EINLEITUNG: An den Pflegeklassen nach SGB XI wird in der Literatur häufig Kritik geübt,
ein häufiger Vorwurf lautet, dass Pflegebedarfe kognitiv beeinträchtigter Personen
nicht ausreichend berücksichtigt würden. Das Bundessozialgericht stellte im Jahr 2000
zudem klar, dass aus den Pflegestufen nicht automatisch auf Pflegeklassen geschlossen
werden dürfe, da soziale Betreuung und Behandlungspflege durch die Pflegestufen
nicht repräsentiert seien. Diese Arbeit stellt einen empirischen Vergleich der
momentan verwendeten Pflegeklassen auf Basis der Pflegestufen mit den Resource
Utilization Groups (RUG-III) an.
FRAGESTELLUNG: Die Studie ging der Fragestellung nach, in wie weit die Pflegeklassen
nach SGB XI mit den einzelnen Elementen der RUG-III (Hauptgruppen, ADL- Index,
Cluster des ADL- Index, Cognitive Performance Scale) korrelieren.
METHODE: Es handelte sich um eine explorative Studie mit retrospektivem
Korrelationsdesign. Die Stichprobe umfasste n=88 Bewohner von drei Wohnbereichen
eines bayrischen Pflegeheims. Adäquate Datenqualität wurde durch eine Messung der
Inter- Rater- Reliabilität (n=10) für die untersuchten Elemente der RUG-III belegt.
ERGEBNISSE: Die Pflegeklassen nach SGB XI korrelierten zufrieden stellend sowohl mit
dem ADL- Index (rho= 0,716) und dessen Clustern (rho= 0,701), als auch mit der
Cognitive Performance Scale (CPS) (rho= 0,683). Für die Korrelation mit den
Hauptgruppen der RUG-III konnte kein hinreichender Zusammenhang ermittelt werden.
Die Pflegeklassen nach SGB XI korrelierten für „Low Care Cases“ nicht ausreichend mit
der CPS (rho= 0,366).
SCHLUSSFOLGERUNGEN: Folgende Hypothesen wurden aufgestellt: Der ADL- Index der
RUG-III korrespondiert hinreichend mit den Pflegeklassen nach SGB XI und somit
korrespondieren auch die 21 Verrichtungen des SGB XI §§14,15 mit den vier „Lateloss“-
ADLs. Die Pflegeklassen repräsentieren Pflegebedarfe von kognitiv
beeinträchtigten Low- Care- Cases unzureichend und repräsentieren insgesamt
Gruppen, die unter den klinischen Aspekten der RUG-III nicht homogen sind. Sie
repräsentieren wesentliche von der RUG-III erfasste Einflussgrößen nicht, die zur
adäquaten Erklärung der Varianz des Ressourcenverbrauchs eines Pflegeheims
notwendig wären.
Anmerkungen:
Alle Rechte an dieser Arbeit liegen beim Autor. Eine vollständige oder auszug sweise Weitergabe der elektronischen Datei wie auch eines Printausdrucks oder sonstiger Vervielfä ltigungsformen bedarf der ausdrücklichen Zustimmung des Autors.
Aus Gründen der Lesbarkeit werden In dieser Arbeit geschlechterübergreifende Bezeichnungen in der maskulinen Form verwendet. In dieser Form auftretende Personenbezeichnungen sind als generische Maskulina zu verstehen und richten sich generell an beide Geschlechter. Abweichungen hiervon sind kenntlich gemacht.
Abstract (deutsch)
EINLEITUNG: An den Pflegeklassen nach SGB XI wird in der Literatur häufig Kritik geübt, ein häufiger Vorwurf lautet, dass Pflegebedarfe kognitiv beeinträchtigter Personen nicht ausreichend berücksichtigt würden. Das Bundessozialgericht stellte im Jahr 2000 zudem klar, dass aus den Pflegestufen nicht automatisch auf Pflegeklassen geschlossen werden dürfe, da soziale Betreuung und Behandlungspflege durch die Pflegestufen nicht repräsentiert seien. Diese Arbeit stellt einen empirischen Vergleich der momentan verwendeten Pflegeklassen auf Basis der Pflegestufen mit den Resource Utilization Groups (RUG-III) an.
FRAGESTELLUNG: Die Studie ging der Fragestellung nach, in wie weit die Pflegeklassen nach SGB XI mit den einzelnen Elementen der RUG-III (Hauptgruppen, ADL- Index, Cluster des ADL- Index, Cognitive Performance Scale) korrelieren.
METHODE: Es handelte sich um eine explorative Studie mit retrospektivem Korrelationsdesign. Die Stichprobe umfasste n=88 Bewohner von drei Wohnbereichen eines bayrischen Pflegeheims. Adäquate Datenqualität wurde durch eine Messung der Inter- Rater- Reliabilität (n=10) für die untersuchten Elemente der RUG-III belegt.
ERGEBNISSE: Die Pflegeklassen nach SGB XI korrelierten zufrieden stellend sowohl mit dem ADL- Index (rho= 0,716) und dessen Clustern (rho= 0,701), als auch mit der Cognitive Performance Scale (CPS) (rho= 0,683). Für die Korrelation mit den Hauptgruppen der RUG-III konnte kein hinreichender Zusammenhang ermittelt werden. Die Pflegeklassen nach SGB XI korrelierten für „Low Care Cases“ nicht ausreichend mit der CPS (rho= 0,366).
SCHLUSSFOLGERUNGEN: Folgende Hypothesen wurden aufgestellt: Der ADL- Index der RUG-III korrespondiert hinreichend mit den Pflegeklassen nach SGB XI und somit korrespondieren auch die 21 Verrichtungen des SGB XI §§14,15 mit den vier „Late-loss“- ADLs. Die Pflegeklassen repräsentieren Pflegebedarfe von kognitiv beeinträchtigten Low- Care- Cases unzureichend und repräsentieren insgesamt Gruppen, die unter den klinischen Aspekten der RUG-III nicht homogen sind. Sie repräsentieren wesentliche von der RUG-III erfasste Einflussgrößen nicht, die zur adäquaten Erklärung der Varianz des Ressourcenverbrauchs eines Pflegeheims notwendig wären.
Abstract (englisch)
INTRODUCTION: The groups of the German Nursing Insurance („Pflegeversicherung“) met with criticism in the German literature. It is criticised that patients that are cognitively impaired, would have serious disadvantages in the German system. In the year 2000 it was judged, that aspects of social and medical care are not adequately represented by the German groups. This study compares the German groups with the Resource Utilization Groups (RUG-III).
QUESTIONS: In how far do the German groups correlate with the elements of the RUG-III (ADL- index, clusters of the ADL- index, Cognitive Performance Scale, main groups)?
