Verwaltungsrechtliches Gutachten zum Thema Kommunalrecht und Abfallrecht
Der Rat der in Nordrhein-Westfalen gelegenen kreisfreien Stadt D sucht nach weiteren Einnahmen und will zusätzlich einen kleinen Beitrag zum Umweltschutz (insbesondere Abfallvermeidung) leisten. Die Mehrheit des Rates kommt daher auf die Idee, eine kommunale Verpackungssteuer einzuführen. Daher beschließt der Rat eine Satzung, deren Rechmäßigkeit im Folgenden beleuchtet wird, da gegen diese Satzung durch die „Mc-Fish AG“ geklagt wird.
Gliederung
1. Teil: Klage des Bürgermeisters der Stadt D gegen die Versagung der Zustimmung der Bezirksregierung zur Verpackungssteuersatzung
A. Zulässigkeit
I. Verwaltungsrechtsweg
1. Aufdrängende Spezialzuweisung und abdrängende Sonderzuweisung
2. Verwaltungsrechtsweg über die Generalklausel
a) Öffentlich-rechtliche Streitigkeit
b) Nicht verfassungsrechtlicher Art
3. Zwischenergebnis
4. Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts
a) Sachliche Zuständigkeit
b) Örtliche Zuständigkeit
II. Statthafte Klageart
1. Verwaltungsakt
2. Zwischenergebnis
III. Klagebefugnis
IV. Klagegegner
V. Beteiligtenfähigkeit
VI. Prozeßfähigkeit
VII. Vorverfahren
1. Gesetzliche Ausnahmen vom Erfordernis der Durchführung eines Vorverfahrens
2. Weitere Ausnahmen
3. Zwischenergebnis
VIII. Ergebnis zur Zulässigkeit der Klage
der Stadt D vor dem Verwaltungsgericht
B. Hilfsgutachterliche Prüfung der Begründetheit der Versagungsgegenklage
I. Rechtmäßigkeitsprüfung des Verwaltungsakts, der die Genehmigung der Verpackungssteuersatzung versagt
1. Anspruchsgrundlage
2. Voraussetzungen
a) Formelle Voraussetzungen der Satzung
aa) Zuständigkeit
(a) Verbandskompetenz
(aa) Örtliche Zuständigkeit
(bb) Sachliche Zuständigkeit
(b) Organkompetenz
(c) Zwischenergebnis
bb) Verfahren
(a) Ordnungsgemäßer Ratsbeschluß
(b) Genehmigung und Bekanntmachung
(c) Zwischenergebnis zur Ordnungsgemäßheit des Verfahrens
b) Materielle Voraussetzungen
aa) Ermächtigungsgrundlage
bb) Örtliche Verbrauchsteuern
(a) Gleichartigkeit
(b) Zwischenergebnis
cc) Sachgesetzgebungskompetenz der Stadt D zum Erlaß einer Satzung im Bereich der Abfallvermeidung mit berufsregelnden Bestimmungen und Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht, insbesondere mit Grundrechten
dd) Vereinbarkeit der Verpackungssteuersatzung mit Art. 12 Abs. 1 GG
(a) Grundrechtsträger und Schutzbereich
(b) Schranken
ee) Vereinbarkeit der Verpackungssteuersatzung mit Art. 14 Abs. 1 GG
ff) Vereinbarkeit der Verpackungssteuersatzung mit Art. 3 Abs. 1 GG
(gg) Unvereinbarkeit der Verpackungssteuersatzung aus den von der
Bezirksregierung genannten Gründen
(a) Gefährdung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse
(b) Einheitliche Landessteuer
(c) Die ablehnende Position des Finanz- und des Innenministers des
Landes NRW
(d) Ähnlichkeit von kommunaler Verpackungssteuer und bundeseinheitlich geregelter Umsatzsteuer
(d) Nichtberechtigung der Stadt D zur Ergreifung gesetzlicher Maßnahmen auf dem Gebiet der Abfallvermeidung
II. Ergebnis zur hilfsweisen Begründetheitsprüfung
C. Endergebnis zum Teil 1
2. Teil: Wirkungsvolle Maßnahmen der „Mc-Fish-AG“ gegen die am 1.1.1998 ordnungsgemäß ergangene Satzung
A Zulässigkeit
I. Verwaltungsrechtsweg
1. Öffentlich-rechtliche Streitigkeit
2. Nichtverfassungsrechtlicher Art
3. Zwischenergebnis
II. Statthafte Klageart
1. Normenkontrollklage
2. Einstweilige Anordnung
3. Feststellungsklage
4. Zwischenergebnis zur statthaften Klageart und Subsidiaritätserfordernis
III. Klagebefugnis
IV. Klagegegner
V. Beteiligtenfähigkeit
VI. Prozeßfähigkeit
VII. Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis
VIII. Zwischenergebnis zur Zulässigkeit
A. Begründetheit
I. Vorliegen einer für das Rechtsverhältnis zwischen der Stadt D und der
„Mc-Fish-AG“ relevanten Norm
1. Vorliegen der Steuertatbestände
a) Anwendbarkeit der Abgabenordnung
aa) Steuern
bb) Steuerpflichtiger
cc) Steuererklärungen
dd) Entstehung der Ansprüche aus dem Steuerverhältnis
b) Zwischenergebnis zum Steuertatbestand
2. Voraussetzungen erfüllt
II. Gültigkeit der Verpackungssteuersatzung
III. Das Rechtsverhältnis zwischen der Stadt D und der „Mc-Fish-AG“
IV. Zwischenergebnis
C. Endergebnis zu Teil 2
Aufgabenstellung
Der Rat der in Nordrhein-Westfalen gelegenen kreisfreien Stadt D sucht nach weiteren Einnahmen und will zusätzlich einen kleinen Beitrag zum Umweltschutz (insbesondere Abfallvermeidung) leisten. Die Mehrheit des Rates kommt daher auf die Idee, eine kommunale Verpackungssteuer einzuführen. Daher beschließt der Rat eine Satzung, deren Rechmäßigkeit im Folgenden beleuchtet wird, da gegen diese Satzung durch die „Mc-Fish AG“ geklagt wird.
Satzung
§ 1: Steuergegenstand
(1) Die Stadt D erhebt nach Maßgabe der folgenden Vorschriften auf nicht wiederverwendbare Verpackungen und nicht wiederverwendbares Geschirr eine Verpackungssteuer, sofern darin Speisen und Getränke zum Verzehr an Ort und Stelle verkauft werden.
(2) Nicht wiederverwendbar im Sinne des Abs. 1 sind Einwegdosen, -flaschen und sonstige –behältnisse, Einwegbecher und –geschirr.
§ 2: Steuerschuldner
Zur Entrichtung der Steuer ist der/die Endverkäufer(in) von Speisen und Getränken im Sinne des
§ 1 verpflichtet.
§ 3: Steuersatz und Bemessungsgrundlage
Die Steuer beträgt für
a) jedes Einweggeschirr 0,60 DM
b) jedes Einwegbesteck 0,10 DM
c) jede Einwegdose, -flasche, jeden Einwegbecher u. jedes sonstige Behältnis 0,40 DM.
§ 4: Entstehung, Festsetzung, Fälligkeit
(1) Die Steuer entsteht im Zeitpunkt des Verkaufs von Speisen und Getränken im Sinne des
§ 1.
(2) Besteuerungszeitraum ist das Kalenderjahr.
(3) Der Steuerpflichtige hat bis 15. Tage nach Ablauf des Besteuerungszeitraums dem Steueramt der Stadt D eine Steuererklärung einzureichen und die Steuer zu entrichten. Erfüllt der Steuerpflichtige seine Pflichten nicht, nicht rechtzeitig oder unvollständig, so hat das Steueramt die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen.
(4) Ein Steuerbescheid ist nur dann zu erteilen, wenn keine Steuererklärung eingereicht oder die Steuerschuld abweichend von der Erklärung festgesetzt wird.
Daraufhin legt der Bürgermeister B der Stadt D die Satzung der Bezirksregierung nach § 2 Abs. 2 KAG NW zur Genehmigung vor. Die Bezirksregierung versagt jedoch die Genehmigung und argumentiert wie folgt: Es gefährde die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse innerhalb des Landes NRW, wenn einige Gemeinden Verpackungssteuern erhöben, andere dagegen nicht. Eine Verpackungssteuer sei im Land NRW bisher unbekannt und könne deshalb sinnvollerweise nur als einheitliche Landessteuer eingeführt werden. Diese ablehnende Position vertrete sowohl der Finanz- als auch der Innenminister des Landes. Zudem sei die Verpackungssteuer eine Verbrauchssteuer und damit der bundeseinheitlich geregelten Umsatzsteuer ähnlich, so daß es von vornherein an der Gesetzgebungskompetenz des Landes fehle. Schließlich sei die Stadt D nicht berechtigt, gesetzliche Maßnahmen zur Abfallvermeidung zu treffen. Denn der Bund habe auf diesem Gebiet seine Gesetzgebungskompetenz durch das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz und die dazu ergangenen Durchführungsverordnungen bereits abschließend ausgeübt.
