„Wer weiß, was er zu tun hat, und tut es nicht,
der macht sich schuldig“.
Doch woher weiß man, was man zu tun hat? Diese Frage zu beantworten ist sicher nicht immer leicht und man muss sie individuell angehen. Doch gibt es manchmal nur eine Antwort - für die Evangelische Kirche zu der Zeit des Hitlerregimes hätte es nur eine geben dürfen, denn in Anbetracht der Tatsache, dass der Hitlerstaat ein Staat der Grausamkeiten war, hätte die Kirche hier eine Hilfe für diejenigen sein müssen, die von diesen Grausamkeiten betroffen waren. Kirche soll eine menschenwürdige und menschenliebende Institution sein, keine „menschenvernichtende“.
Auf die Frage, wieso die Kirche nicht geholfen hat, gibt es (bis heute) keine ausrei-chende Antwort, ebenso wenig wie es eine Erklärung für das gibt, was im Dritten Reich geschehen ist. Die evangelische Kirche hat jedoch, kurz nach Beendigung des zweiten Weltkrieges, eine Erklärung abgegeben, die Stuttgarter Schulderklärung, in der sie versuchte zu erklären, warum sie gehandelt hat, wie sie gehandelt hatte.
>>Schuldbekenntnis ohne Schuldanerkennung<<
Die Stuttgarter Schulderklärung
„Wer weiß, was er zu tun hat, und tut es nicht,
der macht sich schuldig“.1
Doch woher weiß man, was man zu tun hat? Diese Frage zu beantworten ist sicher nicht immer leicht und man muss sie individuell angehen. Doch gibt es manchmal nur eine Antwort - für die Evangelische Kirche zu der Zeit des Hitlerregimes hätte es nur eine geben dürfen, denn in Anbetracht der Tatsache, dass der Hitlerstaat ein Staat der Grausamkeiten war, hätte die Kirche hier eine Hilfe für diejenigen sein müssen, die von diesen Grausamkeiten betroffen waren. Kirche soll eine menschenwürdige und menschenliebende Institution sein, keine „menschenvernichtende“.
Auf die Frage, wieso die Kirche nicht geholfen hat, gibt es (bis heute) keine ausreichende Antwort, ebenso wenig wie es eine Erklärung für das gibt, was im Dritten Reich geschehen ist. Die evangelische Kirche hat jedoch, kurz nach Beendigung des zweiten Weltkrieges, eine Erklärung abgegeben, die Stuttgarter Schulderklärung, in der sie versuchte zu erklären, warum sie gehandelt hat, wie sie gehandelt hatte.
Diese Stuttgarter Schulderklärung, verabschiedet am 19. Oktober 1945 durch den Rat der evangelischen Kirche in Deutschland gegenüber dem Rat des ökumenischen Rates der Kirchen, beginnt damit, dass Kirche sagt, sie befände sich mit ihrem Volk in einer großen Gemeinschaft der Leiden und sie wisse um eine Solidarität der Schuld. Ich frage mich nun: Kennt Schuld denn überhaupt Solidarität?
Diese Frage hat sich der Theologe Dietrich Bonhoeffer bereits 1940 in diesem Zusammenhang gestellt. Doch bevor ich seine Antwort darlege, möchte ich ihn an dieser Stelle kurz vorstellen.
Dietrich Bonhoeffer, geboren im Jahr 1906, war ein theologisches Wunderkind. Im Alter von 21 Jahren hat er seine Promotion geschrieben und drei Jahre später war er, inklusive Professur, ausgebildeter Pfarrer der evangelischen Kirche. Mit dieser Professur wurde er im Jahr 1931 an der Universität in Berlin Privatdozent für „systematische Theologie“. Durch seine vielen Auslandsaufenthalte (u.a. Studienaufenthalte in Rom, Vikariat in Barcelona) wurde er, neben der Stelle des Privatdozenten, zum Jugendsekretär des Weltbundes für Freundschaftsarbeit der Kirchen.
