Übergewicht und Adipositas werden in den europäischen Industrieländern mehr und mehr zu einem Problem. Waren bis vor einigen Jahren hauptsächlich Erwachsene betroffen, so steigt seit zehn Jahren auch die Anzahl übergewichtiger und adipöser Kinder und Jugendlicher. Mittlerweile hat sie bereits epidemische Ausmaße erreicht (vgl. Kurth & Schaffrath-Rosario, 2007, S. 736). In Amerika ist es bereits seit Langem ein nicht zu verleugnendes Thema, weil im „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ ein Großteil der Bevölkerung einen zu hohen Body-Mass-Index hat. Dieser wird im folgenden Kapitel ausführlich beschrieben und erläutert. So gelten 60 % der US-Amerikaner zurzeit als übergewichtig oder adipös, was im Jahr 2005 zu Behandlungskosten von 75 Milliarden Dollar führte. Zudem schätzt die US-amerikanische Gesundheitsbehörde, dass seit jenem Jahr erstmals mehr Menschen an den Folgeerkrankungen von Adipositas sterben als an Zigaretten (vgl. Nething, Stroth, Wabitsch, Galm, Rapp, Brandstetter, Berg, Kresz, Wartha & Steinacker, 2006, S. 42). Auch in Deutschland haben solche besorgniserregenden Zahlen ihre Spuren hinterlassen. Seit einigen Jahren wird versucht, über verschiedene Präventions- sowie Therapiemaßnahmen die Ausbreitung von (extremem) Übergewicht zu verhindern oder wenigstens einzudämmen. Es ist jedoch schwierig, Adipositas effektiv zu behandeln, sobald sie einmal aufgetreten ist (vgl. Danielzik, Landsberg, Pust & Müller, 2007, S. 161). Daher kommt der Prävention eine besondere Bedeutung bei der Erreichung des Ziels zu, das extreme Übergewicht einzudämmen. Auch in Deutschland hat die Behandlung von Adipositas bereits enorme Kosten verursacht, was die Prävention umso wichtiger macht.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Definition und Methoden
3 Prävalenz von Adipositas
4 Ursachen von Adipositas
4.1 Bewegungsmangel mit langfristiger positiver Energiebilanz
4.2 Ernährungsgewohnheiten
4.3 Genetische Gründe
4.4 Soziale Gründe
4.4.1 Sozio-ökonomischer Status
4.4.2 Vorbildfunktion der Eltern und ihre Erziehungsmaßnahmen
4.4.3 Rauchen der Mutter während der Schwangerschaft
4.5 Soziostrukturelle Faktoren
4.5.1 Bewegungsangebote in der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen
4.5.2 Werbung
4.6 Psychische Gründe
5 Gesundheitliche Folgen von Adipositas
6 Präventionsmaßnahmen in der Schule
6.1 Bewegungsangebote in der Schule
6.1.1 Sportunterricht
6.1.2 Nachmittagsbetreuung
6.1.3 Projekt „Walking Bus“
6.2 Ernährung in der Schule
6.3 Projekt „Robuste Kids“
7 Zusammenfassung und Ausblick
Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Übergewicht und Adipositas werden in den europäischen Industrieländern mehr und mehr zu einem Problem. Waren bis vor einigen Jahren hauptsächlich Erwach- sene betroffen, so steigt seit zehn Jahren auch die Anzahl übergewichtiger und adipöser Kinder und Jugendlicher. Mittlerweile hat sie bereits epidemische Ausma- ße erreicht (vgl. Kurth & Schaffrath-Rosario, 2007, S. 736). In Amerika ist es bereits seit Langem ein nicht zu verleugnendes Thema, weil im „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ ein Großteil der Bevölkerung einen zu hohen Body-Mass-Index hat. Dieser wird im folgenden Kapitel ausführlich beschrieben und erläutert. So gelten 60 % der US-Amerikaner zurzeit als übergewichtig oder adipös, was im Jahr 2005 zu Behandlungskosten von 75 Milliarden Dollar führte. Zudem schätzt die US- amerikanische Gesundheitsbehörde, dass seit jenem Jahr erstmals mehr Men- schen an den Folgeerkrankungen von Adipositas sterben als an Zigaretten (vgl. Nething, Stroth, Wabitsch, Galm, Rapp, Brandstetter, Berg, Kresz, Wartha & Stei- nacker, 2006, S. 42). Auch in Deutschland haben solche besorgniserregenden Zah- len ihre Spuren hinterlassen. Seit einigen Jahren wird versucht, über verschiedene Präventions- sowie Therapiemaßnahmen die Ausbreitung von (extremem) Über- gewicht zu verhindern oder wenigstens einzudämmen. Es ist jedoch schwierig, Adipositas effektiv zu behandeln, sobald sie einmal aufgetreten ist (vgl. Danielzik, Landsberg, Pust & Müller, 2007, S. 161). Daher kommt der Prävention eine beson- dere Bedeutung bei der Erreichung des Ziels zu, das extreme Übergewicht einzu- dämmen. Auch in Deutschland hat die Behandlung von Adipositas bereits enorme Kosten verursacht, was die Prävention umso wichtiger macht. Darauf wird zu Be- ginn des sechsten Kapitels noch näher eingegangen.
Das Thema dieser Arbeit lautet Adipositas im Kindes- und Jugendalter: Präven- tionsma ß nahmen in der Schule. Es wird die Frage beantwortet, in welcher Weise die Schule zur Prävention beitragen kann. Hierzu wird zunächst im zweiten Kapitel erläutert, was man unter Adipositas versteht und welche Methoden es gibt, um sie zu bestimmen. Dadurch werden die Grundlagen für das Verständnis des weiteren Verlaufs der Arbeit gelegt. An die „Definition und Methoden“ schließt sich in Kapitel drei die „Prävalenz von Übergewicht und Adipositas“ an. Hier wird erläutert, in wel- chem Ausmaß ein zu hohes Körpergewicht bei Kindern und Jugendlichen auftritt. Der Teil verdeutlicht die Bedeutung der Prävention in der heutigen Zeit, vor allem bei Heranwachsenden. Im Anschluss daran, werden die verschiedenen Ursachen von Adipositas vorgestellt und detailliert erklärt. Von besonderer Bedeutung sind in diesem Zusammenhang eine zu geringe körperliche Aktivität, die Ernährungsge- wohnheiten der Kinder und Jugendlichen sowie die sozialen Gründe, bei denen der sozio-ökonomische Status eine wichtige Rolle spielt. Die Ursachen zeigen deutlich auf, in welchen Bereichen eine weitreichende und möglichst allumfassende Vor- beugung ansetzen müsste. Nachdem die Ursachen erläutert wurden, werden im fünften Kapitel die gesundheitlichen Folgen, die eine Adipositas nach sich ziehen kann, vorgestellt und erörtert. Auch sie heben die Bedeutung der Prävention her- vor. In der Schule sind die Möglichkeiten hierfür geringer einzustufen als im klini- schen Bereich, da sich die verwendeten Maßnahmen immer auf eine Klasse, also auf eine Mehrzahl von Personen, beziehen und das Individuum nicht in gleichem Maße berücksichtigt werden kann wie in einer speziellen Therapie (vgl. Graf, 2007, S. 118). Dennoch macht eine schulische Prävention gegen extremes Übergewicht durchaus Sinn. Die Gründe und Verfahren werden im sechsten Kapitel dargelegt. In der Literatur findet sich eine Vielzahl an Methoden, mit denen der Adipositas vor- beugend begegnet werden kann. Sie alle darzustellen, würde jedoch den Rahmen dieser Arbeit übersteigen. Aus diesem Grund beinhaltet Kapitel sechs eine redu- zierte, aber dennoch aussagekräftige und effektive Auswahl an Maßnahmen. Sie beziehen sich auf die Bewegungsangebote und die Ernährung in der Schule; letzte- re beinhaltet auch den Bereich der Ernährungslehre. Eine Zusammenfassung und ein Ausblick beschließen die Arbeit.
