we planted the basil seeds? Now the basil is growing. Where did we plant the basil seeds?
Allow the child to respond. „The dirt“
Reinforce their response and extend to a full sentence „Oh, we planted the basil seeds into the dirt in our garden“
Continue.(…) (Anm.d. Autorin: Hier können Fragen auf hohem Distanzierungsniveau erfolgen, wie z.B. „What else did we plant into the dirt“ oder „What else does grow out of dirt?“ oder „What do you think? Why can plants grow out of dirt?“
Purpose: (…) To broaden a child`s thinking and help them to extract information from their experience (…) (Scrimes: 2005 o.S.)
Diese Übung kann in jeder beliebigen Situation und mit beliebiger Fragestruktur angewendet werden. Als ein Ziel unter anderen wird das Erweitern kindlichen Denkens benannt. Folglich besteht innerhalb dieses Dialogs, der genauso gut während einer Spielsituation stattfinden könnte, die Möglichkeit angepasst an den Erfahrungshorizont des Kindes eine Erweiterung dieses zu forcieren. Somit kann behauptet werden, dass bei Montessori einerseits über die sensumotorisch erfahrenen Reize zu höherem Abstraktionsniveau führen können[114], aber andererseits auch in Abhängigkeit des Erziehendenverhaltens und zusätzlich didaktische Formen von Erziehenden-Kind-Interaktionen im Sinne des „sustained shared thinking“ in der Montessoripädagogik praktiziert werden können.
Es bleibt die Frage offen, auf welchem Wege nun tatsächlich höhere Lernprozesse zu erzielen sind, ob durch die Repräsentation des Abstrakten durch Konkretes wie bei den Montessorimaterialien, oder das Fordern innerer Repräsentationen durch entfernen vom Konkreten (Distanzierungsstrategien durch dialektische Fragetechniken) von Erziehenden im Sinne der ko-konstruktivistischen Prämisse. Letztlich soll festgehalten werden, dass in der Montessoripädagogik postkonstruktivistische Interaktionsformen, die wahrscheinlich effektiv sind, integriert werden können.
5.4 Zusammenfassung und Ausblick
Im Rahmen dieser Arbeit konnte festgestellt werden, dass einige Grundannahmen im Umgang mit den Kindern sich überschneiden, wie in Kapitel 5. dargestellt wurde. Die Entwicklungstheoretischen Grundlagen nach Montessori und nach Vygotskij (auf den sich postkonstruktivistische Interaktions-Forscher neben Piaget meist beziehen) beinhalten ebenfalls eine Reihe von Parallelen, welche belegt und aktualisiert durch neuere Forschungsergebnisse die Grundlage der Interaktionsstrukturen bieten. Als gegensätzlicher Aspekt ist daneben nur die Ausrichtung des Unterrichts, der nach ko-konstruktivistischer Prämisse eher vom Konkreten ins Abstrakte reicht (z.B. innerhalb einer Phantasiespielsituation) und bei Montessori das Abstrakte materialisiert wird (durch die Arbeit mit den Materialien).
Aus der Perspektive psychologischer und aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen beinhalten beide Handlungsweisen Elemente, die zur Bildung einer ausgereiften, entscheidungsfähigen Persönlichkeit führen können. Wie das Hinführen zu vielschichtigen, mehrdimensionalen und hoch entwickelten Denkprozessen. Gerade der Montessoripädagogik, der ein Festhalten an veralteten Strukturen vorgeworfen wird, konnte zumindest ansatzweise im Interaktions-Bereich nachgewiesen werden, dass sie durchaus neuere Konzepte integrieren kann und auch tut. Es wäre schließlich nicht im Sinne Maria Montessoris an „starren Strukturen“ festzuhalten. M.E. nach lassen sich die Aspekte der Erziehenden-Kind-Umwelt-Interaktion der Montessori-Pädagogik sehr gut mit den ko-konstruktiven Prozessen des „sustained shared thinking“ verbinden.
Die Ergebnisse stellen allerdings nur einen Teilaspekt eines umfassenderen Komplexes dar. Des weitern möchte ich darauf hinweisen, dass einen wissenschaftlich empirischen Beleg für die hier angestellte Hypothesen, nur weiterführende Untersuchungen in der Praxis bieten könnten.
Der Vollständigkeit halber und für weiterführende Studien benenn ich im Folgenden Punkte, die im Rahmen dieser Arbeit nicht beachtet werden konnten.
- Der Beitrag und die Verfassung des Kindes in der Erziehenden-Kind-Interaktion.
- Bindungsverhalten des Kindes und Beziehung zu Erziehenden.
- Die emotionale Hinwendung des Erziehenden während der Interaktion.
- Die Möglichkeiten der Kind-Kind-Interaktionen.[115]
- Der Einfluss der Gruppe und soziale Interaktionsprozesse innerhalb dieser.
- Die Funktion der Erziehenden innerhalb der Gruppe.
- Die Gestaltung der Eltern-Kind-Interaktion.
- Die Beschaffenheit der Interaktion zwischen Eltern und Erziehenden.
- Die Strukturelle Bedingungen die qualitativ gute Interaktionen in Institutionen ermöglichen usw.
An dieser Stelle soll noch eine aktuelle Studie zum Thema erwähnt werden, die von dem sehr pragmatischen Problem, der Fachkraft-Kind-Relation ausgeht. Diese gibt an, wie vielen Kindern eine Erziehungsperson tatsächlich zur Verfügung steht. Die Fachkraft-Kind-Relation ist nicht gleichzusetzen mit dem Personalschlüssel, es werden hierbei zur Berechnung die Ausfallzeiten abgezogen werden. (Viernickel, Schwarz: 2009 S.8)
Viernickel und Schwarz kamen zu dem Ergebnis, dass in der Mehrzahl der deutschen Bundesländer die wissenschaftlich empfohlenen Mindeststandards nicht eingehalten werden (ebd. S.2). Wenn nicht genügend Erziehende zur Verfügung stehen, um mit den Kindern in produktiven Dialog zu treten, ist wertvoller pädagogischer Arbeit von Vornherein die Existenzgrundlage entzogen. Da mag es auch nicht verwundern, wenn Handlungsanweisungen zur Regulation den Erziehungsalltag in Deutschland am stärken prägen zumal Gruppenprozesse einer starken Eigendynamik unterliegen(vgl. König: 2009, S. 255). Ich selbst habe dies bei meiner Arbeit in einem Montessorikindergarten anders erlebt und bin überzeugt, dass aufgrund der Einbeziehung der Kinder, z.B. beim Aufstellen und Befolgen der dortigen Regeln, weniger verhaltensregulative Äußerungen nötig sind.
6 Fazit
Eine Schwierigkeit bei dieser Arbeit war es das umfassende Erziehungskonzept Montessoris, das aber ausgerechnet zu kommunikativen Vorgehensweisen bis auf die 3-Stufen-Lektion fast keine Interaktions-Konzepte liefert, mit den Fragmenten (Interaktions- oder Handlungskonzepte) des kursierenden sozialkonstruktivistischen Gedankenguts miteinander zu vergleichen.
