Rund zwanzig Jahre nach dem Ende der DDR wird die DDR noch immer und immer wieder verklärt. Tatsachen schwinden im Gedächtnis. Deshalb sollen hier Fakten und Entwicklungen, auch Hintergründe so dargestellt werden, damit Verklärung vermieden werden kann. Es geht um die geschichtliche Wirklichkeit einer Seite der DDR – dem Arbeitsschutz als sozialem Anliegen, den Gesundheitsschutz im Betrieb. Zum Teil menschenunwürdige Zustände belegen die Realität in der DDR, beleuchten auch Motive der SED. Das darf nicht in Vergessenheit geraten! Es geht um die Würde des Menschen, die nicht gewährleistet blieb. Die Fakten stellen auch positive Seiten des Arbeitsschutzes in der DDR zusammen – aber sie sind zu relativieren, stehen unter dem Vorbehalt ihrer politischen Einordnung in ein Unterdrückungs- und Unrechtsregime.
Beschrieben wird die Entwicklung des Arbeitsschutzes von 1945 bis 1990 in der SBZ und der DDR. Dabei wird für die DDR eine Einteilung nach den vier Jahrzehnten vorgenommen. Es stand umfangreiches Quellenmaterial zur Verfügung, insbesondere konnten die Akten der Regierung der DDR und der SED sowie des FDGB genutzt werden. Die Möglichkeit der Auswertung des Archivmaterials erleichterte das Aufzeigen des Handelns der politischen Akteure, sie bestimmende Vorstellungen und Leitlinien. Die Nutzung der Archivmaterialien ermöglichte die Darstellung politischer Zusammen-hänge und gab Hinweise zu teilweise bisher nicht bekannten Erscheinungen im Arbeitsschutz der DDR. Das Internet bot vielfältige Aussagen von Zeitzeugen und Bewertungen, die eingeordnet werden konnten.
Leider existieren eine Reihe von Veröffentlichungen und Diskussionen in Foren, die einzelne Seiten des DDR-Arbeitsschutzes glorifizieren und damit mehr oder weniger suggerieren, dass der Arbeitsschutz der DDR ein Vorbild für die Bundesrepublik sei. Es ist eines der Anliegen dieser Publikation, dem entgegenzutreten. Es gab sehr viele gute Merkmale und Konzepte. Die DDR hatte für den Arbeitsschutz eine sehr anspruchsolle und sich auch weiterentwickelnde Theorie hervorgebracht. Es entstanden Vorschriften, die isoliert betrachtet tatsächlich Meilensteine darstellen. Trotzdem ist entscheidend, vor welchem Hintergrund solche Ansätze funktionieren konnten Zeitzeugen und Bewertungen, die eingeordnet werden konnten. Das Buch soll die Vergangenheit der DDR speziell zum Arbeitsschutz festhalten, soll Einsichten in die Gegebenheiten bieten und soll auch eingeführte Deutungen infrage stellen.
Inhaltsverzeichnis
0 Vorbemerkungen
1 Vorgeschichte
1.1 Arbeitsschutz ist sehr stark an die Technikentwicklung, aber auch an die Arbeitsorganisation gekoppelt
1.2 Arbeitsschutz ist verknüpft mit Werten in der Gesellschaft sowie wirtschaftlichen Entwicklungen
1.3 Charakteristisch ist die wachsende Institutionalisierung und Professionalisierung des Arbeitsschutzes
1.4 Schrittweise entstanden insbesondere seit dem 19. Jahrhundert Rechtsvorschriften zum Schutz der Gesundheit
1.4.1 Regelungen zum sozialen Arbeitsschutz (Kinder, Jugendliche, Frauen sowie Arbeitszeit)
1.4.2 Entwicklung der Gewerbeordnung und Diskussionen zu einem Arbeitsschutzgesetz
1.4.3 Vorschriften zum technischen Arbeitsschutz
1.4.4 Das erste Betriebsrätegesetz mit Arbeitsschutzinhalt
1.5 Das Arbeitsschutzverständnis wandelte sich inhaltlich
2 Arbeitsschutz in der sowjetischen Besatzungszone - 1945 bis zur Gründung der DDR 1949
2.1 Die allgemeinen Rahmenbedingungen
2.2 Der Arbeitsschutz nach Kriegsende
2.3 Arbeitsschutzpolitik in der SBZ
2.3.1 Prägung der Arbeitsschutzpolitik durch gesellschaftliche Leitbilder
2.3.2 Arbeitsschutz im Dienste der wirtschaftlichen Entwicklung
2.4 Organisatorische und rechtliche Neuordnungen
2.4.1 Neuformierung der staatlichen Überwachung des Arbeitsschutzes
2.4.2 Verstaatlichung des betrieblichen Gesundheitswesens
2.4.3 Gewerkschaften und Arbeitsschutz in der SBZ
2.4.4 Vorbereitung rechtlicher Neuordnungen des Arbeitsschutzes
2.4.5 Betriebliche Strukturen im Arbeitsschutz
2.4.6 Arbeitszeitreduzierung und Schutz bestimmter Beschäftigtengruppen
2.5 Bilanz der Zeitperiode 1945 bis 1949
3 Arbeitsschutz in den 1950er Jahren - ein sozialistischer Beginn
3.1 Die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen
3.2 Arbeitsschutzpolitik in den 1950er Jahren
3.2.1 Arbeitsschutz im Dienste der Sicherung des Machtmonopols der SED
3.2.2 Ambivalente Beziehungen zwischen Wirtschaftspolitik und Arbeitsschutz
3.2.3 Beispiele für menschenverachtende Arbeitsbedingungen in der Ära Ulbricht
3.3 Der Aufbau des Arbeitsschutzes in der DDR
3.3.1 Arbeitsschutz in der Verfassung der DDR
3.3.2 Der Ausbau zentraler Arbeitsschutzstrukturen
3.3.3 Einordnung des Arbeitsschutzes in die zentralistische Planung
3.3.4 Beginn der Entwicklung wissenschaftlicher Grundlagen des Arbeitsschutzes
3.3.5 Das Arbeitsschutzverständnis dieser Zeit in der DDR
3.3.6 Prozesse der Neuordnung des Vorschriftenwerkes im Arbeitsschutz
3.3.7 Gewerkschaftliche Aktivitäten zum Arbeitsschutz
3.3.8 Der Arbeitsschutz in der Aus- und Weiterbildung
3.3.9 Entwicklung wissenschaftlicher Institutionen des Arbeitsschutzes
3.4 Spezielle Arbeitsschutzaktivitäten der DDR
3.4.1 Zur betrieblichen Organisation des Arbeitsschutzes
3.4.2 Schutzgüte als Ansatzpunkt vorausschauender Gefahrenabwehr
3.4.3 Zum sozialen Arbeitsschutz Arbeitsschutz für Frauen
3.5 Bilanz der 1950er Jahre
4 Arbeitsschutz in den 1960er Jahren - Stabilisierung im Zeichen des sozialistischen Aufbaus
4.1 Die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen
4.2 Ambivalente Beziehungen zwischen Wirtschafts- und Arbeitsschutzpolitik
4.2.1 Orientierung auf Planerfüllung konterkariert den Arbeitsschutz
4.2.2 Gesundheitliche Gefährdungen durch Schichtarbeit wurden heruntergespielt bis verfälscht
4.2.3 Die Gewerkschaften setzten eher wirtschaftliche Prioritäten
4.2.4 Sträfliche Unterlassung von Arbeitsschutz im Strafvollzug
4.3 Arbeitsschutz wird weiter politisiert
4.3.1 Gewerkschaftliche Aktivitäten im Arbeitsschutz
4.3.2 Selbst Arbeitsschutz ist zu planen
4.3.3 Der Ausbau der sozialistischen Prinzipien des Gesundheits- und Arbeitsschutzes zum ideologischen Leitbild
4.3.4 Nichtverschulden von Unfällen durch Beschäftigte wuchs zu einem politischen Dogma
4.4 Die weitere Konzeptionierung und Ausbau des Arbeitsschutzes
4.4.1 Die Erweiterung des Arbeitsschutzverständnisses
4.4.2 Bemühungen um eine weitere Zentralisierung von Arbeitsschutzstrukturen
4.4.3 Weitere Ausgestaltung des Arbeitsschutzrechts in den 1960er Jahren
4.4.4 Bildungsaktivitäten zum Arbeitsschutz
4.4.5 Die Entwicklung wissenschaftlicher Institutionen
4.5 Spezielle Aktivitäten im Arbeitsschutz
4.5.1 Die betriebliche Arbeitsschutzorganisation Die sicherheitstechnische Betreuung durch Sicherheitsinspektoren
4.5.2 Verstärkung der technischen Überwachung in Eigenverantwortung der Betriebe
4.5.3 Schutzgüte als vorgreifender Gefahrenschutz
4.5.4 Verknüpfung des Arbeitsschutzes mit der Arbeitsgestaltung
4.5.5 Regelungen zum sozialen Arbeitsschutz
4.6 Bilanz der 1960er Jahre
5 Arbeitsschutz in den 1970er Jahren - Stagnation
5.1 Rahmenbedingungen: Zur politischen und wirtschaftlichen Situation in den Jahren 1970 bis 1980
5.2 Das Dilemma des Arbeitsschutzes als Bestandteil von Wirtschafts- und Sozialpolitik
5.2.1 Arbeitsschutz wird proklamiert, aber sein Stellenwert nimmt ab
5.2.2 Die zunehmende Ideologisierung des Arbeitsschutzes
5.2.3 Die betriebliche Realität schwächt das Arbeitsschutzanliegen
5.2.4 Ausweitung der Schichtarbeit ohne adäquaten Arbeitsschutz
5.2.5 Das Betriebsgesundheitswesen erhält fachfremde Inhalte
5.2.6 Eine Pervertierung des Arbeitsschutzes für Strafgefangene erfolgt weiterhin wie in den Jahrzehnten zuvor
5.3 Versuche zur Stabilisierung des Arbeitsschutzes
5.3.1 Arbeitsschutz im Arbeitsgesetzbuch der DDR
5.3.2 Neuordnung der Arbeitsschutzvorschriften über Standards
5.3.3 Arbeitsschutz und Wissenschaftliche Arbeitsorganisation
5.3.4 Qualifikationsanforderungen im Arbeitsschutz mit hohem Stellenwert
5.3.5 Zur Rolle der Gewerkschaften im Arbeitsschutz
5.4 Spezielle Arbeitsschutzaktivitäten in der DDR
5.4.1 Zur betrieblichen Organisation des Arbeitsschutzes
5.4.2 Einführung von Zustandskennzahlen zur möglichen Nutzung für eine präventive Orientierung des Arbeitsschutzes
5.4.3 Die Entwicklung des Einsatzes von Sicherheitsinspektoren
5.4.4 Ausbau des Betriebsgesundheitswesens und der Arbeitshygieneinspektion
5.4.5 Zum technischen Arbeitsschutz
5.4.6 Zum sozialen Arbeitsschutz
5.5 Bilanz der 1970er Jahre
6 Arbeitsschutz in den 1980er Jahren - sein Niedergang
6.1 Rahmenbedingungen: Zur politischen und wirtschaftlichen Situation in den Jahren 1980 bis 1990
6.2 Arbeitsschutzpolitik als Instrument des Machterhalts der SED bei wachsenden wirtschaftlichen Grenzen
6.2.1 Gezielte Desinformation
6.2.2 Arbeitsschutz wird mit Militärpolitik verknüpft
6.2.3 Überwindung sozialer Unterschiede werden Ziel der Arbeitsschutzpolitik
6.3 Erscheinungen des Niedergangs des DDR-Arbeitsschutzes
6.3.1 Wachsende Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit
6.3.2 Produktion wird vielfach über den Einsatz von Strafgefangenen bei menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen gesichert
6.3.3 Reaktive Arbeitsschutzpolitik tritt an die Stelle gestaltender Politik
6.3.4 Die Gewerkschaften sorgten sich nur noch um Planerfüllung
6.4 Spezielle Arbeitsschutzaktivitäten in der DDR
6.4.1 Einordnung des Arbeitsschutzes in die betriebliche Führungsarbeit
6.4.2 Ausbau des Betriebsgesundheitswesens und der Arbeitshygieneinspektion
6.4.3 Zum technischen Arbeitsschutz
6.4.4 Zum sozialen Arbeitsschutz
6.5 Bilanz der 1980er Jahre
7 Arbeitsschutz in den Jahren 1989/90 - der Übergang zur Wiedervereinigung
7.1 Zur politischen Situation
7.2 Diskussionsprozesse und Veränderungen zum Arbeitsschutz in der Wendezeit
7.3 Arbeitsschutz im Einigungsvertrag
8 Bilanz zum Arbeitsschutz in der DDR
9 Verzeichnisse
9.1 Literaturverzeichnis und archivarische Quellen
9.2 Abbildungsverzeichnis
9.3 Tabellenverzeichnis
9.4 Abkürzungsverzeichnis
0 Vorbemerkungen
Rund zwanzig Jahre nach dem Ende der DDR wird die DDR noch immer und immer wieder verklärt. Tatsachen schwinden im Gedächtnis. Deshalb sollen hier Fakten und Entwicklungen, auch Hintergründe so dargestellt werden, damit Verklärung vermieden werden kann. Es geht um die geschichtliche Wirklichkeit einer Seite der DDR - dem Arbeitsschutz als sozialem Anliegen, den Gesundheitsschutz im Betrieb. Zum Teil menschenunwürdige Zustände belegen die Realität in der DDR, beleuchten auch Motive der SED. Das darf nicht in Vergessenheit geraten! Es geht um die Würde des Menschen, die nicht gewährleistet blieb. Die Fakten stellen auch positive Seiten des Arbeitsschutzes in der DDR zusammen - aber sie sind zu relativieren, stehen unter dem Vorbehalt ihrer politischen Einordnung in ein Unterdrückungs- und Unrechtsregime.
Beschrieben wird die Entwicklung des Arbeitsschutzes von 1945 bis 1990 in der SBZ und der DDR. Dabei wird für die DDR eine Einteilung nach den vier Jahrzehnten vorgenommen.
In der Vorgeschichte bis 1945 werden die sich bis dahin herausgebildeten Grundstrukturen des Arbeitsschutzes, sein rechtlicher und institutioneller Rahmen sowie seine Einbettung in die jeweiligen wirtschaftlich-organisatorischen und technischen Entwicklungen zusammengefasst.
Diese Ausbildungen bis 1945 bilden sowohl für die Bundesrepublik als auch für die DDR eine Ausgangssituation. Dabei wird nicht vordergründig auf eine chronologische zeitliche Gliederung zurückgegriffen. Anliegen ist, inhaltlich-sachliche Tendenzen zu gruppieren. In den folgenden Zeitperioden der SBZ und DDR wird hierauf zurückgegriffen.
Für jede der zeitlichen Phasen von 1945 bis 1990 werden zunächst Ausgangsbedingungen für das jeweilige Jahrzehnt zusammengestellt. Es geht um generelle politische Entscheidungen und damit verbundene Erscheinungen in der Wirtschaft, aber auch im sozialen Bereich. Hier ordnet sich der Arbeitsschutz ein, wird von den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen beeinflusst.
Es folgen für jedes Jahrzehnt zunächst entscheidende politische Grundsatzaussagen zum Arbeitsschutz, die ihn generell prägen. Dabei werden wichtige Entwicklungslinien dargestellt. So geht es um die direkte Verbindung des Arbeitsschutzes mit der SED, deren Einfluss auf die konkreten Arbeitsbedingungen mit zum Teil menschenverachtenden Praktiken. Es geht um die Widersprüche, die zwischen Verlautbarungen und tatsächlichen Möglichkeiten in den jeweiligen Jahrzehnten auftreten. Charakteristisch ist eine Ideologisierung des Arbeitsschutzes durch die SED und seine Unterordnung unter ihren Machtanspruch.
