Was ist ein Wert? Woher kommt er? Wie können wir diesen erfahren? - Der Aufsatz versucht in aller Kürze einen Einstieg in die materiale Wertethik von Max Scheler und Nicolai Hartmann zu geben, um im direkten Anschluss daran, diese beiden Wetsysteme kritisch zu sichten.
1.0. Einleitung
Einen akribischen Versuch, eine Ethik ohne Formalismus -ganz im Gegensatz zu Kant- aufzustellen, versuchte Max Scheler.[1] Sein Hauptwerk nannte er “Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik”. In diesem Opus bekennt er:
“Es sei die Ethik Kants - und keines anderen Philosophen-, die bis heute das Vollkommenste darstellt, was wir ... in Form strenger wissenschaftlicher Einsicht an philosophischer Ethik besitzen”.[2]
Untersuchen wir sein System auf Grund seines Werkes eingehender. Des Öfteren werden wir auch die Ethik Nicolai Hartmanns heranziehen müssen, denn sie baut bewusst “auf den Fundamenten der materialen Wertethik als der bahnbrechenden Einsicht der neueren Ethik seit Kant” auf.[3]
Es dürfte nicht leicht sein, das Schelersche System einwandfrei darzustellen. Dennoch scheint es im Interesse der Sache zu sein, es in streng logischem Aufbau darzulegen. In folgender Weise soll vorgegangen werden:
1. Wir sind inmitten einer Welt der Werte; was ist das Wesen des Wertes?
2. Wie erkennen wir, wie erfassen wir den Wert?
3. Wenn man die Werte untereinander vergleicht, so wird man konstatieren können, dass eine gewisse Rangordnung existiert; darum sprechen wir in der Schelerschen Ethik von der: Hierarchie der Werte.
1.1. Das Wesen des Wertes
„Die Gleichsetzung von Werten und platonischen Ideen ist bei Hartmann ausdrücklich vollzogen. Die Vermittlung zwischen realer Seins- und idealer Wertsphäre geschieht über die Person. Denn es ist das Wesen der menschlichen Person, Bürger zweier Welten zu sein: der realen Welt, die einer unverbrüchlichen ontologischen Gesetzmäßigkeit untersteht, und der Wertwelt, für deren Sollensforderungen sie hellhörig ist. Nur über den Einsatz der Person können Werte realisiert werden.“[4]
Wert bei Scheler meint zunächst nicht “Güter- und Zweckethik”.[5] Denn Scheler ist sich mit Kant in der Abweisung des Eudaimonismus vollständig einig. Er betont deutlich, dass nach seiner Theorie “Lust nie und nimmer ein Wert”[6] sein könne. Außerdem “Werte haben nicht ursprünglich den Charakter von Gesetzen ... sind nicht leere, abstrakte Formen”.[7]
“Alle Werte sind Qualitäten ... und dies unabhängig von der Seinsform.”[8] Damit haben wir die beiden Grundkomponenten des Wertbegriffs kennen gelernt:
1. Qualität
2. Unabhängigkeit vom Sein, hinzufügen können wir noch: und vom Denken.
1.1.1. Qualität
Gegenstände sind uns in der Welt gegeben; einige von ihnen sind Güter. “Erst in zweiter Linie” sind uns “die Werte, die wir in ihnen fühlen” gegeben.[9] Die Wertqualität ist nun kein reales, sondern ein ideales Gebilde.[10] Scheler stellt die Sachlage wie folgt dar: Gewisse Namen geben das Inhaltliche z.B. von Farben an.
“So wenig aber die Farbennamen auf bloße Eigenschaften von körperlichen Dingen gehen, so wenig gehen auch die Namen für Werte auf bloße Eigenschaften der dinglich gegebenen Einheiten, die wir Güter nennen.”[11]
Es gibt selbst Wertqualitäten des “sinnlich Angenehmen”, die auf den ersten Blick mit dem Gegenstand eins zu sein scheinen, die aber dennoch für sich erfasst werden können; so z.B. gewisse Arten des Wohlgeschmacks. Daraus folgt, dass die materiale Wertethik den notwendigen Zusammenhang von Qualität und dazu gehöriger Quantität verwirft; ferner lehrt sie, dass der Wert die Materie “überbaut, überlagert”, ihr den “Schimmer eines Sinnes, einer Bedeutung höherer Ordnung verleiht”[12]. Sie fasst die Wertqualität als ein in sich stehendes Sein. Wenn man z.B. einige Früchte (Aprikose, Pfirsich) genießt, so ist der Wohlgeschmack bei jeder einzelnen Frucht “von dem der anderen qualitativ verschieden ... Die Wertqualitäten, die das sinnlich Angenehme in diesen Fällen besitzt, sind echte Qualitäten des Wertes selbst.”[13] Demnach haben wir im Wert ein Objekt, welches nicht durch Quantitas externa erkennbar ist, da es eben kein Gegenstand der Sinne ist. Nicht der Zuckergehalt des Pfirsichs z.B. ist der Wert im Schelerschen Sinn, sondern der Wert ist das sinnlich Angenehme selbst, das der Pfirsich hat.
Stellen wir uns nun folgende Frage: Welche Seinsart hat nun der Wert?
