Lehrererwartungen in der Lehrer-Schüler-Interaktion – wie entstehen sie,
was sind mögliche Auswirkungen (Erwartungseffekte) und wie kann man als
Lehrperson möglichen negativen Auswirkungen auf Lernfortschritte der Schüler
aktiv entgegenwirken: Das sind die zentralen Fragestellungen, mit denen ich
mich im Rahmen dieser Arbeit auseinandersetzen werde. Unter besonderer
Berücksichtigung steht dabei der erste Eindruck, der insbesondere bei der
Einschulung von Bedeutung ist, aber auch dann, wenn ein Lehrer eine Klasse
neu übernimmt oder ein Schüler bzw. eine Schülerin neu in eine Klasse
hineinkommt.
Nicht nur für Psychologen, sondern gerade auch für angehende Lehrer ist es
von besonderer Bedeutung, sich der verschiedenen Formen und vor allem der
möglichen Auswirkungen von Erwartungseffekten bewusst zu sein, um
möglichen negativen Folgen für die Lernerfolge der Schüler, die aus den
Erwartungseffekten resultieren können, bewusst entgegenwirken zu können.
Der Schwerpunkt dieser Arbeit bezieht sich deshalb vorwiegend auf den ersten
Eindruck, weil diese Begegnung psychologisch betrachtet die wichtigste und
möglicherweise folgenträchtigste ist, die sich zwischen einem Lehrer und
seinen Schülern abspielen wird.
Im Rahmen dieser Arbeit wird anhand verschiedener einschlägiger
psychologischer Untersuchungen gezeigt werden, welche Rolle
Erwartungseffekte für den Lernerfolg bzw. -misserfolg eines jeden Schülers
spielen können, welche Gefahren die sogenannte Sich-Selbst-Erfüllende-
Prophezeiung, speziell der Pygmalioneffekt mit sich bringen kann und welche
Faktoren für die Eindrucks- bzw. Erwartungsbildung eines Lehrers über den
einzelnen Schüler ausschlaggebend sind. Außerdem soll dargestellt werden,
welche Möglichkeiten es für den Lehrer gibt, bewusster mit derartigen
Situationen umzugehen und negative Auswirkungen bestimmter
Erwartungseffekte zu vermeiden.
Hauptsächlich wird also der Lehrer als zentrale Person dieser Ausführungen
fungieren, was jedoch nicht bedeutet, dass von einem unidirektionalen, also
einseitigen Modell mit dem Lehrer als Initiator der Lehrer-Schüler-Interaktion ausgegangen wird, wie es noch vor einigen Jahrzehnten in der psychologischen
Forschung üblich war. [...]
Inhalt
1. Einleitung
2. Lehrererwartungen
2.1. Allgemeine Uberlegungen
2.2. Wie bilden sich Lehrererwartungen?
3. Exkurs: Wahrnehmungs- und Eindrucksbildungsprozesse in der Lehrer-Schuler-Interaktion
3.1. Wahrnehmungsprozesse
3.2. Der Prozess der Eindrucksbildung
3.3. Von den Wahrnehmungsprozessen zur Lehrererwartung
3.4. Von den Erwartungen zu Erwartungseffekten
4. Erwartungseffekte im Klassenzimmer als Forschungsgegenstand
4.1. Erste Forschungsansatze: Das Oak-School-Experiment von Rosenthal
4.2. Berucksichtigung der Prozesse der Lehrer-Schuler- Interaktion: Das Sechs-Phasen-Modell nach Brophy und Good
4.3. Forschungen zu Auswirkungen von Erwartungseffekte unter naturlichen Bedingungen: Die Feldstudie von Seaver
5. Padagogische Konsequenzen
6. AbschlieGende Uberlegungen
7. Literatur
1 Einleitung
Lehrererwartungen in der Lehrer-Schuler-Interaktion - wie entstehen sie, was sind mogliche Auswirkungen (Erwartungseffekte) und wie kann man als Lehrperson moglichen negativen Auswirkungen auf Lernfortschritte der Schuler aktiv entgegenwirken: Das sind die zentralen Fragestellungen, mit denen ich mich im Rahmen dieser Arbeit auseinandersetzen werde. Unter besonderer Berucksichtigung steht dabei der erste Eindruck, der insbesondere bei der Einschulung von Bedeutung ist, aber auch dann, wenn ein Lehrer eine Klasse neu ubernimmt oder ein Schuler bzw. eine Schulerin neu in eine Klasse hineinkommt.
Nicht nur fur Psychologen, sondern gerade auch fur angehende Lehrer ist es von besonderer Bedeutung, sich der verschiedenen Formen und vor allem der moglichen Auswirkungen von Erwartungseffekten bewusst zu sein, um moglichen negativen Folgen fur die Lernerfolge der Schuler, die aus den Erwartungseffekten resultieren konnen, bewusst entgegenwirken zu konnen. Der Schwerpunkt dieser Arbeit bezieht sich deshalb vorwiegend auf den ersten Eindruck, weil diese Begegnung psychologisch betrachtet die wichtigste und moglicherweise folgentrachtigste ist, die sich zwischen einem Lehrer und seinen Schulern abspielen wird.
