Stuttgart 21 ist ein groß angelegtes Bauvorhaben, in dem der gegenwärtige 'überirdische' Stuttgarter Kopfbahnhof in einen 'unterirdischen' Durchgangsbahnhof umgebaut und das Schienennetz in und um Stuttgart herum ausgebaut werden soll. Das Bauprojekt wurde bereits 1988 zur Optimierung des Verkehrssystems vorgeschlagen. Als am 02.02.2010 die ersten Bauarbeiten am Stuttgarter Hauptbahnhof begannen, trat das Bauvorhaben in das Bewusstsein der Öffentlichkeit und stieß zunehmend auf Widerstand in der Bevölkerung und der Politik. Am 30.10.2010 eskalierte die Situation und aus dem „Streit um den Stuttgarter Bahnhof“ wurde ein „Kampf um den Bahnhof“ (SWR.de 2010: Der Tag X). Das Scheitern einer friedlichen Lösung um den Konflikt veranlasste die KontrahentInnen, sich in einer öffentlichen Schlichtung mit den Konfliktpunkten auseinanderzusetzen. Diese Maßnahme ist in ihrer Art einmalig, da die Öffentlichkeit daran teilhaben und der gesamte Schlichtungsverlauf über einen langen Zeitraum nachvollzogen werden kann. Mit der Aufgabe des Schlichters wird Dr. Heiner Geißler betraut. Ihm obliegt hier einerseits die Aufgabe eine dritte Perspektive auf den Sachverhalt zu eröffnen und die verhärteten Fronten zurück in einen konstruktiven Diskurs zu führen und andererseits die Bevölkerung über die Sachverhalte zu informieren. Die vorliegende explorative induktive Analyse beruht auf einer Dauer von insgesamt 19:49 Stunden. Aus diesem Zeitraum werden exemplarisch rhetorische Phänomene anhand von Transkripten beschrieben. Grundlage ist die These, dass Geißler während der Schlichtung auf unterschiedlichen Ebenen argumentieren muss, um die DiskutantInnen innerhalb der Schlichtung in einen konstruktiven Diskurs zu lenken. Dabei steht die Frage nach seinen rhetorischen Verfahren und deren Realisierung im Fokus der Analyse, ebenso wie ihre Wirkung und Effizienz. Die erste Ebene bezieht sich auf die Rhetorik der Moderationsaktivität. Diesem Punkt folgt die Analyse der konversationellen Beziehungsarbeit, die Geißler innerhalb der Schlichtung leisten muss, um die Basis für einen konstruktiven Diskurs zu schaffen. Während sich die dritte Ebene auf explizite rhetorische Strategien zur inhaltlichen Konsensbahnung bezieht, welche Geißler selbst anwendet. Durch das deskriptive Vorgehen kann im Rahmen dieser Arbeit nachvollzogen werden, wie Geißler die Dissensverhandlung schlichtet, welchen Herausforderungen er sich stellt und wie er selbst Dissens verhandelt.
Inhaltsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1 Einleitung: Die Schlichtung
2 Argumentationsanalyse: Logik und Pragmatik
3 Beschreibung des Konflikts
4 Rhetorik der Moderationsaktivität
4.1 Verbale Selbstdarstellung
4.1.1 Explizite Selbstaussagen
4.1.2 Implizite Selbstaussagen
4.2 Selbststilisierung
4.2.1 Der etwas Unbeholfene
4.2.2 Der Anwalt der RezipientInnen
4.2.3 Die humorvoll entspannte Autorität
5 Konversationelle Beziehungsarbeit
5.1 Konversationelle Beziehungsarbeit zu den RezipientInnen
5.1.1 Rhetorische Verfahren der Mehrfachadressiertheit
5.1.2 Rhetorisches Stilmittel der Beziehungsarbeit
5.2 Konversationelle Beziehungsarbeit unter den DiskutantInnen
5.2.1 Rhetorische Verfahren zur Betonung der kooperativen Orientierung
5.2.1.1 Wir-Betonung
5.2.1.2 Aufeinander Einschwören
5.2.2 Umgang mit argumentativen Gesprächsaktivitäten bei
5.2.2.1 Umgang mit gesichtsbedrohenden argumentativen
5.2.2.2 Umgang mit blockierenden Gesprächsverfahren
6 Rhetorische Verfahren zur inhaltlichen Konsensfindung
6.1 Defensiv rhetorische Verfahren zur inhaltlichen Konsensfindung
6.1.1 Moderationszyklus
6.1.2 Konklusive Sprechhandlungen
6.2 Offensiv rhetorische Verfahren zur inhaltlichen Konsensfindung
7 Zusammenfassung und Resümee
Literaturverzeichnis
Verzeichnis der Transkriptionszeichen nach GAT
Anlagen
Daten und Transkriptverzeichnis
Audio- und Videoverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Tab. 1: Angegriffene Ebene zur Aussage 'Leistungsfähigkeit des Durchgangsbahnhofes'
Tab. 2: Angegriffene Ebenen zur Aussage 'Verbesserung der Lebensqualität'
Tab. 3: Übereinstimmung zu Aussagen der 'regionalen Mobilität'
Tab. 4: Weitgehende Übereinstimmung zu Aussagen der 'überregionalen Mobilität'
Tab. 5: vertrauensbildende explizite Selbstaussagen
Tab. 6: sprachl. Ebenen von Geißlers rhetorischen Verfahren der Mehrfachadressiertheit
Tab. 7: Überblick der Bsp. zu kritischen Kommentaren und den dazugehörigen Fragen
1 Einleitung: Die Schlichtung
Stuttgart 21 ist ein groß angelegtes Bauvorhaben, in dem der gegenwärtige 'überirdische' Stuttgarter Kopfbahnhof in einen 'unterirdischen' Durchgangsbahnhof umgebaut und das Schienennetz in und um Stuttgart herum ausgebaut werden soll. Das Bauprojekt wurde bereits 1988 zur Optimierung des Verkehrssystems vorgeschlagen. 1994 wurde es erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt. Weiten Teilen der Bevölkerung waren die Komplexität und die Folgen des Umbaus jedoch unbekannt. Als am 02.02.2010 die ersten Bauarbeiten am Stuttgarter Hauptbahnhof begannen, trat das Bauvorhaben in das Bewusstsein der Öffentlichkeit und stieß zunehmend auf Widerstand in der Bevölkerung und der Politik. Seitdem positionieren sich die großen Parteien wie folgt: die Freie Demokratische Partei (FDP) und Christlich Demokratische Union (CDU) befürworten das Projekt. Die Grünen opponieren, während die Sozialdemokratische Partei Deutschland (SPD) zu diesem Zeitpunkt eine weniger geschlossene Position bezieht. Des Weiteren stehen die Landeshauptstadt Stuttgart und die Deutsche Bahn (DB) in Vertretung weiterer Kostenträger für das Projekt ein.
Am Samstagabend des 30.10.2010 berichtet unter anderem C. Bratzler in einer Sondersendung des SWR von der Eskalation im Streit um den Stuttgarter Hauptbahnhof. An diesem Tag soll der Bahnhof für die anstehenden Baumfällarbeiten, wegen des Umbaus, abgesperrt werden. Die Polizei übernimmt diese Aufgabe. Beginnend mit einer Schülerdemonstration gegen das Abholzen der Bäume, steht die Polizei innerhalb weniger Minuten dem Widerstand einer großen Menschenmenge gegenüber, denen sie mit Wasserwerfern und Reizgas begegnen. So wird aus dem „Streit um den Stuttgarter Bahnhof“ der „Kampf um den Bahnhof“[1] (SWR.de 2010: Der Tag X). Bereits viele Wochen zuvor treten sich Befürworter (S21) und Gegner (K21) des Projekts auf verschiedenartigen Diskussionsplattformen, wie Internetforen, Printmedien, Radio- und Fernsehsendungen, gegenüber. Das Scheitern einer friedlichen Lösung um den Konflikt des Stuttgarter Hauptbahnhofes in der Eskalation am 30.10.2010 veranlasst die KontrahentInnen, sich in einer öffentlichen Schlichtung mit den Konfliktpunkten auseinanderzusetzen. Diese Maßnahme ist in ihrer Art einmalig. Dabei besteht die Besonderheit der Schlichtung nicht nur in der öffentlichen Übertragung im Fernsehen, sondern auch in dem langen Schlichtungszeitraum über den sich die Gespräche hinziehen. Mit der Aufgabe des Schlichters wird Dr. Heiner Geißler betraut, der bereits in der Bauindustrie sowie bei der Deutschen Bahn Schlichtungen geführt hat.
Aus der Perspektive der Argumentationsforschung ist das Gipfeln des Konflikts in der Eskalation ein Beleg für die Bedeutung der Untersuchung von Diskursstrategien, auf deren Basis kooperative Handlungsmöglichkeiten eröffnet werden. Es geht demnach darum, eine gewaltfreie Form der Konfliktlösung anzustreben, durch die ein Austausch von Argumenten möglich wird, um „eine gemeinsame Sprache und damit eine gemeinsame Sicht der Welt zu finden oder wiederherzustellen“ (Kienpointner 1996: 7). Sind die Fronten, wie im Konflikt um den Stuttgarter Bahnhof jedoch verhärtet, ist es hilfreich, eine dritte Person in Form eines Schlichters hinzuzuziehen. Ihm obliegt nun die Aufgabe, eine dritte Perspektive auf den Sachverhalt zu eröffnen. Dies gelingt ihm, indem er „... aus Anschuldigung und nachfolgender Stellungnahme eine Konfliktversion des Geschehens [herausarbeitet], die das wechselseitig bezogene konfliktäre Geschehen in den Vordergrund stellt bzw. beide Sichtweisen repräsentiert und damit dem Streitgeschehen als wechselseitig bezogenem Konflikt eine neue Qualität verleiht“ (Nothdurft 1997: 16).