Gegen die Ablehnung erhebt der Bürgermeister der Stadt D Klage vor dem örtlich zuständigen Verwaltungsgericht und beantragt, die Zustimmung der Bezirksregierung durch Urteil zu ersetzen.
Gutachten
1. Teil: Klage des Bürgermeisters der Stadt D gegen die Versagung der Zustimmung der Bezirksregierung zur Verpackungssteuersatzung
Die Klage der Stadt D, vertreten durch ihren Bürgermeister, hat Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist.
A. Zulässigkeit
Die Klage der Stadt D muß zunächst zulässig sein. Dazu müssen die folgenden Zulässigkeitsvoraussetzungen vorliegen.
I. Verwaltungsrechtsweg
Für die Zuweisung von Streitigkeiten zum Verwaltungsrechtsweg kommen entweder Spezialvorschriften oder die Generalklausel des § 40 Abs. 1 S.1 VwGO in Betracht.1
1. Aufdrängende Spezialzuweisung und
abdrängende Sonderzuweisung
Zunächst ist zu prüfen, ob hier aufdrängende
Spezialzuweisungen oder abdrängende
Sonderzuweisungen vorliegen. Diese speziellen
Zuweisungen sind hier nicht ersichtlich.
Mangels aufdrängender Spezialzuweisung und abdrängender Sonderzuweisung kann somit der Verwaltungsrechtsweg nur nach der Generalklausel des § 40 Abs.1 S. 1 VwGO gegeben sein.
2. Verwaltungsrechtsweg über die Generalklausel
Voraussetzung für den Verwaltungsrechtsweg über die Generalklausel nach § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO ist das Vorliegen einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit nichtverfassungs-rechtlicher Art.
a) Öffentlich-rechtliche Streitigkeit
In der Verwaltungsgerichtsordnung gibt es keine Definition der öffentlich-rechtlichen Streitigkeit2, trotzdem wird dieser Begriff als Grundlage für die Zulässigkeit des Verwaltungsrechtsweges benutzt.3
Nach überwiegender Ansicht ist eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit dann gegeben, wenn sich der zu behandelnde Gegenstand der Streitigkeit als unmittelbare Folge des öffentlichen Rechts darstellt.4 Ob dies im Streitfall jeweils der Fall ist, läßt sich anhand von diversen Theorien überprüfen. Im hier vorliegenden Fall liegt jedoch – unter Heranziehung der herrschenden modifizierten Subjektstheorie – unstreitig eine öffentlich rechtliche Streitigkeit vor, denn nach dieser Theorie ist eine solche Streitigkeit immer dann gegeben, wenn durch Rechtsvorschrift bestimmt wird, daß ein Hoheitsträger besonders berechtigt und verpflichtet wird.5 Nach § 2 Abs. 2 KAG NW muß die streitige Satzung der Bezirksregierung zur Genehmigung vorgelegt werden, d.h. daß die Bezirksregierung durch die Genehmigung oder die Versagung der Genehmigung besonders berechtigt oder verpflichtet wird.
b) Nicht verfassungsrechtlicher Art
Die Streitigkeit muß darüber hinaus auch nicht- verfassungsrechtlicher Art sein (§ 40 Abs. 1 S.1 VwGO).
Was unter einer der Verwaltungsgerichtsbarkeit entzogenen Streitigkeit verfassungsrechtlicher Art zu verstehen ist, wird durch den Gesetzgeber nicht klar definiert.6
Fraglich ist also, ob eine Streitigkeit zwischen der Bezirksregierung und einer kreisfreien Stadt eine Streitigkeit verfassungsrechtlicher Art ist. Denn auch die Stadt D kann als öffentliche Verwaltung auftreten und könnte somit als ein Organ mit Verfassungsqualität verstanden werden. Trotzdem tritt die Stadt D hier gegenüber der Bezirksregierung nicht als Verfassungsorgan auf. Die Stadt D ist hier vielmehr Antragsteller gegenüber der Behörde Bezirksregierung.
