„Es ist der deutschen Wirtschaft gelungen, die bei uns praktizierte Corporate Governance mit Hilfe des Kodex erfolgreich an die Anforderungen des globalen Wettbewerbs anzupassen. Wir haben ein gutes Werk geschaffen, wir verkehren heute international auf Augenhöhe mit Vertretern des einstufigen Board-Systems“1. So bewertet Gerhard Cromme, langjähriger Vorsitzender der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex, die Arbeit der Kommission und den seit 2002 existierenden Kodex. Die Meinungen in der wissenschaftlichen Literatur und bei den betroffenen Unternehmen sind durchaus differenzierter und reichen von strikter Ablehnung über kritische Beurteilung bis hin zu Unterstützung.
Die Kritikpunkte sind vielfältig und sollen in dieser Arbeit nicht alle en détail wiedergegeben werden. Ein kritischer Ansatz aber soll herausgehoben werden: Er behauptet, dass die Kodex-Kommission nur als Ideengeber für die Legislative fungiere. Demnach müssten die Ideen des Kodex nach und nach in zwingendes Recht umgeändert werden. Damit aber würde die Funktion der Kommission und somit auch des Kodex selbst konterkariert: Schließlich soll der Kodex deregulierend wirken und helfen, die deutsche Corporate Governance flexibler zu gestalten. Würde der Gesetzgeber die Vorschläge der Kommission zunehmend dafür nutzen, um beispielsweise das Aktien- oder Kapitalmarktrecht zu modernisieren, müsste der Kodex als gescheitert angesehen werden.
Die vorliegende Arbeit soll sich der Überprüfung dieser Hypothese widmen. Es stellen sich mithin folgende Fragen, die es zu klären gilt: Wie oft hat der Gesetzgeber Empfehlungen des Kodex aufgegriffen und sie in Gesetze transformiert? Welche Gründe gab es für diese Aufwertung? Welche Aussagen lassen sich über die Befolgungsquoten der verrechtlichten Empfehlungen treffen?
Die Arbeit zielt demgegenüber nicht auf eine grundsätzliche Kritik des Kodex ab. Diese wurde in der wissenschaftlichen Literatur bereits sehr breit diskutiert, während die hier aufgegriffenen Fragen eher selten gestellt wurden. Zwar finden sich gerade im Anschluss an das Gesetz zur Offenlegung der Vorstandsvergütung oder das Gesetz zurAngemessenheit der Vorstandsvergütung einige einschlägige kritische Artikel und Aufsätze. Eine systematische Überprüfung fehlt allerdings bislang.
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
1. Einleitung
2. Corporate Governance
2.1 Interne und externe Corporate Governance
2.2 Enge oder weite Perspektive
2.3 Pfadabhängigkeit und Systemhaftigkeit
3. Die Principal-Agent-Theorie
3.1 Das Menschenbild der Principal-Agent-Theorie
3.2 Der Principal-Agent-Konflikt
3.3 Die Principal-Agent-Theorie in der Wirtschaft
3.4 Notwendigkeit von Corporate Governance
3.5 Gute und schlechte Corporate Governance
4. Die Debatte um Corporate Governance
4.1 Der Deutsche Corporate Governance Kodex
4.1.1 Vorbilder und Vorläufer
4.1.2 Entstehungsgeschichte
4.1.3 Inhaltsübersicht
4.1.4 Die Funktionen des Deutschen Corporate Governance Kodex
4.1.5 § 161 AktG und die Entsprechenserklärung
4.1.5.1 Wissenserklärung, Absichtserklärung und Aktualisierungserklärung
4.1.5.2 Entsprechenserklärung als Element der Regelberichterstattung
4.2 Haftungsrisiken durch den Kodex
4.3 Rechtsqualität der Kodexempfehlungen
4.4 Kritik am Corporate Governance Kodex
5. Befolgung der Kodexempfehlungen: ein Überblick
6. Die wesentlichen Änderungen des Kodex
7. Kodexempfehlungen und Gesetzgebung
8. Kodexänderungen und Gesetzgebung
8.1 Gestrichene Empfehlungen
8.1.1 VorstOG (2006)
8.1.2 TUG (2007)
8.1.3 BilMoG und VorstAG (2009)
8.1.4 ARUG (2010)
8.1.5 Zwischenfazit
8.2 Weitere neuralgische Empfehlungen
8.3 Der Faktor Vielfalt in den Empfehlungen des Kodex
9. Fazit
Literaturverzeichnis
Anhang
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Abbildung 1: Zusammenhang von Corporate Governance und Good Corporate Governance
Tabelle 1: Anzahl der Kodexempfehlungen nach Abschnitten (Angaben in Klammern: prozentualer Anteil)
Tabelle 2: Durchschnittliche Befolgung der Kodexempfehlungen seit 2003 in Prozent
Tabelle 3: Durchschnittliche Befolgung der Kodexempfehlungen seit 2003 nach Segmenten in Prozent
Tabelle 4: Anzahl neuralgischer Empfehlungen in den einzelnen Kodexabschnitten
Tabelle 5: Anzahl neuralgischer Empfehlungen in den einzelnen Börsensegmenten
Tabelle 6: Tz. 4.2.3 Abs. 3, Satz 1, 1. Halbsatz und Befolgungsquoten 2003-2005 in Prozent.