Das bedeutet, der Schlichter erkennt die Argumentationen der Betroffenen, vollzieht sie nach und sortiert sie, worüber er die gegenseitige Verständigung sichert. Um der Aufgabe gerecht zu werden, greift der Schlichter dabei selbst auf rhetorische Mittel zurück. Daher wird in der vorliegenden Arbeit, mit Hilfe der gesprächsanalytischen Argumentationsforschung aus pragmatischer Sicht, die Moderation Geißlers in der Schlichtung um den Stuttgarter Hauptbahnhof untersucht. Ziel ist es, die rhetorischen Strategien Geißlers sowie ihre Wirkung und Effizienz zu analysieren. Die gesamte Schlichtung beläuft sich auf rund 90 Stunden audiovisueller Aufzeichnungen des Fernsehsenders Phönix, deren vollständige Untersuchung jedoch den Rahmen der vorliegenden Arbeit übersteigt. Deswegen wird auf Aspekte der ersten drei Schlichtungsrunden mit den Themen „Leistungsfähigkeit des Durchgangsbahnhofs und Neubaustrecke Wendlingen-Ulm“ (Phönix 2010: Schlichtungsgespräch, S21) zurückgegriffen. Die explorative induktive Analyse beruht auf einer Dauer von insgesamt 19:49 Stunden. Aus diesem Zeitraum werden exemplarisch rhetorische Phänomene anhand von Transkripten nach den GAT 1-Konventionen beschrieben. Grundlage der Analyse ist die These, dass Geißler während der Schlichtung auf unterschiedlichen Ebenen argumentieren muss, um die Diskutanten innerhalb der Schlichtung in einen konstruktiven Diskurs zu lenken.
Zuerst wird nun die Entwicklung der gesprächsanalytischen Argumentationsforschung beschrieben, damit das Vorgehen der Analyse transparent wird. Danach folgt die inhaltlichsachliche Beschreibung der entgegengesetzten Positionen von S21 und K21 mit Hilfe von Toulmins argumentationstheoretischem Modell. Im darauf folgenden analytischen Teil der Arbeit geht es darum, Geißlers rhetorische Strategien auf drei Ebenen abzubilden.
Die erste Ebene bezieht sich auf die Rhetorik der Moderationsaktivität. Das bedeutet, sprachliche Aktivitäten zu erschließen, in denen Geißler Selbstaussagen zu seiner Eignung als Schlichter macht. Andererseits geht es darum zu untersuchen, wie er sich selbst als Schlichter in Szene setzt und wie sich das Verhalten auf seine Rolle und die Beteiligten auswirkt. Diesem Punkt folgt die Analyse der konversationellen Beziehungsarbeit, die Geißler innerhalb der Schlichtung leisten muss, um die Basis für einen konstruktiven Diskurs zu schaffen. Diese Beziehungsarbeit vollbringt er in zwei Richtungen. Da es sich um eine öffentliche Schlichtung handelt, die der information und Aufklärung der Bürgerinnen dient, muss Geißler die Leute berücksichtigen und einbeziehen. Auf der anderen Seite stehen die DiskutantInnen, deren Positionen verhärtet sind und deren Emotionen während der Schlichtung von Geißler gelenkt werden. Dieser Zustand bedeutet für Geißler, dass er auf bestimmte argumentative Strategien der DiskutantInnen während der Dissensverhandlung reagieren muss. Die dritte Ebene bezieht sich auf explizite rhetorische Strategien zur inhaltlichen Konsensbahnung, die Geißler selbst anwendet. Das betrifft demnach von ihm aktiv eingeleitete Strategien zur Klärung des Dissenses.
Im nun folgenden Punkt wird ein Einblick in die gesprächsanalytische Argumentationsanalyse und ihre Entwicklung von der Logik zur Pragmatik gegeben und zentrale Begriffe näher erläutert. Dieser Überblick soll die Herausforderung an die Analyse, sowie die Wahl der untersuchten Aspekte nachvollziehbar machen.
2 Argumentationsanalyse: Logik und Pragmatik
Argumentationstheorien- und Analysen wurden noch bis vor wenigen Jahrzehnten stark von „normativen Konzepten [...] der formalen Logik“ (Kienpointner 2003: 64) dominiert. Dabei stand die monologische Betrachtung der Argumentation im Vordergrund, während die praktische Anwendung wenig Beachtung fand. Die moderne Argumentationsforschung beginnt laut Deppermann im Jahre 1958, insbesondere mit Toulmins Argumentationsschema (Deppermann 2003). Darin geht Toulmin auf praktische Fragen zur Art und Weise ein, wie wir in verschiedenen Bereichen mit Argumentationen umgehen und sie kritisieren können. Seiner Aussage nach geht es ihm darum, Fragen "über die Beurteilung von Argumentationen in der Praxis " (Toulmin 1974: 10) zu stellen. Mit diesem Konzept wird der Grundstein für die pragmatische Orientierung der Argumentationsforschung gelegt. Zur Konstruktion seines Schemas greift Toulmin jedoch ausschließlich auf fiktiv konstruierte Beispiele zurück (Toulmin 1974). Dabei lässt er jedoch außer Acht, dass nicht alle Elemente der Argumentation expliziert werden. im Laufe der weiteren Forschung konzentriert man sich zunehmend darauf, alltägliches Argumentieren abzubilden. Dazu treten für die untersuchungen mehr und mehr authentische Texte und die sich daraus ergebenden Konversationsstrukturen in den Fokus. Diese Betrachtungsweise des Argumentierens stellt die Argumentationsforschung vor neue Fragestellungen und Herausforderungen. Daher weist Spranz-Fogasy darauf hin, dass sich „[aus] der gesprächsanalytischen Untersuchung natürlicher Gespräche [...] Schwierigkeiten bei der Bestimmung der Grenzen des Argumentierens wie auch bei der identifikation der internen Struktur [ergeben]“ (2003: 27). Aus diesem Grund rät er, Argumentieren in Gespr ä- chen aus den konstitutiven Eigenschaften der interaktion heraus zu bestimmen. Dabei wird ersichtlich, dass sowohl die Situation und der Kontext, als auch die dialogische Interaktion, die Art und Weise des argumentativen Vorgehens beeinflussen. Das bedeutet zum Beispiel, dass wir im familiären Bereich anders argumentieren als in einer öffentlichen Situation. Im Gegensatz zu der 'alten' Rhetorik, die sich funktional mit der Bestimmung von 'Überzeugen' und 'Überreden' beschäftigt, findet in der interaktionstheoretisch geprägten Rhetorik „die Einbettung des individuellen Handelns in den Interaktionsprozess und die Auswirkung von dessen Eigenschaften auf die rhetorischen Verfahren der Interaktionsbeteiligten“ (Kallmeyer 1996: 9) Beachtung. Damit ist gemeint, dass sich die Argumentation im laufenden Gespräch/Diskurs herausbildet und bereits auch die sich entwickelnde Gesprächsdynamik selbst argumentative Züge aufweisen kann.
Aus diesen Erkenntnissen ergeben sich für den analytischen Teil dieser Arbeit folgende Prämissen:
a) Die empirische Analyse wird auf Basis authentischer Daten vollzogen
b) Zur Rekonstruktion der Rhetorik müssen die situativen Voraussetzungen und interaktiven Verläufe berücksichtigt werden
c) Das Vorgehen ist an der Gesprächsanalyse orientiert, die mit rhetorischen Konzepten verbunden wird
Die Gesprächsanalyse an sich ist deswegen geeignet, weil
"The job of the discourse analyst is to discover, by inspection of the vocabulary and its arrangement, what claims speakers are making about the world, and how they are grounding them; and, as at least some discourse analysts might say, who benefits from, and who suffers the consequences of, the word that is thereby constructed." (Antaki 1994: 7)
Doch eine ausschließlich gesprächsanalytische Untersuchung ist unzureichend, um das rhetorische Vorgehen zu beschreiben. In diesem Zusammenhang verweist Deppermann einerseits auf Ducrot (1984), der davon ausgeht, dass Adjektive ('billig', 'gut', ...) und Adverbien ('kaum', 'fast', ...) Formulierungen sind, die die Konklusion nahelegen. Des Weiteren bezieht er sich auf Klein, der 1987 untersuchte, ob Argumentationen von bestimmten Konnektoren ('weil', 'obwohl', ...), Phraseologismen ('geschweige denn', 'alles in allem', ...) Adverbien ('sogar', 'selbst', ...) und Satzmodi eingeleitet werden. Aus den Ergebnissen leitet Deppermann die Frage ab, inwieweit solche linguistischen Indikatoren hinreichend sind, um argumentative Relationen herzustellen. Er stellt hierzu fest, dass diese Indikatoren:
a) nicht zwingend notwendig sind
b) häufig polyfunktional sind
c) häufig vage sind (Deppermann 2003)
Daraus folgt, das gesprächsanalytische Vorgehen mit entsprechenden rhetorischen Konzepten zu verbinden und die Argumentation in ihrem Kontext zu untersuchen. Es geht somit darum zu untersuchen, mit welchen Verfahren die Beteiligten agieren und inwiefern sich die rhetorische Wirkung durch sprachliche und gesprächsorganisatorische Mittel herleiten lässt. Dabei ist es eine maßgebliche Aufgabe der gesprächsanalytischen Argumentationsforschung, die Entwicklung der argumentativen Strukturen herauszustellen (Deppermann 2003). Der bisher gegebene theoretische Hintergrund veranschaulicht, wie komplex Argumentieren ist, welche Aspekte einbezogen werden müssen und wie sich das auf die Untersuchungsmethode auswirkt.
Der Vorgang des Argumentierens ist aus der Perspektive der gesprächsanalytischen Argumentationsanalyse ein Gemeinschaftsprojekt, bei dem die Beteiligten eine gemeinsame Schlussfolgerung (Konklusion) anstreben, indem sie Schritt für Schritt einen Konsens bahnen. Dazu zerlegen sie das Hauptthema häufig in Subthemen über die partieller Konsens in teilweiser Übereinstimmung hergestellt wird (Kotthoff 1993). Beim Argumentieren selbst geht es darum, dass mit einem „komplexe[n] Sprechakt [...] versucht [wird], strittige Ansichten (Thesen) auf der Grundlage von kollektiv akzeptierten Behauptungen (Argumenten) zu kollektiv geltenden Ansichten zu [... überführen]“ (Kienpointner 2003: 69).
