„Genies fallen nicht vom Himmel. Sie müssen Gelegenheit zur Ausbildung und Entwicklung haben.“
Einen Zugang zur heutigen Arbeitswelt – in Form einer Ausbildung – zu finden, wird für junge Menschen immer schwieriger. Durch ständig noch dynamischer und komplexer werdende Arbeitsvorgänge steigen die Anforderungen an Schulabgänger, neben Schulbuchinhalten auch Transferwissen einzubringen. Dieser schnelllebige Entwicklungsprozess verhindert bei vielen jungen Leuten die Chance auf einen Berufseinstieg. Die Schule gibt kaum Gelegenheit zur Konstruktion eigener Gedankenprozesse, sondern vermittelt nur stupide vorgefertigtes Wissen. Kaum sind die ehemaligen Schüler im Berufsleben angekommen, ist ihr Erlerntes bereits veraltet. So führt der typische Entwicklungsverlauf der Jugendlichen ohne Ausbil-dungsplatz direkt in die Übergangssysteme oder in die Jugendarbeitslosigkeit. Um diesem belastenden Kreislauf für die Menschen, Betriebe und Sozialsysteme entgegenzuwirken, müssen die jungen Menschen schon in der Schule auf die gestiegenen Anforderungen im Arbeitsleben vorbereitet werden und die nötige Ausbildungsreife entwickeln. Denn für etwa ¾ aller Unternehmen ist die mangelnde Ausbildungsreife der Bewerber das größte Problem bei der Besetzung von freien Ausbildungsplätzen. Die Schule muss den Grundstein für einen erfolg-reichen Berufseinstieg legen.
In dieser Arbeit soll der Fragestellung nachgegangen werden, was unter Ausbildungsreife zu verstehen ist und welche Probleme hieraus zum einen für die Schulabgänger, zum anderen für die Unternehmen entstehen. Hierfür wird das selbstorganisierte Lernen als ein möglicher Lösungsansatz in der Schule dargestellt und untersucht, ob es tatsächlich geeignet ist, die Ausbildungsreife zu verbessern.
Der erste Teil der Arbeit geht auf die Entwicklungen des Ausbildungsmarktes von 2006 bis 2009 ein und schildert die derzeitige Situation. Danach wird ein Überblick über die Ursachen für die negative Entwicklung auf dem Ausbildungsmarkt gegeben und exemplarisch die verschiedenen Sichtweisen der Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände dargelegt. Im Anschluss wird die Begrifflichkeit „Ausbildungsreife“ näher erläutert und Abgrenzungen zu ähnlichen Begriffen vorgenommen. Hierbei werden die Probleme bei der Bestimmung der Ausbildungsreife und ihrer Kriterien dargestellt. Als letztes wird die Position der Wirtschaft erörtert sowie Gründe für die Entwicklung in Bezug auf mangelnde Ausbildungsreife genannt.
