Während die Menschen im Mittelalter nur sehr selten Bilder zu Gesicht bekamen, werden wir tagtäglich von Bildermassen geradezu überflutet. Doch sind es nur ganz bestimmte Bilder, die aus dem massenmedialen Alltag herausragen und einen bleibenden Eindruck hinterlassen: die sogenannten Medienikonen. Um diese von den übrigen Bildern unterscheidbar zu machen, gibt es von wissenschaftlicher Seite Versuche, den Begriff der Medienikone zu definieren.
Benjamin Drechsel schlägt vor, den Begriff der politischen Medienikone einzuführen. Drechsel entwickelt in seinem Aufsatz „The Berlin Wall from a visual perspective: comments on the construction of a political media icon” ein Modell für die politische Medienikone anhand der Berliner Mauer. Der vorliegende Essay setzt sich mit der Frage auseinander, ob es sinnvoll ist, von politischen Medienikonen zu sprechen.
Während die Menschen im Mittelalter nur sehr selten Bilder zu Gesicht bekamen, werden wir tagtäglich von Bildermassen geradezu überflutet. Doch sind es nur ganz bestimmte Bilder, die aus dem massenmedialen Alltag herausragen und einen bleibenden Eindruck hinterlassen: die sogenannten Medienikonen. Um diese von den übrigen Bildern unterscheidbar zu machen, gibt es von wissenschaftlicher Seite Versuche, den Begriff der Medienikone zu definieren. Benjamin Drechsel schlägt vor, den Begriff der politischen Medienikone einzuführen. Drechsel entwickelt in seinem Aufsatz „The Berlin Wall from a visual perspective: comments on the construction of a political media icon”1 ein Modell für die politische Medienikone anhand der Berliner Mauer. Der vorliegende Essay setzt sich mit der Frage auseinander, ob es sinnvoll ist, von politischen Medienikonen zu sprechen.
Benjamin Drechsel weist in seinem eben genannten Aufsatz auf die heterogene Verwendung des Ikonenbegriffs hin. In unterschiedlichen Zusammenhängen, je nach wissenschaftlichem bzw. populärwissenschaftlichem Feld, werde der Begriff anders verwendet. Auch die zahlreichen Arten von Ikonen und die Vermischung der einzelnen Typen von Medienikonen und Nicht-Ikonen, machen eine klare Definition notwendig. Im Konzept der politischen Medienikone sieht Drechsel eine Möglichkeit, den Begriff der Medienikone trennschärfer zu machen. Für ihn ist die politische Medienikone durch folgende Eigenschaften gekennzeichnet:
„Transmediality: pictures that are part of an icon materialize (in hybrid visual formats, such as television, photography, painting and websites) and condition one another; the concept of transmediality in this sense also includes intramedia and intermedia relationships
Public visibility: pictures that belong in this category are publicized in a manner that ensures maximum exposure and a high rate of repetition;
Enhancement/canonization: the iconic quality of relevant phenomena is due to their being raised to the rank of collectively relevant symbols through the use of a number of different stylistic means;
Politicization: iconic phenomena are functionalized politically, especially in terms of the politics of history, which is often instrumental in mobilizing emotions.”2
Die Merkmale Transmedialität und Kanonisierung tauchen auch in anderen Konzepten zu Medienikonen auf, beispielsweise bei Gerhard Paul oder auch bei Reinhold Viehoff. Der Punkt der öffentlichen Sichtbarkeit ist ohnehin eine grundlegende Voraussetzung, damit Bilder zu Medienikonen werden können. Sind Bilder von Personen, Gegenständen oder Ereignissen für niemanden oder nur für wenige Menschen sichtbar, können diese wohl kaum massenmediale ikonographische Bedeutung erlangen. Das eigentliche Unterscheidungsmerkmal von politischen Medienikonen gegenüber anderen Medienikonen sieht Drechsel in der Politicization von Bildern, allen voran der politischen Instrumentalisierung. Allerdings stellt sich hierbei die Frage, ob Medienikonen in den allermeisten Fällen nicht ohnehin für politische Zwecke Verwendung finden.