Strittige Ansichten können sich dabei auf Geltungsansprüche (d. h. mit Äußerungen verbundene Ansprüche), auf Wahrheitsansprüche (d. h. Geltungsansprüche auf Gegenstände und Erfahrungen), sowie auf die damit verbundene Verlässlichkeit beziehen (Kopperschmidt 1989). Herrscht bezüglich dieser Sachverhalte eine Diskrepanz, so ist bereits die erste Voraussetzung für einen Konflikt gegeben, der häufig mit Aussagen wie 'das sehe ich aber anders' oder 'das habe ich anders in Erinnerung' expliziert wird. Doch die Diskrepanz allein ist kein hinreichendes Kriterium, um von einem Konflikt sprechen zu können. Erst in Verbindung mit der Bezogenheit der Beteiligten aufeinander, das bedeutet dem Engagement füreinander, der Kommunikationsdichte und der Belangbarkeit der Personen, kann es zu einer Konfliktentfaltung kommen, in der Dissens besteht (Schank 1987). Im Dissens werden Argumente ausgetauscht, mittels derer die strittige Ansicht legitimiert und in eine kollektiv geltende Ansicht überführt wird. Dabei ist mit 'kollektiv' das gemeint, was zu einem Zeitpunkt für alle gilt, wie beispielsweise moralische Normen. Das kollektiv Geltende muss jedoch innerhalb der Argumentation nicht unbedingt expliziert werden. Andererseits kann es beispielsweise in einer juristischen Argumentation institutionell vorgegeben werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das kollektiv Geltende zum Zeitpunkt und den Menschen relativ ist (Klein 1980). Damit ist gemeint, dass beispielsweise interkulturell das kollektiv Geltende ganz unterschiedlich bewertet wird.
Grundlegend für das Aushandeln eines Dissenses ist der Kooperationswille der Interaktionsteilnehmerinnen. Kallmeyer / Schmitt (1996) definieren Kooperation in diesem Zusammenhang zielbezogen. Diese Definition ist für die anstehende Analyse der Schlichtungsgespräche gewinnbringend. Unter Kooperativität verstehen sie, dass die InteraktantInnen individuelle Ziele verfolgen, zu deren Erreichung sie aufeinander angewiesen sind. Die Ziele können dabei partiell übereinstimmen oder sich gegenseitig ausschließen. Für die Interaktion ist es aber essenziell, Gemeinsamkeiten herzustellen, damit die Kommunikation nicht zusam- men-/abbricht. Diese Aufgabe obliegt unteranderem Geißler als Schlichter, die er während der Schlichtung insbesondere durch Beziehungsarbeit bewältigt. Damit Geißler jedoch als Schlichter akzeptiert wird, muss er die DiskutantInnen zuerst davon überzeugen, dass er vertrauenswürdig ist und die notwendige Kompetenz und Neutralität besitzt. Aus der Perspektive der pragmatisch orientierten Argumentationsanalyse bedeutet das, dass seine Eignung als Schlichter strittig ist und er mit seinem argumentativen Vorgehen dies widerlegen muss. Um der Aufgabe gerecht zu werden benötigt Geißler rhetorische Mittel. Das realisiert er durch entsprechende verbale Selbstdarstellung und Selbststilisierung, die deskriptiv mit der Datenanalyse dargestellt werden.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich die pragmatische Orientierung in der Entwicklung der Argumentationsanalyse grundlegend auf die Untersuchungsmethode und die rhetorischen Konzepte auswirkt. Dabei handelt es sich um eine interaktionstheoretisch geprägte Rhetorik, die auf empirischen Daten beruht und kontextuell die Einbettung des individuellen Handelns und dessen Auswirkungen auf die rhetorischen Verfahren der Beteiligten in den Vordergrund stellt (Kallmeyer 1996). Dem Moderator an sich kommt eine Sonderstellung zu, denn die besondere Anforderung an Geißler besteht darin, dass er zwei Stränge der Argumentation zusammenführen muss. Der erste Strang bezieht sich darauf, argumentativ für seine Bestätigung als Schlichter tätig zu sein. Der zweite Strang bezieht sich dagegen darauf, die Stimmigkeit und Logik der Argumentationen der DiskutantInnen zu hinterfragen und deren Argumentationen, mit den sich daraus eröffnenden Zugzwängen, gerecht zu werden. Im kommenden Punkt werden nun grundlegende Elemente des Konflikts um den Stuttgarter Hauptbahnhof, auf der Basis von TOULMINS Modell, inhaltlich-sachlich beschrieben, damit der/die LeserIn der Argumentation im Kontext dieser Arbeit thematisch folgen kann.
3 Beschreibung des Konflikts
Um was geht es konkret in dem Konzept zum Umbau des Stuttgarter Hauptbahnhofs und wo liegt der Dissens? Damit die konfliktträchtigen Aspekte des Konzepts nachvollzogen werden können, wird zuerst das Bauvorhaben aus Sicht der ProponentInnen (sie sprechen für Stuttgart 21, im Folgenden mit S21 abgekürzt) erläutert. Anhand ihrer Aussagen können im weiteren Verlauf die Ansatzpunkte der OpponentInnen (sie sprechen für den bestehenden Kopfbahnhof, abgekürzt mit K21) aufgezeigt werden. Dabei werden die zentralen Aussagen der Argumentationslinien anhand von TOULMINS Argumentationstheorie veranschaulicht. TOUL- MINS Modell ist deshalb für die Konfliktbeschreibung geeignet, weil es sich bei der folgenden Beschreibung um keine dialogische Argumentationsentwicklung handelt. Vielmehr werden aus veröffentlichten Schriftstücken der ProponentInnen und OpponentInnen für die Analyse relevante Informationen entnommen und anhand des Modells argumentativ dargelegt.
Den Aufbau der einfachen Argumentation beschreibt Toulmin (1974) folgendermaßen. Meistens beginnen Argumentationen mit der Konklusion (Schlussfolgerung/These). Das bedeutet, dass wir uns auf einen entsprechenden Geltungsgegenstand festlegen. Um diesen Geltungsanspruch zu festigen oder gegen Anzweiflung abzusichern, greifen wir auf sogenannte Daten zurück, welche belegen sollen, auf was wir uns stützen (z. B. Tatsachen, Vorkommnisse,...). An einem bestimmten Punkt der Argumentation ist es jedoch nicht mehr notwendig, dass wir unsere Behauptung mit Daten stützen. Vielmehr müssen wir nun zeigen, dass die ursprüngliche Behauptung legitim ist. Hierfür benötigen wir Schlussregeln. Sie bilden Brücken zwischen den Daten und der Konklusion mittels derer man erläutert, wie man eigentlich zu der Konklusion kommt. Von der Schlussregel hängt letztlich auch ab, auf welche Daten Bezug genommen wird. Somit ist die Schlussregel in den Daten implizit enthalten. Daraus ergibt sich eine gewisse Unsicherheit zur Explikation der Schlussregeln, weil sie darüber einem Interpretationsspielraum ausgesetzt sind. Obwohl in diesem Punkt das Modell erweiterbar wäre, ist es hilfreich einen grundlegenden Einblick in die analysierte Diskussion zu ermöglichen, weil die Konfliktpunkte darüber prägnant abgebildet werden können. Mithilfe dieses Modells lassen sich die Aussagen der ProponentInnen wie folgt darstellen[2]:
a) Der bestehende 'überirdische' Kopfbahnhof muss in einen 'unterirdischen' Durchgangsbahnhof umgebaut werden:
- Die Ministerin für Umwelt, Naturschutz und Verkehr (Tanja Gönner) vertritt die These, dass durch diese Maßnahme die Leistungskapazität des Bahnhofs um 37 Prozent gesteigert werden kann (Stuttgarter Zeitung: 01.12.2010a). Gestützt wird die These 'ein Durchgangsbahnhof ist leistungsfähiger als ein Kopfbahnhof' von Daten, die im Jahre 2005 in einem Gutachten zur Aufenthaltsdauer der Züge im Durchgangsbahnhof erhoben wurden (SMA Gutachten). Dahinter steht die Schlussregel, dass ein Durchgangsbahnhof eine höhere Frequenz an Zügen zulässt, weil die Züge den Bahnhof nicht in derselben Richtung verlassen, in der sie eingefahren sind. Deswegen sind keine Fahrtrichtungswechsel, kein Umhängen von Zügen und kein Wechsel der Lockführer notwendig. (Stützung der Schlussregel).
- Eine weitere These zur Verlegung des Bahnhofs unter die Erde ist die Verbesserung der Lebensqualität für die Bevölkerung in Stuttgart. Sie ist in zwei Subthesen zu unterteilen. Subthese 1: Die Lärmbelastung der Bevölkerung nimmt ab, wenn die Schienen unter der Erde verlaufen. Sie beruht auf den Daten, dass der Schienenverkehr innerorts Verkehrslärm verursacht. Daraus folgt die Schlussregel, dass Lärm die BürgerInnen belastet.
Subthese 2: Wenn die Schienen unter die Erde verlegt werden, wird neues Bauland frei und andere Grünflächen können erhalten werden. Als stützendes Datum beruft man sich auf die Stadtplanung, nach der Bedarf für Bauland bestehe. Dahinter steht die Schlussregel, dass neues Bauland benötigt wird.
b) Das regionale und überregionale Schienenverkehrsnetz muss ausgebaut werden:
- Eine der Aussagen zum regionalen Ausbau des Schienennetzes ist: Es entsteht die neue S-Bahnstation 'Mittnachtsstraße', die auf einer eigener Schiene verkehrt[3]. Argumentiert wird unter Verwendung der Daten, dass 20.000 Fahrgäste von Feuerbach nach Bad Cannstatt (und umgekehrt), durch die Baumaßnahmen eine direkte Verbindung in die Stuttgarter Innenstadt erhalten. Das Datum, auf das sich dieses Argument stützt, ist die augenblickliche Situation, nach der diese Fahrgäste zuerst an den Stuttgarter Hauptbahnhof fahren müssen, um dann in den Regionalverkehr umzusteigen, damit sie in die Innenstadt gelangen. Dahinter steht die Schlussregel, dass Umsteigen unökonomisch ist, weil es einen höheren Zeitaufwand bedeutet (Stütze der Schlussregel). Außerdem wird diese 'ÖkonomieSchlussregel' dadurch gestützt, dass die S-Bahn weniger störanfällig ist, weil sie auf ihrem eigenen Schienennetz verkehrt und nicht von Verzögerungen auf dem allgemeinen Schienennetz behindert wird. Die ProponentInnen kommen daher zu der Konklusion, dass die höhere Mobilität der Bevölkerung dazu führt (Hauptthese), dass der Schienenverkehr mehr genutzt wird, was sich wiederum positiv auf die Umwelt auswirkt (Subthese).
