Führung ist ein Begriff, der sich subjektiver Beobachtungen und Eindrücken zufolge in unserer Gesellschaft sehr weit verbreitet ist und vielfältig verstanden wird. Es gibt diverse Differenzierungen und Formen sowie Logiken und Stile. Im Zuge des Praxisbeispiels einer südbrasilianischen Großstadt sollte sich mit dem bislang wenig beleuchteten Spannungsfeld von individueller und kollektiver Führung befasst werden.
Das in der BA-Arbeit beschriebene Effizienzstreben von Menschen i. S. von Lietaer äußert sich in diesem Kontext häufig durch individuelle Führung. Dennoch mag die Logik von Führung in einem eher harmonischen bzw. ausgewogenen Verhältnis beider Pole liegen. Curitiba hat über viele Jahrzehnte Erfolg produziert...auch lange nach den Amtszeiten Lerners - charakterisiert durch konsequente, straffe individuelle Führung - äußert sich die damals gepflanzte Saat über einen kollektiven Prozess von Bürgern und Stakeholder Curitibas als Kultur des Respekts und der Wertschätzung. Es bleibt wohl auf den Punkt zu bringen, dass das Spannungsfeld in wirtschaftlichen Organisationen jeglicher Art durchaus erfolgreich Bestand haben kann: It´s possible.
Letztlich habe ich mir in meiner MA-Arbeit folgende Zielsetzung gesetzt:
* wertvolle Implikationen aus dem Erfolgsbeispiel der süd-brasilianischen Metropole Curitiba für das Management herauszuarbeiten. Unter Berücksichtigung theoretischer sowie praktischer Grundlagen sollen daraus unmittelbar abgeleitete Lehren für Manager und Führungskräfte gezogen werden.
* Curitiba anhand operativer Erfolgserlebnisse und -beispiele im Spannungsfeld zwischen individueller und kollektiver Führung zu verorten und zu bewerten. Das modifizierte Modell von LIETAER soll dabei als Grundlage herangezogen und verwendet werden. Da das Spannungsfeld aus individueller und kollektiver Führung in der Literatur bislang nur wenig untersucht wurde, setzt sich diese Arbeit ferner implizit das Ziel, zu diesem Aspekt von Führung weitere Erkenntnisse zu gewinnen.
Inhaltsverzeichnis
II. Abbildungsverzeichnis
III. Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitende Betrachtung
1.1 Problemstellung
1.2 Zielsetzung
1.3 Vorgehen
2 Curitiba: A cidade da gente – ein Erfolgsbeispiel
2.1 Hinführende Überlegungen (Problem der Urbanisierung als Ausgangslage)
2.2 Logik und zugrundeliegende Prämissen Curitibas
2.2.1 Personelle Treiber: Jaime Lerner
2.2.2 Institutionelle Treiber:
2.2.3 Kollektive Treiber: Die Curitibanos
2.2.4 Beitrag zum Erfolgsbeispiel Curitiba? – eine erste Evaluation
2.3 Ausgewählte operative Erfolgsbeispiele im Überblick
2.3.1 BRT
2.3.2 Lixo que não é lixo
2.3.3 Faróis do Saber
2.4 Was festzuhalten bleibt
3. Arbeit [im] System
3.1 Führung [im] System: individuell oder top-down?
3.2 Effizienz [im] System
3.3 Beobachtungen [im] Curitiba
3.4 Das Essentielle [im] Überblick
4 Arbeit [am] System
4.1 Führung [am] System: kollektiv oder bottom-up?
4.2 Belastbarkeit / Robustheit [am] System
4.3 Beobachtungen [am] Curitiba
4.4 Das Essentielle [am] Überblick
5. „It´s possible!“ – Implikationen für Manager
6 Schließende Bemerkungen
6.1 Ergebnisse
6.2 Kritische (Selbst-) Reflexion
IV. Anhang
V. Literaturverzeichnis
III. Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Nachhaltigkeitskurve nach Lietaer
Abb. 2: Nervenbahnen im menschlichen Gehirn
Abb. 3: Entwicklung Hauptstrukturachsen Curitiba von 1974 bis 2009
Abb. 4: Logik und zugrunde liegende Prämissen Lerners
Abb. 5: Philosophie der Stadtplanung von IPPUC
Abb. 6: Organigramm Curitiba
Abb. 7: Totalmodell Curitiba
Abb. 8: Trinäres Straßensystem Curitiba
Abb. 9: BRT Flotte Curitiba 2011
Abb. 10: Modell top-down Führung
Abb. 11: Modell bottom-up Führung
Abb. 12: Curitibas Kette positiver Verstärkungen
Abb. 13: Führungstriade
Abb. 14: Totalmodell dieser Arbeit – Implikationen für Manager
Abb. 15: Nachhaltigkeitskurve Lietaer mit Totalmodell dieser Arbeit
Abb. 16: Profil von Curitiba
Abb. 17: Sozioökonomische Indikatoren Curitiba 2010
Abb. 18: Timeline Curitiba
Abb. 19: Lerners Turtle-Metapher
Abb. 20: Entwicklung Plan Curitiba von 1943 bis 2004
IV. Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
„Eine der kreativsten Orte, die ich je gesehen habe, ist Curitiba in Brasilien: eine Stadt mit einem sehr kleinen Szeneviertel. Was sie in meinen Augen dennoch so kreativ macht, ist die Art, wie dort Erziehung, Verkehr oder das Gesundheitswesen organisiert sind. Also die ganz grundlegenden Dinge des Lebens.“
(Charles Leadbeater)
1. Einleitende Betrachtung
Die Einwohner Curitibas, der Hauptstadt von Paraná in Südbrasilien, sind der Überzeugung, dass sie in der besten Stadt der Welt leben – dies wird auch von vielen Experten bestätigt. Das obige Statement von Charles LEADBEATER[1], einer der populärsten britischen Trendforscher und top Managementdenker der Welt, bestätigt und unterstreicht eindrucksvoll, was die Curitibanos bereits Jahrzehnte vorleben: Curitiba ist eine der kreativsten und zeitgleich effizientesten Städte der Welt. Doch was macht diese Stadt so einzigartig und erfolgreich?
Curitiba hat für viele Probleme viele Lösungen gefunden: Man hatte z. B. infrastrukturell sowie finanziell nicht die Möglichkeit, eine klassische U-Bahn zu bauen. Stattdessen realisierte man eine „U-Bahn ohne U und ohne Bahn“[2]. Was sollte das sein? Es handelte sich um ein oberirdisch angelegtes, auf festgelegten Trassen operierendes Bussystem mit der Leistungsfähigkeit einer konventionellen U-Bahn. „Damit konnte man die Attraktivität des öffentlichen Verkehrs so dramatisch steigern, dass in dieser Megacity die Verkehrsprobleme gelöst werden konnten.“[3] Es gibt mittlerweile über 35 solcher kreativen Lösungen in Curitiba, von denen in dieser Arbeit (Kapitel 2.3) nur einige Ausgewählte erörtert werden sollen: BRT , Lixo que não é lixo, Faróis do Saber.
1990 hat LERNER den „ United Nations Environmental Award“ für seine Stadt gewonnen[4], 1992 erkannte die UNO Curitiba sogar offiziell den Status als „beispielhafte ökologische Stadt“ an.[5] 1996 wurde Curitiba von internationalen Städteplanern zur „innovativesten Stadt der Welt“ gewählt.[6] 2009 betitelte die Zeitschrift „ Forbes “ Curitiba als „smarteste Stadt des Planeten“.[7] 2010 wurde Curitiba unter Regie von Beto Richa mit dem „Sustainable Transport Award“ in Washington durch das Institute for Transportation and Development Policy (kurz: ITDP) [Institut für Transport und Entwicklung] ausgezeichnet.[8] Darüber hinaus gewann Curitiba im selben Jahr noch den Preis der „ Globe Award Sustainable City “[9] In einem Auszug der Motivation der Jury (Jan STURESSON, Jurymitglied und international anerkannter Experte) hieß es:
“The City of Curitiba shows maturity in their understanding of sustainable city development – both regarding policy and implementation. The holistic approach is well framed and managed in order to create a strong and healthy community, integrating the environmental dimension with other dimensions like intellectual, cultural, economic and social."[10]
Im selben Jahr wurde Curitiba zur grünsten Stadt Lateinamerikas ernannt.[11] Auch unter ökonomischen Gesichtspunkten erkannte eine der zentralen Wirtschaftszeitschriften des Landes, der „ Exame “ (vergleichbar mit „ FTD “ – Financial Times Deutschland), Curitiba mehrfach den Titel als „ Stadt, wo man die besten Geschäfte machen kann “ an.[12] Dies bestätigt auch das Magazin „ Veja “, welches Curitiba in seiner „O Melhor do Brasil: Guia 2007“[13] [Das Beste aus Brasilien: Der Guide 2007] zum wiederholten Mal als „attraktivste Stadt für Business“ in Brasilien gewählt hat. Durch die hier aufgezeigte ökonomische Attraktivität sind die Investitionen durch „Global Players“ wie Bosch, Kraft Foods, Volkswagen AG, etc. in Curitiba im Ergebnis bedeutend gestiegen.
In Bezug auf das Image der Stadt wird schnell erkennbar, dass Curitiba über seine Bundes- und Landesgrenzen hinweg weltweit als eine der fortschrittlichsten und vielfach als Referenzstadt hergenommenen Vorzeigebeispiele gilt.[14] RABINOVITCH / LEITMAN bringen es mit diesem Zitat auf den Punkt:
„No other city has precisely the combination of geographic, economic, and political conditions that mark Curitiba. Nevertheless, its successes can serve as lessons for urban planners in both the industrial and the developing worlds.”[15]
Diese Liste nationaler sowie internationaler Auszeichnungen ließe sich vermutlich beliebig weiterführen, was den Sinn und Zweck dieser Arbeit jedoch verfehlen würde. Vielmehr stellt sich doch die Frage, wie Curitiba dazu gekommen ist, derart beispielhaft und langfristig in den globalen Fokus der Öffentlichkeit zu rücken. Der Fokus der Untersuchung soll ganz speziell auf dem Spannungsfeld von individueller und kollektiver Führung liegen, wie es der Titel dieser Arbeit auch suggeriert.
Curitiba ist sowohl von der geografischen Lage wie auch von seiner Geschichte so gewöhnlich wie jede andere brasilianische Stadt auch. LERNER sagte 2004 in einem Interview mit HEUWING:
„Our city isn´t a paradise. We have all the problems that the other big cities in Brazil have: we have slums, we have low income people, and we have street children. But there is one [big] difference: it is the respect given to the people. […] My solution is respect. And if you offer respect to the citizens they will have an attachment to the city and a feeling of co-responsibility. This explains something about the difference to other cities.“[16]
Vielleicht mag gerade diese respektvolle und wertschätzende Haltung gegenüber den Bürgern der entscheidende Punkt sein, warum Curitiba eine Stadt wie keine Andere ist. Möglicherweise meinte LEADBEATER dies auch u. a., als er von den „[…] ganz grundlegenden Dingen des Lebens“[17] sprach.
Städte und Unternehmen mögen sich in vielerlei Hinsicht ähneln. Besonders deutlich wird dies bspw., betrachtet man den Guia do Investidor[18] [Leitfaden für den Investor]. Der jährlich veröffentlichte Geschäftsbericht der Stadt Curitiba, welcher neben Eckdaten über Einwohner, Migration, Soziales, usw. insbesondere auch mit speziellen Fokus den ökonomische Aspekt beinhaltet, zeigt sehr deutlich, dass durchaus Parallelen zwischen einem Unternehmen und einer Stadt wie Curitiba bestehen. Ferner handelt es sich bei Beiden um soziale Systeme, in welchem Menschen miteinander in Interaktion stehen und die häufig jeweils von einem Bürgermeister oder Manager geführt werden. Diesen Vergleich stellt auch WÜTHRICH / OSMETZ[19] in deren „Fallstudie Curitiba“ an. Wenn es also offenbar eine knapp 2 Mio.-Einwohner-Stadt wie Curitiba erfolgreich zu meistern scheint, warum dann nicht auch ein Unternehmen mit 500 oder mehr Mitarbeitern?
Doch was lässt sich aktuell in deutschen Unternehmen beobachten?
