Der am 21.09.1893 im Berliner Deutschen Theater uraufgeführten Diebskomödie ´Der Biberpelz` lässt der Dichter und Dramatiker Gerhart Hauptmann 8 Jahre darauf die im selben Milieu angesiedelte Tragikomödie ´Der Rote Hahn` folgen, worin er an die Handlung des ´Biberpelz` anknüpft und einige der bereits bekannten Figuren - darunter die ´ehemalige` Mutter Wolffen bzw. Frau Fielitz mit ihrer Tochter Leontine, den Amtsvorsteher von Wehrhahn oder den Amtsschreiber Glasenapp - wieder auftauchen lässt.
Die Hauptlinien der Kritik an Hauptmann gingen in zwei Richtungen; sowohl die bürgerlich-konservative als auch die marxistische Kritik forderten ein moralisches Urteil über die Protagonistin. Wo die einen das Recht einer überzeitlichen, formaljuristisch ausgerichteten Ethik gewahrt sehen wollten, forderten die anderen ein an der ´Ethik des Klassenkampfes` orientiertes gesellschaftliches Bewusstsein. Wo die einen eine Herabwertung des ´Roten Hahn` als Fortsetzung oder Wiedergutmachung vornahmen, sahen jedoch wiederum andere das Werk als den zweiten Teil einer Doppelkomödie, der unter veränderten gesellschaftlichen Bedingungen die tragikomischen Konsequenzen aus den Voraussetzungen des ersten Teils zieht.
Die ´Biberpelz`-Bearbeitung durch Brecht und seine Mitarbeiter beginnt im Sommer 1951; die Erben Gerhart Hauptmanns stimmen der geplanten Aufführung beider Stücke, „verkürzt und ineinandergearbeitet, an einem Abend“ zunächst zu. Die Inszenierung feierte am 24. März 1951 Premiere im Deutschen Theater.
Die Einführung der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung ist das Leitmotiv, das der ganzen Neubearbeitung zugrunde liegt. Brecht sieht die Dramen Gerhart Hauptmanns aus der Distanz von sechzig Jahren; damit steht der Autor bereits unter der Last seiner Erfahrungen mit dem faschistischen Deutschland und der Katastrophe zweier Weltkriege. Indem Brecht den geschichtlichen Hintergrund von ´Der Biberpelz` und ´Der Rote Hahn` deutlich hervortreten lässt, gelingt es ihm, die Zustände, die bei Hauptmann teils der Lächerlichkeit preisgegeben werden, teils tragisch wirken, einer „hinterfragenden“ Rezeption zuzuführen.
Seine Darstellung soll den Menschen nicht als Opfer der gesellschaftlichen Verhältnisse erscheinen lassen; Brecht als Anhänger des wissenschaftlichen Sozialismus propagiert vielmehr die Veränderbarkeit der sozialen Verhältnisse durch die Arbeiterklasse.
Inhaltsverzeichnis
0 Vorwort
1 Gerhart Hauptmanns „Doppelwerk“Der Biberpelz und Der Rote Hahn
1.1 Hauptmann und der Naturalismus
1.2 Zur Naturalismuskritik in der marxistischen Literaturwissenschaft
1.3 „Das unerreichte Soziale“ - Zur Wirkungsgeschichte der Komödien Gerhart Hauptmanns
1.3.1 Zwischenbemerkung
1.3.2 Exkurs: Der „Untergang“ des Matriarchats im Roten Hahn
2 Biberpelz und roter Hahn (in der Bearbeitung des Berliner Ensembles)
2.1 Bertolt Brecht und das Berliner Ensemble
2.2 Brecht und der Marxismus
2.3 Die Bearbeitung des Berliner Ensembles
2.3.1 Zur Entstehung
2.3.2 Die wesentlichen Veränderungen der Bearbeitung
2.3.2.1 Zur veränderten Handlungsführung
2.3.2.2 Zur „Historisierung“ der Vorlage
3 Resümee
0 Vorwort
„Der Naturalismus offenbart schon in seinem Namen seine naiven, verbrecherischen Instinkte. Das Wort Naturalismus ist selber schon ein Verbrechen. Die bei uns bestehenden Verhältnisse zwischen den Menschen als natürliche hinzustellen, wobei der Mensch als ein Stück Natur, also als unfähig, diese Verhältnisse zu ändern, betrachtet wird, ist eben verbrecherisch. Eine ganz bestimmte Schicht versucht hier unter dem Deckmantel des Mitleids mit den Benachteiligten die Benachteiligung als natürliche Kategorie menschlicher Schicksale zu sichern.“[1]
Die scharfe Kritik, mit der hier Bertolt Brecht „den Naturalismus“ überzieht, wenn er in ihm „naive, verbrecherische Instinkte“ zu erkennen glaubt, wirft ein erstes Licht auf sein Gesellschaftsbild.