2 Definition und Methoden
Es gibt unterschiedlich formulierte Definitionen von Adipositas, sie alle haben je- doch einen Aspekt gemeinsam - den erhöhten Fettanteil an der Gesamtkörper- masse. Im Folgenden werde ich drei Definitionen von verschiedenen Autoren dar- legen, um einen Eindruck zu vermitteln, was sich hinter dem Begriff „Adipositas“ verbirgt.
Bei Lawrenz (2005, S. 10) wird Adipositas als ein „übermäßiger Fettanteil an der Körpermasse verstanden“.
Reinehr (2007, S. 3) definiert den Begriff als „einen erhöhten Körperfettanteil an der Gesamtkörpermasse“.
Eine dritte Definition entstammt dem medizinischen Bereich, ähnelt jedoch den beiden vorherigen.
Von Adipositas (Fettsucht) oder Fettleibigkeit, spricht man, wenn sich das Körperfett über das Normalmaß hinausgehend vermehrt und sich so das Körpergewicht erhöht. Der Übergang von Normalgewicht zu Adipositas wird als Übergewicht bezeichnet“ (Onmeda Redaktion, 2009, par.1).
Es lässt sich festhalten, dass Adipositas dann vorliegt, wenn der Körperfettanteil eines Mensch bezogen auf seine Körpermasse, vereinfacht ausgedrückt sein Gewicht, zu hoch ist. Die einfachste Beschreibung von Adipositas ist starkes oder extremes Übergewicht.
Es gibt verschiedene Methoden, um Übergewicht und Adipositas zu messen. Die gängigste ist die Bestimmung des Body-Mass-Index (BMI), der wie folgt gebildet wird: BMI = Körpergewicht (kg) / Körperlänge (m2 ).
Im Erwachsenenalter ist der BMI eine ausreichende Art, um Übergewicht und Adi- positas zu bestimmen. Ein Übergewicht liegt hier ab einem BMI von mehr als 25 kg/m2 vor (vgl. Schmidt, 2008, S. 107). Bei Adipositas können drei verschiedene Grade unterscheiden werden. Der erste Grad liegt bei einem BMI von 30-34,5 kg/m2. Bei Grad II besteht ein BMI von 35-39,5 kg/m2. Menschen, die unter dem dritten Schweregrad von Adipositas leiden, haben einen BMI von 40 kg/m2 und höher (vgl. Onmeda Redaktion, 2009, par. 3).
Für das Kindes- und Jugendalter sind die reinen BMI-Werte jedoch nicht genug, da sich die Körperproportionen und der Fettanteil in diesen Lebensphasen noch ver- ändern (vgl. Lawrenz, 2005, S. 10). Aus diesem Grund wird der Body-Mass-Index bei Kindern und Jugendlichen in alters- und geschlechtsspezifischen Perzentilen angegeben. Zudem wird auf diese Weise in Deutschland eine einheitliche Definition erreicht (vgl. Reinehr, 2003, S. 3; AGA, 2005, par. 3). Perzentile drücken Prozent- angaben bzgl. des Auftretens von körperlichen Merkmalen, wie z.B. Größe oder Geschlecht, innerhalb einer Personengruppe aus. Befindet sich ein Kind mit seiner jeweiligen Körpergröße auf dem 60. Perzentil, so bedeutet dies, dass 40 % der Gleichaltrigen größer und 60 % kleiner sind. Beim Körpergewicht ist es das gleiche. Die Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindes- und Jugendalter (AGA) hat sich darauf geeinigt, Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen auf das 90. Perzentil festzulegen. Erreicht ein Kind also diese Perzentile, so gilt es als übergewichtig. Die 97. Perzentile legt die Grenze zur Adipositas fest. Ab der 99,5 Perzentile liegt eine extreme Adipositas vor (vgl. AGA, 2009, par. 3). Kinder und Jugendliche sind also dann übergewichtig, wenn sie schwerer sind als 90 Prozent der Gleichaltrigen, und adipös bei einem Gewicht höher als das von 97 Prozent der anderen Kinder und Jugendlichen in diesem Alter.
Die AGA hat Perzentilkurven für den Body-Mass-Index sowohl für Mädchen als auch für Jungen im Alter von 0-18 Jahren festgelegt (s. Abb. 1, S. 4). Die Grafik ist ]dem Text von Reinehr (2005, S.4) entnommen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1. BMI-Perzentilen für deutsche Mädchen und Jungen
Anhand der Kurven lässt sich ablesen, zu welcher Perzentile ein Mädchen oder Junge mit einem bestimmten BMI gehört und ob es oder er unter-, normal-, über- gewichtig oder sogar schon adipös ist. Ein Junge mit einem BMI von 20 wäre im Al- ter von sieben Jahren bereits adipös, mit 18 Jahren jedoch normalgewichtig. Der Vorteil der BMI-Bestimmung liegt darin, dass der Body-Mass-Index eine erhöh- te Körperfettmasse relativ genau vorhersagen kann. Das liegt u.a. an den kleinen Messfehlern, die bei der Bestimmung auftreten können (vgl. Reinehr & Wabitsch, 2006, S. 10). Der BMI birgt jedoch auch Nachteile. Er ist bei Kindern, die hoch- oder kleinwüchsig sind oder eine chronische Krankheit haben, ungenau. Das glei- che gilt für Kinder mit frühzeitiger oder verzögerter Pubertätsentwicklung (vgl. ebd.).Bei einer verzögerten Pubertätsentwicklung ist zunächst das Längenwachstum vermindert (vgl. Leidenberger, Strowitzki & Ortmann, 2009, S. 329), so dass eine geringere Körpergröße vorliegt. Eine geringere Körpergröße bedeutet bei der BMI-Bestimmung jedoch einen kleineren Divisor und somit einen höheren BMI. Neben der Berechnung des Body-Mass-Index gibt es noch weitere anthropometrische Parameter, mit denen die Körperfettmasse abgeschätzt werden kann. So ist es auch möglich den Taillen- und Hüftumfang oder die Hautfaltendicke zu messen (vgl. Reinehr et al. 2006, S. 8). Die Ergebnisse, die dabei ermittelt werden, haben ebenfalls hohe Aussagekraft bei der Bestimmung von Normal- und Übergewicht oder von Adipositas. Sie sind jedoch aufwändiger als die Berechnung des BMI, die sehr schnell durchgeführt werden kann. Aus diesem Grund wird auch häufiger der BMI bei der Bestimmung der Körperfettmasse verwendet.