Das GALLUP-Institut misst seit 2001 jährlich das Engagement von Mitarbeitern an deren Arbeitsplatz. Im Rahmen des sog. „Q12® GALLUP Engagement Index“ wird ein Zufriedenheitsportrait erstellt. Leider zeichnet sich mit leichten Abweichungen nahezu jedes Jahr folgendes Bild ab: Aus 1.920 befragten Mitarbeitern deutscher Konzerne verspüren 2010 etwa 87 Prozent keine echte Verpflichtung mehr gegenüber ihrer Arbeit und sogar knapp 66 Prozent gaben an, nur noch Dienst nach Vorschrift zu machen. Ferner waren nur 25 Prozent der Mitarbeiter der Überzeugung, bei der Arbeit mit einbezogen zu werden.[20]
1.1 Problemstellung
Angelehnt, wenngleich leicht modifiziert, soll das Problem dieser Arbeit mit dem Modell von Bernard LIETAER aufbereitet werden. Als renommierter, belgischer Finanzexperte, Professor und Mitbegründer des Euro, hat er – aus der Biologie – abgeleitet festgestellt, dass sich Systeme mit erschreckender Tendenz stark in Richtung Effizienz entwickeln. Er prognostizierte den Zusammenbruch des Bankensystems im Zuge der Finanzkrise, welcher letztlich die Weltwirtschaftskrise 2009 / 10 folgte.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Nachhaltigkeitskurve nach Lietaer
Betrachtet man sein Modell etwas genauer, so stellte LIETAER fest, dass „[...] ein zu hoher Grad an Effizienz eines Systems gleichzeitig seine Instabilität steigert. Das ist es, was wir jetzt erleben.“[21] Die aus der Biologie gewonnene Erkenntnis lässt sich auf jedes beliebige System übertragen, also auch jenes einer Unternehmung. Die Natur sucht stets die optimale Balance zwischen den Polen der Belastbarkeit und Effizienz. In einer Grafik (vgl. Abb. 1[22] ) zeigt LIETAER auf, dass „[…] ein System etwa doppelt so belastbar sein muss wie effizient, wenn es dauerhaft lebensfähig sein will.“[23] Als lebensfähig gelten i. S. LIETAERs diejenigen Systeme, welche sich in einem engen Rahmen um das Optimum herum bewegen, dem sog. Vitalitätsfenster. Aus diesem Grund liegt dies in der Grafik nicht in der Mitte, sondern links – in Richtung Belastbarkeit verschoben. In der Folge impliziert dies für die Nachhaltigkeit eines Systems ein scheinbar ausbalanciertes Verhältnis aus einem Drittel Effizienz und zwei Dritteln Belastbarkeit / Robustheit – wie es in dieser Arbeit in Bezug auf das Erfolgsbeispiel Curitibas mit seinen zahlreichen Innovationen sowie individuellen Akteuren und kollektiven Institutionen aufgezeigt werden soll.[24]
Die zugrundeliegende Problemstellung dieser Arbeit leitet sich aus einem nur allzu häufig beobachtbaren, klassischen Führungsdogma ab.[25] Das Verständnis und die daraus beobachtbare Haltung von Führung entwickelt sich dabei stark in eine Richtung – angelehnt an die Abb. 1 i. S. von LIETAER die der Effizienz und meist individuell geprägten Führung. Da Zufriedenheit und Engagement als das Ergebnis von einer Führungsleistung interpretiert werden können, bestätigt dies wohl auch der einleitend angeführte GALLUP-Index. Statt eine „Sowohl-als-auch“-Logik anzustreben und somit eine natürliche Balance beider Pole zu gewährleisten, wird zusehends im „Entweder-oder“-Modus operiert.[26] Doch was ist damit gemeint?
Es lässt sich in Unternehmen beobachten, wie Manager oftmals rigide, streng top-down führen – oft individuell und einseitig statt kollektiv und vielseitig. Dabei versuchen sie stets, Prozesse, Abläufe sowie Strukturen planerisch standardisiert zu strukturieren und effizienter zu gestalten.[27] Es wird geplant, organisiert und vorbereitet, weniger hingegen vertraut, empowert und dialogisiert.[28] Sicherlich nicht zuletzt angetrieben durch den scharfen Wettbewerb und die wachsende Komplexität der Umwelt[29], zwingt das Effizienzstreben die Führungskräfte bzw. Manager reflexartig in ein eher individuelles, klassisches Rollenverständnis von Führung zu verfallen.[30] Der Rückgriff auf bewährte Automatismen, etwa Führungsmuster, scheint dabei oft die einzige Option zu sein.[31]
So verwundert es wenig, wenn in der Konsequenz die systemische Belastbarkeit eines Unternehmens verdrängt und zunehmend durch monotone, nahezu verfängliche Effizienz ersetzt wird.[32] Dies geschieht in der Konsequenz oft durch streng individuell ausgelegte Führung. Der Manager steuert und kontrolliert doch eher selbst, als dass er seine Mitarbeiter am Führungsprozess partizipieren oder sich gar von ihnen führen lässt. In Curitiba mag Letzteres zutreffen, was sich im späteren Verlauf dieser Arbeit noch näher beobachten lassen wird. Das Dogma einer klassischen Führungshaltung jedoch hält flächendeckend Einzug in die globalisierte Unternehmenslandschaft, dabei in Kauf nehmend, das verfügbare Potenzial und seine kollektive Intelligenz verfallen zu lassen.
Doch nun mag man sich fragen, welchen Bezug Führung zu LIETAERs Modell hat.
Oftmals treffen einzelne Führungskräfte, etwa Manager oder Vorstände, wichtige Entscheidungen. Diese Entscheidungen sind häufig auf Effizienz ausgerichtet und bewirken oft das Streben nach kurzfristigen Erfolgen.[33] Dies lässt sich an der Tendenz im roten Pfeil der Abb. 1[34] nachvollziehen. Eine wie in der Natur vorherrschende natürliche Balance beider gegenläufiger Pole mag im Management weniger beobachtet werden können: Entweder wird individuell top-down geführt oder man lässt kollektiv bottom-up führen. Dies unterstreicht die hinführend angemerkte „Entweder-oder“-Haltung von Managern. Der bereits kritisch dargelegte, effizienzgeprägte, autistische[35] Umgang in Organisationen lässt offenbar keine natürliche Regulation zu – was der Belastbarkeit zunehmend ihre Existenz kostet. Das abgebildete „Vitalitätsfenster“ der Grafik markiert eine suggerierte optimale Balance, von welcher das Management jedoch noch weit entfernt zu sein scheint. Curitiba hingegen mag nahe an dieser Balance liegen, was diverse Gründe und Treiber zu haben scheint.[36] Der Dreiklang aus den Polen individueller bzw. kollektiver Führung, Effizienz bzw. Belastbarkeit / Robustheit sowie einer Arbeit [im] bzw. [am] System kann schließlich als Modifikation bzw. interpretative Ergänzung von LIETAERs Modell betrachtet werden und soll für diese Arbeit als Grundlage dienen. Ein definitorischer Abholpunkt für den Leser, was sämtliche bislang verwendeten Begriffe anbelangt, findet sich in den Kapiteln 3 und 4 wieder.
Die Finanzkrise mag ein repräsentatives Ergebnis aus das übermäßige Effizienzdenken sowie –streben von Menschen darstellen, Systeme immer noch rational effizienter zu gestalten und dabei die Belastbarkeit zunehmend auszublenden. Durch das Zulassen von mehr Vielfalt und einen höheren Grad an Vernetzungen, so schlägt LIETAER vor, könnte ein Weg zurück in den wünschenswerten Korridor des Vitalitätsfensters der Abb. 1 geebnet werden.[37] Jaime LERNER mag in seiner Führungshaltung mit Curitiba diesen Weg verfolgt haben. Dieses in vielen Bereichen des alltäglichen Lebens beobachtbare durch individuelle Führung verursachte Effizienzproblem führt in einen Teufelskreislauf hinein, was der rote Pfeil in der Abb. 1 bestätigt, aus dem es zunehmend schwieriger wird, sich wieder zu befreien – darum besteht aus der Perspektive dieser Arbeit ein dringender Handlungsbedarf.
Es sei an dieser Stelle ausdrücklich darauf verwiesen, dass es sich hier um literaturgestützte, teilweise subjektive Beobachtungen handelt, die keinesfalls auf jeden Manager gleichermaßen zutreffen mögen. Es lässt aus der Perspektive dieser Arbeit jedoch in der Tendenz ein Bild über Führung beobachten, welches in der Problemstellung dargestellt wurde.
LIETAER hat sein Modell der Nachhaltigkeitskurve aus der Biologie transferiert – was legitimer Weise den Einspruch einer Diskussion über die Grenzen der Übertragbarkeit von Modellen zulässt. Wie nun bereits erörtert, geht er von einem natürlichen System aus, etwa einem fließenden Gewässer oder einem Wald. Wie eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem systemischen Begriff im Kapitel 3 zeigen wird, kann an dieser Stelle und für diese Arbeit vorweggreifend auch ein Unternehmen darunter verstanden werden. Dennoch bleibt bewusst, dass es an der einen oder anderen Stelle dieser Arbeit nicht zu einem vollständigen Transfer kommen kann. Nichts desto trotz soll LIETAERs Modell als Grundlage für die weiterführenden Erkenntnisse innerhalb dieser Arbeit verwendet werden.
Es mag sich nun möglicherweise die Frage aufdrängen, was LIETAERs Modell sowie die bisherigen Ausführungen zu Führung bzw. seinem beobachteten Spannungsfeld mit dem Kontext einer Großstadt Curitibas verbindet.
1.2 Zielsetzung
Die Zielsetzung dieser Arbeit ist es, wertvolle Implikationen aus dem Erfolgsbeispiel der südbrasilianischen Metropole Curitiba für das Management herauszuarbeiten. Unter Berücksichtigung theoretischer sowie praktischer Grundlagen[38] sollen daraus unmittelbar abgeleitete Lehren für Manager und Führungskräfte gezogen werden.
Im engeren Sinne wird das Ziel verfolgt, Curitiba anhand operativer Erfolgserlebnisse und -beispiele im Spannungsfeld zwischen individueller und kollektiver Führung zu verorten und zu bewerten. Das modifizierte Modell von LIETAER soll dabei als Grundlage herangezogen und verwendet werden. Da das Spannungsfeld aus individueller und kollektiver Führung in der Literatur bislang nur wenig untersucht wurde, setzt sich diese Arbeit ferner implizit das Ziel, zu diesem Aspekt von Führung weitere Erkenntnisse zu gewinnen.
1.3 Vorgehen
Diese Arbeit gliedert sich in drei grundsätzliche Themenblö>Im Kapitel 2 wird Curitiba vorgestellt. Als Grundlage weiterführender Diskussionen soll in diesem Kapitel ein praxisorientierter Grundstein gelegt werden. Während sich dieses Kapitel in drei Abschnitte gliedert, liefert der Anhang (Nr. 1 und 2) Zusatzinformationen: Nr. 1 stellt die notwendigen soziökonomischen Eckdaten von Curitiba zusammen, während Nr. 2 einen knappen historischen Abriss mit Fokus auf den Agache-Plan sowie dem weiterführenden Master-Plan liefert. Nach einer Einführung zum Kapitel 2 soll der Abschnitt 2.1 das Problem der Urbanisierung als Rechtfertigung für die in Curitiba augenscheinlich erfolgreich praktizierte Städteplanung beschreiben. Die anderen beiden Abschnitte liefern letztlich den praktischen Diskussionsstoff für die weiterführende Arbeit: Während der Abschnitt 2.2 potenzielle Treiber (personell, institutionell sowie kollektiv) einer implizit beobachtbaren Logik in Curitiba sowie dessen zugrundeliegenden Prämissen offenlegt und vorgreifend evaluiert, werden im Abschnitt 2.3 drei operative Erfolgsbeispiele (BRT, Lixo que não é lixo sowie Faróis do Saber) herausgestellt und beschrieben. Die zentralsten Punkte werden im Abschnitt 2.4 letztlich festgehalten.
Im Kapitel 3 steht die individuell, eher effizienzgeprägte Führung unter dem Titel „Arbeit [im] System“ im Fokus. Wie sich später noch herausstellen soll, kann eine top-down Führung oftmals auch als eine Arbeit [im] System verstanden werden. Dazu wird im Abschnitt 3.1 der Begriff Führung im Allgemeinen, individuell bzw. top-down im Speziellen vorgestellt und in der einschlägigen Literatur verankert. Anschließend wird sich im Abschnitt 3.2 mit dem Begriff „Effizienz“ näher auseinandergesetzt, um das Verständnis für LIETAERs Ausführungen zu schärfen. Der Abschnitt 3.3 soll die in diesem Kapitel hervorgegangenen Erkenntnisse mittels Curitiba praktisch illustrieren. Letztlich werden im Abschnitt 3.4 die essentiellen Ergebnisse zusammengefasst.
Im Kapitel 4 wiederum liegt der Fokus auf der kollektiven, eher robustheitsgeprägten Führung. Unter dem Titel „Arbeit [am] System“ soll die Belastbarkeit / Robustheit kollektiver Führung untersucht werden. Der Abschnitt 4.1 verankert dazu die zu Abschnitt 3.1 ergänzenden Grundlagen kollektiver, oder auch bottom-up Führung. Anschließend werden im Abschnitt 4.2 die an LIETAER angelehnten, zum Verständnis seines in der Einleitung beschriebenen Modells notwendigen Begriffe „Belastbarkeit“ und „Robustheit“ näher erörtert. Der Abschnitt 4.3 soll abschließend die gewonnenen Ergebnisse versuchen, unter Zuhilfenahme operativer Erfolgsbeispiele in Curitiba zu illustrieren. Die essentiellen Punkte werden letztlich erneut im Abschnitt 4.4 zusammengetragen.
Im Kapitel 5 sollen schlussendlich die Ergebnisse aus Kapitel 3 und 4 unter Berücksichtigung der praktischen Erkenntnisse über Curitiba im Kapitel 2 zusammengeführt werden. Dabei steht das vermeintliche Spannungsfeld individueller und kollektiver Führung im Fokus der Betrachtung. Zunächst werden beide Führungsverständnisse zu einer sog. Führungstriade zusammengeführt, um darauf aufbauend Implikationen für Manager herauszuarbeiten. Ein Totalmodell wird letztlich sämtliche Grafiken dieser Arbeit in einen Kontext i. S. einer „Lessons Learned“ bringen.
Abschließend soll im Kapitel 6 eine kritische Reflexion über die erarbeiteten Ergebnisse den Ausstieg aus dieser Arbeit ermöglichen.
