[...] Diese Arbeit hat das Ziel, herauszufinden, ob und wie computerunterstütztes
Lernen sinnvoll im frühen Fremdsprachenunterricht eingesetzt werden kann. Es wird
zunächst genauer zu klären sein, wie Kinder überhaupt mit dem Computer und den so
genannten „Neuen Medien“ umgehen, denn die Akzeptanz dieser Medien ist wesentlich für
den Lernerfolg der Kinder. Dies gilt natürlich nicht nur für den Unterricht in der
Fremdsprache, sondern auch für alle anderen Lerngebiete. Weiter ist daher zunächst
festzuhalten, auf welchen grundlegenden Lerntheorien verschiedene Konzepte zur
Entwicklung von elektronischen Lernumgebungen begründet sind. Dies schafft eine Basis
zur genaueren Betrachtung der Geschichte des computerunterstützten Lernens einer
Sprache, welches im anglo-amerikanischen Sprachraum und auch zunehmend international
einheitlich als Computer Assisted Language Learning (CALL) bezeichnet wird.
Schon eingangs ist die „Zauberformel“ der Software-Firmen, Edutainment,
erwähnt worden. Was sich hinter diesem, zunächst für die Firmen erst einmal finanziell
Erfolg versprechenden, Wort an Potential für den wirklichen Lernerfolg der Kinder
verbirgt und ob entsprechend konzipierte Programme die allgemeine englischsprachige
Kompetenz von Kindern tatsächlich steigert, soll in einem weiteren Teil erörtert werden. Hierzu wird zunächst die Vereinbarkeit von Spielen und Lernen genauer betrachtet. Weiter
werden Grundsätze zur Gestaltung einer Software zum computerunterstützten Lernen von
Sprachen für Grundschulkinder erörtert.
Diese theoretischen Grundlagen ermöglichen vorbereitende Überlegungen zu einer
empirischen Studie zur Computernutzung von Grundschulkindern der dritten Klasse im
Immersionsunterricht der Claus-Rixen-Schule in Altenholz. Diese Kinder sollen im
Rahmen einer noch durchzuführenden Untersuchung zum ersten Mal innerhalb der
schulischen Umgebung Kontakt mit Computern haben. Es werden verschiedene
Softwareprogramme vorgestellt, anhand derer untersucht werden soll, wie die Kinder mit
der ihnen zur Verfügung gestellten Technologie umgehen. Die Frage, die es also - wenigstens ansatzweise - zu beantworten gilt, ist, ob es für
das computerunterstützte Sprachenlernen einen sinnvollen Platz innerhalb des
Immersionsunterrichtes in der Grundschule gibt. [...]
Inhalt
I. Einleitung
II. Kinder und Computer - „Neue Medien“ im Alltag
1. Kinder und das Medium Computer
1.1. Kindlich-mediale Lebenswelten
1.2. „Alte Medien“ und „Neue Medien“ - Ein Definitionsproblem
2. Medienpadagogik und Medienkompetenz
2.1. Der Begriff Medienpadagogik
2.2. Bedeutung und Wirkung der Medien auf Kinder
2.3. Medienkompetenz als Zielvorstellung
III. Computerunterstutzte Lernumgebungen zum Fremdspracherwerb
1. Lerntheorien und ihre Bedeutung fur die Gestaltung von Lernsoftware zum Spracherwerb
1.1. Lerntheorien
1.1.1. Instrumentelles Lernen: Behaviorismus
1.1.2. Entdeckendes Lernen: Kognitivismus
1.1.3. Probleme losen: Konstruktivismus
1.2. Umsetzung in computerunterstutzten Lernumgebungen
2. Computer Assisted Language Learning (CALL)
2.1. Einfuhrung
2.2. Historische Entwicklung des CALL
2.2.1. Phase 1 - Behavioristisches CALL
2.2.2. Phase 2 - Kommunikatives CALL
2.2.3. Phase 3 - Integratives CALL
3. Lernsoftware fur Kinder- Kategorisierung und Einsatzmoglichkeiten in der Grundschule
3.1. Presentations- und Visualisierungssoftware
3.1.1. Konzept
3.1.2. Eignung fur den Unterricht
3.2. „Drill & Practice“-Software
3.2.1. Konzept
3.2.2. Eignung fur den Unterricht
3.3. (Intelligente) Tutorielle Systeme
3.3.1. Konzept
3.3.2. Eignung fur den Unterricht
3.4. Simulationen/Mikrowelten
3.4.1. Konzept
3.4.2. Eignung fur den Unterricht
3.5. Werkzeuge
3.5.1. Konzept
3.5.2. Eignung fur den Unterricht
4. Edutainment - Software zwischen Spielen und Lernen
5. Wahl eines Lern- oder Edutainment-Programms
5.1. Uberlegungen zu Bewertungskriterien
5.1.1. Lernstoff
5.1.2. Multiple Lernkanale
5.1.3. Personalisiertes Lernen
5.1.4. Reaktion auf Fehler
5.1.5. Benutzerfuhrung und Softwareergonomie
5.1.6. Hilfe! - Sinnvolle Hilfestrukturen
5.1.7. Entertainment-Elemente als Lernmotivation
5.1.8. Technische Voraussetzungen an die Hardware
IV. Evaluierung von Software in Hinblick auf ihre Tauglichkeit fur den Einsatz im Immersions- unterricht
1. Einfuhrung
2. Immersionsunterricht in der Claus-Rixen-Schule, Altenholz
3. Wahl eines geeigneten Lernprogramms
3.1. Beurteilung von Software anhand der aufgestellten Bewertungskriterien
3.1.1. Alfons Abenteuer - Verschollen im Inselparadies
3.1.1.1. Checklist „Alfons Abenteuer“
3.1.2. Tim 7 - Die Erinnerungen eines Vergessenen
3.1.2.1. Checklist „Tim 7“
3.1.3. Pajama Sam 3
3.1.3.1. Checklist „Pajama Sam 3“
4. Generelle Eigenschaften geeigneter Programme
V. Begleitende Website zur Arbeit
VI. Schlussbetrachtung und Ausblick
VII. Bibliographie
I. Einleitung
„Multimedia“, „Medienrevolution“, „Interaktivitat“, „Internet“ und „Online Education“: alle diese Begriffe, so vielversprechend, spannend, manchmal aber auch geheimnisvoll sie klingen mogen, pragen die Gesellschaft des beginnenden 21. Jahrhunderts. Wir leben in einem audiovisuellen und durch elektronische Medien gepragten Zeitalter, das durch eine rapide Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologie gezeichnet ist.