Sowohl Paul als auch Viehoff sehen in der politischen Kanonisierung – womit „die Etablierung (des Bildes) als Gegenstand von politischen Kampagnen“3 gemeint ist – einen elementaren Prozess, der ein gewöhnliches Bild zu einer Medienikone werden lässt. Anders formuliert bedeutet dies also, dass ohne die Politisierung eines Bildes, dieses nicht zu einer Medienikone werden kann. Demnach ist jede Medienikone in einem Mindestmaß auch immer politisch. Als Beispiel kann man hierbei die US-amerikanische Schauspielerin und Sängerin Marilyn Monroe anführen. Diese gilt als die Sexikone des 20. Jahrhunderts schlechthin und betrat als solche nicht nur die Bretter Hollywoods, sondern auch die politische Bühne. So gab sie 1954 in Korea vor tausenden GI’s, die aufgrund des Koreakrieges dort stationiert waren, medienwirksame Konzerte. Im enggeschnittenen Abendkleid und auf Stöckelschuhen sang sich die blonde Diva im Blitzlichtgewitter der Kameras in die Herzen der amerikanischen Soldaten. Darüber hinaus fungierte Marilyn Monroe nicht nur als Stimmungskanone in Korea, sondern verschaffte zugleich der durch die Wirren des Kalten Krieges verängstigten amerikanischen Bevölkerung Ablenkung mit ihren Filmen und öffentlichen Auftritten. Hierbei wird deutlich, dass nach Drechels Definition von politischen Medienikonen und der Betonung auf die Politisierung, auch diejenigen Ikonen zu politischen Medienikonen werden, die nicht vorrangig als politisch angesehen werden.
Ein grundlegendes Problem im Modell der politischen Medienikone liegt im Politikbegriff selbst. Drechsel möchte mit der politischen Medienikone dem schwammigen Medienikonenbegriff schärfere Konturen geben. Doch der Begriff Politik ist genauso vieldeutig und unscharf wie der der Medienikone selbst. „Die Politikwissenschaft verfügt nämlich ebenso wenig wie die Alltagssprache über einen einheitlichen und verbindlichen Politikbegriff“4, so Karl Rohe. Welchem Politikbegriff liegt Drechsels Beispiel von der Berliner Mauer als politischer Medienikone zu Grunde?
Er beschreibt in seinem Aufsatz die politische Instrumentalisierung der Mauer zur Zeit des Kalten Krieges. Während der Westen die Mauer als Verbrechen gegen die Bevölkerung der DDR ansah und als KZ-Mauer betitelte, machte die SED-Führung sie unter dem Begriff antifaschistischer Schutzwall als lebensnotwendige Maßnahme stark. Drechsel betont die Symbolhaftigkeit der Mauer im Kalten Krieg, deren Fall im November 1989 nicht nur das Ende der DDR herbeiführte, sondern auch das Ende des Jahrzehnte andauernden Konfliktes zwischen den USA und der UdSSR besiegelte.
Mit dem Politischen meint Drechsel somit die staatliche Machtpolitik. Er verwendet einen engen Politikbegriff, da sich Politik bei ihm auf die der Staaten bzw. auf die der Regierungen von Staaten beschränkt. Besitzt man jedoch ein ausgeweitetes Politikverständnis, so bezieht sich Politik nicht nur auf den staatlich-politischen Bereich. So geht Robert A. Dahl davon aus, dass ein politisches System „ein beständiges Muster menschlicher Beziehungen (ist), das in bedeutsamen Maße Macht, Herrschaft und Autorität in sich schließt“.5 Nach dieser Definition stellen auch Familien, Kirchen, Hochschulen, Wirtschaftsunternehmen, etc. jeweils politische Systeme dar. Politische Beziehungen existieren demnach nicht nur zwischen Staaten oder Regierungen, sondern beispielsweise auch zwischen Eltern und Kindern oder Kirchenleitung und Kirchenvolk usw. Die Mauer als das Exempel einer politischen Medienikone greift deshalb zu kurz, weil sie sich auf den kleinen Ausschnitt der Machtpolitik von Staaten konzentriert und die übrigen politischen Akteure und Systeme ausschließt.
