"Ich weiß nicht, ob es besser wird, wenn es anders wird. Aber es muss anders werden wenn es besser werden soll." GEORG CHRISOPH LICHTENBERG
Die Ortsvereine der Arbeiterwohlfahrt sollen „anders“ werden, ... moderner und zukunftsfähiger, so lautet das hohe Ziel. In dieser Arbeit sollen die Gründe für die Notwendigkeit der Veränderungsprozesse definiert und analysiert werden, um daraus Erkenntnisse für die operative Arbeit vor Ort zu gewinnen. Dementsprechend lautet die Fragestellung der Masterarbeit: „Welchen Herausforderungen müssen die AWO-Ortsvereine begegnen und was muss für die Ortsvereine getan werden, um eine zukunftsweisende Modernisierung zu erreichen?“
Der historische Hintergrund der AWO wird in den Ortsvereinen häufig thematisiert und ist dort für die Identifikation der Ehrenamtlichen mit dem Verband besonders wichtig. Die auch heute noch wichtigen Aspekte aus der Geschichte der AWO werden in Kapitel 2 ausgeführt und um den organisatorischen und inhaltlichen Aufbau ergänzt.
Aus verschiedenen Gründen funktionieren die Ortsvereine in der alt bewährten Form nicht mehr und die aktuellen Existenzprobleme der Ortsvereine zeigen die Notwendigkeit zum Wandel. Umweltbedingte und organisationsinterne Impulse sind Auslöser für Veränderungsprozesse in den Ortsvereinen. Allerdings sind Veränderungen meist unerwünscht, kosten sie doch eine Menge Kraft und beinhalten die Loslösung von alt bewährten Routinen und Strukturen. In Kapitel 3 werden die einzelnen Impulse zu den Veränderungsprozessen zunächst allgemein beschrieben, danach wird das Augenmerk auf die Ortsvereine gerichtet und die damit verbundenen Herausforderungen erarbeitet und Hypothesen erstellt.
Die umweltbedingten und organisationsinternen Impulse haben bereits Reformen und Veränderungsprozesse ausgelöst. In Kapitel 4 werden die für den Mitgliederbereich relevanten Bereiche des aktuellen Reformprozesses der AWO beschrieben
Die Theorie und wissenschaftlichen Aspekte der vorhergegangenen Kapitel dienen als wissenschaftliches Fundament für die praxisnahen Ausführungen in Kapitel 5. Die einzelnen Ortsvereine können als Organisationen betrachtet werden und dementsprechend werden Theorie und Methoden von Organisationsentwicklung auf die Umsetzung in den Ortsvereinen geprüft und ggf. angepasst und übernommen.
Abschließend erfolgt in Kapitel 6 die Zusammenfassung der Erkenntnisse sowie ein Blick in die Zukunft.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Grundlagen der AWO
2.1 Historische Entwicklung
2.2 Organisatorischer Aufbau und Besonderheiten
2.3 Die Ortsvereine
3 Notwendigkeit von Veränderungsprozessen
3.1 Umweltbedingte Impulse
3.1.1 Demografischer Wandel
3.1.2 Veränderungen in den Verhaltensweisen
3.1.3 Strukturwandel des Ehrenamtes
3.1.4 Ökonomisierung des Sozialsektors
3.2 Organisationsinterne Impulse
3.2.1 Ideelle Gründe
3.2.2 Materielle Gründe
3.3 Ortsvereinsinterne Impulse
3.4 Zusammenfassung und Auswirkungen der Veränderungen
4 Verbandsentwicklung als Reaktion auf die Impulse
5 Organisationsentwicklung in den Ortsvereinen am Beispiel des Projekts „Offen für Neues und Neue“
5.1 Rahmenbedingungen
5.2 Projektplanung
5.3 Umsetzung der Projektbausteine
5.3.1 Auftaktveranstaltungen