Kinder wachsen daher heute, anders als fruher ihre Eltern, ganz selbstverstandlich mit Computern auf. Fur diese Kinder, die zur „Second Computer User Generation“ zahlen, gehort der Einstieg in die Computerwelt zu einem naturlichen Lernprozess. Der Computer ist dabei, fast schon so selbstverstandlich wie das Radio, der Fernseher oder das Telefon, im Haushalt der Familie vorhanden und wird zu vielfaltigen Aufgaben genutzt. Auch wenn viele Betreuer, Lehrer, Erziehende und Eltern oftmals aus Angst, Befurchtungen oder Vorurteilen, die aus dem eigenen Unverstandnis heraus resultieren, die Benutzung der Computer durch Kinder ablehnen, ist der Umgang mit den neuen elektronischen Medien ein wesentlicher Bestandteil der Sozialisation des Kindes.
So kann das digitale Zeitalter auch im Fremdsprachenunterricht nicht mehr ignoriert werden. Mit der weiten Verbreitung des PCs in privaten Haushalten gibt es inzwischen eine Vielzahl von Softwaretiteln zum computerunterstutzten Lernen einer Fremdsprache, meist unter dem Titel „Edutainment-Software“ vermarktet, die Kinder auf vielfaltige Weise beim Zweitspracherwerb unterstutzen wollen. Die neuen Technologien bieten, gerade wenn sie mit innovativ gestalteten Lernangeboten einhergehen, neue Wege, um den Spracherwerb zu fordern. Doch nicht alles, was auf Hochglanzverpackungen angepriesen wird, ist letztendlich sinnvoll einzusetzen; gerade fur den Einsatz im Schulunterricht mussen Kriterien erfullt werden, deren sich selbst die Entwickler dieser Lern- und Spielprogramme oft nicht sicher sind.
Zwar liegen seit zirka Mitte der sechziger Jahre eine groBe Zahl von Untersuchungen zum computerunterstutzten Lernen von Fremdsprachen vor. Im Gegensatz dazu steht aber nur eine geringe Anzahl von Analysen, die auch Erkenntnisse uber positive Auswirkungen des betrachtlichen Potentials zur Verbesserung der Lernleistung durch solche Software aufweisen konnen.
In der Tat ist in den letzten Jahren die eher kritische Haltung gegenuber neuen Technologien einem regelrechten Multimedia-Boom und einer grenzenlosen Euphorie gewichen, was dazu gefuhrt hat, dass verschiedene fur den Erfolg einer Lernsoftware wichtige Faktoren zu wenig oder einfach gar nicht beachtet worden sind. Im Software- wie im Hardwarebereich wurden groBe Summen investiert, Schulen wurden mit Computern ausgestattet und ihnen der Zugang zum Internet ermoglicht. Was dabei jedoch oft in den Hintergrund gedrangt wurde, sind padagogisch-didaktische Aspekte, die ja eigentlich, zum Beispiel bei der Entwicklung einer Lernsoftware fur Grundschuler, an vorderster Stelle stehen sollten.
Diese Arbeit hat das Ziel, herauszufinden, ob und wie computerunterstutztes Lernen sinnvoll im fruhen Fremdsprachenunterricht eingesetzt werden kann. Es wird zunachst genauer zu klaren sein, wie Kinder uberhaupt mit dem Computer und den so genannten „Neuen Medien“ umgehen, denn die Akzeptanz dieser Medien ist wesentlich fur den Lernerfolg der Kinder. Dies gilt naturlich nicht nur fur den Unterricht in der Fremdsprache, sondern auch fur alle anderen Lerngebiete. Weiter ist daher zunachst festzuhalten, auf welchen grundlegenden Lerntheorien verschiedene Konzepte zur Entwicklung von elektronischen Lernumgebungen begrundet sind. Dies schafft eine Basis zur genaueren Betrachtung der Geschichte des computerunterstutzten Lernens einer Sprache, welches im anglo-amerikanischen Sprachraum und auch zunehmend international einheitlich als Computer Assisted Language Learning (CALL) bezeichnet wird.
Schon eingangs ist die „Zauberformel“ der Software-Firmen, Edutainment, erwahnt worden. Was sich hinter diesem, zunachst fur die Firmen erst einmal finanziell Erfolg versprechenden, Wort an Potential fur den wirklichen Lernerfolg der Kinder verbirgt und ob entsprechend konzipierte Programme die allgemeine englischsprachige Kompetenz von Kindern tatsachlich steigert, soll in einem weiteren Teil erortert werden.
Hierzu wird zunachst die Vereinbarkeit von Spielen und Lemen genauer betrachtet. Weiter werden Grundsatze zur Gestaltung einer Software zum computerunterstutzten Lernen von Sprachen fur Grundschulkinder erortert.