Was das methodische Vorgehen anbelangt, so bilden neben einem umfangreichen Desktopresearch, narrative Interviews sowie Beobachtungen vor Ort die Grundlage für die empirische Forschung dieser Arbeit.[39] Sie beruht eher auf einer qualitativen Herangehensweise und versucht eine kritische Auseinandersetzung mit den vorliegenden Materialien zu gewährleiten. Der Autor war im Zeitraum 18. bis 21. Juni 2011 in Curitiba, wo er neben einer umfassenden Besichtigung zahlreicher Parks, sowie Nutzung des BRTs und Kommunikation mit den Curitibanos auch einen kompletten Tag mit zahlreichen Interviews, u. a. mit Mauro MAGNABOSCO (ehem. Präsident der IPPUC), Carlos GUILLEN (leitender Angestellter des SMMA[40] ) sowie Jaime LERNER durchführte (vgl. Anhang Nr. 5-11).[41] Ergänzend bleibt zu bemerken, dass der Autor selbst von 1997-2002 in Curitiba gelebt hat, was die Relevanz der im Verlauf der Arbeit geschilderten Impressionen zum Einen bekräftigt, zum Anderen jedoch aufgrund emotionaler Betroffenheit an vielen Stellen subjektiv erscheinen lässt. Der Desktopresearch hingegen berücksichtigt einen Großteil der bestehenden Literatur zu Curitiba, was im Kontext von Führung in nur geringem Umfang zur Verfügung stand. Dennoch seien Autoren wie CAMPBELL, SUZUKI et al., MACLEOD sowie die Produzenten PIBAL / ROMAUCH für diese Arbeit tragend hervorzuheben.
2 Curitiba: A cidade da gente – ein Erfolgsbeispiel
„Menschen, nicht die Häuser machen die Stadt.“
(Perikles, griechischer Staatsmann 493-429 v.CH.)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Glaubt man der Aussage von Perikles[42], einem der führenden Staatsmänner Athens, so determinieren sich Städte wie Curitiba durch die dort lebenden Menschen, genauso wie Unternehmen sich anhand der dort arbeitenden Mitarbeiter charakterisieren, nicht an deren Managern und Vorstandsvorsitzenden. Leider lässt sich in der Realität oftmals das Gegenteil beobachten: Im Zuge von Strategiebildung– und Planungsprozessen rücket gerade diese Mitarbeiter in den Hintergrund – was die Ergebnisse von GALLUP bestätigen mögen.
Diese Idee von PERIKLES verfolgt auch HEUWING[43] in ihrer Dissertation zum „Radikalen Wandel“, worin sie im Abschnitt „Integrative Politik“ die Aussage trifft:
„Jede Stadt wird durch ihre Bürger gebildet, sie leben in ihr, sie nutzen die städtischen Einrichtungen, sie müssen die städtischen Verordnungen ertragen, sie bestimmen auch über die Verteilung der politischen Macht.“[44]
Der Mensch scheint also auch hier eine sehr zentrale Rolle einzunehmen, im Speziellen – wenn es sich um Kernfragen der Stadtentwicklung und Problemlösung handelt. Insbesondere was das Thema „Macht“ anbelangt, ergeben sich aus dieser humanzentrierten Perspektive einige spannende Überlegungen in Bezug auf Führung, insbesondere die kollektiver oder sogenannter bottom-up Führung[45], welche im Verlauf der Arbeit zum fundamentalen Gegenstand werden soll. In Curitiba scheint man die Message von PERIKLES mit dem stadteigenen Slogan „a cidade da gente“ [unsere Stadt] bereits angenommen zu haben und vorzuleben.
Curitiba mag, den in der Einleitung bereits angepriesenen Auszeichnungen zufolge, als eine Stadt zu gelten, die viele Probleme durch einzelne Akteure nachhaltig effizient und zeitgleich robust behandelt zu haben scheint.
„Curitiba hat für viele Probleme Lösungen gefunden, […]. Darüber hinaus werden in Curitiba ständig neue Lösungen und Methoden erarbeitet, um die Zustände weiter zu verbessern.“[46]
Nicht umsonst hat die Zeitschrift „ Forbes “ Curitiba 2009, wie in der einleitenden Aufzählung an Auszeichnungen und Reputationen bereits erwähnt, neben Amsterdam, Seattle, Singapur und Monterrey mit unter die „ smartesten Städte der Welt“ gewählt.[47] Dabei sei zu betonen, dass „smart“ Städte meint, die eine besonders starke Infrastruktur sowie eine attraktive Wirtschaft besitzen und darüber hinaus über eine besonders ausgeklügelte Städteplanung verfügen. In seiner Vortragsreihe über die mediale Ideenverbreitungsplattform „TED“[48] geht LERNER auf das sogenannte „hidden Design“[49] einer Stadt ein. Dabei plädiert er, dass jede Stadt durch ihre individuelle Beschaffenheit (Umwelt, Lage, Ressourcenverfügbarkeit, Klima, usw.) gewisser Maßen das infrastrukturelle Design vorgibt. Ein Städteplaner muss dann die Fähigkeit besitzen, diesen versteckten Plan zu lesen und Veränderungen in der sich im Zeitverlauf ändernden Beschaffenheit zu erkennen und immer wieder von Neuem zu berücksichtigen. LERNER bezeichnet diesen Prozess als „Kunstwerk“ – setzt somit also die Tätigkeit eines Städteplaners bzw. Architekten mit der eines Künstlers auf eine Ebene.[50]
In Analogie dazu erscheint die Abbildung 3[51] der infrastrukturellen Entwicklung Curitibas von 1974 bis 2009 der Komplexität eines Gehirns gleichzukommen. Berücksichtigt man die Ausführung der vorangestellten BA-Arbeit vom Juni 2010 mit dem Titel „Was kann Führung/ Management aus der Neurobiologie lernen?“, wird interessanter Weise schnell deutlich, dass ein Gehirn (Abbildung 2[52] ) deutliche Ähnlichkeiten zu der Abb. 3 aufweist. Die Hauptnervenbahnen eines menschlichen Gehirns erinnern stark an die Hauptverkehrsstrukturachsen einer Stadt wie Curitiba im Bsp. der Abb. 3. Im übertragenen Sinne mag man sagen, dass Städte also ähnlich komplex und vielfältig funktionieren wie Gehirne[53] – was die Überlegungen von LERNERs „hidden design“ und die damit einher gehenden Implikation zum Umgang damit an dieser Stelle aus neurobiologischer Sicht unterstützt. Auch erübrigt sich die Frage nach der Komplexität einer Metropole wie Curitiba, wenn man überlegt, dass sie neben den über 26 umliegenden Municípios [Kommunen] aus etwa 75 Stadtvierteln besteht.[54] Ferner unterstreicht dieser interdisziplinäre Exkurs das einleitende Zitat von PERIKLES: Schließlich machen auch nicht die Gehirnareale und Zentren das Gehirn, sondern die einzelnen Nervenzellen und deren Synapsen.[55] In der Realität ist eine Stadt jedoch – ähnlich wie jede andere Organisation auch – eingebettet in eine im rasanten Wandel befindliche Umwelt und komplexe Dynamik.[56] Die Strategie also, Komplexität mit Komplexität zu begegnen, vermag ein sinnvoller Weg zu sein – sofern man in seiner Haltung Vielfalt auch zulässt.
Abb. 2: Nervenbahnen im menschlichen Gehirn
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 3: Entwicklung Hauptstrukturachse Curitiba von 1974 bis 2009
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Dirk BAECKER nähert sich der Komplexität auf zwei Wegen: „Man kann versuchen, [Sie] als Problem zu beschreiben, dessen Lösung in bestimmten Formen des Managements zu suchen ist. Und man kann versuchen, Komplexität als Lösung zu beschreiben, dessen Problem erst noch zu finden ist.“[57] W. Ross ASHBY schlägt in seinem Bestseller „Design for a Brain“ auch eher den zweiten Weg ein und stellt in seinem Gesetz der „requisite variety“ fest, dass man Vielfalt[58] nur mit Vielfalt begegnen kann.[59] Die weiteren Ausführungen zu dieser Arbeit vermögen jene wirtschaftswissenschaftliche Erkenntnis von ASHBY im Verlauf weiter verdeutlichen.
In den nachfolgenden Abschnitten dieses Kapitels 2 soll Curitiba als Hauptstadt Paranás[60] vorgestellt sowie in seinen Facetten aufgezeigt und erörtert werden. Dazu wird im Abschnitt 2.1 mit dem Problem der Urbanisierung die Begründung von der Notwendigkeit nachhaltiger Städteplanung diskutiert. Der Abschnitt 2.2 beleuchtet fortführend die entstandenen Prämissen und Logiken der Stadt bzw. ihrer Bürger – den Curitibanos – näher und hebt maßgebliche Treiber hervor. Eine Evaluation bzgl. des Beitrags zum Erfolgsbeispiel Curitiba soll abschließend im selbigen Abschnitt durchgeführt werden. Der Abschnitt 2.3 vertieft dann drei zentrale, operative Erfolgsbeispiele, welche aus der Logik der IPPUC maßgeblich abgeleitet sind. Im abschließenden Abschnitt 2.4 werden schließlich die grundlegenden Punkte dieses Kapitels zusammengetragen.
2.1 Hinführende Überlegungen (Problem der Urbanisierung als Ausgangslage)
„The growth of cities will be the single largest influence on development in the 21st century“
(Thoraya Ahmed Obaid, Executive Director UNFPA)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Nach Schätzungen der UNO wird sich die Bevölkerung eines Landes, insbesondere eines Dritte-Welt-Landes[61], bis 2030 über 60 Prozent in urbanen[62] Gebieten ansiedeln.[63] Urbanisierung kann als natürlicher Prozess verstanden werden, in welchem Städte aufgrund von Bevölkerungszunahme sowie Migration stark wachsen.[64] Im Speziellen scheint das exponentielle Bevölkerungswachstum ein hartes Faktum der Urbanisierung zu sein, welches zahlreiche Probleme mit sich bringt. Laut HEUWING ist eines dieser sehr dominierenden Probleme die Schere zwischen Arm und Reich: Insbesondere die krasse Armut in den sog. Fávelas[65], meist rund um eine Stadt lokalisiert, die damit verbundenen Probleme von Müllansammlungen sowie den daraus resultierenden folgeschweren, epidemieartigen Krankheiten[66], Kriminalität und Prostitution.[67] Um das ausufernde Problem langfristig erfolgreich zu bewältigen, bedarf es einer effizienten Struktur sowie zugrundeliegender Strategien und nicht zuletzt braucht es ein Bewusstsein über die Rahmenbedingungen finanzieller Mittelknappheit.[68] HEINEBERG beschreibt den Begriff der Urbanisierung als „diffusen, sozialgeographischen Prozess“[69]. Anknüpfend an die Darstellung zur Komplexität im obigen einleitenden Teil zu diesem Abschnitt wird die Urbanisierung selbst als komplexer Prozess verstanden – was durch HEINEBERGs Überlegungen eines „diffusen […] Prozesses“ bestätigt wird. Dennoch ist die Urbanisierung ein „unausweichbarer Prozess“[70] – aber auch eine „positive Kraft“[71], welche sich im Zuge von Menschen im Aufeinandertreffen im Miteinander einstellt und den es gilt, langfristig und vor allem nachhaltig zu berücksichtigen:
„If cities create environmental problems, they also contain the solutions. The potential benefits of urbanization far outweigh the disadvantages: The challenge is in learning how to exploit its possibilities.”[72]
Die UNO sucht seit Jahrzehnten nach sinnvollen Lösungen um gegen das Problem der Urbanisierung anzugehen. Auch wenn man institutionell die von der Urbanisierung ausgehenden Probleme längst erfasst hat, heißt es, seien diese in den Köpfen vieler Menschen leider noch nicht angekommen.[73]
Gerade Erste-Welt-Länder[74] scheinen es dennoch sehr effizient hinbekommen zu haben, den Folgen bzw. Problemen der Urbanisierung zu trotzen – was in Anbetracht der Tatsache relativiert werden sollte, da hier tendenziell eher ein Bevölkerungsrückgang zu verzeichnen ist.[75] Umso verwunderlicher erscheint es, wenn eine Stadt aus der Dritten-Welt diesen Umgang besonders herausragend gemeistert zu haben scheint und sogar von dem belgischen Nobelpreisträger Bernard LIETAER zum Erste-Welt-Land befördert wird.[76]
Wie im Titel dieses Abschnittes dargestellt, bildet die Urbanisierung also die legitime Grundlage für eine nachhaltige Städteplanung, was im Beispiel von Curitiba durch das IPPUC[77] institutionalisiert wurde. Im Folgenden sollen nun also neben dem institutionellen auch personelle sowie kollektive Treiber betrachtet werden.
2.2 Logik und zugrundeliegende Prämissen Curitibas
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
„Eine Stadt ist ein Ort ohne Logik“
(Jaime LERNER, ehem. Bürgermeister Curitibas und Gouverneur Paranás)
Curitiba hat in den vergangenen Jahrzehnten einen rasanten Wandel durchgemacht. Mittlerweile mag sich sogar eine eigenständige, eher implizit gelebte Logik innerhalb der Stadt entwickelt haben. Wenn LERNER im Kontext einer Stadt den Begriff der Logik kategorisch ablehnt[78], so scheint es auch hier eine Frage der Perspektive zu sein.
Aus definitorischer Sicht kann der Begriff „Logik“ in diesem Zusammenhang, aus dem gr. „logiké téchne“, als „denkende Kunst“ oder „Vorgehensweise“ verstanden werden.[79] Die klassische Lehre vom vernünftigen Schlussfolgern wurde maßgeblich vom gr. Philosophen ARISTOTELES (384-322 v. Chr.) begründet. Bis dato erfuhr der Begriff zahlreiche philosophische sowie theologische Erweiterungen, u. a. durch Größen wie Kant.[80] Prämissen, lat. „praemissum“, hingegen bedeutet übersetzt „vorausgeschickt“ und meint in der Lehre der Logik die Annahmen einer Schlussfolgerung.[81] Der Begriff stammt ebenfalls aus dem Repertoire von ARISTOTELES und ist somit Gegenstand logischen Denkens. Wie der Titel dieses Abschnittes also suggeriert sind Prämissen die zugrundeliegenden Voraussetzungen, um auf eine (Denk)Logik schließen zu können.