5.3.2 Regionalgruppen
5.3.3 Individuelle Unterstützung und Beratung
5.3.4 Serviceleistungen
6 Schlussbemerkung
7 Literaturverzeichnis
„Ich weißnicht, ob es besser wird, wenn es anders wird. Aber es muss anders werden wenn es besser werden soll.“
Georg Christoph Lichtenberg
1 Einleitung
Die Ortsvereine der Arbeiterwohlfahrt1 sollen „anders“ werden, ... moderner und zukunftsfähiger, so lautet das hohe Ziel. In dieser Arbeit sollen die Gründe für die Notwendigkeit der Veränderungsprozesse definiert und analy- siert werden, um daraus Erkenntnisse für die operative Arbeit vor Ort zu gewinnen. Dementsprechend lautet die Fragestellung der Masterarbeit: „Welchen Herausforderungen müssen die AWO-Ortsvereine begegnen und was muss für die Ortsvereine getan werden, um eine zukunftsweisende Mo- dernisierung zu erreichen?“
Im Mitgliederbereich der AWO sind überwiegend Menschen tätig, die unent- geltliche Leistungen erbringen. Es gibt mittlerweile eine Vielzahl von Bezeich- nungen für dieses Engagement, durch die u.a. unterschiedliche Motivationen deutlich werden sollen. Eine kurze Erläuterung der in diesem Text häufig ver- wendeten Begriffe2 erfolgt schon an dieser Stelle, damit sie von Anfang an im richtigen Kontext verstanden werden können. Als „Ehrenamtliche“ werden hier Menschen bezeichnet, die ihre Tätigkeit auf der Grundlage eines starken Bezugs zu der AWO ausüben und in der Regel Mitglieder sind. „Freiwillige“ sind aufgrund des persönlichen Interesses am Inhalt des jeweiligen Angebotes tätig, ohne jeglichen Bezug zur AWO und „bürgerschaftlich Engagierte“ wird als Oberbegriff für alle Formen des Engagements benutzt.
Der historische Hintergrund der AWO wird in den Ortsvereinen häufig thema- tisiert und ist dort für die Identifikation der Ehrenamtlichen mit dem Verband besonders wichtig. Die auch heute noch wichtigen Aspekte aus der Ge- schichte der AWO werden in Kapitel 2 ausgeführt und um den organisatorischen und inhaltlichen Aufbau ergänzt. Dabei spielen die Gemeinsamkeiten mit anderen Wohlfahrtsverbänden eine Rolle, aber hervorgehoben werden auch die Besonderheiten der AWO.
Einen elementaren Teil des Verbandes bilden die Ortsvereine, in denen sich die Mitglieder versammeln und die damit die Basis des Gesamtverbandes bilden. Die Ortsvereine existieren auf der Grundlage des bürgerschaftlichen Engagements von Funktionären, Ehrenamtlichen und Freiwilligen. Mit der Beschreibung dieser Gruppen, sowie der Zielgruppe von Ortsvereinen wird das Kapitel 2 vervollständigt.
Aus verschiedenen Gründen funktionieren die Ortsvereine in der alt bewähr- ten Form nicht mehr und die aktuellen Existenzprobleme der Ortsvereine zeigen die Notwendigkeit zum Wandel. Umweltbedingte und organisationsin- terne Impulse sind Auslöser für Veränderungsprozesse in den Ortsvereinen. Allerdings sind Veränderungen meist unerwünscht, kosten sie doch eine Menge Kraft und beinhalten die Loslösung von alt bewährten Routinen und Strukturen. In Kapitel 3 werden die einzelnen Impulse zu den Veränderungs- prozessen zunächst allgemein beschrieben, danach wird das Augenmerk auf die Ortsvereine gerichtet und die damit verbundenen Herausforderungen er- arbeitet und Hypothesen erstellt.