Anschließend werden für die jeweilige Zeitetappe die verschiedenen organisatorischen und inhaltlichen Neuordnungen des Arbeitsschutzes charakterisiert. So wird deutlich, dass zwar mit unterschiedlichen Vorgehensweisen, aber durchgängig für die rund vier Jahrzehnte die SED den Arbeitsschutz beherrscht und detailreich vorgibt, auch das Menschenrecht auf gesundheit mit Füßen getreten wird der Arbeitsschutz der Wirtschaft mit ihrem Produktivitätsanspruch dienen muss, er hierbei zum Teil mit Füßen getreten wurde eine Ideologisierung des Politikfeldes Arbeitsschutz erfolgt, alles dem Machtanspruch der SED diente in einer wie auch immer gearteten Form unzumutbare Arbeitsbedingungen in vielen Bereichen vorliegen und in vielen Fällen Strafgefangene menschenverachtend bezogen auf den Schutz ihrer Gesundheit behandelt werden die zentralistischen Entscheidungsstrukturen die Umsetzung sicherer und gesundheitsgerechter Arbeitsbedingungen sehr stark behindern und die flexible und kreative Ausgestaltung der Anforderungen unterbinden das oft gepriesene betriebliche Gesundheitswesen vom Charakter eine Fürsorgeinstanz war, die persönliche und damit individuelle Entscheidungen zur eigenen Persönlichkeit unterminierte, in großem Maße der Ausübung von Kontrolle über den Menschen diente Prävention im Arbeitsschutz zwar erklärtes Ziel war, aber recht vordergründig das Verhalten der Menschen zur Vermeidung gesundheitlicher Schäden bestimmend genutzt wurde, so der Nebenweg zur Gewährleistung von Sicherheit und Gesundheit zum Hauptweg wurde Die Ausgestaltung des Vorschriftenwerkes zum Arbeitsschutz ist jeweils eingeordnet. Es entwickelte sich schrittweise über die Jahrzehnte zu einem strukturierten und überschaubaren Komplex. Die vorhandenen anspruchsvollen Theorien, Konzepte und entstandenen Handlungshilfen zum Arbeitsschutz werden umrissen. Die jeweiligen Arbeitsschutzstrukturen, zugleich aber auch die konkreten Maßnahmen zur Verbesserung des Arbeitsschutzes sind für die verschiedenen Perioden beschrieben und bewertet worden. Charakteristisch sind breite Aktivitäten zur Qualifizierung im Arbeitsschutz auf den verschiedenen Ebenen.
Es stand umfangreiches Quellenmaterial zur Verfügung, insbesondere konnten die Akten der Regierung der DDR und der SED sowie des FDGB genutzt werden. Die Möglichkeit der Auswertung des Archivmaterials erleichterte das Aufzeigen des Handelns der politischen Akteure, sie bestimmende Vorstellungen und Leitlinien. Die Nutzung der Archivmaterialien ermöglichte die Darstellung politischer Zusammenhänge und gab Hinweise zu teilweise bisher nicht bekannten Erscheinungen im Arbeitsschutz der DDR. Das Internet bot vielfältige Aussagen von Zeitzeugen und Bewertungen, die eingeordnet werden konnten.
Leider existieren eine Reihe von Veröffentlichungen und Diskussionen in Foren, die einzelne Seiten des DDR-Arbeitsschutzes glorifizieren und damit mehr oder weniger suggerieren, dass der Arbeitsschutz der dDr ein Vorbild für die Bundesrepublik sei. Es ist eines der Anliegen dieser Publikation, dem entgegenzutreten. Es gab sehr viele gute Merkmale und Konzepte. Die DDR hatte für den Arbeitsschutz eine sehr anspruchsolle und sich auch weiterentwickelnde Theorie hervorgebracht. Es entstanden Vorschriften, die isoliert betrachtet tatsächlich Meilensteine darstellen. Trotzdem ist entscheidend, vor welchem Hintergrund solche Ansätze funktionieren konnten, nämlich weil der Zentralismus bestimmte Vorgaben ermöglicht, die ansonsten in der Demokratie nicht funktionieren können; weil der unternehmerischen Freiheit in der Marktwirtschaft nicht solche Methoden aufgedrückt werden können, wie es in einer Diktatur geht; weil reale wirtschaftliche Grenzen und ein entsprechendes Gleichgewicht existieren müssen, die in der DDR zum Teil ignoriert wurden und manches nur ging, weil die DDR als Staat von seiner Substanz gelebt hat und aufwendige Ansätze nur deshalb konzipierbar waren; weil vieles auf dem Papier stand, was an guten Konzepten und Methoden vorhanden war, die betriebliche Wirklichkeit aber dahinter weit zurückblieb, weil die Akzeptanz auch in den Betrieben oder Einrichtungen nicht vorhanden war.
Das jeweilige Jahrzehnt wird in einer Bilanz zusammengefasst.
Es gibt eine Reihe von Bezügen zu politischen Entscheidungen oder auch Vorschriften, die stehen in Beziehungen zu ähnlichen Entwicklungen in Westdeutschland. Auf diese Querverbindung wird jeweils hingewiesen.
Das Buch soll die Vergangenheit der DDR speziell zum Arbeitsschutz festhalten, soll Einsichten in die Gegebenheiten bieten und soll auch eingeführte Deutungen infrage stellen.
In der Anlage sind Dokumente der jeweiligen Zeitperiode zusammengestellt.
Die Rechtschreibung bei Zitaten folgt dem jeweiligen Original.
Ein Abkürzungsverzeichnis ist in Kapitel 9.4 enthalten.
1 Vorgeschichte
Zunächst wird die Vorgeschichte des Arbeitsschutzes insbesondere aus Deutschland bis 1945 dargestellt. Es geht um die Wurzeln für den Arbeitsschutz nach 1945, wie sie sowohl für die Bundesrepublik als auch für Ostdeutschland gelten. [1]
In der Entwicklung des Arbeitsschutzes sind verschiedene Grundlinien erkennbar, die im Folgenden beschrieben werden.
1.1 Arbeitsschutz ist sehr stark an die Technikentwicklung, aber auch an die Arbeitsorganisation gekoppelt
LABISCH (1993, S. 466) weist nach: Soweit sich Arbeit historisch zurückverfolgen lässt, wurde der Mensch durch Arbeit gefährdet, schließlich auch geschädigt. Die historische Entwicklung des Arbeitsschutzes ist sehr eng mit der Technikentwicklung verbunden. Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen Technikeinsatz und Arbeitsschutz, weil einerseits Technikeinsatz spezifische Gesundheitsrisiken hervorbringt und Technik andererseits für den Arbeitsschutz genutzt werden kann, indem über technische Lösungen Sicherheit und Gesundheit ermöglicht wird.
Es ist sicher allgemein einleuchtend, das z. B. beim Bau der ägyptischen Pyramiden menschliches Leid entstanden ist, sicher auch viele Tote zu beklagen waren. Der griechische Historiker Herodot (490-430 v. Chr.) berichtet, dass die Arbeiter beim Bau dieser Pyramiden großen Unfallrisiken ausgesetzt waren (BIENECK, HORST, 1993, S. 97).
Bei dieser Einschätzung körperlicher Arbeit verwundert es nicht, dass im überlieferten Schrifttum aus der Antike kaum Hinweise auf Arbeitsschutzprobleme zu finden sind, obgleich angesichts der Vielzahl schon damals ausgeübter unfallträchtiger und auch gesundheitsschädigender Tätigkeiten - etwa auf Großbaustellen und in Bergwerken - zumindest das Interesse an einem möglichst störungsfreien Arbeitsablauf vorhanden gewesen sein müsste.
Von den Römern wissen wir, dass sie bereits Schutzmaßnahmen wie Handschuhe, Stiefel, Helme, aber auch Lüftungseinrichtungen zur Vorbeugung vor gesundheitlichen Schäden einsetzten.
Die historische Entwicklung des Arbeitsschutzes orientiert sich an der Entwicklung der Technik.
Gesundheit wurde zur alleinigen Existenzgrundlage lohnabhängiger Schichten. Sobald das Verhältnis der Menschen zur Natur durch Vergesellschaftung (sprich: Herrschaft) überformt wurde, wird die Gefährdung der Gesundheit durch notwendige Arbeit offenkundig und als solche auch wahrgenommen (LABISCH, 1993, S. 471 u. S. 475). Mit der Industrialisierung wird
„Arbeit und Gesundheit“ ein notwendiges Standardthema.
Bis 1800 war Deutschland ein fast reines Agrarland. Durch die Landregulierung (Einführung bürgerlichen Privateigentums an Grund und Boden) fiel das meiste Ackerland in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts an die Großgrundbesitzer. Die freigewordenen Bauern konnten nur am verbleibenden Rest des Landes Eigentum erwerben. Außerdem wurden die Allmenden (Wälder, Teiche, Bleichen, Wiesen usw. zur gemeinschaftlichen Nutzung) aufgelöst. Mit aus diesem Grunde verdoppelte sich bis 1850 die Zahl der Halbbauern und verdreifachte sich die Zahl der landlosen Unterschicht, die auf diese Weise frei für die Industriearbeit wurde (ELLWANGER, 1988, S. 6). Heimarbeit entstand verstärkt. Die weitere Entwicklung der industriellen Produktion bestand darin, dass die Arbeiter sich - weil der Stücklohn für Heimarbeit dem Preisdruck maschinell erzeugter Güter nicht mehr standhielt - ab Mitte des 19.
Jahrhunderts in der Fabrik verdingten.
Seit Ende des 18. Jh. setzte die Industrialisierung ein. Mit ihr verbunden war eine rasante Technikentwicklung in mehreren Stufen mit jeweils neuen spezifischen Arbeitsschutzproblemen, aber auch mit neuen technischen Lösungen zum Schutz vor Gefahren: Mechanisierung führte zur Nutzung immer höherer Energiepotenziale.
Gefahren entstanden durch außer Kontrolle geraten von Energie (z. B. Bewegungen schwerer Gegenstände, heiße Teile, Lärm, extreme Klimate); insbesondere durch den Einsatz kraftbewegter Maschinen entstanden größere Gefährdungspotenziale.
Der Übergang von der Manufaktur zum Fabriksystem (Mechanisierung, Dampfkraft, Elektrizität) gab dem Arbeitsschutz einen besonderen Anstoß.
Industrielle Arbeit führte zur massenhaften Nutzung von Maschinen und Geräten mit Gefahrenpotenzial. Die Grundlagenchemie brachte den immer breiter werdenden Einsatz von Arbeitsstoffen mit gefährlichen Eigenschaften.
Die fortschreitende Technisierung führt aber auch zu neuen wirkungsvollen Lösungen in der Sicherheitstechnik. Ein einfaches Beispiel ist das Schutzgitter am Webstuhl. Auslöser für diese Entwicklung waren zahlreiche schwere Unfälle, weil herausspringende Schütze den Weber am Nachbarwebstuhl mit hoher Geschwindigkeit am Kopf trafen. Eine konsequente Weiterentwicklung solcher einfacher Lösungen führte bis hin zu geschlossenen Produktionssystemen, bei denen der Mensch von der Gefahrenquelle zuverlässig getrennt ist.
Frederik Winslow Taylor[2] sah in seiner Lehre von der wissenschaftlichen Betriebsführung den Menschen als rational-ökonomisches Wesen, das vorrangig durch wirtschaftliche Anreize motiviert wird und um sein Glück zu erreichen das tut, wovon es sich den größten Gewinn verspricht. Ansonsten ist der Mensch nach dieser Auffassung Taylors faul und irrational.
Deshalb muss der Mensch seine Natur durch Disziplinierung überwinden. Um dies zu schaffen, muss er rigiden Regeln unterworfen werden. Deshalb müssen nach seiner Lehre Organisationen so gestaltet sein, dass die Empfindungen des Menschen und seine unwägbare Komponente weitgehend zu neutralisieren und zu kontrollieren sind. Hieraus entstand eine noch bis weit in die Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein geprägte Organisation der Arbeitsteilung. Die mit dem Mittelalter entstandene Arbeitsteilung wurde so mit der Industrialisierung extrem ausgeweitet. Taylorismus steht für diese Form der Arbeitsgestaltung am Fließband und ist eng mit dem Menschenbild verknüpft. Kopf- und Handarbeit wurden getrennt. Die Mitarbeiter der ausführenden Ebene bekamen für die geleistete Arbeit ihren Lohn, waren aber als Ideengeber und Mitgestalter nicht gefragt. Diese „Maschinisierung“ der Körper führte letztlich zu Sinnentleerung und Entfremdung (KERN, 2006). Insoweit ist Arbeitsschutz nicht einseitig mit der Technikentwicklung verknüpft, sondern auch mit der Arbeitsorganisation.
Die historischen Beispiele zeigen, wie eng Probleme und Chancen des Arbeitsschutzes mit der Technikentwicklung verbunden sind. Vom Technikeinsatz geht einerseits Gefahr aus.
Andererseits lässt sich Technik auch für technische Arbeitsschutzmaßnahmen nutzen. Allerdings wurden die Gefahren häufig erst erkannt, als beim Technikeinsatz Probleme auftraten (z. B. Unfälle, Produktionsstörungen). Die Ursachen mussten erst erforscht und geeignete Maßnahmen entwickelt werden. Daher blieb das Arbeitsschutzniveau zeitweise weit hinter der Technikentwicklung zurück.
Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern, wie England, Frankreich und Belgien, begann die industrielle Entwicklung in den deutschen Staaten erst spät (SYRUP, NEULOH, 1957, S. 49). Dies führte in den bis dahin agrarisch strukturierten deutschen Staaten zu einem überstürzten Tempo beim Aufbau industrieller Anlagen. Man wollte das Versäumte in möglichst kurzer Zeit nachholen und unterschätzte dabei die hiermit verbundenen sozialen Probleme. Um das Jahr 1800 waren in Deutschland nur etwa 300.000 Fabrikarbeiter tätig. Im Jahre 1867 wurde die 2-Millio- nen-Grenze überschritten, im Jahre 1882 wurden bereits 6 Millionen und um 1900 fast 12 Millionen Fabrikarbeiter gezählt. Die über Jahrhunderte gewachsenen sozialen Bindungen hatten sich mit der Einführung der Gewerbefreiheit gelöst.
Unternehmer und Arbeiter waren nicht mehr durch ein patriarchalisches Verhältnis miteinander verbunden, sondern standen sich als Partner in einem Vertragsverhältnis gegenüber, das jedoch durch eine Übermacht des Unternehmers (KOCKA, 1975, insbes. S. 42-87) gekennzeichnet war. Konkret bedeutete dies für die in den Fabriken Beschäftigten lange Arbeitszeiten, häufig auch während der Nachtzeit, sowie das Arbeiten in Räumen, die in einem sicherheitstechnisch und hygienisch schlechten Zustand waren und die die Entstehung von Krankheiten förderten (KAUFHOLD, 1989, S. 226; MERTENS, 1978, S. 5 ff.; PENSKY, 1987; HERKNER, 1922, S. 51). Die Folge war frühe Erwerbsunfähigkeit und oft auch Tod. Die kaum mit der neuen Technik und den neuen Produktionsverfahren vertrauten Arbeiter waren einem hohen Unfallrisiko ausgesetzt. Trotz dieser harten Arbeitsbedingungen zogen die Fabriken jedoch angesichts der damals herrschenden Massenarmut (ABEL, 1986, insbes. S. 302-396) Arbeit suchende Menschen an. Sie waren froh, überhaupt eine Beschäftigung zu finden, auch wenn der Lohn gering war. Unter den Beschäftigten waren viele Frauen und Kinder, weil sich diese mit noch niedrigeren Löhnen als die erwachsenen männlichen Arbeiter begnügten.
Die Unternehmer, das Bürgertum, die Kirchen und die Wissenschaft verhielten sich bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein gegenüber der sozialen Not der Industriearbeiter gleichgültig. Man sah weder in einer Arbeitszeit bis zu 16 Stunden noch in den niedrigen Löhnen einen Missstand. Man betonte im Gegenteil den erzieherischen Wert dieser Arbeit. Die große Mehrzahl der Unternehmer befürchtete, dass staatliche Arbeitsschutzgesetze die Konkurrenzfähigkeit gegenüber anderen Ländern beeinträchtigen würden. Die Regierungen der deutschen Staaten verhielten sich im Hinblick auf die von der Fabrikarbeit ausgehenden Gefahren weiter abwartend, obgleich die negativen Auswirkungen der Arbeitsbedingungen in den Fabriken auf die dort Beschäftigten bekannt waren. Der preußische Staatskanzler von Hardenberg sandte bereits am 5.9.1817 an die Oberpräsidenten der Provinzen Schlesien, Brandenburg, Sachsen, Westfalen und Rheinland einen Erlass, in dem er Vorschläge zur Verbesserung der Lage der Arbeiter und besonders der arbeitenden Kinder anforderte (SIMONS, 1984, S. 12). Die Antworten der Oberpräsidenten waren sehr unterschiedlich und spiegelten das ganze Spektrum der wirtschafts- und sozialpolitischen Auffassungen der damaligen Zeit wider, die von der Forderung nach staatlichen Eingriffen zugunsten der Arbeiter bis zur Meinung, der herrschenden liberalen Doktrin durch Verwirklichung der Wirtschaftsfreiheit zu folgen und die Entwicklung sich selbst zu überlassen, reichten (GLADEN, 1974, S. 12 ff.).
Die mit der Fabrikarbeit verbundenen sozialen Probleme bündelten sich in der Frage der Kinderarbeit. Die zunehmende Arbeitsteilung in der industriellen Produktion hatte die technischen Voraussetzungen für den weit verbreiteten Einsatz von Kindern geschaffen (KAUDELKA, 1994a, S. 143 f.). Die Anforderungen an die Qualifikation und die Muskelkraft waren unter die des Handwerks gesunken. Zudem hatte sich seit dem 18. Jahrhundert die Einstellung zu Armut, Bettelwesen und Kinderarbeit stark verändert: Aus staatspolitischen und pädagogischen Motiven wurde eine Erziehung zur Arbeit in Armenschulen sowie in Arbeits- und Waisenhäusern mit dem Ziel befürwortet, „durch das Prinzip 'Hilfe zur Selbsthilfe" den moralischen Wert der Arbeit (und des Schulbesuchs) zu verdeutlichen, damit Müßiggang, Armut und Bettel entgegenzuwirken und so letztlich die kommunale Armenversorgung zu entlasten.“ (ebd., S. 144).
Der Druck der Öffentlichkeit auf die Verwaltung, aus humanitären Gründen Maßnahmen gegen die verbreitete Kinderarbeit zu ergreifen, nahmen jedoch durch Berichte über den Umfang und die Art der Kinderarbeit zu. Der preußische Unterrichtsminister von Altenstein[3] hatte durch Zirkularverfügung vom 26. Juni 1824 ausführliche Berichte über den Umfang der Kinderarbeit angefordert. Die aufgrund der Zirkularverfügung beim Unterrichtsministerium eingehenden Berichte vermittelten ein erschütterndes Bild über die Kinderarbeit. Zehntausende von Kindern mussten unter schlechtesten Umgebungsbedingungen, bei unzureichender Kost und gegen geringen Lohn bis zu 14 Stunden täglich arbeiten. Die Kinder waren oft noch keine sechs Jahre alt, wenn sie eine Tätigkeit in einer Fabrik aufnahmen. Kinder wurden nicht nur in Spinnereien, in Woll- und Tuchfabriken, sondern auch in Nähnadelfabriken, Bronzefabriken, Schnallenfabriken, Papierfabriken, Gerbereien, Steingutfabriken, in Eisengießereien, in Bergwerken, kurz in allen wichtigen Fabrikationsbereichen beschäftigt (ANTON, 1953, S. 19 ff.). Die Regierung von Arnsberg hatte einen der gründlichsten Berichte verfasst. Dieser Bericht vom 28. April 1825, der typisch für Gebiete mit gleicher industrieller Entwicklung in Preußen war, beschrieb die Lage der Fabrikkinder nach Kreisen getrennt. Über die Verhältnisse im Kreise Iserlohn wurde Folgendes berichtet:
„Fast den ganzen Tag, oft bis spät in die Nacht, waren sie in dumpfe, enge Stuben und Werkstätten eingesperrt, wo sie, meist sitzend beschäftigt, besonders im Herbst und Winter verpestete Luft einatmeten. Hier waren sie Augen- und Ohrenzeugen grober unsittlicher Reden und Handlungen der Erwachsenen, hatten oft mehrmals im Laufe des Tages die härtesten Mißhandlungen zu erdulden. Ihre magere Kost beschränkte sich hauptsächlich auf Kartoffeln mit Salz und Wasser, Kartoffelkuchen in Rüböl gebacken und Zychorienbrühe; im Sommer stahlen sie sich unreifes Obst und Hülsenfrüchte dazu.“ (ANTON, 1953, S. 25).
Arbeitsschutz ist so alt wie die menschliche Arbeit selbst. Seine Bedeutung und auch seine Brisanz seit der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert und den damals einsetzenden irreversiblen politisch-gesellschaftlichen Wandlungsprozessen nahmen in einem Maße zu, die eine deutliche Zäsur zur Vergangenheit zu setzen berechtigt erscheinen lässt (KAUDELKA, 1994a, S. 143). In erster Linie ist es die Industrialisierung, in deren Zuge die Fabrikarbeit zunehmend an Bedeutung gewann, die den Arbeitsschutz seitdem so stark thematisierte. Das Regulativ von 1839 steht am Anfang der Arbeitsschutzrechtsetzung in Deutschland. Den Hintergrund für die beginnende Regelung des Schutzes der Arbeitnehmer bildete der Übergang von der handwerklichen Produktion zur Mechanisierung unter Verwendung von kraftbetriebenen Maschinen in Kleinbetrieben und zunehmend in Großbetrieben, den allerdings nicht definierten „Fabriken“ sowie die damit verbundene Entstehung der Arbeiterschaft als neuer sozialer Klasse (WEINMANN, 2003, S. 10).
Staatliche Eingriffe wurden durch die Industrialisierung notwendig. Die Schutzgesetzgebung folgte zunächst der zunehmenden Industrialisierung zögernd. Es gab kein systematisches Vorgehen oder ein konsequentes und umfassendes Gesetzeswerk, sondern es wurde empirisch vorgegangen. Den jeweils gröbsten Missständen wurde mit Gesetzen oder erweiterten Teilgesetzen begegnet (JENSS, 1977, S. 117). Beispiel Jugendliche: Zunächst gab es eine grenzenlose Ausnutzung jugendlicher Arbeitskraft, bis schließlich schrittweise immer bessere Schutzgesetze entstehen. Es werden beträchtliche „Latenzzeiten“ zwischen arbeitsmedizinisch indizierten oder sozialpolitisch motivierten Forderungen und deren Verwirklichung in ihrem jeweiligen Bedingungsrahmen deutlich (ebd., S. 47). Das Aufspüren möglicher gesundheitlicher Risiken ist geprägt vom Streben nach Kausalitätsbeweisen, bevor eine staatliche Norm überhaupt erwogen wird. Insoweit vergeht teilweise viel Zeit, bis der Gesetzgeber konkrete Forderungen stellt.
1.2 Arbeitsschutz ist verknüpft mit Werten in der Gesellschaft sowie wirtschaftlichen Entwicklungen
Arbeitsschutz kann nicht einseitig aus Zusammenhängen zur Technikentwicklung gesehen werden. Zu beachten ist die Rolle des Menschenbildes. Erfordernisse des Arbeitsschutzes entwickelten sich insbesondere aus Grundeinstellungen zum Menschen.
In der Antike fanden körperliche Tätigkeiten nur wenig Anerkennung. Zur Wohlstandsmehrung und zum Fortbestehen der hierarchisch geordneten Gesellschaften war zwar körperliche Arbeit notwendig. Sie schadete jedoch der Gesundheit, führte zum frühzeitigen Kräfteverschleiß und werden daher - soweit es möglich war - Sklaven und Kriegsgefangenen überlassen (WEBER, 1988, S. 30).
Die soziale Geringschätzung der Menschen, die körperliche Tätigkeiten verrichteten, kommt in den folgenden von Xenophon überlieferten Worten des Philosophen Sokrates zum Ausdruck:
„Die mechanischen Künste (Handwerker) werden gesellschaftlich verachtet. Sie können die Kräfte der damit Beschäftigten zerstören, etwa durch sitzende oder innerhäusliche Tätigkeit oder durch ganztägige Tätigkeit am Feuer. [...] Diese körperliche Belastung führt zu einer Verkümmerung der Seele. Es fehlt den Handwerkern auch die Zeit, freundschaftliche und bürgerliche Pflichten zu erfüllen. Infolgedessen gelten sie als schlechte Bürger, und in einigen Städten ist es für einen Bürger, vor allem zu Kriegszeiten, nicht erlaubt, mit einem Handwerker verbunden zu sein.“ (Xenophon Oeconomicus IV, 2,3 - zit. nach WEBER, 1988, S. 30).
Die Einstellung zur körperlichen Arbeit änderte sich grundlegend durch den Einfluss der christlichen Kirche, die gerade auch die unteren Schichten ansprach. Körperliche Arbeit wurde als selbstverschuldete Mühsal des Menschen als Folge des Sündenfalls, aber auch als göttlicher Auftrag verstanden, hergeleitet aus der Forderung der Bibel, der Mensch solle sich die Erde untertan machen. Die Ordensregel des Benediktinerordens (gegründet 529) „ora et labora“ (bete und arbeite) beeinflusste nachhaltig die Entwicklung der europäischen Ständegesellschaft zur Arbeitsgesellschaft. Es waren auch Mönche, die der in der Spätantike nur vereinzelt genutzten Wasserkraft durch konsequenten Einsatz von Wasserrädern als Antrieb von Maschinen zum Durchbruch verhalfen und zusammen mit der Mühlentechnologie das mittelalterliche Wirtschaftsleben dynamisierten. Aber auch aus dem Mittelalter gibt es wenig Quellen, aus denen entnommen werden kann, wie man die aus neuartigen Produktionstechnologien verursachten Sicherheitsprobleme löste. Im Jahr 1329 streikten die Gürtlergesellen (Messingschlosser) von Breslau um bessere Arbeitsbedingungen. Die Frankfurter Leineweberordnung beschränkte 1430 die Arbeitszeit und verbot die Nachtarbeit.
Seit dem 14. Jahrhundert gab es besondere Bedingungen zum Bau des Kölner Doms. Das betraf nicht nur die Sorge bei Krankheit und Tod, wenn man Mitglied der Domhütte war. Auch Unfallvorsorge wurde getroffen:
„Die Gerüste waren ordnungsgemäß zu sichern, die Arbeiter hatten sich anzuleinen. Steinmetze trugen ein Holzbrett mit Sehschlitz vor dem Kopf, damit ihnen nichts in die Augen fliegen konnte, andere hängten sich ein schleierartiges Netz mit gleicher Funktion vors Gesicht. Schwämme oder feuchte Tücher banden sich die Dachdecker vor Mund und Nase, um sich vor den giftigen Dämpfen zu schützen, die heißes Blei verströmt.“ (BREUERS, 1999, S. 125).
Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts trat eine entscheidende Wende hin zur christlichen Sozialpolitik durch den Mainzer Bischof Wilhelm von Ketteler (1811-1877) ein. Er verlagert das Schwergewicht von einer praktisch-karitativen Fürsorge auf die Erstellung einer neuen Gesellschaftslehre. Er wollte ein kooperatives System, um eine Versöhnung zwischen den Fronten der Unternehmer und Arbeiter herbeiführen zu können. Auf der Fuldaer Bischofskonferenz im September 1869 entstand unter seiner Führung ein katholisch-soziales Reformprogramm, zu dessen Hauptpunkten neben der Sozialversicherung auch der öffentliche Arbeiterschutz gehörte (BRUSATTI, HAAS, POLLAK, 1962, S. 30). Glaubenslosigkeit und Skepsis bei der Masse der Arbeiter waren schon so tief verwurzelt, dass die christlichen Soziallehren kaum mehr aufgenommen wurden. Auch war man innerhalb des katholischen wie auch des protestantischen Klerus nicht sogleich bereit, sich in das Problem der Sozialpolitik zu vertiefen. Im protestantischen Bereich war es Victor Aime Huber (1800-1869), der ähnliche Thesen wie Ketteler vertrat.
Auch die Kirchen thematisieren die soziale Situation der Arbeiter in der sich schnell entwickelnden Industriegesellschaft. Sie forderte nicht nur die Unternehmer auf, einen besseren betrieblichen Gesundheitsschutz für die Arbeitnehmer zu gewährleisten, sondern wandten sich auch an den Staat, mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln dafür zu sorgen, dass die Arbeitsbedingungen in den Betrieben verbessert werden und die Menschenwürde der Arbeitnehmer gewahrt wird (POTTHAST, 2006). Auf katholischer Seite machte sich vor allem der Mainzer Bischof Wilhelm Emmanuel von Ketteler mit seinem entschiedenen Eintreten für die wirtschaftlich und sozial benachteiligte Arbeiterschaft weit über die Kirche hinaus einen Namen.
Insbesondere die Bemühungen der katholischen Kirche um die Arbeiterschaft, die von der Zentrumspartei unterstützt wurden, beobachtete Bismarck ebenso aufmerksam wie misstrauisch und leitete daraus sogar die Bereitschaft ab, mit sozialistischen Kräften zu paktieren (GALL, 1981, S. 477).
Papst Leo XIII erließ 1891 seine Enzyklika Rerum Novarum „Über die Arbeiterfrage". Der Papst weist der Kirche die Aufgabe zu, die Konflikte der Gesellschaftsklassen zu versöhnen, nach sozialer Gerechtigkeit zu streben und in allen Christen die Verpflichtung lebendig zu halten, Gott durch Achtung vor den Rechten der Mitmenschen zu dienen. Ein Arbeitsschutzbezug wird erkennbar in Punkt 17 der Enzyklika, in dem es u. a. heißt:
„Die Pflichten, die hinwieder die Besitzenden und Arbeitgeber angehen, sind die nachstehenden: Die Arbeiter dürfen nicht wie Sklaven angesehen und behandelt werden; ihre persönliche Würde, welche geadelt ist durch die Würde der Christen, werde stets heiliggehalten; Arbeit und Erwerbssorgen erniedrigen sie nicht, [...] unehrenvoll dagegen und unwürdig ist es, Menschen bloß zu eigenem Gewinne ausbeuten und sie nur so hoch anschlagen, als ihre Arbeitskräfte reichen.“ Und weiter in Punkt 34: „Gesetzt, der Arbeiter beugt sich aus reiner Not oder um einem schlimmeren Zustande zu entgehen, den allzu harten Bedingungen, die ihm nun einmal vom Arbeitsherrn oder Unternehmer auferlegt werden, so heißt das Gewalt leiden, und die Gerechtigkeit erhebt gegen einen solchen Zwang Einspruch. Damit aber in solchen Fragen, wie diejenige der täglichen Arbeitszeit für die verschiedenen Arbeitsarten und diejenigen der Schutzmaßregeln gegen körperliche Gefährdung zumal in Fabriken, die öffentliche Gewalt sich nicht in ungehöriger Weise einmische, so erscheint es in Anbetracht der Verschiedenheit der zeitlichen und örtlichen Umstände durchaus ratsam, jene Fragen vor die Ausschüsse zu bringen
[...] oder einen anderen Weg zur Vertretung der Interessen der Arbeiter einzuschlagen, je nach Erfordernis unter Mitwirkung und Leitung des Staates.“ (zit. nach BRUSATTI, HAAS, POLLAK, 1962, S. 188 u. S. 197).
Erst mit Beginn der Neuzeit Mitte des 15. Jahrhunderts wurden die Gesundheitsgefahren bei körperlichen Tätigkeiten zum Gegenstand öffentlichen Interesses. Die wachsende Kenntnis über die Beeinträchtigung der Gesundheit bei den unterschiedlichen beruflichen Tätigkeiten fand in zahlreichen Schriften, die sich zum Teil durch eine für die damalige Zeit erstaunliche Detailkenntnis auszeichneten, ihren Niederschlag. In dem Hauptwerk des Arztes und Humanisten Georgius Agricola (14941555) „Zwölf Bücher über das Berg- und Hüttenwesen“ sind vielfache Hinweise für den Arbeitsschutz enthalten (PRESCHER, 1985). So empfiehlt er, zum Schutz vor abspringendem Gestein Handschuhe, Gesichtsmasken und Beinkleider zu tragen. In seiner Schrift „Bermannus“ (1530) setzte er sich ausführlich mit den gesundheitlichen Gefahren im Hüttenbereich bei der Rohstoffaufschließung und Metallgewinnung auseinander.
Noch intensiver beschäftigte sich Theophrastus Bombastus von Hohenstein, genannt Paracelsus (1493-1541), mit den Erkrankungen im Hüttenwesen. In seiner Schrift „Von der Bergsucht und anderen Berufskrankheiten“ (um 1530) beschreibt er u. a. die von Blei und Quecksilber ausgehenden Gefahren (SKIBA, 2000, S. 15). Der italienische Arzt Bernardino Ramazzini (1633-1714), der als Begründer der Arbeitsmedizin gilt, beschränkte seine gewerbepathologischen Untersuchungen nicht nur auf den Bergbau und das Hüttenwesen, sondern erfasste alle Gewerbezweige. Mit seinem Hauptwerk „Über die Krankheiten der Handwerker und Künstler“ (De morbis artificum diatriba, 1700) wies er auf den Zusammenhang zwischen der ausgeübten Tätigkeit und Schädigungen der Gesundheit in über 40 Berufssparten hin. Johann Christian Gottlieb Ackermann (1756-1801) überarbeitete diese Schrift und erweiterte sie durch eigene Untersuchungen (1780/1783). So beschrieb er die Entstehung von Gewerbekrankheiten aus der Arbeit in schmutziger Umgebung u. a. bei Gerbern, Färbern, Seifensiedern, Lichtziehern, Fleischern, Totengräbern, Kloakenfegern und Wäscherinnen. Er wies ferner auf die Erkrankungen durch Zwangshaltungen u. a. bei Webern, Strumpfwirkern, Tuchscherern, Schustern, Schneidern und Trägern sowie auf die gesundheitlichen Gefährdungen durch Stäube u. a. bei Bäckern, Müllern, Perückenmachern, Getreidesiedern, Tabakarbeitern und bei Hechlern von Seide, Wolle, Flachs und Hanf hin. Auch die körperliche Überlastung bei bestimmten Tätigkeiten in ungesunden Arbeitsstätten, wie beispielsweise bei den Badern und Salzarbeitern untersuchte Ackermann.
Die Situationsanalysen Ackermanns spiegelten die Anfänge der kapitalistischen Fabrikproduktion wider und zeigen deutlich, dass schon lange vor der sog. Industriellen Revolution mit ihren Elendserscheinungen schlechte Arbeitsbedingungen an vielen Arbeitsplätzen entstanden waren, die staatliches Handeln dringend erfordert hätte. Doch der Analyse der Arbeitsbedingungen durch engagierte Ärzte und Philanthropen folgten keine Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitssituation. Der Staat kümmerte sich im ausgehenden 18. Jahrhundert kaum um die Arbeitsbedingungen in Manufakturen und Fabriken, „dafür aber mit polizeilicher Hilfe und über die Armengesetzgebung um die Kontrolle der Hygiene in den Wohnungen um so stärker.“ (WEBER, 1988, S. 60).
HIEN (2002, S. 18) macht aufmerksam, dass unsere Kultur das Ergebnis eines Zivilisationsprozesses ist, dessen Ursprünge nicht nur im Okzident, sondern auch im Orient zu suchen sind. Hien bezieht sich auf die Auseinandersetzung der frühen jüdischen und jüdisch-christlichen Kultur mit der Sichtweise der griechischen Antike, nach der sich Arbeit und freies bürgerliches Leben gegenseitig ausschlossen. Das Leben des Sklaven oder Handwerkers war ganz selbstverständlich mit schwersten Gesundheitsschäden und einem frühen Tod assoziiert.
Die jüdisch-christliche Auffassung konnte das nicht akzeptieren und postulierte die naturrechtliche Gleichheit aller Menschen. „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen!“ ist das berühmte Pauluswort, das freilich in den darauf folgenden 2.000 Jahren in ganz unterschiedlicher Weise interpretiert wurde. Es richtete sich nicht nur gegen reiche Gesellschaftsschichten, sondern auch gegen chronisch erkrankte und behinderte Menschen.
Die Alltagskultur des Mittelalters legt davon genauso Zeugnis ab wie spätere, sich im Industrialisierungsprozess etablierende sozial- und gesundheitspolitische Praktiken. KOCKA (2002, S. 6) macht darauf aufmerksam, dass die jüdisch-christliche Religion in ihrem Verständnis von Arbeit Ambivalenzen hervorgerufen hat, Arbeit als Fluch und Segen, zugleich als Strafe und göttlicher Auftrag. Je mehr Arbeit als Lebenssinn verstanden wurde etablierte sich der Arbeitsschutz als Anforderung.
Als konkretes Beispiel soll die Diskussion in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts dienen.
Vor dem Ersten Weltkrieg ging es im Arbeitsschutz immer um die Frage des Gesundwerdens der Erwerbstätigen. OTT-GERLACH (1988b, S. 17) konstatiert für die zwanziger Jahre dann eine verstärkt hinzukommende Dimension, nämlich die der Gesunderhaltung der Frau im Beruf damit also eine Verstärkung vorbeugender Aktivitäten. Ein umfangreicher Katalog an Vorschlägen und Forderungen dieser Zeit richtete sich direkt an die Frau, in deren Mittelpunkt die Bestrebungen zur aktiven Teilnahme an diesem Prozess standen. Die öffentliche Gesundheitsfürsorge „von oben“ sollte ergänzt und wirksam werden durch eine bewusste Eigenbeteiligung der Frauen. Die hauptsächliche Stoßrichtung dieser breit angelegten Kampagne kann man mit dem Begriff der „Volksgesundheit“ angeben. Dieses schon vor 1914 geprägte Schlagwort bekam damals eine große Durchschlagskraft. Zu dem engeren Begriff der gesundheitlichen Hygiene trat hier die alte Vorstellung von der Intaktheit der Familie als Garant eines gesunden Volkswesens. Die erste Phase der Arbeitszeitverkürzung vor dem Ersten Weltkrieg stand hauptsächlich unter gesundheitlichen Erwägungen. Erst mit der Einführung des Achtstundentages im Jahre 1918 wurden dann andere Zielsetzungen möglich.
Der australische Soziologe Elton Mayo (1880-1949) ging vom Menschen als soziales Wesen („human relations“) aus. Nach seiner Lehre wird der Mensch vorwiegend von sozialen Bedürfnissen motiviert und gewinnt sein Identitätsbewusstsein aus der Beziehung zu seinen Mitmenschen. Der Mensch reagiert stärker auf die sozialen Kräfte, die im Mitarbeiterkreis wirksam werden, also auf Anreize durch Managementkontrollen. Mayo setzte sich dementsprechend im Gegensatz zu Taylor für bessere soziale Beziehungen der Menschen im Arbeitsprozess ein. Schrittweise entwickelten sich durch diese Auffassung auch entsprechende betriebliche Organisationsformen.
Stets spielten in diesen Zusammenhängen auch wirtschaftliche und generelle gesellschaftliche Überlegungen eine Rolle. Die ersten Aktivitäten zur Begrenzung von Kinderarbeit und Schutz von Jugendlichen sind untrennbar mit seinerzeit deutlichen Problemen der Rekrutierung einsatztauglicher Soldaten verbunden. Der im 19. Jahrhundert erfolgende Übergang vom Agrarstaat zum Industriestaat brachte Anpassungserfordernisse. Neben zunehmender Mechanisierung war diese Entwicklung auch mit wachsendem Bedarf an Arbeitskräften verbunden. Dies führte zu einer extremen Belastung der Industriearbeiter mit täglichen Arbeitszeiten bis zu 16 Stunden und verbreitet zu hoher körperlicher Schwerarbeit. Die Beschäftigung von Kindern in einer Reihe von Arbeitsbereichen war eine der damals gezogenen Konsequenzen. Es ist eine zunächst grenzenlose Ausnutzung jugendlicher Arbeitskraft zu konstatieren. In der Folge zeigten sich gravierende negative Auswirkungen auf die Gesundheit der arbeitenden Menschen. Grund war die hohe Untauglichkeitsquote unter den jungen Männern, vor allem aufgrund der Kinderarbeit. Schließlich folgten daraufhin 1839 mit dem „Regulativ über die Beschäftigung jugendlicher Arbeiter in Fabriken“ das Beschäftigungsverbot für Kinder unter 9 Jahren und die Beschränkung der Arbeitszeit für Jugendliche unter 16 Jahren auf 10 Stunden täglich (MARSCHALL, BRANDENBURG, GRIMM, 1989, S. 6).
Die fortschreitende Industrialisierung war gekoppelt mit der Ausbildung der kapitalistischen Produktionsweise - hiermit verbunden eine tief greifende Veränderung des Verhältnisses zwischen Unternehmer und abhängig Arbeitenden. Die freie Disponierbarkeit des Unternehmers über den Arbeiter wurde für dieses Verhältnis konstitutiv (JENSS, 1977, S. 48). Auf dem Boden der Gewerbefreiheit und der freien Konkurrenz war der so genannte freie Arbeitsvertrag entstanden. Die faktische Ungleichheit der Verhältnisse zwischen Arbeitgeber und abhängigem Arbeiter war ein entscheidender Ausgangspunkt für den Eingriff des Staates und dem schrittweisen Ausbau von Schutzbestimmungen. Die Arbeitskraft war freilich nicht unbegrenzt ausnutzbar, sondern die natürlichen Reproduktionsbedingungen bestimmten das Ausmaß der Nutzung der Arbeitskraft. Aus der zunächst endlosen Verlängerung des Arbeitstages resultierte der frühzeitige Verschleiß der Arbeitskraft, die Zerstörung der Gesundheit der Jugendlichen und der älteren Arbeiter. Diese Tatbestände und der später beginnende Widerstand der Arbeitenden selbst zwangen zu staatlichen Eingriffen in den „freien Arbeitsvertrag“. Die aufeinanderprallenden Interessen von Arbeitgebern und Arbeitern mussten letztlich durch staatliche Eingriffe zur „Neutralisierung der Forderungen“ führen - wie JENSS (1977, S. 49) das formulierte. Die gewerkschaftliche und politische Arbeiterbewegung wurde zu einer wesentlichen Antriebskraft der Intensivierung des Arbeitsschutzes.
NAHNSEN (1975, S. 160 ff.) wendet sich gegen einen einseitigen Bezug zur Technikentwicklung. Sie konstatiert Zusammenhänge zu Krisentendenzen und Arbeitslosigkeit.
So bringt sie die Aktivitäten im Arbeitsschutz von 1839 bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts in Verbindung mit wirtschaftlichen Umstrukturierungen, sinkenden Reallöhnen und Arbeitslosigkeit. Auch die dann folgenden Arbeitsschutzaktivitäten zeigen Zusammenhänge mit den bis tief in die neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts hineinreichende Aufbau- und Umstrukturierungsprozesse, die mit technologischem Fortschritt, großbetrieblicher Entwicklung, Ausbau der Grundstoff- und Investitionsgüterindustrie, Konzentrationsbewegung sowie Vordringen auf dem Weltmarkt verbunden sind. Deutschland erreicht um diese Jahrhundertwende den Rang einer vollindustrialisierten Weltwirtschaftsmacht. Ähnlich die Arbeitsschrittfortschritte in der Zeit der Weimarer Republik. Die Weimarer Verfassung mit den Inhalten zum Arbeitsschutz, Arbeitszeit und Mutterschutz entstand in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit. Mit dem Aufschwung von 1927 setzte eine bedeutende Rationalisierungsund Konzentrationswelle ein - und nachhaltige neue Arbeitsschutzaktivitäten gab es danach nicht mehr. NAHNSEN (1975, S. 164) schlussfolgerte, dass
„Innovationsperioden des Arbeitsschutzes in Deutschland [...] regelmäßig in Zeiten der Krise und der Arbeitslosigkeit ihren Ausgang genommen haben und sich über Zeiträume erstrecken, in denen sich Prozesse der wirtschaftlichen Neuorientierung durchsetzen. [...]
Innovationsperioden des Arbeitsschutzes scheinen ein Begleitphänomen struktureller Umstellungsphasen in der wirtschaftlichen Entwicklung des Kapitalismus zu sein - so jedenfalls in Deutschland. Indem die alten Strukturen an ihre Grenzen stoßen, entstehen Krise und Arbeitslosigkeit, äußerste Anspannung alter Arbeitsformen steigert die Gefährdung der Regenerationsfähigkeit der Arbeitskraft. Ihr weiterhin verfügbares Potential ist jedoch Bedingung für die Entfaltung der neuen Struktur, welche selbst neue Gefährdungen schafft und ins Bewusstsein bringt. So entsteht eine Situation, in der sich die Interessen von Arbeit und Kapital einander nähern. Geht es letzterem um die Erhaltung eines ausreichenden Reservoirs leistungsfähiger Arbeitskraft, so geht es ersterer notwendigerweise darum, der eigenen Verelendung entgegenzuwirken. Arbeitsschutzforderungen finden so vergleichsweise günstige Bedingungen für ihre Durchsetzung.“
Staatlicher Arbeitsschutz hat seine Wurzel auch in den Wandlungsprozessen der Wirtschaft und Gesellschaft, nämlich die Schaffung von Gewerbefreiheit ab 1810. Hiermit war Verlust an sozialer Sicherheit verbunden. Die Entstehung des staatlichen Arbeitsschutzes ist Folge dieses Wandlungsprozesses und eine Reaktion des Staates auf die neuen Arbeitsformen (HAGEMEYER, 2004, S. 2). Und auch in der jüngsten Geschichte gibt es hierfür Belege.
Die Bedrohung der Gesundheit bei der Arbeit ist insbesondere seit Beginn des 19. Jahrhunderts durchaus wirtschaftlich und politisch thematisiert worden, sehr wohl aber auch ethisch, religiös und sozial begründet (KAUDELKA, 2003, S. 5). Erste Ansätze der Erkenntnis, dass der Mensch ein moralisches Recht auf die Erhaltung seiner Gesundheit hat und der Staat die Pflicht hat, dieses zu beachten und zu fördern gehen auf den Erzbischof von Cambrai, Francois del la Mothe-Fenelon (1651-1715) zurück (JANSEN, HAAS, 1991, S. 15).
Die Entwicklung des Arbeitsschutzes während des Ersten Weltkrieges wurde bestimmt durch die Erfordernisse der Kriegswirtschaft. Die Produktion kriegswichtiger Güter, die Bereitstellung von Transportkapazitäten und die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln und Heizmaterial hatten Priorität. Die zum Kriegsdienst einberufenen Männer ließen leere Arbeitsplätze zurück, die zu einem großen Teil von Frauen und Jugendlichen besetzt werden mussten. Das Gesetz über Ausnahmen von Beschäftigungsbeschränkungen gewerblicher Arbeiter vom 4.8.1914 (RGBl. S. 333) ermächtigte den Reichskanzler, für bestimmte Bezirke und bestimmte Arten von Betrieben Ausnahmen von den Arbeitsschutzvorschriften zu gewähren.
Der Krieg brachte zwar auch gewisse Erweiterungen des Arbeitsschutzes. Es waren jedoch keine sozialpolitischen Gründe, die zu einer Ausdehnung des Arbeitsschutzes führten, sondern Überlegungen zur Streckung der vorhandenen Vorräte (SYRUP, NEULOH, 1957, S. 111). So wurde am 5.1.1915 das Nachtbackverbot (RGBl. S. 8) und am 12.8.1915 die Arbeitszeit im Spinnstoffgewerbe eingeschränkt (RGBl. S. 495) sowie am 11.12.1916 der Ladenschluss um 19:00 Uhr eingeführt (RGBl. S. 1355).
Alle kriegsbedingten Einschränkungen des Arbeitsschutzes wurden nach Beendigung des Ersten Weltkrieges wieder aufgehoben. In der Weimarer Republik entstanden durchaus Umrisse eines Wohlfahrtsstaates. Es entstanden in dieser Zeit eine Reihe von Ansätzen und Überlegungen auch zum Arbeitsschutz.
Zielte staatliche Sozialpolitik in der Zeit des Nationalsozialismus auch noch so sehr auf sozialpolitische Entwicklung, wurde sie zu einem politischen Instrument, das vor allem dazu diente, der Arbeiterschaft ein Maximum an Arbeitsleistung zur Steigerung der Rüstungsproduktion abzuverlangen (GLADEN, 1974, S. 113).
1.3 Charakteristisch ist die wachsende Institutionalisierung und Professionalisierung des Arbeitsschutzes
Seit dem 18. Jahrhundert wurde der Arbeitsschutz institutionalisiert und in der Folge setzte eine zunehmende Professionalisierung ein. Dies erfolgte vor dem Hintergrund: Arbeitsschutzmaßnahmen mussten und müssen gesellschaftspolitisch durchgesetzt werden, d. h., es mussten verbindliche Regelungen eingeführt und ihre Beachtung sichergestellt werden.
In diesem Kapitel geht es um zwei Aspekte:
Entstehung der Überwachung der Gewährleistung von Sicherheit und Gesundheit der unterschiedlichen Beschäftigten durch entsprechende Institutionen Erste Schritte zur Herausbildung von wissenschaftlichen Grundlagen sowie der Beginn des Einsatzes von Werksärzten und Sicherheitsingenieuren Zum ersten Aspekt: Herausbildung von Institutionen des Arbeitsschutzes.
So ist die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Aufbauphase staatlichen Arbeitsschutzes, der ein schrittweiser Ausbau folgt. Arbeitsschutz ist hierbei einerseits Stifter des sozialen Friedens. Andererseits ist Arbeitsschutz auch bei aller Professionalität im Dienste wirtschaftlicher Interessen oder - in der Zeit des Nationalsozialismus - auch unter starker Vernachlässigung von Erkenntnissen im Dienste der Politik verankert. Institutionalisierung entsteht also auch aus Konflikten in der Gesellschaft und wird auch politischen Machtverhältnissen untergeordnet. Politik hat das Primat, je nach Grundverständnis wirkt sie positiv oder auch negativ auf den Arbeitsschutz.
Ein Grundstein wurde mit dem Preußischen Regulativ 1839 gelegt. Es ging insbesondere um ein Verbot der Beschäftigung von Kindern in Fabriken vor dem vollendeten 9. Lebensjahr. Die Arbeitszeit der Jugendlichen wurde eingeschränkt und deren Nachtarbeit untersagt. Das Regulativ hatte aber noch zahlreiche Mängel und Schwächen. Zum Betriebs- und Gesundheitsschutz enthielt es lediglich eine Ermächtigung zum Erlass von Vorschriften. Der schwerste Mangel war das Fehlen einer speziellen staatlichen Institution, die über Einhaltung der Bestimmungen des Regulativs von 1839 wachte (ANTON, 1953, S. 192 ff.; DEUTSCHBEIN, VOGLER, 1954, S. 20-21; DÜWELL, 1989, S. 233 ff.). Die Aufsicht lag in den Händen der Ortspolizeibehörden, denen es aber an der hinreichenden Sachkunde fehlte und deren Unabhängigkeit von den Fabrikanten nicht immer gewährleistet war. Dennoch gelang mit dem Regulativ ein entscheidender sozialpolitischer Durchbruch. Es war der erste staatliche Eingriff in die unternehmerische Tätigkeit zum Schutze der Arbeiter und damit der erste Rechtsetzungsakt auf dem Gebiet des Arbeiterschutzes (NAHNSEN, 1975, S. 145). Es wird deshalb auch als „Urgesetz des deutschen Arbeiterschutzes“ bezeichnet. Das Regulativ markiert insofern einen politischen Wendepunkt, weil der preußische Staat seine wirtschaftsliberale „Nachtwächterrolle“ zugunsten einer Politik der sozialen Verantwortung mit einem ersten Schritt veränderte. Die Arbeitsbedingungen waren nicht mehr länger ausschließlich Sache der Unternehmen, sondern unterlagen erstmals staatlichen Regelungen (KAMPF FÜR EINE BESSERE ARBEITSWELT, 2003, S. 9). Mit diesem Gesetz leitete Preußen die staatliche Sozialpolitik in Deutschland ein. Fast 22 Jahre waren vergangen, seit Hardenberg[4] die Initiative ergriffen hatte, die Lage der Arbeiter und vor allem der arbeitenden Kinder in Preußen zu verbessern. Trotz aller Begrenztheit seiner Regelung war das Regulativ ein Meilenstein in der sozialpolitischen Entwicklung. KAUFHOLD (1989, S. 229) weist darauf hin, dass man das Regulativ nicht aus heutiger Sicht beurteilen dürfe, in dem man auf die Selbstverständlichkeit der getroffenen Regelungen hinweist. Das Regulativ müsse vor dem Hintergrund der damals herrschenden liberalen Wirtschaftsdoktrin und der langen und mühsamen, von harten Auseinandersetzungen geprägten Vorgeschichte des Regulativs gewertet werden (siehe auch SIMONS, 1984, S. 14 ff.).
Obwohl sich ein Ausbau der Bestimmungen des Preußischen Regulativs und die Einsetzung einer fachkundigen Arbeitsaufsicht, die auch die Arbeitsbedingungen der erwachsenen Arbeiter überwachte, als dringend notwendig zeigte, erfolgte der Ausbau des Arbeitsschutzes nur in kleinen Schritten. Die Preußische Allgemeine Gewerbeordnung vom 17.1.1845 (GESETZSAMMLUNG FÜR DIE KÖNIGLICHEN PREUSSISCHEN STAATEN, 1978) bestimmte, dass die Ortspolizeibehörde darauf zu achten habe, dass bei der Beschäftigung und Behandlung von Gesellen, Gehilfen und Lehrlingen gebührende Rücksicht auf Gesundheit und Sittlichkeit genommen wird. Diese Vorschrift wurde nicht weiter konkretisiert und hatte nur deklaratorischen Charakter, da der Einfluss der betroffenen Unternehmer auf die Selbstverwaltungsorgane und damit auf die Ortspolizeibehörden zu groß war (SIMONS, 1984, S. 17 f.). Die Unternehmer waren über die Selbstverwaltungsorgane gewissermaßen „Träger der Polizeigewalt in eigener Sache.’’ (DEUTSCHBEIN, VOGLER, 1954, S. 21).
Im Jahre 1845 wurde in Preußen die Genehmigungspflicht für Dampfkesselanlagen eingeführt.
Zuständig für die Genehmigung und Überwachung war wiederum die Ortspolizeibehörde (MERTENS, 1978, S. 24). Ein wichtiger Schritt zum Ausbau des Arbeitsschutzes war die Verordnung vom 9.2.1849 zur Gewerbeordnung (GESETZSAMMLUNG FÜR DIE KÖNIGLICHEN PREUSSISCHEN STAATEN, 1978), die den Schutz vor den Gesundheitsgefahren bei der Arbeit erstmals auf erwachsene Arbeiter ausdehnte, indem die Verpflichtung zur Arbeit an Sonn- und Feiertagen beseitigt wurde. Diese Regelung bedeutete freilich kein öffentlich-rechtliches Verbot dieser Arbeit (KAUFHOLD, 1989, S. 230).
Vorausgegangen waren die Märzunruhen 1848 in fast allen deutschen Staaten, besonders in Preußen.
Das Regulativ von 1839 wurde 1853 über das „Gesetz betreffend einige Änderungen des Regulativs vom 9.3.1839 über die Beschäftigung jugendlicher Arbeiter in den Fabriken” (GESETZ-SAMMLUNG FÜR DIE KÖNIGLICHEN PREUSSISCHEN STAATEN, 1978, S. 225; ANTON, 1953, S. 102 ff.) weiterentwickelt. Es brachte vor allem die fakultative Fabrikinspektion. Es sollten überall dort, wo sich ein Bedürfnis zeigte, besondere „Fabrikinspektoren als Organe der Staatsbehörden” bei den Bezirksregierungen bestellt werden, denen kraft Gesetzes alle amtlichen Befugnisse der Ortspolizeibehörden zustanden.
Diese Fabrikinspektoren sollten die Tätigkeit der ihnen zur Amtshilfe verpflichteten Ortspolizeibehörden kontrollieren. Das Jahr 1853 gilt daher als das Geburtsjahr der Gewerbeaufsicht (100 JAHRE GEWERBEAUFSICHT, 1954).
Obwohl das Regulativ auf den Einsatz von Fabrikinspektoren orientierte, so war doch die Tätigkeit von nur drei Fabrikinspektoren in Preußen mit zahlreichen industriellen Zentren aus heutiger Sicht dürftig (SIMONS, 1984, S. 22). Man muss jedoch bedenken, dass der Aufbau einer auch nur fakultativen Aufsicht angesichts der starken Widerstände der Fabrikanten, aber auch der Gemeindebehörden und zum Teil der Geistlichkeit, einen Kraftakt bedeutete, der erst die spätere Einführung der obligatorischen Fabrikinspektion ermöglichte. Ein Beispiel für Länderregelungen ist eine Instruktion für die Provinz Schlesien (vgl. Abbildung 1.1 - nach MERTENS, 1978, S. 28).
Auch als 1869 eine Weiterentwicklung erfolgte, stießen die Forderungen engagierter Sozialpolitiker nach Einführung der obligatorischen Fabrikinspektion wiederum auf den Widerstand der Liberalen. Als die Forderungen sogar noch dahin erweitert wurden, die obligatorische Fabrikinspektion auf Bundes- statt auf Landesebene zu installieren, waren auch die Interessen der auf die Erhaltung ihrer Kompetenzen sorgsam achtenden Länder berührt, sodass für die Durchsetzung der obligatorischen Fabrikinspektion keine Chance bestand. Es blieb bei der fakultativen Fabrikaufsicht in der Zuständigkeit der Länder (SIMONS, 1984, S. 22 ff.), die sich auch nur auf den Jugendarbeitsschutz bezog.
Die sozialistischen Abgeordneten um August Bebel[5] hatten 1877 ein Reichsinspektorat gefordert, wobei die Reichsinspektoren auf Vorschlag von zu schaffenden paritätisch besetzten Gewerbekammern vom Reichsgesundheitsamt ernannt werden sollten. Dieser Entwurf konnte bei den damaligen Mehrheitsverhältnissen nicht einmal in Ansätzen durchgesetzt werden (JENSS, 1977, S. 79).
Da die bestehende staatliche Aufsicht mit der schnellen technischen Entwicklung nicht Schritt halten konnte, wurden nach der Konstituierung des Vereins der Ingenieure (VDI) 1856 freie Inspektoren für die regelmäßige Überwachung von besonders gefährlichen Anlagen gefordert.
Diese sollten nicht nur den Schutz der Arbeitnehmer und der Bevölkerung sicherstellen, sondern auch die Unternehmer vor den betriebswirtschaftlichen Folgen der damals häufig auftretenden Störfälle, wie z. B. Explosionen von Dampfkesseln, schützen. 1866 entstanden auf Betreiben des VDI die Dampfkesselüberwachungsvereine (DÜV) als Vorläufer der Technischen Überwachungsvereine (TÜV) (DER VDI IM WANDEL, 2006).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1.1 Beispiel einer Dienstanweisung für Fabrikinspektoren von 1872
Der Reichstag nahm im Jahre 1878 die Novelle zur Reichsgewerbeordnung vom 17.7.1878 (RGBl. 1878, S. 207) an. Die wichtigste Regelung dieser Novelle war die Einführung der obligatorischen Fabrikinspektion. Sie löste die bis dahin fakultative Tätigkeit der Inspektoren ab.
Die Reichsregierung - die gegen diese Novelle war - versuchte zunächst, den Geist dieser Novelle dadurch wieder auszuhöhlen, dass die Durchführung des Arbeitsschutzes Beschränkungen unterworfen wurde.
Der Bundesrat beschloss aufgrund eines vom Reichskanzleramt vorbereiteten Entwurfs noch im Jahre 1878 Bestimmungen über die Durchführung des Fabrikinspektionsdienstes „Normen für die Regelung des Dienstes der nach Maßgabe des § 139 b der Gewerbeordnung anzustellenden besonderen Aufsichtsbeamten” (zit. nach SCHAEFFER, 1906, S. 56 ff.). Ziel war, den Fabrikinspektoren die ihnen durch die Novelle reichsrechtlich übertragenen Befugnisse zum Erlass polizeilicher Verfügungen auf dem Verwaltungswege zum Teil wieder zu nehmen.
Danach sollten die Fabrikinspektoren nicht als polizeiliche Exekutivorgane in Erscheinung treten, sondern vielmehr ihre Aufgabe in einer beratenden und vermittelnden Tätigkeit suchen und dabei sowohl den Arbeitgebern als auch den Arbeitern gegenüber eine Vertrauensstellung gewinnen. Diese Grundsätze für die Durchführung des Aufsichtsdienstes bildeten für Jahrzehnte die Grundlage der Aufsichtstätigkeit der Fabrikinspektoren (DEUTSCHBEIN, VOGLER, 1954, S. 22).
Wenn auch die Novelle zur Gewerbeordnung vom 17.7.1878 gegenüber dem früheren Rechtszustand Verbesserungen zugunsten der schutzbedürftigen Arbeiter gebracht hatte, so war auch diese Regelung noch sehr unzulänglich. So gab es in Preußen 1879/80 lediglich 18
Fabrikinspektoren (HAGEMEYER, 2004, S. 2).
Ein neues Kapitel der Institutionalisierung beginnt mit der Unfallversicherung. Durch das Unfallversicherungsgesetz von 1884 wurden im Rahmen der bismarckschen Sozialgesetzgebung die Berufsgenossenschaften eingeführt.
So entschieden Bismarck eine weitergehende offensichtlich erforderliche gesetzliche Regelung des Arbeitsschutzes ablehnte, so konsequent setzte er sich für den Aufbau einer reichsgesetzlichen Unfallversicherung und eine Übertragung weiter Bereiche des Gefahrenschutzes auf die zu bildenden Unfallversicherungsträger ein. Bismarck war der Auffassung, dass die Unfallversicherungsträger das größte materielle Interesse daran hatten, die aus Arbeitsunfällen erwachsenden Versicherungsleistungen durch Überwachung der Betriebe möglichst gering zu halten. Es gelang ihm, einflussreiche Teile der Industrie für seine Überlegungen zu gewinnen. So verfasste Louis Baare[6] 1880 eine Denkschrift „Promemoria betr. Versicherung der Arbeiter gegen Unfälle und Beschädigung während der Arbeit beim Bergbau, bei der Industrie und sonstiger Gewerbetätigkeit sowie bei der Landwirtschaft“.
Baare vertrat in ihr die Ansicht, dass eine wachsende Industrie eine gesunde und zufriedene Arbeiterschaft brauchte. Diese Meinung war in Industriekreisen keineswegs allgemein verbreitet (KAMPF FÜR EINE BESSERE ARBEITSWELT, 2003, S. 20 ff.). Die Initiative von Baare zielte aber ausschließlich auf eine wettbewerbsneutrale, bessere Absicherung der finanziellen Kompensation von Arbeitsunfällen ab, wobei die Prävention keine Berücksichtigung fand.
In der Kaiserlichen Botschaft, mit der am 17. November 1881 Kaiser Wilhelm I. den Reichstag eröffnete (Verhandlungen des Reichstages, V. Legislaturperiode, Erste Session 1881, S. 286 ff.), wurde u. a. auch die Vorlage eines Gesetzentwurfs über die Versicherung der Arbeiter gegen Unfälle angekündigt. Es hieß in der „Kaiserlichen Botschaft“ von 1881 u. a.:
„Aber auch diejenigen, welche durch Alter oder Invalidität erwerbsunfähig werden, haben der Gesamtheit gegenüber einen begründeten Anspruch auf ein höheres Maß an Fürsorge, als ihnen bisher hat zuteil werden können. Für diese Fürsorge die rechten Mittel und Wege zu finden, ist eine schwierige, aber auch eine der höchsten Aufgaben jedes Gemeinwesens, welches auf den sittlichen Fundamenten des christlichen Volkslebens steht.“
Es sollten Pflichtversicherungen eingeführt werden, deren Leistungen von den Arbeitgebern, den Arbeitern und dem Staat zu finanzieren seien. Er sei überzeugt, ließ der Monarch die Parlamentarier wissen, „daß die Heilung der sozialen Schäden nicht ausschließlich im Wege der Repression sozialdemokratischer Ausschreitungen, sondern gleichmäßig auf dem der positiven Förderung des Wohles der Arbeiter zu suchen sein werde.“ (zit. nach FETSCHER, 1999, S. 66).
Neben dem machtpolitischen Kalkül - ein Arbeiter mit Rentenanspruch taugte nicht mehr zum Revolutionär - trieb Bismarck durchaus auch ein christlich-moralisches Motiv zu seiner Sozialreform. Die rücksichtslose Ausbeutung der Arbeiter in den meisten Industriebetrieben jener Zeit hatte soviel Lohnabhängige und deren Familien in Not gebracht, dass Selbsthilfeorganisationen der Arbeiter oder traditionelle Armenfürsorge längst nicht mehr reichten, dem Massenelend zu begegnen. In der Begründung der Gesetzesvorlage zur obligatorischen Unfallversicherung heißt es:
Es sei „eine Pflicht der Humanität und des Christentums, daß der Staat sich in höherem Maße als bisher seiner hilfsbedürftigen Mitglieder annehmen muß.“ (zit. nach FETSCHER, 1999, S. 66).
Nach mehreren Anläufen (HAGEMEYER, 2004, S. 5 ff.; GLADEN, 1974, S. 59 ff.) wurde das Unfallversicherungsgesetz vom 6.7.1884 erlassen (WICKENHAGEN, 1980; LAUTERBACH, WATERMANN, 1996, S. 50 ff.; MERTENS, 1980, S. 17 ff.). Es sah die Bildung von Berufsgenossenschaften nach Industriezweigen als Körperschaften des öffentlichen Rechts vor.
Nach § 2 des Unfallversicherungsgesetzes vom 6. Juli 1884 waren die diesem Gesetz unterstehenden Industriezweige in 55 Berufsgenossenschaften gegliedert; dazu kamen die aufgrund des Ausdehnungsgesetzes von 1885 errichteten zwei Eisenbahn-, drei Binnenschiffahrts-, eine Fuhrwerks-, eine Speditions-, Speicherei- und Kellerei-Berufsgenossenschaft sowie die durch das Bau- und See-Unfallver- sicherungsgesetz von 1887 errichtete Tiefbau- und See-Berufsgenossenschaft, zusätzlich seit 1897 die von der Nahrungsmittel-Berufsgenossenschaft abgetrennte Fleischerei-Berufsgenossenschaft; zusammen waren es seinerzeit 65 industrielle Berufsgenossenschaften (nach MEYERS GROSSES KONVERSATIONS-LEXIKON, 1905-1909, Stichwort: Berufsgenossenschaften).
Die Berufsgenossenschaften, deren Leistungen ausschließlich aus Beiträgen der Unternehmer finanziert werden, erhielten nicht nur die Aufgabe, die den Arbeitern durch Betriebsunfälle erwachsenden Schäden auszugleichen, sondern auch die Entstehung von Unfällen durch entsprechende Maßnahmen zu verhüten. Die besondere neue Qualität des Unfallversicherungsgesetzes von 1884 lag gerade in dieser Verknüpfung von Kompensation und Prävention. Wollte Louis Baare lediglich Kompensation ermöglichen, war es gerade von Regierungsseite Theodor Lohmann[7], der diese Verknüpfung mit der Prävention durchsetzte.
Um die Prävention zu fördern, wurde den Berufsgenossenschaften das Recht eingeräumt, Unfallverhütungsvorschriften als autonomes Satzungsrecht zu erlassen. Sie erhielten ferner das Recht, die Einhaltung der Unfallverhütungsvorschriften selbst zu überwachen. Dieses Recht wurde wenige Jahre später in eine Pflicht zur Überwachung durch Technische Aufsichtsbeamte umgewandelt. Durch die Errichtung von Berufsgenossenschaften als Träger der Unfallversicherung war ein Teil des von Bismarck erstrebten Arbeitsschutzes auf kooperativer Grundlage verwirklicht worden. Hier liegt aber auch die Wurzel für das seitdem für den Bereich des Arbeitsschutzes typische duale Rechtsetzungs- und Aufsichtssystem, über dessen Zweckmäßigkeit bis in die Gegenwart hinein gestritten wird (SIMONS, 1984, insb. S. 85 ff., S. 135 ff.; MERTENS, 1980, S. 26 ff.). Bereits auf dem ersten Berufsgenossenschaftstag 1887[8]
war die Doppelzuständigkeit von Staat und Berufsgenossenschaften auf dem Gebiet des Arbeitsschutzes Gegenstand ausführlicher Debatten (DER BERUFSGENOSSENSCHAFTSTAG IN KIEL, 1908, S. 281 ff.).
Das Unfallversicherungsgesetz von 1884 war weltweit das erste Gesetz dieser Art. Es löste das Reichshaftpflichtgesetz von 1871 ab, dessen Regelungen sich für die Arbeitnehmer als sozial nicht tragfähig erwiesen hatten, da sie den in den meisten Fällen nicht möglichen Nachweis zu führen hatten, dass ein Unfall von ihnen nicht schuldhaft herbeigeführt worden war, sondern seine Ursachen in den betrieblichen Gegebenheiten hatte. Aber auch für die Arbeitgeber waren die Bestimmungen des Unfallversicherungsgesetzes von 1884 günstiger, da die bis dahin geltende Unternehmerhaftung bei Massenunfällen, die sich damals vor allem in der Großindustrie häufig ereigneten, leicht zum Konkurs des Unternehmens führen konnte (KAUDEL- KA, 1994c, S. 12).
So war der noch heute in Deutschland vorhandene Dualismus im Arbeitsschutz geboren: Staatliche Gewerbeaufsicht und selbstverwaltete Unfallversicherungsträger. Das Unfallversicherungsgesetz von 1884 war das erste dieser Art in der Welt. Die Haftung des einzelnen Unternehmers wurde ersetzt durch Eintreten der Versicherung bei Schadensfällen als Solidargemeinschaft der Unternehmer. Es handelt sich um einen branchenweisen Zusammenschluss der Unternehmer.
Die nach dem Unfallversicherungsgesetz von 1884 bei den Berufsgenossenschaften einzusetzenden Beauftragten gründeten am 22.3.1894 den Verein Deutscher Revisions-Ingenieure (VDRI). Zweck war der Austausch und die Verbreitung der von ihnen auf dem Gebiet der Unfallverhütung gesammelten Erfahrungen (75 JAHRE VDRI, 1969, S. 18).
Mit der Gewerbeordnung von 1891 wurde die staatliche Aufsicht auf den gesamten gewerblichen Bereich ausgedehnt und die Verstärkung der Anordnungsbefugnisse der Aufsichtsbeamten geregelt (KAUFHOLD, 1991, S. 310 f.; BUCK-HEILIG, 1989; POERSCHKE, 1913). An die Stelle der bisherigen Fabrikinspektion trat nunmehr die Gewerbeaufsicht. Die Zuständigkeit war auf alle Gewerbe ausgedehnt worden. Sie erhielt die Befugnisse der Ortspolizeibehörden, womit die Grundlage für eine wirksame Kontrolle der Arbeitsschutzmaßnahmen gelegt wurde. Die Zahl der Gewerbeaufsichtsbeamten wurde wesentlich erhöht, um den Aufgabenzuwachs bewältigen zu können. Die Novelle zur Gewerbeordnung von 1891 war ein Meilenstein auf dem schwierigen Weg zur Verbesserung des Arbeitsschutzes. Mit ihr wurden die Grundlagen für einen generellen Arbeitszeitschutz und den betrieblichen Gefahrenschutz gelegt.
Der Gewerbeordnungsnovelle von 1891 folgten keine weiteren vergleichbaren Schritte zum Ausbau des Arbeitsschutzes. Wilhelm II. wandte sich enttäuscht von der Sozialpolitik ab, da sie nicht die von ihm erhoffte Integrationsfunktion erfüllt hatte. Die Einflussnahme großindustrieller Kreise auf den Kaiser, insbesondere des Generalsekretärs des Zentralverbandes Deutscher Industrieller[9], H. A. Bueck, und des Industriellen von Stumm-Halberg[10], nahmen zu. Was Stumm-Halberg von anderen Industriellen dieser Zeit unterschied, war, dass er sich politisch für seine Interessen, zu denen auch der Schutz der Arbeiterschaft zählte, eingesetzt hat (KÖCHLING, 2011, S. 46).
Die politische Verantwortung für die Sozialpolitik ging vom Preußischen Handelsministerium auf das Reichsamt des Inneren über, das seit dem 1. Juli 1897 von Staatssekretär Graf von Posadowsky-Wehner geleitet wurde (1897-1907).
Seit 1897 besteht eine Internationale Vereinigung für gesetzlichen Arbeiterschutz mit der Aufgabe, für Fortbildung des Arbeiterschutzes auch im Sinn einer internationalen Annäherung und Ausgleichung zu wirken, und mit Sektionen in Deutschland, Österreich, Italien, Frankreich, Belgien und der Schweiz. Ein Kongress dieser Vereinigung, 25. bis 29. Juli 1900 in Paris abgehalten, genehmigte ein eignes Statut und die Errichtung eines internationalen Arbeitsamtes, das am 1. Mai 1901 in Basel ins Leben trat. (nach MAYERS GROSSES KONVERSATIONS-LEXIKON, 1905-1909, Internet abgefragt 9.8.2011).
Im November 1918 wurde der Verein Deutscher Gewerbeaufsichtsbeamten (VDGAB) gegründet. Er bildet das Pendent zum bereits 1894 entstandenen VDRI aufseiten der Berufsgenossenschaften.
Neue Aktivitäten gab es dann in der Zeit der Weimarer Republik (1919-1933). Bereits in der Entstehungsphase der Weimarer Republik wurde in den ersten Monaten nach der Novemberrevolution von 1918/1919 eine Diskussion über die Neuregelung der Aufsicht im Arbeitsschutz durch eine Denkschrift des VDGAB ausgelöst. Am 25.11.1918 hatten die Berliner und Potsdamer Gewerbeaufsichtsbeamten einen ersten Entwurf einer Denkschrift erstellt, der anschließend aufgrund einer Umfrage bei allen Gewerbeaufsichtsbeamten überarbeitet wurde (SIMONS, 1984, S. 199 ff.). Der VDGAB überreichte am 5.2.1919 dem Reichsarbeitsamt - das Reichsarbeitsamt war noch vor Kriegsende durch Allerhöchsten Erlass vom 4.10.1918 (RGBl. S. 1231) aus dem Reichswirtschaftsamt gebildet worden, das wiederum kurze Zeit vorher aus dem Reichsamt des Innern hervorgegangen war - die „Denkschrift zur Neuregelung der Gewerbeaufsicht in Deutschland” (MERTENS, 1980, Anhang 3, S. 293 ff. - siehe Dokument Nr. 1.1 in der Anlage). Die politisch brisanten Hauptforderungen der Denkschrift waren die Schaffung von Reichsgewerbeaufsichtsbehörden und die Zusammenfassung aller Aufgaben des Arbeitsschutzes in der Hand von Gewerbeämtern. Zur berufsgenossenschaftlichen Aufsicht wurde bedauernd festgestellt, dass es bisher nicht gelungen sei, das duale Aufsichtssystem durch eine einheitliche Aufsicht in der Hand der Gewerbeaufsicht zu ersetzen. Durch dieses Vorgehen des VDGAB sah sich der Verein Deutscher Revisions-Ingenieure (VDRI) veranlasst, seinerseits zu diesen Fragen Stellung zu nehmen. Eine Entgegnung wurde am 27.10.1919 dem Reichsarbeitsminister übergeben (75 JAHRE VDRI, 1969, S. 22 f.). Die Forderung bestand, wie vorauszusehen war, in der Erhaltung der Unfallverhütung als Aufgabe der Berufsgenossenschaften. Die Denkschrift der Gewerbeaufsicht erschien zwar zu einem Zeitpunkt, in der die Bereitschaft groß war, auch überkommene Organisationsstrukturen zu überdenken. Doch fand die Denkschrift angesichts der durch den Sturz des Kaiserreichs und des verlorenen Krieges zu lösenden Probleme nicht die für eine Reform der Arbeitsschutzaufsicht notwendige Beachtung. SIMONS (1984, S. 215) vermutet, dass die Denkschrift lediglich ein Anlass war, „den Ländern vorsichtig Überlegungen nahe zubringen, die ohnehin im Arbeitsministerium angestellt wurden.” Die Überwachung des Arbeitsschutzes blieb weiterhin eine Aufgabe der einzelnen Bundesstaaten und nicht des Reiches, und auch das Nebeneinander von staatlicher und berufsgenossenschaftlicher Aufsicht wurde nicht angetastet.
Die Denkschrift der Gewerbeaufsicht von 1919 fand keine weitere politische Beachtung. 1920 war beim Verband der gewerblichen Berufsgenossenschaften die „Zentralstelle für Unfallverhütung“ (ZefU) gegründet worden. Sie hatte die Aufgabe, übergreifende Arbeiten für die verschiedenen Berufsgenossenschaften zu koordinieren und einheitliche Regeln vorzubereiten. Damit stärkten die Berufsgenossenschaften ihre Leistungsfähigkeit.
Von Gewerkschaftsseite wurde dann Anfang des Jahres 1928 - im Zusammenhang mit den damaligen Diskussionen zur Schaffung eines Arbeitsschutzgesetzes - ein Änderungsentwurf zu diesem Entwurf des Arbeitsschutzgesetzes (SIMONS, 1984, S. 293 ff.) für die Gestaltung der Arbeitsaufsicht vorgelegt. Ziel dieser Gewerkschaftsinitiative war u. a. der Ausbau der Gewerbeaufsicht zu einer Reichsarbeitsaufsicht bei gleichzeitiger Beseitigung der Aufsichtsbefugnisse der Berufsgenossenschaften. Die Berufsgenossenschaften sollten allerdings das Recht zum Erlass von Unfallverhütungsvorschriften behalten. Zur Begründung wurde von Gewerkschaftsseite vorgetragen, dass das duale Aufsichtssystem für den Arbeitnehmer undurchsichtig und für den Arbeitgeber lästig sei und trotz aller Appelle zur Zusammenarbeit zwischen Gewerbeaufsicht und Berufsgenossenschaften zu Reibungen führe.
Die einseitige Abhängigkeit der Technischen Aufsichtsbeamten der Berufsgenossenschaften von den Arbeitgebern verhindere immer wieder wirklich durchgreifende Maßnahmen, und die Trennung der Unfallverhütung nach Gewerbegruppen habe durch die Entwicklung der Industrie hin zur umfassenden Anwendung von Maschinen in jedem Gewerbe ihren inneren Sinn verloren.
Nach dem Gewerkschaftsentwurf sollte eine Reichsarbeitsaufsicht geschaffen werden mit Arbeitsaufsichtsämtern, Landesarbeitsaufsichtsämtern, deren Bezirke von den Einzelstaaten losgelöst waren, und der Reichsarbeitsaufsicht als Abteilung im Reichsarbeitsministerium (ERDMANN, 1928, Sp. 793 ff.).
Die Arbeitgeberseite lehnte den Entwurf entschieden ab und setzte sich vor allem für die Aufrechterhaltung der berufsgenossenschaftlichen Aufsicht ein. Die Reibungsverluste durch das duale Aufsichtssystem seien gering. Die Unfallverhütung sei ein unlösbarer Teil der Unfallversicherung, sodass die eigene Überwachung für die Berufsgenossenschaften unverzichtbar sei (SIMONS, 1984, S. 296).
In organisatorischer Hinsicht trat durch das Gesetz über den Neuaufbau des Reiches vom 30.1.1934 (RGBl. I S. 75) für die Durchführung des Arbeitsschutzes eine wichtige Änderung ein.
Die Zuständigkeit für die Gewerbeaufsicht ging von den Landesregierungen auf das Reich über.
Auch der ärztliche Dienst der Gewerbeaufsicht wurde dem Reichsarbeitsministerium unterstellt.
Das duale Aufsichts- und Rechtsetzungssystem auf dem Gebiet der Unfallverhütung wurde jedoch nicht angetastet. Das Nebeneinander von Berufsgenossenschaften und Gewerbeaufsicht blieb bestehen.
Eine weitere organisatorische Änderung mit erheblichen Folgen für die Arbeit der Gewerbeaufsichtsbehörden brachte der Erlass über die Abgrenzung der Zuständigkeit auf dem Gebiet des Arbeitsschutzes, der Gewerbeaufsicht und wirtschaftlichtechnischer Angelegenheiten vom 2.5.1935 (RGBl. I S. 581) und der dazu ergangene Ausführungserlass vom 2.5.1935 (RABl. III Nr. 17 v. 15.6.1935). Danach blieb der Reichsarbeitsminister zuständig für die Angelegenheiten des Arbeitsschutzes einschließlich der Organisations-, Haushalt- und Personalangelegenheiten der Gewerbeaufsicht, während der Reichswirtschaftsminister die Zuständigkeit für wirtschaftlich-technische Angelegenheiten einschließlich der Genehmigung und Zulassung gewerblicher Anlagen und des Dampfkesselwesens erhielt. Der Erlass vom 2.5.1935 unterstellte Teile des technischen Arbeitsschutzes verschiedenen Ministerien, war damit eine Keimzelle für Kompetenzstreitigkeiten.
Mit den vielfältigen Diskussionen zur Gewerbeaufsicht und zu den Unfallversicherungsträgern wird deutlich, dass der Dualismus in Deutschland seit seiner Entstehung umstritten war. Die nach Ländern organisierte Gewerbeaufsicht und die nach Branchen strukturierten Unfallversicherungen hatten aber Bestand.
Zum eingangs dieses Kapitels genannten zweiten Aspekts der Institutionalisierung und Professionalisierung bis 1945: Erste Schritte zur Herausbildung von wissenschaftlichen Grundlagen sowie der Beginn des Einsatzes von Werksärzten und Sicherheitsingenieuren.