Diese theoretischen Grundlagen ermoglichen vorbereitende Uberlegungen zu einer empirischen Studie zur Computernutzung von Grundschulkindern der dritten Klasse im Immersionsunterricht der Claus-Rixen-Schule in Altenholz. Diese Kinder sollen im Rahmen einer noch durchzufuhrenden Untersuchung zum ersten Mal innerhalb der schulischen Umgebung Kontakt mit Computern haben. Es werden verschiedene Softwareprogramme vorgestellt, anhand derer untersucht werden soll, wie die Kinder mit der ihnen zur Verfugung gestellten Technologie umgehen.
Die Frage, die es also - wenigstens ansatzweise - zu beantworten gilt, ist, ob es fur das computerunterstutzte Sprachenlernen einen sinnvollen Platz innerhalb des Immersionsunterrichtes in der Grundschule gibt. Lasst sich der Computer zweckmaBig in das bereits vorhandene Unterrichtskonzept integrieren, gibt es an das Lernverhalten und den Wissensstand der Kinder angepasste Software, kann die Software nicht zielgerichtete sowie zielgerichtete Eingaben der Kinder aufzeichnen und spater Fehler analysieren und Hinweise ausgeben und - ebenfalls wesentlich - wird der Computer als Lernmedium von den Kindern uberhaupt akzeptiert?
Zusatzlich ist zu bemerken, dass begleitend zu dieser Arbeit eine Website entstanden ist, die unter www.call-in-der-grundschule.de abzurufen ist. Durch das behandelte Thema lag der Gedanke nahe, die Arbeit auch in einer elektronischen Hypertext-Variante zu veroffentlichen, die verdeutlicht, welche Vorzuge neue Medien und das Internet auf dem Computer im Vergleich zur herkommlichen, gedruckten Version haben. Erganzend zum Text der Arbeit finden sich auf der Website weiterfuhrende Verknupfungen zu anderen themenverwandten Texten, Internetangeboten und eine Auswahl von anderem Material. Auf die Website wird in einem zusatzlichen Kapitel dieser Arbeit noch genauer eingegangen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Kinder und Computer — „Neue Medien“ im Alltag
II. Kinder und Computer - „Neue Medien“ im Alltag
1. Kinder und das Medium Computer
Ein Satz, der so oder ahnlich haufig in der Literatur anzutreffen ist, lautet: „Kinder leben in eigenen Lebenswelten, die medial gepragt sind.“ (Katzke 1997, Scholz 2001 et al.) Wie aber sehen diese Lebenswelten aus, und in wiefern lassen sie sich mit Medien, insbesondere mit dem noch zu klarenden Begriff „Neue Medien“ und dementsprechend mit dem Medium Computer als Hilfe zum Lehren und Lernen einer L2 verbinden?
1.1. Kindlich-mediale Lebenswelten
Studien im Rahmen der so genannten „Neuen Kindheitsforschung“ (vgl. Scholz 2001) haben in den letzten Jahren versucht, die Perspektive von Kindern nachzuzeichnen. Der offentliche Diskurs uber Kindheit heute und diverse wissenschaftliche Studien sind von sehr unterschiedlichen Bildern uber Kindheit und Kinder gepragt (vgl. Melzer/Sunker 1989, Lange 1995).
Wahrend einige Studien durch eine erwachsenenzentrierte Herangehensweise die Gefahr einer verzerrten Bewertung heutiger Kindheit mit sich bringen, zeigen Ergebnisse anderer Untersuchungen deutlich auf, dass die Verarbeitungsformen von Kindern sich von denen Erwachsener unterscheiden. Scholz (2001) gibt als Beispiel hierfur das Ansehen eines Filmes an:
„Kinder [sehen] einen Film nicht nur anders als Erwachsene, sie [sehen] auch einen anderen Film...“ (Scholz 2001: 61.)
Das Bild von kindlicher Vorstellung ist, wie zuvor schon bemerkt, heute zumeist noch vom Verstandnis Erwachsener — und damit von ihrem eigenen, subjektiven
Erfahrungshintergrund — gepragt. (Kranzl-Nagel 1998). Es ist aber davon auszugehen, dass die „objektive Umwelt“ der Erwachsenen nicht der subjektiven, von den Kindern erfahrenen Umwelt entspricht, sondern dass Kinder die Realitat auf ihre eigene Art und Weise verarbeiten. Daher gehen Kinder oftmals auch anders mit Gegenstanden um als ihre erwachsenen Mitmenschen — allein schon deshalb, weil sie zum Beispiel mangels Lesen einer Gebrauchsanweisung etwas Neues sehr viel unbedarfter und unbefangener nutzen. Dies schlieBt das Medium Computer selbstverstandlich mit ein.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
ABBILDUNG 1: Der Generationenkonflikt des Jahrtausendwechsels (Ausriss aus der TAZ).
Dabei ist fraglich, ob etwas wie eine „objektive Umwelt“ uberhaupt existiert. Betrachtet man die Lebenswelt als individuelle Konstruktion — auf den Konstruktivismus wird spater noch im Detail eingegangen —, so sind jegliche Medienangebote fur Kinder Anlasse zur Konstruktion ihrer individuellen Wirklichkeit. Die Entwicklung von kindlichen Vorstellungen findet also nicht nur durch unmittelbare, direkte Erfahrungen statt, sondern in groBen Teilen auch durch mittelbare Erfahrungen, die im Wesentlichen durch die Rezeption von Medienangeboten unterschiedlicher Art erworben werden. (Herzig 2001). Dazu zahlen neben Buchpublikationen, Fernsehsendungen, Radioangeboten und Zeitungsbeitragen verstarkt auch Computerprogramme und das Internet.