Dieses Kapitel beschäftigte sich mit der Erläuterung des Begriffs „Adipositas“. Es wurden einige Definitionen vorgestellt und auf die Verwendung von alters- und geschlechtsspezifischen BMI-Perzentilen im Kindes- und Jungendalter hingewiesen. Bevor im Weiteren auf die Ursachen von Adipositas eingegangen wird, behandelt das nächste Kapitel zunächst die Prävalenz von Adipositas in den erwähnten Lebensphasen. Dadurch wird verdeutlicht, wie aktuell das Problem der Fettsucht bei Kindern und Jugendlichen in der heutigen Zeit ist.
3 Prävalenz von Adipositas
Die Prävalenz von Übergewicht und Adipositas hat in den vergangen Jahrzehnten nahezu überall in Europa zugenommen (vgl. Kurth & Schaffrath-Rosario, 2007, 736). Sollte sie weiterhin mit einer Rate von 1,3 Millionen pro Jahr ansteigen, so erwarten Experten bis 2010 etwa 26,7 Millionen (36,7 %) übergewichtige europä- ische Schulkinder, davon werden 6,4 Millionen (8,8 %) adipös sein (vgl. Schmidt, 2008, S. 107). Auch für Deutschland gibt es mehrere regionale Untersuchungen, mit denen ein kontinuierlicher und deutlicher Anstieg der Prävalenz von Überge- wicht und Adipositas bei Kindern und Jugendlichen belegt werden kann (vgl. Rei- nehr & Wabitsch, 2006, S. 13). Für Deutschland wurde die Prävalenz u.a. durch den Kinder- und Jugendgesundheitssurvey ermittelt. Die Untersuchung ergab, dass bei den 3- bis 17-jährigen Kindern und Jugendlichen 15 % übergewichtig und 6,3 % adipös seien. Dies entspricht 1,9 Millionen übergewichtigen und 800.000 adipösen Heranwachsenden (vgl. Schmidt, 2008, S. 128f.). Die Arbeitsgemeinschaft Adiposi- tas im Kindes- und Jugendalter berichtet, dass 10 bis 24 % der Schulkinder über- gewichtig und 4 bis 8 % adipös seien (vgl. Reinehr & Wabitsch, 2006, S. 13).
Bei den 3- bis 6- und den 7- bis 10-Jährigen ergeben sich unterschiedliche Häufig- keiten beim Auftreten. Während bei der ersten Gruppe lediglich 6,2 % übergewich- tig, d.h. zwischen der 90. Und 97. Perzentile liegen, und 2,9 % adipös, d.h. ober- halb der 97. Perzentile, sind, steigen die Zahlen bei den älteren Kindern stark an. Hier sind 9,0 % übergewichtig und 6,4 % adipös (vgl. Schmidt, 2008, S. 129). Auf- fällig ist hierbei die Verdoppelung der Anzahl der Adipösen in der Gruppe der 7- bis 10-jährigen Kindern. Unterscheidet man nach Geschlecht, so fällt auf, dass in der jüngeren Gruppe mehr Mädchen (3,3 %) als Jungen (2,5 %) adipös sind, dagegen sich die Verteilung in der anderen Gruppe umkehrt. Hier sind 7,0 % der Jungen und 5,7 % der Mädchen adipös. Daraus folgt, dass ältere Kinder häufiger übergewichtig und adipös sind als jüngere (vgl. ebd.). Dieser Trend setzt sich bis in das Jugendal- ter fort. In der „Interdisziplinären Evaluation der Fitness und Gesundheit von Kin- dern im Saarland” Studie (IDEFIKS) fanden die Autoren Ergebnisse für Jugendli- che der sechsten und neunten Klasse, die diese Annahme bestätigen (vgl. Urhau- sen, Schwarz, Klein, Papathanassiou, Pitsch, Kindermann & Emrich, 2004, S. 205). Auch wenn die Stichprobe kleiner war als die KiGGS-Studie, so ist sie für das Saar- land dennoch repräsentativ. Die IDEFIKS-Studie fand heraus, dass zehn Prozent der Schülerinnen und Schüler unter Adipositas leiden (vgl. ebd.). Dies sind knapp vier Prozent mehr als in bei den 7- bis 10-jährigen Kindern. Betrachtet man den Vergleich von 3- bis 6- und 7- bis 10-Jährigen, so fällt auf, dass der Adipositasanteil von der jüngeren zur älteren Gruppe zunimmt. Dies ist bei den Jugendlichen der sechsten und neunten Klasse nur bei den Mädchen der Fall. Während bei den im Schnitt 12-Jährigen 13,8 % adipös sind, sind es bei den im Schnitt 15-jährigen Mädchen bereits 20,4 %. Bei den Jungen kehrt sich die Verteilung um. Von ihnen sind in der sechsten Klasse 22,2 % adipös, in der neunten sind es nur noch 14,6 % (vgl. ebd.). Die Anzahl sinkt bei den Jungen also von der sechsten zur neunten Klasse um ein Drittel.
Die soziale Verteilung von Übergewicht und Adipositas liefert ein eindeutiges Bild. Die Prävalenz nimmt von den höheren sozialen Schichten zu den schwächeren hin zu. Kinder und Jugendliche mit niedrigem sozialen Status sind häufiger überge- wichtig und adipös als Gleichaltrige mit besserem sozialen Status (vgl. Danielzik & Müller, 2006, S.214). Die Kieler Obesity Prevention Study (KOPS) fand heraus, dass bei 5- bis 7-jährigen Kindern mit niedrigem sozio-ökonomischen Status 15,4 % Übergewichtig haben; bei den 9- bis 11-Jährigen liegt die Zahl sogar bei 19,5 %. In der mittleren sozialen Schicht werden die Zahlen bereits geringer. Hier sind 10 % der 5- bis 7-jährigen Kinder und 15 % der 9- bis 11-Jährigen übergewichtig. Die niedrigsten Werte treten jedoch in der oberen sozialen Schicht auf. So waren 6 % der 5- bis 7-Jährigen und 10 % der 9- bis 11-Jährigen übergewichtig (vgl. Danielzik & Müller, 2006, S. 216). Laut Schuleingangsuntersuchungen in Stuttgart und Berlin besteht Übergewicht in Familien mit Migrationshintergrund doppelt so oft wie in einheimischen Familien (vgl. Reinehr & Wabitsch, 2006, S. 13). Diese Zahlen be- ziehen sich zwar nur auf Übergewicht, jedoch kann auch ein inverser Gradient zwi- schen sozialer Schicht und der Prävalenz von Adipositas beobachtet werden. Wa- bitsch et al. (2009) fanden heraus, dass bei Migranten sogar neun Mal höhere Wer- te von Adipositas gemessen wurden als bei einheimischen Familien (vgl. S. 1264). Dies hängt ebenfalls mit dem sozialen Status zusammen. Lediglich 14 Prozent der Arbeitnehmer, die aus einem anderen Land zugewandert sind, erzielen ein Ein- kommen über 2.000 Euro. Bei Erwerbstätigen ohne Migrationshintergrund leben 23 % mit einem solchen Einkommen (vgl. BMAS, 2008, S. 140). Außerdem haben 37 % der Männer und 50 % der Frauen mit Migrationshintergrund im Alter von 25 Jahren keine beruflichen Abschlüsse. Daher ist es für sie auch besonders schwierig Zugang zum Arbeitsmarkt zu bekommen (vgl. BMAS, 2008, S. 144). Dies wiederum führt dazu, dass sie längerfristig erwerbslos bleiben und Sozialleistungen des Staates in Anspruch nehmen müssen.
