1965 in Kassel geboren, studiert Tim Staffel von 1987 bis 1991/92 Angewandte
Theaterwissenschaft in Gießen bei Andrzej Wirth, wo er unter anderem die
Bekanntschaft mit René Pollesch macht.
„Da bin ich auf René Pollesch gestoßen, der dort geschrieben und inszeniert
hat. Ich schaute ihm ein bisschen zu und dachte mir, dass ich das auch
machen will. Und dann habe ich vier Jahre lang Stücke geschrieben und
habe sie inszeniert.“1
Auf diese Weise inspiriert, entstehen zahlreiche Aufführungen für die Studiobühne(n)
des Instituts wie „Pasch“ (1991), „Blaue Helden oder Die Dame mit dem nackten
Hals“ und „Ella & Lisa“ (beide 1993) sowie „Schindlers Kiste“ (1994). Andere in
dieser Zeit entwickelte Stücke wie „Stadt der Krieger“ (1992), „Titanic“ (1994) oder
„Das Mädchen mit dem Flammenwerfer“ (1994) kommen erst Jahre später zur
Aufführung.2
Nach dem Studium macht Staffel jedoch schnell die Erfahrung, dass die reale
Situation an den deutschen Theatern wenig mit dem geschützten Experimentierraum
des Instituts gemein hat - und geht 1994 als freier Autor nach Berlin.
„Ich habe gemerkt, dass alles, was außerhalb Gießens liegt, nicht mehr das
Theaterparadies ist. Ich hatte keinen Bock, Hierarchieleitern im Theater
hochzuklettern. Ich habe dann ein Stück geschrieben, das ‚Das Mädchen mit
dem Flammenwerfer’ heißt. Da war für mich so ein Endpunkt erreicht, was
Theater und Stückeschreiben betrifft. Da war klar, dass jetzt etwas anderes
kommen musste: die Prosa.“3 [...]
1 Tim Staffel in: Die offene Wunde Republik (LIBUS)
2 „Stadt der Krieger“ UA 01.10.1994 in Oberhausen; „Titanic“ UA 15.02.2001 am Staatstheater Mainz; „Das
Mädchen mit dem Flammenwerfer“ wurde im Juli 2000 auf dem Interszene-Symposium zu Theatralität und
Oralität im Netz vorgestellt, die für Januar 2003 geplante UA in den Sophiensälen wurde abgesagt.
3 Tim Staffel in: Die offene Wunde Republik (LIBUS)
Inhaltsverzeichnis
1 Der Autor
2 Das Stück
2.1 Komposition/ Struktur
2.2 Ort und Zeit
2.3 Figuren
2.4 Handlung
3 Der Stoff (Konzeptionelles)
4 Quellen
4.1 Primärliteratur
4.2 Sekundärliteratur
1. Der Autor
1965 in Kassel geboren, studiert Tim Staffel von 1987 bis 1991/92 Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen bei Andrzej Wirth, wo er unter anderem die Bekanntschaft mit René Pollesch macht.
„Da bin ich auf René Pollesch gestoßen, der dort geschrieben und inszeniert hat. Ich schaute ihm ein bisschen zu und dachte mir, dass ich das auch machen will. Und dann habe ich vier Jahre lang Stücke geschrieben und habe sie inszeniert.“[1]
Auf diese Weise inspiriert, entstehen zahlreiche Aufführungen für die Studiobühne(n) des Instituts wie „Pasch“ (1991), „Blaue Helden oder Die Dame mit dem nackten Hals“ und „Ella & Lisa“ (beide 1993) sowie „Schindlers Kiste“ (1994). Andere in dieser Zeit entwickelte Stücke wie „Stadt der Krieger“ (1992), „Titanic“ (1994) oder „Das Mädchen mit dem Flammenwerfer“ (1994) kommen erst Jahre später zur Aufführung.[2]
Nach dem Studium macht Staffel jedoch schnell die Erfahrung, dass die reale Situation an den deutschen Theatern wenig mit dem geschützten Experimentierraum des Instituts gemein hat - und geht 1994 als freier Autor nach Berlin.
