Ernst Cassirer gilt, zusammen mit einigen weiteren Autoren (Max Scheler, Helmuth Plessner, Arnold Gehlen), als Begründer einer modernen Kulturphilosophie, in der die Produktion von Kultur zum maßgeblichen Wesensmerkmal des Menschen erhoben und Entstehung und Auswirkungen dieser ergründet werden. Ernst Cassirer bezeichnet den Menschen in diesem Zusammenhang als „animal symbolicum“, das, im Gegensatz zum gesamten Tierreich, über symbolische Formen erkennt und kommuniziert. Damit rückt er die Verwendung, die Herstellung und den wechselseitigen Austausch von Symbolen in den Mittelpunkt seiner Philosophie. Wie aber kommt Cassirer zu dieser Erkenntnis?
Um Inhalte und Anliegen der Cassirerschen Kulturphilosophie in seinen Grundzügen zu erfassen, werde ich im Laufe dieser Arbeit versuchen Basis und Notwendigkeit des Symbols herauszuarbeiten, indem ich das anthropologische Konzept Cassirers und das Arnold Gehlens vergleichend gegenüberstelle. Dabei sollen sowohl Unterschiede als auch Parallelen offenkundig werden. Als Textgrundlage dienen dabei vor allem Cassirers Versuch über den Menschen, sowie Gehlens Der Mensch: Seine Natur und seine Stellung in der Welt.
Im 1. Kapitel wird Cassirers Perspektive auf Leben und Wesen des Menschen beschrieben. Dazu gehören sowohl Ausführungen über die philosophische Anthropologie als auch über den Symbolbegriff. Im 2. Kapitel sollen die Gedanken Arnold Gehlens bezüglich Natur und Stellung des Menschen nachgezeichnet werden.
Inhalt:
Einleitung
1. Die Kulturphilosophie Cassirers: Der Mensch als „animal symbolicum“
2. Arnold Gehlen: Der Mensch als Mängelwesen
3. Resümee
Literatur:
Einleitung
Ernst Cassirer gilt, zusammen mit einigen weiteren Autoren (Max Scheler, Helmuth Plessner, Arnold Gehlen), als Begründer einer modernen Kulturphilosophie, in der die Produktion von Kultur zum maßgeblichen Wesensmerkmal des Menschen erhoben und Entstehung und Auswirkungen dieser ergründet werden. Ernst Cassirer bezeichnet den Menschen in diesem Zusammenhang als „animal symbolicum“, das, im Gegensatz zum gesamten Tierreich, über symbolische Formen erkennt und kommuniziert. Damit rückt er die Verwendung, die Herstellung und den wechselseitigen Austausch von Symbolen in den Mittelpunkt seiner Philosophie. Wie aber kommt Cassirer zu dieser Erkenntnis?
Um Inhalte und Anliegen der Cassirerschen Kulturphilosophie in seinen Grundzügen zu erfassen, werde ich im Laufe dieser Arbeit versuchen Basis und Notwendigkeit des Symbols herauszuarbeiten, indem ich das anthropologische Konzept Cassirers und das Arnold Gehlens vergleichend gegenüberstelle. Dabei sollen sowohl Unterschiede als auch Parallelen offenkundig werden. Als Textgrundlage dienen dabei vor allem Cassirers Versuch über den Menschen, sowie Gehlens Der Mensch: Seine Natur und seine Stellung in der Welt.
Im 1. Kapitel wird Cassirers Perspektive auf Leben und Wesen des Menschen beschrieben. Dazu gehören sowohl Ausführungen über die philosophische Anthropologie als auch über den Symbolbegriff. Im 2. Kapitel sollen die Gedanken Arnold Gehlens bezüglich Natur und Stellung des Menschen nachgezeichnet werden.