Aus diesen Gründen sind Migranten in Deutschland verstärkt in den unteren sozia- len Schichten vertreten. Da bei ihnen eine neunfach höhere Prävalenz von Adiposi- tas festgestellt wurde, lässt sich folgern, dass auch bei der Adipositas eine inverse Beziehung zwischen dem sozialen Status und dem Auftreten besteht. In der IDEFIKS-Studie wurde auch die Verteilung von Adipositas bezogen auf das Gymnasium sowie die erweiterte Realschule und Gesamtschule untersucht. Es wurde herausgefunden, dass in der erweiterten Real- und Gesamtschule eine grö- ßere Anzahl von übergewichtigen Kindern und Jugendlichen unterrichtet wird, als dies am Gymnasium der Fall ist. So sind knapp 25 % der Schülerinnen und Schü- ler, welche die sechste Klasse einer erweiterten Real- oder Gesamtschule besu- chen, übergewichtig. Beim Gymnasium sind es in dieser Altersgruppe nur 10 %. Während die Zahlen in der neunten Klasse in den ersten beiden Schulformen auf 21 % absinken, steigen sie beim Gymnasium auf 12 % an (vgl. Urhausen et al., 2004, S. 208). Dennoch liegen die Prozentzahlen der letztgenannten Schulform stets erheblich unter denen der erweiterten Realschule und Gesamtschule.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2. Anzahl der Schülerinnen und Schüler mit Übergewicht dargestellt nach Klasse und Schulform in Prozent (vgl. Urhausen et al., 2004, S. 208)
Die inhaltliche Bedeutung der Aussagen zum Übergewicht lässt sich auch in diesem Fall auf Adipositas übertragen. Zwar ist nicht ein Viertel der Sechstklässler adipös, aber dennoch sind in den anderen Schulformen mehr adipöse Kinder und Jugendliche als im Gymnasium vorzufinden.
Dass Gymnasiasten seltener übergewichtig und adipös sind, hängt u. a. mit der Freizeitgestaltung der Schülerinnen und Schüler zusammen. In der sozialwissen- schaftlichen Teilstudie der IDEFIKS-Studie wurden insgesamt 931 Heranwachsen- de sowie deren Eltern untersucht. Von den 931 Kindern und Jugendlichen nahmen bereits 222 an der medizinischen und sportmotorischen Teilstudie teil (vgl. Emrich, Klein, Papathanassiou, Pitsch, Schwarz & Urhausen, 2004, S. 223). Von den Gymnasiasten gaben 70,1 % Sport bzw. Bewegung als eine ihrer häufigsten Freizeitaktivitäten an; bei den Schülerinnen und Schülern der erweiterten Realschule und Gesamtschule waren es 61 % (vgl. Emrich et al, 2004, S. 224). Die Unterschiede sind statistisch signifikant.
In diesem Kapitel wurde die Prävalenz von Adipositas im Allgemeinen und an- schließend speziell für verschiedene soziale Schichten und auch für einzelne Schulformen erläutert. Auffällig war hierbei, dass die Adipositas mit abnehmendem sozialem Status ansteigt und bei Kindern und Jugendlichen mit Migrationshinter- grund bis zu neun Mal höher ist als bei gleichaltrigen Nichtmigranten. Weiterhin fiel auf, dass in der erweiterten Realschule und Gesamtschule wesentlich mehr adipö- se Kinder und Jugendliche unterrichtet werden, als dies auf dem Gymnasium der Fall ist. Der inverse Gradient zwischen sozialer Schicht und Adipositas lässt sich also auch zwischen den verschiedenen Schulformen beobachten, da Kinder aus sozial schwächeren Familien am Ende der Grundschule seltener die Empfehlung für das Gymnasium erhalten (vgl. BMAS, 2008, S. 97) und somit häufiger auf die anderen Schulformen wechseln. Diese Erkenntnisse verdeutlichen die Bedeutung, die der Adipositas seit einigen Jahren mehr und mehr zukommt. Es ist ein Problem, das nicht (mehr) übergangen oder schön geredet werden kann.
Das nächste Kapitel behandelt die Ursachen von Adipositas. Es erläutert verschie- den Gründe für das Entstehen von Adipositas, um zu verdeutlichen, dass es sich um eine „multifaktoriell bedingte chronische Erkrankung“ (Urhausen et al., 2004, S. 207) handelt, bei der sich mehrere Aspekte gegenseitig bedingen und verstärken. In Bezug auf Urhausen et al. werde ich Adipositas ebenfalls als chronische Krank- heit bezeichnen.
4 Ursachen von Adipositas
Wie bereits erwähnt, ist Adipositas eine chronische Erkrankung, die aus verschiedenen Gründen auftreten kann. In diesem Kapitel werden sie ausführlich dargelegt und erläutert. Einer der am häufigsten genannten Gründe ist der Bewegungsmangel mit langfristiger positiver Energiebilanz.