Aufgrund der Annahme, dass das Bild vom Kind das Interaktionsverhalten wesentlich beeinflusst, versuchte ich in dieser Arbeit von theoretische Leitgedanken und Handlungsstrategien ausgehend, auf konkrete Situationen (unter Einbeziehung von praktischen Beobachtungen und Transkriptionen von Erziehenden-Kind-Interaktionen) zu schließen. Zu diesem Zwecke habe ich die entwicklungspsychologischen Annahmen gegenübergestellt mit dem Ergebnis, dass sie im Grunde nah zusammen liegen. Der einzige Unterschied besteht darin, dass nach ko-konstruktivistischer Sicht dem Vorantreiben der Ausbildung höherer Denkfunktionen mehr Bedeutung zugemessen wird, während es Montessori um das Entwickeln der Gesamtpersönlichkeit ging. Wobei gesagt werden kann, dass das eine das andere nicht ausschließt, sonder sie grundsätzlich in Bezug zueinander stehen können.
Überdies ist ein theoretischer Vergleich eines praktischen, situationsabhängigen Moments, wie es der Interaktionsprozess ist, nur hypothetisch möglich. Das willkürliche Stellen von Fragen außerhalb des Erfahrungshorizonts eines Kindes ist genauso unfruchtbar wie das bloße Darlegen von Fakten. Im Rahmen dieser Arbeit konnte ich lediglich das Erziehenden-Verhalten innerhalb didaktisch geplanter Interaktionsmuster erfassen. Die einzigen greifbaren praktischen Bezugspunkte fand ich in den kurz dargestellten Studien, da sie die Möglichkeit hatten empirisch genau und differenziert vorzugehen. Sie konnten bei der Untersuchung realer Interaktionskonstellationen beide Seiten einbeziehen. So hat Fliedener beispielsweise festgestellt, dass das Kind den Verlauf des Interaktionsprozesses entscheidend mitprägt.
Hermeneutisch auswerten ließen sich hingegen die in der jeweiligen Fach-Literatur dargelegten Kommunikationsanregungen für Erziehende, welche ich in Kapitel 5.3 hinsichtlich der potentiellen Qualität der kognitiven Förderung auswertete. Wissenschaftlich können die Ergebnisse nicht allgemeine Gültigkeit haben, sondern nur exemplarisch angewandt werden.
Ziel dieser Arbeit ist nicht zu werten, welche Pädagogik, welche Philosophie, welche Methoden, Materialen usw. die besten für Kinder sind. In dieser Arbeit sollte lediglich versucht werden, die Möglichkeiten der Interaktions-Konzepte auszuloten. Während die Montessori schon als ein klassisches Erziehungskonzept bezeichnet wird, stehen postmodern konstruktivistische Erziehungsmodelle als neuzeitlich dem gegenüber. Als innovativ kann die ko-konstruktivistische Prämisse jedoch nicht bezeichnet werden, vergleicht man beispielsweise das „sustained shared thinking“ mit dem Sokratischen Dialog so lassen sich einige Parallelen erkennen. (z.B. Fragetechnik, Unwissenheitshaltung gegenüber dem Wissen des Dialogpartners). Auch Montessori betonte die Wichtigkeit des „sich selbst Kennenlernens“ um ein selbstbestimmtes Leben führen zu können. So prägen u.a. nicht neue, aber zeitlose Konzepte den Trend in der Frühpädagogik.
Betonen möchte ich besonders mein Ausgehen von der Vorstellung, dass Entwicklungen in der Pädagogik aufeinander aufbauend, stetig voranschreiten und sich den gesellschaftlichen Gegebenheiten anpassen müssen. Es kann behauptet werden, dass aufgrund der derzeitigen gesellschaftlichen Phänomene, wie des Pluralismus, der Marginalisierung von Bevölkerungsgruppen, der Reizüberflutung z.B. durch moderne Medien und der damit einhergehenden Vereinzelung, soziale Entwicklungstheorien und die Bedeutung didaktisch gestalteter sozialer Interaktionsformen wieder mehr Relevanz zugeschrieben wird. Weder die Montessoripädagogik noch die Vielzahl neuerer pädagogischer Ansätze können sich alleine als wirksame Methode zur optimalen Verbesserung der Chancengleichheit der Kinder im späteren Leben betrachten. Wie die Pisastudie gezeigt hat reproduziert das deutsche Bildungssystem bestehende Ungleichheiten. Um dieses Phänomen zu erklären, ist ein multifaktorieller Erklärungsansatz zu wählen, da dieser Missstand nicht ausschließlich mit den verwendeten Bildungskonzepten behoben werden kann. Häufig entwickelt sich die Diskussion in eine zu stark leistungsorientierte Richtung, welche kindlichem Sein und Werden nicht gerecht wird, sondern sich zu sehr nach den Bedürfnissen der Marktwirtschaft richtet. Die pädagogische Diskussion über Bildung in der frühen Kindheit ist grundsätzlich begrüßenswert. Das ist sie aber nur so lange, wie die Frage nach dem Abbau sozialer Benachteiligung als wesentlicher Aspekt der Debatte betrachtet wird.
Wie in dieser Arbeit unter Einbezug der Studien festgestellt, scheitern die positiven Auswirkungen der Theorien häufig am Erziehungsalltag. Die Erziehenden stehen häufig vor der komplizierten Aufgabe zwischen übersteigerten oder zu geringen Erwartungen von Eltern, den Richtlinien von Bildungszielen und dem reellen Entwicklungsstand sowie dem seelischen Wohlbefinden der Kinder zu vermitteln. Dabei kann eine Rückbesinnung auf die Horizont erweiternden Interaktionsprozesse bei Montessori und den „sustained shared thinking“ hilfreich sein. Wenn die dort postulierte „intrinsische Motivation“ ernst genommen wird, können Erziehende innerhalb der ihnen gegebenen Rahmenbedingung die Kinder am besten fördern. Letztlich liegt große Verantwortung bei den Erziehenden, die täglich mit den Kindern interagieren. Ihre Arbeitsbedingungen, ihre professionelle Identität, ihre Feinfühligkeit, ihr Scharfsinn, ihr Gerechtigkeitssinn, ihr Verständnis der kindlichen Kommunikation und ihre Beziehungen zu den Kindern und deren Eltern sind letztlich ausschlaggebend für den Grad der Förderung des kindlichen Entwickelns. In dem Sinne kann ich dem Kommentar Sigels anschließen:
„Ich glaube nicht daran, dass irgendein doktrinär vertretener Ansatz der Frühpädagogik dem Kind oder dieser Gesellschaft nutzten kann.“ (Sigel: 1998 In Fthenakis, Textor: 2000, S. 262)
Pädagogische Konzepte sollen zwar für die Erziehenden professionelle Orientierung bieten, müssen aber fortwährend auf die Eignung für die jeweilige Situation überprüft werden.
