In der Mitte des 16. Jahrhunderts hatte sich eine neue soziale Schicht etabliert. Neben den
großen Handelsstädten wie Florenz und Venedig, mit ihren einflussreichen Händlerfamilien
wie den Medici, gab es auch in deutschen Städten ein immer einflussreicher werdendes Bürgertum.
Dazu gehörten vor allem die Handwerker, Händler und Beamte, die einen gewissen
Wohlstand erreicht hatten und dadurch auch die Zeit und Geld hatten, die Kunst als Mittel der
Repräsentation ihrerMacht zu benutzen. Neben den Handwerkerzünften entwickelten sich auch
zunftmäßige Singschulen, wie die Meistersingerzunft in Nürnberg [1], das schon durch die zukunftsweisende
Malerei von Albrecht Dürer zu einem deutschen kulturellen Zentrum geworden
war. Nach festen Regeln und Satzungen konnten dort Lehrlinge neben ihrer beruflichen Laufbahn
zu Meistersingern ausgebildet werden. In der Oper "Die Meistersinger von Nürnberg", die
1868 in München uraufgeführt wurde, befasste sich Richard Wagner mit der Kunst der Meistersinger.
Sowohl die Musik als auch der Text stammen von Richard Wagner. Das Stück zählt
also zu Wagners Musikdramen. Neben seiner langjährigen Arbeit am Tristan schuf Wagner ein
"komisches Spiel"[2].
Das zentrale Thema dieser Arbeit, die im Rahmen des Hauptseminars "Wagner - Die Meistersinger
von Nürnberg"von Professor Dr. Hartmut Schick im Sommersemester 2003 an der
Ludwig-Maximilians-Universität am Institut für Musikwissenschaft entstand, ist das Ständchen
von dem Meistersinger Sixtus Beckmesser in der 6. Szene 2. Akt. In der Arbeit wird darauf
eingegangen, welche Faktoren zum Scheitern Beckmessers führen. Das lässt sich zum Beispiel
aus der missglückten Zusammenführung aus Form und Inhalt der Canzonetta schließen. Aber
auch aus dem herausragenden Element in Beckmessers Ständchen, den Schlägen von Sachs, die
im Kapitel 3.3 behandelt werden.
Zu den Meistersingern gibt es mehrere Klavierausgaben und Partituren. Die Angaben in dieser
Arbeit beziehen sich auf den Klavierauszug [3] der mangels Taktangabe nur mit der Seitenzahl
referiert werden kann. [...]
[1] Ulrich Michels. dtv-Atlas zur Musik. Tafeln und Texte. Band 1. Systematischer Teil: Von
den Anfängen bis zur Renaissance. Deutscher Taschenbuch Verlag, Bärenreiter Verlag, 11.
Auflage, München, Kassel, 1987, Seite 197
[2] Wilhelm Zentner. RichardWagner. DieMeistersinger von Nürnberg. Philipp Reclam Jun.,
Stuttgart, 1966
[3] Richard Wagner. Die Meistersinger von Nürnberg. Klavierauszug mit Text. C.F. Peters,
Leipzig
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Personen
2.1 Eva Pogner und Walther von Stolzing
2.2 Sixtus Beckmesser und Hans Sachs
2.3 Magdalene und David
3 Beckmessers Ständchen in den verschiedenen Ebenen
3.1 Ebene 1 - Handlung
3.2 Ebene 2 - Das Ständchen
3.2.1 Form
3.2.2 Versmaß
3.2.3 Takt
3.2.4 Melodik
3.2.5 Form und Inhalt
3.2.6 Die Laute
3.3 Ebene 3 - Die Schläge von Sachs
3.3.1 Verteilung der Schläge in Strophe 1 und
3.4 Ebene 4 - Orchester
4 Parallelen
5 Fazit
6 Klavierauszug
1 Einleitung