- Eine der Aussagen zum überregionalen Ausbau des Schienennetzes ist: Es wird eine Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Wendlingen und Ulm gebaut. Diese Aussage beruht auf der Konklusion, dass hochwertiger Schienenverkehr die Konkurrenz- und Wettbewerbsfähigkeit der Region erhält und steigert. Wird das Bauvorhaben nicht ausgeführt, dann drohen wirtschaftliche Einbußen und die Verschlechterung der Standortattraktivität. Das zugrundegelegte Datum ist die Exportorientierung der Region und die bestehende Konkurrenz zu anderen Schienenverbindungen. Die implizite Schlussregel lautet hier 'wir müssen leistungsstark und konkurrenzfähig sein'.
Insgesamt sind für das Projekt Kosten in Höhe von rund 7 Milliarden Euro veranschlagt. Davon entfallen 4,1 Milliarden Euro auf Stuttgart 21, wovon der Verband Region Stuttgart einen gedeckelten Beitrag von 100 Millionen Euro leistet. Hierfür hat der Regionalverband Stuttgart bereits 20 Millionen zurückgelegt und finanziert die verbleibenden 80 Millionen über acht Jahresraten. Die restlichen verbleibenden drei Milliarden Euro entfallen auf den Ausbau des Schienennetzes. Die Summe der Gesamtinvestition bezieht sich auf eine zehnjährige Bauzeit.
Die Opposition stellt dem Bauvorhaben von S21 ein alternatives Projekt namens K21 (Kopfbahnhof 21) entgegen. Die Argumentation für den Kopfbahnhof richtet sich an der eben beschriebenen Argumentation des Durchgangsbahnhofs aus. Die Opposition hat nun die Möglichkeit auf drei Ebene anzugreifen:
a) Ebene der Konklusion (Schlussfolgerung/These)
b) Ebene der Daten
c) Ebene der Schlussregeln und ihrer Stützung
In den Tabellen 1/2/3/4 werden die konfliktären Ansatzpunkte der einzelnen Aussagen veranschaulicht[4]. Es beginnt mit den Tabellen 1 und 2 zu der Aussage; der bestehende 'überirdische' Kopfbahnhof muss in einen 'unterirdischen' Durchgangsbahnhof umgebaut werden. In Tabelle 1 geht es um die Argumentation der höheren Leistungsfähigkeit eines Durchgangsbahnhofes. Hier noch eine kurze Erklärung, wie die Tabelle verstanden werden soll. Unter „Ebene“ stehen die angreifbaren Argumentationselemente, unter S21 die konkreten Aspekte der ProponentInnen und unter K21 der konkrete Widerspruch der OpponentInnen.
Tab. 1: Angegriffene Ebene zur Aussage 'Leistungsfähigkeit des Durchgangsbahnhofes'
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
- Ob Züge den Bahnhof in der gleichen Richtung verlassen, in der sie eingefahren sind, ist unerheblich für die Leistungskapazität
Bezüglich der allgemeinen Konklusion - nämlich, dass der Bahnhof seine Leistungskapazität verbessern muss, um wettbewerbsfähig zu bleiben - sind sich die Kontrahenten einig. Der Dissens besteht hier in der Frage, auf welchem Weg das zu erreichen ist und wie verlässlich die zugrunde gelegten Daten sind.
In Tabelle 2 werden die Argumentationselemente zur 'Verbesserung der Lebensqualität der Bevölkerung' dargestellt. Die Tabelle ist ebenso aufgebaut, wie Tabelle 1. Hier ist das Gesamtthema in die zwei Subthemen 'Lärmbelastung' und 'Bauland' unterteilt. Daher gibt es hier Konklusion 1 und 2, ... :
Tab. 2: Angegriffene Ebenen zur Aussage 'Verbesserung der Lebensqualität'
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
In Bezug auf die Lebensqualität besteht über die Konklusion der Dissens. Die S21 Opponen- tlnnen gehen noch zusätzlich davon aus, dass durch die im Falle eines Umbaus notwendige Abholzung des Stadtparks und dem Abriss des alten Bahnhofs die Lebensqualität der Bevölkerung verloren geht. Die Angriffspunkte beruhen im Subthema 1 auf der Befürchtung des ewigen Baulärms und im Subthema 2 auf einer anderen Konklusion, namentlich 'es ist ausreichend Bauland vorhanden'. Hier gibt es somit auch keine partielle Übereinstimmung innerhalb der Argumentationselemente.
Betrachten wir in Tabelle 3 und 4 die Situation zu der Aussage 'das Schienennetz muss ausgebaut werden' unter dem Aspekt der 'regionalen Mobilität' und der 'überregionalen Mobilität'. Tabelle 3 gibt die Argumentationselementen zur 'regionalen Mobilität' wieder:
Tab. 3: Übereinstimmung zu Aussagen der 'regionalen Mobilität'
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Interessanterweise besteht in diesem Punkt in weiten Teilen Übereinstimmung. Auch die Op- ponentInnen stellen ihr Projekt unter die Prämissen, den Nahverkehr zu verbessern. Die Strecke zur Mittnachtstraße bezeichnen sie als 'überlastet' und teilen die Meinung, dass das Schienennetz ausgebaut werden muss. Hier besteht der Dissens insbesondere in der Umsetzung der Baumaßnahmen.
Wie sieht es im Bereich des 'überregionalen Bauvorhabens' aus? Die untenstehenden Tabelle 4 verdeutlicht die Situation:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
- Weitgehende Übereinstimmung
Auch hier besteht der Dissens überwiegend in der Umsetzung der neuen Schienennetze. Wo S21 für die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm durch einen eigens dafür angelegten Tunnel geführt werden soll, offeriert K21 den bereits existierenden Tunnel von Obertürkheim aus Kostengründen auszubauen. Die Tabellen 3 und 4 machen die Hauptgegenargument von K21 deutlich. Die Opposition fürchtet durch S21 eine Rekordverschuldung und eine lange währende Baustelle.
Die argumentative Situation lässt sich folgendermaßen zusammenfassen. Überwiegend werden die Daten, also die Gutachten auf die sich die Proponenten von S21 berufen, angefochten, insbesondere unter dem Aspekt der Finanzierung. Die Konklusion, dass die Lebensqualität der BürgerInnen durch die Baumaßnahmen zunimmt, wird insgesamt nicht geteilt. Im Gegenteil hier bestehen unter dem Blickwinkel der Ökologie erhebliche Einwände, die für diese Arbeit jedoch nicht relevant sind, weil sich die untersuchten Schlichtungsgespräche auf die Leistungskapazität des Durchgangsbahnhofes und der Neubaustrecke Ulm beziehen. Die ökologischen Aspekte werden erst in den späteren Sitzungen thematisiert. Ein weiterer Konfliktpunkt, der zum gegebenen Zeitpunkt noch nicht dominant expliziert wird, aber die Dissensverhandlung auf der Beziehungsebene stark beeinflusst, ist der Eindruck, dass die BürgerInnen bei diesem Großprojekt nicht beteiligt wurden. Daraus resultiert im weiteren Verlauf der Verhandlungen die Forderung nach einem Bürgerentscheid.
Die Beschreibung des Konflikts zeigt zum einen Argumentationsschritte, die zum Dissens führen, aber ebenso auch Konklusionen, die beide Seiten gemeinsam ziehen. Die Herausforderung dieser Schlichtungsgespräche an Geißler ist, diese Aspekte offenzulegen und eine Arbeitsatmosphäre herzustellen, in der die DiskutantInnen aufeinander zugehen. Um diese Voraussetzung zu schaffen, ist Vertrauen notwendig. In erster Linie beginnt das Vertrauen bei Geißler und seiner Person. Die Beteiligten müssen den Eindruck gewinnen, dass er ihnen gegenüber sowohl offen und authentisch ist (Seifert 2009), als auch ein kompetenter Schlichter. Daher gehört es zu seinen rhetorischen Aktivitäten, dass er seine Vertrauenswürdigkeit und Kompetenz kommuniziert. Dementsprechende rhetorische Aspekte seines verbalen Verhaltens werden im nächsten Punkt 'Rhetorik der Moderationsaktivität' betrachtet.
4 Rhetorik der Moderationsaktivität
Mit Rhetorik der Moderationsaktivität sind also verbale Verhaltensweisen gemeint, die Geißler zeigt, um sich selbst in seiner Position zu bestärken. Dazu werden in diesem Kapitel Aspekte aus zwei Bereichen vorgestellt. Zum einen die verbale Selbstdarstellung und zum anderen die Selbststilisierung. Die verbale Selbstdarstellung betreffen explizite und implizite Selbstaussagen, mittels derer Geißler bestimmte Charaktereigenschaften kommuniziert. Unter der Selbststilisierung ist die Darstellung bestimmter sozialer Typen zu verstehen (Kotthoff 2009b), die Geißler durch das Zusammenwirken mehrerer sprachlicher Merkmale evoziert. Diese Typen treten teilweise situativ zum Vorschein. Dabei haben all diese Aspekte eine bestimmte rhetorische Funktion innerhalb Geißlers Argumentation für seine Schlichterfähigkeiten.