METHODS: A retrospective- correlational design was used in an explorative approach. The sample- size was n=88 subjects that were recruited out of three wards of a Bavarian nursing home. An analysis of the inter- rater- reliability (n=10) showed adequate data quality.
RESULTS: The German groups correlated adequately with the RUG-III’s ADL- Index (rho= 0.716) as well as with the Clusters of the ADL- Index (rho= 0.701) and the Cognitive Performance Scale (0.683). For the correlation of the seven main groups of the RUG-III with the German groups no relationship was found. For low- care- cases there was only a low correlation between the CPS and the groups of the German nursing insurance (rho= 0.366).
CONCLUSIONS: It was hypothesised: The RUG-III’s ADL- Index corresponds adequately with the German classes and (as a result of this) the 21 activities of the German SGB XI correspond adequately with the four late- loss- ADLs. The German classes do not adequately represent care needs of low- care- cases that are cognitively impaired and they do not represent clinically homogeneous groups (with respect to the clinical groups of the RUG-III). Some variables that are essential for explaining the variance of resource use in nursing homes are not represented in the German groups as they are in the RUG-III.
Inhaltsverzeichnis
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
1. EINLEITUNG
1.1 KONTEXT DIESER ARBEIT
1.2 PROBLEMSTELLUNG
2. THEORETISCHER RAHMEN
2.1 ANMERKUNGEN ZUR LITERATURRECHERCHE
2.2 KLÄRUNG ZENTRALER BEGRIFFE
2.2.1 Pflegeleistungen, Pflegeinterventionen und Pflegeaktivitäten
2.2.2 Pflegeaufwand
2.2.3 Pflegebedarf
2.2.4 Case- Mix und Case- Mix- Index
2.2.5 Low- Care- Cases
2.3 PATIENTENKLASSIFIZIERUNG
2.4 PFLEGEKLASSEN NACH SGB XI
2.4.1 Vorstellung des Verfahrens
2.4.2 Klassifizierung des Verfahrens
2.4.3 Wissenschaftliche Güte dieses Verfahrens
2.5 DIE RUG-III- KLASSIFIKATION
2.5.1 Vorstellung der Klassifikation
2.5.2 Klassifizierung des Instruments
2.5.3 Wissenschaftliche Güte des Instruments
2.6 FRAGESTELLUNG
3. METHODE
3.1 FORSCHUNGSDESIGN
3.2 POPULATION UND STICHPROBE
3.3 MESSUNGEN
3.4 DATENQUALITÄT
3.5 DATENANALYSE
4. DATENQUALITÄT
4.1 PROBLEMSTELLUNG UND FRAGESTELLUNG
4.2 METHODE
4.2.1 Design und Stichprobe
4.2.2 Messungen
4.2.3 Datenanalyse
4.3 ERGEBNISSE
4.4 INTERPRETATION
5. ETHISCHE ASPEKTE DIESER STUDIE
5.1 DAS PRINZIP DER WOHLTÄTIGKEIT
5.2 DAS PRINZIP DES RESPEKS VOR DER MENSCHLICHEN WÜRDE
5.3 DAS PRINZIP DER GERECHTIGKEIT
6. ERGEBNISSE
6.1 FORSCHUNGSFRAGE NR
6.2 FORSCHUNGSFRAGE NR
6.3 FORSCHUNGSFRAGEN NR. 3 UND NR. 4
6.4 WEITERE ERGEBNISSE
7. DISKUSSION
7.1 GRENZEN DIESER ARBEIT
7.2 INTERPRETATION UND EINORDNUNG DER ERGEBNISSE
8. ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK
8.1 ZUSAMMENFASSUNG
8.2 EMPFEHLUNGEN FÜR WEITER FÜHRENDE FORSCHUNG
LITERATURVERZEICHNIS
TABELLEN- UND ABBILDUNGSVERZEICHNIS
TABELLENVERZEICHNIS
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
ANHANG A: TABELLEN UND ABBILDUNGEN
ANHANG B: ANSCHREIBEN „INFORMED CONSENT“
ANHANG C: ERHEBUNGSBOGEN ZUR MESSUNG DER INTER- RATER- RELIABILITÄT
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Einleitung
1.1 Kontext dieser Arbeit
Die Erfassung der Bewohnerstruktur eines Pflegeheims ist unter mehreren Aspekten von Bedeutung. Zum einen stellt die Pflegeheimvergütung seitens der Kostenträger einen Bezug spunkt dar, da diese sich an der zu versorgenden Bewohnerstruktur auszurichten hat (Prinzip der „leistungsgerechten Vergütung“, vgl. SGB XI §84 Abs.2). Zum anderen ist ein genauer Kenntnisstand über den zu erwartenden Ressourcenverbrauch des Klientels auch für die interne Personalbemessung von größter Wichtigkeit, da sich aus dem zu erwartenden Pflegeaufwand direkte Rückschlüsse auf das vorzuhaltende Personal ziehen lassen.
In der Bundesrepublik Deutschland bezogen sich die Bemühungen einer Patientenklassifizierung zu Vergütungszwecken zuerst auf den medizinischen Akutbereich, in dem ab dem Jahr 2004 Fallgruppen nach der Klassifikation der Diagnosis Related Groups (DRGs) die Vergütungsgrundlage bilden werden (vgl. Fischer W 2002). Diese Fallgruppen basieren zwar auf medizinischen Gesichtspunkten, haben aber auch Auswirkungen auf die Vergütung von Pflegeleistungen im Krankenhausbereich. Zur Messung der (erbrachten) Pflegeleistungen existieren zudem weitere Instrumente, aus denen sich Behandlungsfallgruppen ableiten lassen, so u.a. das System LEP, welches auch in einigen Krankenhäusern eingesetzt und erprobt wird (vgl. Katholischer Krankenhausverband Deutschlands e.V. 2001).
Auch im stationären Langzeitpflegebereich, der den Kontext dieser Arbeit bildet, kann man im weiteren Sinn von einer Bildung von Behandlungsfallgruppen gesprochen werden. In diesem Setting werden die Bewohner1 zu Vergütungszwecken gemäß SGB XI §84 Abs.2 (vgl. Deutscher Bundestag 2002) sog. Pflegeklassen zugeordnet. Diesen Pflegeklassen werden im Rahmen von Pflegesatzverhandlungen zwischen Leistungserbringern (bzw. deren Trägern) und den Kostenträgern verbindliche Pflegesätze zugeordnet, was man als Kostengewichtung gemäß Patientengruppen verstehen kann. SGB XI §84 Abs.2 sieht vor, dass die Bildung von Pflegeklassen im stationären Langzeitpflegebereich im Regelfall analog der dem jeweiligen Bewohner zuerkannten Pflegestufe erfolgt.