„Ich habe gemerkt, dass alles, was außerhalb Gießens liegt, nicht mehr das Theaterparadies ist. Ich hatte keinen Bock, Hierarchieleitern im Theater hochzuklettern. Ich habe dann ein Stück geschrieben, das ‚Das Mädchen mit dem Flammenwerfer’ heißt. Da war für mich so ein Endpunkt erreicht, was Theater und Stückeschreiben betrifft. Da war klar, dass jetzt etwas anderes kommen musste: die Prosa.“[3]
Eine Zeit lang schreibt Staffel Berlin-Kolumnen für die Redaktion Modernes Leben der Wochenzeitung DIE ZEIT, widmet sich jedoch bald (fast) ausschließlich seiner schriftstellerischen Arbeit - nicht zuletzt dank des Stipendiums des Deutschen Literaturfonds (1994) sowie des Alfred-Döblin-Stipendiums (1996). Nach der Erzählung „Der Schwimmer“ (1994) sowie dem ersten (unveröffentlichten) Romanversuch „Die letzte Sprengung“ (1995) erregt Staffel 1998 endlich mit seinem offiziellen Debüt „Terrordrom“ die Aufmerksamkeit nicht nur der Literaturszene. Frank Castorf adaptiert den Roman für die Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz und bringt dort am 12.11.1998 die von ihm geschriebene Theaterfassung zur Uraufführung.
Seitdem ist die Volksbühne für Staffel so etwas wie eine künstlerische Heimat, eine „Homebase“ geworden, die ihm außerdem regelmäßig Raum für die Präsentation seiner Bücher sowie für Performances mit den Musikern Spin-O, SMAT und der Band Madonna Hip Hop Massaker bietet.
„Die Volksbühne ist für mich das einzige ernstzunehmende Theater in dieser Stadt, wo Theater tatsächlich noch als Verhandlungs- und Versammlungsort funktioniert. Homebase? Kann ich jetzt sagen ja, weil die Volksbühne gern damit kokettiert, dass ich dort Hausautor sei, was natürlich so nicht stimmt. Es gibt aber eine Affinität.“[4]
Bis Tim Staffel wieder selbst für das Theater schreibt und inszeniert, dauert es jedoch noch zwei Jahre. Erst im Frühjahr 2000 gelangt wieder ein Text von ihm zur Uraufführung: „Werther in New York“ (UA 28.04.2000, Badisches Staatstheater Karlsruhe). Einige Monate später führt Staffel am Theater Basel Regie bei seiner Kafka-Adaption „Das Schloss“ (UA 28.09.2000). Es folgen Inszenierungen seiner Stücke „jeanne d’ arc“ (UA 17.01.2001, Fabrik Heeder in Krefeld), „Hausarrest“ (UA 27.09.2002, wieder in eigener Regie am Prater der Berliner Volksbühne) und „Von Cowboys und Elfen“ (UA 28.03.2003, Stadttheater Konstanz).
Parallel zu der wieder einsetzenden Theaterarbeit schreibt Staffel zwei weitere Romane – „Heimweh“ (2000) und „Rauhfasser“ (2002) – sowie die Hörspiele „Hüttenkäse“ (1999), „Stopper“ (2000) und „Ich sehe was, was du nicht siehst“ (2003).