Ob eine Logik in der Metropole von Curitiba Einzug hält, welche zugrundeliegenden Prämissen daraus ableitbar sind und wer oder was diese grundsätzlich geprägt hat, soll in diesem Abschnitt mit Bezug auf das Erfolgsbeispiel Curitibas geklärt werden. Zunächst wird jedoch Jaime LERNER als personell individueller Treiber näher untersucht. Verfolgt man die Literatur, so hat er die Stadt maßgeblich geprägt – auch wenn er selbst im Interview eine derartige Frage strikt von sich weist, scheint durchaus etwas Wahres daran zu sein.[82]
2.2.1 Personelle Treiber: Jaime Lerner
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
“I t’s not a question of scale; it’s a question of philosophy. […]You can always build a good equation of co-responsibility.”
(Jaime Lerner, ehem. Bürgermeister Curitibas und Gouverneur Paranás)
Abb. 4: Logik und zugrunde liegende Prämissen Lerners
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Als erster Treiber einer möglicherweise entstandenen urbanen Logik soll die Personalie Jaime LERNERs angeführt werden. Der wohl berühmteste „Sohn Curitibas“[83] hat sich in der Megacity über die vergangenen 40 Jahre hinweg einen festen Namen gemacht. Zentrale Projekte wie bspw. das BRT-System, die weltweit einzigartige Mülltrennung bezogen auf sein geschaffenes Bewusstsein sowie seine Art und der spezielle Zugang zu Wissen und Kultur haben Curitiba global hervorgehoben. Das obige Zitat[84] von ihm kann sicherlich als eines seiner zentralen Thesen angesehen werden. LERNER glaubt an den Menschen und traut ihm viel zu – er bekommt gewisser Maßen eine zentrale Rolle in seinem Führungsverständnis zugeschrieben.[85] Er glaubt, dass Probleme nur durch Abgabe von Verantwortung, einer sog. „equation of co-responability“[86] wirklich erfolgreich gelöst werden können. Neben der im Statement aufgezeigten Mitverantwortung scheint er über ein sehr positives Menschenbild zu verfügen: Das der Theorie Y nach MCGREGOR[87]. Weitere Prämissen wie Respekt und Wertschätzung[88], intrinsische Motivation und Vertrauen, Ermutigung zum Lernen[89], Kontinuität in der Führung und nicht zuletzt eine proaktive, dialogische Diskurskultur zeichnen Jaime LERNER aus. Sie alle bilden die Annahmen seiner Denklogik: Eine, welche den Menschen zum zentralen Gegenstand sämtlicher Entscheidungen macht.[90] Die Abbildung 4[91] greift vorweg, was im Verlauf dieser Arbeit, insbesondere im Kapitel 3, 4 und 5, mit speziellem Fokus auf individuell effizienter und kollektiv robuster Führung in der Tiefe diskutiert werden soll. Um jedoch ein besseres Verständnis für LERNER zu bekommen und zu einem späteren Zeitpunkt seine Prämissen (vgl. Abb. 4) pointierter nachvollziehen zu können, soll zunächst die Frage beantwortet werden, wer er war und was ihn ausgezeichnet hat. Sein persönlicher Werdegang kann wie folgt dargestellt werden:
Er ist 1937 in Curitiba geboren; sein Vater war zuvor aus Polen eingewandert und versuchte sein Geld mit dem Straßenverkauf von Krawatten zu machen. Mit dieser offenbar erfolgreichen Geschäftsidee konnte er schließlich allen vier Söhnen ein Studium zu finanzieren. Jaime LERNER war der Jüngste seiner drei Brüder. Während diese sich eher für etwas Nicht-technisches interessierten, schloss LERNER 1964 mit Erfolg sein Studium der Architektur ab.[92]
Er war drei Mal Bürgermeister von Curitiba, zweimal Gouverneur vom Südbrasilianischen Staat Paraná und nebenbei noch Präsident der Internationalen Union der Architekten (UIA).[93] Die Amtsperioden lagen nie hintereinander, sondern immer versetzt zwischen entsprechend anderen Politikern – was eine konsequente Linie in seiner politischen Führung durchaus schwierig gestalten ließ.[94] Politisch spielte LERNER zwar nie eine besondere Rolle für den Staat Paraná oder gar das Land Brasilien; dennoch gilt er nicht als Mann geschwungener Reden, Unehrlichkeiten und Verdrossenheit von Parteien. Stattdessen folgte er häufig seiner Intuition und „[…] [zog] seine Fäden von seiner Heimatstadt in die Provinzen.“[95] LERNER hat seinen Inspirationen und Visionen Taten folgen lassen statt, wie allzu häufig in der Politik beobachtbar, nur bloße Reden zu halten. LERNER selbst bezeichnet sich auch als Architekt und weniger als Politiker – trotzdem er als politischer Leader berühmt wurde. Er habe das Mittel der Politik genutzt, um seine architektonischen Leidenschaften in die Praxis umsetzen zu können. Experten bezeichnen LERNER daher auch als „politischen Fuchs“ oder „Schlitzohr“.[96] Umso weniger verwunderlich erscheint es schließlich, dass er sich nach den über 35 erfolgreichen Innovationen[97] innerhalb und außerhalb der Stadt Curitiba aus der Politik zurückgezogen hatte. Er widmete sich seither seiner Leidenschaft zur Architektur, insbesondere der Erforschung sowie Planung urbaner Projekte – mittlerweile weit über die Landesgrenzen hinaus. In seinem Architekturbüro in Curitiba tüftelt LERNER bspw. aktuell an der Optimierung von einem „surface transport“, d.h. einem oberirdischen System integrierten Transportes als Ergänzung zu Bus, Tram, KFZ. Dabei versucht er, z. B. mit sog. „portable bikes“, eine effiziente aber simple und unter Umweltgesichtspunkten robuste Alternative für den öffentlichen Verkehr zu schaffen.[98]
„Der Architekt macht den Plan, der Politiker will etwas bewegen […]. Die Gefahr für den Politiker besteht darin, dass er den Notwendigkeiten hinterherläuft.“[99]
Begriffe wie „unmöglich“ gab es in LERNERs Wortschatz nicht.[100] „Der Mann fegte durch die Amtsstuben, schleppte seine Pläne heran und entfachte eine regelrechte Begeisterungskampagne. Gib den Leuten eine Aufgabe, und sie wachsen daran!“[101] LERNER begegnete Problemen oft mit Plänen, die er den Menschen präsentierte und sie fragte, was sie davon hielten. Damit vereinte er Obiges miteinander und nutzte seine Macht als Politiker, um mit Menschen gemeinsam eine Aufgabe zu lösen, an denen sie wachsen können. LERNER löste Probleme oftmals im Dialog, was die Qualität der Lösung bei einem Expertenkreis deutlich erhöhte.[102] „So entstanden die Projekte, die ihn bekannt machten: die Metro auf dem Asphalt und der Müll, der Moneten macht. Oder die Stadt, die nicht schläft; eine 24-Stunden-Einkaufsmeile; die Universität der Umwelt, die aus alten Telegrafenmasten errichtet wurde; die Oper aus Draht, eine Leichtkonstruktion aus Stahlrohren und Glasplatten. Die Umwandlung bracher Flächen, wie ein Steinbruch in einen Park oder die Metamorphose einer alten Fabrik in eine Fortbildungsstätte für junge Lehrer und schließlich die Planung umweltschonender Industrie.“[103] „Jaime LERNER hat nicht nur Stadtteile, sondern auch die Menschen vernetzt.“[104]
„I think Jaime has the gift of a Vision. And also the talent of putting together the people that are able to realize his Vision. […] That is an incredible gift.“[105]
Zum Amtsende hin schrieb er ein Buch „Acupuntura Urbana“ [Städtische Akupunktur]. Darin beschreibt LERNER seine unbürokratischen Projekte und insgesamt seine radikale Philosophie, seine Kritiker und Gegner vor vollendete Tatsachen zu stellen. Dabei kann der Titel tatsächlich als Nadelstich interpretiert werden. So entstand bspw. die Rua das Flôres [Blumenstraße] von einem Freitagnachmittag auf einen Montagmorgen, indem in einer „Nacht-und-Nebelaktion“ die viel befahrene Autostraße Rua XV de Novembro [Straße des XV November] zu der zentralen Fußgängerzonen Curitibas umgepflastert wurde: „Urbane Akupunktur muss schnell und schmerzlos erfolgen. [, so LERNER,] Wenn sie es einmal sehen und erfahren, dann werden die Bürger es lieben.“[106] Nach diesem Vorbild verstummte dann auch so mancher Anwalt, der sich vor Ort i. S. seines Mandanten quer gestellt hatte.[107] Das Prinzip der kollektiven Führung scheint auch in diesem Beispiel positive Anwendung zu finden, da LERNER es hier erfolgreich zu schaffen scheint, neben einer individuellen und rigiden Führung auch das Kollektiv führen zu lassen[108] – dazu mehr in den folgenden Kapiteln dieser Arbeit.
HEUWING evaluiert Jaime LERNER als „Person mit wesentlichem Einfluss“ auf Curitiba. Außerdem bezeichnet sie ihn, was seine Haltung anbelangt, als „Musterbrecher“[109]. Auch wenn Politiker in Brasilien traditionell als besonders personenabhängig gelten[110], löste LERNER zusammen mit seinem Architektenteam zu seiner Zeit die erste Innovation in Curitiba aus: Die Gründung sowie Institutionalisierung der IPPUC legte den Meilenstein für viele weitere, durchweg erfolgreiche Innovationen in der Stadt. Die Ergebnisse der LERNER´schen Arbeit werden von vielen Experten als nachhaltig kommentiert.[111] LERNER hat es geschafft, Kreativität, Innovation und Leidenschaft vorzuleben und mit dem Mut durch seine persönliche Authentizität nachgelagerte Verwaltungsinstitutionen sowie die Curitibanos selbst zu begeistern. Aus einer Not knapper Ressourcen machte er eine Tugend für Curitiba. Im Ergebnis sind Engagement und Initiative seitens des Kollektivs häufig erkennbare Erfolge.
2.2.2 Institutionelle Treiber: IPPUC
Die Problematik der Urbanisierung, welche im Abschnitt 2.1 dieses Kapitels aufgezeigt wurde, legitimiert letztlich die Gründung einer staatlichen Abteilung, die sich mit Städteplanung auseinandersetzt, um somit eine langfristige Handlungsfähigkeit zu sichern.[112] Das IPPUC, Instituto de Pesquisa e Planejamento Urbano de Curitiba [Institut für urbane Planung und Untersuchungen], hat Curitiba maßgeblich geholfen, Innnovationen im Bereich Transport, Qualität der Umwelt, Bodennutzung und Raumplanung, sowie soziale Programme voranzutreiben und politisch konsequent zu verfolgen.[113] Globalisierung zwingt Städte, Staaten und Länder zur Dezentralisation. Die Komplexität erfordert einen Perspektivenwechsel weg vom klassischen, bürokratischen Strukturdenken hin zu integrierten, kompetenzverteilten und beratenden Agenturen.[114] Genau das vermag das IPPUC mit ihrer aufgestellten Philosophie unternommen haben.
Abb. 5: Philosophie der Stadtplanung von IPPUC
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Abbildung 5[115] zeigt die Grundprinzipien der Nachhaltigkeit, in der Literatur auch als Triple Bottom Line (TBL) bekannt.[116] IPPUC hat sich diesem Modell als Leitbild für sämtliche urbanen Planungen Curitibas verschrieben. Wie aus der Grafik erkennbar, kann die Stadtplanungsphilosophie der IPPUC auf HEUWINGs Abbildung zur Komplexitätsübersicht Curitibas[117] abgeleitet werden. Sie besteht aus drei zentralen Säulen, welche integriert und ganzheitlich betrachtet werden sollen und auch als solche in der Praxis Anwendung finden. Zum Einen wird die Philosophie durch die ökonomische Entwicklung getragen. Dabei geht es um wirtschaftlich bedeutende Maßnahmen für eine Stadt, wie es bspw. die FIFA WM 2014 in Brasilien sein wird. Daneben fungiert jedoch die ökologische Entwicklung als zweite Säule der Philosophie. Sie berücksichtigt umweltpolitische Aspekte, wie im Bsp. der WM 2014 die erhöhte Müllbelastung durch reisende Fans und Teilnehmer. Die soziale Entwicklung bildet die letzte tragende Säule der TBL. Hierbei sind humanzentrierte Themen eine denkbare Verbesserung der Lebenssituation der in den Fávelas lebenden Menschen aufgrund eines Mehrangebots von Jobs im Zuge der WM 2014 gemeint.
Insgesamt stellt die Philosophie von IPPUC sowohl den Menschen, als auch die Stadt und seine Umwelt in den Mittelpunkt urbaner Planung. Somit ergänzt das IPPUC LERNERs Logik vom Menschen um das Kollektiv einer Stadt sowie die Rahmenbedingung der Umwelt.
„Dahinter steht die Annahme, dass sich die Lebenskonditionen der Bevölkerung langfristig nur dann verbessern werden, wenn alle drei Bereiche [integriert und vor allem ganzheitlich] vorangetrieben werden.“[118]
Nicht zuletzt ließen sich auf Grundlage dieser Philosophie viele Erfolge in Curitiba, auch weit nach LERNERs Amtszeiten, nachhaltig aufrecht erhalten. Zum besseren Verständnis des Institutes sowie seiner Rolle soll diese Diskussion an dieser Stelle unterbrochen und im Kapitel 3 ff. fortgeführt werden.