Vom diesem Ansatzpunkt her kann auch die in Zusammenarbeit mit dem Berliner Ensemble entstandene Brechtsche Bearbeitung der beiden Gerhart Hauptmann-Dramen Der Biberpelz und Der Rote Hahn verstanden werden.
Im Folgenden soll versucht werden, den Entstehungsprozess der Bearbeitung nachzuzeichnen; des Weiteren möchte ich versuchen, herauszuarbeiten, mit welchem „Interesse“ Brecht an das Original herangegangen ist und welche Veränderungen die Stücke dabei letztendlich erfahren haben.
Dabei wird der Blick immer auch auf das „Doppelwerk“ von Gerhart Hauptmann fallen.
Eine eingehende Interpretation des Originals kann in diesem Rahmen zwar nicht erfolgen, ich werde aber auf wesentliche Forschungsrichtungen wenigstens kurz eingehen.
Aus Gründen der Einfachheit ist im Folgenden mit "erster Teil" immer Der Biberpelz gemeint; "zweiter Teil" steht für den Roten Hahn[2].
1 Gerhart Hauptmanns „Doppelwerk“ - Der Biberpelz und Der Rote Hahn
Gerhart Hauptmanns Autobiographie Das Abenteuer meiner Jugend gibt Auskunft über die eigenen Erfahrungen, die er in seinen Komödien verarbeitet hat:
„Ich lebte damals in einer durch die Nähe Berlins mit bedingten, tragisch großen Phantasmagorie. Trat ich des Abends vor das Haus, so sah ich im Westen bei klarer Luft den Widerschein der Riesin blutrot am Himmel. (…) Was wurde nicht alles aus der drei deutsche Meilen entfernten Stadt an Elend und Jammer ans Ufer gespült! (…) Das ungeheure Lebewesen und Sterbewesen Berlin, wie gesagt, war alpartig gegenwärtig“[3].
Während seiner Zeit in Erkner, einem Ort an der Peripherie Berlins, konnte er die Lebensbedingungen der einfachen Leute am Rande der Großstadt genau beobachten.
Der „sichere“ Gebrauch unterschiedlicher Ausprägungen von Berliner Dialektsprache, mit denen Hauptmann seine Figuren ausstattet und diese ihrem jeweiligen gesellschaftlichen Stand gemäß charakterisiert, ohne den Anschein einer bloßen Imitation beim Leser hervorzurufen, zeigt schon seine genaue Beobachtungsgabe[4].
Selbst reale Personen aus seinem persönlichen Umfeld haben ihn für einige Figuren des Biberpelz angeregt, z.B. Marie Heinze, die Waschfrau der Hauptmanns als Vorbild für die Figur Mutter Wolffens und der Erkener Amtsvorsteher Oscar von Busse für die Figur Baron von Wehrhahns[5].