INHALTSVERZEICHNIS
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
1 EINLEITUNG
2 SITUATION UND PROBLEME AUF DEM AUSBILDUNGSMARKT
2.1 ENTWICKLUNG AUF DEM AUSBILDUNGSMARKT ZWISCHEN 2006 - 2009,,
2.2 PROBLEME AUF DEM AUSBILDUNGSMARKT EXEMPLARISCH DISKUTIERT AM BEISPIEL VON ARBEITGEBERVERBÄNDEN UND GEWERKSCHAFTEN
2.2.1 Demographischer Wandel,
2.2.2 Konjunkturelle Lage
2.2.3 Ausbildungsreife
3 AUSBILDUNGSREIFE
3.1 DEFINITION
3.1.1 Formale Definition
3.1.2 Inhaltliche Definition
3.1.2.1 Ansatz der Wirtschaft
3.1.2.2 Ansatz des deutschen Gewerkschaftsbundes
3.1.2.3 Untersuchung des Max-Planck-Instituts
3.1.3 Abgrenzung zu anderen Begrifflichkeiten
3.1.3.1 Ausbildungsfähigkeit
3.1.3.2 Berufseignung
3.1.3.3 Vermittelbarkeit
3.2 VERSCHIEDENE SICHTWEISEN DES PROBLEMS MANGELNDER AUSBILDUNGSREIFE
3.2.1 Problem aus Sicht der Wirtschaft
3.2.2 Problem aus Sicht der Gewerkschaften
3.3 SCHWACHSTELLEN IM BILDUNGSSYSTEM UND IHRE URSACHEN
3.4 FOLGEKOSTEN FEHLENDER AUSBILDUNGSREIFE
4 INSTITUTIONELLER LÖSUNGSANSATZ AUF DER MAKROEBENE
4.1 AUSBILDUNGSPAKT
4.1.1 Kooperation zwischen Schule und Wirtschaft
4.1.2 Kriterienkatalog
4.2 PROBLEME BEI DER UMSETZUNG
5 METHODISCHER LÖSUNGSANSATZ AUF DER MESO- BZW. MIKROEBENE
5.1 DER KONSTRUKTIVISTISCHE GRUNDGEDANKE
5.1.1 Charakteristika des Konstruktivismus
5.1.2 Merkmale von konstruktivistischem Unterricht
5.2 BEGRIFFSKLÄRUNG: SELBSTORGANISIERTES LERNEN
5.3 GRUNDLAGEN DES SELBSTORGANISIERTEN LERNENS
5.4 FRAKTALE UNTERRICHTSORGANISATION FÜR SELBSTORGANISIERTES LERNEN
5.4.1 Einsatzmöglichkeiten und Ziele im Unterricht
5.4.2 Advance Organizer und Leistungsbeurteilung
5.4.3 Didaktisch-methodische Grundlagen
5.5 FÖRDERUNG VON SCHLÜSSELKOMPETENZEN DURCH SELBSTORGANISATION
6 SCHLUSSFOLGERUNGEN UND AUSBLICK
ANHANG
ANHANG 1
ANHANG 2
LITERATURVERZEICHNIS
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Bevölkerungsentwicklung
Abbildung 3: Zielkreislauf
Abbildung 4: Rückmeldesystem
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Einleitung
„Genies fallen nicht vom Himmel. Sie müssen Gelegenheit zur Ausbildung und Entwicklung haben1.“
Einen Zugang zur heutigen Arbeitswelt - in Form einer Ausbildung - zu finden, wird für jun- ge Menschen immer schwieriger. Durch ständig noch dynamischer und komplexer werdende Arbeitsvorgänge steigen die Anforderungen an Schulabgänger2, neben Schulbuchinhalten auch Transferwissen einzubringen. Dieser schnelllebige Entwicklungsprozess verhindert bei vielen jungen Leuten die Chance auf einen Berufseinstieg. Die Schule gibt kaum Gelegenheit zur Konstruktion eigener Gedankenprozesse, sondern vermittelt nur stupide vorgefertigtes Wissen. Kaum sind die ehemaligen Schüler im Berufsleben angekommen, ist ihr Erlerntes bereits veraltet. So führt der typische Entwicklungsverlauf der Jugendlichen ohne Ausbil- dungsplatz direkt in die Übergangssysteme oder in die Jugendarbeitslosigkeit. Um diesem belastenden Kreislauf für die Menschen, Betriebe und Sozialsysteme entgegenzuwirken, müs- sen die jungen Menschen schon in der Schule auf die gestiegenen Anforderungen im Arbeits- leben vorbereitet werden und die nötige Ausbildungsreife entwickeln. Denn für etwa ¾ aller Unternehmen ist die mangelnde Ausbildungsreife der Bewerber das größte Problem bei der Besetzung von freien Ausbildungsplätzen3. Die Schule muss den Grundstein für einen erfolg- reichen Berufseinstieg legen.
In dieser Arbeit soll der Fragestellung nachgegangen werden, was unter Ausbildungsreife zu verstehen ist und welche Probleme hieraus zum einen für die Schulabgänger, zum anderen für die Unternehmen entstehen. Hierfür wird das selbstorganisierte Lernen als ein möglicher Lösungsansatz in der Schule dargestellt und untersucht, ob es tatsächlich geeignet ist, die Ausbildungsreife zu verbessern.