Durch die kommunale Selbstverwaltungsgarantie
(Art. 28 Abs. 2 GG) tritt die Stadt in verwaltungsgerichtlichen Streitigkeiten als Selbst-verwaltungsgemeinschaft ihrer Bürger, die ihre Angelegenheiten in eigener Verantwortung regelt,7 als ein, der staatlichen Verwaltung unterworfenes Subjekt auf, d.h. daß die Stadt D weder als Behörde und schon gar nicht als Verfassungsorgan auftritt. Da der Stadt D somit die Qualität eines Verfassungsorgans fehlt, kann auch keine verfassungsrechtliche Streitigkeit vorliegen, denn Voraussetzung hierfür ist die Beteiligung von Verfassungsorganen. Damit liegt eine nichtverfassungsrechtliche Streitigkeit vor.
3. Zwischenergebnis
Die Voraussetzungen der Generalklausel des § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO sind erfüllt, der Verwaltungsrechtsweg ist damit gegeben.
4. Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts
Weitere Voraussetzung im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung ist die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts, die sich in eine sachliche und eine örtliche Zuständigkeit aufteilt.
a) Sachliche Zuständigkeit
Das Verwaltungsgericht ist gemäß § 45 VwGO ausschließlich8 sachlich zuständig für alle Streitigkeiten, für die der Verwaltungsrechtsweg offen steht. Wie oben gesehen liegt der Verwaltungsrechtsweg vor, damit ist das Verwaltungsgericht sachlich zuständig.
b) Örtliche Zuständigkeit
Die örtliche Zuständigkeit richtet sich hier nach § 52 VwGO. Diese ist nach Lage des Sachverhalts gegeben.
II. Statthafte Klageart
Die Klageart richtet sich nach dem Klagebegehren gemäß § 88 VwGO. Im Verwaltungsprozeß gilt die Dispositionsmaxime,9 d.h. die Beteiligten bestimmen durch ihre Anträge den von ihnen eingebrachten Streitgegenstand.10 Ausgangspunkt für die Bestimmung der Klageart ist somit immer das Klagebegehren.11 In der Klage vor dem Verwaltungsgericht der Stadt D beantragt der Bürgermeister, die Zustimmung der Bezirksregierung zu ersetzen. Der Bürgermeister beantragt also, daß die von der Bezirksregierung nicht vorgenommenene Genehmigung durch das Urteil des Verwaltungsgerichts ersetzt wird. Somit könnte hier eine Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage (Weigerungsgegenklage)12 nach § 42 Abs. 1 S. 2 VwGO einschlägig sein. Diese Klage beinhaltet die Verpflichtung des Prozeßgegners durch Urteil (§ 113 Abs. 5 VwGO) den Erlaß oder die Änderung eines abgelehnten Verwaltungsakts vorzunehmen (Bescheidungsurteil) bzw. diese Vornahme durch Urteil zu ersetzen (Sachurteil).13
Die Verpflichtungsklage stellt über die Anfechtungsklage hinaus eine wesentliche Erweiterung des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes im Rahmen der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG dar.14
Das Klageziel einer Verpflichtungsklage ist der Erlaß eines Verwaltungsakts.15 Bei der Versagungsgegenklage ist das Klageziel der Erlaß eines Verwaltungsaktes nach Wunsch des Klägers, also nicht der von der Behörde vorgegebene Verwaltungsakt.
Somit hat eine Verpflichtungsklage - in der Form der Versagungsgegenklage - immer als notwendige Voraussetzung, das Vorliegen eines Verwaltungsakts.16 Es reicht hier auch nicht die Behauptung, daß ein Verwaltungsakt vorläge, dieser muß nach überwiegender Meinung in Rechtsprechung und Literatur objektiv gegeben sein.17 Voraussetzung ist hierfür, daß die Genehmigung oder deren Versagung als Verwaltungsakt zu qualifizieren ist.
Verwaltungsakt
Die Genehmigung oder Versagung der Genehmigung der vorliegenden Satzung durch die Bezirksregierung könnte ein Verwaltungsakt sein.
Nach § 35 VwVfG ist ein Verwaltungsakt jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die unmittelbare Rechtswirkung nach außen entfaltet.