4.1 Bewegungsmangel mit langfristiger positiver Energiebilanz
Unter Energiebilanz versteht man die Differenz zwischen Energiezufuhr und Ener- gieverbrauch. Verbraucht ein Mensch mehr Energie, als er aufnimmt, so ist die Bi- lanz negativ und er nimmt ab. Wird jedoch mehr Energie aufgenommen, als ver- braucht, so entsteht eine positive Bilanz. Dies führt zu einer vermehrten Energie- speicherung in Form von Fett. Gleicht ein Mensch die Energiebilanz nicht aus, so nimmt er zu und wird zunächst übergewichtig und anschließend adipös (vgl. Bönn- hoff, 2005, S. 23; Schmidt, 2008, S. 115). Um die Energiebilanz auszugleichen, gibt es zwei Möglichkeiten - weniger Energie aufnehmen oder mehr verbrauchen. Sie ist also durch das Ernährungs- und Bewegungsverhalten bestimmt (vgl. Bönnhoff, 2005, S. 23). Dem Bewegungsverhalten kommt jedoch noch eine höhere Bedeutung zu als der Nahrungsaufnahme. Denn ein verminderter Energieverbrauch spielt in der Adipositasentstehung eine größere Rolle als die zu hohe Energiezufuhr (vgl. Koch, 2005, S. 134). In diesem Zusammenhang wird ein ausreichendes Maß an Bewegung immer wichtiger und ein Bewegungsmangel immer dramatischer. Bös (1999) berichtet, dass die Alltagsbewegung von Kindern in den letzten Jahren stärker eingeschränkt wurde als das Sporttreiben im Verein (vgl. S. 36). Dies ist insofern gravierend, als dass die Bewegung im Alltag einen großen Anteil am Energieverbrauch hat. Zudem können vier Stunden Vereinssport in der Woche die geringere Alltagsbewegung nicht ausgleichen (vgl. ebd.).
Des Weiteren erkannten dänische Wissenschaftler, dass die körperliche Aktivität am Wochenende deutlich absinkt. Sie führten im Raum Stockholm eine Quer- schnittstudie mit 6- bis 10-Jährigen durch. Die Autoren versuchten, Unterschiede in den Mustern der objektiv gemessenen körperlichen Aktivität während der Woche und am Wochenende sowie zu verschiedenen Tageszeiten zu bestimmen. Außer- dem sollte herausgefunden werden, ob sich das Alter und Geschlecht auf diese Muster auswirken (vgl. Nyberg, Nordenfelt, Ekelund & Marcus, 2009, S. 1842f.). Die Aktivität wurde mithilfe eines Accelerometer gemessen und wie folgt berechnet: Gesamtsumme der Zählungen geteilt durch die Gesamtzeit. Angegeben wurde sie in „counts per minute“ (CPM) (vgl. Nyberg et al., 2009, S. 1843). Die Untersuchung ergab, dass bei den 1293 untersuchten Kindern (653 Mädchen und 640 Jungen) ein Zusammenhang zwischen der durchschnittlichen körperlichen Aktivität, dem Wochentag, Wochenende und dem Geschlecht besteht. Jungen waren im allge- meinen 8 % aktiver als Mädchen. Der aktivste Tag war sowohl für die Jungen als auch die Mädchen der Montag mit 890 bzw. 800 CPM. Zudem waren die 6-jährigen Mädchen und Jungen um 9 % aktiver als die 9-Jährigen (vgl. Nyberg et al., 2009, S. 1845). Dies unterstützt die Beobachtung von Urhausen et al. in der IDEFIKS- Studie, dass 3- bis 6-Jährige seltener adipös sind als 7-bis 10-jährige Kinder (vgl., 2004, S. 25).
Im Hinblick auf den Energieverbrauch ist die körperliche Aktivität der untersuchten Kinder am Wochenende erschreckend. Hier stürzen die Zahlen bei den Jungen und Mädchen rapide ab. Haben die Jungen freitags noch eine körperliche Aktivität von 850 CPM und die Mädchen von 750 CPM, so fallen sie am Samstag auf 700 bzw. 650 CPM. Am Sonntag steigt die Aktivität bei beiden Geschlechtern wieder leicht auf 730 bzw. 675 CPM. Insgesamt nimmt das Aktivitätsniveau am Wochenende im Vergleich zur Woche bei den Jungen um 17 % und bei den Mädchen um 15 % ab (vgl. Nyberg et al., 2009, S. 1845).
Auch am Abend nimmt die körperliche Aktivität rapide ab. Hier ist sie bei beiden Geschlechtern mit ca. 660 CPM ungefähr gleich. Morgens liegt sie für die Jungen bei 950 CPM und 840 CPM bei den Mädchen. Für die männlichen Untersuchungsteilnehmer fällt sie also im Tagesverlauf um fast 300 CPM für die weiblichen um knapp 200 CPM (vgl. ebd.).
Wird die Nahrungsaufnahme nicht dem Verlauf der körperlichen Aktivität angepasst, so kann es zu einer Gewichtszunahme kommen. Es ist nicht ratsam, am Wochenende oder abends die meiste Energie zu sich zu nehmen. Da die Aktivität zu diesen Zeiten am niedrigsten ist, befindet sich auch der Energieverbrauch auf dem geringsten Niveau.
Übergewichtige und Adipöse leiden häufig unter motorischen Defiziten, insbeson- dere in der Körperkoordination und der Kondition (Koch, 2005, S. 137). Diese kön- nen einerseits Folge andererseits aber auch Ursache für die Erkrankung sein. Die Betroffenen kämpfen sich häufig bei sportlichen Betätigungen ab, ohne einen nen- nenswerten Erfolg zu erzielen. Dadurch verlieren sie die Lust an der Bewegung und ziehen sich aus dem Sport zurück. Dies verstärkt die motorischen Defizite jedoch noch weiter und es kommt zu einem Teufelskreis (vgl. Zubrägel & Settertobulte, 2003, S. 168). Ein weiterer Grund für den Rückzug aus dem Sport und die damit verbundene Verschlechterung der motorischen Fähigkeiten können Erfahrungen mit den Klassenkameraden sein. Bei Sportspielen werden adipöse Kinder von den Mitschülern oftmals übergangen, nicht beachtet oder als letzte gewählt (vgl. Koch, 2005, S. 137). Dadurch wird ihnen der Eindruck vermittelt, dass sie zu schlecht für den Sport seien. Außerdem sind sie Spott sowie Mobbing ausgesetzt und schämen sich (daher) für ihren Körper. Im Sport ist es ihnen nur sehr schwer möglich, ihre Körpermasse durch weite Kleidung zu kaschieren; beim Schwimmen ist es gar nicht möglich. All diese Faktoren führen zu noch mehr Mobbing und Hänseleien und verstärken den Rückzug aus dem Sport weiter, was die motorischen Defizite ebenfalls verschlimmert (vgl. Zubrägel & Settertobulte, 2003, S. 175). Die entste- hende Ausweglosigkeit ist nur schwer zu durchbrechen, was eine frühzeitige Prä- vention von Adipositas noch notwendiger macht.
Das nächste Teilkapitel beschäftigt sich mit den Ernährungsgewohnheiten, die zu Adipositas führen können, da auch sie als Teil der Nahrungsaufnahme eng mit der Energiebilanz zusammenhängen.