Abbildung 1 verdeutlicht die durch diese Rezeption entstehende Spaltung zwischen Erwachsenen und Kindern im Bereich der „Neuen Medien“. Oft geht die Ablehnung des Computers und seines Einsatzes auf Seite der Erwachsenen mit Unsicherheit
beziehungsweise Unkenntnis einher (Graf 2000), wahrend Kinder das Medium unvoreingenommen und mit offenen Armen annehmen. Dagegen hat zum Beispiel nur jeder funfte Lehrer Erfahrung mit dem Computer und dem Internet (Breitinger 2000, vgl. auch O’Rioardan 2001 fur eine Studie in den USA, die ahnliche Ergebnisse prasentiert).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
ABBILDUNG 2: Computer- und Internetnutzung in der Altersgruppe 6-13 Jahre (KIM 1999 und KIM 2000).
Betrachtet man jedoch in Abbildung 2 die Computer- bzw. Internetnutzung von Kindern in der Altersgruppe 6-13 Jahre laut den Studien KIM (Kinder Internet Medien) 1999 und KIM 2000, so kann schon in diesem kurzen Zeitraum ein deutlich sichtbarer Anstieg erkannt werden (KIM 1999, KIM 2000). Verwendeten im Jahr 1999 noch 51 Prozent der Kinder (45 Prozent Madchen / 57 Prozent Jungen) Computer und Internet auf einer regelmaBigen Basis, so waren es 2000 schon 60 Prozent (55 Prozent Madchen / 66 Prozent Jungen), also fast zwei Drittel der befragten Kinder. Zahlen fur das Jahr 2001 liegen noch nicht vor, sie durften aber nochmals einen deutlichen Anstieg der Computer- und Internetnutzung aufzeigen.
Die Kinder des beginnenden 21. Jahrhunderts, die so genannte „Generation N“ oder auch „Generation @“ (De Witt 2000), gehen also so selbstverstandlich mit den neuen digitalen Medien um, wie es zum Beispiel die „Babyboomer-Generation“ mit Fernsehen
und Telefon getan hat. Dabei werden oft die Alteren ausgegrenzt oder mussen es von den Kindern lernen. Dies ist ein nicht zu vernachlassigender Faktor, wenn es in einem spateren Kapitel um Medienpadagogik geht, denn Wissenschaftler und Lehrer - die „Alteren“ eben — entscheiden uber den Einsatz genau dieser neuen digitalen Medien, die von den Kindern ohne Vorbehalte eingesetzt werden. Baacke (1997) schreibt hierzu:
„Oft sind es die Jungeren, die sich den neuen Wahrnehmungsweisen mit Neugier und nicht mit Abwehr stellen; sie sind es auch, die zumindest in den Bereichen Medien, Konsum [und] Freigeit [...] uberdurchschnittlich gut Bescheid wissen und auch fur die altere Generation Orientierungssignale setgen. Vieles lernen die Alteren heute von den Jungeren. Von den Freigeitstilen bis zu den Medien: Es sind die jungen Menschen, die Bescheid wissen.“
(Baacke 1997: 23.)
Dies lasst Kinder in eine Gesellschaft hineinwachsen, die sich grundlegend von fruheren Zeiten unterscheidet. Wahrend fruher die Erwachsenen im „Besitz“ der Informationen waren und sie diese nur ausgewahlt an die Kinder weitergaben, konnen sich heute Kinder diese Informationen leicht selber und damit ungefiltert besorgen. Oft werden sie sogar direkt mit ihnen konfrontiert (Decker 1998).
Naturlich entstehen durch diesen Wandel zur Informationsgesellschaft Befurchtungen und Angste. Viele Kritiker sehen in der Nutzung des Computers durch Kinder und die dadurch entstehende Erreichbarkeit von Informationen vielfaltige Probleme, wie zum Beispiel die Verwischung von Altersunterschieden oder den „Verlust der Kindheit“ (vgl. Scholz 2001). Es ist jedoch unbestreitbar, dass Kinder heute in einer von Medien bestimmten Gesellschaft aufwachsen und die Medien ihrerseits einen groBen Einfluss auf die Kinder und ihre Entwicklung ausuben. Weder Ignoranz noch Verteufelung, sondern nur die kritische Auseinandersetzung mit den Medien, insbesondere den „Neuen Medien“, kann dazu beitragen, Kinder auf ihrem eigenen Weg zur sinnvollen Nutzung dieser Medien zu begleiten.
1.2. „Alte Medien“ und „Neue Medien“ - Ein Definitionsproblem
Zunachst soil der Medienbegriff selbst geklart werden. Es ist bereits festgestellt worden, dass Kinder unbefangener mit „Neuen Medien“ umgehen und diese eine immer starkere Verbreitung in deutschen Haushalten erfahren. Schon langer sind elektronische Medien wie zum Beispiel das Fernsehen, Kassettenrecorder, CD-Spieler, Walkman und Spielkonsolen eine Selbstverstandlichkeit in den Kinderzimmern (vgl. Neumann-Braun 1991).
Bis vor einiger Zeit noch wurde, wenn der Begriff „Mediatisierung der Kindheit“ verwendet wurde, hauptsachlich auf das Fernsehen verwiesen (vgl. Decker 1998). Durch die rasante Entwicklung der Informationstechnologie besonders im letzten Jahrzehnt und auch heute noch stehen in der aktuellen Diskussion zunehmend der Computer und verwandte Technologien wie das Internet im Mittelpunkt. So sehr diese Gerate und Moglichkeiten fur die Kinder aus den bereits erwahnten Grunden sehr schnell selbstverstandlich sein mogen, die zugige Entwicklung der neuen Medien ist fur viele Eltern und Padagogen ein Problem — Verstehen, Umgang, Einsatz, Einschatzen und Abwagen der Wirkungen auf Kinder bleiben zum Teil aus (Lenhardt 1991, Decker 1998).
Daher ist es nicht verwunderlich, wenn diesen neuen Medien einerseits mit groBer Skepsis, andererseits mit absoluter Befurwortung begegnet wird. Aber auch wenn die Kritiker zunachst eine starke Position hatten (vgl. Hentig 1993), die elektronischen Medien setzen sich im Alltag durch, und so gilt es, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Eine Hinfuhrung zu einem kritischen und verantwortungsvollen Umgang scheint sinnvoll, gerade in der Hinsicht, dass Kinder durch den Computer und das Internet oft ungefilterten Zugang zu Informationen haben (vgl. de Witt 2000).