1. Die Kulturphilosophie Cassirers: Der Mensch als „animal symbolicum“
Erklärter Ausgangspunkt der Kulturphilosophie Cassirers ist die menschliche Selbsterkenntnis. So startet er sein 1. Kapitel mit dem Satz: „Daß menschliche Selbsterkenntnis das höchste Ziel philosophischen Fragens und Forschens ist, scheint allgemein anerkannt“1. Wie für Cassirer bei der Bearbeitung der meisten Fragestellungen üblich, geht er auch hier philosophiehistorisch vor. Er bekräftigt seine Herangehensweise mit Denkern wie Heraklit, nach dem „das Gebot der Selbstreflexion“2 erfüllt sein müsse, oder Platon, der proklamiert: „Erkenne dich selbst“3, sowie mit Sokrates, der behauptet „ein Leben ohne Selbsterforschung verdient gar nicht gelebt zu werden“4. Cassirer stellt im Verlauf seiner Ausführungen über die Geschichte der philosophischen Anthropologie fest, dass die Frage nach dem Wesen des Menschen immer wieder neu gestellt, aber nie befriedigend beantwortet werden konnten. Zusammenfassend ist der aktuelle Forschungsstand in den Beschreibungen Cassirers geprägt von einer Vielzahl von unvereinbaren Theorien über das eigentliche Wesen des Menschen. „Jeder Denker entwirft sein eigenes Bild von der Natur des Menschen“5. Der Reduktionismus der Einzelwissenschaften, also die Einnahme einer bestimmten Perspektive, die Hervorhebung eines Merkmals zum elementaren Merkmal, verhindert eine einheitliche Betrachtung des Menschen.6 Ziel des Autors ist es deswegen, ein gemeinsames, letztes Merkmal des Menschen zu beschreiben, das nicht auf einem einzelnen Element des menschlichen Daseins basiert, sondern eines das all jene Einzelelemente sogar bedingt: das Symbol.
Cassirer begründet das Symbol mit dem Biologen und Philosophen Jakob Johann von Uexküll. Von Uexküll geht davon aus, dass jedes Lebewesen über ein bestimmtes Merk- und Wirknetz verfügt. Das Merknetz könnte als Input des jeweiligen Lebewesens angesehen werden, als Reizaufnahmeapparat oder dergleichen. Das Wirknetz umfasst dementsprechend die Reaktionen auf die aufgenommen Reize. Ihre jeweilige Struktur ist die Manifestation der Anpassung an die unmittelbare Umwelt und zusammen bilden sie den Funktionskreis des Lebewesens.7 Dies trifft aber nur auf Tierarten zu. Laut Casirrer, habe „der Mensch gleichsam eine neue Methode entdeckt, sich an seine Umgebung anzupassen“8, indem er den Funktionskreis um eine zusätzliche Komponente, dem Symbolnetz, erweitert. Es ist quasi zwischen das Merk- und Wirksystem geschaltet und verhindert dadurch unmittelbar auf Reize der Umwelt zu reagieren. Immer, so Cassirer, werde die Reaktion zu Gunsten eines zwischengeschalteten Denkprozesses verzögert, den der Mensch nicht umgehen kann. Damit beginnt der Mensch in einer „neuen Dimension der Wirklichkeit“9 zu leben, in der die Umwelt ihn nicht mehr unmittelbar reizt und kontrolliert, sondern in dem die Vorstellungen von den Dingen, ihr symbolischer Gehalt von entscheidendem Einfluss auf das Handeln ist.