Darüber hinaus gibt es neben dem Machtbegriff zahlreiche andere Politikbegriffe wie zum Beispiel Freiheit, Gleichheit, Partizipation, Emanzipation. Betrachtet man Politik etwa unter dem Begriff der Emanzipation, so wird eine weitere Sexikone des 20. Jahrhunderts ebenfalls zu einer politischen Ikone: Josephine Baker. Die US-amerikanisch-französischer Tänzerin avancierte mit ihren wilden, animalisch anmutenden und aufreizenden Tanzdarbietungen nicht nur zum exotischen Publikumsmagneten europäischer Tanztheater der Zwischenkriegszeit. Wie Annette Dorgerloh hinweist, „konnte Josephine Baker als Ausprägung der ‚schwarzen Venus’ für ein verändertes Frauenideal stehen, das in den 1920er Jahren mit dem Begriff der ‚neuen Frau’ gefasst wurde. Es war gekennzeichnet durch ein Überschreiten der traditionellen bürgerlichen Frauenrollen, durch berufliche Selbstständigkeit, sexuelle Unabhängigkeit und insgesamt ein neues, schnelleres Zeitmaß“6. Baker war also nicht nur Tänzerin, sondern auch Bestandteil einer politischen Kultur, die sich für ein neues, selbstbewusstes Frauenbild stark machte und dieses repräsentierte. Als schwarze, aus den USA stammende Sängerin, die in ihren freizügigen Auftritten auch das Klischee der primitiven Exotin bediente, war sie darüber hinaus „Schreckensbild konservativer und vom Rassenwahn ergriffener Tugendwächter“7. Auch wenn Josephine Baker in erster Linie als Sexikone der Zwischenkriegszeit gilt, könnte sie gleichsam als emanzipationspolitische Medienikone bezeichnet werden. In die gleiche Richtung geht das oben angeführte Beispiel Marilyn Monroes, die durch die Politisierung nach Drechsels Konzept ebenfalls dem Feld der Politik, und dabei sogar der Machtpolitik, zugeordnet werden kann. Scheinbar besitzt jede Medienikone immer auch ein gewisses Maß an Politik. Streicht man unter diesem Aspekt das Politische aus Drechsels politischer Medienikone, so würde es folglich keine Medienikonen mehr geben.
Es ist klar, dass Marilyn Monroe oder Josephine Baker aus einem allgemeinen Politikverständnis heraus den Politikbegriff nicht derart ausfüllen wie Wilhelm II., Mao Zedong oder Che Guevara, und folglich zu recht als Sexikonen und nicht etwa als Politikikonen in die Geschichte eingingen. Somit ist es an den bisherigen Ausführungen deutlich geworden, wie vielseitig und vage der Politikbegriff ist. Für Gerhard Paul stellen bedeutende Politikerpersönlichkeiten des Jahrhunderts (von Wilhelm II. über Adolf Hitler bis zu Che Guevara) politische Ikonen dar. Drechsel hingegen zieht die Berliner Mauer als Beispiel für eine politische Medienikone heran, um an ihr eine intensive Politisierung im Sinne einer machtpolitischen Instrumentalisierung herauszustellen. Doch Benjamin Drechsels Versuch mit dem Konzept der politischen Medienikone dem schwammigen Ikonenbegriff schärfere Konturen zu verleihen, führt ins Leere.
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1 Benjamin Drechsel: The Berlin Wall from a visual perspective: comments on the construction of a political media icon, in: Visual Communication 1 (2010), S. 3-24.
2 Ebenda, S. 8.
3 Gerhard Paul: „Mushroom Clouds“. Entstehung, Struktur und Funktion einer Medienikone des 20. Jahrhunderts im interkulturellen Vergleich, in: Ders. (Hg.): Visual History. Ein Studienbuch, Göttingen 2006, S. 244.
4 Karl Rohe: Politik. Begriffe und Wirklichkeiten, 2. Aufl., Stuttgart 1994, S. 14.
5 Robert A. Dahl: Die politische Analyse, München 1973, S. 17.
6 Annette Dorgerloh: Josephine Baker. Die Sexikone der Zwischenkriegszeit, in: Gerhard Paul (Hg.): Bilder, die Geschichte schrieben. 1900 bis heute, Göttingen 2011, S. 47.
7 Ebenda.
- Arbeit zitieren
- B.A. Lutz Feike (Autor:in), 2011, Zum Begriff der "politischen Medienikone" nach Benjamin Drechsel, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/183481
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