Die umweltbedingten und organisationsinternen Impulse haben bereits Reformen und Veränderungsprozesse ausgelöst. In Kapitel 4 werden die für den Mitgliederbereich relevanten Bereiche des aktuellen Reformprozesses der AWO beschrieben, die zu Grundsätzen und Eckpunkten der Verbands- entwicklung geführt haben. In Magdeburg wurden 2007 zahlreiche Empfeh- lungen verabschiedet, die auf eine sichere Zukunft der AWO zielen und für den Mitgliederbereich wichtigen Aspekte beinhalten. Diese sollen bewirken, dass der Stellenwert von bürgerschaftlichem Engagement und AWO Mit- gliedschaften wieder steigt. Die Umsetzung der Verbandsentwicklung in die praktische Arbeit vor Ort muss im nächsten Schritt erfolgen, dazu hat z. B. der AWO-Bezirksverband Ostwestfalen-Lippe e.V. in Kooperation mit den da- zugehörigen sieben Kreisverbänden das Modellprojekt „Offen für Neues und Neue“ ins Leben gerufen, mit dem Schwerpunkt die Ortsvereine zu stärken.
Die Theorie und wissenschaftlichen Aspekte der vorhergegangenen Kapitel dienen als wissenschaftliches Fundament für die praxisnahen Ausführungen in Kapitel 5. Die einzelnen Ortsvereine können als Organisationen betrachtet werden und dementsprechend werden Theorie und Methoden von Organisa- tionsentwicklung auf die Umsetzung in den Ortsvereinen geprüft und ggf. an- gepasst und übernommen. An dem Modellprojekt „Offen für Neues und Neue“ wird beispielhaft ausgeführt, was für die Ortsvereine getan werden kann, um sie moderner und damit zukunftsfähig zu machen. Zu beachten ist dabei, dass das Projekt noch nicht abgeschlossen ist, sondern sich mitten im Prozess der Ortsvereinsstärkung befindet.
Der Aufbau dieses Kapitels beinhaltet die Darstellung der Rahmenbedingungen und der Projektplanung, allerdings stark konzentriert auf die wesentlichen Aspekte, d.h. die Projektdarstellung erfolgt nicht in allen Einzelheiten. Die wesentlichen Projektbausteine werden dargestellt und enthalten jeweils die fachlichen Grundlagen, darauf aufbauend wird die Praxis der Projektbausteine beschrieben und anschließend folgen kurze Reflexionen der Praxisbeispiele, soweit das zum jetzigen Zeitpunkt möglich ist.
Abschließend erfolgt in Kapitel 6 die Zusammenfassung der Erkenntnisse sowie ein Blick in die Zukunft.
Zugunsten der Übersichtlichkeit wird auf die Ausführung der weiblichen Form verzichtet. Sämtliche personalen Bezeichnungen in männlicher Form sind natürlich ebenso für die weibliche Form zu verstehen.
2 Grundlagen der AWO
Die Ortsvereine sind kleine Organisationen, mit individuellen geschichtlichem Hintergrund und selbst gebildeten Strukturen innerhalb der vorgegebenen Rahmenbedingungen. Zusätzlich erfolgt die Tätigkeit in den Ortsvereinen auch auf Grundlage der allgemeinen historischen Entwicklungen des Ge- samtverbandes der AWO und eingebunden in die vorgegebenen Organisati- onsstrukturen. Die wichtigsten Eckdaten werden im Folgenden dargestellt und beschrieben.
2.1 Historische Entwicklung
Die der Arbeiterschicht entstammende Marie Juchacz initiierte im Jahr 1919 die Gründung des „Hauptausschuss für Arbeiterwohlfahrt“ innerhalb der sozi- aldemokratischen Partei, weil sie die Notwendigkeit einer Wohlfahrtspflege speziell für die Arbeiterschicht sah (vgl. Schumacher Antonijevic 2004, S. 5). Dieser Ausschuss innerhalb der SPD wurde nicht, wie sonst üblich von ge- wählten Mitgliedern, sondern von ehrenamtlichen Mitarbeitern aufgebaut (vgl. Merchel 2001, S. 90) und getragen. Somit spielte das Ehrenamt in der AWO von Beginn an eine tragende Rolle.