Dietrich Bonhoeffer war also ein angesehener Theologe, doch änderte sich dies teilweise nach der Machtübernahme Hitlers, denn Bonhoeffer war einer der wenigen Theologen, die öffentlich die Ablehnung gegen diese Regierung und deren Auswirkungen äußerten. Diese Ablehnung macht Bonhoeffer u.a. darin sichtbar, dass er zu der Zeit, in der „seine“ Kirche in Erwägung zieht den bereits staatlich eingeführten „Arierparagraphen“ auch für sich zu übernehmen, Flugblätter kreierte, in denen formuliert wurde, dass dieser Paragraph eine Irrlehre von der Kirche sei und der einzig wahre Weg dem entgegenzutreten der Austritt aus der Kirche darstelle.
Bonhoeffer selbst trat nach der Übernahme des Arierparagraphen aus „seiner“ Kirche aus und wandte sich zur „Bekennenden Kirche“, welche sich von den „Deutschen Christen“, also der „Reichskirche“, abwandte. Da dieser Bruch auch organisatorisch vollzogen wurde, richtete die „Bekennende Kirche“ im Jahr 1935 ein eigenes „illegales“ (von der „Reichskirche“ nicht anerkanntes) Predigerseminar ein, welches zur Ausbildung der Vikare diente. Die Leitung dessen übernahm Dietrich Bonhoeffer.
In dieser Zeit schrieb er eines seiner bekanntesten Werke „Nachfolge“, welches 1937 veröffentlicht wurde. Zur selben Zeit wurde das Predigerseminar von der Gestapo (Reichspolizei) geschlossen. Trotz dieser Schließung arbeitet er in illegalen Sammelvikariaten weiter und erst 1939, nach dem der Zweite Weltkrieg ausbrach, beschloss er sich, dies aufzugeben. Er ging daraufhin als Gastdozent nach New York. 1940 kehrt er jedoch nach Deutschland zurück, fest entschlossen, „sein“ Volk in einer solch schweren Zeit nicht allein lassen zu können. Er beteiligte sich daraufhin auch aktiv an einem geplanten Attentat an Hitler. 1943 wurde Dietrich Bonhoeffer, inzwischen ein Rede- und Schreibverbot von der Regierung erhalten, verhaftet. 1945, nachdem man geheime Unterlagen fand, die seine aktive Teilnahme am gescheiterten Hitlerattentat bestätigten, wurde er in einem KZ hingerichtet.
Hinterlassen hat Bonhoeffer eine Anzahl an Schriften, die oft erst posthum bekannt wurden. Darunter auch das Werk „Ethik“, in dem sich ein „stellvertretendes Schuldbekenntnis“ für „seine“ Kirche finden lässt.
In diesem hat er u.a. beschrieben, dass Schuld zunächst vom Einzelnen ausgeht und diese sich auf die Gemeinschaft überträgt. Dadurch, dass sich der Einzelne schuldig gemacht hat, indem er feige verstummte wo er hätte reden müssen, heuchelte und log gegenüber der herrschenden Gewalt, unbarmherzig gegen seine Brüder war und diese leugnete sowie untreu war gegen Christus und dadurch von ihm abfiel, ist auch die Gemeinschaft an all diesem schuldig geworden. Diese Schuld führte Dietrich Bonhoeffer konkret aus, wenn er schrieb:
„Die Kirche bekennt, ihre Verkündigung von dem einen Gott, der sich in Jesus Christus für alle Zeiten offenbart hat und der keine anderen Götter neben sich leidet, nicht offen und deutlich genug ausgerichtet zu haben. […] Sie hat dadurch den Ausgestoßenen und Verachteten die schuldige Barmherzigkeit oftmals verweigert. Sie war stumm, wo sie hätte schreien müssen, weil das Blut der Unschuldigen zum Himmel schrie. […] Die Kirche bekennt, die willkürliche Anwendung brutaler Gewalt, das leibliche und seelische Leiden unzähliger Unschuldiger, Unterdrückung, Hass und Mord gesehen zu haben, ohne ihre Stimme für sie zu erheben, ohne Wege gefunden zu haben, ihnen zu Hilfe zu eilen. Sie ist schuldig geworden am Leben der schwächsten und wehrlosesten