Georg Simmel (1858-1918) zählt, obwohl er von Hause aus Philosoph war, zu den bedeutendsten Klassikern der modernen Soziologie und sein Schaffen erlangte internationale Aufmerksamkeit. Als Privatdozent an der Berliner Universität zog er die Hörerschaft durch Bezüge zu alltagsrelevanten Zusammenhängen und seine Analysen zeitgeschichtlicher Sachverhalte an.
In seinem Werk, das mehr als 20 Bücher und über 300 Aufsätze umfasst, erscheint Simmel als hervorragender Kantphilologe und Dante-Kenner und generell werden seine breit gefächerten Interessensgebiete ersichtlich und seine Einflüsse sind in den unterschiedlichsten Fachbereichen zu finden. Durch seine Detailgenauigkeit und Abhandlungen über alltägliche, scheinbar banale Dinge, wie z.B. den Brief oder auch nur den Henkel einer Vase gilt er als der Begründer der Alltagssoziologie.
Simmels Bestreben war es, die Berechtigung der Soziologie als eigenständige Wissenschaft zu verteidigen, wobei er sich hier hauptsächlich auf Einwände des Philosophen Wilhelm Dilthey stützt, welcher in seiner "Einleitung in die Geisteswissenschaften" (1883) die Soziologie als „gigantische Traumidee“ abtut. Simmel geht auf das Problem methodologisch zu und möchte die eigentlich naturwissenschaftliche Methode des Erklärens auch in der Soziologie als anwendbar zeigen und außerdem das Kollektive im Gegensatz zu Diltheys individualistischem Realismus hervorheben.
Aus erkenntnistheoretischer Sicht wurde es nun seit der Einleitung in die Geisteswissenschaft notwendig, aufbauend auf Kants Kategorien für die (naturwissenschaftliche) Erkenntnis, die Bedingungen der Möglichkeit des historischen Erkennens zu erfassen. Dieser Frage widmet sich Simmel in seinem 1892 erstmals erschienenen Buch "Probleme der Geschichtswissenschaft", in dem er unter anderem auch die „Theorie des historischen Erkennens“ beschreibt, die im Folgenden näher erläutert werden soll. Dabei soll jedoch die Auseinandersetzung mit Dilthey nicht außer Acht gelassen werden.
Inhalt
Einführung
Die Theorie des historischen Erkennens
- Erleben und Erkennen
Simmel, Dilthey und der Historismus
Literatur
Einführung
Georg Simmel (1858-1918) zählt, obwohl er von Hause aus Philosoph war, zu den bedeutendsten Klassikern der modernen Soziologie und sein Schaffen erlangte internationale Aufmerksamkeit. Als Privatdozent an der Berliner Universität zog er die Hörerschaft durch Bezüge zu alltagsrelevanten Zusammenhängen und seine Analysen zeitgeschichtlicher Sachverhalte an. In seinem Werk, das mehr als 20 Bücher und über 300 Aufsätze umfasst, erscheint Simmel als hervorragender Kantphilologe und Dante-Kenner und generell werden seine breit gefächerten Interessensgebiete ersichtlich und seine Einflüsse sind in den unterschiedlichsten Fachbereichen zu finden. Durch seine Detailgenauigkeit und Abhandlungen über alltägliche, scheinbar banale Dinge, wie z.B. den Brief oder auch nur den Henkel einer Vase gilt er als der Begründer der Alltagssoziologie.
Simmels Bestreben war es, die Berechtigung der Soziologie als eigenständige Wissenschaft zu verteidigen, wobei er sich hier hauptsächlich auf Einwände des Philosophen Wilhelm Dilthey stützt, welcher in seiner Einleitung in die Geisteswissenschaften (1883) die Soziologie als „gigantische Traumidee“[1] abtut. Simmel geht auf das Problem methodologisch zu und möchte die eigentlich naturwissenschaftliche Methode des Erklärens auch in der Soziologie als anwendbar zeigen und außerdem das Kollektive im Gegensatz zu Diltheys individualistischem Realismus hervorheben.