Tabelle 7: Tz. 4.2.3 Abs. 3, Satz 1, 2. Halbsatz und ihre Befolgungsquoten 2002-2005 in Prozent
Tabelle 8: Tz. 4.2.3 Abs. 3, Satz 2 und ihre Befolgungsquoten 2003-2005 in Prozent
Tabelle 9: Tz. 4.2.4 Satz 1 und ihre Befolgungsquoten 2002-2005 in Prozent
Tabelle 10: Tz. 4.2.4 Satz 2 und ihre Befolgungsquoten 2003-2005 in Prozent
Tabelle 11: Tz. 7.1.1 Satz 3 und ihre Befolgungsquoten 2002-2003 in Prozent
Tabelle 12: Tz. 3.8 Abs. 2 und ihre Befolgungsquoten 2002-2009 in Prozent
Tabelle 13: Tz. 3.10 Satz 2 und ihre Befolgungsquoten 2002, 2007 und 2008 in Prozent
Tabelle 14: Tz. 4.2.3 Abs. 3, Satz 4 und ihre Befolgungsquoten 2002-2007 in Prozent
Tabelle 15: Tz. 4.2.5 Abs. 2, Satz 1 und ihre Befolgungsquoten 2006-2008 in Prozent
Tabelle 16: Tz. 4.2.5 Abs. 2, Satz 2 und ihre Befolgungsquoten 2006-2008 in Prozent
Tabelle 17: Tz. 5.4.4 Satz 1 und ihre Befolgungsquoten 2005-2008 in Prozent
Tabelle 18: Tz. 2.3.1 Satz 3 und ihre Befolgungsquoten 2002 sowie 2007-2009
Tabelle 19: Tz. 3.8 Abs. 3 und ihre Befolgungsquote 2009 in Prozent
Tabelle 20: Tz. 4.2.3 Abs. 4, Satz 1 und ihre Befolgungsquote 2009 in Prozent
Tabelle 21: Tz. 4.2.3 Abs. 4, Satz 2 und ihre Befolgungsquote 2009 in Prozent
Tabelle 22: Tz.4.2.3 Abs. 5 und ihre Befolgungsquote 2009 in Prozent
Tabelle 23: Tz. 5.3.3 und ihre Befolgungsquote 2009 in Prozent
1. Einleitung
„Es ist der deutschen Wirtschaft gelungen, die bei uns praktizierte Corporate Governance mit Hilfe des Kodex erfolgreich an die Anforderungen des globalen Wettbewerbs anzupassen. Wir haben ein gutes Werk geschaffen, wir verkehren heute international auf Augenhöhe mit Vertretern des einstufigen Board-Systems“1. So bewertet Gerhard Cromme, langjähriger Vorsitzender der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex, die Arbeit der Kommission und den seit 2002 existierenden Kodex. Die Meinungen in der wissenschaftlichen Literatur und bei den betroffenen Unternehmen sind durchaus differenzierter und reichen von strikter Ablehnung über kritische Beurteilung bis hin zu Unterstützung.
Die Kritikpunkte sind vielfältig und sollen in dieser Arbeit nicht alle en détail wiedergegeben werden. Ein kritischer Ansatz aber soll herausgehoben werden: Er behauptet, dass die Kodex-Kommission nur als Ideengeber für die Legislative fungiere. Demnach müssten die Ideen des Kodex nach und nach in zwingendes Recht umgeändert werden. Damit aber würde die Funktion der Kommission und somit auch des Kodex selbst konterkariert: Schließlich soll der Kodex deregulierend wirken und helfen, die deutsche Corporate Governance flexibler zu gestalten. Würde der Gesetzgeber die Vorschläge der Kommission zunehmend dafür nutzen, um beispielsweise das Aktien- oder Kapitalmarktrecht zu modernisieren, müsste der Kodex als gescheitert angesehen werden.
Die vorliegende Arbeit soll sich der Überprüfung dieser Hypothese widmen. Es stellen sich mithin folgende Fragen, die es zu klären gilt: Wie oft hat der Gesetzgeber Empfehlungen des Kodex aufgegriffen und sie in Gesetze transformiert? Welche Gründe gab es für diese Aufwertung? Welche Aussagen lassen sich über die Befolgungsquoten der verrechtlichten Empfehlungen treffen?
Die Arbeit zielt demgegenüber nicht auf eine grundsätzliche Kritik des Kodex ab. Diese wurde in der wissenschaftlichen Literatur bereits sehr breit diskutiert, während die hier aufgegriffenen Fragen eher selten gestellt wurden. Zwar finden sich gerade im Anschluss an das Gesetz zur Offenlegung der Vorstandsvergütung oder das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung einige einschlägige kritische Artikel und Aufsätze. Eine systematische Überprüfung fehlt allerdings bislang.
Zunächst wird die hier vorliegende Arbeit in einer theoretischen Vorarbeit klären, was eigentlich unter Corporate Governance zu verstehen ist (Kapitel II) und warum eine gute Corporate Governance überhaupt benötigt wird (Kapitel III). Daraufhin wird näher auf die Debatte um Corporate Governance und die Entstehungsgeschichte des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) eingegangen (Kapitel IV). Kapitel V beschäftigt sich sodann mit der Befolgung der Kodexempfehlungen durch die betroffenen Unternehmen. Grundlage dafür ist die Auswertung von Sekundärdaten. Nachfolgend werden die grundlegenden Änderungen des Kodex seit seiner Institutionalisierung 2002 skizziert (Kapitel VI). Nach diesen Vorarbeiten soll auf die These eingegangen werden, dass der Kodex nur als Ideenlieferant für den Gesetzgeber diene (Kapitel VII). Zur Überprüfung der These wird darauffolgend untersucht, wie viele Empfehlungen des Kodex zu zwingendem Recht wurden und welches Akzeptanzniveau diese Empfehlungen aufwiesen (Kapitel VIII).
2. Corporate Governance
Was man unter dem Begriff der Corporate Governance zu verstehen ist, ist aus mehreren Gründen keine leicht zu beantwortende Frage. Zunächst einmal mangelt es in der deutschen Sprache an einer geeigneten Übersetzung des Begriffes. Die in der Literatur zuweilen aufkommenden Versuche, Corporate Governance mit ‚Unternehmensleitung‘, ‚Unternehmensverfassung‘ oder ‚Unternehmensorganisation‘ zu übersetzen, sind zurückzuweisen, da sie nur einzelne Facetten des Corporate Governance-Begriffs umfassen. So besteht die Gefahr, dass Corporate Governance auf gewisse Aspekte reduziert wird2. Im Folgenden wird daher auf den englischen Begriff zurückgegriffen, der sich in der wissenschaftlichen Debatte ohnehin eingebürgert hat.
Was Corporate Governance nun eigentlich bedeutet, ist damit aber noch nicht geklärt. Ein weiterer Aspekt, der es erschwert, eine allgemein anerkannte Definition für den Terminus zu finden, ist, dass vielen Definitionen bereits implizite Prämissen innewohnen - beispielweise nach dem Erkenntnisinteresse oder dem Untersuchungsobjekt -, so dass eine fast unübersehbare Bandbreite von Definitionsansätzen existiert, die sich darüber hinaus zum Teil noch widersprechen3.