Die Entstehung der AWO zielte nicht „... auf den Aufbau eines eigenständi- gen Wohlfahrtsverbandes“ (Boeßenecker 2005, S. 157), wie es bei anderen Verbänden der Fall war. Es bestanden konfessionelle und bürgerliche Wohl- fahrtsverbände, welche unabhängig von staatlichen Einflüssen arbeiteten. Die AWO grenzte sich davon sowohl strategisch als auch organisatorisch deutlich ab und entwickelte den Gegenpool, indem sie „...eine umfassende staatliche Wohlfahrts- und Sozialpolitik“ anstrebte, die die Gesetzgebung mit der Basisarbeit verbinden sollte (Boeßenecker 2005, S.159). Bis 1945 ent- standen 1260 Orts- und Kreisvereine, mit dem Ziel die soziale Situation der Arbeiterschicht zu verbessern (vgl. Boeßenecker 2005, S. 157 ff).
Von 1933 bis 1945 war die AWO aufgrund ihrer sozialdemokratischen Grundlage in Deutschland verboten (vgl. Schmid, Mansour 2007, S. 251). 1945 begann der Wiederaufbau der AWO, angelehnt an die alten Strukturen, jedoch mit einer neuen inhaltlichen Ausrichtung hin zu „...einem modernen Dienstleistungsverband mit Fachpersonal“ (Föcking 2007, S. 35). Sie wird eine der sechs sogenannten „Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege“ und löste sich offiziell von der SPD. Die Entwicklung der AWO ging zu einer parteipolitisch und konfessionell unabhängigen und selbstständigen Wohl- fahrtsorganisation (vgl. Schilling / Zeller 2007, S. 244). Allerdings wurde noch 1987 im Grundsatzprogramm festgehalten, dass „die Arbeiterwohlfahrt [...] Teil der Arbeiterbewegung [ist]. Sie bekennt sich zu den Grundsätzen des freiheitlichen und demokratischen Sozialismus“ (Arbeiterwohlfahrt Bundes- verband e. V. verabschiedet 1987). Deutlich wird dadurch, die immer noch bestehende klare Vernetzung mit der Politik. Anfang der 90er Jahre führten AWO interne Leitbilddebatten zu einer veränderten Stellung des Verbandes gegenüber dem demokratischen Sozialismus, weg von einer klaren Veranke- rung und hin zu einer geschichtlich begründeten Zuordnung. So heißt es in dem Verbandsstatut der Arbeiterwohlfahrt im Jahr 2000: „Sie [die AWO] bestimmt - vor ihrem geschichtlichen Hintergrund als Teil der Arbeiterbewegung - ihr Handeln durch die Werte des freiheitlichen-demokratischen Sozialismus: Solidarität, Toleranz, Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit“ (be- schlossen durch die Bundeskonferenz 2000).
In der Praxis besteht bis heute eine parteiliche Nähe zur SPD, die sich be- sonders deutlich in den ehrenamtlichen Vorständen der AWO zeigt, die über- wiegend der älteren Generation angehören (siehe Kapitel 2.3). Für diese Ge- neration war bzw. ist es ein Selbstverständnis, dass Mitgliedschaft in der SPD auch eine Mitgliedschaft und eine Mitarbeit in der AWO bedeutet, dementsprechend groß ist die personelle und ideologische Verflechtung zwischen den beiden Organisationen (vgl. Merchel 2001, S. 95 f).
2.2 Organisatorischer Aufbau und Besonderheiten
Der heutige Organisationsaufbau beinhaltet auf der kommunalen Ebene 3761 Ortsvereine, welche sich in 395 Kreisverbände zusammenschließen. Die sich darüber befindende Organisationsebene besteht aus den 23 Bezirks- bzw. Landesverbänden und an oberster Gliederungsebene steht der Bundesverband. Jede Verbandsebene ist durch ihre Mitgliedschaft in der jeweils darüber liegenden, der Region zugeordneten, Ebene verbunden (vgl. AWO Bundesverband 2010, S. 94).
