Für Arthur Schnitzler verfügt einzig die Literatur über das Potenzial als „das sprachliche und intellektuelle Medium“, das „Chaos der Singularität“ der zu beschreibenden Welt, wahrheitsgetreu und anschaulich darzustellen, so Wolfgang Riedel. Trotz „Theoriefeindlichkeit und Systemskepsis“ verfolgte Schnitzler mit einer „produktiven Inkonsequenz“ seine eigene Theorie, die sich nicht nur in seiner Motivwahl „Liebe und Tod“ widerspiegelt, sondern auch in seiner oft gewählten Form - der Novelle.
Um Wirkung erzielen zu können, greift Schnitzler immer wieder auf Menschen mit einem „ganz bestimmten existentiellen Habitus“ zurück. Der “ impressionistische Mensch“ ist der Prototyp in Schnitzlers Werken. Einerseits ist er bezeichnend für die Epoche Ende des 19. Jahrhunderts in Wien, andererseits aber auch ein Typus, den er mit „spürbare[r] Betroffenheit“ schildert und an deren Schicksal er Anteil nimmt und so ein „Mit-Leiden“ der Rezipienten ermöglicht. Er beschreibt das Wien seiner Zeit, „ihre Gesellschaftsstruktur und [...] Moralität“, ebenso wie die „zeitenthobenen Bedingungen menschliche[r] Existenz“, die er in
die o.g. Themenkomplexe involviert.
Im Gegensatz zu Freuds Dualismus, der Mensch würde von einem Lebens- sowie einem Todestrieb regiert, sieht Schnitzler die dominierenden Gegenpole in Liebe und Hass. „Wie es hysterische Liebe gibt, so gibt es auch hysterischen Haß, […].“ Diese beiden elementaren Überlebenstriebe und deren Erschütterung führt Schnitzler in der Novelle „Sterben“ aus.
Schnitzlers Frühwerk „Sterben“ (1892), erstmals erschienen in der Frankfurter Rundschau 1894, ist keine „bloße Krankengeschichte eines jungen Mannes“, nicht eine Geschichte über den Bedeutungsgewinn des Lebens durch den Tod, sondern auch „die Geschichte einer Liebesbeziehung“, quasi ein „Anti-Tristan“ wie William H. Rey es nannte. Es ist die „Zerstörung eines Mythos“, in dem der Tod nicht mehr einer „romantischen Glorifizierung“ unterliegt; der Tod ist „ungeistlich[er]“, das Sterben quälend und die Angst vor dem Tod übermächtig.
Die vielschichtigen Auslegungen, die diesen „langsamen und zermürbenden Verfallsprozeß“ begleiten, werden in dieser Hausarbeit analysiert.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Die Novelle „Sterben" - Handlung, Erzählweise und Symbole
- Erzähltechnik und Erzählperspektive
- Die Fenster - und Lichtthematik
- Die Kapiteleinteilung und die Jahreszeiten
- Die Problemfelder
- Das Rollenverhältnis
- Das Ärzteverhalten
- Keine Ästhetik des Sterbens
- Fazit
- Literaturverzeichnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Hausarbeit analysiert Arthur Schnitzlers Novelle „Sterben" (1892) und befasst sich mit den komplexen Beziehungen zwischen Liebe, Tod und dem „Willen zum Leben" im Kontext der Erzählung. Die Arbeit untersucht die Erzählweise, die Figurenkonstellation, die Symbole und die Darstellung des Sterbeprozesses sowie die kritische Auseinandersetzung mit dem Ärzteverhalten und der Abwesenheit einer Ästhetik des Sterbens.
- Die Verkettung von Liebe, Tod und dem „Willen zum Leben"
- Die besondere Erzähltechnik Schnitzlers, insbesondere der Wechsel zwischen auktorialem Bericht, innerem Monolog und erlebter Rede
- Die Rolle der Fenster- und Lichtthematik als Symbole für die Grenze zwischen Leben und Tod
- Die kritische Auseinandersetzung mit der Darstellung des Ärzteverhaltens und der mangelnden humanistischen Sterbebegleitung
- Die Abwesenheit einer ästhetischen Verklärung von Sterben und Tod, im Gegensatz zu den gängigen Todesthematisierungen der literarischen Moderne um 1900
Zusammenfassung der Kapitel
Die Novelle „Sterben" erzählt die Geschichte des todgeweihten Felix, seiner Geliebten Marie und dessen Freund und Arzt Alfred. Die Handlung folgt einer mathematisch berechneten Anordnung, die sich in der Kapiteleinteilung und den Jahreszeiten widerspiegelt. Felix' verbleibende Lebenszeit beträgt nur wenige Monate von Frühlingsende bis Herbstanfang.
Die Hauptfiguren entwickeln unterschiedliche Bewältigungsstrategien im Angesicht des Todes. Marie, die zunächst bereit ist, mit Felix zu sterben, entwickelt einen immer stärkeren Lebenswillen und distanziert sich zunehmend von ihrem Geliebten. Felix hingegen sieht sich in einer Opferrolle und klagt über seine Angst vor dem Tod. Die Beziehung zwischen Felix und Marie zerfällt in eine Atmosphäre von Isolation, Beziehungslosigkeit und gegenseitig wachsender Abscheu.
Schnitzler kritisiert das Ärzteverhalten in der Novelle. Der wissenschaftlich ausgerichtete Professor Bemard verkörpert eine todverkündende Vatergestalt, die den Patienten mit der vermeintlichen Wahrheit konfrontiert, ohne ihm seelische Unterstützung zu bieten. Alfred, der befreundete Arzt des Kranken, ist hingegen hilflos und passiv. Schnitzler stellt die Machtlosigkeit der Ärzte im Angesicht des Todes und die Unfähigkeit, den Sterbenden humanistisch zu begleiten, in den Vordergrund.
Die Novelle „Sterben" zeichnet sich durch die Abwesenheit einer ästhetischen Verklärung von Sterben und Tod aus. Schnitzler schildert die „Realität des Sterbens" in all ihrer Härte und Schmerzhaftigkeit. Die romantische Vorstellung eines gemeinsamen Liebestodes wird unterhöhlt und Felix' eingebildete Heldenrolle im Angesicht des Todes wird entlarvt.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen den „Willen zum Leben", die Verkettung von Liebe und Tod, die Erzähltechnik Arthur Schnitzlers, die Symbole Fenster und Licht, die Kritik am Ärzteverhalten und die Abwesenheit einer Ästhetik des Sterbens. Die Novelle „Sterben" stellt die komplexen Beziehungen zwischen Menschen in einer außergewöhnlichen Lebenssituation dar und hinterfragt die gesellschaftlichen und individuellen Bewältigungsstrategien im Angesicht des Todes.
- Citation du texte
- Eva-Christiane Schwippert (Auteur), 2011, Der Wille zum Leben in Arthur Schnitzlers Novelle „Sterben“, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/178438
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