Werder beschreibt Corporate Governance in einer Kurzformel als den rechtlichen und faktischen Ordnungsrahmen für die Leitung und Überwachung eines Unternehmens sowie die Einbindungen desselben in den Kapitalmarkt4. Eine umfassendere, dafür aber genauere Definition liefert Knöringer-Fröhlich nach Auswertung verschiedener Ansätze:
„Und tatsächlich ergibt die Auswertung der verschiedenen Umschreibungen und Definitionsversuche als Quintessenz, dass unter Corporate Governance im allgemeinen - auch im internationalen Sprachgebrauch - das System der Unternehmensleitung und -überwachung im weitesten Sinn verstanden wird. Es geht nicht nur um die rechtlichen Rahmenbedingungen und die Zuweisung von Zuständigkeiten und Verantwortungsbereichen innerhalb eines Unternehmens, sondern auch um die Beziehung des Unternehmens nach außen zu sämtlichen Stakeholdern, ja gar zu einem Land und zum Weltmarkt. Es geht dabei also neben der Zuständigkeitsverteilung um nachhaltige Wertschöpfung, Effektivität des Managements und die Außenwirkung des Unternehmens“5.
Corporate Governance umfasst demnach eine vielschichtige Materie, die bezüglich verschiedener Dimensionen variieren kann. In den folgenden Abschnitten soll deshalb ein kurzer Überblick über die verschiedenen Sichtweisen gegeben werden.
2.1 Interne und externe Corporate Governance
Idealtypisch lässt sich eine interne von einer externen Perspektive6 der Corporate Governance unterscheiden7. Die interne Perspektive beleuchtet Fragen der inneren Organisation eines Unternehmens. Sie betrachtet die Kompetenzverteilung und die Beziehungen zwischen den einzelnen Organen der Gesellschaft (Hauptversammlung, Aufsichtsrat, Vorstand), aber auch den einzelnen Organmitglieder selbst. Die Beziehungen werden durch gesetzliche Regelungen, unternehmensinterne Satzungen sowie durch Handelsbräuche geprägt8. In Deutschland gehören auch Fragen der Mitbestimmung zur internen Perspektive. Die interne Perspektive wird im Übrigen hierzulande schon lange unter dem Begriff der Unternehmensverfassung diskutiert9.
Die externe Perspektive der Corporate Governance dahingegen beschäftigt sich mit den Außenbeziehungen des Unternehmens. Im Mittelpunkt steht hier das Verhältnis zum Kapitalmarkt, aber auch zu Fremdkapitalgebern, Lieferanten, Kunden oder dem Staat10. Das Beziehungsgeflecht zwischen Vorstand, Aufsichtsrat und Wirtschaftsprüfung ist ebenfalls Bestandteil der externen Variante. Nach KnöringerFröhlich entstammen diese beiden Verständnisse der Corporate Governance unterschiedlichen Quellen. Während die interne Perspektive der angloamerikanischen Rechtssprache entstammt, ist die externe Perspektive dem angloamerikanischen Kapitalmarkt zuzuschreiben11.
Analog zu dieser idealtypischen Unterscheidung differenziert man zwischen einem Insider- und einem Outsider-System der Corporate Governance. Das Insider-System ist geprägt durch eine konzentrierte Eigentümerstruktur, Kapital- und Personalverflechtungen sowie den Einsatz von langfristigen Unternehmensstrategien (patient capital). Die Kontrolle des Managements erfolgt in diesem Fall vor allem über interne Mechanismen, beispielsweise die Aufsichtsratsarbeit oder direkten Gesprächen mit dem Management12. Die Deutschland AG stellte einen typischen Fall für ein Insider-orientiertes Corporate Governance-System dar. Anders verhält es sich beim Outsider-System der Corporate Governance: In diesem Modell erfolgt die Kontrolle des Managements vorwiegend über externe Kräfte, sprich den Kapitalmarkt, den Markt für Unternehmenskontrolle und Kapitalmarktanalysten13.
Paetzmann benennt diese beiden Spezialfälle als managed governance beziehungsweise als market governance14.
2.2 Enge oder weite Perspektive
Ein wichtiges Kriterium jeder Corporate Governance-Definition ist die Bestimmung der jeweiligen Interessen. Dies erfolgt oftmals implizit, was durchaus kritisch zu sehen ist15. Eng verknüpft mit der Diskussion um eine enge oder weite Perspektive von Corporate Governance ist die Debatte um Stakeholder16 und Shareholder Value. Enge Definitionen stellen dementsprechend die Beziehung zwischen dem Unternehmen und seinen Anteilseignern (sharehodlers) in den Mittelpunkt. Shleifer und Vishny liefern beispielsweise einen solchen Definitionsansatz: „Corporate Governance deals with the ways in which suppliers of finance to corporations assure themselves of getting a return on their investment”17. Dieser Definitionsansatz reduziert Corporate Governance auf das Verhältnis zwischen Unternehmen und Kapitalmarkt.
Weite Definitionen von Corporate Governance berücksichtigen dagegen neben den shareholder -Interessen auch die Interessen der anderen stakeholder. Für Schmidt umfasst Corporate Governance in diesem Sinne „die Rechte, Aufgaben und Verantwortlichkeiten der gesellschaftsrechtlichen Organe (Geschäftsführung, Vorstand, Aufsichtsrat), der Anteilseigner, der Mitarbeiter und darüber hinaus der übrigen Interessengruppen (stakeholders), also derjenigen, die von der Leistung und vom Erfolg eines Unternehmens profitieren oder bei dessen Mißerfolg Verluste erleiden“18. Anders als in dem Ansatz von Shleifer und Vishny werden in dieser Definition explizit auch die Mitarbeiter und anderen stakeholder einbezogen.
2.3 Pfadabhängigkeit und Systemhaftigkeit
Schließlich besitzt Corporate Governance zwei weitere Merkmale, die gerade in Hinblick auf die Vergleichbarkeit verschiedener Corporate Governance-Modelle wichtig sind: Pfadabhängigkeit und Systemhaftigkeit. Der zweite Begriff beschreibt die Tatsache, dass Corporate Governance einen systemischen Charakter aufweist. Man kann daher von bestimmten konsistenten Corporate Governance-Systemen sprechen, deren einzelne Elemente nicht losgelöst voneinander betrachtet werden können, sondern immer nur im Zusammenhang mit dem Gesamtsystem und seinen Einzelelementen19. Aus dem interdependenten Charakter der Corporate Governance ergibt sich folglich auch, dass einzelne Komponenten nicht ohne weiteres modifiziert oder ergänzt werden können, ohne dass es Veränderungen im Gesamtsystem gibt20.