Nach dem zuvor Gesagten kann er nie ein reales Objekt sein, mit anderen Worten: gegeben ist einfachhin “die Wirklichkeit”[14], welche natürlich auch ihre realen Qualitäten trägt; außer diesen aber ist noch ein anders geartetes Akzidenz, eine Qualität vorhanden, z.B. der Wohlgeschmack. Scheinbar ist diese Wertqualität aufs engste mit der Wirklichkeit selbst verknüpft, ja in der gesamten Wirklichkeit liegt das Fundament des Wertes selbst.
N. Hartmann führt dazu aus:
“Materie und Wertcharakter decken sich nicht. Materie ist nur das inhaltliche Gebilde, das den Wertcharakter hat.”[15] So ist es auch möglich, dass Werte “für sich gedacht werden können”[16], wenngleich sie “erst an Güter ... wirklich” werden. Demnach sind Werte rein “ideale Gebilde, wie auch die Farben und Tonqualitäten solche sind”[17] Dass Werte bereits “als Wertphänomene echte Gegenstände darstellen, die von allen Gefühlszuständen verschieden sind”[18], bedarf nach dem Gesagten keiner näheren Explikation. Der Seinsweise nach sind Werte “Platonische Ideen”.[19] Selbstverständlich bleibt das innerste Sein des Wertes im Dunkeln, dies schildert Hartmann ganz und gar offen: “Werte sind Wesenheiten”, d. h. dasjenige, “wodurch alles an ihnen Teilhabende so ist, wie es ist, nämlich wertvoll”.[20]
Scheler führt in seinem Formalismus aus: “Werte solcher Art sind nicht definierbar”[21] weiterhin: “definierbar ist hier natürlich nichts, wie bei allen letzten Wertphänomenen”.[22]
N. Hartmann bestärkt lediglich Schelers Ansicht, wenn er betont: “Das Gute ist nicht definierbar, genau genommen sind freilich alle Werte nicht definierbar”[23], weiterhin: “das Wertvollsein ist etwas nicht weiter zurückführbares”[24].
1.1.2. Unabhängigkeit
Kurz wurde bereits die relative Selbständigkeit der Werte hervorgehoben; möglich ist es, dass sie “für sich gedacht werden”[25]. Sie werden von dem Gegenstand irgendwie logisch abstrahiert, denn dieser gibt durch seine Eigenschaften das Fundament zur Bildung derselben. Tatsache ist es, “dass im Fühlen des Wertes er selbst als von seinem Gefühl verschieden gegeben ist und darum das Verschwinden des Fühlens sein Sein nicht aufhebt”[26]. Werte sind eben, auch was Selbständigkeit angeht, “Platonische Ideen”[27]. Dennoch muss daran festgehalten werden: Werte entstehen erst durch lebendige, geistige Akte. Wenn Gegenstände allein vorhanden wären, so wären mit diesen und durch diese Werte noch nicht gegeben. Scheler äußert sich klar und eindeutig dazu:
“Überhaupt muss ich einen von Wesen und völligem Vollzug lebendiger, geistiger Akte ganz “unabhängig” bestehen sollenden Ideen- und Werthimmel - unabhängig nicht nur von Menschen und menschlichem Bewusstsein, sondern vom Wesen und Vollzug eines lebendigen Geistes überhaupt - prinzipiell schon von der Schwelle der Philosophie zurückweisen.”[28]
[...]
[1] „Gehört zu den bedeutendsten akademischen Lehrern der Philosophie nach dem Ersten Weltkrieg. Versucht aus katholischem Geist heraus einen phänomenologisch erneuerten Augustinismus“, zit. aus: W. Härle, H. Wagner, Theologenlexikon, Marburg 1986, S. 207.
[2] M. Scheler, Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik, Halle 1927, S. V f.
[3] a.a.O., S. XVI.
[4] Wolfgang Stegmüller, Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie, Stuttgart 1960, S. 275.
[5] M. Scheler, Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik, Halle 1927, S. 4f.
[6] a.a.O., S. 257.
[7] N. Hartmann, Ethik, Leipzig und Berlin 1936, S. 106.
[8] M. Scheler, Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik, Halle 1927, S. 121.
[9] a.a.O., S. 55.
[10] a.a.O., S. 16 und N. Hartmann, Ethik, Leipzig und Berlin 1936, S. 106.
[11] M. Scheler, Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik, Halle 1927, S. 7.
[12] N. Hartmann, Ethik, Leipzig und Berlin 1936, S. 134.
[13] M. Scheler, Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik, Halle 1927, S. 8.
[14] A. Messer, Deutsche Wertphilosophie der Gegenwart, Leipzig 1926, S. 5.
[15] N. Hartmann, Ethik, Leipzig und Berlin 1936, S. 133.
[16] A. Messer, Deutsche Wertphilosophie der Gegenwart, Leipzig 1926, S. 5.
[17] M. Scheler, Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik, Halle 1927, S. 14.
[18] a.a.O., S. 14.
[19] N. Hartmann, Ethik, Leipzig und Berlin 1936, S. 136.
[20] ebd.
[21] M. Scheler, Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik, Halle 1927, S. 8.
[22], a.a.O., S. 10.
[23] N. Hartmann, Ethik, Leipzig und Berlin 1936, S. 133.
[24] a.a.O., S. 340.
[25] A. Messer, Deutsche Wertphilosophie der Gegenwart, Leipzig 1926, S. 5.
[26] M. Scheler, Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik, Halle 1927, S. 55, vgl. S. 250.
[27] N. Hartmann, Ethik, Leipzig und Berlin 1936, S. 136.
[28] M. Scheler, Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik, Halle 1927, S. XIX.
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