Der Mensch verliert also die Unmittelbarkeit zur Natur, das Merk- und Wirknetz. Anstelle dessen tritt das Symbolnetz, die symbolischen Formen, denn: „So sehr hat er sich (Anm. d. Verf.: der Mensch) mit sprachlichen Formen, künstlerischen Bildern, mythischen Symbolen oder religiösen Riten umgeben, daß er nichts sehen oder erkennen kann, ohne daß sich dieses artifizielle Medium zwischen ihn und die Wirklichkeit schöbe“10. Cassirer benutzt an anderer Stelle den Sündenfall der Bibel als Metapher um diesen Umstand zu verdeutlichen: Durch den Biss in den Apfel (vom Baum der Erkenntnis) werden sie aus dem Paradies verbannt. Das Paradies symbolisiert die Unmittelbarkeit zur Natur, das Leben im Merk- und Wirknetz. Der Apfel der Erkenntnis aber gibt dem Menschen die Möglichkeit mit Hilfe von Symbolen zu kommunizieren und zu verstehen, weshalb sie nicht mehr im Paradies leben können. Ob dies nun ein Glücksfall oder eine Tragödie ist (Cassirer würde wohl zu ersterem tendieren), fest steht: wir sollten den Menschen „(...) als animal symbolicum definieren. Auf diese Weise können wir seine spezifische Differenz bezeichnen und lernen wir begreifen, welcher neuer Weg sich ihm öffnet – der Weg der Zivilisation“11.
Um die These, der Mensch sei das einzige Lebewesen, das mit symbolischen Formen arbeitet, weiter zu untermauern, legt Cassirer Wert auf eine Unterscheidung zwischen emotionaler und aussagender Sprache, sowie zwischen Zeichen und Symbolen.
Cassirer äußert sich kritisch gegenüber Annahmen von Tiersprachen. Er kommt zu dem Ergebnis, dass Tiere natürlich kommunizieren, aber immer nur über eine emotionale, ausdrückende Sprache. Diese ist dazu geeignet subjektive Empfindungen, wie Wut oder Entspannung, auszudrücken, sie hat allerdings nie bezeichneten Charakter, d.h. sie bezeichnet keine objektiven Symbole oder Vorstellungen. Sie kann auf nichts verweisen.12
Wie verhält es sich nun mit tierischen Zeichen und Signalen? Cassirer muss auch hier einen grundlegenden Unterschied zum Symbol feststellen: Tiere seien durchaus in der Lage zwischen einer Vielzahl von direkten und indirekten Reizen zu unterscheiden und dementsprechend differenziert zu reagieren, allerdings seien einerseits indirekte Reize nur repräsentativ, das heißt fest mit dem Bezeichneten verbunden. Sie stehen für etwas. Und andererseits, und dieses Argument ist von grundlegenderer Bedeutung, sind Signale und Zeichen in der physischen Welt verortet, sie haben Präsenz, während Symbole kein physisches Dasein besitzen, sie existieren nur in der Bedeutungswelt der Menschen und können von keinem Tier verstanden werden.13
Nachdem nun klar ist, dass der Mensch das einzige Lebewesen ist, das Symbole gebraucht, können nun die Eigenheiten des Symbols weiter bestimmt werden. Die folgende Erkenntnis ist sowohl Eigenschaft als auch Argument: Symbole sind universell. Es gibt sie überall. Die Erkenntnis, „(...)daß alles einen Namen hat – daß sich die Symbolfunktion nicht auf bestimmte Fälle beschränkt, sondern ein universell anwendbares Prinzip ist und das gesamte Feld menschlichen Denkens umspannt“14, bestätigt, dass symbolisches Denken das letzte Prinzip des Menschen ist, aus dem heraus alles andere erwächst. Die Symbole werden dementsprechend von Cassirer gehuldigt: „Das Prinzip des Symbolischen mit seiner Universalität, seiner allgemeinen Gültigkeit und Anwendbarkeit ist das Zauberwort, das ‚Sesam, öffne dich!’, das den Zugang zur menschlichen Welt, zur Welt der menschlichen Kultur, gewährt“15. Zudem sind Symbole nicht nur universell anwendbar, sondern auch variabel. Der Vergleich mit einem Zeichen macht deutlich, „jedes einzelne konkrete Zeichen verweist auf ein bestimmtes, einzelnes Ding“16, während Symbole vielseitig anwendbar sind. Betrachtet man sich beispielsweise eine Glocke, die geläutet wird wenn ein Hund Futter aufnimmt, so ist die Glocke ein Repräsentant des Signals „Futter aufnehmen“. Mit einem Symbol verhält es sich vollkommen anders. Es ist nicht an eine konkrete Bedeutung gebunden. Nehmen wir die Aussage: „Wasser!