Unstreitig ist, daß die Bezirksregierung eine
Behörde ist. Da die Satzung in dieser Form nur von der Stadt D beantragt wird, handelt es sich auch um einen Einzelfall. Fraglich ist allerdings, ob die Versagung der Genehmigung eine hoheitliche Maßnahme mit Außenwirkung ist. Die gesetzliche Formulierung in § 35 VwVfG läßt erkennen, daß die Wörter „Verfügung“ und „Entscheidung“ nur als Beispiele zur Erläuterung des Oberbegriffs Maßnahme aufgeführt werden.18
Auch die Versagung der Genehmigung einer Satzung könnte damit eine Maßnahme sein. Die Stadt D ist zwar auch ein Hoheitsträger (also Behörde) z.B. gegenüber ihren Bürgern, im Verhältnis zur Bezirksregierung ist sie aber in einer Lage welche der zwischen Bürger und Behörde ähnlich ist. Dies bedeutet, daß die Bezirksregierung im Verhältnis zur Stadt D die Genehmigung oder deren Ablehnung als Verwaltungsakt nach § 35 VwVfG erläßt19. Des weiteren handelt die Bezirksregierung hier auch mit Außenwirkung, da der Regelungsgehalt der Genehmigung oder der Versagung der Genehmigung nicht innerbehördliche Vorgänge der Bezirksregierung betreffen, sondern die außerhalb stehende Stadt D tangieren. Somit liegt ein Verwaltungsakt vor, der im Falle der Genehmigung unmittelbar mit der Rechtsvorschrift verbunden ist.20
1. Zwischenergebnis
Die Versagung der Genehmigung der Satzung ist ein
Verwaltungsakt und das Klagebegehren der Stadt D geht auf gerichtliche Ersetzung der versagten Genehmigung. Somit sind die Voraussetzungen der Verpflichtungsklage in der Form einer Versagungsgegenklage erfüllt.
Statthafte Klageart ist damit die Versagungsgegenklage nach § 42 Abs. 1 2. Alt. VwGO, da eine aufsichtsbehördliche Genehmigung erstritten werden soll21 und die bloße Anfechtung des Verwaltungsakts dem Begehren der Stadt D nicht ausreichend Rechnung tragen würde.
III. Klagebefugnis
Die Stadt D muß darüber hinaus auch klagebefugt nach § 42 Abs. 2 VwGO sein. Der Kläger muß hier geltend machen, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung in seinen Rechten verletzt zu sein, die bloße Behauptung der rechtlichen Betroffenheit genügt nicht.22 Nach der Möglichkeitstheorie reicht es allerdings schon aus, wenn die Rechtsverletzung zumindest möglich ist.23 An die Möglichkeit einer Rechtsverletzung werden dabei nur geringe Anforderungen gestellt.24 Im vorliegenden Fall ist es zumindest möglich, daß durch die Versagung der Genehmigung die Stadt D in ihren Rechten aus Art. 28 Abs. 2 GG oder Art. 78 Abs. 1 LVerf NW und § 1 Abs. 1 KAG NW verletzt ist.
Die Stadt D ist somit klagebefugt.
IV. Klagegegner
Klagegegner ist gemäß § 78 Abs. 1 Nr.2 VwGO i.V.m. § 5 Abs. 2 AG VwGO NW die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Im vorliegenden Fall also die Bezirksregierung. Die Bezirksregierung ist auch die zuständige Aufsichtsbehörde für kreisfreie Städte (§ 117 Abs. 2 GO NW). Die Klage ist also gegen die Bezirksregierung zu richten.
V. Beteiligtenfähigkeit
Die Beteiligtenfähigkeit der Stadt D als juristische
Person richtet sich nach § 61 Nr. 2 VwGO,25 die Beteiligtenfähigkeit der Bezirksregierung nach § 61 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 5 Abs. 1 AG VwGO NW.
Mithin sind die Stadt D und die Bezirksregierung beteiligtenfähig.
VI. Prozeßfähigkeit
Die Prozeßfähigkeit der Stadt D und der Bezirksregierung richtet sich nach § 62 Abs. 3 VwGO. Für die Stadt D handelt der Bürgermeister als gesetzlicher Vertreter gemäß § 63 Abs. 1 GO NW.