Der erste Teil der Arbeit geht auf die Entwicklungen des Ausbildungsmarktes von 2006 bis 2009 ein und schildert die derzeitige Situation. Danach wird ein Überblick über die Ursachen für die negative Entwicklung auf dem Ausbildungsmarkt gegeben und exemplarisch die ver- schiedenen Sichtweisen der Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände dargelegt. Im An- schluss wird die Begrifflichkeit „Ausbildungsreife“ näher erläutert und Abgrenzungen zu ähn- lichen Begriffen vorgenommen. Hierbei werden die Probleme bei der Bestimmung der Aus- bildungsreife und ihrer Kriterien dargestellt. Als letztes wird die Position der Wirtschaft erör- tert sowie Gründe für die Entwicklung in Bezug auf mangelnde Ausbildungsreife genannt. Als institutioneller Lösungsansatz wird im folgenden Abschnitt der Ausbildungspakt zwi- schen Unternehmen4 und Schulen vorgestellt. Die hieraus resultierenden Probleme bei der Umsetzung auf der Makroebene, speziell die der Schulen, werden weiter ausgeführt. Gegen Ende wird der konstruktivistische Ansatz des selbstorganisierten Lernens betrachtet. Hierbei werden die konstruktivistischen Grundgedanken angerissen und darauf aufbauend das selbst- organisierte Lernen mit seinen Stärken für die Förderung der Ausbildungsreife skizziert. Der Abschluss dieser Thematik bildet einen Ausblick auf die langfristige Verbesserung der Aus- bildungsreife von Schulabgängern. Im letzten Abschnitt der Arbeit wird daher das selbstorga- nisierte Lernen als eine zukunftsorientierte Lösung gegen mangelnde Ausbildungsreife ge- prüft. Zudem werden die Makro-, Meso- bzw. Mikroebene im Ausblick auf eine zukünftige Unterrichtsgestaltung dargelegt.
2 Situation und Probleme auf dem Ausbildungsmarkt
Als Grundlage für die weiteren Darlegungen dienen die verschiedenen Erhebungen zum Aus- bildungsmarkt der Bundesagentur für Arbeit. In diesen Statistiken werden Ausbildungsplätze und Ausbildungsplatzbewerber berücksichtigt und aufgeführt, die sich bei der Bundesagentur für Arbeit registriert haben. Für die hier dargelegte Problematik sind diese Daten passend. Die Erhebungen spiegeln ein genaues Bild der Entwicklung bzw. der Lage auf dem Ausbildungs- markt und der daraus resultierenden Probleme in der Bundesrepublik Deutschland wieder.
2.1 Entwicklung auf dem Ausbildungsmarkt zwischen 2006 - 2009
In diesem Abschnitt wird die5,6,7 Entwicklung auf dem Ausbildungsmarkt von 2006/2007 bis 2008/2009 betrachtet. Für das Jahr 2009/2010 gibt es noch keine verwertbaren Daten. Eine dreijährige Betrachtung ist in diesem Fall angebracht, da in diesem Zeitraum die Veränderun- gen besonders deutlich waren. Durch die hier zugrunde liegenden statistischen Erhebungen wird ein Überblick über die prägnantesten Veränderungen auf dem Ausbildungsmarkt gege- ben. Besondere Beachtung kommt hierbei der Relation von Ausbildungsplätzen und Bewer- bern zu. Zudem wird noch auf das Verhältnis von unbesetzten Plätzen und unversorgten Be- werbern eingegangen. Im Vermittlungsjahr 2006/2007 waren 733.971 Jugendliche als ausbil- dungssuchend bei der Bundesagentur für Arbeit registriert. Während der Periode 2007/2008 ging die Zahl auf 620.037 zurück. Im Jahr 2008/2009 fielen die Ausbildungssuchenden um weitere 14 % auf 533.361. Diese Entwicklung korreliert stark mit dem Rückgang der Schul- abgänger in der Bundesrepublik Deutschland. Zudem waren von den Bewerbern etwa 46 % Altbewerber8. Dem