Pfadabhängigkeit (path dependency) beschreibt den Zusammenhang von Corporate Governance-System und länderspezifischen Gegebenheiten. Die konkrete Ausformung der Corporate Governance in einem Staat ist demnach abhängig von sozioökonomischen und soziokulturellen Determinanten21. Zu nennen sind beispielsweise das Wirtschafts-, Rechts- und Bankensystem, der Entwicklungsstand des Kapitalmarktes oder die Eigentümer- beziehungsweise Aktionärsstruktur22. Die genauen Kausalzusammenhänge zwischen dem konkreten Corporate Governance- System und den länderspezifischen Gegebenheiten sind allerdings sehr schwierig nachzuvollziehen23. Auch die Vergleichbarkeit der verschiedenen Systeme ist nicht umstandslos möglich, da jedes System immer in seinem länderspezifischen Rahmen betrachtet werden muss. Aufgrund dieser besonderen Anforderungen eines jeden Landes ist auch die Vorstellung eines universellen Corporate Governance-Systems zurückzuweisen, denn was in einem Land bestens funktioniert, kann für ein anderes - angesichts einer unterschiedlichen Ausgangslage - als nicht angebracht erscheinen24. Einige Stimmen gehen gar soweit, dass Corporate Governance immer unternehmensspezifisch gesehen werden muss25. Analog zu den vorherigen Ausführungen könne demnach das, was für ein Unternehmen als angebracht erscheine, für ein anderes von Nachteil sein26.
3. Die Principal-Agent-Theorie
Die Frage, die sich nun stellt, ist, warum es überhaupt Bedarf an Corporate Governance gibt. Eine Erklärung dafür bietet die Principal-Agent-Theorie. Grundsätzlich geht es dabei um die Beziehung eines Auftraggebers (principal) und eines Auftragsnehmers (agent)27. Jensen und Meckling drücken dies wie folgt aus: „We define an agency relationship as a contract under which one or more persons (the principal(s)) engage another person (the agent) to perform some service on their behalf which involves delegating some decision making authority to the agent“28. Die Übertragung des Auftrages erfolgt aus verschiedenen Gründen: So könnte der Principal beispielsweise nicht über ausreichende Zeit oder Kenntnisse verfügen, um die Aufgabe bestmöglich erfüllen zu können. Dies aber erhofft er sich von dem Agenten.
Die Übertragung von Verfügungsgewalt auf den Agenten ist zugleich aber auch Grundlage für den Principal-Agent-Konflikt. Dieser beruht auf einer natürlichen Informationsasymmetrie zwischen Principal und Agent29. Der Informationsvorsprung des Agenten zeigt sich in unterschiedlichen Gesichtspunkten. Zunächst einmal bleiben dem Principal vor Vertragsabschluss unter Umständen grundlegende Wesenszüge des Agenten verborgen (hidden characteristics30 ), zum Beispiel sein Charakter, seine Kompetenzen oder seine Risikoeinstellung. Das Wissen über diese Eigenschaften könnte die Entscheidung des Principals hinsichtlich der Beauftragung entscheidend beeinflussen, so dass er sich unter Umständen für eine andere Lösung entschieden hätte.
Neben dieser ex ante-Informationsasymmetrie lassen sich weitere aufzählen, die ex post auftreten: hidden action und hidden information. Unter hidden action versteht man das Problem, dass der Principal bei der Beurteilung des Anstrengungsniveaus des Agenten hat: „Der Principal kann zwar das Ergebnis beobachten, aufgrund der bestehenden Umwelteinflüsse aber nicht eindeutig auf die Entscheidung bzw. auf das Aktivitätsniveau des Agents schließen“31. Der Principal kann also nicht feststellen, ob ein gutes beziehungsweise schlechtes Resultat aufgrund der (Fehl-)Leistung des Agenten zustande kam oder ob nicht vielmehr gute beziehungsweise schlechte Umweltbedingungen das Ergebnis (mit-)verursacht haben.
Hidden information schließlich bezeichnet zum einen die Tatsache, dass der Agent zum Zeitpunkt der Entscheidung mehr Wissen verfügt als der Principal, so dass die Richtigkeit der Entscheidung nur unzureichend beurteilt werden kann. Darüber hinaus spielt der Begriff aber auf die potentiellen Möglichkeiten des Agenten an, gezielt Informationen vor dem Prinzipal zu verbergen, zurückzuhalten oder nicht vollständig weiterzugeben32.
3.1 Das Menschenbild der Principal-Agent-Theorie
Der Informationsvorsprung des Agenten bietet nun die Grundlage für den eigentlichen Konflikt mit dem Principal. Bevor dieser allerdings weiter ausgeführt werden kann, soll zunächst ein kompakter Überblick über das implizite Menschenbild der Principal-Agent-Theorie gegeben werden, der es sodann erleichtert den Konflikt zu verstehen.
Das Menschenbild der Principal-Agent-Theorie ist pessimistisch. Der Mensch ist zwar ein rationales Wesen. Richter und Furubotn stellen aber auch klar: „Somit lassen sich Menschen zwar als der Intention nach rational auffassen, sie sind aber nicht hyperrational“33. Neben der Rationalität ist der Egoismus ein zentrales Wesensmerkmal des Menschen. Dementsprechend verfolgt er in erster Linie seine eigenen Ziele. Er handelt also stets eigennützig und dabei auch noch nutzenmaximierend. Richter und Furubotn bezeichnen den Menschen demnach als Maximand34. Weiterhin lässt sich der Mensch noch als risikoavers bezeichnen35. Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass die Principal-Agent-Theorie den Menschen als rationalen und risikoaversen Nutzenmaximierer versteht. Williamson geht noch einen Schritt weiter und unterstellt dem Menschen die „Verfolgung des Eigeninteresses unter Zuhilfenahme von List“36 ; dabei nehmen sie durchaus auch die Schädigung anderer Personen in Kauf37.
Dieses Menschenbild wird durchaus kritisiert. So bezeichnet von Werder es als self fulfilling prophecy und nicht realitätsgerecht38. Nippa und Grigoleit sehen das Menschenbild als Teufelskreis, der immer neues Misstrauen hervorruft. Ein optimistischeres Menschenbild würde dahingegen von Loyalität und kooperativen Verhalten ausgehen, mithin Vertrauen statt Misstrauen vermitteln39
3.2 Der Principal-Agent-Konflikt
Der Konflikt zwischen Principal und Agent beruht demzufolge auf einer Diskrepanz der verfolgten Interessen. Jede Partei möchte ihren Nutzen aus der Beziehung maximieren: „If both parties to the relationship are utility maximizers there is good reason to believe that the agent will not always act in the best interest of the principal”40. Der Principal hat nun verschiedene Möglichkeiten auf die Qualifikation beziehungsweise die Entscheidungen des Agenten einzuwirken und seine Ermessensspielräume zu verkleinern. Zunächst einmal ist es von besonderer Wichtigkeit, den geeigneten Kandidaten zu finden (screening). Dies wird, wie bereits erwähnt, durch hidden characteristics erschwert, schließlich möchte sich jeder potentielle Agent bestmöglich verkaufen.