Begonnen wird mit der verbalen Selbstdarstellung, die für Geißler im Zusammenhang mit der Vertrauensbildung und Kompetenzbestätigung von besonderer Bedeutung ist. Auch wenn Geißler in seinen Reihen ein 'Querdenker' und bisweilen unangepasster Politiker war, so arbeitete er doch zwölf Jahre lang als Generalsekretär der CDU. Diese Tatsache ist daher bemerkenswert, da die CDU im Konflikt um Stuttgart 21 zu der Seite der ProponentInnen gehört. Außerdem arbeitet Geißler seit circa sieben Jahren in verschiedenen Bereichen als Schlichter. Dabei vermittelte er unter anderem auch in den Tarifverhandlungen zwischen der Gewerkschaft der deutschen Lokführer mit der Deutschen Bahn (HTTP://WWW.HEINER- geissler.de 2011). Somit muss Geißler, neben der Bestätigung seiner fachlichen Kompetenz, noch zusätzlich durch die Berührungspunkte mit der ProponentInnenseite das Vertrauen der SchlichtungsteilnehmerInnen gewinnen. Im Mittelpunkt der kommenden Analyse stehen nun die Aspekte Geißlers expliziter und impliziter verbaler Selbstdarstellung.
4.1 Verbale Selbstdarstellung
Unter 'Darstellung', ist im Sinne Goffmans jenes Gesamtverhalten zu verstehen, das eine Person in Gegenwart einer bestimmten Gruppen von Zuschauerinnen zeigt und „das Ein- fluß(!) auf diese Zuschauer nimmt“ (Goffman 2011: 21). In Bezug auf die rhetorischen Strategien der verbale Selbstdarstellung muss laut Schwitalla (1996) unterschieden werden in:
a) Explizite Selbstaussagen
b) Eigenschaften, die aus den verwendeten sprachlichen Mitteln erschließbar sind
c) Eigenschaften, die aus dem gezeigten Verhalten während der Interaktion erschließbar sind
Für den Schlichter gilt in diesem Zusammenhang, dass es in seinem Interesse liegt, die Disku- tantlnnen in einer ordnungsgemäßen Schlichtung zu führen, die möglichst auf eine Einigung hinausläuft. Demzufolge werden in diesem Kapitel jene verbalen Selbstdarstellungsweisen als rhetorische Mittel untersucht, mit denen Geißler Einfluss auf seine Wahrnehmung als Schlichter in seiner Umwelt ausübt. Hierin liegt demnach die argumentative Funktion seiner Selbstdarstellung.
Dazu eignet sich insbesondere seine Eingangsrede, denn nach Goffman (2011) ist sie mehr als nur der Einstieg in die Schlichtung. Geißler gibt den Schlichtungsteilnehmerinnen in der Eingangsrede erste Informationen zu sich in seiner Rolle. Die Informationen sind grundlegend für das Maß, mit dem er im Weiteren gemessen wird, ebenso wie die Anerkennung seiner Kompetenz und Fähigkeiten. Ursächlich dafür ist in unserer Gesellschaft jenes Prinzip, demnach , jemand, der ausdrücklich oder stillschweigend zu verstehen gibt, er habe diese oder jene sozialen Eigenschaften, auch wirklich das sein soll, was er zu sein behauptet“ (Goffman 2011: 16).
Somit kann Geißler in der Eingangsrede durch seine Selbstaussagen das Fundament für seine Tätigkeit legen und die Akzeptanz aller Beteiligten erlangen. Die Ergebnisse werden dann jeweils mit Aspekten aus seiner Interaktion ergänzt, um zu zeigen, dass Geißler die verbale Selbstdarstellung auch im Verhandlungsverlauf rhetorisch einsetzt.
4.1.1 Explizite Selbstaussagen
Explizite Selbstaussagen beziehen sich auf die Kommunikation im engeren Sinne. Sie umfassen alle Wortsymbole, deren Informationen sowohl Sprecherinnen als auch die Zuhörerinnen gleichermaßen mit diesen Symbolen verknüpfen. Durch die Art und Weise, wie sich der/die Sprecherin ausdrückt, erhält er/sie die Kontrolle über die Situation. Das bewirkt er/sie, indem er/sie einen Eindruck erweckt, der die Zuhörer Innen dazu veranlasst mit ihm/ihr übereinzustimmen (Goffman 2011). In diesem verbalen Vorgehen liegt aus pragmatischer Sicht die rhetorische Funktion expliziter Selbstaussagen.
Welche expliziten Selbstaussagen macht Geißler in seiner Eingangsrede und in welcher Weise unterstützt er damit die Rhetorik der Moderationsaktivität? Bei der Analyse des Monologs fällt auf, dass Geißler sehr früh in seiner Rede den Weg für vertrauensbildende Aussagen zu seiner Person ebnet. Diesen Aspekt berücksichtigt er noch vor Aussagen über seine fachliche Kompetenz. Anhand des folgenden Ausschnitts wird gezeigt, auf welche Art und Weise Geißler mit rhetorischen Stilmitteln, innerhalb der Rahmung 'worum geht es', einen Kontext schafft in dem seine anschließenden expliziten Selbstaussagen eine vertrauensbildende Funktion erfüllen.
Das folgende Transkript veranschaulicht Geißlers rhetorisches Vorgehen. Bevor es einsetzt eröffnet Geißler die Schlichtung mit der Begrüßung der Anwesenden. In diesem Transkript- ausschnitt rahmt Geißler zuerst die Situation unter dem Aspekt 'worum geht es':
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten[5]
Die einführende Kontextualisierung schließt Geißler mit den Worten, des is des THEma (Zeile 033) ab. Dabei blickt er an bestimmten Stellen seiner Aussagen in den Kreis der Anwesenden (Zeile 029, 032, 033), worüber er impliziert, dass die Aussagen eine besondere Relevanz haben. Indem Geißler Blickkontakt zu den Teilnehmerinnen aufnimmt, schenkt er nicht nur jeder einzelnen Person Beachtung, sondern kann auch sehen, inwieweit die Anwesenden ihm während seiner Ausführung folgen und zustimmen. Durch die mittel fallende Intonation nach dem Wort THEma; deutet Geißler an, dass er den Aspekt noch nicht abgeschlossen hat.[6] Im weiteren Verlauf des Transkripts stellt er mit der Präposition wEgen (Zeile 034) eine logische Brücke her und leitet die konklusive Sprechhandlung „erklären warum“ ( Klein 2008: 1311) ein. Somit expliziert er das Zustandekommen der gegenwärtigen Situation.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Dabei beruft Geißler sich auf die rhetorische Stilfigur von Ursache und Wirkung (wEgen dieser projektion; (Ursache) hat es ... in Stuttgart erHEBliche auseinandersetzungen gegeben (Wirkung)). Die Bedeutung der Wirkung veranschaulicht Geißler in Kombination einer kontinuierlich formalen und inhaltlichen Steigerung, der Klimax (Kienpointner 1996) des Wortes auseinandersetzung in; demonstrationen, / GROßdemionstrationen, / zehntausende von Bürgern (Zeile 039-041) und wEit üba: stuttgart hinaus (Zeile 045). Die rhetorische Figur unterstreicht er gleichzeitig mit empathischen Betonungen. Anschließend hebt er hervor, dass sowohl Opponentinnen wie proponentinnen an einer friedlichen Lösung interessiert sind, also eine grundlegende Übereinstimmung herrscht.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die beFRIEDung setzt Geißler in der gegenwärtigen Situation mit einer versAchlichung (Zeile 053) gleich. Dazu konstruiert er die Syntax beider phrasen identisch. Der Parallelismus (Kienpointner 1996) besteht hier in der Präposition zu, dem unbestimmten Artikel einer und den äquivalenten gesetzten Substantiven beFRIEDung / versAchlichung. Bisher hat Geißler erklärt um welche Situation es sich handelt und wie sie zustande kommt. Weiter hat er dargelegt, was unter den gemeinsamen Voraussetzungen (interesse an der Befriedung) erreicht werden kann (eine Versachlichung). Um zu diesem Ziel zu gelangen, benötigen die Schlich- tungsteilnehmerlnnen Unterstützung (Zeile 051). An dieser Stellt macht Geißler nun seine expliziten Selbstaussagen:
Geißler macht drei wichtige explizite Selbstaussagen, die aufgrund seiner rhetorischen Vorarbeit, aus pragmatischer Sicht folgende vertrauensbildende Aspekte enthalten:
Tab. 5: vertrauensbildende explizite Selbstaussagen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Nachträglichen Kommentaren der SchlichtungsteilnehmerInnen ist zu entnehmen, dass Geißler erfolgreich das Vertrauen der DiskutantInnen gewonnen hat. Stellvertretend hierfür, ein Interviewausschnitt des Opponenten Wölfle (W) mit der Fragestellung, wie zufrieden er mit der ersten Schlichtungsrunde ist.
Datum 2: Bewertung von Geißler durch den Interaktionsteilnehmer Wölfle
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Das Vertrauen in Geißler drückt Wölfles Aussage implizit aus. Es kann aus seiner Eigenschaftsbeschreibung von Geißler erschlossen werden. Wölfle beschreibt ihn als eine charmante Persönlichkeit, die mit Bestimmtheit allen Seiten gleichermaßen Rechte einräumt und in brisanten Situationen die Schlichtung sachlich führt.
Der Kommentar offenbart aber auch einen zweiten Aspekt, den Geißler demnach erfolgreich vermittelt hat; nämlich seine Kompetenz und Eignung für die Aufgabe. Das ist ihm sicher einerseits durch seine Moderation, aber andererseits auch durch seine gekonnte Selbstdarstellung gelungen.
Geißler trifft in den analysierten Schlichtungssequenzen immer wieder explizite Selbstaussagen, die seine Kompetenz veranschaulichen. Nachdem Geißler erklärt hat, was in der Schlichtung realistisch erreichbar ist, erklärt er, was er unter einer Schlichtung versteht und lässt dabei explizite Selbstaussagen zu seiner Fachkompetenz einfließen. Hierzu folgender Ausschnitt aus seiner Eingangsrede:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Geißler verweist deutlich darauf, dass er regelmäßig Schlichtungen führt und somit über entsprechende Erfahrung verfügt (Zeile 077). Gleichzeitig lässt er nebenher einfließen, auf welchen Erfahrungszeitraum er zurückblicken kann (Zeile 082). Den beiläufigen Eindruck erweckt Geißler mit dem beschleunigten Sprechrhythmus, der ebenso auch intonatorisch zwei semantisch unterschiedliche Elemente miteinander verbindet. Das erste Element bezieht sich auf die Definition von bEIde seiten (Zeile 080, 081) und das zweite Element auf Geißlers siebenjährige Erfahrung als Schlichter im Baugewerbe (Zeile 082). Aufgrund der Verbindung von Sprechtempo, Intonation und der darüber bewirkten Verbindung zweier semantisch unabhängiger Einheiten, klingt Geißlers Selbstaussage nicht nach einem Eigenlob, sondern nach einer beiläufigen sachlichen Bemerkung.