1.2 Problemstellung
Das Bundessozialgericht (vgl. Bundessozialgericht 2000) stellte mit Urteil vom 10.02.2000 fest, dass ein solcher Automatismus dem ebenfalls im SGB XI festgelegten Prinzip der leistungsgerechten Vergütung nach SGB XI §84 Abs.2 widerspreche. Eine Zuordnung zu einer Pflegeklasse habe daher auch den Pflegeaufwand in den Bereichen der Behandlungspflege und der sozialen Betreuung zu berücksichtigen (vgl. Bundessozialgericht 2000; Klie T 2000).
Das angeführte Urteil hatte auf die Praxis bislang kaum Auswirkungen, es wird nach wie vor im Sinne der einleitend beschriebenen Analogie zwischen Pflegestufen und Pflegeklassen verfahren (vgl. Schmidt R 2001). Allein im Bundesland Schleswig- Holstein existieren konkrete Bestrebungen, ein alternatives Verfahren umzusetzen (vgl. Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Verbraucherschutz des Landes Schleswig- Holstein 2002).
Zwar steht den Leistungserbringern ein Klagerecht zu, das es ihnen ermöglicht, eine Zuordnung zu einer anderen Pflegeklasse rechtlich durchzusetzen (vgl. Bundessozialgericht 2000; Klie T 2000), dies scheitert jedoch zumeist daran, dass die Nachweispflicht auf der Seite der Leistungserbringer liegt.
Neben dem o.g. Urteil hatte auf die Vergütungssystematik der Pflegeheime in jüngerer Vergangenheit zudem das Pflegequalitätssicherungsgesetz (PQSG) (vgl. Deutscher Bundestag 2002) einen starken Einfluss. Nach dem neu geschaffenen SGB XI §80a sind ab dem Jahr 2004 Versorgungsverträge nur noch dann abzuschließen, wenn Kostenträger und Leistungserbringer eine Leistungs- und Qualitätsvereinbarung (LQV) abgeschlossen haben. Über den genauen Inhalt einer LQV schweigt sich das SGB XI (bzw. das PQSG) zwar aus, es sieht aber die Möglichkeit vor, eine Vereinbarung über den erforderlichen Personalbedarf zu schließen, der dann seitens der Kostenträger auch vergütet wird. Kommt eine solche Vereinbarung zu Stande, so wird diese auch maßgebend für die Pflegesatzverhandlungen, die Vergütungsvereinbarungen werden also von der Trägerebene auf die individuelle Ebene des jeweiligen Pflegeheims verlagert (vgl. Richter R, Wipp M 2002).
Auch in diesem Kontext ist eine genaue Erfassung der Bewohnerstruktur und des (erwarteten) Ressourcenverbrauchs zwingend erforderlich, da dieser den gewichtigsten Aspekt einer Personalbemessung darstellt (vgl. ebd.; Grebe C 2003).
Vor diesem Hintergrund wurde bereits ein Modellversuch mit dem Instrument PLAISIR durchgeführt. Dieses Instrument weist allerdings deutliche Schwächen auf, die an verschiedenen Stellen von der Pflegewissenschaft kritisiert wurden (vgl. Kuratorium Deutsche Altershilfe 1999; Bartholomeyczik S, Hunstein D 2000) und an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden sollen.
Häufig kritisiert wird im Zusammenhang mit Pflegestufen bzw. -klassen zudem eine Schlechterstellung von kognitiv beeinträchtigten Personen, da deren besonderer Pflegeaufwand nicht in den 21 Kategorien sondern im Bereich der sozialen Betreuung liege (vgl. Höft B 1998; Schmidt R 2001; Platzer H 1998; Dürrmann P 1999; Jonas I 1999; Gutzmann H et.al. 2000; Richter D et.al. 2000; Eben E 2001).
Eine alternative Möglichkeit die Bewohnerstruktur zu erfassen, Fallgruppen zu bilden und diesen Kostengewichte zuzuordnen stellen die Resource Utilization Groups dar (RUG-III), die auf dem Minimum Data Set (MDS) 2.0 des Resident Assessment Instrument (RAI) basieren.
Hinsichtlich der RUG-III- Klassifikation liegen für die BRD zum momentanen Zeitpunkt keinerlei empirische Befunde vor. Es ist nicht bekannt, wie sich Bewohnerstrukturen, die mittels RUG-III ermittelt werden, zu jenen, die auf Basis der Pflegestufen nach SGB XI gebildet werden, verhalten. Es ist daher auch nicht bekannt, in wie weit die angeführten Kritikpunkte an den Pflegeklassen nach SGB XI durch einen Vergleich mit den international validierten RUG-III empirisch belegt werden können oder verworfen werden müssen.
Zweck dieser Arbeit ist es daher, explorativ erste empirische Daten hinsichtlich eines Vergleichs der Pflegeklassen nach SGB XI und der RUG-III- Klassifikation zu liefern, aus denen erste Hypothesen abgeleitet werden können.
2. Theoretischer Rahmen
2.1 Anmerkungen zur Literaturrecherche
Ausgangspunkt dieser Arbeit war eine unsystematische Literaturrecherche. Genutzt wurden die Datenbanken MEDLINE (via PUBMED), GEROLIT und CARELIT (beide via DIMDI).
Gesucht wurde mit verschiedenen Suchbegriffen und Schlagworten zu folgenden Themenspektren: „RUG-III“, „case- mix“, „resource use“ (beide in allen Datenbanken), „Pflegestufen“, „Pflegeklassen“, „Pflegebedarf“, „Pflegeaufwand“, „Pflegesätze“ (in den Datenbanken GEROLIT und CARELIT).
Nach Buchveröffentlichungen zu den o.g. Themenbereichen wurde über die OPAC- Systeme des Bibliothekverbunds Freiburg, des Verbundkatalogs Basel/ Bern und des Karlsruher virtuellen Katalogs (KVK) der Universitätsbibliothek Karlsruhe recherchiert.
Weitere Literatur konnte über die Internet- Suchmaschinen Google und MetaGer, die Literaturübersichten der interRAI (http://nt8380.hrca.harvard.edu/MDS_bibliography.htm) und des IGK Berlin (http://www.igk-forschung.de/seite6.htm), sowie nach dem sog.
„Schneeballverfahren“ identifiziert werden. Mehrere noch unveröffentlichte oder sich im Druck befindende Quellen konnten über persönliche Kontakte und Anfragen bei Autoren identifiziert und bezogen werden.
Inhaltliche Kriterien für die Literatursuche wurden außer der thematischen Relevanz nicht gezielt definiert, die Berücksichtigung erfolgte unsystematisch.