4.2 Ernährungsgewohnheiten
Ernährungsgewohnheiten spielen bei der Entstehung von Adipositas ebenfalls eine bedeutende Rolle. Sie hängen von biologischen Faktoren ab, werden jedoch auch von externen und internen Stimuli beeinflusst. Im Wesentlichen hängt die Nah- rungsaufnahme vom „Hunger-Sättigungs-Empfinden“ (Reinehr, 2007, S. 7) ab. Die entsteht durch das Hormon Leptin, das im Hypothalamus produziert wird, und dem damit zusammenhängenden Kreislauft. Leptin reguliert die Neuropeptide und sorgt somit für eine verringerte Nahrungsaufnahme (vgl. ebd.). Es fördert die Produktion des Alpha-Melanocytenstimulierenden Hormons ( -MSH), das sich appetithem- mend auswirkt. Das -MSH Hormon stimuliert Rezeptoren im Hypothalamus und diese Anregung wirkt als starkes Sättigungssignal. Außerdem senkt Leptin die Konzentration von appetitsteigernden Neuropeptiden (vgl. Reinehr, 2007, S. 7f.). Auf diese Weise kann die Nahrungsaufnahme durch das Leptin-Hormon reguliert werden.
Die externen Stimuli haben ebenfalls einen großen Einfluss auf die Ernährungsgewohnheiten. Sie wirken von außen auf das Essverhalten von Kindern und Jugendlichen ein (vgl. Bönnhoff, 2005, S. 40). Zu diesen Stimuli zählen vor allem Familienmitglieder und Freunde, Herkunft der Bezugspersonen und damit verbundene Essensanlässe und Tischsitten sowie die Schule und die Erziehung. Ebenso wirken sich die kulturelle und religiöse Zugehörigkeit auf die Ernährung aus. Den Familienmitgliedern und vor allem den Eltern kommt eine Vorbildfunktion bei der Essensaufnahme zu. Kinder orientieren sich an diesen Vorbildern und übernehmen die Gewohnheiten, die ihnen durch sie vorgelebt werden. Dieser Bereich wird im folgenden Unterkapitel noch ausführlich behandelt.
Verfolgen verschiedene Kulturen bestimmte Essensanlässe und Tischsitten, so werden sie auch von den Kindern und Jugendlichen dieser Kulturen aufgenommen. Sind die Tischsitten jedoch für eine ausgeglichene Energiebilanz ungeeignet und führen zu mehr Energieaufnahme als -verbrauch, können auf diese Weise Übergewicht und Adipositas entstehen.
Zu den internen Stimuli zählen Einstellungen, Meinungen, Werte, Stimmungslagen und Emotionen, aber auch Erfahrungen und Gewohnheiten (vgl. ebd.). Die Einstellungen und Meinungen sind in diesem Kontext besonders bedeutsam. Wenn sich eine Person nicht an einer positiven Energiebilanz stört und weiterhin energiereiche Nahrungsmittel zu sich nimmt, ohne sich ausreichend zu bewegen, wird sie langfristig übergewichtig und adipös. Personen müssen also an einer zu hohen Körpermasse Anstoß nehmen, bevor sie ihre Ernährungsgewohnheiten so gestalten, dass sie nicht mehr Energie aufnehmen als sie verbrauchen.
Die Stimmungslage wirkt sich insofern auf die Ernährung aus, dass Essen auch als Frustbewältigung und zum Abbau von Stress genutzt wird. Auch Trauer und Ängste werden durch Essen kurzfristig betäubt (vgl. Reinehr, 2007, S. 13). Eine Tafel Schokolade oder auch eine Packung Eiscreme sollen Personen, die aus Frust essen, helfen, unangenehme Ereignisse zu überwinden und zu verarbeiten. Weiter gibt es auch Menschen, die essen, wenn sie sich langweilen. Langeweile beeinträchtigt bei ihnen die Selbstkontrolle, so dass das Verhalten nicht mehr durch den eigenen Willen bestimmt wird, sondern der physiologischen Steuerung unterliegt (vgl. Pudel, 2003, S. 51). Langeweile löst bei ihnen das Empfinden aus, hungrig zu sein, auch wenn dies gar nicht der Fall ist.
Die „Dortmunder Nutritional and Anthropometrical Longitudinally Designed Study” (DONALD) untersuchte das Ernährungsverhalten von 4- bis 18-jährigen Kindern und Jugendlichen. In der Untersuchung mussten die Probanden (500 Mädchen und Jungen) ihre Mahlzeiten in Zutaten aufschlüsseln, wiegen und in Drei-Tage-Wiege- Ernährungsprotokollen festhalten (vgl. Kersting, Alexey, Kroke & Lentze, 2004, S. 214). Auf diese Weise konnten die Mitarbeiter des Forschungsinstituts für Kinder- ernährung (FKE) in Dortmund, die die Studie durchführten, genau nachvollziehen, welche Nahrungsmittel die Kinder und Jugendlichen zu sich genommen hatten.
Die Ergebnisse zeigen, dass die Kinder und Jugendlichen mehr zuckerhaltige Ge- tränke wie Limonaden und Fruchtsaftgetränke zu sich nehmen, je älter sie werden.
Von den verzehrten Getränken fallen ca. 30-40 % in die Kategorie der Limonaden und Fruchtsaftgetränke (vgl. Kersting et al., 2004, S. 216). Bei den tierischen Le- bensmitteln, d.h. Milch und Fleisch, unterscheiden sich die Verzehrmengen. Wäh- rend sie bei der Milch und den Milchprodukten, z.B. Joghurt, unter den empfohle- nen Werten liegen, liegen sie bei Fleisch und Fleischwaren, z.B. Wurst, darüber. Letzteres ist jedoch nur bei den Jungen der Fall. Bei den Mädchen entspricht der Verzehr den Empfehlungen (vgl. ebd.). Fleisch und Wurst tragen 12 bis 13 % zur täglichen Energieaufnahme bei, Milch und Milchprodukte 14 bis 19 % (vgl. Bönn- hoff, 2005, S. 26). Auffällig ist der Verzehr von so genannten geduldeten Lebens- mitteln. Dazu zählen zuckerreiche Produkte wie Süßigkeiten, Brotaufstriche und Gebäck. Kinder und Jugendliche verzehren wesentlich mehr von diesen Lebensmit- teln als vom FKE empfohlen. Sie tragen 18 bis 19 % zur täglichen Energieaufnah- me bei und sind damit die Hauptenergielieferanten der Heranwachsenden (vgl. ebd.). Besonders Produkte, die zucker- und fettreich sind, werden von den Mäd- chen und Jungen gegessen. Von den 11- bis 15-Jährigen essen circa die Hälfte täglich Süßigkeiten in Form von Bonbons oder Schokolade. Bei den Jungen ist die Quote etwas höher als bei den Mädchen (vgl. Ministerium für Frauen, Jugend, Fa- milie und Gesundheit, 2002, S. 23).