Was also IPPUC, seine Entstehung sowie Entwicklung anbelangt, so lassen sich folgende Informationen zusammentragen:
1964 wurde der Master Plan von SERETE (Gesellschaft für Studien und Projekte) unter maßgeblicher Unterstützung einer Architektenvereinigung UIA entwickelt – darunter die späteren Leitfiguren Lubomir FICINSKI und Jaime LERNER.[119] Sie gewannen innerhalb der UIA sowie lokalen Politik „erheblichen Einfluss und nahm[en] die Gründung [des späteren] […] Planungsbüros [IPPUC] außerhalb der bürokratischen Strukturen“[120] selbst in die Hand. Beide luden zu öffentlichen Events, unter dem Titel „Curitiba Tomorrow“ein, um die Bürger zur Initiative zu bewegen und ihnen letztlich deren Stadt näher zu bringen. Die Veranstaltungen sorgten für Transparenz, Engagement und Leidenschaft im Kollektiv der Teilnehmer und Redner, sodass sich viele Curitibanos in diversen Projekten und Programmen seither proaktiv an der Städteplanung Curitibas mitbeteiligten. Das kollektive Hauptanliegen war ursprünglich, wie auch heute noch, die Verbesserung der Lebensqualität in Curitiba. Die Stadt sollte von nun ab innerhalb ihrer territorialen und physischen Grenzen wachsen, die natürlichen Ressourcen (historischer Stadtkern, Flüsse, Seen, Grünflächen etc.) bewahren und zum „Curitiba für die Curitibanos“[121] werden. Der Tenor der Eckpunkte lautete: „Change […], Decongest […], Manage […], Provide […], and Support […].“[122]
In diesem Zuge, zur Umsetzung des bereits ausgearbeiteten Master Plans, wurde IPPUC 1965 als städtische Autarkie gegründet – eine Maßnahme, die sich langfristig als sehr tragend für den nachhaltigen Erfolg Curitibas herausstellen sollte.[123] Zwar hatte LERNER zu diesem Zeitpunkt noch keine politische Machtposition errungen – die war bisweilen noch dem Bürgermeister Ivo ARZURA zu Teil –, dennoch trug er dort bereits eine hohe Verantwortung für die Entwicklung und letztliche Institutionalisierung der IPPUC sowie den auslösenden Master Plan.[124]
Abb. 6: Organigramm Curitiba
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
IPPUC war strukturell stark an die klassischen Managementfunktionen[125] angelehnt: „At the heart of IPPUC were three technical departments, one in planning, another for projects execution, and a third for urban research.“[126] IPPUCs Unabhängigkeit ermöglichte es, weltweit Experten des Fachs zu gewinnen und somit die Städteplanung noch hochwertiger zu gestalten. Es herrschte auch eine Art „Centerpolitik“[127]. Die Experten konkurrierten gegeneinander um die besten und innovativsten Ideen.[128] Neben der primären Funktion der Städteplanung und -analyse sollte IPPUC auch als Lerncenter für Akademiker dienen. Die politische Unabhängigkeit von IPPUC ermöglichte ebenfalls die Entwicklung konkreter Vorschläge und Projekte zur urbanen Entwicklung von Curitiba.[129]
1967 wurde IPPUC dem Bürgermeister direkt unterstellt, was die Realisierung von Projekten deutlich unbürokratischer erscheinen ließ.[130] LERNER hat an dieser Maßnahme entscheidend mitgewirkt, was – ex post betrachtet – neben der eigentlichen Gründung IPPUCs als Meilenstein interpretiert werden kann. Mit dem direkten Vortragsrecht, wie in der Abbildung 6[131] illustriert, gilt IPPUC fortan als autark und unabhängig. MAGNABOSCO bestätigte im Interview diese besondere Machtstellung des IPPUC, welche in der Vergangenheit bspw. beim Bau eines Busterminals entscheidend mitgeholfen hat.[132]
1970 war das Jahr der Auferstehung von IPPUC durch die Wahl von Jaime LERNER zum Bürgermeister (vorher Präsident von IPPUC) der Stadt. Cássio TANIGUSHI übernahm das Amt des Präsidenten des IPPUC. Radikale Veränderungen prägten diese Phase. Die Fußgängerzone Rua das Flôres war eine dieser bedeutenden Maßnahmen. Zuvor kannte keiner in Brasilien eine derartige Idee einer autolosen Straße nur für Fußgänger.[133] In den 1980er Jahren leiteten Neuwahlen eine Durstphase für IPPUC ein: 1983 wurde Roberto REQUIÃO zum Bürgermeister gewählt. Dieser war kein Techniker und begann, IPPUCs visionäre Ideen zu ignorieren. IPPUC hingegen versuchte durchaus erfolgreich, wie sich später herausstellte, über gezielte öffentliche Arbeiten die Masse der Bevölkerung Curitibas für sich zu gewinnen und somit weiterhin ihre Ideen mittels der kollektiven Unterstützung der Curitibanos durchzusetzen.[134] Dennoch ging IPPUC nicht ganz ohne Schaden heraus: Viele Experten verließen aufgrund der Blockadepolitik von REQUIÃO das Institut.[135] Über IPPUCs interne, sehr umfangreiche Datenbank und den direkten Kontakt zum Bürger begann sie, Schulen und Krankenhäuser, Kindergärten sowie Kindertageseinrichtungen zu bauen und somit das Herz der Bürger zu gewinnen. Auch Fávelas wurden „upgegradet“, indem man viele Hilfsbedürftige in sehr einfache, erbaute Siedlungen umsiedelte – ein Programm namens Pró-Locar [Für-Umsiedelung]. Man arbeitete zusehends mit kommunalen bzw. gemeindlichen Behörden statt mit der Stadtführung als solches.[136] 1989 wurde LERNER zum dritten und letzten Mal als Bürgermeister gewählt. IPPUC erlebte erneut eine Wiederauferstehung. Neben der sozialen Entwicklung der Stadt erfuhr nun auch das BRT wieder eine Entwicklung.[137] Mit der Institutionalisierung der IPPUC wurde Curitiba zum globalen Beispiel für “effektive Städteplanung über die administrativen und konzeptuellen Grenzen hinaus mit sehr effizienten Ergebnissen“[138]. Als „independent public authority“[139] hat das Institut seither Konsistenz und Kontinuität der Projekte und Baumaßnehmen garantiert. CAMPBELL bewertet das IPPUC sogar als „zerebrales Zentrum“[140] LERNERs. Unabhängig jedoch von seinem Mitbegründer und Initiator selbst kann das IPPUC abschließend als kreatives und integriertes Problemlösungszentrum verstanden und als maßgeblicher Erfolgsfaktor Curitibas bewertet werden.[141] Es mag letztlich das Ergebnis aus individueller Leistung und kollektiver Führung sein.
2.2.3 Kollektive Treiber: Die Curitibanos
Neben einem maßgeblich individuellen sowie auch institutionellen Treiber bzgl. der Logik bzw. dessen zugrunde liegenden Prämissen scheinen die Bürger Curitibas selbst einen Anteil am Erfolg der Stadt zu haben.
Ein maßgeblicher Faktor zur Prägung des heutigen Curitibas war auch die starke Migration im Zuge des Zweiten Weltkrieges durch Polen, Deutsche, Ukrainer, Italiener sowie kleinere Minderheiten von Japanern, Schweden sowie Portugiesen.[142] Zu dem maßgeblich europäischen Einschlag bestimmen auch kleinere Anteile lokaler Indianerstämme das kulturelle Bild der Stadt. Dieser städtisch entwickelte „melting pot“[143] prägt die Kultur wie auch zugrundeliegende Logik der Curitibanos – wie sich die Einwohner selbst gerne zu bezeichnen pflegen. Die kulturell gewachsene Vielfalt, das besondere initiative Engagement der Bürger sowie die alles andere als perfekten Rahmenbedingungen (Armut, Kriminalität, etc.) haben Curitiba in der Kombination eine ganz individuelle Identifikation gegeben – eine, die sich nachhaltig erfolgreich auszuprägen vermag.
LERNER selbst ist der Auffassung: „The more you mix, the more livable the city becomes.“[144] Eine Stadt ist aufgrund ihrer komplex kulturellen Mischung sowie dessen natürlicher Beschaffenheit, Historie und auch dem breiten Spektrum an Bedürfnissen einzelner Bürger wie ein Biotop zu betrachten. Diese kulturelle Vielfalt, wie sie hier kurz dargestellt werden sollte, spielt eine entscheidende Rolle, was die Akzeptanz sowie die Reaktion auf die von LERNER und IPPUC vorgelebten Prämissen bzw. derer zentralen Logik anbelangt. Demnach können die Curitibanos selbst als Treiber angesehen werden, ohne die das Erfolgsbeispiel Curitiba auf lange Sicht nicht derart dominant und tragend verlaufen wäre.
2.2.4 Beitrag zum Erfolgsbeispiel Curitiba? – eine erste Evaluation
Bewertet man nun die zugrunde liegenden Prämissen – getrieben personell durch LERNER, institutionell durch das IPPUC sowie kollektiv durch die Curitibanos – mit Blick auf den in der Einleitung aufgezählten Erfolg, so fällt es schwer, einzelne Aspekte auf den jeweiligen Treiber zurückzuführen. Vielmehr handelt es sich um einen ganzheitlichen und vor allem integrierten Ansatz, der im Kern auf die Personalie LERNER zurückzuführen ist – schließlich hat er das IPPUC bedeutend mitbegründet, vorangetrieben und geführt. Auch die Curitibanos hat er durch seine leidenschaftliche, authentische und emotionale Art für sich gewonnen. Es kam LERNER sicherlich zu Gute, dass die Curitibanos mehr in Menschen als in ein Systeme vertrauen[145], was durch seine individuelle, charismatische sowie authentische Art vorteilhaft gewesen sein mag. Die Abbildung 7[146] fasst also die in diesem Abschnitt angestellten Überlegungen zusammen. Kombiniert man das Modell aus Abschnitt 2.2.1 und 2.2.2, so ergibt sich die folgende Grafik.
Abb. 7: Totalmodell Curitiba
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Dabei erscheint es essentiell, LERNERs persönliche Logik[147] – dass der Mensch im Zentrum urbaner Planung steht – sowie die dafür zugrunde liegenden Prämissen[148] in die der IPPUC einzubetten, um Curitiba als komplexes ganzheitliches Gebilde zu erfassen. Berücksichtigen Manager also diese ersten, modellartig zusammengefassten Ergebnisse der Abb. 7 in deren Denken und Handeln, so mag Erfolg nachhaltiger Einzug halten. Auf diese Frage hin soll eine tiefer greifende Diskussion in Kapitel 3 ff. erfolgen. Zunächst bedarf es jedoch einer knappen ersten Evaluation der in diesem Abschnitt aufgezeigten Treiber im Hinblick auf Curitiba als Erfolgsbeispiel – wie es der Titel auch suggeriert.
Um eine Evaluation vornehmen zu können, braucht es einer definitorischen Überlegung bzgl. des Begriffs „Erfolg“. MARTENS und KUHL definieren „Erfolg“ in deren Bestseller „Die Kunst der Selbstmotivierung“ als das „Erreichen selbst gesetzter Ziele“[149]. Diese Definition bietet sich für diese Arbeit besonders an, mit dem kleinen Unterschied, dass der Wortlaut „selbst“ im Kontext Curitibas durch „kollektiv“ ersetzt werden müsste. Die Curitibanos streben gemeinsam mit deren Regierung eine höhere Lebensqualität an.[150] Unter dieser individuell-kollektiv geführten Zielsetzung hat sich in den vergangenen 40 Jahren sehr viel entwickelt – nicht zuletzt über 35 Innovationen.[151]
Doch welchen Einfluss haben diese nun erarbeiteten Prämissen bzw. dessen zentrale Logik für den Erfolg Curitibas?
HEUWING spricht im Kontext Curitibas von einem „Mythos“.[152] Maßgebliche Treiber für diese Behauptung sind neben der hohen und initiativen Anspruchshaltung[153] der Bürger auch das Bewusstsein der Stadt für die Missstände Curitibas und im Kontrast dazu, die positive mediale Darstellung der internationalen Presse als „paradisartige Zustände […], die in der Realität nicht halt[bar] […]“[154] sind. Offenbar adaptierten jedoch viele Städte weltweit zunehmend Teilkonzepte oder komplette Systeme von Curitiba, wie bspw. New York, Los Angeles, Bogotá, Mexico City, Shanghai, u.v.m. – und das nicht zuletzt mit messbarem Erfolg. So wurden in den beiden aufgezählten Städten der Vereinigten Staaten von Amerika exemplarisch hervorgehoben „Expressstraßen“ eingeführt, auf denen u. a. ausgewählte Busse sowie Straßenbahnen verkehren. Ebenso reproduzierte die kolumbianische Hauptstadt Bogotá ein effizientes Bustransportsystem namens „Transmilenio“, welches in ähnlicher Art und Weise funktioniert wie jenes in Curitiba.[155] Der erfolgreiche Transfer des BRT-Systems nach Kolumbien hat offenbar dazu geführt, dass die Weltbank 2001 dieses sogar in seine entwicklungspolitische Konzeption aufnahm und kommunizierte.[156] Zwar kann das innovative BRT-System als tragend für den Erfolg Curitibas evaluiert werden; dennoch wurden auch die Unilivre sowie diverse ökologische wie auch sonstige Programme zur Umsiedelung für sozial schwache Familien in andere Städte übertragen. Das „Gesamtpacket Curitiba“ muss also im Folgenden näher betrachtet und anhand operativer Beispiele analysiert werden, um in den anschließenden Kapiteln eine intensivere Evaluation bzw. den Transfer ins Management vornehmen zu können. Was an dieser Stelle unter Berücksichtigung des erarbeiteten Modells (Abb. 7) festgehalten werden kann ist, dass Jaime LERNER sowie seine personifizierte Institutionalisierung der IPPUC einen bedeutenden Anteil an der Entwicklung des beobachtbaren Erfolges in Curitiba hat. Jedoch wäre der Erfolg nicht derart nachhaltig gewesen, gäbe es nicht die Curitibanos, die viele der Innovationen akzeptiert, respektiert und letztlich getragen sowie fortgeführt haben.[157]
[...]
