Die NATO gilt als das „erfolgreichste Bündnis aller Zeiten“. Doch worauf basiert dieser oftmals gelobte Erfolg? So umfassend die Antwort auf diese Frage auch sein mag, der Aspekt der Wandlungsfähigkeit des Bündnisses darf ihr nicht fehlen. Keine andere internationale Organisation hat sich in einem vergleichbaren Zeitraum so umfassend den sich ändernden weltpolitischen Rahmenbedingungen anpassen können, wie das transatlantische Bündnis.
Ein Bündnis von gestern für morgen - Kontinuität und Wandel der NATO
Florens Mayer
Die NATO gilt als das „erfolgreichste Bündnis aller Zeiten“. Doch worauf basiert dieser oftmals gelobte Erfolg? So umfassend die Antwort auf diese Frage auch sein mag, der Aspekt der Wandlungsfähigkeit des Bündnisses darf ihr nicht fehlen. Keine andere internationale Organisation hat sich in einem vergleichbaren Zeitraum so umfassend den sich ändernden weltpolitischen Rahmenbedingungen anpassen können, wie das transatlantische Bündnis.
Vor dem Hintergrund des Ost-West-Konflikts und der permanenten Bedrohung durch den Warschauer Pakt war die NATO, in der bisher prägendsten Phase ihrer Existenz, ein Bündnis kollektiver Verteidigung. Der Artikel 5 des Nordatlantikvertrages sicherte jedem Land, im Falle eines Angriffs, die Unterstützung jedes Mitgliedstaates zu und führte zu einem „einer für alle, alle für einen“ Selbstverständnis der NATO. Dieses Selbstverständnis machte sie zu einem effektiven Abschreckungsbündnis. Die NATO verteidigte den Westen in aller Stille. Ohne militärisch aktiv werden zu müssen. Diese Phase dauerte 40 Jahre und insbesondere in Europa hat man sich in dieser Zeit daran gewöhnt, dass Sicherheit anscheinend auch ohne Entbehrungen zu erreichen ist.
In den 1990er Jahren fehlte der NATO plötzlich der gemeinsame äußere Feind, der den Westen in den vergangenen Jahrzehnten auch politisch zusammen gehalten hatte. Viele glaubten, der Untergang der Sowjetunion und das Ende des Ost-West-Konflikts würden der NATO ihre Berechtigungsgrundlage entziehen. Doch das transatlantische Bündnis suchte sich rasch neue Aufgaben. Es wurde zum Unterstützer und Förderer der militärischen und politischen Transformationsprozesse in Osteuropa. Durch Partnerschaftsabkommen mit ehemaligen Feindstaaten wurde die NATO zu einem Exporteur von Sicherheit über die Grenzen des NATO-Territoriums hinaus. Erstmals wurde die NATO, in dieser zweiten Phase ihres Bestehens, auch militärisch aktiv. Im Kosovokrieg 1999 zeigte sich, dass die Strategie der Abschreckung fortan nicht mehr ausreichend war. Außerdem offenbarte der Einsatz weitere Problemfelder der NATO. Zu betonen ist hier vor allem das Auseinanderklaffen zwischen den militärischen Fähigkeiten der europäischen Staaten und denen der USA. Zudem zeigte sich hier, was später zu einer der größten Herausforderungen der NATO werden sollte: die Bevölkerung war auf ein tatsächliches militärisches Engagement in großen Teilen nicht vorbereitet.
Ende des 20. Jahrhunderts hatte die NATO das Ende des Blockkonfrontation erfolgreich gemeistert und bestand nach wie vor. In der Frage „out of area or out of business“, hatte man sich für „out of area“ entschieden.
Die dritte Phase der NATO begann mit dem 11. September 2001. Doch was zunächst als gemeinsame äußere Bedrohung des Westens angesehen wurde, führte in der Folge nicht zu einem gemeinsamen Engagement des Westens im Rahmen der NATO. Zwar wurde der Bündnisfall nach Artikel 5 erklärt, doch diese Erklärung konnte sich zunächst nicht über die Bedeutung einer symbolischen Geste hinausentwickeln. Die USA reagierten auf 9/11 stattdessen mit einer „Koalition der Willigen“. Die NATO musste zuschauen. Es drohte ein immenser Bedeutungsverlust. Die Gründe dafür lagen nicht allein in dem sehr ausgeprägt unilateralen außenpolitischen Ansatz der US-Administration. Vielmehr muss gesehen werden, dass die NATO militärisch und politisch nicht zu einem umfassenden Anti-Terror-Einsatz in der Lage war. Doch auch in dieser Situation bewies sich das Bündnis als beharrlich und wandlungsfähig. Mit einer Reihe von Gipfeltreffen vollzog die NATO ihren bis dahin größten Transformationsprozess. 2002 wurde in Prag die Einführung der NATO Response Force (NRF), die Reform der Kommandostrukturen und eine Verbesserung der Streitkräfteplanung (Prague Capabilities Committment) beschlossen. Auf dem Gipfel in Istanbul im Jahr 2004 wurde die Istanbul Cooperation Initiative (ICI) ins Leben gerufen. Zudem beschloss man hier die Ausweitung der NATO-Mission in Afghanistan und die Ausbildung irakischer Sicherheitskräfte. 2006 wurde in Riga die NRF für voll einsatzfähig erklärt.
Durch einen entschlossenen Transformationsprozess hat sich die NATO aus der Krise zu Beginn des 21. Jahrhunderts heraus gearbeitet. Neben den militärischen Fähigkeiten verbesserten sich vor allem die europäisch-amerikanischen Beziehungen, die nach wie vor das Rückrat dieses Bündnisses sind. Die NATO hat sich erfolgreich von einem Bündnis zur Verteidigung eines gemeinsamen Territoriums zu einem Bündnis zur Verteidigung gemeinsamer Werte und Interessen gewandelt. Aufstandsbekämpfung, Anti-TerrorMaßnahmen, Abwehr von Cyberattacken, Bekämpfung von Piraterie und organisierter Kriminalität, Rüstungskontrolle und Abrüstung, zählen genauso zu ihren Aufgaben, wie die klassische Landesverteidigung. Die NATO ist damit im 21. Jahrhundert angekommen. Um jedoch auch in Zukunft handlungsfähig und durchsetzungskräftig auftreten zu können, darf die NATO den Prozess der Transformation nicht voreilig für abgeschlossen erklären.
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- Citation du texte
- Florens Mayer M.A. (Auteur), 2009, Ein Bündnis von gestern für morgen – Kontinuität und Wandel der NATO, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/179806