Des Weiteren gilt es die Informationsasymmetrie zu verkleinern. Dies kann durch eine gezielte und umfassende Kontrolle ermöglicht werden (monitoring)41. Dazu gehören beispielsweise auch weitreichende Informationspflichten des Agenten, wobei auch hier die Gefahr der hidden information besteht. Letztlich ist es für den Principal von Vorteil, wenn seine verfolgten Interessen denen des Agenten gleichen oder ähneln, denn nur so kann sichergestellt werden, dass der Agent, indem er seine eigenen Interessen verfolgt, die Interessen des Principals beachtet. Dies kann beispielsweise über Anreize - Prämien, Belohnungen, Beteiligung am Gewinn - geschehen (bonding)42. Screening, monitoring und bonding verursachen naturgemäß Kosten für den Principal - sogenannte agency costs - und diese wiederum schmälern seinen Gewinn aus dieser Beziehung43. Ab einem gewissen Niveau der Kosten ist die Beauftragung eines Agenten allerdings für den Principal nicht mehr profitabel. Kontrolle unterliegt dementsprechend auch immer Kosten-Nutzen-Abwägungen.
Die Aufgaben des Agenten sowie seine Informationspflichten und möglichen Anreize werden vertraglich fixiert. Der Principal ist daran interessiert den Vertrag möglichst so zu gestalten, dass dem Agenten nicht mehr viel Raum für eigennütziges Verhalten bleibt: „Ziel des Vertrages ist es, den Auftragnehmer in eine Situation zu bringen, in der es für ihn auch nach Vertragsabschluss rational ist, im Sinne des Auftraggebers zu handeln“44. Das Problem besteht nun darin, dass nicht alle potentiellen Situationen vorhersehbar sind, so dass der Agent ein gewisses Ausmaß an Handlungsautonomie behalten muss, um auf neue Herausforderungen reagieren zu können. Die Verträge müssen also offen genug sein, um auf unvorhergesehene Ereignisse in der Zukunft flexibel reagieren zu können. Die Verträge bleiben folglich unvollständig und bieten Opportunismuschancen für den Agenten45.
3.3 Die Principal-Agent-Theorie in der Wirtschaft
Übertragen auf die Materie dieser Arbeit stellt sich der klassische Principal-Agent- Konflikt wie folgt dar: Die Eigentümer eines Unternehmens beauftragen einen Manager mit der Leitung der Geschäfte. Sie wollen davon profitieren, dass sich der Manager durch höhere Qualifikation und bessere Spezialisierung auszeichnet46. Hinzu kommt, dass die ‚Besitzer‘ eines Unternehmens beispielsweise Aktionäre mit nur geringen Anteilen sein können, sich das Unternehmen also in Streubesitz befindet. Eine effektive Leitung ist somit durch die Anteilseigner nicht mehr möglich. Metten weist richtigerweise in Hinblick auf Aktiengesellschaften darauf hin, dass die Principal- Agent-Beziehung zweistufig ist. Während die Hauptversammlung (Principal) als Organ der Anteilseigner den Aufsichtsrat (Agent) wählt, ist der Aufsichtsrat selbst als Principal in der Beziehung zum Vorstand zu sehen, der mit der Leitung des Unternehmens betraut wird47.
Welche Gefahren birgt nun die Beauftragung eines Managers mit der Leitung des Unternehmens? Gemäß des pessimistischen Menschenbildes der Principal-Agent- Theorie wird der Manager in erster Linie seine eigenen Interessen verfolgen, die sich unter Umständen nicht mit denen der Anteilseigner decken48. Der Manager verfolgt monetäre aber auch nicht-monetäre Interessen. Zu den monetären Interessen zählt zunächst einmal ein hohes Einkommen. Hinzu kommt aber auch die Bereicherung am Unternehmen/Arbeitsplatz zumeist auf Kosten der Anteilseigner (hold up beziehungsweise moral hazard)49. Außerdem ist es dem Manager möglich, Vergünstigungen, die mit seinem Status zusammenhängen, einzustreichen (consumption on the job)50. Letztlich geht es dem Manager aber auch darum, seinen Arbeitsplatz zu sichern. Dementsprechend ist er bei Entscheidungen, zum Beispiel hinsichtlich der Finanzierung, eher risikoavers und versucht, das Unternehmen unabhängig zu halten51.
Neben diesen vorwiegend monetären Opportunismusrisiken gibt es eine Reihe von nicht-monetären Interessen des Managers. So kann ein Manager daran interessiert sein, ein möglichst arbeitsarmes, ‚ruhiges Leben‘ zu führen und seinen Arbeitseinsatz somit zurückzufahren (skirking)52. Es ist aber auch möglich, dass ein Manager nach Prestige und Macht strebt und versucht, das Unternehmen möglichst immer weiter auszubauen (empire building), was einer Wertsteigerung des Unternehmens und einer Konzentration auf das Kerngeschäft im Sinne eines shareholder value entgegensteht53.
Der klassische Principal-Agent-Konflikt rückt - zum Teil implizit und wie selbstverständlich - vor allem das Verhältnis von Anteilseignern (und deren Vertretern im Aufsichtsrat) auf der einen und dem Management auf der anderen Seite in den Mittelpunkt. Diesem sehr engen Verständnis steht ein weites gegenüber, das auch noch andere stakeholder (Arbeitnehmer, Kreditgeber, Lieferanten, Kunden) einbezieht. Zwar wird eingewandt, dass diese vertraglich fixierte Ansprüche hätten, so dass hier keine Unklarheiten bestehen. Matthes erwidert dem allerdings, dass auch diese Gruppen implizite, vertraglich nicht-fixierte Ansprüche haben, beispielsweise zur Arbeitsplatzsicherheit oder zu Weiterbildungsmöglichkeiten54.
