In „Materialismus und Qualia: Die explanatorische Lücke" verdeutlicht Joseph Levine, dass psychophysische Identitätsaussagen eine explanatorische Lücke hinterlassen, so dass es nicht umfassend möglich ist zu behaupten, welche Identitätsaussagen wahr sind.
Joseph Levine, Materialismus und Qualia: Die explanatorische Lücke, in Metzinger 2006, S. 103-115
Essaythema:
Erläutern Sie den Begriff und das Argument der explanatorischen Lücke
In „Materialismus und Qualia: Die explanatorische Lücke" verdeutlicht Joseph Levine, dass psychophysische Identitätsaussagen eine explanatorische Lücke hinterlassen, so dass es nicht umfassend möglich ist zu behaupten, welche Identitätsaussagen wahr sind.
Zunächst aber knüpft Levine an Kripkes Argumentation gegen psychophysische Identitätsaussagen an. Saul Kripke formulierte zwei Thesen:
1. Alle Identitätsaussagen mit starren Designatoren sind- wenn sie überhaupt wahr sind- in allen möglichen Welten wahr.
2. Da es vorstellbar ist, dass psychophysische Identitätsaussagen falsch sind, folgt daraus, dass sie tatsächlich falsch sind.
Um Kripkes metaphysisches Argument in ein epistemisches umzuwandeln, geht Levine von zwei Aussagen aus:
(1) Schmerz ist identisch mit dem Feuern der C-Fasern.
(2) Hitze ist die Bewegung von Molekülen.
Diese beiden Aussagen erscheinen kontingent, denn die Falschheit der beiden Aussagen scheint möglich zu sein. Doch Kripke ist der Auffassung, dass die scheinbare Kontingenz von (2) wegerklärt werden kann. Hierfür geht er davon aus, dass wir bei der Aussage "Hitze ist die Bewegung von Molekülen" dabei meinen, dass das, was sich warm bzw. heiß anfühlt, identisch mit der Molekülbewegung ist. Somit wäre dann nicht (2), sondern (2*) kontingent:
(2*) Das, was sich warm/heiß anfühlt, ist identisch mit der Bewegung von Molekülen.
Doch der Ausdruck "Das, was sich warm/heiß anfühlt" ist nicht wie "Hitze" ein starrer Designator und kann daher in anderen möglichen Welten einen anderen möglichen Bezug haben. In unserer Intuition verwechseln wir also die Sache an sich (Wärme/Hitze) mit einer ihrer kontingenten Merkmalen (sich warm/heiß anfühlen).
Hingegen lässt sich laut Kripke diese Erklärung nicht auf Aussagen der Art (1) übertragen, so wie es die Identitätstheorie behauptet. Würden wir versuchen, eine ähnliche Erklärung für (1) zu geben, so würden wir Folgendes erhalten:
(1*) Das, was sich schmerzhaft anfühlt, ist identisch mit der Reizung der C-Fasern.
Nach dem gleichen Muster wie bei (2) wäre dann nicht (1) kontingent, sondern (1*). Da der Ausdruck „sich schmerzhaft anfühlen“ nicht wie „Schmerz“ ein starrer Designator ist, kann es also in anderen möglichen Welten einen anderen Bezug haben und somit nicht identisch sein mit „Schmerz“. Dies aber macht keinen Sinn, da es im Falle von Schmerz keine kontingente, sondern eine wesentliche Eigenschaft ist, dass etwas sich schmerzhaft anfühlt. Es ist nicht möglich, sich Schmerz ohne die Eigenschaft, schmerzhaft zu sein, vorzustellen, sonst würde die Existenz von Schmerz verneint werden. Im Falle von Schmerz kann also die Erscheinungsweise (sich schmerzhaft anfühlen) von der Sache selbst (Schmerz) nicht getrennt werden. Da also die Analogie bei (1) nicht funktioniert, um die Intuition der Kontingenz zu erklären, schließt Kripke somit auf die Falschheit der Identitätsaussage.
Levine zeigt, dass Kripkes Argumentation auch Auswirkungen auf den Funktionalismus hat: Jede funktionalistische Aussage hat stets die folgende Form
(3) Schmerzen zu haben ist identisch damit, sich in Zustand F zu befinden.
Solche Identitätsaussagen stehen vor der Aufgabe, in allen möglichen Welten wahr sein zu müssen, und können widerlegt werden.
Da Levine daran zweifelt, dass sich Kripkes Argument durchsetzt, will er den Widerstand gegen den Materialismus anders angehen. Dazu behandelt er den Unterschied zwischen Aussagen der Art (2) und der Art (1) und kommt zu dem Schluss, dass (2) aus den folgenden Gründen vollständig explanatorisch ist:
1. Unser Wissen von Hitze/Wärme umfasst ihre gesamte kausale Rolle.
2. Die Physik und die Chemie machen deutlich, dass die kausale Rolle der Temperatur als die Bewegung der Moleküle zu verstehen ist.
[...]
- Arbeit zitieren
- Roza Ramzanpour (Autor:in), 2010, zu: Joseph Levine - Materialismus und Qualia, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/183454