Genau wie die Mengen von gezuckerten Getränken steigt auch der Verzehr von Fast Food mit zunehmendem Alter an. Bei 25 % der befragten 15- bis 18-Jährigen wurde in den Drei-Tage-Protokollen mindestens ein Fast Food Gericht genannt (vgl. Kersting, 2004, S. 217), d.h., dass ein Viertel der Jugendlichen in diesem Alter mindestens einmal in drei Tagen Fast Food isst. Dazu zählen Gerichte, wie Pom- mes frites, Pizza, Hamburger, Döner oder auch schnell zubereitete Sandwiches. Dies ist im Hinblick auf die Entstehung von Adipositas bemerkenswert. Denn der Energie-, Fett- und Zuckergehalt dieser Gerichte ist oftmals sehr hoch, der Ballast- stoffgehalt jedoch gering, da Vollkornprodukte sowie Obst und Gemüse bei der Herstellung seltener verwendet werden. Zudem haben sie eine zu niedrige Vitamin- und Mineralstoffdichte. Bei mehrmaligem Fast Food-Verzehr in der Woche über- steigt die energetische Versorgung gemeinsam mit dem Fettgehalt den Bedarf des Körpers (vgl. Bönnhoff, 2005, S. 38f.). Wird zu viel Fett aufgenommen, so kann der Körper es nicht mehr durch die Fettoxidation, die Verbrennung von Fett durch Sauerstoff, kompensieren. Wird die Kapazität der Fettoxidation überschritten, wer- den die zusätzlichen Fettmengen aus der Nahrung als Energiespeicher in Depots im Körper abgelegt (vgl. Biesalski, 2004, S.79) - den so genannten Fettpolstern. Für unterschiedliche Altersklassen gibt es verschiedene Richtwerte in Bezug auf die tägliche Fettzufuhr: 10- bis 13-jährige Mädchen und Jungen sollten nicht mehr als 65 g bzw. 74 g zu sich nehmen. Für 14- bis 15-jährige Mädchen und Jungen liegen die Werte bei 71 g bzw. 87 g. 16- bis 19-Jährige dürfen pro Tag am meisten Fett zu sich nehmen. Mädchen sollten einen Wert von 81 g, Jungen von 100 g nicht überschreiten und insgesamt sollten lediglich 30 % der täglichen Energieaufnahme über Fett erfolgen (vgl. Bönnhoff, 2005, S. 28). In der „Health Behaviour in School aged children“-Studie (kurz HBSC-Untersuchung) wurde herausgefunden, dass Ju- gendliche im Alter von 15 bis 18 Jahren am Tag mehr als die empfohlenen Mengen an Fetten, Kohlenhydraten und Proteinen zu sich nehmen, auf der anderen Seite jedoch nicht genügend Vitamine und Nährstoffe verzehren (vgl. Zubrägel & Setter- tobulte, 2003, S. 160). Diese Erkenntnisse deuten darauf hin, dass der Anteil über- gewichtiger und adipöser Heranwachsenden zum Jugendalter hin weiter ansteigt. Wie bereits oben erwähnt, essen Jugendliche besonders gerne Fast Food. Doch was macht Fast Food so interessant für sie? Wie kommt es, dass ein Viertel der 15- bis 18-Jährigen einmal in drei Tagen Fast Food-Gerichte konsumiert? Laut Bönnhoff (2005) liegt es an der besonderen Atmosphäre. Die meisten Jugendlichen gehen nicht alleine sondern mit Freunden in die verschiedenen Fast Food- Restau- rants, da das Zusammentreffen mit der Clique einen besonderen Anreiz bietet (vgl. S. 38). Zudem werden die Produkte fast alle mit den Händen gegessen und die Ge- tränke aus Strohhalmen getrunken. Das bedeutet, dass in den Restaurants die Es- sensregeln, die in den meisten Familien gelehrt werden, außer Kraft gesetzt sind, so dass die Jugendlichen ihr Essen zu sich nehmen können, ohne von den Eltern auf Tischmanieren hingewiesen zu werden. Außerdem muss, wie der Ausdruck schon sagt, in den Fast Food-Ketten nicht lange auf die Mahlzeiten gewartet wer- den. In der Regel bestellt man das Gericht und bekommt es kurz darauf schon in die Hand oder auf einem Tablett serviert. Ein weiterer Punkt, der Fast Food für Ju- gendliche so interessant macht, sind die Öffnungszeiten der Restaurants (vgl. ebd.). Viele von ihnen öffnen bereits morgens früh und haben dann durchgängig bis nachts geöffnet, so dass Burger, Pommes frites, etc. fast rund um die Uhr erhältlich sind. Hinzu kommt, dass die Ketten potentielle Kunden mit immer neuen Angebo- ten locken, bei denen die Preise z.T. bei einem Euro oder sogar darunter liegen, so dass sich auch Jugendliche mit weniger Geld das Essen leisten können. Außerdem werben die verschiedenen Fast Food-Ketten damit, dass ihre Produkte überall gleich schmecken. Ein Burger in Dortmund hat den gleichen Geschmack wie ein Burger in München. Dadurch können die Jugendlichen sicher sein, bei den ver- schiedenen Produkten immer das von ihnen gewünschte Aroma zu erhalten. Egal in welcher Stadt das Produkt gekauft wird, böse Überraschungen sind ausge- schlossen.
Auch die Abfolge der täglichen Mahlzeiten spielt eine Rolle in der Entstehung von Übergewicht und Adipositas. Bei Jugendlichen, die keine regelmäßige Abfolge von Mahlzeiten am Tag haben, ist das Risiko für Übergewicht und Adipositas beson- ders hoch. Im Vergleich zu Gleichaltrigen, die ihr Essen in regelmäßigen Abstän- den einnehmen, ist es sogar doppelt so hoch (vgl. Zubrägel & Settertobulte, 2003, S. 170). Dies hängt damit zusammen, dass bei einer unregelmäßigen Nahrungs- aufnahme, oftmals bei einigen der Mahlzeiten zu viel Energie aufgenommen wird, und dieser Überschuss in den folgenden Mahlzeiten nicht mehr kompensiert wer- den kann (vgl. Kersting, 2006, S. 35). Auch konnte in einigen Querschnittuntersu- chungen gezeigt werden, dass bei einigen Kindern und Jugendlichen, die vor der Schule auf das Frühstück verzichten, ein höherer BMI bestand (vgl. Schmidt, 2008, S. 116). Als Erklärung wurde hierfür zunächst ein häufigerer Konsum von Snacks im Tagesverlauf genannt. Diese These lässt sich jedoch nicht halten, denn es zeigte sich, dass viele Frühstücksverzichter auch das Mittag- oder Abendessen auslassen und deshalb eine niedrigere Gesamtenergieaufnahme haben als diejenigen, die morgens vor der Schule frühstücken (vgl. Schmidt, 2008, S. 116f.). Der höhere BMI lässt sich durch das geringere Aktivitätslevel erklären, das bei Frühstücksverzichtern vermehrt zu beobachten ist, auch wenn das Auslassen dieser Mahlzeit bei den Betroffenen häufig als Diätmethode gedacht ist.