2. Das Stück
Tim Staffels „jeanne d’ arc“ entstand 2001 als Auftragsarbeit für das Theater Krefeld Mönchengladbach, wo es am 17.11.2001 in der Regie von Heiko Schnurpel uraufgeführt wurde.[5]
2.1 Komposition / Struktur
Das Stück besteht aus 12 Szenen, einem Prolog sowie einem Epilog, die jeweils versehen sind mit Kapitelüberschriften wie „heimatsuche. zeitfinden“, „wegweiser“ oder „kontrollverlust - ein prozess“[6]. Diese Szenentitel dienen zum einen der Verortung und Strukturierung der Handlung, wobei sie beispielsweise den Weg der historischen Figur Jeanne d’ Arc nachzeichnen. Gleichzeitig können sie allerdings auch als Regieanweisungen gelesen werden, zumal sie nicht nur zu Beginn einer Szene, sondern auch innerhalb derselben auftreten. Eine eindeutige Unterscheidung der beiden Funktionen – Segmentierung oder Regieanweisung – ist dabei nur schwer möglich. So würde ich „würfelspiele, lagerfeuer“ und „nachtwache“ in der 4. Szene[7] durchaus als eine Art Zwischentitel, die in gleicher Form erscheinenden Einschübe „stille“[8] in den Szenen 7 und 9 jedoch als Spielanleitung interpretieren.
Das Problem der Zwischentitel verweist indirekt auf einen weiteren Punkt der Segmentierung. Die Szeneneinteilung – übrigens ohne die übergeordnete Einheit des Aktes – folgt im wesentlichen nicht dem Kriterium der Auf- und Abtritte der Figuren oder dem einer räumlichen Unterbrechung. Beides spielt in Staffels Stück eine eher untergeordnete Rolle: Ein Wechsel des Ortes findet offenbar nicht statt. Zudem scheinen alle drei Figuren ununterbrochen ‚auf der Bühne’ zu sein. Selbst in den monologischen Szenen kann man – auch und vor allem wegen des speziellen Spielortes – die Anwesenheit der anderen Personen zumindest als Beobachter im Hintergrund annehmen. Charakteristisch für diese Situation ist bereits der Beginn der ersten Szene:
jeanne: Sind wir allein?
jean: Ich weiß es nicht.
brazzo: Ganz sicher nicht.[9]
Die szenische Struktur scheint also vielmehr zeitlich-chronologischen und thematischen Aspekten geschuldet, wobei eine andere Einteilung gerade in Hinblick auf die erwähnten Zwischentitel durchaus denkbar wäre.
Ein weiteres Charakteristikum des Stückes ist die Vielgestaltigkeit hinsichtlich seiner kommunikativen Strategien. Indem der Text ein Kompilat aus ungeschnitten nebeneinander gesetzten Monologen, Dialogen, Erzählpassagen, Kommentar und Bericht bildet, erweist er sich zum einen für den Leser als recht sperrig. Zum anderen definieren sich auf diese Weise die Positionen der Figuren im Verlauf der Handlung immer wieder neu und fügen sich aufgrund der verschiedenen Perspektiven puzzleartig zu einem Gesamtbild.
2.2 Ort und Zeit
Ort der Handlung ist der sogenannte „Narrenturm“[10]. Ein Ort, der „Sicherheit suggerieren soll [...], aber Gefahren birgt.“[11]
jeanne: Und weißt du, wo wir sind, Jean?
jean: In Sicherheit.
[...]
brazzo: Wir sind im Paradies. [...] Ein Turm, aus dem du stürzen wirst. Ein Turm, in dem Träume wahr zu werden drohen.[12]
Eine konkretere Verortung findet nicht explizit statt, jedoch deutet einiges (z.B. „Pfleger“ und „Medikamentenausgabe“)[13] auf eine psychiatrische Anstalt, eine Verwahrungsstätte für „aus der Welt Gefallene“[14] hin. Die Bezeichnung „Narrenturm“ allein verweist bereits auf das real existierende Gebäude mit gleichem Namen in Wien, das 1784 als erstes psychiatrisches Krankenhauses errichtet und bis 1866 als solches genutzt wurde. Doch aus der vermeintlich Schutz bietenden Auffangstation, „wo viele sind, die nicht mehr weiter wissen, oder dürfen“[15], wird am Ende ein Gefängnis, die geschlossene Abteilung:
jean: Du bist nur zur Kontrolle hier, Jeanne, bis du zu dir
zurückgefunden hast.[16]
[...]
jeanne: Ich will hier raus.
