Die gegenwärtige Beschäftigung mit der japanischen Dokumentarfilmerin Hitomi Kamanaka (鎌仲 ひとみ)sieht sich in einer paradoxalen Grundkonfiguration. Als Hintergrund dafür dürfen die Ereignisse im Kernkraftwerk Fukushima Daiichi im März 2011 gelten, welche in mehrerlei Hinsicht eine besondere Beziehung mit Kamanakas filmischem Werk unterhalten: primär dadurch, dass die Regisseurin sich in ihren Filmen besonders mit dem Thema Atomenergie kritisch beschäftigt hat; ihre aktuellsten Dokumentationen von 2003 (ヒバクシャ 世界の終わりに "Hibakusha – sekai no owari ni", engl.: "Hibakusha – At the End of the World" AKA "Radiation, A Slow Death: A New Generation of Hibakusha"), 2006 (六ヶ所村ラプソディー "Rokkashomura rapusodî", engl.: "Rokkasho Rhapsody"), und 2010 (ミツバチの羽音と地球の回転 "Mitsubachi no haoto to chikyû no kaiten", engl.: "Ashes to Honey: Searching a Sustainable Future")gelten als Trilogie, die sich explizit zu den Risiken und negativen Auswirkungen der Kernkraft positionieren – stets auch vor einer globalen Perspektive, zunächst aber für Japan selbst.
In allen Filmen lassen sich ausgeprägte Alteritäts-Konstrukte verzeichnen, die anhand einer West-Ost-Achse verlaufen, welche westliche Stereotype umgehend zu bestätigen scheinen. Ein Rezensent eines kanadischen Online-Magazins kommt dadurch zu dem Schluss: „The directness of the Swedes in the film is an amusing contrast to the Japanese politicians who avoid answering questions directly.“
Diese Lesung ist allerdings übereilt, wenn nicht nur das filmisch zur Sichtbarkeit gebrachte, sondern auch das Medium der Sichtbarmachung – die filmische Dokumentation – beachtet wird; es gilt, nicht nur die Aussagen der gezeigten Gesprächspartner Kamanakas, sondern auch eine spezifische ‚Stimme der Dokumentation‘ ins Auge zu fassen, um zu zeigen, dass Kamanaka stilistische und ästhetische Entscheidungen trifft, deren Funktionen (auch) reflexiv zum Inhalt der Filme einerseits, der aufgerufenen Stereotypie andererseits, nutzbar gemacht werden. Es kann gezeigt werden, dass dies eine performative Lesung ermöglicht, vor der die Opposition Sprechen/ Schweigen zugunsten einer übergeordneten Kontrastierung – von Beteiligung zu Unbetroffenheit, Handeln zu Unterlassen – überwunden wird. Vor dieser Folie lässt sich (ohne Essentialismus zu betreiben: rein funktional gedacht) eine dezidiert "japanische Perspektive" der Regisseurin heraus arbeiten, die aber auf globale Fragen bezogen bleibt.
Inhaltsverzeichnis
- I. Einführung
- 1.1 Hintergrund der Beschäftigung
- 1.2 Diskursanalytische Ausgangsüberlegungen
- 1.3 Aufbau der Arbeit
- II. Kommunikationsmuster als interkulturelle Gemeinplätze
- 2.1 Reden und Schweigen
- 2.2 Vagheit und Direktheit
- III. Filmische Alteritätskonstruktionen
- 3.1 Rokkasho Rhapsody und Sennafield, England
- 3.2. Honey to Ashes und Overtornea, Schweden
- IV. Die dokumentarische Stimme
- 4.1 Der dokumentarische Modus
- 4.2 Perspektivik zwischen Allgemeinem und Speziellem
- V. Schlussüberlegungen
- VI. Anhang:
- 6.1 Abbildungsverzeichnis
- 6.2 Filmographie
- 6.3 Quellenverzeichnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Hausarbeit analysiert die japanisch-westlichen Alteritätskonstrukte in den Dokumentarfilmen der Regisseurin Hitomi Kamanaka. Sie untersucht, wie Kamanaka in ihren Filmen über die Atomenergie in Japan und Schweden die Kommunikation zwischen Japanern und Westlern darstellt und welche Stereotype dabei zum Tragen kommen. Die Arbeit analysiert die filmischen Mittel, die Kamanaka einsetzt, um diese Alteritätskonstrukte zu erzeugen, und untersucht die Rolle der dokumentarischen Stimme in ihren Filmen.
- Kommunikationsmuster zwischen Japanern und Westlern
- Stereotype und Vorurteile in der Darstellung von Japan und Schweden
- Die Rolle der dokumentarischen Stimme in der Konstruktion von Alterität
- Die filmischen Mittel, die Kamanaka einsetzt, um Alteritätskonstrukte zu erzeugen
- Die Bedeutung der Atomenergie-Debatte in Japan und Schweden
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt den Hintergrund der Arbeit dar und erläutert die Relevanz der Beschäftigung mit Hitomi Kamanaka im Kontext der Ereignisse in Fukushima. Sie führt in die diskursanalytischen Ausgangsüberlegungen ein und skizziert den Aufbau der Arbeit. Das zweite Kapitel analysiert die Kommunikationsmuster zwischen Japanern und Westlern, die in Kamanakas Filmen zum Ausdruck kommen. Es untersucht die Themen Reden und Schweigen sowie Vagheit und Direktheit und zeigt, wie diese Muster in den Filmen verwendet werden, um die Beziehung zwischen den Kulturen zu gestalten. Das dritte Kapitel befasst sich mit den filmischen Alteritätskonstruktionen in Kamanakas Filmen. Es analysiert die Darstellung von Japan und Schweden in den Filmen "Rokkasho Rhapsody" und "Sennafield" sowie "Honey to Ashes" und "Overtornea" und zeigt, wie Kamanaka durch die Auswahl von Bildern und die Gestaltung der Erzählung Stereotype und Vorurteile über die beiden Kulturen erzeugt. Das vierte Kapitel untersucht die dokumentarische Stimme in Kamanakas Filmen. Es analysiert den dokumentarischen Modus und die Perspektivik zwischen Allgemeinem und Speziellem und zeigt, wie die dokumentarische Stimme in den Filmen dazu beiträgt, die Alteritätskonstruktionen zu verstärken oder zu relativieren.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen die japanische Dokumentarfilmerin Hitomi Kamanaka, Alteritätskonstruktionen, interkulturelle Kommunikation, Stereotype, Vorurteile, die Atomenergie-Debatte in Japan und Schweden, die dokumentarische Stimme und filmische Mittel.
- Arbeit zitieren
- Lukas Roland Wilde (Autor:in), 2011, Sprechende Bilder, schweigende Diskurse, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/182554
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