In der Mitte des 16. Jahrhunderts hatte sich eine neue soziale Schicht etabliert. Neben den großen Handelsstädten wie Florenz und Venedig, mit ihren einflussreichen Händlerfamilien wie den Medici, gab es auch in deutschen Städten ein immer einflussreicher werdendes Bür-gertum. Dazu gehörten vor allem die Handwerker, Händler und Beamte, die einen gewissen Wohlstand erreicht hatten und dadurch auch die Zeit und Geld hatten, die Kunst als Mittel der Repräsentation ihrer Macht zu benutzen. Neben den Handwerkerzünften entwickelten sich auch zunftmäßige Singschulen, wie die Meistersingerzunft in Nürnberg1, das schon durch die zu-kunftsweisende Malerei von Albrecht Dürer zu einem deutschen kulturellen Zentrum geworden war. Nach festen Regeln und Satzungen konnten dort Lehrlinge neben ihrer beruflichen Lauf-bahn zu Meistersingern ausgebildet werden. In der Oper "Die Meistersinger von Nürnberg", die 1868 in München uraufgeführt wurde, befasste sich Richard Wagner mit der Kunst der Mei-stersinger. Sowohl die Musik als auch der Text stammen von Richard Wagner. Das Stück zählt also zu Wagners Musikdramen. Neben seiner langjährigen Arbeit am Tristan schuf Wagner ein "komisches Spiel"2.
Das zentrale Thema dieser Arbeit, die im Rahmen des Hauptseminars "Wagner - Die Mei-stersinger von Nürnberg"von Professor Dr. Hartmut Schick im Sommersemester 2003 an der Ludwig-Maximilians-Universität am Institut für Musikwissenschaft entstand, ist das Ständchen von dem Meistersinger Sixtus Beckmesser in der 6. Szene 2. Akt. In der Arbeit wird darauf eingegangen, welche Faktoren zum Scheitern Beckmessers führen. Das lässt sich zum Beispiel aus der missglückten Zusammenführung aus Form und Inhalt der Canzonetta schließen. Aber auch aus dem herausragenden Element in Beckmessers Ständchen, den Schlägen von Sachs, die im Kapitel 3.3 behandelt werden.
Zu den Meistersingern gibt es mehrere Klavierausgaben und Partituren. Die Angaben in dieser Arbeit beziehen sich auf den Klavierauszug3der mangels Taktangabe nur mit der Seitenzahl referiert werden kann. Die Taktverweise beziehen sich auf die Partitur4.
2 Personen
Zur Orientierung des Lesers werden nun die Hauptpersonen der betreffenden Szene vorgestellt. So soll die Situierung der Canzonetta (des Ständchens) in der Oper erleichtert werden.
2.1 Eva Pogner und Walther von Stolzing
Walther von Stolzing ist ein Ritter, der sich in Nürnberg in Eva Pogner verliebt hat. Eva ist die Tochter des Oberhauptes der Zunft der Meistersinger. Ihr Vater, Veit Pogner, hat Eva jedoch demjenigen versprochen, der den Singwettbewerb der Meistersinger am Johannestag gewinnt. Walther ist weder ein Meistersinger, noch kennt er sich mit der Tabulatur, der Singkunst der Meistersinger, aus. Sein Versuch, während der Freiung zum Meistersinger aufzusteigen und sich für den Wettkampf zu qualifizieren, schlug deshalb fehl, und eine weitere Möglichkeit offiziell um Eva zu werben, ist nicht in Sicht. Eva und Walther entscheiden sich zur Flucht aus Nürnberg. Um zu fliehen, müssen Eva und Walther den Hof kreuzen, der zwischen dem Haus von Pogner und der Werkstatt von Hans Sachs liegt.
2.2 Sixtus Beckmesser und Hans Sachs
Hans Sachs ist Schuster und Meistersinger. Seine Werkstatt befindet sich gegenüber dem Haus der Familie Pogner. Seine lange Freundschaft mit dem Hause Pogner und sein Wohlwollen gegenüber Walther machen ihn zu einem Verbündeten der beiden Liebenden. Sachs war der Einzige, der Walthers Talent während der Freiung erkannte und gegen den Willen der anderen Meister auf Fortführung des Lieds bestand („Darum so komm ich jetzt zum Schluss, daß den Junker man zu End hören muss.“, Seite 1523).
