....Nachdem Grenouille nach mehrmaligem Ammenwechsel wieder in die Obhut des Klosters gelangt ist, befindet er sich bei Pater Terrier, dem der unersättliche „Bastardd“ (S.11) ausgeliefert wird, mit der Begründung, er sei vom Teufel besessen, da er nicht rieche. Zunächst erlaubt Pater Terrier sein kritisches Denken nicht, die Teufelsvisionen zu glauben, aber dennoch kann der Pater sein misstrauen nicht gaz verdrängen, und schließlich stellt er zwar die Geruchslosigkeit Grenouilles ebenfalls fest, doch rationalisiert er diesen Umstand durch die Überzeugung, dass Menschenduft sündiger Duft sei und dass daher der „arme“ und „unschuldige“ (S.20) Säugling gar nicht riechen dürfte. Die ....
...Doch sein Triumph ist direkt gefolgt von dem zusammenbruch, denn auf dem Punkt seines höchsten Erfolgs macht er zugleich die zerstörerische Erfahrung, dass er zwar die Menschen zu höchster erotischer Ekstase treiben, selbst aber nur Abscheu und „Ekel“ (S.305) empfinden und sich nicht über seine eigene Geruchslosigkeit hinwegtäuschen kann. Sein innigster Wunsch bleibt damit unerfüllt, denn in seiner wirklichen Existenz, seiner Geruchlosigkeit, ist er nicht wahrgenommen worden. Sein Parfum würde ihm die Möglichkeit geben, „die ganze Welt zu bezaubern“ (S.316), doch ihm nützte das nicht. Er ist der Einzige, „für den es sinnlos ist“ (S.317). ...
Charakterisierung Grenouille
- in Patrick Süskinds Roman „Das Parfum“ -
Nachdem Grenouille nach mehrmaligem Ammenwechsel wieder in die Obhut des Klosters gelangt ist, befindet er sich bei Pater Terrier, dem der unersättliche „Bastardd“ (S.11) ausgeliefert wird, mit der Begründung, er sei vom Teufel besessen, da er nicht rieche. Zunächst erlaubt Pater Terrier sein kritisches Denken nicht, die Teufelsvisionen zu glauben, aber dennoch kann der Pater sein misstrauen nicht gaz verdrängen, und schließlich stellt er zwar die Geruchslosigkeit Grenouilles ebenfalls fest, doch rationalisiert er diesen Umstand durch die Überzeugung, dass Menschenduft sündiger Duft sei und dass daher der „arme“ und „unschuldige“ (S.20) Säugling gar nicht riechen dürfte. Die „klein[e] und rot[e]“ (S.22) Faust und deren „rührend[en]“ (S.22) Bewegungen erwecken in Terrier Vaterfantasien. Beim Anblick des schlafenden Kindes überkommen ihn wohlige Empfindungen und er gestattet sich für einen Moment „den phantastischen Gedanken, er selbst sei der Vater des Kindes“ (S.22) und er erträumt sich eine bürgerliche Handwerkerkarriere. Damit erhält Pater Terrier die Funktion eines fiktiven Vaters, ehe ihn der erwachende Säugling mit seinem abnormen Geruchssinn in die Wirklichkeit zurückruft. Anfangs beschreibt er die Nase unvoreingenommen als „winzig“ (S.22), die Augen, die „zwischen austerngrau und opal-weiß-cremig“ gefärbt und „matt“ (S.22) sind, lenken seine Aufmerksamkeit nicht lange ab, da sie „ins Unbestimmte schielen“ (S.22). Die zielbestimmte, alle Gerüche verschlingende Nase vergleicht er erst mit einer „aufgehende[n] Blüte“, doch dann wandelt sich dieses liebliche Bild zu „fleischfressenden Pflanzen“ (S.23). bald bezeichnet er die nase als „gierig“ (S.23), das „unschuldige Wesen“ (S.20) als „feindseliges Animal“(S.24), als „Teufel“, „unerträglich“ und abwertend als „Ding“ (S.24), das wie auf Kommando aus seinem „roten Schlund“ „widerwärtig schrill“ zu kreischen beginnt (S.24). Der exzessive Umgang mit dem, wie Terrier meint, „niedrigsten der Sinne“ (S.20) verunsichert Terrier so grundlegend, dass er sich des unheimlichen Kindes, des „feindselige[n] Animal[s]“ (S.24) augenblicklich entledigen muss.
Während seiner nun folgenden Pflegezeit bei Madame Gaillard übersteht er die Anfeindungen und sogar einen Tötungsversuch der anderen Kinder, die ihm gegenüber Kälte und „Angst“ (S.30) empfinden. Er gedeiht selbst bei wässrigen Suppen und überlebt alle Kinderkrankheiten. Die völlige soziale Isolation, in der er bei Madame Gaillard (und dem Gerber Grimal) heranwächst, kann ihm deshalb wenig anhaben, da er zum leben der Liebe nicht bedarf. „Für seine Seele brauchte er nichts“, so wird berichtet, „Geborgenheit, Zuwendung, Zärtlichkeit, Liebe – oder wie die ganzen Dinge hießen, deren ein Kind angeblich bedurfte – waren dem Kinde Grenouille völlig entbehrlich“ (S.28).
