Durch die Verbindung von Medium und Maschine entstand das Massenmedium. Seit jenem Tag im Jahr 1814, an dem eine Ausgabe der Times als „erstes Zeitungsblatt (…) das seine Herstellung keiner menschlichen Hand verdankte“ , tausendfach beschleunigt, vervielfältigt und in alle nur erdenklichen öffentlichen und private Räume gespien wurde, ist die Reichweite der Massenmedien kontinuierlich gewachsen. Begleitet wird diese Entwicklung von zunehmender Machtfülle der Medien.
Nicht die aufkommende Dampfschifffahrt, nicht den Beginn des Eisenbahnwesens, sondern die Erfindung der Schnellpresse bezeichnet der österreichische Schriftsteller und Kulturphilosoph Egon Fridell, als die bedeutendste technische Neuerung des neunzehnten Jahrhunderts:
„Erst durch diesen Bund mit der Maschine erhält die Zeitung ihren universellen Machtcharakter: ein Wort, Wahrheit oder Lüge fliegt in die große, stumm lauernde Spinne von Maschinen, die es verschluckt, druckt und tausendfach vervielfältigt und in alle Räume speit, wo Menschen hausen: in die Bürgerdielen, in die Bauernschenken, in die Kasernen, in die Paläste in die Keller in die Mansarden, und das Wort wird zum Machtwort.“1
Durch die Verbindung von Medium und Maschine entstand das Massenmedium. Seit jenem Tag im Jahr 1814, an dem eine Ausgabe der Times als „erstes Zeitungsblatt (…) das seine Herstellung keiner menschlichen Hand verdankte“2, tausendfach beschleunigt, vervielfältigt und in alle nur erdenklichen öffentlichen und private Räume gespien wurde, ist die Reichweite der Massenmedien kontinuierlich gewachsen. Begleitet wird diese Entwicklung von zunehmender Machtfülle der Medien.
Jener universelle Machtcharakter, den Fridell den Massenmedien zuschreibt, offenbart sich zunächst auf der machtpolitischen Ebene. Anfangs wurde die Massenpresse von der öffentlichen, staatlichen Gewalt genutzt3, eine Nähe, die bis heute fortbesteht.
Einstweilen aber scheint es so, als stellten veränderte, in ihrer Reichweite erweiterte, Kommunikationsmöglichkeiten allein noch keinen tatsächlichen Machtfaktor dar. Macht, in diesem Sinne staatliche Macht, ist das Medium der Politik, Zeitungen, später Rundfunk, Fernsehen oder Internet, arbeiten mit dem „Medium [der] Publizität“4. Publizität ist erst durch den Wandel der Öffentlichkeit zu einem Machtfaktor an sich geworden.
Um das Machtpotential der Massenmedien zu nutzen, musste sich in den Anfangsjahren der Massenpresse erst eine Verbindung zwischen Macht und Publizität ergeben.
Carlo Pisacane, italienischer Revolutionär und Kämpfer gegen die Herrschaft der Bourbonen, beschrieb diesen Sachverhalt mit den Worten, Terrorismus sei die „Propaganda der Tat“5. Eben das, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufkommende Phänomen des Terrorismus stellt eine solche Verbindung dar. Dabei bedienten sich terroristische Organisationen nicht nur der Möglichkeiten der Massenpresse, um ihre politische Ziele möglichst weit zu verbreiten, vielmehr ist die Unterrichtung der Öffentlichkeit, etwa über Attentate und deren Folgen, essentieller Bestandteil der terroristischen Strategie6.
Ob nun Terroristen, Freiheitskämpfer oder einfache Bürger: die Entstehung der Massenpresse ist eine wesentliche Voraussetzung für das Entstehen einer der staatlichen öffentlichen Gewalt gegenüber kritischen öffentlichen Meinung7. „Öffentlichkeit“ wird zunehmend zu „ein[em] Organisationsprinzip unserer politischen Ordnung“8, indem die staatliche Gewalt gezwungen wird, sich vor der öffentlichen Meinung zu legitimieren9.
In der Folge eines Wandels hin zu „bürgerlichen Rechtsstaaten mit parlamentarischer Regierungsform“10 wird die öffentliche Meinung zur Instanz, vor der sich das staatliche Handeln rechtfertigen muss. Erst damit wird auch Publizität zum Machtfaktor an sich.