Auf der anderen Seite steht Sixtus Beckmesser, der Gegner von Walther. Beckmesser ist Mei-stersinger und Stadtschreiber. In der Zunft der Meistersinger bekleidet er das hohe Amt des Merkers, der die Fehler der Sänger bemerkt und auf eine Tafel aufzeichnet. Bei Walthers Freiung im 1. Akt bemängelt Beckmesser über 50 Fehler. Sieben Fehler hätte Walther machen dürfen. Beckmesser möchte außerdem ebenfalls um Eva werben. Die Regeln, die Veit Pogner, Evas Vater, für den Wettkampf festgelegt hat, besagen jedoch, dass Eva den Sieger aus freien Stücken wählen muss. Um Sympathie bei Eva zu wecken und die Wirkung seines Lieds zu erforschen, möchte Beckmesser Eva ein Ständchen vortragen. Der Zeitpunkt, an dem er mit seiner Laute vor dem Balkon Evas steht und ihr sein Preislied vortragen will und der Zeitpunkt der Flucht von Eva und Walther, fallen zusammen auf den Abend im 2. Akt 6. Szene.
2.3 Magdalene und David
Magdalene ist die Magd im Hause Pogner. Sie hat Eva die Nachricht von Beckmesser über-bracht. Eva reagiert auf Beckmessers Ankündigung seines Ständchens mit der Bitte an Mag-dalene, sich verkleidet als Eva auf den Balkon zu stellen, um Beckmesser möglichst los zu werden. Magdalenes Verehrer David ist Schustergeselle bei Hans Sachs und ebenfalls Mitglied der Meistersinger-Zunft. Er kommt während Beckmessers Canzonetta hinzu, erkennt die ver-kleidete Magdalene am Balkon und sieht Beckmesser, der scheinbar für sie singt. Aus Zorn fällt David nach dem Ständchen über Beckmesser her. Die Rauferei alarmiert die Nachbarn und Passanten und eskaliert in einem Ansturm von unerklärlicher Aggressivität zu einer Massen-schlägerei, die erst durch den nahenden Nachtwächter und seinen Ruf auf dem Horn beruhigt werden kann. Bei der Ankunft des Nachtwächters ist der Ort des Geschehens schon wieder wie leergefegt.
3 Beckmessers Ständchen in den verschiedenen Ebenen
3.1 Ebene 1 - Handlung
Es ergibt sich folgende Situation im 2. Aufzug 6. Szene. Eva und Walther haben sich versteckt, weil sie nicht über den Hof gehen können, der von Sachs’ Werkstattlicht beleuchtet wird. Beck-messer kommt, seine Laute stimmend, zu seinem angekündigten Vortrag. Der versteckte Walt-her zieht sein Schwert und möchte Beckmesser am liebsten gleich töten („Den Lungrer mach´ ich kalt.“ T. 868-869). Eva kann Walther nur mit Mühe zurückhalten und die beiden bleiben in ihrem Versteck. Beckmesser, der nichts davon gemerkt hat, will gerade zu seinem Ständchen ansetzen, da beginnt Sachs mit seinem Schusterlied. Beckmesser weiß nicht, wie ihm geschieht und sucht den Übeltäter. Er bemerkt Sachs in der Werkstatt und versucht gegen sein Lied anzu-kommen, indem er immer höhere Töne von sich gibt („Verdammtes Schrei’n!“ S. 2413). Das verfehlt allerdings seine Wirkung, denn der Schuster lässt sich nicht von Beckmesser stören. Zwischen den Strophen von Sachs’ Lied kommt es zum Dialog zwischen Sachs und Beck-messer. Beckmesser will den Schuster mit allen Mitteln zum Aufhören bewegen. Erst verlangt Beckmesser von Sachs, seinen Gesang einzustellen („Gleich höret auf!“, Takt 9596), dann ändert Beckmesser die Taktik und behauptet, er wolle Sachs’ Meinung zu dem Lied, mit dem er morgen in den Wettkampf ziehen will, hören („Eu’r Urteil, glaubt, das halt’ ich wert; drum bitt’ ich, hört das Liedlein doch mit dem ich morgen möcht’ gewinnen, ob das auch recht nach euren Sinnen.