Ähnliche Vorkommnisse lassen sich auch während Geißler Schlichtungsinteraktion beobachten. In der Diskussion um die Leistungsfähigkeit des Tiefbahnhofes argumentieren die Propo- nentInnen gegen den bestehenden Kopfbahnhof damit, dass ein- und ausfahrende Züge eine Kopfwende machen müssen, aus der sich ein höherer Zeitaufwand und Personalkosten ergeben. Hopfenzitz (H) versucht die Argumentation zu widerlegen. Geißler (G) nutzt die Gelegenheit eine Selbstaussage zu treffen, die seine Kompetenz unterstreicht. Hierzu ein Beleg:
Datum 4: Explizite Selbstaussage zur eigenen Kompetenz in der Interaktion
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Auch hier expliziert Geißler seine Kompetenz in einer Selbstaussage, sogar in den laufenden Turn von Hopfenzitz, die er in Form der Fremdkorrektur, das is ne frage des taRIFvertrages (Zeile 27) maskiert einleitet. Um dann gleich darauf in eigener Sache darauf hinzuweisen, dass er an genau diesen Tarifvertragsschlichtungen mitgewirkt hat, worüber er seinen Sachverstand geltend macht.
Der Einwurf von Geißler erfüllt aus moderationstheoretischer Sicht jedoch noch eine weitere Funktion. Seifert (2009) verweist darauf, dass der Moderator Bekanntschaften mit Personen, die an dem Konflikt beteiligt sind, offenlegen muss, da ansonsten bei den Anwesenden der Eindruck entstehen könnte er sei parteiisch. Geißler impliziert durch die Feststellung 'ich habe erst neulich Tarifverhandlungen zwischen den Lokführern und der Deutschen Bahn geschlichtet', dass er bereits vor der aktuellen Schlichtung Bekanntschaft mit Herrn Kefer von der Deutschen Bahn gemacht hat, was somit kein „Geheimnis“ darstellt.
Kurz zusammengefasst werden unter diesem Punkt, Aspekte expliziter Selbstaussagen Geißlers zu seiner Eignung als Schlichter veranschaulicht. Sie haben die rhetorische Funktion, die Wahrnehmung der Beteiligten auf bestimmte Eigenschaften zu lenken, die für die Ausführung seiner Aufgabe grundlegend sind. Geißler selbst beginnt seine Eingangsrede mit Selbstaussagen, die vertrauensbildende Aspekte enthalten, und fährt im weiteren Monolog mit kompetenzbestätigenden Aussagen fort. Geißlers rhetorisches Vorgehen kann gemessen an Wölfles Kommentar durchaus als gelungen bewertet werden. Datum 4 zeigt, dass Geißlers Rhetorik der Moderationsaktvität nach dem Monolog nicht abgeschlossen ist, sondern auch in der Interaktion fortgesetzt wird. Dabei verdeutlicht insbesondere das Datum 4, dass explizite Selbstaussagen auch eine implizite Selbstdarstellung enthalten können. Das bedeutet, dass einer Selbstaussage nicht nur ausschließlich eine Funktion zugeordnet werden kann. Im kommenden Abschnitt werden jetzt verbale Selbstdarstellungen vorgestellt, die aus sprachlichen Verhaltensweisen erschließbar sind. Auch sie haben eine wichtig rhetorische Funktion in Bezug auf die Selbstdarstellung und der damit verbundenen Einflussnahme auf die Beteiligten.
4.1.2 Implizite Selbstaussagen
In der vorangegangenen Analyse der expliziten Selbstaussagen konnte Geißler bereits Eigenschaften wie Kompetenz und Vertrauenswürdigkeit kommunizieren. Nach Van Eemeren et al (1993) gehören des Weiteren Neutralität und Unparteilichkeit zu den Eigenschaften des Schlichters. Solche Eigenschaften sind umso glaubwürdiger, je mehr sie durch das Wirken und Handeln beim Gegenüber impliziert werden. Das hängt damit zusammen, dass durch diese impliziten Selbstaussagen allgemeine Charaktereigenschaften des Sprechers von den InteraktionsteilnehmerInnen selbst erschlossen und erfahren werden können (Schwitalla 1996).
Seine Neutralität und Unparteilichkeit kommuniziert Geißler auf zwei verschiedenen Wegen. In erster Linie achtet er auf eine wertfreie Lexik und vermeidet es, Geschehnisse zu bewerten. Hierzu ein Ausschnitt von Geißlers Eingangsrede, in der er erklärt, was er unter der Schlichtung versteht und was er sich von ihr erwartet.
Datum 5: implizite Selbstaussagen zu Neutralität und Überparteilichkeit in der Eingangsrede
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Geißler scheint in diesem Abschnitt seine Worte sehr bewusst zu wählen und zu überdenken. Dieser Eindruck wird vornehmlich dadurch präsent, dass stille und gefüllte Pausen auftreten. Da Pausen für gewöhnlich unangenehm sind, können sie auch ein Indiz dafür sein, dass Geißler in seinem Monolog selbstbewusst auftritt. Die Schlichtung attribuiert er vollkommen neutral unter einer fAch un sAchschlichtung (Zeile 102). Diesen Aspekt betont Geißler mehrmals in seiner Rede. Ebenso benennt er die bisherige Haltung aller Beteiligten mit dem Fremdwort UNIlateral (Zeile 109), worüber er sich einer Bewertung enthält. Auch vor dem Fremdwort entsteht eine Mikropause, gefolgt von zwei gefüllten Pausen, als Indiz für die Suche nach dem geeigneten Ausdruck. Da Geißler sich darüber bewusst ist, dass die FernsehzuschauerInnen das Fremdwort möglicherweise nicht kennen, übersetzt er es zweimal mit; in EINe richtung
(Zeile 110) und äh und äh nie äh äh gemEInsam (Zeile 111). Mit dem folgenden Blickkontakt zu den SchlichtungsteilnehmerInnen vergewissert sich Geißler, niemandem zu Nahe getreten zu sein. Nachdem er keinen Widerspruch in den Gesichtern erkennt, fährt er fort:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Wieder stellt Geißler die FAKten (Zeile 112) in den Vordergrund und greift sie mit dem Indefinitpronomen alle/alles insgesamt dreimal auf (Zeile 114, 115, 116). Solche Wortwiederholungsfiguren werden in der Rhetorik zur Steigerung der Eindringlichkeit angewendet. Insbesondere die hier vorkommende Wiederholungsfigur Anapher wird häufig als beliebte Technik in politischen Reden eingesetzt (Kienpointner 1996). Mit der Anwendung der Anapher auf das Wort FAKten demonstriert Geißler, dass er unparteiisch ist. Er wird ungeachtet um welche Seite der DiskutantInnen es sich handelt, alles aufdecken und beleuchten, damit die Teilnehmerinnen im Ergebnis eine gemeinsame bewErtung dieser fakten (Zeile 118) vornehmen können. Geißler bringt also zum Ausdruck, dass es keine vorausgesetzten Ergebnisse gibt, aus denen ein bereits feststehendes 'pseudo-Schlichtungsergebnis' gewonnen wird.
In der Aussage, dass alles Auf den tisch kommt, liegt nicht nur der Aspekt von schonungslosem Aufdecken, sondern auch die implizite Selbstaussage, dass Geißler alle gleichberechtigt behandeln wird. Unter den DiskutantInnen soll ungeachtet ihres gesellschaftlichen Status ein symmetrisches Sprecherverhältnis herrschen. Diese Erwartung impliziert Geißler kurz darauf mit der Würdigung der DiskutantInnen, indem er die Eigenschaft lobend beim Ministerpräsident Mappus hervorhebt (folgendes Transkript, Zeile 175, 176).
Datum 6: Implizite Aussage zur Gesprächssymmetrie in der Eingangsrede
äh wir haben einen miNISterpräsidenten:- äh der äh von sich sa:gt,
äh dass ihm (.) keine perle aus der krone fällt, äh wenn er mit äh der bürgerinitiative, äh aus der ziVILgesellschaftsich an diesen tisch setzt,= und zwar nicht von oben nach unten,
=sondern auf Augenhöhe, (.) äh bereit ist,
äh diesen fAktencheck durchzuführen. ((Blick in den Kreis))
Während der Interaktion lebt Geißler seine unparteiische Haltung vor, weil er niemanden bevorzugt. Er legt zu Beginn der Verhandlungen für die Präsentationen eine Sprecherliste fest.
Innerhalb der Diskussion orientiert sich Geißler an den Wortmeldungen und ist bemüht, das Rederecht beider Seiten gleichermaßen zu berücksichtigen. Auch in Bezug auf den akademischen Grad macht er keine Unterschiede. Zur Veranschaulichung dient folgender Transkriptionsausschnitt in dem Geißler während der Diskussion das Rederecht organisiert. In dieser Sequenz sorgt Geißler dafür, dass die Rednerreihenfolge eingehalten wird. Denn nach dem Vortrag eines Schweizer Experten, der das Züricher-Kopfbahnhof-Projekt vorstellt, entsteht Unruhe unter den SchlichtungsteilnehmerInnen. Dabei versuchen Einige mittels ihrer Stimmmodulation den turn zu ergattern. Doch Geißler lässt sich davon nicht beeindrucken (Zeile 13ff).
Datum 7: Implizite Selbstaussage zur Überparteilichkeit während der Interaktion
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
werden alle gleich behandelt. Bitteschön.
Geißler transportiert also über implizite Selbstaussagen seine unparteiische und neutrale Einstellung innerhalb der Schlichtung. Die vorgestellten Transkripte zeigen, dass er stark auf die verwendeten lexikalischen Mittel achtet, um seine Neutralität zu demonstrieren. Außerdem veranschaulicht er seine Unparteilichkeit, indem er Wert auf die Sprechersymmetrie und Gleichberechtigung der InteraktionsteilnehmerInnen achtet. Durch seine Wortwahl und sein Handeln macht Geißler diese wichtigen Eigenschaften eines Schlichters für die DiskutantInnen erschließbar. Dazu arbeitet Geißler noch mit einer anderen Form der Selbstdarstellung, die unter den Punkt 'Rhetorik der Moderationsaktivität' fällt. Sie wird im folgenden Unterpunkt vorgestellt.