Damit ist die AWO, wie andere Wohlfahrtsverbände ein föderal aufgebauter Verband, deren Gesamtheit durch das einheitlichen Leitbild und der entspre- chenden Werteorientierung gekennzeichnet ist. Die dezentrale Struktur und die Eigenständigkeit der einzelnen Gliederungen ermöglichen „Ortsnähe und Überschaubarkeit auf lokaler Ebene“ (Klug 1997, S. 37f), die von Vorteil sind, um individuell an den Sozialraum angepasste Hilfeleistungen anzubieten.
Einen deutlichen Unterschied zu anderen Wohlfahrtsverbänden bilden, auch heute noch, die sozialpolitischen Aktivitäten. Insbesondere der Bundesver- band verfasst sozialpolitischen Stellungnahmen, Grundsatzerklärungen und ruft zu Aktionen auf, um die Rechte sozial benachteiligter Menschen zu stärken. „Die AWO hat im Vergleich zum Selbstverständnis anderer Wohl- fahrtsverbände sehr viel stärker den Charakter als sozial- und gesellschafts- politischer Wohlfahrtsverband in die verbandliche Identität integriert. Sie grenzt sich in ihrem Selbstverständnis gegen Wohlfahrtsverbände mit primär caritativen Charakter ab“ (Merchel 2001, S. 93). Als sozialpolitischer Interes- senverband begründet die AWO sogar ihre „... organisatorische Notwendig- keit/Legitimation durch die defizitäre Ausgestaltung des Sozialstaats ...“ (Boeßenecker 2005, S. 165). Entgegen aller anderen Wohlfahrtsverbände, bedingt durch ihren politischen Ursprung hält die AWO eine gewisse Distanz zum Subsidiaritätsprinzip, allerdings in so abgemilderter Form, dass es mit dem Selbstverständnis als Wohlfahrtsverband nicht korreliert.
2.3 Die Ortsvereine
Die Ortsvereine stellen die einzige Gliederungsebene dar, die aus natürli- chen Mitgliedern einer Stadt oder Gemeinde bestehen (vgl. Pötzsch 2007, S. 87). Daraus ergeben sich persönlichen Mitgliedschaften, die durch die Orts- vereine betreut werden und auf denen die AWO aufgebaut ist, sie bilden die Basis des gesamten Verbandes (vgl. Verbandsstatut der Arbeiterwohlfahrt 2008, 1. Präambel) und der Erfolg der AWO hängt u. a. von der Anzahl der Mitglieder ab (vgl. Bundesverband der AWO 2007, Grundsatz 4). Das zum großen Teil in den Ortsvereinen stattfindende bürgerschaftliche Engagement ist für das Selbstverständnis und die Zukunft des Verbandes von besonderer Bedeutung (vgl. Bundesverband der AWO 2007, Grundsatz 2).
Durch die persönlichen Mitgliedschaften repräsentieren die Ortsvereine die lebendige Basis der AWO. Die Veranstaltungen, Angebote und Aktionen der Ortsvereine werden durch bürgerschaftlich Engagierte organisiert und durchgeführt. Damit baut die Organisationsstruktur der Ortsvereine auf die Ehrenamtlichen und das Engagement dieser Gruppe hat für die Wohlfahrtsverbände einen hohen Legitimationswert, der die ökonomische und gesellschaftspolitische Dimension betrifft (vgl. Merchel 2001, S.143 f).
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Ortsvereine mit den in ihnen tätigen Menschen und Mitgliedern für den Gesamtverband der AWO einen hohen ideellen und materiellen Wert darstellen.
Das bürgerschaftliche Engagement, welches die Grundlage für die Existenz der Ortsvereine darstellt, lässt sich in drei Gruppen aufteilen: die Funktionäre (Ortsvereinsvorstände), die Ehrenamtlichen und die Freiwilligen.