[1] Grötker 2007, S. 65. Das Statement stammt aus einem Interview der wirtschaftspopulären Zeitschrift „brandeins“. Als anerkannter Experte und Regierungsberater sowie Träger des „David Watt Prize“ gilt Leadbeater als einer der Renommiertesten in seinem Fach. (vgl. Leadbeater 2008, URL Homepage)
[2] Vgl. Wüthrich / Osmetz / Philipp 2002, S. 77. In dem Kapitel 3 zeigen sie Impulse aus Curitiba auf und leisten somit einen wertvollen Transfer für das Management.
[3] Dunskus 2008, o. S. URL verfügbar. Prof. Wüthrich beschreibt im Gespräch mit dem BR ein zugegebener Maßen paradox klingendes Bustransportsystem, was zwar an die Leistung einer konventionellen U-Bahn (etwa die in London) heran kommt, jedoch oberirdisch mit Bussen operiert – daher als U-Bahn ohne U-Bahn bezeichnet wird.
[4] Vgl. Goerdeler 2005, S. 65.
[5] Vgl. Lietaer 2002, S. 323.
[6] Vgl. Brülisauer 2008, S. 6.
[7] Vgl. Kotkin 2009, URL Homepage von Forbes. Dabei handelt es sich um eines der einflussreichsten Wirtschaftsmagazine der Welt. Näheres zum Titel „smarteste Stadt der Welt“ wird in der Einleitung des Kapitels 2 dargestellt.
[8] Vgl. Thomaz 2010, URL verfügbar i. V. m. Gazeta do Povo 2010, URL verfügbar. Die „Gazeta do Povo“ [Zeitung fürs Volk] ist die regionale und meistgelesene Zeitung im Großraum Curitiba und Paraná. Interessant sind neben der Anzeige auch die Kommentare der Curitibanos. Sie reklamieren über diese Auszeichnung, weil Curitiba damit eher die Politiker in deren Image unterstützt als der Stadt wirklich zu helfen. Die Radfahrer klagen weitgehend über mangelnde Akzeptanz und Respekt gegenüber den Kraftfahrern, endlose Baustellen, usw. Carlos, einer der Kommentatoren dort, geht sogar so weit zu behaupten, dass es auf dieser Welt weitaus entwickeltere Städte gibt als Curitiba und zweifelt die Auszeichnung an. Ein anderer wiederum streitet gar nicht ab, dass Curitiba kein „Meer aus Rosen“ sei, steht aber stolz zu seiner Stadt. Das bestätigt auch Alvo W. im Interview (vgl. Anhang Nr. 5, [39:00 bis 40:54 Min.]). Die Familie W. wurde am Sonntag vor den offiziellen Besuchen bei der IPPUC, SMMA sowie Lerner interviewt. Die Intention des Autors bestand darin, neben der offiziellen, eher top-down geprägten Perspektive ebenso einen Einblick in die bottom-up Perspektiven zu gewinnen. Der Curitibano als Nutzer bzw. Empfänger sämtlicher Maßnahmen mag möglichweise eine ganz andere Sicht auf das Thema haben als bspw. Mauro Magnabosco, 1993 Präsident der IPPUC.
[9] Vgl. Globe Award 2010, URL verfügbar. Diese Auszeichnung wurde erst zum zweiten Mal verliehen und steht für Städte, die besonders nachhaltig Städteentwicklung betreiben.
[10] Globe Award 2010, o. S. URL verfügbar.
[11] Vgl. Artikel aus Wirtschaftszeitschrift „Exame“ 2010, URL verfügbar.
[12] Vgl. Artikel aus „ParanáOnline“ 2010, URL verfügbar.
[13] Vgl. Veja 2007, URL verfügbar i. V. m. Gazeta do Povo 2008, URL verfügbar. Unter dem Titel “Veja Curitiba: A melhor do Brasil” [Schau an Curitiba: Das Beste in Brasilien] wurde die Stadt für 2008 / 09 als beste Stadt Brasiliens gewählt. Man könnte ergänzend bemerken, dass der Begriff sowie die gleichnamige Zeitschrift „Veja“ auf por. soviel wie Schau hin / Sieh es dir an bedeutet.
[14] Vgl. Samek 1996, S.11.
[15] Rabinovitch / Leitmann 1996, S. 45.
[16] Heuwing 2007, Anhang S. B-53. In diesem Interview äußerte sich Jaime Lerner über den entgegengebrachten Respekt, welchen er als Kernelement einer funktionierenden Stadt identifiziert und hervorhebt.
[17] Grötker 2007, S. 65.
[18] Vgl. Agência Curitiba de Desenvolvimento S / A 2010. Der im Titel verankerte Guia do Investidor lässt deutlich eine Analogie zu einem konventionellen Geschäftsbericht vermuten. Es handelt sich um ein Projekt, welches mit der 2007er Ausgabe eingeleitet wurde. Die Berichte aus 2008 und 2009 heben des Aspekt Curitibas als ökonomisch attraktive Stadt für Investition besonders deutlich hervor. Näheres zu diesem Geschäftsbericht ist im Anhang Nr. 1 unter dem Titel „Sozioökonomische Rahmenbedingung“ ergänzend vertieft worden.
[19] Vgl. Wüthrich / Osmetz 2011, URL verfügbar.
[20] vgl. Nink 2009, S. 30. Diese jährliche GALLUP-Studie (hier: Nink 2011, URL verfügbar.) macht deutlich, dass es so, wie bisher in [nicht ausschließlich] deutschen Unternehmen lief, nicht weiter gehen kann. Die Mitarbeiter verfallen regelrecht in die standardisierten und vor allem ressourcenorientierten Denkweisen der Unternehmen und verzichten dabei zusehends gänzlich auf ihre eigene Potenzialentfaltung am Arbeitsplatz oder darüber hinaus. Auch in der Neurobiologie ist man auf diesen Punkt aufmerksam geworden. (vgl. Hüther 2009, URL verfügbar.)
[21] Gründler 2009, S. 156. In einem Interview mit dem populär-wissenschaftlichen Magazin „brandeins“ legt Bernard Lietaer im Januar 2009 seine Perspektive von Effizienz in Bezug auf die Ursachen der aktuellen Finanzkrise offen. Die Instabilität mag für diese Arbeit das ferner dargestellte Führungsproblem darstellen.
[22] vgl. Gründler 2009, S. 157. Die Abbildung 1 ist an den Artikel angelehnt und zeigt einen natürlichen Zusammenhang zwischen Belastbarkeit und Effizienz.
[23] Gründler 2009, S. 159.
[24] Zumindest hat der Autor diese Arbeitshypothese aufgestellt, die es im Verlauf der Arbeit zu beweisen, spätestens jedoch im Kapitel 5 aufzulösen gilt.
[25] Wüthrich / Osmetz / Kaduk 2009, S. 19 ff. In dem Musterbrecher beschreiben sie „Die sieben glorreichen Führungsmuster“, welche implizit ein unreflektiertes Dogma von klassischer Führung charakterisieren. Demzufolge muss Führung (1) steuern, (2) kontrollieren, (3) standardisieren, (4) rational entscheiden, (5) den kurzfristigen Erfolg suchen, (6) beschleunigen und (7) sich an Rahmenbedingungen orientieren. Eine nähere kritische Betrachtung soll in Kapitel 5 erfolgen. In dem Buch unterliegen diese aufgezählten Führungsparadigmen einem „radikalen Musterbruch“ und werden grundlegend neu überdacht.
[26] Damit sei eine Denkhaltung gemeint, die sich nicht unreflektiert und nahezu fahrlässig kategorisch auf eine Sache versteift, sondern mehrere Aspekte berücksichtigt und akzeptiert. Wüthrich / Osmetz / Kaduk (2006, S. 66) etwa suggerieren sogar eine Abkehr vom Dualismus des „Entweder-oder“.
[27] Vgl. Laudenbach 2008, Artikel aus der „brandeins“ mit dem Titel „Der Tödliche Cocktail“. Ebenso bestätigt die einschlägige Literatur diese Beobachtung. So beschreibt Hakelmacher (2010, S. 19 ff.) in seinem Buch „Topmanager sind einsame Spitze. Höhenflüge in dünner Luft“ Manager etwa als monologführende, hierarchisierte Spitzenkräfte, ohne die nichts funktionieren würde. Ferner legt ein Handbuch für Controlling (vgl. Weber 2008, S. 37 ff.) nahe, dass die zentrale Herausforderung an den Manager darin besteht, stetig Strukturen, Prozessen und Abläufe zu optimieren – also auf den Punkt gebracht nach Effizienz zu streben.
[28] Vgl. Anhang Nr. 11, Interview mit Lerner [01:22 bis 03:44 Min.]. Lerner kritisiert den Systemfehler heutiger Bildungseinrichtungen, immer nur nach Antworten und Lösungen zu suchen. Ferner hebt er kritisch hervor, dass die heutige Gesellschaft zu oft zu viele Pläne macht, vorbereitet, Studien zusammenstellt, etc. und weniger handelt. „Manchmal muss man einfach loslegen.“ [03:40 Min.]
[29] vgl. Hamel 2008, S. 26.
[30] Im Grunde genommen besteht das fatale und überalterte Verständnis von Führung darin, Macht auf Unterstellte in stark hierarchisch strukturierten Organisationen auszuüben und dabei möglichst im Detail vorzugeben, wie eine Aufgabe bearbeitet werden soll, um somit dem Mitarbeiter möglichst wenig Spielraum für Abweichungen zu ermöglichen. (Neubauer / Rosemann 2006, S. 42 ff.)
[31] In Anlehnung an Wüthrich / Osmetz / Kaduk 2009, S. 14 ff.
[32] Das nahezu autistische Streben nach Effizienz erzeugt eine gewisse Betriebsblindheit, ein Scheuklappendenken im Unternehmen, was den von Lietaer suggerierten komplementären Pol der Belastbarkeit/ Robustheit anbelangt. Doch statt die umweltbedingten Signale wahrzunehmen (bspw. die Finanzkrise), wird immer mehr „mit dem Autopiloten [der Effizienz] ins Unwetter“ (Wüthrich / Osmetz / Kaduk 2009, S. 25) gesteuert. Erscheint es für einen objektiven Dritten offensichtlich, so lähmen unternehmensinterne Strukturen und Prozesse zunehmend diese Wahrnehmung: Eine erschreckende Entwicklung wie sie im Folgenden beschrieben wird. Die im Kapitel 3 (Anm. 269) verwendete, an Wüthrich / Osmetz / Kaduk (2009, S. 257-267) angelehnte, Formulierung eines „alltäglichen Wahnsinns“ dürfte ebenfalls diese Entwicklung meinen. Sämtliche Begrifflichkeiten, wie bspw. „Effizienz“, „Belastbarkeit“ bzw. „Robustheit“, sowie „System“, usw. werden in den Kapiteln 3 und 4 ausführlicher dargelegt.
[33] Gründler 2009, S. 157. Das meint i. S. v. Lietaer die permanente Optimierung sämtlicher Abläufe und Informations-, Material- und Personalflüsse. Der Treiber besteht oft in monetären Größen wie Renditen, Gewinnen, etc. Vgl. ferner die obige Anm. 27.
[34] Diese Abbildung stammt aus Gründler 2009, S. 159. Unter dem Titel „Erhöhte Unfallgefahr“ offenbart Lietaer in seinem Beitrag des populär-ökonomischen Magazins „brandeins“ ein ökonomisches Effizienzproblem.
[35] An dieser Stelle sei auf eine aktuelle Untersuchung zu dem beobachtbaren Phänomen von „Autismus im Management“ verwiesen, die der Autor mitunter selbst gerade schreibt. Autismus ist per Definition medizinisch betrachtet eine Entwicklungsstörung. Die ersten Ergebnisse des Aufsatzes lassen vermuten, dass sich Manager, getrieben durch den Umgang mit Komplexität mittels reduzierender Maßnahmen (Homo Oeconomicus, Triviale Maschine, Rationalität), eine falsch interpretierte Sicherheit aufbauen und sich somit selbst in einen „autistischen Käfig der BWL“ einsperren lassen.
[36] Vgl. Kapitel 2.2 sowie 2.3. Dort findet sich ein detaillierter Aufschluss über Curitibas Erfolgstreiber.
[37] vgl. Gründler 2009, S. 159.
[38] Etwa Modelle und Ansätze aus der Literatur sowie Interviews und Beobachtungen aus Curitiba selbst.
[39] Vgl. Atteslander / Cromm / Grabow 2003, insbesondere S. 79 ff., 215 ff., 158; sowie Girtler 2001, S. 35 ff.
[40] Es handelt sich hierbei um das Institut für Umweltangelegenheit der Stadt Curitiba.
[41] Vgl. hierzu Anhang Nr. 4. Dort ist die Agenda der Visiten vom 20. Juni 2011 in Curitiba vom Sekretariat für Internationale Beziehungen aufgeführt. Letztlich können die Interviews selbst neben der beigelegten DVD auch im Anhang Nr. 5-11 nachvollzogen und –gelesen werden.