4.2 Selbststilisierung
Der Begriff 'Stilisierung' wird damit verbunden, dass etwas nach einem Muster 'zu' oder 'als' etwas geformt wird. Bei der Selbststilisierung geht es insbesondere darum soziale Typen zu stilisieren unter denen sich jeder etwas vorstellen kann (Kotthoff 2009b). Die Selbststilisierung kann im Zusammenhang mit der Selbstbeschreibung mehr oder weniger explizit bewirkt werden. Für gewöhnlich geht es dabei um die Kommunikation positiver Eigenschaften. Somit ist die Selbststilisierung eine geeignete Form der Selbstdarstellung im Sinne der Rhetorik der Moderationsaktivität, denn nach Quasthoff (1980) ist es in unserem Kulturkreis nicht üblich, über das eigene positive Selbstbild explizite Aussagen zu machen. Bei der Selbststilisierung bleibt das bewertete charakterliche Selbstbild implizit, weil kategoriengebundene Handlungsweisen diese Funktion übernehmen. Geißler nutzt dieses Sprecherverfahren und stilisiert sich in verschiedenen Typen. Mit diesen stilisierten Typen baut er in verschiedenen Situationen Brücken zwischen sich und den InteraktantInnen, worin die rhetorische Funktion der Selbststilisierung zu sehen ist. Drei der selbst stilisierten Typen werden in diesem Kapitel im Zusammenhang mit ihrem situativen Kontexte untersucht, um ihre rhetorischen Aspekt offenzulegen.
4.2.1 Der etwas Unbeholfene
Gleich zu Beginn der Eingangsrede zeigt Geißler einen eigenen Sprechstil, der ihn unverwechselbar macht. Diese Selbststilisierung zeigt Parallelen zu dem von Baron vorgestellten Typen des „etwas Unbeholfenen“ (Baron 2003: 92), auch wenn es sich hier nicht um den von ihr untersuchten Kontexte handelt. Sie untersuchte Argumentieren im universitären Rahmen einer moderierten Expertendiskussion, nach einem Vortrag im Bereich der Sozialwissenschaften. Dabei beobachtete sie jedoch sprachliche Verhaltensweisen, die auch bei Geißler auftreten. Deswegen wurde hier der Typ des etwas unbeholfenen für die Beschreibung Geißlers entlehnt, wobei jedoch zu betonen ist, dass die Entlehnung des Typs sich ausschließlich auf die Darstellung des sprachlichen Verhaltens und nicht auf die damit verbundene Funktion bezieht.
Doch was bewirkt an Geißlers Sprechstil nun den etwas Unbeholfen Typen und welche Funktionen erfüllt er? Aspekte Geißlers Sprachverhalten, die diesen Typen stilisieren, illustriert der Ausschnitt seiner Eingangsrede, in dem er sich zum Argumentationsverhalten der DiskutantInnen im Verlauf der Schlichtung äußert.
Datum 8: Der etwas Unbeholfene in der Eingangsrede
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Baron beschreibt diesen Sprechstil als „scheinbare Defizienz“ (Baron 2003: 92) der Sprache. 'Scheinbar' deswegen, weil es sich bei den Sprechern um sprachversierte Personen handelt, was auch auf Geißler zutrifft. Der unbeholfene Eindruck entsteht durch das Zusammenwirken verschiedener sprachlicher Merkmale. Dazu gehört häufiges Auftreten von Verzögerungsphänomenen, die in dem Beispiel von stillen und gefüllten Pausen verkörpert werden. Aufgrund der Häufung entsteht ein für Geißler charakteristischer Sprechrhythmus. Die Irritation kommt dadurch zu Stande, dass die Hälfte der stillen Pausen nach dem Beginn der Äußerungseinheit stehen (Zeile 202, 204, 211, 222). In der gesprochenen Sprache empfinden wir das als eine Unterbrechung, weil die Umgebung der Pause eigentlich eine Fortsetzung und eben keine Pause erwarten lässt (Schwitalla 2006). Geißler nutzt in diesem Ausschnitt die stillen Pausen rhetorisch dazu, Akzente zu setzten und Spannung zu erzeugen.
Die gefüllten Pausen (äh/ähm) nehmen wir als eine Unterbrechung wahr, weil sie dem Sprecher Zeit zum Nachdenken verschaffen, damit er seine Wissensinhalte in die gewünschte sprachliche Form bringen kann (Schwitalla 2003). Irritierend ist insbesondere das Vorkommen von gefüllten Pausen am Sequenzanfang, weil sie nicht das erbringen, was wir aus unserer Alltagskommunikation mit ihnen verbinden: Dort stehen gefüllte Pausen nur am Anfang der Redeübergabe, wenn sie als spannungsschaffendes Element oder zu „Beginn von informationsrelevanten (Teil-) Sätzen“ (Schwitalla 2003: 90) stehen. Das trifft nicht immer auf Geißlers gefüllt Pausenanwendung zu. Deswegen wirkt seine Ausdrucksweise etwas unbeholfen.
Des weiteren gehört es zu Geißlers sprachlichen Merkmalen, dass er oft Rückversicherungspartikel, wie nich wahr (Zeile 220) oder nicht (Zeile 210) verwendet, mit denen er rückwirkend Bezug auf die Vorgängeräußerung nimmt und sich der Aufmerksamkeit seiner Zuhörer- Innen versichert. Die häufigen Rückversicherungspartikel unterbrechen aber auch den Redefluss, was ebenso Geißlers eigenen Sprecherrhythmus bewirkt.
Hinzu kommen intonatorische Irritationen. Sie entstehen durch große Tonhöhensprünge bei der starken Überbetonung von Silbenakzenten (Zeile 89, 206), die eigentlich das Ende einer Äußerungseinheit ankündigen. Der unbeholfene Eindruck entsteht dadurch, dass Äußerungseinheiten sowohl durch syntaktische, als auch prosodische Markierungen erfolgen. Doch wie in Zeile 189 stimmt die intonatorische Segmentierung nicht mit der syntaktischen Segmentierung überein. Der intonatorische Verlauf impliziert einen Interrogativsatz, der in Zeile 189 abgeschlossen sein sollte. Da das Verb aber erst in der Folgezeile nachgeliefert wird, entsteht eine Differenz zwischen der syntaktischen und der intonatorischen Darbietungsform. Andererseits spielt Geißler regelrecht mit seiner Intonation, indem er auf unbetonte Wortsilben emphatische Akzente setzt (Kienpointner 1996: 214). Zum Beispiel verlagert er den natürlichen Wortakzent des Adverbs überHAUPT (Zeile 222) unerwartet auf die erste Silbe (ÜBERhaupt). Das wirkt im ersten Moment verwirrend, hat aber die rhetorische Funktion das wichtige Wort in den Fokus zu setzten.
Erst das Zusammentreffen verschiedener sprachlicher Phänomene bewirkt diesen Sprechtypen des sogenannten 'etwas Unbeholfen'. Diese Selbststilisierung generiert Geißler in den vorliegenden Daten verstärkt, wenn er als Autoritätsperson in Erscheinung tritt. Zum Beispiel indem er Verhaltensregeln aufstellt oder interveniert. Mit dem Typen des etwas Unbeholfenen federt er den Eindruck einer zu starken Bevormundung ab. Andererseits kann Geißler dadurch inhaltlich sehr klar ausdrücken, welche Erwartungen oder Einstellungen er zu bestimmten Schlichtungsaspekten hat.
Die vorgeführten Daten zeigen einen sehr wichtigen Aspekt der Selbststilisierung. Die Stilisierung entsteht erst durch die Häufung verschiedener sprachlicher Phänomene, die nicht immer in der gleichen Kombination auftreten müssen. Dennoch erkennen wir darin eine bestimmte Kategorie von sozialen Typen. Sprachliche Phänomene, mit denen Geißler in dem vorliegenden Beispiel den 'etwas unbeholfenen Typen' stilisieren, sind zusammengefasst:
a) Verzögerungsphänomene: stille und gefüllte Pausen, Vokal- und Spirantendehnungen
b) Intonatorische Aspekte: starke Tonhöhensprünge und Akzentsetzungen, unerwartete intonatorische Verläufe
c) Häufige Verwendung von Rückversicherungspartikeln
Die rhetorische Funktion des etwas Unbeholfenen liegt in der Abfederung eines zu stark autoritären Typs, der bei den Beteiligten Widerstand auslösen könnte. Mit Hilfe dieser Selbststilisierung kann Geißler jedoch inhaltlich ganz klare Aussagen treffen. Ebenfalls im Sinne der Klarheit stilisiert sich Geißler zu einem weiteren Typen. Dieser bezieht sich aber nicht auf Geißlers eigenen verbalen Ausdruck sondern - wie im Folgenden erläutert wird - vielmehr auf die der DiskutantInnen.