Unter formalen Gesichtspunkten wurden primär empirische Studien und sonstige (populär-) wissenschaftliche Arbeiten berücksichtigt. Für die Themenspektren bundesdeutscher Pflegestufen und Pflegeklassen konnten unter diesen Eingrenzungen lediglich drei Arbeiten identifiziert werden, so dass dieses formale Kriterium für diese Themen aufgehoben wurde. Als weiteres formales Kriterium wurde festgelegt, dass es sich um Veröffentlichungen in den Sprachen Deutsch oder Englisch handeln musste. Eine Beschränkung nach Veröffentlichungsdatum wurde nicht vorgenommen.
Organisatorische Restriktionen wurden in sofern definiert, als dass die Literatur in den Bibliotheken in Freiburg und Basel bzw. über Fernleihe innerhalb der BRD oder über den Lieferdienst Subito (www.subito-doc.de) zu beschaffen sein musste oder kostenfrei online zur Verfügung zu stehen hatte.
2.2 Klärung zentraler Begriffe
2.2.1 Pflegeleistungen, Pflegeinterventionen und Pflegeaktivitäten
Die Begriffe Pflegeleistungen, Pflegeinterventionen und Pflegeaktivitäten werden in der Literatur zum Teil synonym verwendet, so u.a. auch bei Baumberger (vgl. 2001).
In Anlehnung an die Nursing Intervention Classification (NIC) (vgl. McCloskey JC, Bulechek GM 1996) lassen sich die Begriffe Pflegeintervention und Pflegeaktivität jedoch klar voneinander abgrenzen. Fischer definiert, Bezug nehmend auf die NIC, die Pflegeinterventionen als „ jede Ma ß nahme/ Therapie, die Pflegende in Bezug auf einen Patienten ausf ü hren “ (vgl. Fischer W 1995). Die Intervention ist dabei als grober Überbegriff zu verstehen. Die Pflegeaktivitäten dagegen sind „ auf der konkreten Handlungsebene formuliert “ (vgl. ebd.). Eine Pflegeintervention kann also als zusammenfassende Bezeichnung für eine Reihe sehr konkreter Pflegeaktivitäten verstanden werden, wie dies in die Taxonomie der NIC umgesetzt wurde. Pflegeinterventionen „ ben ö tigen zu ihrer Ausf ü hrung eine Reihe konkreter Pflegeaktivit ä ten “ (vgl. ebd.).
Der Begriff der Pflegeleistungen wird in dieser Arbeit als Synonym zu Pflegeinterventionen verstanden
2.2.2 Pflegeaufwand
Isfort und Weidner definieren diesen Begriff als „ Gesamtheit der tats ä chlich erbrachten Pflegeleistungen “ (vgl. Katholischer Krankenhausverband Deutschlands e.V. 2001). Daraus folgt, dass eine Beschreibung des Pflegeaufwands nur retrospektiv möglich ist.
Im Sinne dieser Arbeit umfasst der Begriff des Pflegeaufwands die Gesamtheit aller erbrachten Pflegeinterventionen.
2.2.3 Pflegebedarf
Fischer definiert diesen Begriff als den „ erwarteten Aufwand “ (vgl. Fischer W 1995). Der Begriff grenzt sich dabei klar ab von dem des Pflegeaufwands, der sich auf die tatsächlich erbrachten Interventionen bezieht. Analog dieses Verständnisses sei dieser Begriff im Sinne dieser Arbeit definiert als die Summe der erwarteten Pflegeinterventionen.
Nach Fischer kann der Bedarf an Pflegeinterventionen sowohl aus Patientenmerkmalen als auch aus Behandlungszielen abgeleitet werden. Wichtiger beeinflussender Faktor ist zudem das Leistungspotenzial des Leistungserbringers.
2.2.4 Case- Mix und Case- Mix- Index
Fischer definiert diesen Begriff als das „ Summe der Kostengewichte aller Behandlungsf ä lle “ (vgl. Fischer W 1997). Da diese Definition einen eindeutigen Bezug zur Kostengewichtung hat, darf er nicht mit dem Begriff des Patientenspektrums und dem der Bewohnerstruktur verwechselt werden.
Der Case- Mix- Index wiederum errechnet sich aus der Division des CaseMix durch die Anzahl der Behandlungsfälle und wird von Fischer definiert als das „ durchschnittliche Kostengewicht pro Behandlungsfall “. Fischer schreibt weiter, dass die Kostengewichte für gewöhnlich „ so umgeformt [werden], dass das Kostengewicht von 1.0 den nationalen Durchschnittsfallkosten entspricht “ (vgl. edb.)
2.2.5 Low - Care- Cases
Ikegami et.al. (vgl. 1997) bieten drei Möglichkeiten der Definitionen dieses Begriffs im Kontext des Minimum Data Set (MDS) und der RUG-III-Klassifikation an. Zwei der Definitionen beziehen sich direkt auf die RUG-III- Klassifikation. Diese beiden Definitionen berücksichtigen spezielle Patientenmerkmale bzw. bestimmte Zuordnungen zu Hauptgruppen der RUG-III.
Für diese Arbeit wird auf die „broad definition“ zurück gegriffen, die sich lediglich des Hilfebedarfs im Bereich der ADLs bedient. Ausgegangen wird dabei von den sog. Late- loss- ADL, also jenen, in denen ältere Menschen typischerweise zuletzt ihre Selbständigkeit verlieren. Es handelt sich dabei um 4 ADLs, nämlich Bewegung im Bett, Transfer, Nahrungsaufnahme und Toilettenbenutzung. Dies sind exakt jene ADLs, die sich auch im ADL- Index der RUG-III (siehe unten) wieder finden.
Als Low- Care- Case wird ein Patient dann definiert, wenn er in diesen vier ADLs unabhängig ist oder lediglich Beaufsichtigung aber keine physische Hilfe benötigt. In Sinne dieser Definition lässt sich ein LowCare- Case über den ADL- Index (siehe unten) operationalisieren, der dann den geringsten Wert (4) annehmen muss.
2.3 Patientenklassifizierung
„ Um die Behandlung einzelner Patienten und die dabei entstandenen Kosten vergleichen und beurteilen zu k ö nnen, wurden Systeme geschaffen, mit denen Behandlungsf ä lle gruppiert werden: so genannte ‚ Patientenklassifikationssysteme ’ (abgek ü rzt: PCS). Die Klassifizierung geschieht durch die Zuordnung der Behandlungsf ä lle zu Behandlungsfallgruppen (Patientenkategorien). “ (vgl. Fischer W 2002)
Fischer (vgl. Fischer W 1995) unterscheidet generell zwischen Pflegebedarfs- und Pflegeaufwandsmesssystemen. Analog zu den dargestellten Definitionen beziehen sich Pflegebedarfsmesssysteme also auf die erwarteten und Pflegeaufwandsmesssysteme auf die tatsächlich erbrachten Interventionen.