“, Takt 1032-10386). Später erklärt er Sachs seine Absicht, um Eva zu werben, und bittet ihn noch eindringlicher, sich nun sein Lied anzuhören und dann zu sagen, was ihm gefällt und was nicht („[...] will ich vor aller Welt nun morgen um die werben, sagt! könnt’s mich nicht verderben, wenn mein Lied ihr nicht gefällt? Drum hört mich ruhig an, und sang ich, sagt mir dann, was euch gefällt, was nicht,-“, Takt 1064-10716). Beckmesser und Sachs einigen sich auf einen Kompromiss. Sachs übernimmt die Rolle des Merkers. Bei jedem Fehler schlägt Sachs mit dem Hammer auf den Schuh. Beckmesser kann also sein Lied vortragen und Sachs beim Zuhören an seinen Schuhen weiterarbeiten (B:„Was? Ihr wollt klopfen, und ich soll singen?“, S:„Euch muss das Lied, mir der Schuh gelingen.“, Takt 1139-11446).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Szenenillustration der sechsten Szene des zweiten Aufzugs in einem Aquarell von Michael Echter drei Jahre nach der Münchner Uraufführung von 1868.8
3.2 Ebene 2 - Das Ständchen
Beckmesser unternimmt einige erfolglose Versuche, sein Ständchen zu singen. Jedoch wird er immer wieder schon nach dem Vorspiel der Laute von Sachs unterbrochen, so dass Beckmesser wieder von vorn beginnen muss („War das eu´r Lied?“, Takt 11176, „Fanget an, ´s pressiert: sonst sing´ ich für mich.“, Takt 1180-816). Der erste zusammenhängende Vortrag des Ständchens beginnt in Takt 12426.
3.2.1 Form
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Tabelle - Reime und Takte
Wie in Abbildung 2 zu sehen ist, besteht das Ständchen aus drei Strophen. Die Strophen bestehen jeweils aus zwei Stollen und einem Abgesang oder Gegenstollen. Die Stollen haben jeweils sieben Verse, während der Abgesang nur sechs Verse enthält. Diese strenge Form wird mit „Barform“ bezeichnet1. Das Reimschema bleibt in allen drei Strophen gleich (siehe Ab-bildung 2). Es folgt immer ein Paarreim auf einen Kreuzreim in den ersten beiden Stollen einer Strophe. Der siebte Vers der Stollen und der sechste Vers des Abgesangs bilden sogenannte „Körner“ (siehe Abbildung 3). Im Abgesang wiederholt sich ein Reim fünfmal. Die Verse wir- ken durch diese Wiederholung künstlich und konstruiert, vor allem, weil die Worte im Verlauf in keiner semantischen Beziehung stehen (getrau, schau, Jungfrau, bau, blau). Zudem werden auf die letzte Silbe immer lange Kolloraturen gesungen, die die Eintönigkeit des Reims zusätzlich verstärken. Der Text passt sich hier deutlich der Reimform an und nicht umgekehrt, wie es bei der Dichtung normalerweise der Fall ist.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Curt Mey - Reimschema9
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4: Reime und Silben im Ständchen
3.2.2 Versmaß
Grundsätzlich haben die Verse, die sich reimen, auch die gleiche Anzahl an Silben. Die Ausnahmen bilden der Paarreim in den Stollen und die Reimfolge im Abgesang (siehe Abbildung 4). Ein Blick in die Partitur verrät, wie sich die Nichteinhaltung des Versmaßes an diesen Stellen auswirkt. Beckmesser singt an der Stelle, an der sich die Verse fünf und sechs um zwei Silben unterscheiden, eine Kolloratur auf „Werben“, die sich über den ganzen Takt 12496zieht und die anscheinend die zwei fehlenden Silben ersetzen soll. Das Gleiche geschieht in Vers 13 in Takt 12576auf „hat er“. Hier wird also versucht mit Hilfe der Melodie Fehler in der Übereinstimmung von Form und Text auszugleichen.