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Anhang
Schlüsselbegriffe der Montessoripädagogik
Normalisierung
Unter Normalisierung verstand Montessori im Grunde das Beibehalten bzw. Erlangen psychischer Gesundheit des Kindes, welche sich durch eine der Konstitution entsprechende Entwicklung des Kindes, damit einhergehendes stabiles Arbeitsverhalten, Disziplin, Sozialverhalten, Ausdauer und Konzentrationsfähigkeit kennzeichnete (vgl. Hedderich, I. 2005, S. 134).
Innerer Bauplan
Montessori nutze das Bild des Kindes als Baumeister seiner selbst und meinte mit dem inneren Bauplan im Grunde die genetische Veranlagung, welches ein Kind mitbringe und in seiner Weise im Interaktionsprozess mit der Umwelt entwickle (vgl. Raapke, 2006, S.40).
Polarisation der Aufmerksamkeit
Unter Polarisation der Aufmersamkeit versteht man nach Montessori die Vertiefung in eine Handlung, diese ungeheuer hohe Konzentration, welche nach Abschluss der Tätigkeit in tiefer Zufriedenheit mündet.
Vorbereitete Umgebung
Diese umfasst nicht nur eine räumliche Ausstattung mit Mobiliar in Kindergröße und für alle zugänglich bereitgestellten Materialien sondern beinhaltet auch eine für Kinder übersichtlich strukturierte und ästhetische Gestaltung dieser (Montessori, M. 1969, S. 53ff/Raapke, H. 2006, S. 207).
Geistiger Embryo
Hinter dem Begriff geistiger Embryo verbirgt sich die bildhaft vergleichende Vorstellung, dass der menschliche Geist eben wie ein Embryo von der Zufuhr geistiger Nahrung der Aussenwelt abhängig ist um seine Reife zu erlangen (vgl. Montessori M. 1972, S. 55ff).
Sensiblen Phasen
Mit den sensiblen Phasen bezeichnet Montessori die Tatsache, dass die Entwicklung des Kindes in Schüben verläuft, bei denen zu bestimmten Zeiten besondere Sensibilität für einen Lernvorgang bzw. einen weiteren Entwicklungsschritt festzustellen sind (vgl. Montessori, M. 2009, S. 65ff).Sie orientierte sich vermutlich dabei an den Schriften des niederländischen Biologen Hugo de Vries, der beim Wachstum von Tieren von „sensiblen Phasen“ sprach (vgl. Raapke, H. 2006, S. 56) .
Dreistufenlektion
Die drei Stufen der Einführung des Materials durch den Erziehenden sind:1. Assoziation (Erziehender zeigt und benennt Material), 2. Reproduktion (Erziehender lässt sich benanntes Material vom Kind zeigen) und 3. Abstraktion (Erziehender prüft, ob das Kind das Material richtig benennen kann) (www.montessori-didaktik.de/die-drei-stufen-lektion-8.html Stand 06.2010).
Sozialkonstruktivistische Schlüsselbegriffe
Äquilibration
Darunter wird der innere Auslöser für die Entwicklung, durch das nicht mehr in Harmonie mit der Außenwelt sein, verstanden.Sie integriert und reguliert körperliche Reifung, Erfahrungen mit der physikalischen Welt und sozialen Einflüssen.
Ko-Konstruktion:
Dieser bezeichnet einen gemeinsamen Aushandlungsprozess von Personen, welcher zu einer gemeinsamen Vorstellung über etwas führt (vgl. König, A. 2009 S.130).
Instruktion:
Der Begriff der Instruktion wird in dieser Arbeit nach Vygotsky definiert als „das bewusste Einweisen und das sensibel Machen der Kinder in die Symbolwelt unserer Kultur“ (vgl. König: 2009, S.87).
In volvement:
The concept of involvement that we have applied has been adapted from the workof Ferre Laevers (1994) and Pascal and Bertram (1997). The term is applied to adults and children who have focused their attention upon a shared activity and are persistent. They are ‘intrinsically motivated, rarely distracted, and appear fascinated and absorbed’ (op cit) by their shared activity. (Siray-Blatchford, I. et al.: elektronische Ressource Stand 08.2010)
Interiorisation:
Interiorisation ist das Aneignen von interpsychischer Funktionen durch Interaktion mit der Außenwelt zur Weiterentwicklung.
Intersubjektivität
Unter Intersubjektivität versteht man die gemeinsam konstruierte einvernehmliche Sichtweise über einen Sachverhalt zwischen Personen.
Metakognition
Metakognition wurde ursprünglich als Sammelbegriff für alle Kontrollfunktionen des eigenen Denkens verwendet und meint im Prinzip Reflektieren oder das Nachdenken über das eigene Denken.
Selbstregulation
Unter Selbstregulation wird ein produktiver Umgang mit den Möglichkeiten und Grenzen der eigenen Leistungsfähigkeit, der Emotion usw. verstanden. Metakognition wird beispielsweise als einWerkzeug zum Erreichen für Selbstregulation betrachtet.
Sustained shared thinking:
An episode in which two or more individuals “work together” in anintellectual way to solve a problem, clarify a concept, evaluate activities, extend a narrative etc. both parties must contribute to the thinking and it must develop and extend.(Siray-Blatchford 2003)
Scaffolding
Scaffolding is an interaction which requires the teacher to know the target child’s level of knowledge, and to stretch his/her abilities through a series of questions or comments in order to take the child to a higher level of knowledge than s/he would have had before. (Siray-Blatchford 2003)
Symbole :
Mit Symbolen sind nicht nur Schriftzeichen, Strassenschilder oder Zahlen gemeint, sonder jegliche Form allgemeiner Sinngebung z.B. Worte, Gesten, Emotionen
Zone der nächstfolgenden Entwicklung (ZdnE/ZNE)
Diese bezeichnet den als nächstes möglichen Entwicklungstand des Kinder, welcher durch geziehlte Förderung bzw. Unterstützung besser erreicht werden kann.
[...]
[1] Das Kürzel PISA steht für „Programme for International Student Assessment“ die Studie wurde von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) durchgeführt. Bei Durchführung der ersten Studie im Jahr 2000 stand die Lesekompetenz, bei der zweiten Pisastudie (2003) die mathematische Kompetenz und bei der dritten (2006) die naturwissenschaftliche Kompetenz im Zentrum des Erkenntnissinteresse (vgl. Meireis: http://www.ekd.de).
[2] Der Sozialkonstruktivismus kommt hauptsächlich aus der Soziologie, und sein Schwerpunkt liegt im Grunde auf der „Analyse der Produktion und der Weitergabe gesellschaftlichen Wissens“ (vgl. Gerstenmaier, Mandl 1995, S.868) Wie und warum diese und andere verwandte Hintergrundstheorien unter verschiedensten Prämissen Einzug in die Frühpädagogik gehalten haben, wird im 4. Kapitel dieser Arbeit kurz erläutert.