Während Pflegebedarfsgruppen sowohl nach Patientenmerkmalen als auch nach Behandlungszielen oder Behandlungsmerkmalen gebildet werden, lassen sich Pflegeaufwandsgruppen ausschließlich nach
Behandlungsmerkmalen bilden. In Bezug auf die Behandlungsmerkmale lässt sich zudem (in beiden Fällen) eine Gruppenbildung auf der Basis sowohl von Verfahren (Einzelinterventionen) als auch von Prozeduren (Summe der Interventionen) bewerkstelligen (vgl. edb.).
2.4 Pflegeklassen nach SGB XI
2.4.1 Vorstellung des Verfahrens
Eine finanzierungsbezogene Klassifizierung erfolgt in der BRD dadurch, dass die Bewohner in Pflegeklassen eingruppiert werden. Diesen werden dann im Rahmen von Pflegesatzverhandlungen Kostengewichte (Pflegesätze je Versorgungstag) zugeordnet. Wie diese Klassen zu bilden sind, schreibt das SGB XI nicht zwingend vor, §84 Abs.2 erklärt es allerdings zum Regelfall, diese in Analogie zu den Pflegestufen zu bilden. In der Praxis wird momentan in allen Bundesländern so verfahren (vgl. Schmidt R 2001; Kuratorium Deutsche Altershilfe 1999).
Die folgende Darstellung des Verfahrens bezieht sich daher auf die Feststellung des Vorliegens von Pflegebedürftigkeit im Sinne des SGB XI (vgl. SGB XI §§14,15) und der Ermittlung der Pflegestufen.
In diesem Verfahren erstellt ein Gutachter des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) ein entsprechendes Gutachten. Das Verfahren wird erstmalig nur auf Antragstellung des Versicherten durchgeführt, sog. Wiederholungsbegutachtungen liegen dann im Ermessen der Pflegekasse, können aber auch beantragt werden.
Der Gutachter stellt das Vorliegen und das Ausmaß der Pflegebedürftigkeit (das Ausmaß der Pflegebedürftigkeit ist im Sinne dieser Arbeit als Pflegebedarf zu verstehen) im Normalfall im häuslichen Umfeld des Antragstellers fest.
Die Abgrenzung der Pflegestufen erfolgt anhand von Zeitwerten. In den Begutachtungsrichtlinien finden sich 4 Bereiche (Körperpflege, Mobilität, Ernährung, Hauswirtschaft), die sich in 21 Verrichtungen gliedern. Dieser sog. Leistungskatalog deckt sich mit dem §§14,15 des SGB XI. Es werden ausschließlich die 21 angegebenen Verrichtungen berücksichtigt, für die jeweils die Häufigkeit der Hilfestellung, die Pflegemethode und (daraus abgeleitet) der durchschnittliche tägliche Pflegeaufwand erfasst werden. Für die Ermittlung des durchschnittlichen täglichen Aufwands werden Orientierungswerte herangezogen, die in Zeitkorridoren den Aufwand für jede Hilfeleistung angeben. Der Gutachter kann in begründeten Fällen von diesen Orientierungswerten abweichen.
Als Zeitwert zu berücksichtigen ist der zeitliche Aufwand, den eine nicht professionelle Pflegeperson im häuslichen Umfeld des Antragstellers für die Ausführung der relevanten Verrichtungen benötigen würde.
Die ermittelten Zeitwerte für die 21 Verrichtungen werden summiert und ergeben den durchschnittlichen täglichen Pflegeaufwand in Minuten. Diese Summe grenzt die Pflegestufen untereinander wie folgt ab (vgl. Spitzenverbände der Pflegekassen 2001):
- Pflegestufe 1 (erhebliche Pflegebedürftigkeit) liegt dann vor, wenn ein Hilfebedarf in den Bereichen der Körperpflege, der Mobilität und der Ernährung zumindest einmal täglich und bei mindestens zwei Verrichtungen erforderlich ist. Dieser Hilfebedarf muss mindestens 45 Minuten umfassen. Zudem muss mehrfach wöchentlich Hilfe im Bereich der Hauswirtschaft erforderlich sein und der gesamte Zeitbedarf in allen vier Bereichen mindestens 90 Minuten umfassen.
- Pflegestufe 2 (Schwerpflegebedürftigkeit) liegt dann vor, wenn ein Hilfebedarf in den Bereichen der Körperpflege, der Mobilität und der Ernährung zumindest dreimal täglich erforderlich ist. Dieser Hilfebedarf muss mindestens zwei Stunden umfassen. Zudem muss mehrfach wöchentlich Hilfe im Bereich der Hauswirtschaft erforderlich sein und der gesamte Zeitbedarf in allen vier Bereichen mindestens drei Stunden umfassen.
- Pflegestufe 3 (Schwerstpflegebedürftigkeit) liegt dann vor, wenn ein Hilfebedarf „Rund um die Uhr“, als tagsüber und auch nachts erforderlich ist. Dieser Hilfebedarf muss mindestens vier Stunden umfassen. Inklusive der Hilfe im Bereich der Hauswirtschaft muss ein täglicher Hilfebedarf von durchschnittlich fünf Stunden erreicht werden.
Eine weitere zwingende Voraussetzung für die Eingruppierung in eine Pflegstufe ist das Vorliegen der Pflegebedürftigkeit für mindestens sechs Monate.
Von einer detailierteren Darstellung des Verfahrens wird an dieser Stelle abgesehen, diese findet sich in den Begutachtungsrichtlinien, in denen auch die Orientierungswerte enthalten sind (vgl. Spitzenverbände der Pflegekassen 2001).
Die Pflegeklassen werden äquivalent zu den Pflegestufen gebildet, d.h. die Pflegeklasse entspricht der Pflegestufe. Zwei Besonderheiten sind an dieser Stelle jedoch zu berücksichtigen. Zum einen steht im stationären Bereich neben dem Versicherten auch dem Leistungserbringer ein Antragsrecht zu, d.h. das Begutachtungsverfahren kann auch auf Initiative des Leistungserbringers initiiert werden. Zum anderen besteht die Möglichkeit, eine von den Pflegestufen abweichende Gruppierung eines Bewohners in einer Pflegeklasse zu beantragen, was aber begründet werden muss (vgl. Bundessozialgericht 2000; Klie T 2000).
2.4.2 Klassifizierung des Verfahrens
Das Verfahren der Eingruppierung in eine Pflegeklasse lässt sich nicht nach den Kriterien von Fischer (vgl. Abschnitt 2.3) klassifizieren, da sie nicht nach den o.g. Aspekten gebildet werden.
So fassen sie weder Patienten mit gleichem Patientenmerkmalen, noch mit gleichen Behandlungszielen oder gleichen Interventionen zusammen, sondern solche mit gleichem zeitlichen Pflegebedarf. Patienten der gleichen Pflegeklasse können (bei identischem Zeitbedarf) durchaus Empfänger unterschiedlicher Interventionen sein und auch unterschiedliche Charakteristika aufweisen.