Als „reales“ Vorbild für die Figur des Dr. Fleischer[6] ist wohl Gerhart Hauptmann selbst anzunehmen; dieser war bei seinem Amtsvorsteher, einem nach eigener Auskunft „politischen Heißsporn, der überall staatsgefährliche Elemente roch“[7], ein Dorn im Auge:
„Ich (hielt) die Wochenschrift ,Die Neue Zeit`, die den wissenschaftlichen Sozialismus vertrat. Noch herrschte das Sozialistengesetz. Es war selbstverständlich, dass ich mit alledem den Ordnungsbehörden verdächtig wurde.“[8]
Hauptmann geriet wohl auch wiederholt wegen seiner Beziehungen zu sozialdemokratischen Kreisen[9] in Schwierigkeiten; 1887 erhält er eine Vorladung zum Breslauer Sozialistenprozess, 1888 hält er sich nicht zuletzt aus Angst vor der Sozialistenverfolgung mehrere Monate in der Schweiz auf[10].
Man kann in diesem Zusammenhang auf die Arbeiten von Walter Requardt[11] und Bruno Fischer[12] verweisen; dort wurde untersucht, wie Hauptmann in seinen Stücken „seine“ Wirklichkeit verarbeitet hat.
1.1 Hauptmann und der Naturalismus
Im Anschluss soll der Begriff des „Naturalismus“ kurz erläutert werden; ich folge der Definition bei von Wilpert:
„Naturalismus, allg. jeder durch naturgetreue Abbildung der Wirklichkeit (…) gekennzeichnete Kunststil; bes. e. gesamteurop. Lit. Strömung rd. 1880-1900. (…) Hier erweist sich das soziale Mitgefühl, Mitleid mit den Armen und Geknechteten, der unter der zunehmenden Industrialisierung leidenden Arbeitnehmerschaft als ausschlaggebend nicht nur für die Stoffwahl (…) sondern auch für die sozialrevolutionären Tendenzen (…) der Dichtung wie für den Stil des N., der die präzise Wirklichkeitsgestaltung übersteigert bis zu Stammeln, Stottern, Anakoluthen, grammatisch falscher Umgangssprache (…).“[13]
Gerhart Hauptmann, später „der bedeutendste Dramatiker des Naturalismus“[14], erhält zwischen 1885 und 1889, als er in Erkner bei Berlin wohnt, Kontakt zu dem literarischen Verein „Durch“, dem auch Arno Holz, Johannes Schlaf und andere Naturalisten angehören[15].
Die aufkeimende Bewegung schafft sich 1889 mit Gründung der Freien Bühne in Berlin eine eigene Einrichtung[16].
Nach der Premiere seines ersten naturalistischen Dramas Vor Sonnenaufgang im Oktober 1889 wird Hauptmann in den Vorstand des Theatervereins aufgenommen. Zusammen mit dem Vorsitzenden Otto Brahm setzt er sein Wirken fort und verhilft dem Naturalismus zu seiner Durchsetzung auf deutschen Bühnen sowie zur Entfaltung seiner sozialkritischen Akzente. Neben dem Biberpelz erscheinen zahlreiche weitere Dramen und Komödien des Dichters, unter Anderem Das Friedensfest (1890), Einsame Menschen (1891), sowie College Crampton (1891)[17].
Als sein naturalistisches Hauptwerk gelten Die Weber (1891); dem Werk gehen zwei Studienreisen voraus, in denen der Dichter eigene Recherchen zum historischen schlesischen Weberaufstand von 1844 vornimmt[18]. Das echte „Weberlied“ geht als Bestandteil seiner Recherchen in das Stück ein[19]. Die Weber thematisieren die Not der ausgebeuteten Arbeiter zunächst in schlesischer Originalfassung[20] ; die „sichere“ Verwendung des schlesischen Dialekts durch Hauptmann[21] trägt zu der großen Authentizität des Dramas bei.
Es folgen das historische Drama Florian Geyer (1896), Fuhrmann Henschel (1898), sowie Rose Bernd (1903); selbst in seinem Spätwerk wendet er sich immer wieder dem Naturalismus zu.
Die eigentlich naturalistische Phase im Schaffen des Dichters endet aber 1912 mit dem Tod Otto Brahms[22].