Im Rahmen dieser Arbeit wird anhand verschiedener einschlagiger psychologischer Untersuchungen gezeigt werden, welche Rolle Erwartungseffekte fur den Lernerfolg bzw. -misserfolg eines jeden Schulers spielen konnen, welche Gefahren die sogenannte Sich-Selbst-Erfullende- Prophezeiung, speziell der Pygmalioneffekt mit sich bringen kann und welche Faktoren fur die Eindrucks- bzw. Erwartungsbildung eines Lehrers uber den einzelnen Schuler ausschlaggebend sind. AuGerdem soll dargestellt werden, welche Moglichkeiten es fur den Lehrer gibt, bewusster mit derartigen Situationen umzugehen und negative Auswirkungen bestimmter Erwartungseffekte zu vermeiden.
Hauptsachlich wird also der Lehrer als zentrale Person dieser Ausfuhrungen fungieren, was jedoch nicht bedeutet, dass von einem unidirektionalen, also einseitigen Modell mit dem Lehrer als Initiator der Lehrer-Schuler-Interaktion ausgegangen wird, wie es noch vor einigen Jahrzehnten in der psychologischen Forschung ublich war. Dass auch der Schuler eine aktive Rolle bei der Bildung des ersten Eindrucks seitens des Lehrers spielt, wird dann deutlich, wenn man sich klarmacht, dass sich Schuler bei dieser ersten Begegnung anders verhalten, als sie es sonst tun - insbesondere zunachst meist so, wie sie denken, dass der Lehrer es von ihnen erwartet. Dieses Verhalten wird sich in vielen Fallen auch uber die nachsten Wochen oder sogar bis ans Ende der Schulzeit fortsetzen. Die institutionsbedingte Macht- Asymmetrie zwischen Lehrern und Schulern fuhrt dazu, dass Schuler ihr Verhalten in hohem MaG auf Erwartungen des Lehrers abstimmen - das wiederum hat zur Folge, dass fur den Lehrer weitgehend Notwendigkeit und Moglichkeit entfallen, eigene Erwartungen zu korrigieren. Lehrer wie Schuler interpretieren also auf der Basis ihrer subjektiven Theorien die Situation und den Interaktionspartner und richten ihr Handeln an diesen Ergebnissen aus. An dieser Stelle zeigt sich deutlich, dass durchaus beiderseitige Interaktion stattfindet, die sich jedoch fur den Lernerfolg des einzelnen Schuler negativ auswirken konnte, wenn seitens des Lehrers zu wenig Bewusstsein uber die Prozesse in der Lehrer-Schuler- Interaktion vorhanden ist und damit auch ein bewusster Umgang mit dieser Situation nicht ermoglicht wird.
2 Lehrererwartungen
2.1 Allgemeine Uberlegungen
Um etwas uber die Folgen von Lehrererwartungen, insbesondere in Form verschiedener Arten der Sich-Selbst-Erfullenden-Prophezeiung, aussagen zu konnen, sollte zunachst im Vordergrund der Diskussion stehen, worin der Gegenstand „Lehrererwartung“ uberhaupt besteht und wie Erwartungen zustande kommen.
Eine auch fur unsere Ausarbeitung angemessene Definition liefern Brophy und Good:
„Mit Lehrererwartungen meinen wir Schlusse, die Lehrer uber die gegenwartige und zukunftige Schulleistung und das allgemeine Klassenzimmerverhalten ihrer Schuler ziehen.“[1]
Worin genau bestehen aber nun Lehrererwartungen, was sind das fur Schlusse, die der Lehrer zieht und woraus zieht er sie?
Zunachst muss man unterscheiden zwischen Lehrererwartungen, die eine ganze Klasse betreffen, wie z. B. die Ansichten eines Lehrers uber die Anderbarkeit oder Unveranderbarkeit von Fahigkeiten der Schuler, und Erwartungen, die sich auf einzelne Schuler beziehen.
Letztere sind fur diese Ausfuhrungen von besonderer Bedeutung, wahrend erstere weitgehend vernachlassigen werden konnen.