Die Folge von Reimen im Abgesang gliedert sich in drei Teile. Die beiden ersten Verse, in denen die Melodie wiederholt wird, bilden einen Teil. Den zweiten Teil bildet eine dreimalige Wiederholung der Melodie in den folgenden drei Versen mit einer langen Kolloratur im dritten Vers und schließlich der dritte kurze Teil, den das Korn bildet (letzter Vers des Abgesangs, der sich auf den letzten Vers der vorigen Stollen reimt). Diese Verteilung von Silben in den Versen bleibt auch in den anderen zwei Strophen erhalten.
Die Betonungen der Silben bilden den wohl auffallendsten Störfaktor in Beckmessers Ständ-chen. Jeder Vers beginnt mit einer unbetonten Silbe. Darauf folgt immer abwechselnd eine betonte und unbetonte Silbe. Obwohl der Jambus an vielen Stellen völlig wider die natürli-che Betonung der Silben ist, wird er von Anfang bis Ende durchgehalten (siehe Abbildung 5), was auch den Vortrag enorm erschwert. Der Vortrag wirkt durch die unnatürlichen Betonungen holperig. Dies ist wieder ein Fall, bei dem der Text nicht zur Form, hier dem Versmaß, passt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 5: Versmaß
3.2.3 Takt
Bei einem Vergleich der Taktanzahl und der Strophen fällt auf, dass die Taktzahl nicht in allen Strophen gleich ist (siehe Abbildung 2). Das Versmaß, das Reimschema, die Melodie und die Form des Textes ändern sich ja -wie oben erwähnt- in keiner Weise. Bei den Notenwerten ist dies allerdings der Fall. Während in Strophe eins und zwei jeweils 28 Takte gezählt werden können, summieren sich die Takte in der dritten Strophe zu 23,5 Takten. Dabei ist der Wechsel vom 4/4 Takt zum 2/4 Takt vor der dritten Strophe bereits berücksichtigt. Das Ständchen wird also zum Schluss hin kürzer. Diese Verringerung der Taktanzahl kommt durch die Auslassung von Pausen und Verkürzung von Viertelnoten zu Achtelnoten zustande (vgl. Takt 1314,12456). In der dritten Strophe ist kein Taktmaß mehr erkennbar, denn die Melodie wird pro Doppelvers um eine Viertelnote verschoben (vgl. Takt 1279, 1316 ff.6). Das Fehlen eines Taktmaßes wird schon im Auftakt des Stücks deutlich, wo die Melodie auf der zweiten unbetonten Zeit beginnt. Mit einem Auftakt mit einer Achtelnote, hätte ein Vers genau in einen Takt gepasst. In einem späteren Dialog zwischen Walther und Sachs wird dies ebenfalls angedeutet (Walther:„[...]es hat viel Lärm auf der Gasse gemacht.“ Sachs (lachend): „Ja, ja! Schon gut! Den Takt dazu hörtet Ihr auch![...]“, S.3483).