brazzo: Dafür brauchst du meine Unterschrift. Aber soeben hast
du unterschrieben, dass du hier nie mehr rauskommst.[17]
Abgesehen von historischen Flashbacks[18] in das Jahr 1431 spielt das Stück in der Gegenwart, genauer um den 8. Mai 2001 - Tag der Befreiung von Orléans und französischer Feiertag zu Ehren Jeanne d’ Arcs.[19] Der zeitliche Umfang scheint nur einige wenige Tage zu betragen, die durch den Wechsel von Tag und Nacht gekennzeichnet sind.[20]
2.3 Figuren
Die Figuren des Stücks stellen keine Charaktere im eigentlichen Sinne dar. Bereits die mehrfache Rollenzuweisung (Jean als Krieger und Pfleger, Brazzo als Krieger, Richter und Anwalt) deutet auf eine eher funktionelle Figurenkonzeption hin, die nicht auf individuelle und psychologisch begründete Identität abzielt.[21] Wenig individuell und zum Teil recht klischeehaft gehalten, dienen die Figuren vielmehr als Proklamatoren, Sprachkörper zur Verbalisierung bestimmter Positionen. Dabei kommt ihnen weniger die Rolle der Verkörperung von Handlungsfunktionen, als eher eine selbsterzählerische Funktion zu. Nicht nur, dass sie deutlich als Symbole verschiedener Standpunkte gezeichnet sind und diese Positionen vor sich hertragen: sie reden und philosophieren zudem über das von ihnen Symbolisierte.
[...]
[1] Tim Staffel in: Die offene Wunde Republik (LIBUS)
[2] „Stadt der Krieger“ UA 01.10.1994 in Oberhausen; „Titanic“ UA 15.02.2001 am Staatstheater Mainz; „Das Mädchen mit dem Flammenwerfer“ wurde im Juli 2000 auf dem Interszene-Symposium zu Theatralität und Oralität im Netz vorgestellt, die für Januar 2003 geplante UA in den Sophiensälen wurde abgesagt.
[3] Tim Staffel in: Die offene Wunde Republik (LIBUS)
[4] Tim Staffel in: Die offene Wunde Republik (LIBUS)
[5] Vermutlich dem jeweiligen Entwicklungsstand der Auftragsarbeit geschuldet, existieren unterschiedliche Angaben zum Titel des Stücks: Während Staffels Text im „Stück-Werk 3“ (Theater der Zeit, 2001) schlicht unter „Jeanne“ angeführt wird, ist der dieser Arbeit zugrundliegende Seminartext (Rowohlt Theater Verlag) mit „jeanne d’arc – die jungfrau“ übertitelt. Die Uraufführung, und damit meines Wissens die letztgültige Version, fand schließlich unter dem Titel „jeanne d’arc“ statt.
[6] Tim Staffel: jeanne d’arc, Szene 1 (S.4), Szene 3 (S.10) und Szene 10 (S.29) - im Folgenden zitiert nur unter Angabe der Seitenzahl.
[7] S.13 und S.14
[8] S.23 bzw. S.27-29
[9] S.4
[10] S.6
[11] Petra Diederichs: Care-Pakete von Mc Donald’s, Rheinische Post Krefeld, 19.11.2001
[12] S.4
[13] S.2 (Personenverzeichnis) und S.18
[14] vgl. S.5 und S.20
[15] S.15
[16] S.18
[17] S.31
[18] zur historischen Ebene siehe Kapitel 2.4
[19] vgl. S.19
[20] vgl. „dunkelheit“ (S.3), „nachtwache“ (S.14) und „Aufstehen! ... Morgenandacht“ (S.17f.)
[21] Zudem deutet sich hierin auch das komplexe Beziehungsgeflecht der verschiedenen Handlungsebenen an, das im folgenden Kapitel näher zu untersuchen sein wird.
- Arbeit zitieren
- Astrid Lukas (Autor:in), 2003, Davon haben meine Stimmen nicht gesprochen! Tim Staffels Jeanne d' Arc, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/18058
-
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen.