Wir schreiben das Jahr 2010. Seit inzwischen 20 Jahren existiert die deutsche Staatsnation.
Mit dem Anschluss der DDR an die BRD sollte ein Prozess vorerst ein Ende finden,
welcher Jahrhunderte zuvor bereits begonnen hatte: die Bildung eines deutschen
Nationalstaates. Diesen Prozess hat auch der vorliegende Textabschnitt "Deutschland –
eine verspätete Nation?", aus dem Buch "Zeitschichten. Studien zur Historik." von dem
Historiker Reinhart Koselleck (im weiteren mit "K." abgekürzt), zum Thema. K., welcher
zu Lebzeiten als Dozent an verschiedenen Universitäten unterrichtete, analysiert in seinen
Ausführungen die Geschichte der Einigung der deutschen Nation, auf Grundlage und
Kritik eines Buches ("Die verspätete Nation. Über die politische Verführbarkeit
bürgerlichen Geistes") von Helmuth Plessner. Dieser bezeichnet "die Deutschen" als
"verspätete Nation". Er begründet dies damit, dass im deutschen Kultur- und Sprachraum
seit der Reformation eine fatale Dialektik, also eine virulente Beziehung, zwischen
deutscher Innerlichkeit und dogmatischer Staatskirche herrschte. [...]