[42] Zitat aus Radloff 2009, S. 8.
[43] Vgl. Heuwing 2007, S. 43 ff. Darin beschreibt sie die „Integrative Politik“ der Stadt, welche sich in Anlehnung an die Stadtplanungsphilosophie der IPPUC durch drei zentrale Säulen kennzeichnet: Mensch, Stadt und Umwelt. Eine nähere Ausführung findet sich im Abschnitt 2.2.2 wieder.
[44] Heuwing 2007, S. 43.
[45] Im Kapitel 4.1 „Führung [am] System: kollektiv oder bottom-up?“ sollen die hier angestellten Überlegungen von zentraler Bedeutung sein.
[46] Heuwing 2007, S. 36.
[47] Vgl. Kotkin 2009, URL Homepage des „Forbes“ Magazins.
[48] Vgl. TED 2011, Homepage. URL verfügbar. Diese „nonprofit“ Organisation TED (= Technology, Entertainment, Design) existiert bereits seit 1984 und hat sich zum Ziel gemacht, Ideen ein Chance zu geben, verbreitet zu werden – was sie mit ihrem Slogan „Ideas worth spreading“ unterstreichen.
[49] Vgl. Anhang Nr. 2, Abb. 19. Die Turtle-Metapher nach Lerner spiegelt diese Idee wieder. Sie wird dort auch näher erläutert.
[50] Vgl. Anhang Nr. 13, Folie 7 TED Präsentation Lerner. Die Achsen einer Stadt ergeben sich durch ihre natürlichen Einflüsse, und nicht durch von Strategen geplante Strukturen. Dies wird auf der Folie 7 von Lerners Präsentation i. V. m. den obigen Ausführungen deutlich.
[51] Vgl. Suzuki / Dastur / Moffatt / Yabuki / Maruyama 2007, S. 172.
[52] Vgl. Hüther 2009. Die Abbildung 2 entstammt aus der Vortragsreihe „Gelassenheit – Anregungen für Gehirnbenutzer“ von Gerald Hüther, einem der renommiertesten Neurobiologen und Hirnforscher Deutschlands.
[53] Die erarbeitete Mindmap (vgl. Anhang Nr. 15) zu dieser Arbeit zeigt eine ähnliche Komplexität auf, was die Vielfalt der Übertragbarkeit zwischen Management und Stadt vermuten lässt.
[54] Vgl. Zanini 2005, S. 59. Nähere Ausführungen dazu finden sich im Anhang Nr. 1 wieder.
[55] Als Nervenzellen oder Neuronen gelten erregungsbasierte Zellen, welche chemische und elektrische Signale produzieren und über die Synapsen weiterleiten. Synapsen sind also die Verbindungsstücke einzelner Nervenzellen. (vgl. Hüther 2006, S. 63 ff.)
[56] Vgl. Pinnow 2005, S. 20 ff.
[57] Baecker (in: Ahlemeyer / Königswieser, 1998, S. 21) erörtert den Begriff „Komplexität“ in einem Beitrag zum Buchtitel „Komplexität Managen“.
[58] Vielfalt kann in diesem Kontext als Ausfluss von Komplexität verstanden werden und wird in der Literatur häufig als Synonym verwendet. (vgl. Gießmann 2010, S. 32)
[59] Vgl. Ashby 1952, S. 207. Ashby gilt als Pionier auf dem Gebiet der Kybernetik, dem Studium komplexer Systeme. Seine beiden Schlüsselwerke „Einführung in die Kybernetik“ und „Design for a Brain“ haben in den Wirtschaftswissenschaften den Grundstein für die Erforschung komplexer Systeme gelegt.
[60] Paraná heißt der Bundesstaat, der im Süden Brasiliens lokalisiert ist und westlich am „Dreiländereck“ mit Argentinien und Paraguay angrenzt. Näheres zu Curitiba insgesamt soll der der Anhang Nr. 1 liefern.
[61] Dieser Begriff stammt aus der Zeit des Kalten Krieges (Ost-West-Konflikt), wonach sich Länder in Erste, Zweite und Dritte Welt unterteilen ließen. Er soll im Verlauf der Arbeit als Synonym für ein Entwicklungsland verwendet und verstanden werden. (vgl. Wikipedia 2011a, Begriff: „Erste Welt“. URL verfügbar)
[62] Urban ist aus dem lat. „urbs“ abgeleitet und meint „städtisch“. Im Übrigen ist dies auch die Bezeichnung der verwaltenden Institution Curitibas für Verkehr und Transport (URBS). Man verwendet diesen Begriff zwar noch häufig, dennoch gilt er als veraltet und wird zunehmend durch den spezielleren Begriff ersetzt. (vgl. Wikipedia 2011b, Begriff: „Urban“. URL verfügbar) Heineberg (2006, S. 30 ff.) bezieht sich in seinem Buch „Stadtgeographie“ auf Walter W. Heller (1973) und benutzt Urbanisierung und Verstädterung als Synonym.
[63] Vgl. Martine 2007, S. 1 ff. URL verfügbar. Der von der UNFPA (United Nations Populations Fund) lancierte Bericht zur urbanen Bevölkerungsentwicklung zeigt drastische Tendenzen auf, welche eine Stadt in Zukunft vor große Herausforderungen stellen wird.
[64] Vgl. Prange 2003, S. 5.
[65] Der Begriff wird als „Ansammlung von einfachen Wohnungen, im Rohbau ohne Verputz […] und nicht mit Kanalisation und Wasserversorgung erschlossen“ (Zanini 2005, S. 55) beschrieben. Seinen Ursprung findet er jedoch in der Pflanze des wilden Manioks, die sich schnell und unkontrolliert ausbreitet – zynischer Weise ähnlich wie Unkraut. Umgangssprachlich spricht man von Slums oder Elendsvierteln.
[66] wie bspw. Typhus, Cholera oder Lepra.
[67] Vgl. Martine 2007, S. 4 ff. Der Bericht der UNFPA beschreibt im Detail sämtliche Entwicklungen und Probleme von dem Prozess der Urbanisierung.
[68] Vgl. Heuwing 2007, S. 36.
[69] Heineberg 2006, S. 30 ff.
[70] Martine 2007, S. 1.
[71] Martine 2007, S. 69 ff. Der Bericht stellt gegen Ende heraus, dass der Prozess der Urbanisierung zwar unausweichbar und komplex ist, aber auch positive Aspekte wie bspw. die Notwendigkeit zur Verbesserung sowie Ausweitung von Schulen und Krankenhäusern erkennen lässt. Außerdem kann eine Stadt ökonomisch einen Wettbewerbsvorteil aufgrund des Überangebots günstiger Arbeitskräfte für Großkonzerne aus Europa, Asien oder Amerika schaffen. Grundlage sind jedoch ein funktionierendes Bildungssystem sowie ein stabiles Gesundheitssystem. Durch die zunehmende Masse an Bevölkerung werden Investitionen in diesem Bereich jedoch günstiger – was mit der Theorie der economies of scale [Skaleneffekte] zu erklären wäre. (vgl. Marshall 1997, S. 232 ff.) Es handelt sich hierbei um ein volkswirtschaftliches Phänomen, welches besagt, dass bei steigender Menge insgesamt der Preis fällt.
[72] Vgl. Martine 2007, S. 1. Dieses Zitat aus dem UNFPA-Paper spiegelt sich so auch in Jaime Lerners Aussage „city is not a Problem, city is a solution“ (Anhang Nr. 13, Folie 1 TED Präsentation Lerner i. V. m. TED 2008, URL) wieder. Es wird hinzu zum Einstieg in den Abschnitt 2.3 angeführt.
[73] Vgl. Martine 2007, S. 2. Sozioökonomisch meint in diesem Zusammenhang die Schnittstelle zwischen wirtschaftlichen Aktivitäten und gesellschaftlichen Prozessen. Eine Stadt sowie jede andere Organisation auch kann als solche definiert werden. (vgl. Smelser / Swedberg 2005, S. 3 ff.) Auch Zanini (2005, S. 217 ff.) schließt sich dieser definitorischen Grundüberlegung in ihrem Werk „Stadtentwicklung, Stadtplanung, Fávelas: Entwicklungsprobleme einer Hauptstadt“ an.
[74] Ebenso wie der Begriff Dritte-Welt, stammt dieser aus der Zeit des Kalten Krieges und meint Industrieländer. Als solcher soll er in dieser Arbeit auch begriffen werden.
[75] Vgl. Unispiegel 2011, URL verfügbar.
[76] Vgl. Lietaer 2002, S. 324. Lietaer führt Curitiba in seinem Buch „Das Geld der Zukunft“ als Erfolgsbeispiel zum Ausbruch aus der Dritten-Welt und Aufstieg in ein Erste-Welt-Land an. Diese Annäherung an jene westliche Industrieländer, was die Lebensqualität sowie einzelne andere Bereiche anbelangt, bestätigt auch Zanini (2005, S. 255).
[77] Im Abschnitt 2.2.2 soll das IPPUC näher erörtert werden.
[78] Lerner 2008, S. 18. Das Zitat stammt aus einem Artikel der HBM.
[79] Aristoteles 2007, S. 95 ff. Hierbei handelt es sich um eine deutsche Übersetzung des Grundlagenwerkes von Aristoteles sowie diverser angehängter Aufsätze seiner Kritiker und Kollegen.
[80] Vgl. Wikipedia 2011c, Begriff: „Logik“. URL verfügbar.
[81] Aristoteles 2007, S. 856 ff.
[82] Vgl. Anhang Nr. 11, Interview mit Lerner [29:33 Min.]. Er sprach ferner oft von seinem sehr gut funktionierenden Team: „I had the chance to have a very good team, very good professionals […].“ [00:35 Min.]
[83] Goerdeler 2005, S. 67. So wird Jaime Lerner oftmals von den Curitibanos, den Bürgern Curitibas, bezeichnet. Diese beiden Bezeichnungen sollen für diese Arbeit so übernommen werden.
[84] Polley / Hunt 2004, URL verfügbar.
[85] Vgl. Anhang Nr. 11, Interview mit Lerner [02:27 Min.]. Darin beschreibt er einen Körper, der schwimmen lernt. Individuen in Form von Händen und Füßen mögen vielleicht gut schwimmen können, aber wenn der Körper letztlich ins Wasser fällt, müssen alle Teile des Körpers, also alle Mitglieder eines Teams, gleichzeitig und zusammen miteinander funktionieren um gut schwimmen zu können und letztlich das Untergehen abzuwenden. Dies ist ein zentraler Bestandteil von Lerners Führungshaltung, welches im Kapitel 3 unter dem Aspekt individueller und kollektiver Führung näher beleuchtet werden soll.
[86] Polley / Hunt 2004.
[87] Vgl. McGregor 2005, S. 59 ff. Im Gegensatz zur Theorie X, wonach der Mensch als ausschließlich extrinsisch motivierbar gilt, geht McGregor in der Theorie Y von einem deutlich positiveren Menschenbild aus. Darin beschreibt er den Menschen als ehrgeizig, fleißig, innovativ und vor allem verantwortungsbewusst. Ulich E. (2005, S. 456) bewertet McGregors Theorie X als „Teufelskreislauf“, in welchem der arbeitsunwillige, verantwortungsscheue Mensch nur mit rigider Kontrolle und strengen Vorschriften motiviert werden kann. Dies wiederum widerspricht den jüngsten Erkenntnissen der Neurobiologie nach Hüther: „Motivation ist hirntechnischer Unsinn“ (Osmetz 2009, S. 159). Menschen können nicht für etwas motiviert werden, wofür sie kein Interesse erkennen. Das stellte Osmetz im Interview mit Gerald Hüther in der „zfo“ deutlich heraus. Dennoch beobachtet man, wie in der Problemstellung zu dieser Arbeit aufgezeigt, implizit oft noch die Theorie X.
[88] Vgl. Ergebnisse aus den Interviews in Curitiba, etwa Anhang Nr. 5, Aussage von Zé B. [04:30 Min.], sowie Nr. 7, Magnabosco [33:12 Min.], Nr. 8, Guillen [33:00 bis 33:20 Min.] sowie Nr. 10, Daher [04:40 Min.].
[89] Vgl. Polley / Hunt 2004.
[90] Vgl. Abbildung 4. Sie wurde vom Autor entworfen und fasst Lerners Prämissen sowie die Grundlogik illustrativ zusammen.
[91] Sie ist vom Autor entwickelt worden und soll wertvolle Aspekte von Lerners Logik bzw. dessen zugrundeliegenden Prämissen illustrieren. Sie bildet den Grundstein für weitere Diskussionen in dieser Arbeit.
[92] Vgl. Goerdeler 2005, S. 66.
[93] Vgl. Goerdeler 2005, S. 65.
[94] Vgl. Anhang Nr. 2, Abb. 18 „Timeline Curitiba“. Diese Abbildung illustriert Lerners Amtszeiten chronologisch. Neben seiner ersten Periode als Bürgermeister 1971-75, war Lerner noch 1979-83 sowie 1989-92 Chef „seiner geliebten Stadt Curitiba“ (Polley / Hunt 2004). Dennoch ist es erstaunlich, wie er bzw. die Stadt u. a. mit dessen führungspolitischer Konsequenz bekannt geworden ist. Eine nähere Beleuchtung soll im Verlauf der Arbeit erfolgen.
[95] Goerdeler 2005, S. 67.
[96] Vgl. Goerdeler 2005, S. 65.
[97] Vgl. Heuwing 2007, S. 42 ff.
[98] Vgl. Polley / Hunt 2004.