[3] Da mehrheitlich Frauen in der Frühpädagogik tätig sind, wird häufig der Term ErzieherIn gebraucht. Ich habe mich entschieden in dieser Arbeit den geschlechtsneutralen Begriff der Erziehenden zu verwenden.
[4] Prozessqualität wird nach Wolfgang Tietze et al. die Gesamtheit der Erfahrungen von Kindern und Erwachsenen in Kindertageseinrichtungen verstanden. Sprich die Summe von pädagogischen Interaktionen, Handlungen und Tätigkeiten (vgl. Tietze, Viernickel: 2003).
[5] Vergleiche hierzu vor allem folgende Veröffentlichungen: Becker-Stoll, Textor, (Hrsg.): 2007; Widmer, Gabriel, Grubenmann: 2009; Albers: 2009; König: 2009, Ostermayer: 2006; Viernickel, Schwarz 2009, u.a.)
[6] Weitere Ausführungen siehe 3. Kapitel.
[7] „Sustained shared thinking“(gemeinsames längerfristiges Denken) bedeutet einen regelmäßigen intensiven gedanklichen Austausch zwischen Erwachsenen und Kind oder unter zwei (selten mehr) Kindern. (Vgl. Textor: http://www.kindergartenpädagogik.de)
[8] Der Begriff „scaffolding“ bezeichnet eine didaktische Herangehensweise, bei dem der Lehrende, von den individuellen Fähigkeiten des Lernenden ausgehend Hilfestellung zur Erreichung eines Lernziels bietet, welche stufenweise abgebaut wird, bis der Lernende schließlich die notwendigen Kompetenzen in sein „Denksystem“ integriert hat. Eine klar eingegrenzte Definition der Methode gibt es noch nicht, so wird der Begriff in der Praxis für diverse unterrichtsstützende Maßnahmen hergenommen (vgl. Woods, Bruner, Ross: 1976, zit. in Scott, P. 2004 S. 89).
[9] Der systemische Konstruktivismus setzt vor allem die Beachtung von Wechselwirkung zwischen Beziehungen und Inhalten für den Erfolg von Lernprozessen voraus (vgl. Reich: 2006, S.31).
[10] Der von James Youniss geschaffene Begriff der „Ko-Konstruktion“ bezeichnet einen gemeinsamen Aushandlungsprozess von Personen, welcher zu einer einheitlichen Vorstellung über etwas führt (vgl. König: 2009 S.130).
[11] Die Erziehenden-Kind-Interaktion im institutionellen Kontext wird in dieser Arbeit als Grundsteinlegung für eine positive Entwicklung und die Aneignung neuen Wissens verstanden. Innerhalb der Interaktion muss das Kind sich sicher und angenommen fühlen um eine effektive Beziehung, die zum Lernen anregt, aufzubauen (vgl. Becker-Stoll, Textor: 2007, S. 11).
[12] Mit Materialien sind hier die didaktischen Materialien bzw. Entwicklungsmaterialien, die das Herzstück der Montessoripädagogik darstellen, gemeint.
[13] Der Begriff Curriculum bezeichnet im frühkindlichen Bereich die Summe aller Interaktionen, Erlebnisse, Aktivitäten, Routinen und Veranstaltungen, geplant oder ungeplant, welche in einem Umfeld stattfinden, das die kindliche Entwicklung und das Lernen anregt (vgl. www.deewr.gov.au).
[14] Übersetzung von „sustained shared thinking“
[15] EPPE (= Effective Provision of Preschool Education) ist die gröβte Längsschnittstudie in Europa über die Entwicklung fremdbetreuter Kleinkinder. Daraus ergab sich die REPEY Studie (= Research in Effective Pedagogy in the Early Years), in der die erfolgreichsten Kindertages-Einrichtungen der EPPE Studie, deren Kinder sich am besten entwickelt hatten, genauer untersucht wurden (vgl. Textor: www.kindergartenpädagogik.de).
[16] Der soziale Konstruktivismus, auch „postmoderner“ Konstruktivismus (König, A. 2009 S.130) oder Soziokonstruktivismus (vgl. Schnotz: 2006, S. 51ff) genannt, beschäftigt sich vor allem mit der Frage, wie gesellschaftliches Zusammenleben geregelt werden kann. Es existieren im sozialen Konstruktivismus verschiedene Strömungen, deren gemeinsame Komponente das handelnde Subjekt ist (vgl. König: 2009 S.130).
[17] Mehr dazu in Kapitel 5.2 dieser Arbeit.
[18] Häufig wird der Begriff in der pädagogischen Fachliteratur der „frühen Kindheit“ oder „Frühpädagogik“ bzw. „early childhood“ in englischen Veröffentlichungen vor allem auf das Kindergartenalter bezogen (vgl. Fried, Dippelhofer-Stiem, Honig, Liegle: 2003; Fthenakis: 1984; Fried, Roux: 2006 u.a.)
[19] Die soziokulturelle Theorie, auch kulturhistorische Theorie oder Schule genannt, wurde erst in den letzten beiden Jahrzehnten wiederentdeckt und in verschiedenen Ländern in die Frühpädagogik integriert (vgl. Textor: www.kindergarten-pädagogik.de).
[20] Anmerkung zur Schreibweise des Namens: In den verschiedenen Übersetzungen aus dem Kyrillischen der Veröffentlichungen Vygotskijs bzw. über ihn, wird der Name unterschiedlich geschrieben. Ich halte mich an die Schreibweise aktueller Veröffentlichungen.
[21] Betreuung umfasst Fürsorge, Pflege und Schutz des Kindes (Textor: www.kindergartenpädagogik.de). In dieser Arbeit wird Betreuung vorausgesetzt und verstanden als Erfüllung der grundlegenden Bedürfnisse des Kindes. Diese stellt die notwendige Basis normal voranschreitender Entwicklung dar, durch die vertrauensvolle Beziehung zum Erziehenden erst entstehen kann.
[22] Im 18. Jahrhundert wurde das Verb kommunizieren aus dem lateinischen (communicare = teilen, mitteilen, teilnehmen lassen, gemeinsam machen, vereinigen) in die deutsche Sprache integriert (vgl. Drosdowski et al. (Hrsg.):1989. S 367, Tenorth, Tippelt(Hrsg.): 2007, S. 346f).
[23] Georg Herbert Mead (1863-1931) war bedeutender Soziologe und führender Vertreter des Pragmatismus, 1894 wurde er von John Dewey in die Abteilung für Philosophie der University of Chicago berufen. Im dem Zeitraum von 1890-1905 waren die Soziologen der „Chicagoschool“ führend in ihrem Fach und ihre wissenschaftlichen Arbeiten richtungsweisend (Helle: 2001, S.64).