3.4 Notwendigkeit von Corporate Governance
Eine angemessene Kontrolle des Managements durch die Anteilseigner ist folglich von großer Relevanz. Kontrolle bedeutet aber gleichzeitig auch Kosten. Der relative Nutzen der Kontrolle des Managements und der damit verbundenen Kosten nimmt allerdings mit sinkendem Anteilsbesitz ab. Kreitmeier spricht in diesem Zusammenhang von der rationalen Apathie der Anteilseigner und formuliert dies wie folgt: „Die Kosten für die Überwachung des Managements stehen für den einzelnen Anteilseigner in keinem Verhältnis zu dem für ihn daraus resultierenden Gewinn“55. Vielmehr verlassen sich die Anteilseigner darauf, dass die jeweils anderen das Management schon kontrollieren werden (free rider -Problematik56 ), was im Endeffekt - gerade bei einer atomisierten Anteilseignerstruktur - dazu führt, dass niemand das Management kontrolliert57.
So bleibt festzustellen, „dass vor dem Hintergrund des komplexen Principal-Agent- Konflikts generell das Bedürfnis nach institutionellen Arrangements besteht, die einen adäquaten Mechanismus für einen angemessenen Ausgleich dieses Konflikts zur Verfügung stellen“58. Mit diesen institutionellen Arrangements, die Littger anspricht, ist gute Corporate Governance gemeint. Sünner sieht die Notwendigkeit von Corporate Governance-Regelungen, „wo wegen der Vielzahl von Eigen- und Fremdkapitalgebern eine unmittelbare, auf persönlicher Kenntnis und Erfahrung beruhende Beziehung zur Unternehmensleitung nicht besteht und die institutionalisierte Berichterstattung, sei es durch Quartal- oder Geschäftsberichte, die Presse oder auf der Hauptversammlung, im Vordergrund steht“59.
3.5 Gute und schlechte Corporate Governance
Um den Principal-Agent-Konflikt zu lösen oder abzumildern, bedarf es allerdings nicht irgendwelcher Corporate Governance-Regelungen, sondern eben adäquater Lösungen für die bestehenden Probleme. Gesucht wird mithin gute Corporate Governance. Die folgende Abbildung verdeutlicht den Zusammenhang von Corporate Governance im Allgemeinen und guter Corporate Governance im Speziellen. Während der Begriff der Corporate Governance alle Aspekte des Systems umfasst, also auch die negativen, bezieht gute Corporate Governance diese Punkte nicht mit ein.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Zusammenhang von Corporate Governance und Good Corporate Governance60.
Mit guter Corporate Governance gehen einige positive Effekte einher. So wird in der Literatur regelmäßig betont, dass sie nicht nur die Auflösung oder zumindest Entschärfung des Principal-Agent-Konfliktes ermöglicht, sondern dass damit darüber hinaus auch ein materieller Nutzen in Form von niedrigeren Transaktions- und Kapitalkosten sowie höheren Börsenkursen (CalPERS61 -Effekt)62 einhergeht.
Dementsprechend werden mit einer schlechten Corporate Governance negative Effekte verbunden. Dazu gehören beispielsweise: höhere Transaktions- und Kapitalkosten, eine geringere Produktionskapazität oder geringerer Umsatz63.
Was aber ist überhaupt gute Corporate Governance? Dazu gehört selbstverständlich zunächst einmal die Befolgung der entsprechenden Gesetze, Satzungen und Verträge. Darüber hinaus ist das Bild aber schon weit verschwommener. Was am Ende noch zum Pool guter Corporate Governance-Regelungen gehört, ist immer eine normative Frage64.
4. Die Debatte um Corporate Governance
Aufgrund der potentiellen Konflikte in den Principal-Agent-Beziehungen besteht demnach ein Bedarf an guten Corporate Governance-Mechanismen. Wie aber kommt es, dass diese Debatte in Deutschland erst seit vergleichbar kurzer Zeit geführt wird, während das Problem an sich doch bereits länger in Wissenschaft und Praxis bekannt ist? So haben beispielsweise Berle und Means in ihrer viel beachteten und zitierten Studie „The Modern Corporation and Private Property“65 für die USA bereits Anfang der 1930er Jahre das Problem der Trennung von Eigentum und Kontrolle thematisiert. Selbst bei Adam Smith finden sich bereits eindeutig Gedanken, die diesen Konflikt ansprechen: „The directors of such companies, however, being the managers rather of other people’s money than of their own, it cannot well be expected, that they should watch over it with the same anxious vigilance with which the partners of a private copartnery frequently watch over their own”66. Auch für Deutschland kann konstatiert werden, dass gerade Fragen der internen Corporate Governance unter dem Stichwort der Unternehmensverfassung eine lange Diskussionstradition haben67.
Die aktuelle Debatte um Corporate Governance aber entwickelte sich Anfang der 1990er Jahre im angloamerikanischen Raum und wurde einige Jahre später sodann auch in Kontinentaleuropa aufgegriffen. Auf welchen Grundlagen basiert die Diskussion um Corporate Governance? Eine eindeutige Ursache findet sich nicht. Vielmehr gibt es verschiedene Gründe für das Entstehen der Debatte, die sich zum Teil gegenseitig verstärkten. In diesem Zusammenhang lassen sich in erster Linie die Globalisierung der Kapitalmärkte, die größere Bedeutung institutioneller Investoren und spektakuläre Unternehmensschieflagen nennen.
Die Globalisierung und Internationalisierung der Kapitalmärkte und der Bedeutungszuwachs der institutionellen Investoren hängen direkt miteinander zusammen. Die Liberalisierung der Märkte und die gleichzeitig stattfindende rasante Entwicklung in der Informations- und Kommunikationstechnologie68 waren die Basis für eine zunehmende globalisierte Kapitalnachfrage beziehungsweise Kapitalangebot. Unternehmen treten verstärkt in einen Wettbewerb um Investoren und Kapital. Die Qualität der Corporate Governance eines Landes beziehungsweise eines Unternehmens ist dabei ein gewichtiger Faktor, um in diesem Wettbewerb bestehen zu können69. Die Gestaltung der eigenen Corporate Governance bietet somit die Möglichkeit, sich für potentielle Investoren attraktiver zu machen.
Mit dieser Entwicklung geht der Aufstieg institutioneller Investoren einher. Für Deutschland stellt Bress die Verdreifachung des Aktienbesitzes von institutionellen Investoren innerhalb der Jahre von 1990 bis 2000 fest70. Die neuen Eigentümer71, zum Beispiel Investment- oder Pensionsfonds, erhöhen den Druck auf die Unternehmensleitung möglichst effizient und profitabel zu wirtschaften72. Bedeutsame Kriterien der Effizienz und Profitabilität sind neben Finanzkennzahlen auch sogenannte soft factors, wie die Qualität der Corporate Governance eines Unternehmens73. Gerade für Deutschland lässt sich seit Beginn der 1990er Jahre auch eine Veränderung in den Finanzierungsmodalitäten der Unternehmen nachweisen.
Hatte sich das deutsche Modell - die sogenannte Deutschland AG74 - bis dahin dadurch ausgezeichnet, dass sich die Unternehmen in erster Linie über Bankkredite finanzierten, wurde nun „der Aktionär als Financier des Unternehmens entdeckt“75. Die Auflösung der Deutschland AG und vergleichbarer - obschon nicht dermaßen umfassender - Systeme in anderen Ländern zwang die Unternehmen dazu, sich dem internationalen Wettbewerb um Kapital zu stellen.
Daneben waren die spektakulären Fälle von Missmanagement und Bilanzfälschungen, die sich in den 1990er Jahren sowohl auf internationaler als auch auf nationaler Ebene häuften, ein eindeutig publikumswirksamer Zündstoff für die Debatte um Corporate Governance. Die Fälle Enron, Worldcom, Parmalat, Balsam AG, Metallgesellschaft und Holzmann AG seien hier stellvertretend für einige weitere Unternehmen genannt76.
4.1 Der Deutsche Corporate Governance Kodex
In Deutschland führte diese Entwicklung schließlich zur Schaffung des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK). Besonders der spektakuläre Zusammenbruch der Philipp Holzmann AG kann als situativer Auslöser für die Einsetzung einer Kommission unter Leitung von Theodor Baums angesehen werden. Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder gab folgende Gründe und Ziele für die Kommission an: „Die Kommission soll sich aufgrund der Erkenntnisse aus dem Fall Holzmann mit möglichen Defiziten des deutschen Systems der Unternehmensführung und -kontrolle befassen. Darüber hinaus soll sie im Hinblick auf den durch Globalisierung und Internationalisierung der Kapitalmärkte sich vollziehenden Wandel unserer Unternehmens- und Marktstrukturen Vorschläge für eine Modernisierung unseres rechtlichen Regelwerks unterbreiten“77.
Im Folgenden wird zunächst auf die Vorbilder und Vorläufer sowie die Entstehungsgeschichte des Kodex eingegangen. Im Anschluss daran erfolgt die Schilderung des Kodexinhaltes. Danach folgen Abschnitte zu den Funktionen des Kodex sowie zu Fragen der Haftung und der Rechtsqualität aber auch der Kritik.
4.1.1 Vorbilder und Vorläufer
Als internationale Vorbilder für den Deutschen Corporate Governance Kodex lassen sich vor allem die Kodices aus Großbritannien und der OECD sowie verschiedener Investment- und Pensionsfonds nennen. Das bekannteste Beispiel für die Forcierung von Corporate Governance Kodices durch Fondsgesellschaften ist wohl das California Public Employees‘ Retirement System (CalPERS), ein Pensionsfonds von Angestellten im öffentlichen Dienst in Kalifornien. CalPERS drängt die Unternehmen, in die es investieren will, mit einer Politik der aktiven Einmischung ihre Corporate Governance- Modalitäten zu überarbeiten, sofern diese noch nicht den Standards von CalPERS entsprechen, zumal: „We believe good corporate governance leads to better performance“78. Dies untermauert CalPERS mit eigenen Studien, die belegen sollen, dass der Unternehmenswert steigt, sofern das Unternehmen die CalPERS-Grundsätze befolgt79.
In Großbritannien begann die institutionelle Aufarbeitung der Corporate Governance- Diskussion bereits Anfang der 1990er Jahre mit der Einsetzung verschiedener Kommissionen. Die dort erarbeiteten Abschlussberichte80 mündeten im UK Corporate Governance Code81. Die OECD veröffentlichte ihre „Principles on Corporate Governance“82 im Jahr 1999; 2004 wurden diese überarbeitet.
[...]
1 Gerhard Cromme zit. nach Tödtmann/Schauer (2009), S. 995.
2 Vgl. Littger (2006), S. 20; Metten (2010), S. 10.
3 Vgl. Dörner/Orth (2005), S. 6; Knöringer-Fröhlich (2006), S. 6; Wesel (2010), S. 48f; Schneider (2000), S. 2413.
4 Vgl. Werder (2009), S. 4; Werder (2008), S.1; ähnlich auch Metten (2010), S. 10.
5 Knöringer-Fröhlich (2006), S. 7.
6 Dörner und Orth verwenden stattdessen die Begriffe der rechtlich-institutionellen und der ökonomisch-interaktiven Perspektive, meinen damit allerdings den gleichen Sachverhalt; vgl. Dörner/Orth (2005), S. 7.
7 Teichmann weist darauf hin, dass sich diese Perspektiven realiter sinnvoll ergänzen können; vgl. Teichmann (2001), S. 678.
8 Vgl. Wesel (2010), S. 49; Ringleb et al. (2010), S. 13; Bress (2008), S. 15; Dörner/Orth (2005), S. 7.
9 Dieser Umstand veranschaulicht auch, dass eine Übersetzung von Corporate Governance durch den Begriff der Unternehmensverfassung zu kurz greift, zumal die externe Perspektive weitgehend ausgeblendet wird.
10 Vgl. Lentfer (2005), S. 30; Ringleb et al. (2010), S. 13; Wesel (2010), S. 49; Bress (2008), S. 15; Dörner/Orth (2005), S. 7.
11 Vgl. Knöringer-Fröhlich (2006), S. 6.
12 Vgl. Lütz/Eberle (2009), S. 411; Lentfer (2005), S. 30.
13 Vgl. Lentfer (2005), S. 30; Paetzmann (2008), S. 50.
14 Vgl. Paetzmann (2008), S. 50.
15 Vgl. Dörner/Orth (2005), S. 6f.
16 Stakeholder und shareholder werden der Einfachheit halber im Folgenden als gegensätzliches Wortpaar angesehen. Als stakeholder werden folgende Interessengruppen gesehen: Arbeitnehmer, Fremdkapitalgeber, Lieferanten und Kunden, die Gesellschaft und der Staat.