Eine Gruppierung nach prospektivem Zeitaufwand kann als eine Gruppierung nach (erwartetem) Ressourcenverbrauch verstanden werden. Ein solches Verständnis ist jedoch problematisch, da die Qualifikation der Leistungserbringer nicht gewichtet wird und so Rückschlüsse auf den notwendigen Einsatz der Ressource Personal nicht ausreichend möglich sind. Der Aspekt der Qualifikation geht zwar gesondert in die Pflegesatzverhandlungen ein, hat aber keine Auswirkung auf die Bildung der Pflegeklassen, sondern auf die Höhe der den Klassen zugewiesenen Pflegesätze (und somit der Kostengewichte). Diese sind jedoch nicht Gegenstand dieser Arbeit.
2.4.3 Wissenschaftliche Güte dieses Verfahrens
Die wissenschaftliche Güte der Eingruppierung in Pflegestufen nach SGB XI ist in der Bundesrepublik kaum untersucht. Weder die Begutachtungsrichtlinien noch das Formulargutachten noch die Zeitkorridore (Orientierungswerte) wurden forschungsbasiert entwickelt, sie basieren auf Erfahrungswerten und Expertenmeinungen (vgl. Spitzenverbände der Pflegekassen 2001). Zu den Zeitkorridoren findet sich in der Publikationslandschaft eine Evaluation dieser Zeitrichtwerte (vgl. Bartholomeyczik S, Hunstein D et.al. 2001), die diese Richtwerte weitgehend validierte, aber auf die Schwierigkeiten bei der Abgrenzung der 21 Verrichtungen hinwies. Diese Studie bezieht sich zum einen auf nicht professionell Pflegende und zum anderen auf das häusliche Setting. Beide Aspekte werden zwar auch im Begutachtungsverfahren zugrunde gelegt, erfüllen aber nicht die Voraussetzungen des in dieser Arbeit untersuchten stationären Settings.
Im Rahmen der Literaturrecherche konnte eine Studie identifiziert werden, in der die Inter- Rater- Reliabilität des Formulargutachtens untersucht wurde (vgl. Kliebsch U et.al. 1997). Es wurde in dieser Studie für die standardisiert erhobenen Merkmale der MDK- Begutachtung z.T. eine geringe Inter- Rater- Reliabilität gemessen, die Übereinstimmung hinsichtlich der zuerkannten Pflegestufen war jedoch in den meisten Fällen hinreichend (Kappa >0.40). Eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse dieser Studie findet sich in Tab. 25.
Wie dargestellt wird für die Zuerkennung einer Pflegestufe zum einen das häusliche Setting heran gezogen und zum anderen von nicht professioneller Pflege ausgegangen. Darüber hinaus werden soziale Betreuung und Behandlungspflege bei der Eingruppierung nicht berücksichtigt, obschon es sich in beiden Fällen um vergütungsfähige Leistungsgruppen im stationären Bereich handelt (vgl. SGB XI §84 Abs.1). Es ist daher augenscheinlich, dass die von den Pflegestufen abgeleiteten Pflegeklassen hinsichtlich ihrer Fähigkeit, den stationären (professionellen) Pflegeaufwand abzubilden, problematisch erscheinen. Diese Aussage kann nicht durch Forschungsergebnisse untermauert werden, wohl aber mit der einleitend angeführten Rechtssprechung des Bundessozialgerichts (vgl. 2000).
Die im Rahmen der Problemstellung angeführte Problematik einer Schlechterstellung von kognitiv beeinträchtigten oder psychisch auffälligen Personen im Kontext der Pflegestufen bzw. -klassen konnte in der einzigen identifizierten Studie (vgl. Gutzmann H et.al. 2000) nicht belegt werden. Die Ergebnisse dieser Studie zeigen jedoch, dass dies v.a. darin begründet ist, dass die kognitiv beeinträchtigten (bzw. psychisch auffälligen) Probanden zu einem hohen Teil auch körperlich abhängig waren. Dass kognitiv beeinträchtigte Personen allerdings einen höheren Ressourcenverbrauch aufweisen, konnte jedoch zumindest für die USA wissenschaftlich belegt werden (vgl. Fries BE et.al. 1993). Diese Studie kam zu dem Ergebnis, dass ein erhöhter Ressourcenverbrauch nur bis zu einem gewissen Grad der ADL- Abhängigkeit zu finden war (ADL- Index =10). Bei einem höheren Grad der ADL- Abhängigkeit hat die kognitive Beeinträchtigung demnach keinen Einfluss auf den Ressourcenverbrauch.
2.5 Die RUG-III- Klassifikation
2.5.1 Vorstellung der Klassifikation
Die RUG-III- Klassifikation kennt 44 einzelne Pflegebedarfsgruppen (RUGs). Sie entstand in den USA als Antwort auf die DRGs und bildet im Gegensatz zu diesen keinen medizinischen sondern pflegerischen Bedarf ab. Eine Darstellung der Klassifikation zeigt Abbildung 6.
Eine Eingruppierung kann nach zwei unterschiedlichen Verfahren erfolgen, zum einen nach dem hierarchischen Verfahren, zum anderen nach dem Verfahren des „Index Maximizing“ (vgl. Health Care Financing Administration 2002)2.
Die folgenden Erläuterungen zur Eingruppierung in eine RUG beziehen sich auf den Worksheet zur manuellen Eingruppierung der HCFA (vgl. Health Care Financing Administration 2002). Eine Eingruppierung in eine RUG erfolgt in drei Schritten. In einem ersten Schritt (primärer Split) wird der betreffende Bewohner zunächst einer von sieben Hauptgruppen zugeordnet (die Hauptgruppen sind aus Abb. 6 und Tab. 18 ersichtlich). Diese Zuordnung erfolgt nach definierten Einschlusskriterien, die in jedem Fall erfüllt sein müssen. Diese Einschlusskriterien basieren zum größten Teil auf Patientenzuständen, zu einem geringeren Teil auch auf erbrachten Pflege- und Therapieinterventionen, wie sie aus dem zuletzt kodierten MDS- Assessment („recent assessment“) hervorgehen.
Die Einschlusskriterien der Hauptgruppe „Impaired Cognition“ definieren sich über die auf dem MDS basierende Cognitive Performance Scale (CPS). Die Skala kann Scores zwischen 0 und 6 annehmen, wobei ein Bewohner bei Werten >1 als zumindest leicht kognitiv beeinträchtigt gilt (vgl. Morris JN et.al. 1994). Ein CPS- Score >1 erfüllt das Einschlusskriterium für die Hauptgruppe „Impaired Cognition“. Abb. 7 zeigt die CPS und die ihr zugrunde liegenden Items des MDS.