Bevor aber sinnvoll mit dem Begriff „Neue Medien“ umgegangen werden kann, erscheint eine kurze Erlauterung des Medienbegriffes notwendig. Zunachst mussen die so genannten „alten Medien“ — gemeint sind Bucher, Tonmedien, Dias, Filme etc. — von den hier zu behandelnden „Neuen Medien“ abgegrenzt werden. Im Folgenden soll der Begriff „Neue Medien“ verwendet werden, wenn die Inhalte mit Hilfe eines Computers gelesen, gehort und so genutzt werden, dass mit ihnen gearbeitet und gelemt werden kann, sei es durch gezieltes oder spielerisches Lernen. Die Inhalte sind elektronisch auf Datentragern (Disketten, CD-ROMs, DVDs etc.) oder auch im Internet verfugbar (vgl. Heyden/Lorenz 1999). So ist mit den „Neuen Medien“ nicht unbedingt zielgerichtet der Computer gemeint, sondern vielmehr die Inhalte, mit denen am und durch den Computer gearbeitet wird.
Der Computer verbindet so die klassischen „alten Medien“ zu einer durch die Moglichkeiten der elektronischen Speicherung verbundenen und erweiterten Einheit, die, wenn sie nach den richtigen, noch zu definierenden Kriterien, gestaltet wird, ein sehr machtvolles Instrument zur Wissensvermittlung sein kann. Richtig eingesetzt und genutzt offnet der Computer durch moderne Technologien wie zum Beispiel Sprachausgabe und auch Spracherkennung in Verbindung mit der fast grenzenlosen Kommunikation durch das Internet neue Einsatzorte. Bevor diese Einsatzorte aber erschlossen werden konnen, mussen zunachst sowohl die Entwickler als auch die Nutzer dieser neuen Moglichkeiten den sinnvollen Umgang mit ihnen lernen. Nur so kann gewahrleistet werden, dass der Einsatz des Computers als Lernumgebung den gewunschten Erfolg erzielt.
2. Medienpadagogik und Medienkompetenz
2.1. Der Begriff Medienpadagogik
Medienpadagogik ist der Definition nach eine sehr weit gefasste Disziplin. Sie befasst sich mit der Erziehung zum Umgang mit den Massenmedien wie Funk, Presse, Film, Fernsehen und naturlich seit einigen Jahren auch Computer und Internet sowie den damit verknupften neuen Medien. Im Kontext dieser Arbeit geht es vornehmlich um den Einsatz und Umgang mit dem Computer, jedoch sollten in der praktischen Umsetzung die anderen Komponenten keinesfalls vernachlassigt werden, da der Computer fur sie eine Schnittstelle darstellt und sie in den neuen Medien mehr und mehr vereint.
Die Lehrerschaft an deutschen Schulen ist sehr medienkritisch. In der Diskussion der Padagogen uber den Einsatz von Computern in Grundschulen zeigt sich bisher eine zuruckhaltende bis ablehnende Haltung. Einerseits ist dies am Desinteresse in Bezug auf das Thema durch zentrale erziehungswissenschaftliche Publikationen festzustellen (Aufenanger 2000), andererseits an der sehr betonten Position von Hartmut von Hentig (1993), die von Theoretikern wie auch Praktikern gerne in Anspruch genommen wird. Hentig ist der wohl profilierteste und fundamentalste Kritiker des Computereinsatzes in der Grundschule, ja in der Schule generell. Er befurchtet, dass der Computereinsatz in der Schule zu einer Zwei-Klassen-Gesellschaft fuhrt. Wie alle technischen Medien komme er primar den ohnehin Begabten und Privilegierten zugute, nicht aber den sozial und individuell Benachteiligten. In einem vernichtenden Urteil fasst er seine Gedanken zusammen:
"Alles, was man padagogisch erreichen will, erreicht man besser ohne den Computer. Alles, was man padagogisch vermeiden will, vermeidet man besser ohne ihn. Alle Dummheiten, die die Schule macht, macht sie mit ihm verstarkt. Alles was man nur an und mit dem Computer lemen kann, ist herplich wenig und kann [...] realistischer und wirksamer absolviert werden.“
(Hentig 1993: 62.)
Dieser wenig differenzierte und nicht durch wirkliche Argumente unterstutzte Blick auf den Computereinsatz in der Schule — Hentig schlieBt mit dem Gedanken, er hatte lieber einen Zoo in jeder Schule - druckt eine fundamentalistische und pauschalisierende Abwehrhaltung aus, der sogar Positionen gegenuberstehen, die gleich das gesamte heutige Schulsystem zugunsten eines rein auf Computern basierenden Lernsystems abschaffen wollen.
„Kinder sollen Medienkompeteng erlangen. [...] Dagu sollen neue Medien in den Unterricht integriert werden und langfristig die Institution Schule ubeflussig machen.“
(Gottwald/Sprinkart 1998: 78.)
Zwischen diesen beiden Extrempositionen von Hentig und Gottwald/Sprinkart finden sich diverse Einschatzungen, die sich durchaus differenzierter mit dem Thema auseinandersetzen. Kochan (1996) fasst die Situation fur die Computernutzung wie folgt zusammen:
„Die deutsche grundschulpadagogische Tabuisierung bis Verteufelung des Computers (ausgegeben als fiewahrung’ der Kinder vor etwas Schlimmem) fuhrt [...] faktisch dagu, dass der [...] Umgang mit diem Computer nur von denjenigen Kindern rechtgeitig gelernt wird, die aupierhalb der Schule Zugang gum Computer haben...“
(Kochan 1996: 141.)