“, so zeigt sich, dass dem sprachlichen Symbol „Wasser“ in verschiedenen Kontexten unterschiedliche Bedeutung zukommt. So könnte es als eine Feststellung oder Erklärung (im Sinne von „Das ist Wasser!“) interpretiert werden, die sich wiederum auf diverse Arten von Wasser beziehen kann (Salzwasser, Leitungswasser oder sogar eine Flasche Wasser) beziehen kann, oder als Hinweis darauf etwas zu trinken zu benötigen. Die Möglichkeit einer abstrakten Vorstellung von Wasser, ohne einen konkreten Bezug zu einem Gegenstand, unterscheidet das menschliche, symbolische Denken vom tierischen Beziehungsdenken. „Der Mensch hat eine Fähigkeit ausgebildet, Beziehungen zu isolieren – sie in ihrer abstrakten Bedeutung zu verstehen“17. Diese Fähigkeit ist Fluch und Segen zugleich. Der Mensch kann die Dinge der Welt, aufgrund der Ersetzung des Merk- und Wirknetzes durch symbolische Formen, nicht unmittelbar erkennen. Jede Erkenntnis sei deshalb an einen symbolischen Schaffensprozess gebunden. Cassirer zufolge kann man „ein Ding nicht denken, ohne durch den Akt des Denkens selbst dieses Ding zu schaffen und hervorzubringen“18. Es muss an dieser Stelle zwischen aktualen und potentialen Dingen unterschieden. Aktuale Dinge gehören zur Sphäre des Seins, der tatsächlichen Welt. Es sind die bloßen Anschauungen, während potentiale Dinge unsere Erfahrungen von den Dingen, unsere Begriffe und Bedeutungen darstellen, sprich: unser symbolisches Universum. Wie oben bereits dargestellt, kann der Mensch nur über die potentialen Dinge verstehen. Dieser Umstand ist es nun, der den Menschen zum „animal symbolicum“ macht. Es ist die Art der Erkenntnis, die sein Wesen definiert.19
Auf Basis dieser Ausführungen lohnt sich nun ein kleiner Vergleich mit dem Ansatz Arnold Gehlens, dem es ebenfalls um die Wesensbestimmung des Menschen geht und der zu ähnlichen Erkenntnissen gelangt.
[...]
1 Cassirer, Ernst: Versuch über den Menschen. Einführung in eine Philosophie der Natur. Felix Meiner Verlag, Hamburg 2007, S. 15
2 Cassirer: Versuch über den Menschen, S. 19
3 Cassirer: Versuch über den Menschen, S. 108
4 Sokrates zit. nach Cassirer: Versuch über den Menschen, S. 22
5 Cassirer: Versuch über den Menschen, S. 43
6 Vgl. Cassirer: Versuch über den Menschen, S. 43 ff.
7 Vgl. Cassirer: Versuch über den Menschen, S. 48
8 Cassirer: Versuch über den Menschen, S. 49
9 Cassirer: Versuch über den Menschen, S. 49
10 Cassirer: Versuch über den Menschen, S. 50
11 Cassirer: Versuch über den Menschen, S. 51
12 Vgl. Cassirer: Versuch über den Menschen, S. 52 ff.
13 Vgl. Cassirer: Versuch über den Menschen, S. 57 f.
14 Cassirer: Versuch über den Menschen, S. 62
15 Cassirer: Versuch über den Menschen, S. 63
16 Cassirer: Versuch über den Menschen, S. 64
17 Cassirer: Versuch über den Menschen, S. 67
18 Cassirer: Versuch über den Menschen, S. 92
19 Vgl. Cassirer: Versuch über den Menschen, S. 110
- Quote paper
- Kai Dreschmitt (Author), 2011, Animal symbolicum oder Mängelwesen?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/180163
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