3.2.4 Melodik
Beckmessers lange Kolloraturen bestehen aus Quartfallsequenzen (siehe Abbildung 6), die durch ihr hohes Tempo nicht sehr geschmeidig wirken. Die Melodik des Ständchens orientiert sich an der Quarte, die bereits bei der Lautenstimmung vor dem Lied und im Lauten-Vorspiel erscheint und die „Wagner stets dort an den Anfang stellt, wo nicht der Rechte oder das Rechte gemeint ist:[...]wenn Beckmesser den Tag erscheinen sieht, der ihm wohl gefall’n tut."(Seite 14217). Die Quart stellt die Aussagen in Beckmessers Ständchen generell in Frage. Im Ge-gensatz zur Terz eignet sich die Quarte nicht für Kolloraturen dieser Art. Die Wahl der musik-stilistischen Mittel war also nicht vorteilhaft in Bezug auf das Ständchen. Die beiden Stollen weisen die gleiche Melodie auf, die durchweg modal verläuft und nur aus dem Tonvorrat der jeweiligen Tonart schöpft. Der Abgesang ist mit einer neuen Melodie in F-Dur vertont. Auch hier richtet sich Beckmesser streng an die Tabulatur, die von Kothner im 1. Akt verlesen wurde („Ein Gesätz besteht aus zweenen Stollen,/ die gleiche Melodei haben sollen;/ der Stoll’ aus etlicher Vers’ Gebänd’,/ der Vers hat seinen Reim am End’./ Darauf folgt der Abgesang,/ der sei auch etlich’ Verse lang/ und hab’ sein’ besondre Melodei, als nicht im Stollen zu finden sei.“, Takt 16515). Die Melodie wird ebenfalls geprägt durch die Abwechslung von syllabisch und melismatisch gesungenen Silben. Die betonte Silbe wird zu Beginn mit zwei Noten vertont und die unbetonte Silbe durch eine Einzelnote. Sobald dieses System aber umgedreht wird, wie das in Takt 12476der Fall ist, holpert der Gesang.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 6: Ausschnitt aus Beckmessers Ständchen Takt 1300-13023
3.2.5 Form und Inhalt
Für das Ständchen sind zwei Funktionen vorgesehen. Es soll Beckmesser beim Wettkampf als Preislied und am Abend davor als Ständchen dienen.
Der Text des Ständchens ist eine Beschreibung der Situation am Johannestag, also einen Tag später, als der Zeitpunkt, zu dem das Ständchen gesungen wird („Will heut mir das Herz hüp-fen,/ werben um Fräulein jung“, Takt 1277-786, „das bewähr’ ich heut gern“,Takt 1315-166). Dadurch passt der Text nicht zu der Ständchen-Situation. Außerdem wendet sich das lyrische Ich an alle Anwesenden („allen hier ich es sage“, Takt 12536) und nicht an eine bestimmte Person. Das Lied ist also nicht dazu gedacht, die Zuneigung einer Frau zu wecken, indem sie direkt angesprochen wird, sondern die Frau steht als Preis in einem Wettkampf, der der Höhe-punkt des gesellschaftlichen Anlasses ist. Wichtiger als der persönliche Kontakt zu der Frau ist der Kontakt zum Publikum und sein Urteil („daß Euch mein Gesang wohl gefäll’“, Takt 1346-486).
Um die Jungfrau zu beschreiben, werden im Text die Adjektive „jung“, „schön“, „hold“, „lieb-lich“ und „fein“ verwendet. In der ersten Strophe finden sich vier Adjektive, in der zweiten Strophe bereits nur noch zwei, von denen eins („jung“) schon in der ersten Strophe verwendet wurde. In der dritten Strophe fehlen die Adjektive ganz. Die Vorzüge der Jungfrau begrenzen sich auf diese fünf und werden ideenlos der Reihe nach abgehakt. Im Gegensatz zu Walthers Preislied, wird die Jungfrau immer wieder direkt erwähnt. Aber für die Inspiration ist nicht die Jungfrau verantwortlich, sondern „die neun Musen“ (Takt 1320-216). Ein ähnliches Bild zeichnet Walther in seinem Preislied mit der Muse des Parnaß, die ihn zu seiner Dichtung in-spiriert („mich netzend mit dem edlen Naß,/ das hehrste Weib, die Muse des Parnaß!“, Takt 2661-677). Doch im Gegensatz zu Walther, bei dem die Muse in ein Bild vom träumenden Dichter unter dem Lorbeerbaum eingebettet ist, werden die neun Musen nur kurz beschworen und dann nie mehr erwähnt. Die holprige Formulierung („Nun rief ich die neun Musen,/daß an sie blusen/ mein’ dichtrischen Verstand.“, Takt 1315-266) wirkt aufgesetzt und gekünstelt. Beckmesser spricht außerdem von Verstand im Zusammenhang mit Dichten und so wirkt das Gedicht auch: verstandbetont. Sein Lied beschreibt Fakten und Spielregeln statt sich in Bildern und Symbolen an die Phantasie des Hörers zu wenden. Beckmesser wirkt in seinen Formu-lierungen nie überschwänglich, sondern tapsig. Er ringt nach den richtigen Worten, kann sie aber nicht finden. Seine Sätze richten sich nach der Form des Gedichts und dem Reimschema. So kommt auch dieser Satz zustande: „da denk ich nicht an Sterben,/lieber an Werben“, (Takt 1247-121249), in dem Beckmesser anscheinend kein besseres Reimwort für "Werben"gefunden hat als „Sterben“.