Jedoch steht im Gegensatz zur eher skeptischen Einstellung der padagogischen Wissenschaften die Auffassung der Bildungspolitik, die immer starker die Forderung erhebt, dass Kinder schon fruh Kompetenz im Umgang mit den „Neuen Medien“ erwerben mussen. Erst das macht sie in einer von Medien gepragten Welt handlungsfahig. Dies bedeutet, dass schon von der Grundschule an eine Auseinandersetzung mit den Informations- und Kommunikationstechnologien — sowohl inhaltlich als auch instrumentell und medial — erforderlich ist.
Dabei muss beachtet werden, dass hier nicht das Mediensystem, also der Computer selbst, sondern entsprechende padagogische und didaktische Konzepte im Mittelpunkt stehen (Schmerr 2001). So konnen nach Huther/Schorb/Brehm-Klotz (1990) folgende
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
ABBILDUNG 3: Ziele der Medienpadagogik, angepasst an Computer und Internet
(nach Huther/Schorb/Brehm-Klotz 1990).
2.2. Bedeutung und Wirkung der Medien auf Kinder
Es ist schon in Kapitel 1.1. dargestellt worden, dass die Sozialisation von Kindern heute sehr stark von Medien gepragt wird. Auch wenn oder gerade weil Kinder daher taglich mit Medien umgeben sind, ist zusatzlich ein Heranfuhren an den verantwortungsvollen Umgang mit Medien in der Schule sinnvoll, so wie es die Medienpadagogik versucht. Es stellt sich aber auBerhalb der Medienpadagogik die Frage, welche Wirkung die Medien auf heutige Kinder haben. Was im Kopf eines Kindes mit einem Medieneindruck geschieht, ist nicht in einfache Strukturmodelle zu pressen, da es Blicke in vielfaltige Richtungen erfordert, auf die hier nicht im Detail eingegangen werden kann. Wichtig ist, dass zunachst in dieser Hinsicht die oft verwendete Sundenbocktheorie (Worther 1992) abgelegt werden muss. Medien wie das Fernsehen oder auch solche auf dem Computer arbeiten keinesfalls an der Zerstorung unserer Kultur und Werte, und, ganz wichtig, Kinder sind bei der Benutzung dieser Medien nicht nur Opfer, sondern auch Handelnde.
Viele Eltern und Padagogen haben die Befurchtung, die durch die Medien, besonders durch den Computer, beeinflussten Kinder wurden sich zu Einzelgangern entwickeln, die mit der AuBenwelt nur noch per Mausklick in Kontakt stehen. Dieser Standpunkt lasst sich anhand der empirischen Untersuchungen auf diesem Feld nicht bestatigen (vgl. Martin 2000). Forscher gehen einerseits davon aus, dass die Nutzung des Computers als Freizeitbeschaftigung nur einen relativ geringen Stellenwert bei der Verwendung von Freizeit einnimmt. Zum anderen wird die zunehmende Technisierung — so stellen Psychologen und Soziologen fur alle Altersgruppen fest - zur Folge haben, dass das menschliche Miteinander und die Umwelterfahrung aus erster Hand wichtiger werden.
Beobachtungen haben gezeigt, dass im Zuge der fortschreitenden Mediatisierung nicht-mediale Aktivitaten und Kommunikationsformen keineswegs aus dem Kinderalltag verdrangt worden sind, sondern in bestimmten Bereichen sogar an Bedeutung gewinnen konnen, ohne dass deswegen der Medienkonsum verringert werden musste (Worther 1992). Im Aufwind sind vor allem sportliche Aktivitaten und ganz allgemein das Zusammensein mit Gleichaltrigen.
Das mag eine Beruhigung all derer sein, die befurchten, dass durch starke Computernutzung eine Vereinzelung der Menschen eintreten wurde. Dennoch hat der Computer naturlich Auswirkungen auf das Freizeitverhalten der Kinder bezuglich der Nutzung der ubrigen „alten“ Medien: Liegt bei den 6 - 13jahrigen noch Bucherlesen vor der Nutzung des Computers, so hat bei den 14 - 19jahrigen der Computer dem Buch den Rang abgelaufen. Erhebungen uber die Orte, an denen Kinder und Jugendliche den Computer nutzen, bestatigen aber zusatzlich, dass Computernutzung eher mit Freunden zusammen geschieht als alleine fur sich (Martin 2000).
So sind „Neue Medien“ auf dem Computer also keine Gefahr fur Kinder, keine Bedrohung fur unsere Kultur und unsere Werte. Sie stellen im Gegenteil, so komplex das Phanomen „Medien“ auch sein mag, eine sinnvolle Erganzung zu den bekannten und gesellschaftlich voll akzeptierten „Alten Medien“ dar. Nichtsdestotrotz muss naturlich im Umgang mit diesen „Neuen Medien“ ein gewisser Standard erreicht werden, der im folgenden Abschnitt erortert werden soll.
2.3. Medienkompetenz als Zielvorstellung
Unsere Informationsgesellschaft hat in den letzten Jahren eine schwer durchschaubare Medienwelt mit sich gebracht, die einer standigen Anderung und rasanten Weiterentwicklung unterworfen ist. Auch wenn den Kindern eine Medienbildung durch ihre Alltagserfahrungen nicht abgesprochen werden kann, so ist diese noch nicht unbedingt identisch mit dem Begriff der Medienkompetenz, der in der offentlichen Diskussion mehr und mehr an Bedeutung gewinnt.