Funktionäre
Jeder Ortsverein wird von einem ehrenamtlichen Vorstand geleitet (siehe § 26 BGB), der den Verein vertritt und für die gesamte Organisation, die fi- nanzielle Absicherung und die Mitgliederpflege zuständig ist. Ehrenamtliche Funktionsträger gibt es allerdings nicht nur auf kommunaler Ebene, sondern auf allen Gliederungsebenen der AWO, die Gesamtzahl wird auf 35.000 Personen3 geschätzt (vgl. Diskussionspapier 2004, S. 54). Das Durchschnittsalter dieser Personengruppe liegt laut Mitgliederbefragung bei 60 Jahren und damit etwas unterhalb des Durchschnittsalters aller AWO-Mit- glieder, welches bei 63 Jahren liegt (vgl. Diskussionspapier 2004, S. 51). Ein Vergleich zwischen den Funktionären auf Ortsvereinsebene und den Funktionären auf Kreis-, Bezirks- und Landesebene ergibt, dass sich auf kommunaler Ebene mehr Frauen höheres Alter beteiligen, während auf den übergeordneten Gliederungsebenen die Funktionärskreise überwiegend aus Männern bestehen, die tendenziell ein jüngeres Alter aufweisen (vgl. Diskus- sionspapier 2004, S. 54). Das Engagement findet häufig im traditionellen eh- renamtlichen Verständnis statt, welches beinhaltet, dass die Tätigkeit nicht nur aus Spaß oder Interesse an der Aufgabe angenommen wird, sondern aus einem Pflichtbewusstsein heraus und auf der Grundlage werteorientierter Motive, wie z.B. die Werte des demokratischen Sozialismus4 (vgl. Diskussi- onspapier 2004, S. 54).
Ehrenamtliche
Die Gruppe der Ehrenamtlichen setzt sich überwiegend aus Mitgliedern zusammen, die sich zusätzlich zu ihrer Mitgliedschaft aktiv einbringen und engagieren, somit können sie auch als aktive Mitglieder bezeichnet werden. Sie sind für die operativen Tätigkeiten im Ortsverein zuständig und organisie- ren beispielsweise die regelmäßig stattfindenden Kaffeenachmittage, Tages- fahrten und Feste. Die Anzahl dieser Gruppe wird auf 40.000 Personen, überwiegend Frauen, geschätzt (vgl. Diskussionspapier 2004, S. 54).
Freiwillige
Schätzungsweise 5.000 bis 10.000 Personen engagieren sich in den Ortsvereinen an Projekten oder konkreten Aufgaben, ohne dass sie AWO-Mitglieder sind. Die Freiwilligen sind deutlich jünger als die Funktionäre und Ehrenamtlichen (vgl. Diskussionspapier 2004, S. 55) und weisen ein großes, noch viel zu wenig genutztes Potenzial für die Ortsvereine auf.
Die Zielgruppen
Die bundesweit einheitliche Zielgruppe der Ortsvereine sind Teilnehmer, die die Angebote und Veranstaltungen der Ortsvereine wahrnehmen. Viele AWO-Ortsvereine definieren sich ausschließlich über Teilnehmer, die konti- nuierlich und seit Jahren an einem oder mehreren etablierten Angebot(en) teilnehmen, wobei die Angebotspalette der Ortsvereine sehr eingeschränkt ist und einen deutlichen Schwerpunkt auf alte Menschen aufweist. Das typische und von allen Ortsvereinen praktizierte Angebot ist die Altentages- stätte5. Aufgrund der bisher einseitigen Ausrichtung von Angeboten auf alte Menschen gehören die Teilnehmer überwiegend der Generation 70plus an, in der es deutlich mehr Frauen als Männer gibt, dementsprechend sind auch die Teilnehmer überwiegend weiblich und verwitwet (siehe Kapitel 3.1.1). Durch die langjährig etablierten Angebote des Ortsvereins erhalten die Teil- nehmer eine Kontinuität und einen angemessenen Platz in der Gruppe, die Vertrautheit im sozialen Miteinander bietet und eine Struktur, die in den Alltag fest eingeplant werden kann. Dies entspricht ihren sozialen Bedürfnissen und es befriedigt das Bedürfnis nach Sicherheit dieser Gruppe. Diese Teilnehmer bestehen auf die altbewährten und unveränderten Strukturen und Abläufe.