Aus erkenntnistheoretischer Sicht wurde es nun seit der Einleitung in die Geisteswissenschaft notwendig, aufbauend auf Kants Kategorien für die (naturwissenschaftliche) Erkenntnis, die Bedingungen der Möglichkeit des historischen Erkennens zu erfassen. Dieser Frage widmet sich Simmel in seinem 1892 erstmals erschienenen Buch Probleme der Geschichtswissenschaft, in dem er unter anderem auch die „Theorie des historischen Erkennens“ beschreibt, die im Folgenden näher erläutert werden soll. Dabei soll jedoch die Auseinandersetzung mit Dilthey nicht außer Acht gelassen werden.
Die Theorie des historischen Erkennens
- Erleben und Erkennen -
Georg Simmels „Theorie des historischen Erkennens“ findet sich in seinem Buch Die Probleme der Geschichtsphilosophie mit dem Untertitel Eine erkenntnistheoretische Studie, das erstmals 1892 und dann in etwas abgewandelter Form in zweiter Auflage 1905 veröffentlicht wurde. Ging er zunächst noch von der Psychologie als Apriori der Geschichtswissenschaft auf, was Diltheys Ansätzen sehr nahe kommt, so wendet sich Simmel in der überarbeiteten Auflage vom psychologischen Aspekt ab und orientiert sich unter anderem an Kants Konstitutionsthese und der Trennung von Logik und Psychologie nach Husserl. Psychologie und Geschichte werden jetzt konkret unterschieden.
Die These der Theorie des historischen Erkennens liegt nun darin, dass die Voraussetzung des historischen Erkennens ein Subjekt ist, von der die Geschichte getragen wird. Geschichte ist durch ihre zeitliche Vergangenheit ein eigener Wirklichkeitsbereich, sie kann nicht unmittelbar und naturhaft erlebt oder „nacherlebt“ werden, sondern sie kann lediglich anhand bestimmter Mittel und Formen, wie beispielsweise die Sprache, gewissermaßen subjektiv nachvollzogen werden.
Das Apriori der Geschichte ist laut Simmel die „Einheit der Persönlichkeit“, d.h. diese macht Geschichte erst möglich. Die Einheit der Persönlichkeit meint eine Grundform mittels derer vom Bekannten auf Unbekanntes geschlossen werden kann. Dabei handelt es sich um eine Konstruktion, die Unbekanntes hypothetisch so ausbaut und ergänzt, sodass bekannte Strukturen wieder zu erkennen sind. Der Mensch an sich ist ein Ganzes und sein Körper und Geist sind nicht getrennt, von der individuellen Beschaffenheit abgesehen, verfügt aber dennoch jedes Individuum über ein allgemeines Potential, eine „Sozialseele“, die auf alle Menschen übertragbar ist. Insofern kann man eine unbekannte Person anhand bekannter Merkmale als Mensch definieren und erkennen.
Die Einheit der Persönlichkeit ist laut Simmel der leitende Aspekt der Geschichtsforschung. Genauso, wie jede andere Wissenschaft ebenfalls ihre eigenen Aprioris hat, ist sie die vorausgesetzte Methode zur wissenschaftlichen Untersuchung der Geschichte.
Voraussetzung zum Verständnis der Theorie des historischen Erkennens ist eine grundsätzliche Differenzierung zwischen Erlebniswirklichkeit und Erkenntnisform. Zwischen Erleben und Erkennen liegt in Bezug auf die Geschichtlichkeit die Spanne zwischen subjektiver Wirklichkeit und objektivierter Form.
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[1] Nach: Dahme 1987, S.33
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- Iris Baumgärtel (Author), 2002, Georg Simmels Theorie der Erkenntnis unter dem Einfluss Diltheys, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/17809
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