Die praktische Einfuhrung von Computern in Schulen und die damit einhergehenden Probleme zeigen, dass fur den Umgang mit den „Neuen Medien“ im Unterricht besondere Fahigkeiten und Fertigkeiten notwendig sind, die bisher anscheinend noch nicht vermittelt wurden. Beim Erwerb dieser Fahigkeiten sind Schulerinnen und Schuler und Lehrerinnen und Lehrer oftmals gemeinsam Lernende (Heyden/Lorenz 1999). Zunachst wird einfach einmal in die Ausstattung investiert, und die Computer- und
Softwareindustrie profitiert davon. In Schulen herrscht dadurch anfangs padagogische Ratlosigkeit oder zumindest Zogerlichkeit (Schmerr 2001). Medienkompetenz entwickelt sich namlich — im Gegensatz zur weitlaufigen Meinung — nicht allein durch die Ausstattung der Schulen mit entsprechenden Computeranlagen, auch wenn oft dem Computer und Internet allein schon ein Bildungswert zugeschrieben wird.
Dies allein fuhrt aber nicht zum gewunschten Ziel. Es gibt daher vielseitige Uberlegungen zur Bestimmung von Medienkompetenz (vgl. Buschmeyer 1996), aus denen sich einige Schlusselqualifikationen herauskristallisieren, die naturlich das Ergebnis einer standigen Weiterentwicklung uber alle Schulstufen hinweg darstellen:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
ABBILDUNG 4: Dimensionen der Medienkompetenz (nach Aufenanger 2000).
Unter Berucksichtigung dieser verschiedenen Aspekte bezuglich der Medienkompetenz sollten schon Grundschuler Einblicke in die Moglichkeiten der Neuen Medien erhalten. Zunachst, so die zumeist einheitliche Meinung der Literatur (Herzig 2001), beschrankt sich dies jedoch auf den Computer und in Ansatzen auf das Internet. Kinder sollten schon fruh mit den Strukturen des Wissenserwerbs in multimedialen Systemen, seien es Lernprogramme oder das Internet, vertraut gemacht werden. Die Bedeutung von Symbolen oder die Navigation in einem solchen System erschlieBt den Kindern Zugang zu vollig neuem und erweitertem Wissen (Aufenanger 1996).
Bei der Betrachtung des Begriffes Medienkompetenz geht es aber weiterfuhrend um wesentlich mehr als lediglich das Bedienungswissen. Bevor das neue Medium als Anwendungspotential uberhaupt in Betracht gezogen werden kann, muss zunachst gepruft werden, ob dieses uberhaupt unter den gegebenen Umstanden sinnvoll und wunschenswert ist (Ihringer 1998). So soll die erworbene Medienkompetenz letztendlich auch dazu befahigen, sich gegen einen Medieneinsatz entscheiden zu konnen und etwaige Alternativen zu prufen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
III. Computerunterstutzte Lernumgebungen zum Fremdspracherwerb
1. Lerntheorien und ihre Bedeutung fur die Gestaltung von Lernsoftware zum Spracherwerb
1.1. Lerntheorien
Die Entwicklung von Lernsoftware fur das Erlernen von Sprachen geschieht, so sollte man jedenfalls im besten Fall bei den meisten Anbietern annehmen, nach bestimmten Kriterien, die sich auf lernpsychologische Uberlegungen beziehen. Es liegt auf der Hand, dass man eine solche Software erst dann sinnvoll gestalten kann, wenn man sie nach grundlegenden Typen von Lernparadigmen strukturiert hat, denn jede Lernsoftware geht von einer gewissen Vorstellung uber den jeweiligen Lernprozess aus (Ihringer 1998).
Solche Lernparadigmen sind relativ geschlossene theoretische Muster, die ganz bestimmte Sichtweisen darstellen. Kenntnisse beziehungsweise Auffassungen uber das Lernen werden in einem einheitlichen System zusammengefasst. Das Lernparadigma bestimmt damit einen allgemeinen Rahmen fur didaktische Uberlegungen.
Bei der Entwicklung von computerunterstutzten Lernumgebungen spielen besonders drei grundlegende Lerntheorien eine Rolle:
- der Behaviorismus, der am messbaren Verhalten und der Reaktionsweise des Lerners orientiert ist,
- der Kognitivismus, der sich auf die Wahrnehmung des Individuums und deren logische Weiterbearbeitung konzentriert, und
- der Konstruktivismus, der die individuelle Entstehung und Existenz von Wissen annimmt.
1.1.1. Instrumentelles Lernen: Behaviorismus
Rein definitionsgemaB setzt sich der Behaviorismus mit dem „objektiv beobachtbaren und messbaren Verhalten“ auseinander (Grun 2000). Zum ersten Mal tritt der Begriff in einer Schrift des Amerikaners John Watson mit dem Titel „Psychology as the behaviorist views it“ auf (vgl. Hasebrook 1995), den er von dem russischen Physiologen Iwan Petrowich Pawlow ubernahm. Pawlow erforschte in zahlreichen Experimenten das Verhalten von Tieren und wies nach, dass sich Reflexe bei Tieren und Menschen antrainieren lassen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
So vertritt der Behaviorismus die Grundform des Objektivismus — Wissen wird als etwas angesehen, „das extern und unabhangig vom Lernenden existiert“ (Blumstengel 1998). Der Lernende soll dieses gegebene Wissen erlangen. Das Wissen ist objektiv und unabhangig vom Bewusstsein fur jeden gleich. Den Prozessen beim Lernenden wird keine Aufmerksamkeit gewidmet, die Lernstrategie beschrankt sich auf ein einfaches Reiz- Reaktions-Modell — das Gehirn wird als eine starre „black box“ definiert, die einen Reiz erhalt und darauf deterministisch reagiert, eben eine Reiz-Reaktions-Kette, wie es Pawlow in seinem Modell nennt (vgl. Edelmann 1994, Baumgartner/Payr 1994).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
ABBILDUNG 5: Schematisches Modetl der „black box“ (nach Baumgartner/Payr 1994).