Die Ortsvereine bieten auch themenbezogene und zeitlich beschränkte Angebote und Kurse für Teilnehmer, wie beispielsweise Vorträge, Computer- kurse, Gymnastikkurse usw. Die Möglichkeiten sind kaum einzugrenzen, solange sie die Grundwerte der AWO beachten. Entsprechend breit gefä- chert sind die Merkmale dieser Teilnehmer, wie z.B. Alter, Geschlecht, Familienstand usw. Sie entsprechen dem jeweiligen Angebot und können somit die gesamte Bandbreite unserer Gesellschaft umfassen.
Zusammenfassung
Reduziert man die Gruppen, mit denen die Ortsvereine im Austausch stehen auf die absolut wesentlichen Austauschpartner, welche die Grundlage für die Existenz der AWO-Ortsvereine darstellen und bundesweit einheitlich existieren, so ergibt sich folgendes Bild:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Austauschpartneranalyse, Grundsatz aus Dahle/Schrader 2003, S.45, verändert durch die Autorin.
Im Innenbereich befinden sich die Menschen, die direkt im Ortsverein tätig sind und deren Engagement das Fundament bilden. Im Außenbereich „input“ sind die Austauschpartner aufgeführt, durch die eine Beschaffung von finanziellen Mitteln erfolgt. Im Außenbereich „output“ sind Austauschpartner, die von den Leistungen der Ortsvereine profitieren.
Die übergeordneten Verbandseinheiten gehören zum Teil auch auf die „input“ Seite, da sie die Ortsvereine fachlich unterstützen und beraten. Es wird einiges auf dieser Ebene organisiert und initiiert, von dem die Ortsvereine profitieren.
Lange Zeit funktionierte dieses gesamte System, aber nun reduzieren sich die aufgeführten Gruppen in einem solchen Maße, das die Existenz der Ortsvereine gefährdet ist. Es muss geprüft werden, inwieweit Veränderungsprozesse in der Umwelt und in der AWO zu diesem Prozess geführt haben und wie die Ortsvereine darauf reagieren könnten bzw. was von dem Verband für die Ortsvereine getan werden kann, um ihre Existenz zu sichern.
3 Notwendigkeit von Veränderungsprozessen
Funktionieren Organisationen nicht mehr zufriedenstellend, wie beispielsweise die AWO-Ortsvereine, so werden Veränderungen notwendig. Es gibt umweltbedingte Impulse, also externe Gründe die einen Veränderungsprozess auslösen, aber auch organisationsinterne Gründe können einen Wandel bewirken (vgl. Seichter 2004, S. 8).
Die Besonderheit bei den hier beschriebenen Veränderungsprozessen ist, dass es sich bei den Ortsvereinen der AWO nicht um eine Organisation handelt, die modernisiert werden soll, sondern um viele Organisationen aus einem Bereich. Die Struktur und Inhalte dieser 3761 Ortsvereine (Anzahl der Ortsvereine vgl. AWO Bundesverband 2010, S. 94) sind im Grundsatz zwar identisch, allerdings unterscheiden sie sich im Detail stark. Um die Komplexi- tät zu reduzieren, wird im Folgenden von dem „typischen Ortsverein“ ausge- gangen. Die aus dem Wandel erarbeiteten und aufgestellten Hypothesen sind richtungweisend, können aber nicht einfach auf alle Ortsvereine übertra- gen werden. Vielmehr müssen sie für die einzelnen Ortsvereine auf die mögliche Umsetzbarkeit überprüft werden, die abhängig ist von den jeweili- gen personellen und materiellen Ressourcen des einzelnen Ortsvereins, dem individuellen Sozialraum u.v.m.
3.1 Umweltbedingte Impulse
Merchel (2004, S. 9 ff) führt auf, warum sich soziale Organisationen verän- dern sollen, dies wird als Grundlage für die im Folgenden speziell auf die AWO-Ortsvereine bezogenen und ausgeführten Gründe des Wandels sein.