[24] Der Symbolische Interaktionismus postuliert, dass menschliche Kommunikation und dementsprechend auch Interaktion sich über gemeinsame „Symbole“ (z.B. allgemeinkenntliche Wortbedeutungen, Gesten, Mimik usw.) vollzieht, welche von allen Beteiligten in gleicher Weise aufgefasst werden und sich auf diese Weise zwischenmenschliche Entwicklung vollzieht (vgl. Tenorth, Tippelt (Hrsg.): 2007, S. 707).
[25] Ch. S. Pierce (1839-1914) gilt als einer der herausragendsten Philosophen der amerikanischen Geschichte (vgl. Schäfer, K: 2005, S. 63).
[26] Der Pragmatismus (griechisch: auf das Handeln bezogene Lehre) geht davon aus, dass die praktische Konsequenz und Wirkung einer Handlung, die Bedeutung oder die Wahrheit von Begriffen, Aussagen und Meinungen, ausmache (vgl. Tenorth, Tippelt (Hrsg.) 2007, S. 567; Röhrs: 2007, S.327).
[27] Es muss zu dieser Definition angemerkt werden, dass innerhalb dieser Theorien Interaktion vor allem an das Handeln mit der materiellen Umwelt geknüpft ist, während Kommunikation die über Symbole stattfindende Austauschfunktion unter den Menschen übernimmt (vgl. Schäfer, K: 2005, S. 118).
[28] William James (1842-1910) gilt neben John Dewey als bedeutendster Vertreter des Pragmatismus. Er ist Mitbegründer einer nach darwinistischen Prinzipien beruhenden Richtung der Psychologie, welche die Psyche als „Organ“ zur Anpassung des Organismus an die Umwelt auffasst (vgl. Keiler: 2002, S. 468).
[29] John Dewey (1859-1952) war ein Schüler Pierces (vgl. Schäfer, K: 2005, S. 63) und eng befreundet mit Meads (vgl. Helle: 2001, S.66). Er begründete die „kommunikative Interaktionspädagogik“ und hat damit das amerikanische Schulsystem wesentlich mitgeprägt (vgl. ebd. S. 117).
[30] In manchen pädagogischen Veröffentlichungen werden professionelle (zw. Erziehende und Kind) und nichtprofessionelle Interaktionsformen (zw. Eltern/Bezugspersonen und Kind) unterschieden (vgl. König, A. 2009, S.100ff).
[31] Die Psychologen Bornstein, N.H. und Bruner J.S verwenden 1989 die Begriffe didaktische Interaktion und sozial-emotionale Interaktion als Komponenten der Erwachsenen-Kind-Interaktion. Sozial-emotionale Interaktion zwischen Bezugsperson und Kind werden hierbei als grundlegende Voraussetzung zur kognitiven Entwicklung betrachtet (ebenda, S. 197ff)
[32] Gottfried Wilhelm Leibnitz (1646-1716) war deutscher Philosoph und Mathematiker und zählt zu den Frühaufklärern, er galt seinerzeit als Universalgelehrter (vgl. www.iep.utm.edu/leib-met/)
[33] Der Franzose Jean Jaques Rousseau (1712-1778) war einer der einflussreichsten Denker der Aufklärung (vgl. www.iep.utm.edu/leib-met/).
[34] Der humanistische Psychologe Abraham Maslow veröffentlichte 1943 sein Modell, nach dem die menschlichen Bedürfnisse hierarchisch angeordnet sind. Die existenziellen (primitiven) Bedürfnisse müssen befriedigt sein, bevor das Bewusstsein sich höheren (anspruchsvolleren) Bedürfnissen widmen kann. Ganz unten stehen die biologischen Bedürfnisse (Sauerstoff, Wasser, Nahrung, Ruhe etc.), darauf bauen die nach Sicherheit auf, an dritter Stufe steht das Bedürfnis nach Bindung, daraus resultiert der Selbstwert, darauf bauen die Bedürfnisse nach kognitiver Entwicklung auf, darauf folgt das Verlangen nach Ästhetik, welches schließlich Selbstverwirklichung ermöglicht. Die Spitze der Pyramide bildet die Transzendenz, welche als „kosmische Vision“ zu verstehen ist, seinen Platz im Universum zu finden. Nur wenige Menschen gehen über die Selbstverwirklichung hinaus (vgl. Zimbardo, Gerrig:1999, S. 324f). Die meisten Veröffentlichungen, die sich der Darstellung seiner Pyramide bedienen, verzichten auf die Transzendenz.
[35] Transzendent leitet sich vom lateinischen transcendere = hinübergehen ab. In der Philosophie bezeichnet der Begriff nach Kant Eigenschaften allgemeiner Dinge, welche nicht in sinnlich erfahrbaren Kategorien einzuordnen sind, dem Begriff Immanenz (innerhalb empirischer Gesetzmäßigkeiten liegend) entgegengesetzt (vgl. Meyerslexikon: 1985, S. 317).
[36] Unter Normalisierung verstand Montessori im Grunde das Beibehalten bzw. Erlangen psychischer Gesundheit des Kindes, welche sich durch eine der Konstitution entsprechende Entwicklung des Kindes, damit einhergehendes stabiles Arbeitsverhalten, Disziplin, Sozialverhalten, Ausdauer und Konzentrationsfähigkeit kennzeichnete (vgl. Hedderich, I. 2005, S. 134).
[37] „Kinder sind anders“ erschien 1950 bei Garzanti, Mailand unter dem Orginaltitel: Il segreto dell`infanzia (vgl. Montessori: 2009, S.4).
[38] Eine zentrale Rolle spielt in der Montessori-Pädagogik die „vorbereitete Umgebung“, womit ein den Bedürfnissen des Kindes angepasster, mit geregelten Anreizen ausgestatteter Raum gemeint ist. Auch der Erziehende wird als Teil der Umgebung betrachtet. (vgl. Becker-Textor: 1996, S. 17)
[39] Unter dem Bauplan wird im Grunde eine genetische Anlage verstanden, welche aber nicht unabänderbar vorherbestimmt ist, sondern sich im Austausch (Interaktion) mit der jeweiligen Umwelt Gestalt annehmen wird ( Raapke: 2006, S. 40f).
[40] Mario Montessori (geb. 1921) ist der Enkel Maria Montessoris und selbst Psychoanalytiker und Autor etlicher Bücher, die die Verbindungen zwischen der von seiner Großmutter entwickelten Pädagogik und psychoanalytischen Theorien aufzeigen (vgl. Klappentext in Montessori: 2006)
[41] In seinem Text über den „Prozess der Erziehung „ in der Montessoripädagogik geht er auf die Schrift mit eben dem Titel ein des konstruktivistisch orientierten Psychologieprofessors Jermome Bruner ein, der später den „Scaffolding“ –Begriff geprägt hat (siehe. Montessori: 2000, S. 85ff).
[42] Hildegard Holstiege gilt als führende Montessoriforscherin in anthropologischen Fragen (vgl. Hedderich: 2005, S. 24)
[43] Mit den „sensiblen Phasen“ bezeichnet Montessori die Annahme, dass die Entwicklung des Kindes in Schüben verläuft, bei denen zu bestimmten Zeiten besondere Sensibilität für einen Lernvorgang bzw. einen weiteren Entwicklungsschritt festzustellen sind (vgl. Montessori: 2009, S. 65ff). Sie orientierte sich vermutlich dabei an den Schriften des niederländischen Biologen Hugo de Vries, der beim Wachstum von Tieren von „sensiblen Phasen“ sprach (vgl. Raapke: 2006, S. 56) .
[44] Vgl. Kapitel 3.2 dieser Arbeit
[45] Montessori nutze das Bild des Kindes als Baumeister seiner selbst und meinte damit die genetische Veranlagung, welches ein Kind mitbringe und in seiner Weise im Interaktionsprozess mit der Umwelt entwickle (vgl. Raapke: 2006, S.40).
[46] Montessori hat selbst in ihren Veröffentlichungen meist die weibliche Sprachform gewählt, da die meisten Montssori Praktizierende zu ihrer Zeit weiblich waren (vgl. Raapke: 2006, S. 208). Ausserdem verwendete sie häufig die Bezeichnung Lehrerin auch im vorschulischen Bereich. In dieser Arbeit wird im folgenden die Bezeichnung durch den geschlechtsneutralen Begriff des Erziehenden ersetzt, den ich auch in allen anderen Kapiteln verwende.
[47] Der Arbeitsbegriff sollte im Grunde Maria Montessoris Respekt vor jeglichem konstruktiven kindlichen Handeln ausdrücken. Vielleicht weil sie deswegen mehrmals als negativ gegenüber dem kindlichen Spiel eingestellt dargestellt wurde, verwenden manche Autoren (z.B. Margarete Eisenbrand) zur Montessoripädagogik den Term „ freie Spielzeit“ anstelle von „Freiarbeit“. Das Prinzip der Freiarbeit impliziert, dass jedes Kind so lange es möchte an einer Sache arbeiten kann (Raapke: 2006, S. 208).
[48] Da jedes Material nur einmal vorhanden ist, müssen die Kinder sich auch untereinander einigen mit wem sie zusammenarbeiten und wer zuerst daran arbeiten kann (Raapke: 2006, S. 208).
[49] Intrinsische Motivation (I.M) ist ein Begriff aus der Motivationsforschung. I.M. führt zu einem dauerhaften Lerninteresse (vgl. Hagemann, Börner: 2009, S.19)
[50] Der Begriff Flow stammt aus dem englischen und bedeutet fliessen, strömen (vgl. Langenscheidt 1990, S.235). In der Psychologie wurde er vor allem durch den Psychologen Mihaly, Csikszentmihaly in Bezug auf Risikosportarten entwickelt, demnach bedeutet im Flow sein, eine Tätigkeit aus eigenen Antrieb, mühelos (weder Unter- noch Überforderung liegt vor) und unter ausblenden aller anderen Themen, eine Verschmelzung mit dieser und unter Verlust des Zeitgefühls auszuführen (vgl. Hedderich: 2005, S. 124f).
[51] Formativ bezeichnet eine labile Phase, bei der die Persönlichkeit besonders im Aufbau ist und dadurch labil und beeinflussbar (vgl. Raapke: 2006, S. 62).
[52] Mit stabil meint sie eine Phase gleichmässigen Wachstums, in der das Kind besonders Aufnahme- und Leistungsfähig und damit häufig unterfordert ist (vgl. Raapke: 2006, S. 63).
[53] Hinter dem Begriff geistiger Embryo verbirgt sich die bildhaft vergleichende Vorstellung, dass der menschliche Geist eben wie ein Embryo von der Zufuhr geistiger Nahrung der Aussenwelt abhängig ist um seine Reife zu erlangen (vgl. Montessori: 1972, S. 55ff).
[54] Ingeborg Becker-Textor verwendet in ihrem Buch Maria Montessori, Kinder lernen schöpferisch, diesen Term (vgl. ebenda1996, S.17)
[55] Vgl. Kap. 3.2 dieser Arbeit
[56] Ausgegangen wird hierbei von Ergebnissen der Bindungsforschung, welche ein behutsames Vorgehen bei der Erweiterung des Bezugspersonenkreises vorschlägt (vgl. z.B. Laewen et al. 2007, S. 25f).Der Begriff der BezugspädagogIn bezieht sich auf das Bezugsbetreuerkonzept, welches zur Eingewöhnungszeit einen Erziehenden als Bezugsperson für Eltern und das Kind vorsieht. Dementsprechend hat nur die BezugspädagogIn in den ersten Wochen intensiven Kontakt zum Kind (vgl. Süss, Burat-Hiemer: 2009)
[57] Die Einführung eines Entwicklungsmaterials wird in der Montessoripädagogik als Lektionen oder Darbietung bezeichnet. Diese werden in der Regel angeboten, wenn das Kind bereits mit dem Material experimentiert hat oder besonderes Interesse an einem Material zeigen (Eichelberger, H. 2008, S. 59)
[58] Siehe Kapitel 3.1 dieser Arbeit.
[59] Die Übung erinnert an Piagets Versuche zur Objektpermanenz und den A nicht- B-Fehler. Bei seinen Versuchen wurde vor den Augen des Kindes ein Gegenstand auf den Tisch gestellt, dann zugedeckt, anschliessend wieder hervorgeholt und an einer anderen Stelle des Tisches platziert, dann wiederum beide Orte zugedeckt und das Kind gefragt wo der Gegenstand sei, die Kinder suchten meist am Ursprungsort (vgl. Gisbert: 2004, S. 85f).
[60] Objektpermanz bezeichnet nach Piaget, die Phase der kindlichen Entwicklung in der das Kind begreift, dass ein Gegenstand weiterexistiert, nachdem er aus seinem Blickfeld verschwunden ist (vgl. Gisbert:2004, S. 85).
[61] Erläuterung dazu siehe Kapitel 3.5.
[62] Erläuterungen dazu im folgenden Kapitel 3.5
[63] Vgl. Erläuterungen und Beispiel im vorangegangenen Kapitel.
[64] Der „rosa Turm“ dient zur Unterscheidung der Dimensionen groß und klein. Er ist wohl das meistgenutzte Beispiel für die Erklärung der Funktion der Sinnesmaterialien der Montessori-Pädagogik (vgl. Raabke: 2006, S.94).
[65] Sie unterscheidet innerhalb der Untersuchung noch differenziertere Kontaktkategorien, so gibt es beispielsweise noch 9 Unterkategorien zu „Erzieherin tut etwas für Kind“ (vgl. Eisenbrand: 1987, S. 154), auf die in dieser Arbeit nicht explizit eingegangen werden kann.
[66] Claudia Schäfer, M.A. Erziehungswissenschaftlerin und Montessoripädagogin ist derzeit als selbständige Beraterin und Autorin tätig (Schäfer 2005 Klappentext).
[67] Postmoderne ist ein Begriff aus der ästhetischen und philosophischen Diskussion und kann verschiedene Bedeutungen erhalten. Im geisteswissenschaftlichen Kontext können als gemeinsame Merkmale in der Verwendung von dem Begriff der „postmoderne“ vor allem in der Kulturkritik die Suche nach neuen Denk- und Darstellungsformen, das Ablösen von traditionellen Denkmodellen, das Infragestellen objektiver Wirklichkeitsvorstellungen bezeichnet werden. Auch die Pluralisierung der Lebensstile wird unter anderem gelegentlich mit dem Begriff der postmoderne belegt. (Fuchs-Heinritz et al.: 2007, S. 501f)
[68] Grundsätzlich gilt der radikale Konstruktivismus, als der Ausgangspunkt jedweder Strömungen durch seine Grundannahme „der individuell konstruierten Realität“ im Gegensatz zum Empirismus und Rationalismus (vgl. ebd. S. 128).
[69] Dieser theoretische Ansatz verfolgt eine sehr pragmatische Absicht zur Reflexion von Alltagssituationen insbesondere sozialer Beziehungen. Der Schwerpunkt liegt auf der Situationsbezogenheit von Wissensaneignung (Gerstenmaier, Mandel: 1995). Deshalb ist er auch für die konkreten frühpädagogischen Ansätze geeignet.
[70] Zur Erinnerung vgl. auch Kapitel 2.1.:John Dewey (1859-1952) war ein Schüler Pierce (vgl. Schäfer, K. 2005, S. 63) Er begründete die „ kommunikative Interaktionspädagogik“ und hat damit das amerikanische Schulsystem wesentlich mitgeprägt (vgl. ebd. S. 117).
[71] Das Konzept der Zone nächsten Entwicklung (engl.: Zone of proximal development) geht davon aus, dass es parallel zur bereits vollzogenen Entwicklungsstufe immer eine noch nicht ausgereifte Entwicklungsstufe gibt, in der das Kind die Möglichkeit hat (z.B. durch Nachahmung des Erziehenden-Verhalten oder in Zusammenarbeit mit diesem) die nächste Stufe seiner Entwicklung zu erreichen (vgl. Vygotskij: 2003 S. 83).
[72] Jean Piaget (1896-1980) war Schweizer Psychologe, Biologe und Philosoph (Erkenntnistheoretiker) (vgl. Keiler: 2002, S. 472).
[73] Prof. Dr. Kersten Reich ist Universitätsprofessor für Allgemeine Pädagogik am Seminar für Pädagogik der Universität Köln.
[74] Piaget kann nicht klar dem radikalen Konstruktivismus zugeordnet werden, mancherorts wird er bereits dem sozialen Konstruktivismus zugeordnet (vgl. Siraj_Blatchford:2007, S. 106)
[75] Z.B. Kasten, Hartmut: 0-3 Jahre. Entwicklungspsychologische Grundlagen. Scriptor 2007 u.a.
[76] Beide Theoriesysteme ergänzen sich auch gerade durch die unterschiedliche Gewichtung der inneren und äußeren Prozesse: Vygotskij forschte mehr im Bereich Kommunikation als Piaget. Er fokussierte sich auf die im Individuum ablaufenden Lernprozesse, währen Vygotskij keine Aussagen hierüber traf. (Sigel: 2004 S. 89ff/ Burremann: 2002, S.38ff)
[77] Bei der Erkenntnistheorie des genetischen Strukturalismus wird von einer genetischen angelegten Bereitschaft (Struktur) zur Interaktion mit der Umwelt ausgegangen. Innerhalb dieser Interaktion verändert sich die strukturelle Ausgangslage. Wie und warum dies geschieht, darauf richtet der genetische Strukturalismus das Hauptaugenmerk (Sutter, T. 2009, S.24f).
[78] Zusammen mit Aleksandr R. Luria (1902-1977) und Aleksej N. Leontev (1903-1979) entwickelte Vygotskijs in den 1920ern – 1930ern die kulturhistorischen Grundannahmen, die durch zahlreiche Mitarbeiter, Schüler und Nachfolger interdisziplinär untersucht, weiterentwickelt und bestätigt wurden (vgl. Lompscher., Giest: 2006 S. 15).
[79] Es wird auch von der kulturhistorischen Theorie, Richtung oder Traditionslinie gesprochen. Gemeint ist damit eine Sichtweise, welche die Entwicklung des Menschen konsequent im Zusammenhang mit seiner kulturellen, gesellschaftlich gewordenen Umwelt betrachtet. (vgl. Lompscher, Giest:2006)
[80] Ausführliche Erläuterungen zu den „höheren psychischen Funktionen“ siehe Kapitel 4.2 dieser Arbeit.
[81] So ist beispielsweise Äquilibration (=der innere Auslöser für die Entwicklung durch das nicht mehr in Harmonie mit der Außenwelt sein) für Piaget eine Grundlage menschlicher Entwicklung. Während Vygotskij hierfür die Interiorisation (das Aneignen von interpsychischer Funktionen durch Interaktion mit der Außenwelt zur Weiterentwicklung) sieht (vgl. Burrelmann: 2002, S. 64).
[82] James Youniss PH. D. Psychologie-Lehrstuhlinhaber der „Catholic University of America“, ging bei seinen Untersuchungen von Kindern davon aus, dass soziale und kognitive Kompetenzen zu gleichen Teilen selbst konstruiert und sozialisiert sind (Brandes: 2008, S. 55).
[83] Dahinter steckt wiederum der konstruktivistische Grundgedanke vom „aktiv Lernenden“, der sein bisheriges Wissen mit neuem verknüpft (vgl. König, A. 2009, S. 141, 149).
[84] Häufig wird auch der englische Term Involvement benutzt, definiert wird er mit der der ungeteilten Aufmerksamkeit Erwachsener und Kinder auf eine gemeinsame Aktivität, welche möglichst lang aufrechterhalten wird. „ They are ‘intrinsically motivated, rarely distracted, and appear fascinated and absorbed’“ (Siray-Blatchford, et al.: www.education.gov.uk)
[85] Der Begriff der Instruktion wird in dieser Arbeit nach Vygotsky definiert als „das bewusste Einweisen und das sensibel Machen der Kinder in die Symbolwelt unserer Kultur“ (vgl. König: 2009, S.87).
[86] Elkonin, D. B. schreibt in seinem Vorwort zu „Lew Vygotskij. Ausgewählte Schriften. Band 2“, dass Vygotskijs Arbeiten zu Unterricht und Vorschulerziehung noch hochaktuell für den heutigen Stand der Wissenschaft seien (Lompscher (Hrsg.): 2003, S. 37).
[87] Mit systemisch ist die Eingebundenheit in den wechselseitigen Austauschprozess gemeint. Also das Wechselspiel zwischen Beziehung und Inhalten (Reich: 2006, S. 31f).
[88] Zirkulär ist das Gegenteil von linear, d.h. es können keine strikt eindeutigen Kausalbezüge in den Beziehungen hergestellt werden. Man geht von einer Art Wechselwirkung aus (vgl. z.B. Lindemann: 2006 S. 153f).
[89] Im Englischen mit „Privat Speech“ übersetzt und wird in der kulturhistorischen Schule als frühe Form der Selbstregulation betrachtet, vor allem beim Freien Spiel (vgl. Wygotski: 1986, S. 41, Gisbert: 2004, S. 143f/149) Im Gegensatz zu Piaget, der den Begriff egozentrische Sprache geprägt hat, sie als unkommunikativ bezeichnete und ihr keinerlei Funktion zuschrieb (vgl. Wygotski: 1986, S. 35ff).
[90] Metakognition bezeichnet im Grunde das Nachdenken über das eigene Denken. Es wird aber in der Regel von den zwei Komponenten, 1. das Wissen über und 2. das Steuern der eigenen Kenntnisse ausgegangen. Eine genaue Definition gibt es aufgrund von Abgrenzungsschwierigkeiten beispielsweise zu dem Begriff des Selbstkonzept nicht (Hasselhorn 2001, S. 351)
[91] J. Bruner war es auch der den scaffolding Begriff mit der Theorie Vygotskij in Zusammenhang gebracht hat.
[92] Vygotskij sieht die Fähigkeit zur Reflexion als ein Definitionskriterium für alle höheren psychischen Funktionen an (Wygotski: 1986).
[93] 1934 hielt er einen Vortrag mit diesem Titel auf der gesamtrussischen Konferenz zu Fragen der Vorschulerziehung, ein Jahr später (nach Vygotskijs Tod ) wurde das Stenogramm des Textes in einem Sammelband veröffentlicht (vgl. Lompscher, J. 2003 S. 662).
[94] Er ging selbstverständlich von einer entsprechend förderlichen/anregenden Umgebung (für das kindliche Lernen aus (Vygotsky, L. 2003, S. 256).
[95] Auf der Keytolearningwebside wird sie vorgestellt als die Leiterin des Curriculum und Expertin für die praktische Anwendung von Vygotskijs Theorie. (http://www.keytolearning.com/abs.html.)
[96] Unter der intersubjektiven Erfahrungsebene wird hier das geteilte, gemeinsam ausgehandelte Verständnis von Personen über einen Sachverhalt verstanden.
[97] Als weiterführende Literatur zur Theorie der Entwicklung des Selbstempfindungen von Stern empfehle ich Brondin, M., Hylander, I.: Wie Kinder kommunizieren. Daniel Sterns Entwicklungspsychologie in Krippe und Kindergarten. Beltz Verlag Weinheim und Basel 2002
[98] Anderenorts wird dies als „Tuning in“ bezeichnet (vgl. Fried,L.)
[99] Ganz ähnlich wie das scaffolding ist bei B. Rogoffs Konzept guided participation die Orientierung (guidance) an dem Wissen des Erwachsenen die Hilfestellung für das Kind mit seinen bereits erworbenen Wissen und Fähigkeiten, durch die es Anteil hat (participation) am Interaktionsprozess (vgl. König: 2009, S. 89).
[100] Vergleiche hierzu auch das Erziehungsmodell nach Baumrind (z.B. in König: 2009, S. 79)
[101] Die Kindertageseinrichtungen, deren Kinder sich am besten entwickelt haben.
[102] Weitere Untersuchungsergebnisse können im Rahmen dieser Arbeit nicht ausführlich dargestellt werden, sind aber besonders interessant, da sie den gesamten Komplex der Erwachsenen-Kind-Interaktionen untersuchte wurde und herausgefunden wurde, dass Kinder den Interaktionsverlauf entscheidend mitbestimmen (Fliedener: 2004, S. 227).
[103] Die derzeitigen Neurowissenschaften bestätigen diese Annahme (Pickenhain:1997, S. 157, ).
[104] Vgl. hierzu die häufig wiederholte Kritik Kilpatricks an den Entwicklungsmaterialen Montessoris.
[105] Aequilibration integriert und reguliert körperliche Reifung, Erfahrungen mit der physikalischen Welt und sozialen Einflüssen (www. psychology-48.com)
[106] Weitere Ausführungen dazu siehe Kapiel 4.1 dieser Arbeit.
[107] Das „sustained shared thinkting“ und die „3 Stufen Lektion“ sowie die „Questioning Exercise“ bei Montessori.
[108] Sigel betrachtet; wie Piaget; die innewohnenden Möglichkeiten des kindlichen Organismus, Erfahrungen zu assimilieren und sich ihnen anzupassen, als gegeben (vgl. Sigel: 1984, S 259)
[109] Distanzierung bezeichnet nach Sigel den Vorgang, psychischen Abstand vom „Hier und Jetzt“ herzustellen, und diese an sprachliche Äußerungen zu binden (vgl. Sigel: 1984
[110] Verallgemeinerung wird neben Begriffsbildung als Definition von Abstraktion in Textors Fremdwörterlexikon dargelegt (vgl. Textor:1992, S. 8)
[111] Dr. em. Prof. Rolf Oerter war 1981-1999 Lehrstuhlinhaber für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München (http://www.edu.lmu.de).
[112] Vergleiche hierzu Csikzentmihalyi, Mihalyi: Das „Flow“- Erlebnis – Jenseits von Angst und Langeweile: Im Tun aufgehen. 9. Auflage. Klett-Cotta, Stuttgart 2005
[113] Das goldene Perlenmaterial wird ca. ab einem Alter von 4 bis 5 Jahren eingesetzt, es besteht aus einem Holztablett mit einer goldenen Perle, einem Zehnerstäbchen (zehn goldene Perlen), einem Hunderterquadrat (10 miteinander verbundene Zehnerstäbchen) und einem Tausenderwürfel (aus 10 Hunderterquadraten). Zusätzlich gibt es noch drei andere Tabletts mit jeweils mehreren dieser Exemplare und aufbauend werden die Übungsmöglichkeiten mit Zahlenkarten erweitert(vgl. Schäfer, C: 2005, S. 121ff).
[114] Die Vorstufen sind hierbei zwar materieller Art und können nicht als Distanzierung bezeichnet werden, aber das Ziel, die Internalisierung erfolgt darüber und zusätzlich mithilfe des angepassten Erziehenden-Verhalten trotzdem.
[115] Die Kind-Kind-Interaktion in der Montessoripädagogik und ähnlich strukturierten pädagogischen Konzepten z.B. durch altersgemischte Gruppen vermutlich beachtliche Lernmöglichkeiten bietet (vgl. z.B. die Eisenbrand 1987, Brandes 2008).
- Citar trabajo
- Britta Zazar (Autor), 2010, Exemplarische Konzepte der Interaktion in der frühkindlichen Bildung und Erziehung im Vergleich, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/184593
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