Diese Zähigkeit und Genügsamkeit Grenouilles verdeutlicht der Erzähler mit dem Bild des Zecks, das als Leitmotiv den ganzen Roman durchzieht. Der Zeck ist äußerlich „klein“ (S.29) und hässlich, kann aber mit kleinsten Nahrungsmengen überleben. Was er ganz besonders mit Grenouille gemein hat, ist seine Fähigkeit, „in sich versammelt“, „in sich verkapselt“ (S.29) auf ein Opfer zu warten. Dadurch, dass er nur diesem Überlebensprogramm folgt, fehlt ihm jegliches Moralempfinden, er zeigt „keine seelische Regung“ (S.30). Moralische Werte und Regungen des Gewissens sind ihm unbekannt. So ist es auch nicht verwunderlich, dass die gequälte und geschundene Kreatur Grenouille nach dem ersten Mädchenmord nicht von Schuldgefühlen geplagt wird. Verblendet von der Gier, in den Besitz dieses außergewöhnlichen Duftes zu kommen, erwürgt er das Mädchen, um es vollständig abzuriechen und den Geruch in seinen „inneren Schotten dicht [zu] verschließen (S.56). Im Mittelpunkt steht für ihn das Erlangen des Dufts, was auch dadurch deutlich wird, dass die Mordtat nur im Nebensatz, wie beiläufig erwähnt wird („während er sie würgte“ S.56). Bezeichnenderweise hält der Erzähler zum Zeitpunkt des Mordgeschehens die Augen geschlossen. Der Erzähler vergleicht das Mädchen mit einer Blume, die nach dem Pflücken nur noch kurze Zeit Duft verströmt. Nachdem er sie „welkgerochen hatte“, lässt er das Mädchen im Hof zurück, wie man auch eine verwelkte Blume wegwirft. „Vor lauter Glückseligkeit“ verbringt er nach dieser Duftverführung schlaflose Stunden.
Er sieht sich als „Genie“ (S.57), das die „höhere Bestimmung habe, […] die Welt der Düfte zu revolutionieren“ (S.57). Er glaubt sich aufgerufen, „der größte Parfumeur aller Zeiten“ (S.) zu werden. Um dieses Ziel zu erreichen, verbringt er einige Lehrjahre bei dem Parfumeur Baldini. Nach dem Erwerb handwerklicher Grundkenntnisse verabschiedet sich Grenouille in Richtung Grasse, wohin ihn neue Techniken der Duftgewinnung treiben. Doch entgegen seinem ursprünglichen Plan, schnellstmöglich Grasse zu erreichen, führt ihn seine Nase zu einem Ort größtmöglicher Einsamkeit. Dieser Weg in die Höhle des Plomb du Cantal bedeutet gleichzeitig den Weg zu höchstem Glück. In meditativer Selbstgenügsamkeit erlebt er auf imaginäre Weise noch einmal die Etappen seines Lebens, tilgt unliebsame Gerüche aus seiner Erinnerung und entwickelt sein weiteres Leben. Sein eigener Wille stellt die einzig gültige macht dar, er erhebt sich zum „göttlichen“ (S.161) Wesen, er setzt sich sogar an die Stelle Gottes, da er mit diesem „nicht das geringste im Sinn“ (S.158) hat. Einen Hinweis darauf gibt uns der Erzähler mit seiner deutlichen intertextuellen Bezugnahme auf die Schöpfungsgeschichte. Mit Formulierungen wie „Und als er sah, dass es gut war“ (S.161, „Und der Große Grenouille sah, dass es gut war“ (S.162) übernimmt Süskind Schreibweisen der Bibel. Grenouille ist der Überzeugung, dass er das „einzigartige Grenouillereich“ (S.161) erschaffen hat und nun beherrschen darf. Verdeutlicht wird Grenouilles Herrschaft über das „einfache Duftvolk“ (S.163) durch die in seiner Namensgebung verwendete Alliteration („Große Grenouille“ S.161/162/163). In der Einsamkeit der Höhle erkennt Grenouille bald die eigene Geruchlosigkeit und damit das Fehlen einer eigenen Identität. Diese lebensbedrohliche Störung seines Selbstwertgefühls überwindet er mit Hilfe des Marquis, der es ihm ermöglicht, sich einen eigenen Körpergeruch zu schaffen. Die Wirkung dieses Menschenduftes verblüfft ihn zunächst, da er zum ersten Mal spürt, dass der menschliche Duft über Isolation und gesellschaftliche Akzeptanz entscheidet. Da er weiß, dass die Wirkung auf seine Umwelt eine künstlich von ihm geschaffene ist, erahnt er seine Möglichkeiten. Er erwirbt ein „Bewusstsein der eigenen Macht“ (S.198) und beflügelt von dem Gefühl der eigenen Genialität konkretisieren sich seine in der Einsamkeit entworfenen Allmachtsfantasien. Seinen Vorsatz, der „größte Parfumeur aller Zeiten“ (S.58) werden zu wollen, steigert er in die Absicht, sich zum „omnipotente[n] Gott des Duftes“ (S.198) zu erheben. Süskind bringt diese Steigerung von Grenouilles Vorstellungen durch eine Klimax zum Ausdruck:
„lieben sollten sie ihn“, „als ihresgleichen akzeptieren, „lieben bis zum Wahnsinn, bis zur Selbstaufgabe, zittern vor Entzücken“, „schreien, weinen vor Wonne“ (S.198) und beim Wahrnehmen seines Geruches „auf die Knie […] sinken“ (S.198). All dies beabsichtigt er zu erreichen, weil er „böse“ ist. Entgegen seines „unschuldig[en]“ Aussehens hegt er in sich blasphemische Gedanken, die Gott als „klein[en] arm[en]“ Stinker bezeichnen.
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- Arbeit zitieren
- Lisa Maria Hirschfelder (Autor:in), 2011, Patrick Süskind, Das Parfum: Charakterisierung Grenouille - ausgewählte Textstellen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/179260