Trotz der weitverbreiteten Vorstellungen uber die Gefahren von Lehrererwartungen, die haufig sogar mit Vorurteilen gleichgesetzt werden, beruhen diese Erwartungen in der Regel auf gewohnlichen Alltagserfahrungen und auf Beobachtungen. Sie sind normalerweise durchaus zutreffend und werden, falls sich die Beobachtungen andern, vom Lehrer entsprechend revidiert.[2]
Eine Gefahr fur die Lernfortschritte einzelner Schuler besteht erst dann, wenn der Lehrer auf einer starken und rigiden, aber unzutreffenden Erwartung uber einen Schuler verharrt. Diese unkorrekte Wahrnehmung spiegelt haufig das eigene Bedurfnis des Wahrnehmenden wieder, was sich unter anderem mit den Attributionstheorien nach Seligmann begrunden lasst. Ein Beispiel dafur ist, dass Lehrer haufig dazu neigen, den Erfolg ihrer Schuler fur ihre personliche Leistung zu halten, wahrend Misserfolg mit dem Argument „Sie konnen nicht lernen" rationalisiert wird.
Kommt es zu dieser starren unzutreffenden Erwartung, kann das effektive Lehren und Lernen behindert werden.
Ob es jedoch tatsachlich zu dieser Art von Erwartungen kommt, ist von Lehrer zu Lehrer verschieden und hangt in erster Linie davon ab, in welchem AusmaG der Lehrer seine Erwartungen mit den aktuellen Merkmalen seiner Schuler, mit den Beobachtungen, die er macht, versucht, in Ubereinstimmung zu bringen, in dem er seine Erwartungen gegebenenfalls andert und der neuen Situation immer wieder bewusst anpasst.
Dennoch resultieren Erwartungen in aller Regel aus beobachteten Leistungen und verursachen sie nicht. Aussichtslos ist auch der Versuch, bewusst Erwartungen zu vermeiden, um Effekten wie der selbsterfullenden Prophezeiung zu entgehen. Erwartungen sind normal und nicht zu vermeiden, sie sind an sich jedoch auch weder gut noch schlecht.
2.2 Wie bilden sich Lehrererwartungen?
Wie aber bilden sich uberhaupt Erwartungen, insbesondere diejenigen, die nicht aus beobachtetem Verhalten und Leistungen resultieren?
Besonders relevant fur die Bildung von Erwartungen, die nicht aus eben genannten Faktoren resultieren, ist der sogenannte erste Eindruck: Bereits wahrend der ersten Sekunden und Stunden einer Begegnung zwischen dem Lehrer und dem einzelnen Schuler oder auch Individuen allgemein bilden sich relativ stabile Erwartungen.[3]
Um sich klarzumachen, wie es dazu kommt, ist es hilfreich, sich zunachst ein wenig mit den Faktoren zu beschaftigen, die den aus dem ersten Eindruck resultierenden Erwartungen vorausgehen: Die Wahrnehmungsprozesse in der Lehrer-Schuler-Interaktion.
3 Exkurs: Wahrnehmungs- und Eindrucksbildungsprozesse in der Lehrer-Schuler-Interaktion
3.1 Wahrnehmungsprozesse
Wahrnehmungs- und Eindrucksbildungsprozesse sind fur das Entstehen von Erwartungseffekten zwischen Lehrern und Schulern von besonderer Bedeutung, da aus ihnen Erwartungen und Erwartungsprozesse resultieren konnen. Um sich deutlich zu machen, wie sich Wahrnehmungsprozesse vollziehen, kann folgendes Modell zu Erklarung herangezogen werden:
Wahrnehmungsprozesse lassen sich in vier aufeinanderfolgende Phasen einteilen:
- Selektion: Aus der Vielzahl von Umweltreizen werden diejenigen
aussortiert, die fur die individuelle Person subjektiv relevant erscheinen.
- Strukturierung: Die ausgewahlten Reize erfahren ein subjektive
Umstrukturierung, bis sie schlieGlich eine organisierte Einheit darstellen.
- Akzentuierung: Einige Reize erlangen besondere Bedeutung,
andere werden eher unterbewertet.
- Fixierung: Die Wahrnehmung wird auf diejenigen Aspekte fixiert, die fur die wahrnehmende Person von Bedeutung sind.[4]
Diese vier Prozesse vollziehen sich nicht zufallig, sondern sind in hohem MaGe abhangig von den individuellen subjektiven kognitiven Strukturen des Wahrnehmenden. Diese fur diese Prozesse relevanten Strukturen bezeichnet man in der Psychologie als „implizite Personlichkeitstheorien". Darunter verstehen wir ein Bundel von Eigenschaften, die als zusammengehorig wahrgenommen werden. So ist es zum Beispiel moglich, dass die wahrnehmende Person das Tragen einer Brille automatisch mit Intelligenz assoziiert.
[...]
[1] Brophy / Good (1976), S.52.
[2] vgl.: Brophy / Good (1976), S. 54.
[3] vgl.: Brophy / Good (1976), S. 56.
[4] vgl.: Schweer (1992), S. 35.
- Citation du texte
- Katarina Michaele Raker (Auteur), 2003, Erwartungseffekte in der Lehrer-Schüler-Interaktion, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/18196
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