Brüder Jesu Christi. […] Die Kirche bekennt, begehrt zu haben nach Sicherheit, Ruhe, Friede, Besitz, Ehre, auf die sie keinen Anspruch hatte, und so die Begierden der Menschen nicht gezügelt, sondern gefördert zu haben. Die Kirche bekennt sich schuldig des Bruchs aller zehn Gebote, sie bekennt darin ihren Abfall von Christus. […] Durch ihr eigenes Verstummen ist die Kirche schuldig geworden an dem Verlust an verantwortlichem Handeln, an Tapferkeit des Einstehens und der Bereitschaft, für das als recht Erkannte zu leiden. Sie ist schuldig geworden an dem Abfall der Obrigkeit von Christus.“2
Schuld ist eine individuelle Sache und sie kann auch durch andere, die ebenfalls schuldig geworden sind, nicht minimiert werden, egal ob diese Schuld ein Einzelner auf sich geladen hat oder durch viele Einzelne eine komplette Gemeinschaft. Es ist also ein schwacher Trost, wenn in der StE von Solidarität gesprochen wird gegenüber denen, durch die man schuldig geworden ist. Dietrich Bonhoeffer verweist in seinem „stellvertretendem Schuldbekenntnis“ auch darauf, dass Christus all unsere Schuld auf sich nahm ohne Bedingungen an uns zu stellen. Die Kirche konnte es hier nicht einmal für sich selbst.
Die Evangelische Kirche schreibt weiter, dass durch sie „unendliches Leid über viele Länder und Völker gebracht worden [ist]“ und sie klagt sich an, nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt zu haben. Leider wurde vollkommen offen gelassen, was die Kirche nicht mutig genug bekannt, für wen sie nicht treuer gebetet, an wen sie nicht fröhlicher geglaubt und wen sie nicht brennender geliebt hat. Dass Kirche einen Fehler gemacht hat, ist zum Zeitpunkt der Stuttgarter Erklärung unumstritten. Doch bin ich mir in Anbetracht einiger geschichtlicher Aspekte nicht sicher, ob sie überhaupt geglaubt, gebetet, bekannt und geliebt hat und ich diese Passage somit als Lüge bezeichnen muss. Hier wird zwar zugegeben, dass die Kirche etwas nicht richtig gemacht hat, doch hört es sich mehr danach an, als wolle sie zugeben, dass sie schlicht und ergreifend „nur“ nichts getan hat. Dies stimmt so nicht. Sie hat sich u.a. durch die Übernahme des „Arierparagraphen“, fünf Monate nach dessen staatlichen Einführung, aktiv an den Grausamkeiten des Staates beteiligt. An diesem Punkt sollte auch erwähnt sein, dass der Hitlerstaat in diesen fünf Monaten nicht forderte, dass die Kirche diesen Paragraphen übernehmen solle- sie hat es von sich aus getan. Kirche hatte somit nicht nur Verrat an den Menschen, die einen anderen Glauben tragen und auch den eigenen Angehörigen begangenen, sondern auch an dem historischen Juden Jesus, dem Grundpfeiler des christlichen Glaubens. Dadurch, dass sie Menschen, die mit dem jüdischen Glauben in Berührung standen, wenn auch nur durch Verwandtschaft mit einem Menschen jüdischen Glaubens, aus der kirchlichen Gemeinschaft verstieß, hat sie auch den historischen Jesus, der Jude war, aus seiner eigenen Kirche verstoßen.
[...]
1 Die Bibel in heutigem Deutsch, Jakobus 4,17. Ich habe diese Bibelausgabe gewählt, denn sie erscheint mir für meine Argumentation um einiges geeigneter als die Lutherbibel oder andere.
2 Stellvertretendes Schuldbekenntnis unter: http://home.arcor.de/dafreestyler/Neu%20WordPad-Dokument.doc, Zugriff am 28.08.2008.
- Citation du texte
- Tanja Hühne (Auteur), 2008, Schuldbekenntnis ohne Schuldanerkennung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/183427
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