Der Gefühlszustand des lyrischen Ichs ist geprägt von Zögern („wann der Kopf, ganz voll Zagen,/ zu frei’n will wagen“, Takt 1333-386). Um die positiven Gefühle zu beschreiben, stehen im Text unpassende Gegensätze wie „sterben“ und „werben“ (Takt 1248-12506), „Kunst“ und „schädlich gemeinen Dunst“ (Takt 1293-966). Unpassend ist auch die Beziehung zwischen den Verben „dursten“ und „hungern“ in Bezug auf den “Preis„ („weil ich nach dem Preis brennen/ muss dursten und hungern“, Takt 1316-196).
Im Zusammenhang mit der Form und dem Versmaß liefert der Text sich selbst eine Kritik („Wohl kenn’ ich alle Regeln,/ halte gut Maß und Zahl;/doch Sprung und überkegeln/ wohl passiert je einmal“,),Takt 1326-336). Mit den Sprüngen sind wahrscheinlich die Enjambements gemeint („weil ich nach dem Preis brennen/ muss dursten und hungern“, Takt 1316-196, „für den, wer ihn beerben/ will und auch werben“, Takt 1281-846, „da faßt mein Herz sich einen/ guten und frischen Mut“, Takt 1245-476). Der zweite Vers des Enjambements wird immer durch eine Konjunktion gebildet, und wirkt so konstruiert und künstlich. Immer wieder wird deutlich, dass der Text nicht in die Form passt.
3.2.6 Die Laute
Die Regieanweisung im Akt 2/Szene 5 besagt, dass Beckmesser bei seinem Auftritt eine Lau-te trägt. Sie wird allerdings nicht von dem Schauspieler selbst gespielt, sondern im Orchester von einer Stahlharfe synchronisiert. über die Herkunft dieses Instruments konnte ich nichts zu finden. Daher kann angenommen werden, dass Wagner dieses Instrument selbst erfunden hat. Es lassen sich jedoch Rückschlüsse über die Stimmung der Stahlharfe ziehen. Wenn es in der Partitur heißt: „Beckmesser auf der Laute“, erklingen die für die Gitarrenstimmung typi-schen Quarten vom e bis e“ mit der großen Terz zwischen g´ und h´ (Abbildung 7). Von der Laute ausgehend, könnte das Instrument auch Doppelsaiten haben, die in Oktaven gestimmt sind. Die Laute ist das ideale Begleitinstrument für solistischen Gesang. Schon in der grie-chischen Mythologie gelang es Orpheus in Begleitung seiner Weiterentwicklung der Lyra, der Kithara, beinahe, Eurydike aus der Unterwelt zu befreien. Mit den „neun Musen“, die Beck-messer in seinem Text beschwört, könnten auch die Saiten der Laute gemeint sein, da Orpheus dem siebensaitigen Instrument, der Lyra, zwei Saiten hinzufügte, um die Anzahl der Musen zu symbolisieren10.
[...]
- Citar trabajo
- Ramon Schalleck (Autor), 2003, Beckmessers Ständchen (Richard Wagner, Die Meistersinger von Nürnberg), Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/17974
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