Der am 21.09.1893 im Berliner Deutschen Theater uraufgeführten Diebskomödie Der Biberpelz lässt Hauptmann 8 Jahre darauf[23] die im selben Milieu angesiedelte Tragikomödie Der Rote Hahn folgen.
Darin knüpft er an die Handlung des Biberpelz an, wobei einige der bereits bekannten Figuren, darunter die „ehemalige“ Mutter Wolffen mit ihrer Tochter Leontine, Amtsvorsteher von Wehrhahn, sowie Amtsschreiber Glasenapp wieder auftauchen.
1.2 Zur Naturalismuskritik in der marxistischen Literaturwissenschaft
Wie bereits vorweggenommen, kritisiert Brecht den Naturalismus wegen seines Steckenbleibens in der Darstellung gesellschaftlicher Wirklichkeit als Naturzustand, wodurch den in einer Gesellschaft schlechter Gestellten a priori jede Möglichkeit einer Emanzipation abgesprochen werde. Er sieht damit ein gewisses reaktionäres Interesse verbunden.
Auch Georg Lukács äußert in seinen Schriften zur Literatursoziologie[24] Kritik am Naturalismus: zwar seien „Nähe zum lebendigen Leben der Gegenwart, Schaffen von Menschen aus Fleisch und Blut, die unsere Sprache sprechen, [sowie] eine volksnahe Kunst, in der die Probleme der Epoche Gestalt finden“[25] unzweifelhafte Verdienste Hauptmanns mit historischer Bedeutung, auch wenn ihm das nur in zwei Werken, den Webern und dem Biberpelz, vollendet gelungen sei.
[...]
[1] Zit. nach Schrimpf 1969, dort S. 51
[2] Anm. d. Verf.
[3] Zit.nach Schrimpf 1969, dort S. 35f.
[4] Anm. d. Verf.
[5] Siehe Schrimpf 1969, S. 35ff.
[6] Siehe hierzu Punkt 2.3.2.2, Anm. d. Verf.
[7] Gerhart Hauptmann, zit. nach Müller, dort S. 20
[8] Ders., zit. nach Müller, dort S. 20
[9] Er war als Student Mitglied im utopistischen Ikarierbund gewesen; Anm. d. Verf.
[10] Siehe unter Anderem Sprengel, S. 525
[11] Requardt, Walter: Erkner im Leben und Werk Gerhart Hauptmanns. Hamburg 1955
[12] Fischer, Bruno: Gerhart Hauptmann und Erkner. Quellenkundliche Studien zum Biberpelz< und anderen Werken. In: ZdPh 81/1962, S. 440-472
[13] Sachwörterbuch der Literatur. Hg. von Gero von Wilpert. Stuttgart 5 1969, dort S. 514
[14] Sprengel, S. 524
[15] Siehe ebd., S. 525
[16] Aufführungen sind durch die strenge preußische Theater-Vorzensur erschwert. Siehe hierzu Punkt 2.3.2.2; Anm. d. Verf.
[17] Siehe Sprengel, S. 525 ff.
[18] Siehe Sprengel, S. 526
[19] Siehe ebd., S. 526
[20] Titel „De Waber“; Anm. d. Verf.
[21] Er ist als gebürtiger Schlesier sozusagen „native speaker“; Anm. d. Verf.
[22] Siehe Sprengel, S. 527
[23] Premiere am 27.11.1901; Anm. d. Verf.
[24] Lukács, Georg: Der deutsche Naturalismus. In: Georg Lukács. Schriften zur Literatursoziologie. Hg. von Heinz Maus et al. Neuwied-Darmstadt: Luchterhand 1961 (=Soziologische Texte 9). S. 452-461
[25] Lukács, S. 460
- Quote paper
- M.A. Matthias Reim (Author), 2002, Gerhart Hauptmanns 'Biberpelz' und 'Roter Hahn' in der Bearbeitung von Bertolt Brecht, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/18034
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