Schon sehr früh entwickelte sich die Profession der ärztlichen Betreuung von Arbeitenden. So berichtet SCHADEWALDT (1974, S. 388) davon, dass Untersuchungen belegen, dass es z. B. im alten Ägypten für die aufgrund von freiwilligen Dienstverträgen oder durch Dienstleistungsverordnungen für einige Monate des Jahres verpflichtete Arbeiter oder auch für Sklaven, etwa beim Pyramidenbau oder beim Bau der pharaonischen Paläste, eine geregelte ärztliche Versorgung an der Tagesordnung war. Analysen von Aufzeichnungen auf Tonscherben durch den belgischen Gelehrten Frans Jonckheere (1903-1956) führten zu dem Schluss, dass es bereits dort einen Stand der Werks- und Betriebsärzte gegeben haben muss. Diese hatten maßgeblichen Einfluss darauf, dass die freien Arbeiter eine ausreichende Ruhezeit einhalten konnten. Bereits im 18. Jahrhundert institutionalisierten die Knappschaftsvereine, denen die Behandlung eines „geschlossenen Berufsstandes“ zukam und die mit dem Bergbau besonders vertraut waren. Diese Ärzte waren an die Versicherungsträger gebunden und erhielten eine pauschale Vergütung (JENSS, 1977, S. 39).
In dem Jahrzehnt vor Beginn des Ersten Weltkrieges wurde mit dem Aufbau des gewerbeärztlichen Dienstes begonnen. Obgleich die Beurteilung der Zusammenhänge zwischen ausgeübter Tätigkeit und eingetretenen Gesundheitsschäden durch die fortschreitende Industrialisierung immer mehr an Bedeutung gewann, dauerte es verhältnismäßig lange, bis für die gesundheitlichen Fragen des Arbeitsschutzes Ärzte eingestellt wurden. Es standen den Gewerbeaufsichtsbeamten zwar für medizinische Fragen von Fall zu Fall die Amtsärzte der Medizinalverwaltung zur Verfügung, die auch mit Genehmigung ihrer vorgesetzten Behörde an Betriebsbesichtigungen teilnehmen konnten. Schon aus Zeitmangel waren diese aber nicht in der Lage, den gewerbehygienischen Maßnahmen die entsprechende Aufmerksamkeit zu widmen.
Keimzellen gab es zunächst in der medizinischen Literatur, wo im Zusammenhang mit der allgemeinen Hygiene bald auch die Gewerbehygiene thematisiert wurde (MEYERS GROSSES KONVERSATIONS-LEXIKON, 1905-1909; Stichwort Gesundheitspflege). Erste Handbücher schlossen die Gesundheit im Gewerbe in Ansätzen ein (PETTENKOFER, ZIEMSSEN, 1882; WEYL, 1882). Beispielsweise erschien zum Handbuch von WEYL (1921) ein Band 7 zur Gewerbehygiene sowie ein Band zur Reinhaltung der Luft in Arbeitsräumen.
Bereits Ende des 19. Jahrhunderts setzte eine Diskussion zum Einsatz von Gewerbeärzten ein.
Im preußischen Abgeordnetenhaus hatte aber der Handelsminister noch 1901 zusätzliche gewerbeärztliche Dienste abgelehnt:
„Bei jedem nach einer besonderen Seite wissenschaftlich ausgebildeten Herrn liegt die große Gefahr vor, daß er in eine gewisse Einseitigkeit verfällt, und es wäre merkwürdig, wenn die Ärzte nicht dem sanitären Gesichtspunkte eine größere Bedeutung beimessen wollten als den allgemeinen gewerblichen und auch den allgemeinen wirtschaftlichen, die die anderen Aufsichtsbeamten neben ihren technischen Kenntnissen in erster Linie berücksichtigen müssen; denn die Gewerbeaufsicht soll zwar verbessern, was verbesserungsfähig ist, aber innerhalb der Grenzen, daß sie nicht die Gesamtheit des Gewerbes schwer schädigen.“ (zit. nach JENSS, 1977, S. 36).
Von den überwachenden Ärzten wurde also eine Bedrohung wirtschaftlicher Interessen eher befürchtet als von den Gewerbeaufsichtsbeamten.
Diesmal war es nicht Preußen, das eine Vorreiterrolle übernahm, sondern Baden, das 1906 als erstes Land den Arzt Dr. Holtzmann als Gewerbeaufsichtsbeamten einstellte (BAUER, 1954, S. 30). In Württemberg war bereits ein Jahr vorher (1905) der gewerbehygienische Referent des Medizinalkollegiums zunächst nebenamtlich der Gewerbeinspektion beigeordnet worden.
Bayern schuf 1909 die Stelle eines Landesgewerbearztes, die mit Dr. Franz Xaver Koelsch besetzt wurde, der aufgrund seiner Pionierarbeiten auf dem Gebiet der Gewerbemedizin, seiner vielfältigen Initiativen zum Ausbau der Arbeitsmedizin und auch seiner umfangreichen wissenschaftlichen Studien über die gesundheitlichen Auswirkungen der Berufsarbeit zum Nestor der Arbeitsmedizin in Deutschland wurde. Über 40 Jahre lang war der Gewerbeärztliche Dienst geprägt von der überragenden Persönlichkeit Koelschs (HALL, 1979, S. 23 ff.; SZCZESNY, 1984, S. 438 ff.; MILLES, 1984, S. 580 ff.; LABISCH, 1984, S. 30). Erst im Jahre 1919 stellte Sachsen einen Gewerbearzt ein, und in Preußen wurden 1921 fünf Stellen für ärztliche Gewerbeaufsichtsbeamte bei den Bezirksregierungen geschaffen, deren Gebiet von der Industrie besonders geprägt war. Die Gewerbeärzte als ärztliche Sachverständige in der Gewerbeaufsicht waren vor allem auf dem Gebiet der Gewerbehygiene und der Verhütung von Berufskrankheiten tätig (JENSS, 1977, S. 37).
In der Ärzteschaft entwickelte sich Mitte des 19. Jahrhunderts ein gewisses Interesse, sich stärker um arbeitsbedingte Erkrankungen - auch wenn diese Bezeichnung zu dieser Zeit noch nicht üblich war - zu kümmern. Am 1. Mai 1849 wurde der Gesundheitspflegeverein des Berliner Bezirks der deutschen Arbeiterverbrüderung gegründet. Aufgeschlossene Ärzte bedauerten, „daß verschiedenen Gewerkärzten sowohl von Deutschland als anderen Ländern im Ganzen so wenig dazu beigetragen haben, die Gefahren zu vermeiden, welche manche Gewerbebeschäftigung der Gesundheit der Arbeiter bereitet.“ (zit. nach MILLES, 1984, S. 133).
Diese Ärzte wollten in Eigeninitiative eine verbesserte Gesundheitspflege ins Leben rufen, die den speziellen Gesundheitsproblemen der Arbeiter gerecht wurden. Der Gesundheitspflegeverein hatte großen Zulauf und genoss unter den Arbeitern hohes Ansehen.
Der Verein musste wegen „sozialistischer und kommunistischer Propaganda“ jedoch schon 1850 seine Arbeit wieder einstellen. Ein Nachfolgeverein setzte zunächst seine Arbeit fort, bis auch er polizeilich verboten wurde (MILLES, 1984, S. 134).
Schrittweise entwickelte sich also die Profession der heutigen Betriebsärzte. Fabrikärzte, die seit 1866 vor allem in der chemischen Großindustrie angestellt worden waren, standen im Mittelpunkt der ärztlichen Professionalisierung des Gesundheitsschutzes für Arbeiter (MILLES, MÜLLER, 1987, S. 86). JANSEN, HAAS (1991, S. 16) berichten von ersten „Fabrik- oder Cassenärzten“. So wurde 1866 der erste eigene Werksarzt Carl Knaps bei der BASF in Ludwigshafen eingesetzt (MILLES, 1984, S. 146), 1874 ein eigener Werksarzt bei Hoechst. So entstand eine betriebliche Professionalisierung im Arbeitsschutz. Die zunehmende Spezifität arbeitsbedingter Gesundheitsstörungen führte letztlich zur Konstituierung der Arbeitsmedizin als einer neuen Disziplin, die sich ausschließlich mit beruflichen Erkrankungen beschäftigt.
Erste Zusammenstellungen von Aufgaben des Fabrikarztes stammen von Th. Floret, Fabrikarzt der Farbenfabriken Elberfeld, aus dem Jahr 1913 (Dokumentennachdruck in MÜLLER, MILLES, 1984, S. 346-353).
Eine ähnliche Entwicklung ist auch für Sicherheitsingenieure zu sehen. Die Gewerbeaufsichtsämter waren fast ausschließlich mit Ingenieuren besetzt. Die Profession des Ingenieurs war insoweit für die Arbeitssicherheit bereits eingeführt, aber noch nicht in den Betrieben. Die ersten Sicherheitsingenieure wurden von Unternehmen seit den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts deshalb eingesetzt, weil sich die Technik nicht mehr ohne spezielle Profession beherrschen ließ. 1912 entstand ein erstes Fachbuch zur Verwaltung von Maschinenfabriken.
Es enthielt ein Kapitel „Vorschriften für Arbeitnehmer zur Verhütung von Unfällen (BALLEWSKI, 1912). In 55 Paragrafen wurden grundlegende Forderungen an das Verhalten der Arbeiter formuliert. Der Sicherheitsingenieur war als besonderes spezielles Expertentum in den Unternehmen notwendig geworden. Die Anforderungen an sichere Technik entwickelten sich sehr intensiv, sodass auch Spezialkompetenzen helfen konnten, Ausfälle zu vermeiden, und zwar sowohl Ausfälle von Menschen durch Unfälle als auch Ausfälle durch Betriebsstörungen u.
Ä. Steigende Komplexität und Kompliziertheit der Technik machte die fachkundige Unterstützung des Unternehmers erforderlich: Die Einführung von Sicherheitsingenieuren in Großbetrieben erfolgte ab 1920 ohne gesetzliche Regelung aus Eigeninteresse der Unternehmen (chemische Industrie, Stahlindustrie).
Sowohl mit der ärztlichen Entwicklung als auch mit der Verbreiterung des Einsatzes von Sicherheitsexperten in den Aufsichtsorganen und in den Unternehmen kam es zu Erkenntnisgewinnen, einer schrittweise aufkommenden wissenschaftlichen Basis für die Arbeitssicherheit. Es entstanden verschiedentlich Grundkonzepte zur Gewährleistung von Sicherheit und Gesundheit. So dominierten zwar in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Vorstellungen zur Einflussnahme auf das sicherheitsgerechte Verhalten der Beschäftigten, aber es gab erste Überlegungen, auch durch Technik den Schutz zu erreichen.
So galt die Auffassung, dass Unfälle unvermeidbares Schicksal seien, der Mensch sich an die Technik anpassen muss, weitverbreitet. Anzutreffen waren aber auch einfache (korrektive) Ansätze zur Veränderung der Bedingungen (Maschinen usw.). Die Technikentwicklung erforderte deren Anpassung an die menschliche Natur, an die Voraussetzungen des Menschen.
Aber auch weitergehend: In der Norddeutschen Metall-Berufsgenossenschaft entstanden bereits in den 1930er Jahren erste Überlegungen zum Haupt- und Nebenweg zur Arbeitssicherheit. Als Hauptweg wurde die Gewährleistung von Sicherheit durch Technik benannt (75 JAHRE VDRI, 1969, S. 80).
Festzuhalten ist: Arbeitsschutz wurde dem Staat und den Unternehmen einerseits zum Teil abgetrotzt, andererseits standen Ethik und Wertmaßstäbe, auch wirtschaftliche Zwänge als Ausgangspunkte für Unternehmen, Arbeitsschutz zu betreiben. Es bedurfte beispielsweise keines Zwanges, dass Großbetriebe der Chemie aus eigener Einsicht Werksärzte anstellten, um so Anstrengungen zur Gesunderhaltung der Menschen zu unternehmen - Einsicht in wirtschaftliche Zusammenhänge und auch humanitäre Leitbilder.
Am 6.1.1901 wurde die Gesellschaft für soziale Reform zu Berlin gegründet. Es ist eine Vereinigung von Sozialpolitikern, die das Eintreten des Staates für die Lohnarbeiter, insbes. durch Erweiterung des gesetzlichen Arbeiterschutzes, Unterstützung der Selbsthilfe der Arbeiter, Ausbildung des Koalitionsrechts, Errichtung eines Reichsarbeitsamts, überhaupt den Ausbau der sozialen Gesetzgebung im Interesse der Arbeiter erstrebt. Sie ist zugleich Landessektion der Internationalen Vereinigung für gesetzlichen Arbeiterschutz. An ihrer Spitze stand bei ihrer Gründung der frühere preußische Staatsminister Freiherr v. Berlepsch. Die Mitgliederzahl betrug ca. 1300, darunter 128 Korporationen (fast sämtliche nicht sozialdemokratische Arbeiter- und Gehilfenverbände mit rund 600.000 Mitgliedern, Arbeitgeberverbände, Stadtverwaltungen, Behörden etc.). Ihre erste Generalversammlung fand am 22. Sept. 1902 in Köln statt (nach MEYERS GROSSES KONVERSATION-LEXIKON, 1905-1909, Internet abgefragt 9.8.2011).
Im Jahre 1903 wurde auch die „Ständige Ausstellung für Arbeiterwohlfahrt” eröffnet, die aus den Abteilungen Unfallverhütung, Gewerbehygiene und Wohlfahrtseinrichtungen bestand und deren Ziel es war, stets den neuesten Stand der Entwicklung auf dem Gebiet es Arbeitsschutzes zu zeigen. Sie zeugt vom Stolz der Reichsbehörden auf die sozialstaatlichen Errungenschaften des Kaiserreichs. In der Wortwahl „Arbeiterwohlfahrt” kam die damals vorherrschende Auffassung zum Ausdruck, dass die Arbeiterschutzgesetzgebung lediglich als eine Wohlfahrtseinrichtung für Arbeiter anzusehen sei (MAUKISCH, 1954, S. 53-55). In dieser Ausstellung konnten bereits im Eröffnungsjahr über einhundert Maschinen gezeigt und teilweise auch im Betrieb vorgeführt werden, darunter bereits eine Reihe von Maschinen mit elektrischem Ein- zelantrieb. [11] Der Ständigen Ausstellung für Arbeiterwohlfahrt vorausgegangen waren 1883 eine Allgemeine Deutsche Hygieneausstellung in Berlin und 1889 eine Deutsche Allgemeine Ausstellung für Unfallverhütung (MÜLLER, MILLES, 1984, S. 6 ff.).
Die „Ständige Ausstellung für Arbeiterwohlfahrt”, die im Ersten Weltkrieg geschlossen worden war, da die meisten der ausgestellten Maschinen für die Kriegsproduktion benötigt wurden, stand ab Mitte des Jahres 1922 wieder der Öffentlichkeit zur Verfügung. Die 1927 nach Erweiterung in „Deutsches Arbeitsschutz-Museum” umbenannte Ausstellung wurde im Jahre 1930 als Reichsbehörde (wenn auch noch nicht so bezeichnet) dem Reichsarbeitsministerium unmittelbar unterstellt (Verordnung des RAM vom 28.7.1930, RGBl. I S. 193).
Im Jahre 1939 wurde das „Deutsche Arbeitsschutz-Museum” dann in „Reichsstelle für Arbeitsschutz” umbenannt, ohne dass damit die Aufgabenstellung verändert wurde. Während des Krieges diente die Reichsstelle zusätzlich als Schulungsstätte für den Luftschutz. Im November 1943 brannten die Gebäude der Reichsstelle bei einem Großangriff auf Berlin fast völlig aus. Mit den Resten der ehemals reichen Bücherei und Lichtbildsammlung wich die Reichsstelle 1944 von Berlin nach Soest/Westfalen aus (BArch, B 149/1195, 1948a; MAUKISCH, 1954 S. 55). [12]
Verbunden mit der institutionellen Entwicklung wurden in diesem Kapitel bereits einzelne Rechtsvorschriften des Arbeitsschutzes mit dargestellt. Das überschneidet sich mit der Zusammenstellung der bis 1945 entstandenen Vorschriften in Deutschland im folgenden Kapitel.
Ging es hier zunächst um das Recht für Institutionen des Arbeitsschutzes, geht es im nächsten Kapitel mehr um das Recht zur Arbeitssicherheit für die Beschäftigten unmittelbar.