Im Falle der computerunterstutzten Lernumgebung wurde dies bedeuten, dass der Benutzer eine Eingabe in den Computer macht und das Lernen durch Hinweisreize und Verstarkungen gesteuert wird; Lernen funktioniert im Wesentlichen durch Belohnung und Strafe. Dieses simple Schema wird heute kaum noch offen vertreten, denn der menschliche Lernprozess ist sehr viel komplexer.
Zunachst waren behavioristische Lernsysteme aber wirklich diesem Schema entsprechende mechanische „Lehrmaschinen“. Das Konzept der „Programmierten Instruktion“ (programmed instruction) wurde 1958 von Burrhus Skinner, einem der Hauptvertreter des Behaviorismus, entwickelt. Der zu lernende Stoff wurde in einer Abfolge von Fragen und Antworten prasentiert, die langsam im Schwierigkeitsgrad gesteigert wurden; dieses Konzept war in den meisten fruhen Lernprogrammen zu finden. Alternativ wurde auch einfach Lehrbuchwissen streng linear prasentiert, so dass sich kein echter Vorteil gegenuber der alten Buchform ergab. Diese Varianten linearer, systemgesteuerter Lernprogramme werden unter dem Begriff „Tutorielle Systeme“ zusammengefasst.
Skinner formulierte fur diese „Tutoriellen Systeme“ folgende padagogische Regeln (nach Hasebrook 1995):
1. Auf jede Antwort muss unmittelbar eine Ruckmeldung erfolgen.
2. Alle Schuler sollten eine Unterrichtseinheit jeweils in ihrer personlichen Lerngeschwindigkeit bewaltigen.
3. Die Lernziele mussen klar und objektiv formuliert werden, damit gezielt Ruckmeldungen und Belohnungen gegeben werden konnen.
4. Aufgaben sollten so gestellt werden, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit gelost werden. Dadurch werden Frustrationen vermieden und die Anzahl derjenigen Antworten erhoht, die bestatigt werden konnen.
5. Der Unterrichtsstoff muss in eine Abfolge von Frage- und Antwort- Kombinationen gebracht werden. Diese „Rahmen“ sollten von leichten zu schwierigen Inhalten fortschreiten und den Stoff aus moglichst unterschiedlichen Blickwinkeln angehen.
6. Die Lernenden sollen moglichst aktiv sein und Fragen und Aufgaben auch wirklich bearbeiten.
7. Besonders ausdauerndes und gutes Arbeiten sollte durch eine Reihe von Zusatzbelohnungen bekraftigt werden.
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ABBILDUNG 6: Aufbau einer Lerneinheit bei Programmierter Instruktion (nach Grun 2000).
Fruhe tutorielle Systeme nach diesem Schema lieBen schnell Langeweile aufkommen, da der Lernende dabei rein passiv ist und nur die dargestellten Materialien aufnehmen und wiedergeben muss. Bei einer richtigen Antwort tritt eine positive Verstarkung beim Lernenden ein, es wird mit der nachsten Lerneinheit fortgefahren. Im Falle einer falschen Antwort wird die alte Lerneinheit einfach so lange wiederholt, bis die richtige Antwort gegeben wird. Nach Skinner entsteht hier eine negative Verstarkung beim Lernenden — daher sollten die Fragen eindeutig und so einfach gestellt werden, dass Missverstandnisse ausgeschlossen sind. Es wird also nicht individuell getestet, sondern lediglich die Wiedergabe von Informationen abgefragt, keinesfalls aber Problemlosungsfahigkeit gefordert.
Aus den oben genannten Grunden — behavioristisches Lernen beschreibt den Lernvorgang als Imitation und passiv erduldete Dressur (vgl. Wode 1993) — haben sich behavioristische Lerntheorien fur den Spracherwerb uberhaupt und daher grundsatzlich auch fur das computerunterstutzte Sprachenlernen als untauglich erwiesen. Es wird keine Kreativitat entwickelt, geschweige denn gefordert, der Lernende bleibt passiv. Grun (2000) bemerkt weiterhin:
„Es stellt sich generell die Frage, inwiefern die praktische Umset%ung der programmierten Instruktion ’ uberhaupt dem theoretischen Ausgangspunkt des Behaviorismus gerecht wird: Wenn das Lernerverhalten Gegenstand der Forschung ist, musste sich ein behavioristisches Programm [...] auch den Reaktionen des Lerners anpassen. Die Fokussierung auf den Vorgang des Antwortverhaltens drangt das Lern%iel in den Hintergrund.“
(Grun 2000: 2.1.1.2.)
Die behavioristische Lemtheorie ist heute groBtenteils immer noch Grundlage der Softwareentwicklung. Viele Lernprogramme sind reine „drill and practice“-Software, die Informationen, zum Beispiel Vokabeln prasentieren und im Anschluss Aufgaben stellen. Als zeitgemaB jedoch konnen diese Programme nicht mehr angesehen werden, denn trotz vielleicht multimedialen Inhalts bleibt die zugrunde liegende Lerntheorie erhalten: bestimmte Reize sollen ein bestimmtes Verhalten erzeugen, die Aufgabe des Gehirns ist, wie zuvor beschrieben, die einer passiven „black box“. Zudem kann das antrainierte Verhalten, gerade wenn es sich um den Spracherwerb handelt, oftmals nicht unbedingt auch praktisch angewendet werden. Die Lernstrukturen beim Spracherwerb des Menschen unterscheiden sich so grundsatzlich von anderem Lernen, dass eine Lerntheorie, die sich zum Beispiel auch auf das antrainierbare Verhalten von Tieren bezieht, hier nicht zum Einsatz kommen kann.
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ABBILDUNG 7: Softwaretypologie „Behaviorismus“ (Bodendorf, 1990).
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- Lars Blöhdorn (Autor), 2002, Mensch-Computer-Interaktion im Grundschulalter - CALL im Englischunterricht, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/18190
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