Ein weiterer Punkt der Ernährung, der mit der Entstehung von Adipositas in Verbin- dung gebracht wird, ist der Verzehr von Kartoffelchips und Süßigkeiten. Insgesamt essen 14 % der 11-jährigen Mädchen und 21 % der Jungen in diesem Alter täglich Kartoffelchips. Die Zahlen sinken jedoch mit zunehmendem Alter. So essen nur noch 7 % der 15-jährigen Mädchen täglich Chips. Bei den Jungen fällt der Wert auf 10 % (vgl. Bönnhoff, 2005, S. 42). Er halbiert sich also für beide Geschlechter im Laufe von vier Jahren. Ein Zusammenhang von Kartoffelchipsverzehr und Überge- wicht oder Adipositas ist für diese Altersklasse also fraglich. Denn während die Werte der Kinder, die täglich Chips essen, bis zum 15. Lebensjahr fallen, steigt die Prävalenz von Adipositas für Mädchen vom zehnten bis zum 15. Lebensjahr an (vgl. Kapitel 3).
Der Verzehr von Chips und süßen Getränken wird jedoch zusammen mit dem Medienkonsum von 10-Jährigen bedeutend. In dieser Altersgruppe wird die Nutzung von elektronischen Medien wie Computer, Fernsehen oder Spielekonsolen oftmals von einer Aufnahme von energiedichten Snacks und gezuckerten Getränken begleitet. Besonders das Fernsehen ist davon betroffen. In der Zeit, die vor den Bildschirmen verbracht wird, ist der körperliche Ruheumsatz herabgesetzt (vgl. Schmidt, 2008, S. 121), was sich bei erhöhter Energieaufnahme doppelt negativ auswirkt. Für Mädchen und Jungen bis zum zehnten Lebensjahr kann also ein Zusammenhang zwischen dem Verzehr von energiedichten Snacks und Adipositas sowie zwischen dem Medienkonsum und Adipositas konstatiert werden, während er für ältere Heranwachsende nicht gegeben ist (vgl. ebd.).
Ein letzter Aspekt, den ich in diesem Kapitel bezüglich der Adipositas einbringen möchte, bezieht sich nicht direkt auf die Entstehung der Erkrankung sondern viel- mehr auf ihr Fortbestehen bzw. ihre Verschlimmerung. Bei Adipösen ist die Regula- tion der Nahrungsaufnahme über das Hunger-Sättigungsgefühl gestört. Ihr Hun- gergefühl richtet sich eher nach der Tages- oder Uhrzeit als nach inneren Körper- signalen. So kann die Uhrzeit bei Adipösen das Verlangen, Nahrung zu sich zu nehmen, auslösen (vgl. Bönnhoff, 2005, S. 43). Ist eine Person mit extremem Übergewicht beispielsweise gewöhnt, um 13.00 Uhr zu Mittag zu essen, wird sie um diese Zeit Hunger verspüren, auch wenn sie bereits kurz zuvor eine kleinere Mahlzeit zu sich genommen hat. Der Hunger wird in diesem Fall nicht durch eine fehlende Sättigung sondern durch die Uhrzeit hervorgerufen.
Nachdem nun in diesem Unterkapitel die Auswirkungen des Ernährungsverhaltens auf die Entstehung von Adipositas beschrieben und erklärt wurden, soll im näch- sten Abschnitt verdeutlicht werden, inwiefern auch soziale Gründe für die Entste- hung von Adipositas verantwortlich sind. Dadurch wird das multifaktorielle Gefüge der Erkrankung weiter verdeutlicht.
4.3 Genetische Gründe
Die Genetik kann bei der Entstehung von Adipositas ebenfalls eine Rolle spielen. Es konnte nachgewiesen werden, dass bestimmte monogenetische Defekte die Adipositasentstehung begünstigen. Einer dieser Defekte betrifft z.B. den Geno-Typ db/db. Bei diesem Defekt wird das Hormon Leptin, das appetithemmend wirkt, in ausreichender Menge produziert, seine Rezeptoren sind jedoch gestört, so dass das Hormon wirkungslos wird (vgl. Laessle, Lehrke, Wurmser & Pirke, 2001, S. 10). Dadurch tritt bei den Betroffenen das Sättigungsgefühl später oder gar nicht auf, so dass sie mit der Nahrung mehr Energie zu sich nehmen, als der Körper benötigt. Die überschüssige Energie wird dann in Fettreserven gespeichert. Die monogeneti- schen Mutationen sind jedoch sehr selten. So haben lediglich einige hundert Per- sonen mit Adipositas einen monogenetischen Defekt, während mehrere Milliarden Menschen mit starkem Übergewicht keine Mutationen aufweisen (vgl. ebd.). Trotz- dem kann ein Zusammenhang zu den Genen nicht geleugnet werden, denn in einer Untersuchung mit Adoptionskindern konnte nachgewiesen werden, dass ihr Body Mass Index stärker mit dem Körpergewicht der biologischen als mit dem der Adop- tionseltern zusammenhängt (vgl. Laessle et al, 2001, S. 9). Die epidemisch zuneh- mende Prävalenz von Adipositas im Kindes- und Jugendalter kann jedoch nicht über die Genetik erklärt werden, denn der Genpool hat sich innerhalb der vergan- genen Jahrzehnte in den Industrienationen nicht geändert (vgl. Lawrenz, 2005, S. 12; Schmidt, 2008, S. 115)
4.4 Soziale Gründe
Die sozialen Gründe von Adipositas sind sehr vielseitig. Sie reichen von der Vor- bildfunktion der Eltern, über das Verhalten der Mutter während der Schwanger- schaft und den Erziehungsmaßnahmen bis hin zum sozio-ökonomischen Status. Letzterer wurde bereits im dritten Kapitel als Grund erkennbar, als darauf einge- gangen wurde, dass die Prävalenz von Adipositas in den unteren sozialen Schich- ten am größten ist.
4.4.1 Sozio-ökonomischer Status
Der soziale Status kann ebenfalls als ein Risikofaktor für Adipositas angesehen werden. Zusammen mit dem Körpergewicht der Eltern zählt er sogar zu den bedeu- tendsten Ursachen für (extremes) Übergewicht (vgl. Schmidt, 2008, S. 110; Zubrä- gel & Settertobulte, 2003, S. 170). Dies liegt unter anderem daran, dass in Familien aus niedrigeren sozialen Schichten mehr Fett oder fettreiche Nahrung und weniger Obst und Gemüse verzehrt werden, als dies bei Familien mit einem höheren sozio- ökonomischen Status der Fall ist. Ihre Ernährung ist also physiologisch nicht so ausgewogen wie bei sozial besser Gestellten. Hinzu kommt, dass bei ihnen eine Tendenz zu geringerer körperlicher Aktivität und höherem Fernsehkonsum besteht (vgl. Zubrägel Settertobulte, 2003, S.170).
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- Quote paper
- Florian Knetsch (Author), 2010, Adipositas im Kindes- und Jugendalter - Präventionsmaßnahmen in der Schule, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/177469
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