VII. Vorverfahren
Vor Erhebung der Verpflichtungsklage ist grundsätzlich ein ordnungsgemäßes Vorverfahren nach § 68 Abs. 2 VwGO erforderlich.26 In ihm ist die Rechtmäßigkeit und bei Ermessensverwaltungsakten die Zweckmäßigkeit des Verwaltungsakts zu prüfen.27 Das Widerspruchsverfahren ist einerseits ein Verwaltungsverfahren, es ist aber zugleich eine Sachentscheidungsvoraussetzung28 und muß als solche spätestens bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichtes absolviert sein.29 Das Widerspruchsverfahren dient zum einem dem Rechtsschutz des Widerspruchsführers und zum anderen der Sebstkontrolle der Verwaltung,30 außerdem soll mit ihm eine Entlastung der Verwaltungsgerichte einhergehen.31 Allerdings kann vom Erfordernis der vorherigen Durchführung des Vorverfahrens abgesehen werden, wenn Ausnahmen gemäß § 68 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 VwGO bestehen.
1. Gesetzliche Ausnahmen vom Erfordernis der Durchführung eines Vorverfahrens
Fraglich ist also, ob hier eine gesetzliche Ausnahme vorliegt. In Betracht könnte § 123 GO NW kommen.
Diese Norm bestimmt, daß Maßnahmen der Aufsichtsbehörde unmittelbar angefochten werden können, d.h. ein Vorverfahren entbehrlich ist. Im vorliegenden Fall handelt es sich jedoch nicht um eine Anfechtungsklage, sondern um eine Verpflichtungsklage in der Form der Versagungsgegenklage und hierfür besteht keine Ausnahme (§ 123 GO NW greift nur bei repressiven Maßnahmen).32
Eine weitere Ausnahme könnte vorliegen, wenn der Verwaltungsakt von einer obersten Landesbehörde erlassen worden wäre (§ 68 Abs. 1 S. 2 Nr.1 VwGO).
Der Verwaltungsakt wurde hier von der Bezirksregierung erlassen. Bezirksregierungen sind gemäß § 7 Abs. 2 1. Alt. LOG NW Landesmittelbehörden und somit keine obersten Landesbehörden. Damit kommt auch diese Ausnahmevorschrift nicht zum Tragen.
Des weiteren ist ein Vorverfahren nach § 70 VwVfG nicht notwendig, wenn der Verwaltungsakt in einem förmlichen Verfahren erlassen wurde. Das förmliche Verwaltungsverfahren ist in den §§ 63 ff VwVfG geregelt. Nach § 1 Abs. 1 VwVfG findet das förmliche Verwaltungsverfahren statt, wenn es durch Rechtsvorschrift angeordnet ist. Dies ist hier nicht der Fall. Ein förmliches Verwaltungsverfahren ist hier nicht angeordnet.
2. Weitere Ausnahmen
Die höchstrichterliche Rechtsprechung geht davon aus, daß ein Vorverfahren entbehrlich ist, wenn sein Zweck schon auf andere Weise erreicht worden ist oder dieser Zweck gar nicht mehr erreicht werden kann. Dies ist der Fall, wenn ein angefochtener Verwaltungsakt durch einen anderen ersetzt oder abgeändert wird und der neue Verwaltungsakt im wesentlichen dieselben Sach- und Rechtsfragen zum Gegenstand hat.33 Eine andere Ausnahme wird von der Rechtsprechung auch angenommen, wenn ein weiterer Verwaltungsakt ergeht, der in unmittelbarem Zusammenhang mit einem vorangegangenen (angefochtenen) Verwaltungsakt steht.34 Außerdem liegt auch dann eine Ausnahme vor, wenn die Widerspruchsbehörde bereits vor Erhebung des Widerspruchs ihre ablehnende Haltung äußert.35 Keine dieser Ausnahmen liegt hier vor. Der Verwaltungsakt wird weder durch einen anderen ersetzt oder abgeändert, er ergeht nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit einem vorausgegangenen (angefochtenen) Verwaltungsakt noch macht die Widerspruchsbehörde ihre ablehnende Haltung deutlich oder äußert sie gegenüber der Stadt D.
3. Zwischenergebnis
Das erforderliche Vorverfahren gemäß § 68 Abs. 2 VwGO wurde von der Stadt D nicht durchgeführt, der Bürgermeister hat für die Stadt D keinen Widerspruch eingelegt. Ein Vorverfahren gemäß § 68 ff VwGO ist auf alle Fälle durchzuführen,36 da keine der Ausnahmevorschriften greift. Auch die Tatsache, daß im Sachverhalt keine Rechtsbehelfsbelehrung nach § 58 VwGO angesprochen ist, macht ein Vorverfahren nicht überflüssig. Zum einen, weil die fehlende Rechtsbehelfsbelehrung nur die Klagefristen verlängert und zum anderen, weil bei einer kreisfreien Stadt davon ausgegangen werden kann, daß die Verwaltung von der Existenz von Rechtsbehelfen Kenntnis hat, bzw. haben müsste.