Deutlicher als der Ausspruch des Altbundeskanzlers Gerhardt Schröder: „Zum Regieren brauche ich Bild, Bams und Glotze“, lässt sich die Macht der Massenmedien, in ihrer Eigenschaft als Meinungsmacher, kaum ausdrücken.
Fernsehen, Bildzeitung und Bild am Sonntag zu den entscheidenden Institutionen im Prozess der politischen Steuerung des Landes zu erklären, entspricht allerdings nicht der Vorstellung einer funktionierenden, politischen Öffentlichkeit11. Es ist offensichtlich, dass „Bild, Bams und Glotze“ nur einen Teil der öffentlichen Meinung vertreten oder beeinflussen.
Da sich Öffentlichkeit selbst aus unterschiedlichen Teil-Öffentlichkeiten zusammensetzt, handelt es sich bei dem Begriff der öffentlichen Meinung um eine idealisierte Vorstellung. So lassen sich, abhängig von den zu Grunde liegenden Kriterien, unterschiedliche Deutungsweisen identifizieren.
Etwa die öffentliche Meinung als Ergebnis eines am sachlichen Austausch von Argument und Gegenargument orientierten Expertendiskurses12, oder als „Konformitätsausdruck“13 dessen, was öffentlich geäußert werden kann, ohne gesellschaftliche Isolation fürchten zu müssen.
Schröders Aussage liegt offensichtlich eine dritte mögliche Begriffsdeutung der öffentlichen Meinung zu Grunde, nämlich die, sie als Meinung der Mehrheit aufzufassen.
Im Kern beschreibt Schröders Aussage ein Phänomen, dass häufig als Mediendemokratie bezeichnet wird. Auch wenn es sich weder bei der Bildzeitung noch bei Bild am Sonntag, und beim Fernsehen nur sehr bedingt, um demokratisch legitimierte Medieninstitutionen handelt, man also folglich geneigter ist, eine Medienoligarchie zu vermuten, entfaltet sich das Machtpotential der Massenmedien in demokratischen Systemen am weitesten. Geht man davon aus, dass es dem Interesse jeder demokratischen Regierung entspricht, wiedergewählt zu werden, hat die öffentliche Meinung, verstanden als die Meinung der Mehrheit der wahlberechtigten Bevölkerung, den Charakter eines Imperativs.
Demokratien sind allgemein an Mehrheiten orientiert, also muss die öffentliche Meinung in aller Regel als Meinung der Mehrheit identifiziert werden14.
Massenmedien stellen zweifelsfrei mächtige Potentiale bereit um die öffentliche politische Meinung zu beeinflussen. Sie sind Türsteher des öffentlichen Raumes, entscheiden also, welche Informationen öffentlich werden und welche nicht.
Daneben bietet besonders die Bildberichterstattung äußerst wirkungsvolle Mittel und suggestive Möglichkeiten, dem Leser oder Zuschauer eine Botschaft jenseits der eigentlichen Meldung zu vermitteln.
In der Berichterstattung werden häufig komplizierte Zusammenhänge vereinfacht dargestellt. Diese Praxis ist sicher kritikwürdig, aber scheinbar alternativlos15.
Es entspricht und entsprach auch schon in der Vergangenheit dem Auftrag der Medien, bestimmte Zusammenhänge zu deuten oder zu erklären.
So war es bis zur Reformation üblich das schriftunkundige normale Volk mittels großflächiger Gemälde biblischer Szenen und Motive über Willen und Existenz Gottes zu unterrichten und zu belehren16. Demgegenüber war die Minderheit der des Schreibens und Lesens mächtigen Gelehrten nicht auf diese Form der Vermittlung angewiesen.
Die Meinungsmacht der Massenmedien als Deutungshoheit wirkt sich scheinbar vor allem deshalb so gravierend aus, da sie auf eine Gesellschaft ohne „umfassende Identität“17 trifft. Für die postsäkulare pluralistische Gesellschaft ist es konstitutiv, dass sie nicht ein einziges verbindliches Werte-System voraussetzt, sondern eine Vielzahl von Alternativen. Dem Einzelnen entstehen aus der „Wahlfreiheit“18 eigener Wertesysteme „neben dem großen Zugewinn an (…) Mündigkeit, Authenizität und Freiheit auch Enttäuschungen“19 und nicht selten eine neue Unfreiheit.