[99] Goerdeler 2005, S. 65. Dieses Statement trifft Lerner im Interview mit der HBM. Er spielt damit auf das Schwingen großer Reden und Mangel an Taten in der Politik an. Lerner ist kein Mann großer Worte, sondern punktueller und schneller Maßnahmen. (vgl. Anhang Nr. 11, Interview mit Lerner [ca. 26:00Min.]) Dies mag wohl auch sein Buch mit dem Titel „Urbane Akupunktur“ belegen. (vgl. S. 22 dieser Arbeit)
[100] Vgl. Goerdeler 2005, S. 66.
[101] Goerdeler 2005, S. 66.
[102] Dieser Aspekt deckt sich mit den Ergebnissen von Wüthrich (2005, S. 299) in einem Beitrag der „zfo“. Dabei stellt er die Formel auf: Vielfalt x Dialogische Diskurskultur = Höhere Qualität von Lösungen (HQL). Lerner wendet scheinbar intuitiv exakt diesen Grundsatz mit entsprechendem Erfolg an. Bei diesem Ansatz handelt es sich für diese Arbeit um eine Prämisse Lerners, wie im weiteren Verlauf deutlich werden soll. Er wird im Kapitel 4 und 5 erneut aufgegriffen. Dennoch bleibt mit Ernüchterung festzustellen: „To start with participation you have to start with an idea. If there is no idea there is no discussion.“ (Anhang Nr. 11, Interview mit Lerner [ca. 29:00 Min.])
[103] Goerdeler 2005, S. 66.
[104] Goerdeler 2005, S. 66.
[105] Anhang Nr. 10, Interview mit Ariadne Daher [08:16 bis 08:35 Min.]. Sie ist eine Mitarbeiterin im Architektenbüro Lerners und bringt aktuell ihr Studium zu Ende. Im Gespräch sprach sie sich mit viel Faszination und Begeisterung von ihrem Chef.
[106] Goerdeler 2005, S. 67.
[107] Vgl. Goerdeler 2005, S. 67.
[108] Dies bestätigt auch Daher im Interview (vgl. Anhang Nr. 10 [02:40 bis 02:55 Min.]).
[109] Vgl. Heuwing 2007, S. 102 sowie 103 ff. Als Musterbrecher gelten in diesem Zusammenhang Menschen, die sowohl im System als auch am System besonders gut arbeiten können. Sie zeichnen sich durch gewisse „sowohl-als-auch“-Haltung, sowie Mut zum Experimentieren und verbindliche Reflexion aus. (vgl. Wüthrich / Osmetz / Kaduk 2009 i. V. m. Wüthrich / Osmetz / Kaduk 2006a, S. 38)
[110] Diese Aussage trifft Kraus, ehemaliger Leiter 2004 von „VW do Brasil“ im Werk Curitiba, im Interview mit Heuwing 2007, S. B-94 ff. Er meint damit, dass Beziehungen und Einfluss eine enorme Rolle spielen.
[111] Vgl. Heuwing 2007, S. 103.
[112] Vgl. Campbell 2006, S. 5.
[113] Vgl. Campbell 2006, S. 5. Der Aspekt der Kontinuität und Konsequenz in der Führung ist ein Punkt, den Lerner bereits aufwarf und welcher im Hinblick auf die Abschnitte zu Führung in den Kapiteln 3 und 4 besonders relevant erscheinen dürften.
[114] Vgl. Campbell 2006, S. 6.
[115] Vgl. Heuwing 2007, S. 43 i. V. m. Suzuki / Dastur / Moffatt / Yabuki / Maruyama 2007, S.170.
[116] Vgl. etwa Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages 2004, URL verfügbar. Publik wurde der Begriff 1994 durch den „Brundtland-Bericht“, vorgelegt von der Umweltkommission der UN. Er beschreibt seither, dass nachhaltige Entwicklung nur durch das gleichzeitige Umsetzen von umweltbezogenen, wirtschaftlichen und sozialen Zielen erreicht werden kann. Auch im unternehmerischen Kontext hält dieses Prinzip Einzug, was bspw. Savitz / Weber (2006) mit Ihrem Werk unterstreichen.
[117] Linker Teil der Abbildung 5 aus Heuwing 2007, S. 43. Die TBL wird in dieser Form auch seitens des IPPUC so dargestellt, etwa in Präsentationen. (vgl. IPPUC 2009, Folie 7. URL verfügbar.)
[118] Heuwing 2007, S. 44.
[119] Vgl. Campbell 2006, S. 9.
[120] Zanini 2005, S. 138.
[121] Hierbei handelt es sich um einen Werbeslogan von Curitiba aus den 1960er Jahren.
[122] Campbell 2006, S. 9.
[123] Vgl. Campbell 2006, S. 9.
[124] Vgl. Zanini 2005, S. 138-139.
[125] Diese sollen im Kapitel 3 näher beleuchtet werden, insbesondere in Bezug auf Führung. Es kann bereits jetzt schon vorweggenommen werden, dass Management und Führung sowie dem engl. Leadership als Synonyme verstanden werden dürfen. Dieser Interpretation gilt auch für die Arbeit.
[126] Campbell 2006, S. 10.
[127] Vgl. Campbell 2006, S. 10. In Anlehnung an die betriebswirtschaftliche Idee eines „Profit-Centers“. Dabei wird eine Organisation in Divisionen eingeteilt – meist nach Funktion oder Aufgabe – und dort für ihren selbstständig erarbeiteten Gewinn, aber auch Verlust, verantwortlich gemacht zu werden. (vgl. Thommen / Achleitner 2006, S. 822) Es handelt sich hierbei häufig um Organisationsformen oder –konzepte, wobei daneben auch noch das Cost-Center sowie das Service-Center häufig beobachtbar sind. Bea / Friedl / Schweitzer (2005, S. 205) hingegen nennen sie „Steuerungskonzepte“, da sie letztlich kennzahlentechnisch die einzelnen Divisionen (z. B. einzelne Filialen oder Abteilungen) monetär messbar machen können. Im Ergebnis kann somit verlässlich eine Entscheidung getroffen werden. Das Center-Konzept ist ein gutes Beispiel dafür, wie in der BWL Maßnahmen zur im einleitenden Abschnitt 2 diskutierten Komplexität nach Dirk Baecker (in: Ahlemeyer / Königswieser, 1998, S. 21) zu reduzieren. Auch der vom Autor mit verfasste Aufsatz zum „Autismus im Management“ befasst sich mit diesem Defekt, Menschen im Zuge von Effizienzstreben in Kennzahlen messbar zu machen.
[128] Vgl. Campbell 2006, S. 10.
[129] Vgl. Campbell 2006, S. 11.
[130] Vgl. Campbell 2006, S. 11.
[131] Vgl. Prefeitura de Curitiba 2011, Homepage. URL verfügbar.
[132] Vgl. Anhang Nr. 7, Interview mit Magnabosco [74:15 bis 77:10 Min.].
[133] Vgl. Campbell 2006, S. 12.
[134] Eine Analogie zur späteren, im Abschnitt 4.1 diskutierten, kollektiven Führung liegt mit der Maßnahme IPPUCs, die Bürger als Kollektiv zu gewinnen, nahe. Es soll an dieser Stelle lediglich als Beispiel aufgeführt werden, eine umfassende Auseinandersetzung soll im Anschluss stattfinden.
[135] Vgl. Campbell 2006, S. 17. Der Nachfolger Lerners, Roberto Requião, praktizierte eine konfrontative Informationsenthaltungspolitik. Er versuchte des IPPUC so wenige Informationen wie nur möglich zu liefern, sodass deren Arbeit ausschließlich über die unmittelbare Verbindung zu den Curitibanos möglich war. Viele wichtige Experten, die einst aus der ganzen Welt kamen, gingen zu dieser Zeit wieder verloren.
[136] Vgl. Campbell 2006, S. 17-18.
[137] Vgl. Campbell 2006, S. 18. Die Entwicklung kann in der Abb. 18 sowie dem Anhang1 und 2 nachvollzogen werden. Es handelt sich hierbei um die Einführung der Doppelgelenkbusse sowie die dazu gehörigen Röhreneinstiegssysteme.
[138] Campbell 2006, S. 22.
[139] Suzuki / Dastur / Moffatt / Yabuki / Maruyama 2007, S. 169.
[140] Campbell 2007, S. 68. Wobei das IPPUC auch kritisch betrachtet werden muss. Eine gewisser maßen „rekrutive Selbstähnlichkeit“ (Frey 1997, S. 358) führt tendenziell eher zu einer zunehmenden Ablehnung gegenüber der Vielfalt von Ideen sowie Interdisziplinarität. Dies widerspräche den Grundsätzen Lerners selbst (vgl. Ausführungen Abschnitt 2.2.2) und nicht zuletzt der HQL-Formel von Wüthrich (2005, S. 299).
[141] Vgl. MacLeod 2002, S. 4.
[142] Vgl. Weiß 1995, Film. Ferner bestätigt Zé B. im Gespräch (vgl. Anhang Nr. 6 [00:00 bis 01:20 Min.]) diese Idee eines melting pot. Er meint sogar, dass Curitiba in Brasilien als ein Teil Europas gilt.
[143] Begriff in Anlehnung an die ursprüngliche Metapher vom französisch stämmigen amerikanischen Schriftsteller Jean de Crèvecoeur 1782 in seinem Essay „Letters from an American Farmer“. (vgl. Zangwill 2008)
[144] Lerner 2008, S. 19.
[145] Vgl. Anhang Nr. 5, Gespräch mit Familie W. [41:30]. Die Intention die Familie W. sowie Ferner Zé B. und Arlindo Santana im Gespräch zu befragen, wurde in der Anm. 8 dieser Arbeit bereits erläutert. Ferner mögen die persönlichen Informationen zu den einzelnen Personen im Anhang Nr. 5 und 6 jeweils für sich selbst sprechen. Auch die zusammengetragenen, subjektiven Beobachtungen des Autors (vgl. Anhang Nr. 12) geben Aufschluss über die Absicht bottom-up wie auch top-down Perspektiven im Interview mit einzubeziehen. Eine Legitimation sei ferner durch die Perspektivenvielfalt der Interviews gegeben.
[146] Sie ergibt sich aus der Kombination der vorangestellten Abbildungen 4 und 5 und soll dieses Kapitel i. S. eines Totalmodells zusammenzufassen versuchen.
[147] Zwar hat die IPPUC im Abschnitt 2.2.2 Lerners Logik um die Stadt sowie seine Umwelt ergänzt, dennoch sei für diese Arbeit und mit Blick auf Unternehmen im ökonomischen Kontext der Mensch selbst Auslöser und zentraler Gegenstand von Führung.
[148] Also die der Theorie Y, Mitverantwortung, Kontinuität und Konsistenz, dialogische Diskurskultur, Motivation und Vertrauen sowie Respekt und Wertschätzung.
[149] Martens / Kuhl 2009, S. 35.
[150] Vgl. Campbell 2006, S. 9. Dieses zentrale gemeinsam beschlossene Ziel wird von diversen Autoren sowie Medien hervorgehobenen, u. a. auch im Interview mit Lerner selbst. (vgl. MacLeod 2002, S. 2)
[151] Vgl. Heuwing 2007, S. 42 ff. In diesem Kapitel beschreibt Heuwing Lerners beigetragene Innovationenpolitik sowie die konkreten Beispiele, welche in dieser Arbeit konzentriert auf einige wenige, im weiteren Abschnitt 2.3 erfolgen soll.
[152] Vgl. Heuwing 2007, S. 43. In ihrer Abbildung 2-8 „Einflussgrößen und Komplexitätsübersicht Curitiba“ beschreibt sie den Begriff „Mythos“ als „wesentliche Einflussgröße“ der integrativen Politik Curitibas. Hinzu vertieft Heuwing den „Mythos Curitiba“ auf Seite 63 in Bezug auf Brasilien.
[153] Im Interview mit Mauro Magnabosco wurde diese besonders fordernde Anspruchshaltung der Curitibanos in Bezug auf seine öffentlichen Organe der Stadt besonders deutlich. Da die Maßnahmen und Innovationen in Curitiba letztlich die Lebensqualität der Bürger insgesamt verbessert haben (kostenlose Schulen, Krippen, Gesundheitsversorgung, etc.), liegt der Fokus vieler Bürger eher auf anderen Themen innerhalb der Stadt. (vgl. Anhang Nr. 7 [29:00 bis 30:00 Min.] i. V. m. [46:11 bis 47:03 Min.])
[154] Heuwing 2007, S. 63. MacLeod (2002, S. 3) bewertet Curitiba in diesem Zusammenhang sogar als „Vorzeigemodell für ökologischen und humanen Urbanismus“.
[155] Vgl. Heuwing 2007, S. 62 i. V. m. Volkery 2006.
[156] Vgl. Heuwing 2007, S. 63. Heuwing stützt sich mit dieser Information neben eigener empirischer Ergebnisse aus einem Interview mit dem damaligen Präsidenten der URBS, Sergio Tocchi (in Heuwing 2007, S. B-88), insbesondere auf die Briefing Notes der World Bank (2001) sowie Ergebnisse von Volkery (2006).
[157] Magnabosco sprach von einem beidseitigen Geben und Nehmen. Das IPPUC bringt eine meist von den Bürgern geforderte Innovation auf den Weg. Im Gegenzug bedanken sich die Curitibanos mit Respekt, Akzeptanz und einer wertschätzenden Haltung gegenüber der neuen Maßnahme. „Das ist für uns die beste und größte Rückmeldung, die wir nur bekommen könnten.“ (Anhang Nr. 7, Interview mit Magnabosco [33:12 Min.])
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- B.Sc. Sven Hartmann (Author), 2011, Erfolgsbeispiel Curitiba - im Spannungsfeld zwischen individueller und kollektiver Führung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/177278
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