VIII. Ergebnis zur Zulässigkeit der Klage
der Stadt D vor dem Verwaltungsgericht
Da die Stadt D, vertreten durch ihren Bürgermeister,
kein Vorverfahren durchgeführt hat, ist die Klage
unzulässig. Allerdings könnte das Verwaltungsgericht
ein anhängiges Klageverfahren aussetzen oder vertagen und dem Kläger Gelegenheit geben das Vorverfahren nachzuholen,37 als Rechtsgrundlage für die Aussetzung kommt § 75 S. 3 VwGO in analoger Anwendung in Betracht38 (in der neueren Rechtsprechung wird die analoge Anwendung des § 75 S. 3 VwGO zur Aussetzung des Verfahrens als selbstverständlich vorausgesetzt39 ).
Die Aussetzung und die Vertagung haben jedoch als Voraussetzung, daß die Klage nicht bereits aus anderen Gründen unzulässig ist.40 Da im vorliegenden Sachverhalt jedoch keine Anhaltspunkte dafür zu erkennen sind, daß das Verwaltungsgericht von der Möglichkeit der
Aussetzung des Verfahrens Gebrauch macht, um dem Kläger – die Stadt D, vertreten durch den Bürgermeister – Gelegenheit zu geben, das Vorverfahren nachzuholen, fehlt es endgültig an dieser Zulässigkeitsvoraussetzung.
Die Klage ist damit unzulässig.
B. Hilfsgutachterliche Prüfung der Begründetheit der Versagungsgegenklage
Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verpflichtungsklage
in Form der Versagungsgegenklage gemäß § 42 Abs. 1 2. Alt VwGO liegen nicht vollständig und komplett vor. Insbesondere fehlt es an der Durchführung eines ordnungsgemäßen Vorverfahrens nach § 68 ff VwGO. Damit kommt nur eine hilfsgutachterliche Prüfung der Begründetheit der Klage in Betracht.
Die Verpflichtungsklage wäre begründet, wenn die Nichtvornahme des beantragten Verwaltungsakts, also die Genehmigungsversagung der Satzung rechtswidrig war und die Stadt D hierdurch in ihren Rechten verletzt wurde, § 113 Abs. 5 VwGO.
I. Rechtmäßigkeitsprüfung des Verwaltungsakts, der die Genehmigung der Verpackungssteuersatzung versagt
Es muß zunächst geprüft werden, ob die Versagung der Genehmigung durch die Bezirksregierung rechtmäßig war.
Sie war rechtswidrig, wenn die Stadt D einen Anspruch auf Genehmigung der Verpackungssteuersatzung hat.
3. Anspruchsgrundlage
Die Stadt D müßte einen Anspruch auf die Genehmigung der von ihr verabschiedeten Verpackungssteuersatzung haben. Dazu müßte die Stadt D die Kompetenz zur Rechtsetzung von Steuersatzungen haben und diese müßte formell und materiell rechtmäßig ergangen sein. Aus der Kompetenz zur Rechtsetzung müßte sich ein Anspruch auf Genehmigung der Verpackungssteuersatzung ableiten lassen.
Gemäß Art. 105 Abs. 2a GG haben die Länder die Befugnis zur Gesetzgebung über die örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern, solange und soweit sie nicht bundesgesetzlich geregelten Steuern gleichartig sind.
Die Länder wiederum können aufgrund dieser Norm den Kommunen die Möglichkeit geben, Steuersatzungen zu erlassen. In Nordrhein-Westfalen ist dies mit § 1 Abs. 1 KAG NW geschehen. Diese Norm gibt den Kommunen die Möglichkeit, Abgaben als Steuern,
[...]