Sowohl Wertmaßstäbe als auch die „Sinnhaftigkeit des eigenen Lebens“20 sind keine gesellschaftlichen Gebote, sondern eine „individuelle Aufgabe, die das Risiko des Misslingens in sich tragen“21. Selbstverwirklichung wird zum Zwang und zur Voraussetzung für eine sinnvolle individuelle Existenz.
In der modernen Gesellschaft wird „das Individuum auf sich selbst zurück geworfen“22, und konstituiert seine Identität auf der Grundlage von „Differenzerfahrungen"23, wobei die eigene Identität als Relativ im Unterschied zu dem absolut Möglichen empfunden wird. So „unterscheidet [man] sich dadurch, was man bereits realisiert hat, von anderen“24.
Exklusivität, die Teilhabe an vermeintlich einzigartigen, singulären Ereignissen, wertet die eigene Identität daher gegenüber anderen auf. So muss das Angebot der Massenmedien durch bloße Rezeption, „Miterleben und Dabeisein“25 zu können und an fernen, unerreichbaren Lebenswelten beteiligt zu werden, verlocken. Tatsächlich verlockt dieses Fremderleben aber auch zur Übernahme und Simulation vorgefertigter Lebensentwürfe, und stellt somit eine Abkehr vom Individualismus dar.
Massenmedien können in einer individualisierten Gesellschaft aber auch gemeinsame Bezugspunkte herstellen. Sie vermitteln zwischen den Erfahrungen des einzelnen und stellen unterschiedliche Wertsysteme und Maßstäbe zur Beurteilung der eigenen Identität bereit.
Allerdings konfrontieren sie den einzelnen auch mit vielfältigen und umfangreichen Konzeptionen einer gelungenen Existenz. Zu dem modernen Ideal der Vernunft, Funktionalität und Zweckrationalität tritt als zusätzliches Kriterium für ein gelungenes Leben eine „Gegenbewegung pluraler Rationalitäten“26.
Voraussetzung zur Orientierung im Irrgarten der möglichen Möglichkeiten zur Verwirklichung und Konstitution der eigenen Identität ist die permanente Aktualisierung, Vertiefung und der Neuerwerb von Informationen.
Alternativ bietet sich aus diesem Labyrinth auch ein anderer Ausweg nämlich, die eigene sinnliche Erfahrung als „Orientierungsorgan“ zu nutzen, das die „Dominanz des Kognitiven und Funktionalen gleichsam abfedert“27. Ausdruck findet dieses Phänomen in der fortschreitenden Eventkultur, der permanenten Inszenierung von vermeintlich außergewöhnlichen Erfahrungserlebnissen.
Diese Umorientierung ist also auch eine der vermeintlichen Ursachen der allgemein zunehmenden Lust an Sensationen.
Über Skandale, Tragödien und Sensationen wird in stundenlangen Sondersendungen tagelang berichtet. Dabei geht es formal und tatsächlich nicht immer darum, ausschließlich die allgemeine Sensationslust zu befriedigen, sondern das Ereignis zu deuten und in einen gemeinsamen Bezugsrahmen einzuordnen.
Angesichts singulärer Ereignisse ist Fassungs- und Orientierungslosigkeit eine natürliche Reaktion. So ist es bestimmt nachvollziehbar, dass beispielsweise ein Amoklauf an einer Schule Verunsicherung beim Rezipienten auslöst, jedoch durchaus nicht in den Redaktionen.
Journalisten und Reporter folgen vor Ort oder im Studio routiniert einem ritualisierten Sendeschema: Experten äußern sich zu Ursachen der Tat und erläutern die Beweggründe des Täters. Auch wenn die Einschätzung, bei dieser Form der Berichterstattung handle es sich um unappetitlichen Sensations-journalismus, sicher zutrifft, so funktionieren Extra und Brennpunktsendungen doch zugleich auch als Krisenbewältigungsstrategie. Nicht aus der Perspektive der Opfer und Täter, aber aus der des Medienrezipienten. Denn bei der Deutung von Anschlägen, Attentaten oder Amokläufen kommen die Expertenrunden zu meist ähnlichen Schlüssen: religiöser Fanatismus, Killerspiele oder gewaltverherrlichende Musik hätten aus einem psychisch labilen Menschen einen psychisch kranken Täter gemacht. Tat und Täter wird Irrationalität nachgewiesen, somit stellt sich überhaupt nicht die Frage nach rationalen Motiven.