Um die Existenz der Ortsvereine zu sichern, müssen die Anforderungen aus ihrer Umwelt beachtet werden, denn die Ressourcen, die ein Ortsverein braucht um zu funktionieren, kommen aus der Umwelt. Das Bestehen und Überleben der Ortsvereine wird durch Mitglieder, Funktionäre und bürger- schaftlich engagierten Menschen auf finanzieller, organisatorischer und in- haltlicher Ebene abgesichert. Passen sich die Ortsvereine den Veränderun- gen in der Umwelt nicht an, so riskieren sie damit eine Stagnation oder sogar eine Reduktion der notwendigen Ressourcen. Die AWO Ortsvereine müssen in der Umwelt anerkannt und respektiert werden, damit sie auf dem Markt bestehen können.
Um die Akzeptanz und damit Ressourcen langfristig zu sichern, müssen Or- ganisationen die Wandlungen in der Umwelt wahrnehmen, auf die eigene Si- tuation hin überprüfen und ggf. Veränderungen planen und umsetzen. Dies ist in den AWO-Ortsvereinen nur zum Teil geschehen, so wurden die signifi- kanten Veränderungen in der Umwelt zwar wahrgenommen, aber in dem überwiegendem Teil der Ortsvereine fand kein entsprechender Verände- rungsprozess statt. Beispielsweise beklagen die Wohlfahrtsverbände schon seit den siebziger Jahren ein abnehmendes Interesse an ehrenamtlichen sozialen Engagement (vgl. Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohl- fahrtspflege 1985, S. 82-87), ohne dass sich in der Literatur Anhaltspunkte finden lassen, die von Reformprozessen als Reaktion auf diese Feststellung in den Ortsvereinen berichten. Es lässt sich annehmen, dass die Auswirkun- gen der umweltbedingten Veränderungen nicht als relevant genug eingestuft wurden, um den schwierigen Prozess der Organisationsentwicklung anzu- streben und vehement genug einzufordern. Eventuell waren in den Ortsverei- nen auch keine Organisationsmitglieder vertreten, die die Fähigkeit, das Know-how und die Macht hatten, einen Veränderungsprozess nicht nur anzu- stoßen, sondern maßgeblich zu initiieren und umzusetzen, sodass der Bestand vieler Ortsvereine heute gefährdet ist.
Im Folgenden werden die für Ortsvereine als besonders bedeutsamen Um- weltveränderungen aufgeführt und analysiert, das umfasst den demografi- schen Wandel, Veränderungen in den Verhaltensweisen der Menschen, den Strukturwandel im Ehrenamt und die Ökonomisierung des Sozialsektors.
[...]
1 Abkürzung im folgendem Text: AWO
2 Konkretere Ausführungen folgen im Kapitel 3.1.3
3 Die Zahlen sind einem Text entnommen, indem die Anzahl der natürlichen Mitglieder noch mit ca. 450.000 angegeben wird (TUP 2005, S. 53). Nach aktuelleren Veröffentli- chungen beläuft sich die Mitgliederzahl auf ca.399.317 Personen (vgl. AWO Bundesver- band 2010, S. 94). Deshalb ist davon auszugehen, dass auch die Gesamtzahl der ehren- amtlichen Funktionsträger tendenziell gesunken ist.
4 Die in Kapitel 2.1 gemachte Feststellung, dass in der Praxis bis heute eine parteiliche Nähe zur SPD besteht, kommt dem Verband an dieser Stelle zu Gute, denn so findet ein „personeller Austausch“ statt.
5 Es existieren alternative Begriffe, wie z.B. Altentreff, Begegnungsstätten, Freizeittreff und ähnliches. Unabhängig von der gewählten Begrifflichkeit handelt es sich dabei um regel- mäßig stattfindende gesellige Stunden, deren Inhalt meist mit Kaffee trinken und Gesprä- chen gefüllt sind und von der Altersgruppe 70plus wahrgenommen werden. Ergänzt wird das Angebot in der Regel durch Spiele, Tagesfahrten, Geburtstagsfeiern, Weihnachtsfei- ern usw.
- Arbeit zitieren
- Kristina Witschel (Autor:in), 2011, Wie gestalte ich einen modernen Ortsverein?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/177259
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