1 Schmalz Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 364 Rn. 913
2 Redecker/von Oertzen Verwaltungsgerichtsordnung, § 40 Rn. 6
3 Redecker/von Oertzen Verwaltungsgerichtsordnung, § 40 Rn.6
4 Kopp Verwaltungsgerichtsordnung, § 40 Rn. 6
5 Schenke Verwaltungsprozeßrecht, § 3 III Rn. 104 Wolff/Bachhoff Bd. I, 3 22 II
6 Schenke Verwaltungsprozeßrecht, § 3 III Rn. 125
7 Jarass/Pieroth Grundgesetz, Art. 28 Rn. 9
8 Eyermann/Fröhler/Kormann Verwaltungsgerichtsordnung, § 45 Rn. 2 Redecker/von Oertzen Verwaltungsgerichtsordnung, § 45 Rn. 2
9 Redecker/von Oertzen Verwaltungsgerichtsordnung, § 88 Rn. 1
10 Redecker/von Oertzen Verwaltungsgerichtsordnung, § 88 Rn. 1
11 Schmalz Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 378 Rn. 953
12 Stern Verwaltungsprozessuale Probleme, § 4 III
13 Kopp Verwaltungsgerichtsordnung, § 42 Rn. 4
14 Bachof, Klage, Bettermann Die Verpflichtungsklage nach der VwGO, NJW 1960, 649 Maunz/Düring Grundgesetz, Art. 19 Rn. 21 Schunck/De Clerck Verwaltungsgerichtsordnung, S. 280
15 Hufen Verwaltungsprozeßrecht, S. 324
16 Redecker/von Oertzen Verwaltungsgerichtsordnung, § 42 Rn. 10
17 BVerwGE 2, 273 BVerwGE 3, 237 BVerwGE 6, 101 Bosch/Schmidt Praktische Einführung in das verwaltungsgerichtliche Verfahren, S. 99 Koehler Verwaltungsgerichtsordnung, S. 287 Redecker/von Oertzen Verwaltungsgerichtsordnung, § 42 Rn.10
18 Erichsen in Erichsen/Martens Allgemeines Verwaltungsrecht, § 11 Rn. 7
19 BVerwGE 7, 354 BVerwGE 27, 350 BVerwGE 34, 301, 303 BVerwGE 90, 88 Held/Becker/Decker/Kirchhof/Krämer/Wansleben Verwaltungsgerichtsordnung, § 7 Rn. 2.1.3. Redecker/von Oertzen § 42 Rn. 39 Rehn/Cronauge Gemeindeordnung NW, § 7 II Nr. 8 S. 14
20 Kopp Verwaltungsverfahrensgesetz, § 48 Rn. 13
21 Mombaur Gemeindeordnung NW, S. 381
22 Kopp Verwaltungsgerichtsordnung, § 42 Rn. 39 Ule Verwaltungsprozeßrecht, § 32 II 1
23 BVerwGE 18, 154, 157 BVerwGE 44, 1, 3 BVerwGE, NVwZ 1990, 262 Schenke Verwaltungsprozeßrecht, § 14 III Rn. 494 Schmitt Glaeser Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 155 Bosch/Schmitt Praktische Einführung in das verwaltungsgerichtliche Verfahren, § 25 II 2
24 Schenke Verwaltungsprozeßrecht, § 14 III Rn. 494
25 Kopp Verwaltungsgerichtsordnung, § 61 Rn. 6
26 Wahrendorf/Lemke Besonderes Verwaltungsrecht, S. 122
27 Schenke Verwaltungsprozeßrecht, § 18 I Rn. 642
28 Schenke Verwaltungsprozeßrecht, § 18 I Rn. 642 Schmalz Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 434 Rn. 1104
29 Schenke Verwaltungsprozeßrecht, § 18 I Rn. 642
30 Eyermann/Fröhler/Kormann Verwaltungsgerichtsordnung, § 68 Rn. 2
31 Schenke Verwaltungsprozeßrecht, § 18 I Rn. 646
32 Tettinger Besonderes Verwaltungsrecht, § 11 IV Rn. 188
33 BVerwGE 32, 243, 247 BVerwG DVBl.1990, 1350, 1351
34 BVerwGE 38, 299, 301 BVerwGE 69, 198, 199 Kopp Verwaltungsgerichtsordnung, § 68 Rn. 24
35 BVerwG Bay VBl. 1982, 346 Kopp Verwaltungsgerichtsordnung, § 68 Rn. 32
36 Tettinger Besonderes Verwaltungsrecht, § 11 IV Rn. 188
37 Kopp Verwaltungsgerichtsordnung, § 68 Rn. 4 Stern Verwaltungsprozessuale Probleme, § 15 II 6
38 Kopp Verwaltungsgerichtsordnung, § 68 Rn. 5
39 Kopp Verwaltungsgerichtsordnung, § 68 Rn. 5
40 Kopp Verwaltungsgerichtsordnung, § 68 Rn. 6
- Quote paper
- Diplom-Jurist Daniel Poznanski (Author), 1998, Verwaltungsrechtliches Gutachten, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/180639
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