Im hierarchischen Verfahren wird beginnend mit der ranghöchsten Hauptgruppe „top- down“ vorgegangen und geprüft, ob die Zuordnungskriterien erfüllt sind. Sind für eine Hauptgruppe die Kriterien erfüllt, so wird der Bewohner dieser Hauptgruppe zugeordnet. Im Verfahren des „Index Maximizing“ wird in diesem Schritt noch keine endgültige Zuordnung zu einer Hauptgruppe vorgenommen, es werden vielmehr sämtliche Hauptgruppen berücksichtigt, deren Kriterien erfüllt sind.
In einem zweiten Schritt (sekundärer Split) wird der ADL- Index ermittelt. Dazu werden die vier „Late- loss ADLs“ (Bewegung im Bett, Transfer, Nahrungsaufnahme und Toilettenbenutzung)3 gemäß ihrer Operationalisierung im MDS herangezogen. Für jede der ADLs wird je nach Eigenleistungsfähigkeiten und Fremdhilfebedarf ein Punktwert ermittelt, die Summe der vier Werte ergibt den ADL- Index. Dieser Score kann Werte zwischen 4 (niedrigster Wert) und 18 (höchster Wert) annehmen. Gemäß des ADL- Index unterteilen sich die Hauptgruppen der RUG-III- Klassifikation in Untergruppen, wobei jeweils keine einzelnen Scores berücksichtigt werden, sondern Korridore. Diese Korridore sind je nach Hauptgruppe unterschiedlich definiert. In zwei Hauptgruppen („Impaired Cognition“ und „Behavioural Problems“) gehört der ADL-Index zu den Einschlusskriterien, weshalb dieser Score in der Regel vor der Hautgruppenzuordnung ermittelt wird. Liegt der Wert über 10, so findet eine Zuordnung zu diesen Hauptgruppen nicht statt. Hinsichtlich des ADL- Index stellt zudem die Hauptgruppe „Extensive Services“ eine Besonderheit dar, da innerhalb dieser Hauptgruppe die Zuordnung zu Untergruppen nicht nach dem ADL- Index, sondern nach weiteren Bewohnercharakteristika erfolgt.
Im dritten Schritt der Gruppenzuteilung (tertiärer Split), wird in einigen der Hauptgruppen nochmals eine dichotome Unterteilung vorgenommen. In der Hauptgruppe „Clinically Complex“ erfolgt dieser Split nach einer Unterscheidung von Bewohnern mit Depressionskennzeichen von solchen, bei denen diese Kennzeichen nicht oder nur in geringem Maße vorliegen (Unterteilung: depressed/ not depressed). In den Hauptgruppen „Impaired Cognition“, „Behavioural Problems“ und „Reduced Physical Functions“ beruht der Split auf einer Unterscheidung zwischen Bewohnern, die ein definiertes Mindestmaß an pflegerischer Rehabilitation erhalten und solchen, die dieses Kriterium nicht erfüllen (Unterteilung: Nursing Rehabilitation/ no Nursing Rehabilitation). Die Kriterien für diese beiden Arten des tertiären Spilts zeigen Tab. 19 bzw. Tab. 20.
Wird das hierarchische Verfahren angewendet, so ist die RUG an dieser Stelle ermittelt.
Jeder einzelnen RUG ist ein „Case- Mix- Index“ (CMI) zugeordnet, der den proportionalen, lohngewichteten (erwarteten) Pflegeaufwand in Relation zum Durchschnitt angibt (CMI 2.4 bedeutet also 240% des Pflegeaufwands des Bewohnerdurchschnitts der betrachteten Population). Der CMI- Wert für jede RUG wird in den USA in regelmäßigen Abständen mittels Zeitstudien erhoben (vgl. zu diesem Verfahren auch Fries BE et.al. 1994). Dabei fließen neben dem direkten pflegerischen Zeitaufwand für die Bewohner auch bewohnerferne (aber dennoch auf einen konkreten Bewohner bezogene) Tätigkeiten (z.B. Pflegeplanung), wie auch Tätigkeiten, die nicht direkt einem konkreten Bewohner zuzuordnen sind sowie das Qualifikationsniveau (daher: lohngewichtete Bedarfsgruppen) mit ein.
Wird eine Gruppenzuordnung nach dem Verfahren des „Index Maximizing“ vorgenommen, so werden nun sämtliche RUGs geprüft, deren Kriterien der Bewohner erfüllt. Die Eingruppierung erfolgt in jene RUG, die den höchsten CMI aufweist (vgl. Health Care Financing Administration 2002).
2.5.1.1 Internationale Derivate der Klassifikation
International existieren neben der eigentlichen, 44 Gruppen umfassenden RUG- III- Klassifikation einige Derivate.4
Das „RUG-III- 34 Groups- Model“ unterscheidet sich vom Original dadurch, dass diese Version in der Hauptgruppe „Rehabilitation“ verändert wurde. Die zehn Gruppen, welche sehr umfangreiche Rehabilitationsleistungen durch pflegefremde Professionen enthalten, wurden entfernt und die verbliebenen „Rehabilitation“- Gruppen neu bezeichnet (vgl. Health Care Financing Administration 2002). Die verbliebenen Gruppen sind jedoch hinsichtlich ihrer Zuordnungskriterien identisch mit den „Rehabilitation- Low“- Gruppen des 44- Gruppen Modells (vgl. ebd.) Eine weitere Änderung betrifft die Hierarchie der Hauptgruppen. So wurde die Hauptgruppe „Extensive Services“ in der Hierarchie an die erste Stelle gesetzt, die Hauptgruppe „Rehabilitation“ befindet sich darunter (vgl. ebd.). Dies hat Auswirkungen auf die Eingruppierung, wenn das hierarchische Verfahren verwendet wird, nicht jedoch bei einer Anwendung des „Index- Maximizing“- Verfahrens. Das 34- Gruppen- Modell weist in den USA eine größere Verbreitung auf als das originale 44- Gruppen- Modell. Letzteres wird lediglich in „Skilled Nursing Facilities“ verwendet, in denen die zusätzlichen Rehabilitationsgruppen deutlich häufiger anzutreffen sind.