Damit lässt sich die Tat auf etwas zurückführen, das „dem gesunden Menschen völlig fremd“28 ist, der Rezipient wird versichert, nicht Zeuge einer allgemeinen Krise der gesellschaftlichen Kultur zu sein. Denn für eine vermeintlich liberale, pluralistische, moderne Gesellschaft ist das Primat der Rationalität konstitutiv, bürgt sie doch „für dogmatische Richtigkeit, empirische Verifizierbarkeit, rationale Berechenbarkeit und moralische Anständigkeit“29.
Somit wird durch die Exklusion des Täters die Legitimität des in Folge der Tat in Frage gestellten gesellschaftlichen Alltags und kulturellen Umfeldes wieder hergestellt.
[...]
1 Fridell, 2009, S. 692.
2 Ebd.S.691.
3 Vgl. Habermas, 1971, S.43f.
4 Marcinkowski, 1993, S.107.
5 Georg Woodcock (Hrsg.): The Anarchist Reader, Glasgow [Fontana], S.43, bei Schmidbauer, 2003, S. 26.
6 Dabei steigert die Berichterstattung über ein Attentat an sich allgemein denBekanntheitsgrad einer terroristischen Organisation, die Berichterstattung über die Gegenreaktion der „Unterdrücker“ liefert den Rohstoff für Propaganda. Vgl. Schmidbauer, 2003, S. 30.
7 Vgl. Habermas, 1971, S. 44f: beschreibt das Entstehen der unpolitischen „literarischen Öffentlichkeit“, deren Produkt das Räsonnement gegenüber den öffentlichen Gewalten ist und aus der die politische Öffentlichkeit hervorgeht, vgl. ebd. S.73f.
8 Ebd. S. 17.
9 Ebd. S. 40.
10 Ebd. S. 95.
11 Für die „Qualität einer Demokratie“ ist die „der Art und Weise in der ihre Gesellschaft kommuniziert“ entscheidend. (Vgl. Rudzio, 2000, S.483)
12 Vgl. Ebd.
13 Elisabeth Noelle-Neumann, Öffentlichkeit als Bedrohung, Freiburg München 1977, S. 205, bei Rudzio, 2000, S. 484.
14 Hinzu kommt, dass die Rechte der Medien in Demokratien besonders geschützt werden, sie also im System über eine starke Stellung verfügen. Vgl. hierzu etwa die Begründung der Urteile des Bundesverfassungsgerichtes in der so genannten Spiegel-Affäre von 1966: „Eine freie, nicht von der öffentlichen Gewalt gelegte, keiner Zensur unterworfene Presse ist ein Wesensmerkmal des freiheitlichen Staates; insbesondere ist eine freie, regelmäßig erscheinende politische Presse für die moderne Demokratie unentbehrlich.“ BVerfGE 20, 162/174.
15 So haben beispielsweise einige Gesetzesvorhaben einen äußerst komplexen Hintergrund, etwa Gesetzte zur Stammzellenforschung. Um die technokratische Diktatur zu vermeiden, kommt den Medien die Aufgabe zu einer breiten Öffentlichkeit komplexe Sachverhalte verständlich zu machen.
16 Vgl. Reichertz, 1997, S. 19.
17 Horster, 1997, S. 369.
18 Luhmann,1989: Gesellschaftsstruktur und Semantik: Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft, Bd. 3, Frankfurt/M. S.246, bei Horster, 1997, S. 369.
19 Hetterich, 2007,S.3.
20 Reichertz, 2004, S. 56.
21 Ebd.
22 Luhman: Gesellschaftsstruktur und Semantik: Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft, Bd. 3,Frankfurt/M. 1989, S 246, bei Horster, 1997, S. 369.
23 Ebd.
24 Willke, H.: Ironie des Staates. Grundlinien einer Staatstheorie polyzentrischer Gesellschaft, Frankfurt/M. 1996, S. 192, bei Horster, 1997, S. 369.
25 Reichertz, 2000, S. 124.
26 Hetterich, 2007, S.77. Knoblauch beschreibt dieses Phänomen als „populäre Religion“. Vgl. Knoblauch 2006.
27 Ebd.
28 Schmidbauer, 2003, S. 18. Um einem möglichen Missverständnis vorzubeugen: Schmidbauer hält diese teilweise auch von Experten geäußerte Einschätzung für „pseudowissenschaftliche Argumente“ (Ebd.).
29 Hetterich, 2007, S.77.
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