17 Shleifer/Vishny zit. nach Bress (2008), S. 14; ähnlich auch Mayer in Metten (2010), S. 11.
18 Schmidt (2001), S. 3; vgl. auch Schmidt (2007), S. 34; Schmidt/Weiß (2009), S. 110.
19 Vgl. Mann (2003), S. 32.
20 Vgl. Lentfer (2005), S. 32; Schmidt (2007), S. 32.
21 Vgl. Schneider (2000), S. 2415; Wesel (2010), S. 62; Hopt (2009), S. 34.
22 Vgl. Wesel (2010), S. 62.
23 Vgl. Teichmann (2001), S. 675.
24 Vgl. Knöringer-Fröhlich (2006), S. 34; Teichmann (2001), S. 675.
25 Wie weiter unten noch aufgezeigt wird, reagiert der Deutsche Corporate Governance Kodex darauf mit einem System der Freiwilligkeit, welches den Unternehmen bei Vorliegen von guten Gründen durchaus das Abweichen von einzelnen Empfehlungen ermöglicht; vgl. dazu Kapitel 4.1.5 dieser Arbeit.
26 Vgl. Teichmann (2001), S. 676.
27 Vgl. Lentfer (2005), S. 32.
28 Jensen/Meckling zit. nach Bress (2008), S. 17.
29 Vgl. Richter/Furubotn (2010), S. 173; Lentfer (2005), S. 32; Nippa/Grigoleit (2006), S. 3.
30 Vgl. Breid (1995), S. 824.
31 Breid (1995), S. 824; vgl. auch Elschen (1991), S. 1005.
32 Vgl. Breid (1995), S. 824; Elschen (1991), S. 1005.
33 Vgl. Richter/Furubotn (2010), S. 5.
34 Richter/Furubotn (2010), S. 3.
35 Vgl. Metten (2010), S. 44.
36 Williamson zit. nach Richter/Furubotn (2010), S. 6.
37 Vgl. Nippa/Grigoleit (2006), S. 1.
38 Vgl. Werder (2009), S. 7f.
39 Vgl. Nippa/Grigoleit (2006), S. 2.
40 Jensen/Meckling zit. nach Schmidt (2001), S. 14; vgl. auch Weber (2002), S. 86.
41 Vgl. Lentfer (2005), S. 37; Metten (2010), S. 46.
42 Vgl. Lentfer (2005), S. 37; Metten (2010), S. 46.
43 Vgl. Metten (2010), S. 45; Schmidt (2001), S. 14; Littger (2006), S. 35.
44 Metten (2010), S. 43f.
45 Vgl. Paetzmann (2008), S. 20; Werder (2008), S. 5, 8.
46 Vgl. Lentfer (2005), S. 33.
47 Vgl. Metten (2010), S. 48.
48 Vgl. Lentfer (2005), S. 32.
49 Vgl. Bress (2008), S. 20; Elschen (1991), S. 1005.
50 Vgl. Lentfer (2005), S. 34; Elschen (1991), S. 1005.
51 Vgl. Lentfer (2005), S. 34.
52 Vgl. Bress (2008), S. 23; Lentfer (2005), S. 34; Elschen (1991), S. 1005.
53 Vgl. Bress (2008), S. 22: Teichmann (2001), S. 646.
54 Vgl. Matthes (2000), S. 9; vgl. auch Werder (2009), S. 9; Schmidt/Weiß (2009), S. 117f.
55 Kreitmeier (2001), S. 30; vgl. auch Wesel (2010), S. 67.
56 Vgl. Kreitmeier (2001), S. 30f; Wesel (2010), S. 67; Matthes (2000), S. 11; Metten (2010), S. 49.
57 Vgl. Wesel (2010), S. 67; Schmidt (2001), S. 21.
58 Littger (2006), S. 37; vgl. auch Paetzmann (2008), S. 19; Teichmann (2001), S. 646.
59 Sünner (2000), S. 492.
60 Eigene Darstellung in Anlehnung an Sell (2004), S. 3.
61 Das California Public Employees‘ Retirement System (CalPERS) ist ein US-amerikanischer Pensionsfonds, der bei seinen Anlageentscheidungen besonderen Wert auf die Corporate Governance eines Unternehmens legt; vgl. Hillenbrand/Lange (2004); vgl. auch Kapitel 4.
62 Vgl. Dörner/Orth (2005), S. 14f; Schneider/Strenger (2000), S. 107; Littger (2006), S. 28f.
63 Vgl. Sell (2004), S. 13.
64 Vgl. Zobl (2002), S. 7.
65 Berle/Means (1932).
66 Adam Smith zit. nach Hopt (2009), S. 31; vgl. auch Mann (2003), S. 23; Bress (2008), S. 3.
67 Vgl. Ringleb et al. (2010), S. 14.
68 Vgl. Becker (2005), S. 17; Dörner/Orth (2005), S. 13.
69 Vgl. Dörner/Orth (2005), S. 14; Littger (2006), S. 50; Baums (2002), S. 15.
70 Vgl. Bress (2008), S. 27; vgl. auch Windolf (2005), S. 23f, 35; Bahn (2009), S. 438; Lenfter (2005), S. 50.
71 Vgl. Windolf (2005), S. 23f, 35.
72 Vgl. Jürgens et al. (2000), S. 1; Windolf weist darauf hin, dass die Fonds den Konkurrenzdruck lediglich auf die Unternehmen weitergeben, denn auch die Fonds selbst stehen gegenüber ihren Kunden unter einer großen Konkurrenz. Nur wer die höchsten Erträge bieten kann, wird auch erfolgreich sein. Vgl. Windolf (2005), S. 24.
73 Vgl. Schneider (2000), S. 2415.
74 Die Deutschland AG zeichnet sich kurz gesagt darüber hinaus durch vielfältige Personal- und Kapitalverflechtungen deutscher Finanz- und Industrieunternehmen aus sowie durch einen konzentrierten Aktienbesitz und geduldigen Kapital; vgl. statt vieler Windolf (2005), S. 21f, ; Paetzmann (2008), S. 45-55.
75 Lutter (2009), S. 125.
76 Vgl. Bress (2008), S. 26; Fey (1995), S. 1320; Dörner/Orth (2005), S. 5; Knöringer-Fröhlich (2006), S. 11.
77 Gerhard Schröder zit. nach Baums (2001), S. 1.
78 CalPERS-Homepage; vgl. auch Gottschalck (2008); vgl. Muth/Brinker (2005), S. 353f.
79 CalPERS (2010).
80 Besonders wichtig sind in diesem Zusammenhang der Cadbury Report (1992), der Greenbury Report (1995) und der Hampel Report (1998); vgl. dazu Bress (2008), S. 31.
81 Vormals Combined Code on Corporate Governance; vgl. Lutter (2009), S. 124.
82 Abrufbar unter http://www.oecd.org/dataoecd/57/19/32159487.pdf [08.02.2011].
- Citar trabajo
- Marcel Rüttgers (Autor), 2011, Der Deutsche Corporate Governance Kodex, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/176285
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