Die RUG-III/ 22- Groups werden in Finnland verwendet (vgl. Björkgren MA et.al. 1999). Änderungen gegenüber dem 44- Gruppen- Modell beziehen sich auf die Hauptgruppe Rehabilitation und den tertiären Split. Die 12 Rehabilitations- Gruppen wurden auf drei reduziert, zudem wurden deren Kriterien abgeändert. Auch der Split gemäß des ADL- Index wurde in dieser Hauptgruppe modifiziert, die Korridore für ADL- Werte sind nicht mit jenen der ursprünglichen RUG- III- Klassifikation identisch. Die Anzahl von Eingruppierungen in die Rehabilitiations- Gruppen konnte dadurch erhöht und dadurch den spezifischen finnischen Bedingungen Rechnung getragen werden (vgl. Björkgren MA et.al. 1999). Zusätzlich zu diesen Modifikationen wurde auf den tertiären Split verzichtet. Gruppen, in denen dieser in der ursprünglichen Klassifikation angewandt wird, wurden zu je einer Gruppe zusammen gefasst.
In der Schweiz existieren verschiedene Derivate der Klassifikation, da die dortigen zuständigen Kommissionen auf kantonaler Ebene entscheiden, wie viele Gruppen notwendig sind. So werden z.B. im Kanton BaselStadt 13 Gruppen verwendet. Die Konstruktion der Gruppen erfolgt nach einem vergleichbaren Ansatz wie beim finnischen „RUG-III/ 22 Groups“. Verschiedene Gruppen werden zusammen gefasst und der tertiäre Split wird i.d.R. ignoriert (vgl. Q-SYS AG 2001).
2.5.2 Klassifizierung des Instruments
Nach den Kriterien von Fischer (vgl. Fischer W 1995) sind die RUG-III nicht eindeutig zu klassifizieren, da eine Patientenkategorisierung sowohl nach Patientenmerkmalen als auch nach durchgeführten Prozeduren erfolgt.
Während es sich bei den meisten Einschlusskriterien für die Hauptgruppen um Merkmale handelt (z.B. kognitive Beeinträchtigung, Vorhandensein eines Dekubitus oder einer Magensonde), finden sich auch Interventionen unter den Einschlusskriterien (z.B. durchgeführte Geh-oder Toilettentrainings in den letzten sieben Tagen). Die einzelnen Items des ADL- Index sind ebenfalls z.T. über durchgeführte Interventionen bzw. den Grad der Fremdhilfe definiert.
Von Pflegeaufwandskategorien kann dennoch nicht gesprochen werden, da die berücksichtigten Interventionen der RUG-III einer prospektiven Schätzung des Aufwands dienen und nicht im Sinne einer Erhebung aller geleisteter Interventionen dienen.
Die RUG-III können daher als Pflegebedarfsgruppen klassifiziert werden, die sowohl aufgrund von Patientenmerkmalen als auch aufgrund von einzelnen Behandlungsmerkmalen gebildet werden.
2.5.3 Wissenschaftliche Güte des Instruments
Die RUG-III- Klassifikation wurde auf der Basis breit angelegter Forschung und auf dem Fundament von Zeitstudien zur Messung des Ressourcenverbrauchs entwickelt (vgl. Fries BE et.al. 1993; Fries BE et.al. 1994). Vailiditätsstudien zur RUG-III- Klassifikation widmeten sich ausschließlich der Kriteriumsvalidität hinsichtlich der Erklärung der Varianz des Ressourcenverbrauchs. Fries et.al. (vgl. 1994) ermittelten für diese Varianz 56%. Dieser Wert erreichte 68% bzw. 71% wenn (nicht näher bezeichnete) „facitiliy identifiers“ respektive „nursing unit identifiers“ berücksichtigt wurden. Ikegami et.al. (vgl. 1994) ermittelten in Japan 55% Erklärung der Varianz, Björkgren et.al. berichten für das finnische RUG-III/ 22 Groups- Derivat von 38.2%.
Die Stabilität der Klassifikation wurde in fünf Ländern an kleinen Stichproben belegt (vgl. Carpenter GI et.al. 1997). Ikegami et.al. (1994) belegten für das originale 44- Gruppen- Modell in Japan hinreichende Inter- Rater- Reliabilität für die Zuordnung zu Gruppen mit ähnlichen CMIs. Auch die Kriteriumsvalidität hinsichtlich des Ressourcenverbrauchs und hinsichtlich der Erklärung der Varianz des Ressourcenverbrauchs sowie die Stabilität der Klassifikation konnten in dieser Studie für Japan belegt werden.
Für Finnland belegten Björkgren et.al. für das dort angewandte RUG-III/ 22 Groups- Modell hinreichende Inter- Rater- Reliabilität für die Zuordnung zu RUGs mit ähnlichen CMIs und hinreichende Kriteriumsvalidität hinsichtlich des Ressourcenverbrauchs (vgl. Björkgren et.al. 1999).
Sowohl Ikegami et.al. als auch Björkgren et.al. ermittelten unzureichende Inter- Rater- Reliabilität für die Zuordnung zu einzelnen RUGs oder zu den Hauptgruppen. Sie hoben in ihren Studien hinsichtlich der Inter- Rater- Reliabilität hervor, dass bereits die unterschiedliche Codierung eines MDS- Items eine abweichende Gruppenzuordnung zur Folge haben kann und beschränkten sich bei ihren Reliabilitätsaussagen auf die Eingruppierung in RUGs mit ähnlichen Case- Mix- Indices (CMIs). Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnis sollten die folgenden Angaben zur Inter- Rater- Reliabilität des Minimum Data Set (MDS) betrachtet werden.
Zu Reliabilität und Validität des MDS liegt eine Vielzahl an Studien vor. Gerade in den USA wurde im Zuge der Erprobung des Instruments mit großem Aufwand v.a. die Reliabilität des MDS 1.0, später dann jene des MDS 2.0 erforscht.
Hinsichtlich der Inter- Rater- Reliabilität findet sich in der Literatur eine Übersicht in deutscher Sprache (vgl. Brandenburg H 2002). Die Inter-Rater- Reliabilität des MDS wurde in verschiedenen Ländern gemessen. Zum großen Teil fanden diese Studien in Bundesstaaten der USA statt, mit kleineren Stichproben jedoch auch in einigen europäischen Ländern und in Japan.
[...]
1 Die Begriffe Patient und Bewohner werden in dieser Arbeit synonym verwendet 2
2 Die Health Care Financing Administration (HCFA) agiert mittlerweile unter der Bezeichnung Centers for Medicare and Medicaid (CMS).
3 Die ausschließliche Berücksichtigung von “late- loss”- ADLs wird wie folgt begründet: „ Other ADLs are also very important, but the researchers have determined that the late loss ADLs were more predictive of resource use. They determined that allowing for the early loss ADLs did not significantly change the classification hierarchy or add to the variance explanation “ (vgl. Health Care Financing Administration 2000).
4 Auf frühere RUG- Versionen (RUG und RUG-II) und deren Derivate wird an dieser Stelle nicht eingegangen.
- Citation du texte
- Christian Grebe (Auteur), 2003, Pflegeklassen nach SGB XI und RUG-III - Eine explorative Korrelationsstudie, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/18030
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