1.4 Schrittweise entstanden insbesondere seit dem 19. Jahrhundert Rechtsvorschriften zum Schutz der Gesundheit
In der Entwicklung der Gesellschaft dauerte der Erlass von Vorschriften sehr lange. Zunächst gab es eher Erfahrungswerte, nach denen gehandelt wurde. Über einen langwierigen Diskussionsprozess entstanden dann verbindliche rechtliche Forderungen. Anliegen dieses Kapitels ist die Darstellung der Diskursprozesse und Einflüsse, die bis 1945 eine besondere Rolle spielten.
In der Bibel findet sich eine der ältesten schriftlich festgehaltenen Sicherheitsregeln:
„ Wenn du ein Haus baust, so mache ein Geländer ringsum auf deinem Dach, damit du nicht Blutschuld auf dein Haus lädst, wenn jemand herabfällt.“ (5. Mose 22,8, 15. Jh. v. Chr.).
EICKMANN (2002, S. 15) verweist auf 22 Stellen der Bibel mit arbeitsschutzrelevantem Inhalt.
Im „Papyrus Ebers“, dem ältesten bekannten Buch zur Heilkunst im alten Ägypten (1500 v. Chr.), ist die Staublungenerkrankung erwähnt (Pneumokoniosen bei ägyptischen Mumien). Der griechische Arzt Hippokrates von Kos (460 bis um 377 v. Chr.), der „Vater der Heilkunde“, wies darauf hin, dass beim Ausüben bestimmter Handwerke und Künste gesundheitliche Schäden auftreten (POTTHAST, 2006) - wie Bleikolik der Hüttenarbeiter. Er riet den Ärzten, an den Patienten die Frage zu richten, „was er für eine Arbeit ausübt.“
Mehrere solche konkreten erfahrungsgeleiteten Aktivitäten gab es zur Sicherheit bei der Arbeitsausführung. Erst mit dem 19. Jahrhundert setzen dann Aktivitäten zur Rechtssetzung im Arbeitsschutz ein. Im Folgenden werden vier verschieden Regelungskomplexe unterschieden, die jeweils in ihrer historischen Entwicklung dargestellt werden: Regelungen zum sozialen Arbeitsschutz (die zu Anfang dieses Kapitels behandelt werden, weil der zeitliche Beginn rechtlicher Regelungen überhaupt auf diesem Gebiet lag) Entwicklung der Gewerbeordnung und Diskussionen zu einem Arbeitsschutzgesetz Vorschriften zum technischen Arbeitsschutz das erste Betriebsrätegesetz mit Arbeitsschutzinhalt
1.4.1 Regelungen zum sozialen Arbeitsschutz (Kinder, Jugendliche, Frauen sowie Arbeitszeit)
Es heißt in MAYERS GROSSEM KONVERSATIONS-LEXIKON (1905-1909) unter dem Stichwort „Fabrikgesetzgebung“:
„Die Notwendigkeit, einen solchen Schutz zu gewähren, machte sich zuerst bei Fabriken geltend, in denen die Maschine die Verwendung schwächerer Kräfte (Frauen, Kinder) ermöglichte und vielfach eine übermäßige Ausdehnung der Arbeitszeit und eine Verschlechterung der Lage der Arbeiter in sittlicher und wirtschaftlicher Beziehung stattfand.“
Arbeitszeitregelungen, der Schutz von Kindern und Frauen stand danach in enger Beziehung zur Technik-, aber auch zur Gewerbeentwicklung. Hier ergaben sich gesellschaftliche Zwänge zur Gesetzgebung.
In der Diskussion um eine Einschränkung der Kinderarbeit trat zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein Motiv in den Vordergrund, das für die deutschen Regierungen zunehmend an Brisanz gewonnen hatte: Das staatliche Interesse richtete sich auf die Sicherung der sozialen und politischen Stabilität. Vor dem Hintergrund der durch die unaufhaltsame Ausweitung der Fabrikarbeit verursachten sozialen Umwälzungen mit all ihren negativen Begleiterscheinungen war die exzessive Kinderarbeit besonders geeignet, die politische Ordnung in Frage zu stellen (SIMONS, 1984, S. 15).
Friedrich Wilhelm III erließ am 17.5.1828 eine Kabinettsordre, mit der Innen- und Kultusminister aufgefordert wurden, „in nähere Erwägung zu nehmen, durch welche Maaßregeln jenem Verfahren [zunehmende Kinderarbeit unter katastrophalen Zuständen - d. Verf.] kräftig entgegen gewirkt werden könne.“ (zit. nach KAUDELKA, 1994a, S. 144).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Doch erst vier Jahre später entschloss man sich zur Vorlage eines Gesetzentwurfes, der jedoch folgenlos blieb. Am Ende der Auseinandersetzungen um die Kinderarbeit stand als Kompromiss das „Regulativ über die Beschäftigung jugendlicher Arbeiter in Fabriken” vom 9.3.1839 (vgl. Abbildung 1.2), dem der preußische König durch Kabinettsordre vom 6.4.1839 Gesetzeskraft für alle Landesteile der Monarchie verlieh (GESETZ-SAMMLUNG FÜR DIE KÖNIGLICHEN PREUSSISCHEN STAATEN, 1978). Das Regulativ blieb zwar weit hinter den Forderungen der Verwaltung zurück, beendete aber als Kompromiss zunächst die Auseinandersetzungen über die Kinderarbeit.
Die wesentliche Bestimmung des Regulativs war das Verbot der Beschäftigung von Kindern in Fabriken vor dem vollendeten 9. Lebensjahr. Die Arbeitszeit der Jugendlichen wurde eingeschränkt und deren Nachtarbeit untersagt. Das Regulativ hatte zahlreiche Mängel und Schwächen.
Da das Regulativ vom 9.3.1839 nicht zu den erhofften Änderungen der betrieblichen Verhältnisse geführt hatte, wurde in Preußen nach langen und zum Teil hitzigen Debatten das „Gesetz betreffend einige Änderungen des Regulativs vom 9.3.1839 über die Beschäftigung jugendlicher Arbeiter in den Fabriken” am 16.5.1853 erlassen (GESETZ-SAMMLUNG FÜR DIE KÖNIGLICHEN PREUSSISCHEN STAATEN, 1978, S. 225; ANTON, 1953, S. 102 ff.). Das Gesetz enthielt Verbesserungen bei der Altersgrenze für die Beschäftigung von Kindern, die ab 1.7.1853 auf das 10., ab 1.7.1854 auf das 11. und ab 1.7.1855 auf das 12. Lebensjahr festgelegt wurde. Weiter wurde für jugendliche Arbeiter unter 14 Jahren die tägliche Arbeitszeit auf 6 Stunden beschränkt und der tägliche Schulunterricht auf 3 Stunden festgelegt.
Abbildung 1.2 Preußisches Regulativ von 1839
So stand am Beginn der Vorschriftenentwicklung der Schutz von Kindern und Jugendlichen.
Es entstanden in den Folgejahren eine Reihe von Regelungen, von denen die Wichtigste die Novelle zur Reichsgewerbeordnung (GWO) vom 1.6.1891 (RGBl. I S. 261), das sog.
„Arbeiterschutzgesetz“, war. Dieses Gesetz enthielt u. a. das Regelungssystem zur Arbeitsruhe an Sonn- und Feiertagen, das erhebliche Einschränkungen der Beschäftigungsmöglichkeiten an diesen Tagen brachte. Ferner wurde der Schutz für Kinder, Jugendliche und Frauen erheblich verstärkt. So wurde die Beschäftigung von volksschulpflichtigen Kindern unter 13 Jahren ganz verboten, die Arbeitszeit für Kinder von 13 bis 14 Jahren auf 6 Stunden täglich und für Jugendliche von 14 bis 16 Jahren auf 10 Stunden täglich begrenzt. Ferner wurde die Nachtarbeit für Jugendliche und Arbeiterinnen untersagt.
Die Arbeitsschutzgesetzgebung geriet im Reich seit 1893 und bald darauf in Preußen ins Stocken. War der Kaiser inzwischen sehr ablehnend gegenüber dem Ausbau, so lagen Initiativen in dieser Zeit bei Berlepsch[13]. Seiner Initiative war noch die Bekanntmachung des Bundesrates über die Arbeitszeit in Bäckereien und Konditoreien vom 4.3.1896 (RGBl. 1896, S. 55) zu verdanken, die er gegen starke Widerstände durchsetzte. Da die Verordnung grundsätzlich einen zwölfstündigen Arbeitstag, maximal eine Arbeitszeit von 13,5 Stunden täglich festlegte, sollte hier zum ersten Mal die tägliche Arbeitszeit erwachsener Arbeiter gesetzlich beschränkt werden. Darin sahen die Unternehmer und die ihnen nahe stehenden Kreise den Einstieg in eine generelle Regelung des Maximalarbeitstages, eine zentrale Forderung der Sozialdemokratie.
Ein wichtiges Arbeitsschutzgesetz war das Gesetz betreffend Kinderarbeit in gewerblichen Betrieben vom 30.3.1903 (RGBl. I S. 113). Es verbot die Beschäftigung fremder Kinder unter 12 Jahren in Werkstätten, im Handel, im Verkehrsgewerbe und in Gastwirtschaften. Die erlaubte Beschäftigung von Kindern über 12 Jahren wurde auf drei Stunden täglich begrenzt.
Mit seinem Kinderschutzgesetz, das nun auch für die häusliche Kinderarbeit galt, griff der Staat erstmals in den Bereich der Familie ein (KAUDELKA, 1994c, S. 19).
Ein weiteres Gesetz, das erst nach heftigen Auseinandersetzungen mit der Wirtschaft verabschiedet werden konnte, war die Novelle zur Gewerbeordnung vom 28.12.1908 (RGBl. I S. 667), die den Frauenarbeitsschutz verbesserte. Das Gesetz brachte den 10-Stunden-Tag für weibliche Arbeitnehmer. Ferner durften Frauen an den Tagen vor Sonn- und Feiertagen anstatt 10 Stunden nur noch 8 Stunden arbeiten, und das Ende der Arbeitszeit durfte nicht später als 17:00 Uhr liegen. Außerdem wurde die Nachtruhe der Arbeiterinnen geregelt und der Wöchnerinnenschutz ausgedehnt. Damit wurden die Empfehlungen der internationalen Konferenz von 1906 zum Frauenarbeitsschutz aufgegriffen. Schließlich brachte die Novelle eine Einschränkung der Frauenarbeit bei Bauten, in Bergwerken und in Druckereien.
Handelskammern, Arbeitgeberverbände und Einzelbetriebe hatten sich energisch gegen die angeblich überstürzten parlamentarischen Beratungen und deren Ergebnisse gewandt.
Die Bemühungen um eine Fortentwicklung des Arbeitsschutzes in der Zeit der Weimarer Republik bis 1933 konzentrierten sich insbesondere auf den Ausbau des sozialen Arbeitsschutzes (Arbeitszeitschutz und Mutterschutz).
Bereits in einem „Aufruf des Rates der Volksbeauftragten“ vom 12.11.1918 wurde die Einführung des 8-Stunden-Tages angekündigt (vgl. Abbildung 1.3). Vor dem Hintergrund der Unruhen während der Novemberrevolution 1918/1919 gelang die Durchsetzung einer Jahrzehnte
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
alten Forderung der Arbeiterschaft: Die Einführung des Achtstundentages (KAUDELKA, 1994c, S. 21 f.). Jht bas beutle ^ofli
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1.3 Verkündung des achtstündigen Maximalarbeitstages 1918
[...]
[1] Dieses Kapitel entstand unter Verwendung eines unveröffnetlichten Manuskripts von Dietrich Bethge von 2008.
[2] Frederick Winslow Taylor (1856-1915) war ein US-amerikanischer Ingenieur und gilt als einer der Begründer der Arbeitswissenschaft. Von ihm stammt u. a. Scientific Management und auf seinem Wirken basiert der sog. Taylorismus.
[3] Karl Sigmund Franz Freiherr vom Stein zum Altenstein (1770-1840) war preußischer Politiker. In den 20 Jahren im Amt des Kultusministers reformierte er das preußische Schul- und Bildungswesen grundlegend. Das humanistische Gymnasium geht auf ihn zurück. Mit dem Unterrichtsgesetz von 1819 stellte er das preußische Bildungswesen auf eine einheitliche Basis und begründete damit das heute noch bestehende mehrgliedrige Schulsystem mit einer Grundschule und differenzierten weiterführenden Schulen.
[4] Karl August Freiherr von Hardenberg (1750-1822). Er war preußischer Außenminister von 1804 bis 1806 und Staatskanzler von 1810 bis 1822. Zu dem umfangreichen Werk der seit 1811 laufenden Hardenbergschen Reformen gehörte u. a. das Gewerbesteuergesetz, das die Gewerbefreiheit festschrieb.
[5] Ferdinand August Bebel (1840-1913) war einer der Begründer der organisierten sozialdemokratischen Arbeiterbewegung in Deutschland. Er war Reichstagsmitglied und stark engagiert für die sozialdemokratische Bewegung. Mit Wilhelm Liebknecht gründete er 1869 die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP). Im Jahr 1875 war er an der Vereinigung mit dem Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD) beteiligt. Während der Repressionen gegen die Partei durch das Sozialistengesetz entwickelte er sich zur zentralen Person der deutschen Sozialdemokratie und wurde ab 1892 einer der beiden Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), zu der sich die SAPD 1890 nach Aufhebung des Gesetzes umbenannt hatte.
[6] Louis Baare (1821-1897) war von 1854 bis 1895 Direktor/Generaldirektor des Bochumer Vereins für Bergbau und Gussstahlfabrikation sowie Präsident der Bochumer Handelskammer. Er hatte enge Beziehungen zum Verein Deutscher Eisen- und Stahlindustrieller und zum Zentralverband Deutscher Industrieller (HAGEMEYER, 2004, S. 3). Er war preußischer Abgeordneter und Berater Bismarcks.
[7] Theodor Christian Lohmann (1831-1905) - deutscher Verwaltungsjurist und Sozialreformer des 19. Jahrhunderts. Er gilt als eine der treibenden Kräfte bei der Gesetzgebung zum Schutz der Arbeitnehmer, als Mitarchitekt der Bismarck'schen Sozialversicherung und als Schlüsselfigur für das Verhältnis von Diakonie und Sozialpolitik.
[8] Die gewerblichen Berufsgenossenschaften hatten sich 1887 zu einem Verband zusammengeschlossen. Zweck des Verbandes war, einen Mittelpunkt für den Meinungsaustausch zu bilden und gemeinsame Angelegenheiten zu vertreten und zu fördern. Organ des Verbandes war der Berufsgenossenschaftstag.
[9] Der Zentralverband Deutscher Industrieller war ein 1876 gegründeter wirtschaftlicher Interessenverband. Er repräsentierte vor allem die Schwer- und Montanindustrie.
[10] Carl Ferdinand Freiherr von Stumm-Halberg (1836-1901) war ein preußischer Montanindustrieller, freikonservativer Politiker und Reichtagsabgeordneter.
[11] Aus dieser Ausstellung entwickelte sich nach manchen Rückschlägen die heutige Deutsche Arbeitsschutzausstellung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin in Dortmund. Zur Geschichte des Arbeitsschutzmuseums vgl. KAMPF FÜR EINE BESSERE ARBEITSWELT,2003, S. 36-39.
[12] Hier wurde dann 1949 das erste Zentralinstitut für Arbeitsschutz für die Bundesrepublik Deutschland mit Sitz in Soest gegründet.
[13] Hans Freiherr von Berlepsch (1843-1926). Er war von 1890 bis 1896 Kgl. Preuß. Staatsminister für Handel und Gewerbe und leitete die internationale Arbeiterschutzkonferenz in Berlin im März 1890 und brachte 1891 die Novelle zur Gewerbeordnung zustande. Er blieb auch seinem Rücktritt 1896 weiter für die Arbeiterschaft tätig. Berlepsch half die Internationale Vereinigung für gesetzlichen Arbeiterschutz gründen und wurde Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für soziale Reform. (nach Homepage der Familie Berlepsch, Internet abgefragt 9.8.2011 http://www.v.berlepsch.de/ private/minister-hans-hermann.htm) - sh. auch: BERLEPSCH, 1987.
- Quote paper
- Lutz Wienhold (Author), 2011, Zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Historischer Abriss zum Arbeitsschutz in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und der DDR, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/184186
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