4.2.2 Der Anwalt der RezipientInnen
Synonym für den Anwalt steht der „Fürsprecher“ (Duden 2010). Unter der Stilisierung des Fürsprechers der RezipientInnen ist ein Typ zu verstehen, der sich für die Interessen der Rezi- pientInnen einsetzt. Diese Selbststilisierung ist ein bedeutender Aspekt der Moderationsrhetorik, weil dieser Typ ein fundamentaler Bestandteil von Geißlers Aufgabe in der Schlichtung ist. Die Schlichtungsgespräche kommen schließlich auch aufgrund der Bürgerproteste zustande. Entsprechend definiert Geißler die Funktion der Schlichtung in der Eingangsrede mit den Worten:
Datum 9: Berücksichtigung der Bedürfnisse der RezipientInnen das was einmal äh äh beschlossen worden ist-= =immer wieder in der jeweiligen (.) Phase, der rEAlisierung des projekts,(.) den menschen zu begründen, (.) und zu (.) erläutern. äh dazu äh (.) soll diese schlichtung:, (.) äh einen beitrag (.) LEIsten;
Dementsprechend gehören die RezipientInnen zu dem Schlichtungskreis. Da sie aber nicht aktiv in die Schlichtungsgespräche eingreifen können, beispielsweise um Verständnisfragen zu stellen, übernimmt Geißler diese Aufgabe stellvertretend. Um dem nachzukommen stellt er für die DiskutantInnen eine 'Verständlichkeitsregel' auf. Sie soll den Zuschauerinnen helfen, den kommunizierten Schlichtungsinhalten zu folgen und die Intention der SprecherInnen besser erschließen zu können[6], um sich auf dieser Basis ein eigenes Urteil zu bilden. Hierfür formuliert Geißler in der Eingangsrede den Appell an alle DiskutantInnen, keine Fremdwörter (Zeile 274, 275) und keine Abkürzungen (Zeile 278) zu verwenden:
Datum 10: Aufstellen der Verständlichkeitsregel
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Der Verständlichkeitsregel kommt eine doppelte rhetorische Funktion zu: Einerseits inszeniert sich Geißler als Anwalt der RezipientInnen, weil er ihre Bedürfnissen in den Vordergrund stellt und für sie Regeln einfordert. Andererseits verhindert er mit der Verständlichkeitsregel, dass die InteraktantInnen die zu verhandelnden Themen verschleiern, indem sie gesteigerte Verarbeitungsanforderungen an alle Beteiligten stellen oder gar einschüchternd wirken. Das hätte zur Folge, dass die Sachverhalte nicht zufriedenstellend geklärt werden könnten. Darüber beugt Geißler mit der Regel noch zusätzlich unkooperativen Argumentationsstrategien vor. Geißler setzt die Verständlichkeitsregel, im Sinne der ZuhörerInnen, während der Verhandlungen konsequent durch und begründet sie auch gegen Widerspruch, wie im nächsten Transkriptausschnitt illustriert wird. Darin geht es darum, dass Starke (St) eine Fachpräsentation hält und Fachbegriffe, wie 'integraler Taktfahrplan', verwendet. Geißler fordert die Verständlichkeitsregel ein und wird kurz darauf von Gönner (G) dafür gemaßregelt.
Datum 11: Einfordern der Verständlichkeitsregel in der Interaktion gegen Widerstand
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Geißler zeigt sich zugewandt, indem er einen Formulierungsvorschlag macht. Doch gleich im Anschluss (Zeile 18) korrigiert er die Ausdrucksweise von Starke mit dem kategorischen Imperativ des geht nicht (Zeile 18). Er begründet sein sprachliches Handeln im Sinne der leute (Zeile 23), die die Schlichtung verstehen müssen (Zeile 23). Starke ist die Situation anscheinend unangenehm - diesen Eindruck vermittelt vor allem ihre Körpersprache: Denn sie reibt die Hände ineinander, wechselt von einem Bein auf das andere und senkt die Sprechlautstärke. An dieser Stelle bringt sich Gönner ein und zweifelt an, inwiefern das konsequente Umsetzen der Verständlichkeitsregel in der Schlichtungsrunde zweckmäßig ist.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Gönner reformuliert in ihrer Kritik Geißlers Wortlaut einer SACH- (Zeile 57) und FAKtenschlichtung (Zeile 28, 58), womit sie seine in der Eingangsrede gezogene Konklusion zu ihrer Prämisse macht: Nämlich 'das Besprechen von Fakten und Details erfordere Fachvokabular' (Zeile 30-31). Im direkten Anschluss kritisiert sie Geißler für die Unterbrechung von Starke (Zeile 38-44). Um die Kritik abzuschwächen spricht sie Geißler nicht direkt an, sondern weicht auf das Indefinitpronomen man (Zeile 46) aus. Ihren Wunsch formuliert sie mittels des Ersatzkonjunktivs würde (Zeile 45-46) in die Höflichkeitsform einer Bitte um. Allerdings lässt sie beiläufig die indirekte Anschuldigung fallen, dass Geißler die Regel inkonsequent verfolge, weil der Opponent Palmer (Zeile 53-56) und andere auch fachliche Dinge angesprochen haben. Geißler reagiert wie folgt darauf:
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Geißler zeigt sich also unbeeindruckt. Er geht nicht auf die persönliche Kritik ein (Zeile 61) und vertritt unbeirrt die Interessengruppe der ZuschauerInnen vor dem Expertengremium (Zeile 66).
In diesem Punkt sollen Aspekte verdeutlicht werden mit denen Geißler sich als Anwalt der RezipientInnen stilisiert. Zum einen setzt er das um, indem er die Aufklärung der ZuschauerInnen immer wieder als einen zentralen Aspekt der Schlichtungsaufgabe verbalisiert. Zum andern stilisiert er sich durch die Regelvorgabe, die das Verstehen und die Aufklärung der leute fördert, zu deren Interessenvertreter. Zum Anwalt der RezipientInnen wird er insbesondere beim konsequenten Einfordern dieser Regel. Dazu gehören auch rhetorische Verfahren, wie Verständlichkeitsfragen und Reformulierungen komplizierter Sachverhalt, die jedoch unter dem Punkt 'Rhetorische Strategien zur inhaltlichen Konsensfindung' untersucht werden. Dies verdeutlicht, dass die verschiedenen rhetorischen Aspekte, die Geißler kommuniziert in ihrer Funktion nicht trennscharf voneinander zu unterscheiden sind. Vielmehr korrespondieren sie pragmatisch je nach situativer Anforderung miteinander. Eine Feststellung, die auch auf den nächsten Typen der Selbststilisierung Geißlers zutrifft.
4.2.3 Die humorvoll entspannte Autorität
In Datum 2 wurde eine Diskutantenbewertung über Geißler wiedergegeben, in der er als eine charmante, humorvolle und führungsstarke Persönlichkeit charakterisiert wird. Vor der Schlichtung, also bei der Suche nach einem geeigneten Schlichter, wurde Geißler jedoch nicht vorbehaltlos von allen Seiten akzeptiert. Solche konträren Stimmen fordern einen Schlichter, der eine „bundesweit bekannte Autorität“ (Stuttgarter Nachrichten: 29.11.2010b) ist. Die kritischen Stimmen verhallen jedoch während der Schlichtungsgespräche und es sind überwiegend Kommentare im Tenor des Datums 2 zu hören. Daraus ergibt sich die Frage, wie Geißler eine so breite Masse von seiner Autorität überzeugen kann und wie er sich dabei humorvoll, also mit Witz und Charme präsentiert. Aus dieser Frage resultiert wiederum die Annahme, dass noch ein weiterer Typ der Selbststilisierung Geißlers existiert, 'die humorvoll entspannte Autorität'.
Zuerst wird der Begriff 'Autorität' einer genauen Betrachtung unterzogen, um die inhaltlichen Aspekte besser fassen zu können, die mit dieser Typenstilisierung verbunden sind. Wölfle (Datum 2) attribuiert Geißler sinngemäß mit den Worten 'Geißler schafft es, trotz kleiner giftelein, / ernscht bei der sAche zu bleiben, / die Luft raus zunehmeri (Zeile 3 - 10), den konstruktiven Diskurs zu fördern und dadurch Führungsstärke zu demonstrieren. Die Beschreibung impliziert Respekt vor dem, was Geißler innerhalb der Schlichtung leistet. Sie beinhaltet Geißlers informelle Autorität. Das bedeutet, dass sich seine Autorität „auf keinen sozialen Vorrang gründet [sondern] in seiner Persönlichkeit verwurzelt [ist]“ (Psychologisches Lexikon 2011: online). Die formelle Autorität dagegen bezieht Geißler aus seinem Amt als Schlichter. Geißlers Position bedarf entsprechender Anerkennung, die er sich in der Interaktion erwerben muss, um sie dann aufrecht zu erhalten. In diesem Kapitel geht es nun darum, den kommunikativen Stil zu untersuchen, mit dem Geißler seine Autoritätsposition absichert und hält. Dazu wird in Bezug auf das Attribut 'humorvoll entspannt' gezeigt, wie er sich situativ in einem Kontinuum von informellem und formellem Sprachmodus bewegt.
Die rhetorische Funktion der humorvoll entspannten Autorität Geißlers kommt bereits in der Eingangsrede zum Tragen. Gegen Ende seines Monologs stellt er die einzelnen Interessenvertreterinnen und die Themen der ersten Schlichtungssitzung vor. Während Geißler die Sitzungsthemen erläutert, wird es auf der DiskutantInnenseite von Kefer, Gönner und Mappus unruhig. Plötzlich gerät Geißler (G) ins Stocken und blickt irritiert für vier Sekunden in seine Unterlagen. An dieser Stelle setzt nun das nachfolgende Transkript ein (Zwischenrufer (Z)).
[...]
[1] Lakoff und Johnson stellen 1980 in ihrem Buch „Metaphors we live by“ den Zusammenhang des Metaphernfelds zu 'Krieg' in der Argumentation, heraus.
[2] es werden nur die, für diese Arbeit, relevanten Aussagen und ihre Argumente vorgestellt. Diese Informationen können dem Argumentationspapier der Internetseiten von ProStuttgart21 entnommen werden: http://www.prostuttgart-21 .de/index.php/argumente.html
[3] Die Erweiterung des S-Bahn-Netzes schließt unter anderem die Anbindung an den Flughafen und der Regionen im Stuttgarter Landkreis mit ein. Die Konklusion, dass die Mobilität der Bevölkerung mit der Maßnahme erhöht wird gilt auch in diesen Fällen.
[4] Um die Argumentationszüge nachzuvollziehen,wurde auf die Internetseite von K21 zugegriffen. Alle Informationen stammen von: http://www.kopfbahnhof-21.de/
[5] „wenn“ ist hier als Einschränkungsoperator zu verstehen. Es handelt sich um eine Ausnahmebedingung, durch die die Konklusion aufgehoben werden kann (Toulmin 1974: 92f)
[6] Im Sinne der Konversationsmaxime „der Art und Weise“ nach GRICE in AUER (1999: 95)
- Citar trabajo
- Ulrike Ackermann (Autor), 2011, Gesprächslinguistische Argumentationsforschung, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/179229
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