gegenüber stehen für das Jahr 2006/2007 510.377 gemeldete Ausbil- dungsstellen. In der folgenden Periode ist die Zahl der freien Plätze auf 511.582 gestiegen. Während des Vermittlungsjahres 2008/2009 ist die Zahl der freien Plätze um 7,1 % auf 475.391 zurückgegangen9. Der Rückgang ist eine Folge der schlechten konjunkturellen Lage. Bei jedem siebten Ausbildungsplatzangebot handelt es sich um einen außerbetrieblichen Aus- bildungsplatz, der durch staatliche Gelder finanziert wird. Somit gab es für den Zeitraum 2006/2007 ein Defizit von 223.600 Ausbildungsplätzen. In der folgenden Periode 2007/2008 ging die Zahl der fehlenden Ausbildungsplatzangebote auf 108.500 zurück. Für 2008/2009 fiel der Mangel an Ausbildungsplätzen auf 58.000 Stellen. Dieser positive Trend hat mit den stärker rückläufigen Bewerbern im Verhältnis zu dem Rückgang an Ausbildungsplätze zu tun. Am Ende des jeweiligen Bemessungszeitraumes gab es eine große rechnerische Lücke zwi- schen Stellenangebot und Stellennachfrage. Für die Periode 2007 waren noch 18.359 Stellen offen und es gab 32.660 unversorgte Bewerber. Im Jahr 2008 stiegen die unbesetzten Ausbil- dungsplätze auf 19.507 und die Zahl der nicht vermittelten Bewerber fiel auf 14.515. Im letz- ten relevanten Zeitraum 2008/2009 gingen die offenen Betriebsausbildungsstellen um 11,5 % auf 17.255 zurück. Dieses galt auch für die nicht vermittelten Kandidaten10. Diese fielen auf 9.603. Hierdurch wird deutlich, dass die Chancen theoretisch gestiegen sind, da es immer we- niger Bewerber auf Ausbildungsstellen gibt. Hingegen wird es durch die sinkende Zahl von Bewerbern für die Unternehmen immer schwerer Ausbildungsplätze adäquat zu besetzen.
2.2 Probleme auf dem Ausbildungsmarkt exemplarisch diskutiert am Bei- spiel von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften
Der Ausbildungsmarkt hat sich in den letzten Jahren einem großen Wandel unterzogen. Die negative Entwicklung führt zu Diskrepanzen zwischen Lehrstellenangebot und -nachfrage. Diese Widersprüche werden hier exemplarisch anhand von Stellungnahmen der Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften diskutiert. Beide Seiten haben gegensätzliche Erklärungen für die jetzige Situation und sehen an unterschiedlichen Punkten Handlungsbedarf.
Aus Sicht der Gewerkschaften wird es für junge Leute immer schwerer einen Ausbildungs- platz in ihrem „Traumberuf“ zu finden, da ständig wachsende Anforderungen an die Bewer- ber gestellt werden. Hierdurch entsteht eine große Konkurrenzsituation, bei der Schulabgän- ger mit schlechten Schulabschlüssen geringere Chancen auf einen betrieblichen Ausbildungs- platz haben, als Jugendliche mit höheren Abschlüssen. Diese jungen Erwachsenen werden häufig in außerbetriebliche Ausbildungen oder in berufsvorbereitende Maßnahmen vermittelt. Solche Alternativen können schulischer Form, Praktika, Mini-Jobs oder Einstiegsqualifizie- rungen sein11. In den Statistiken der Bundesagentur für Arbeit tauchen die unfreiwillig in Warteschleife untergebrachten Jugendlichen nicht auf. Diese Form der Manipulation von Sta- tistik suggeriert, dass diese Jugendlichen keinen Ausbildungsplatz nachgefragt hätten12. Offi- ziell sind somit in der Bundesrepublik Deutschland mehr Ausbildungsplätze als Bewerber verfügbar, was „Bewerberüberhang“ genannt wird. Zudem sehen die Gewerkschaften bei den Unternehmen nicht den unbedingten Willen zur Besetzung aller freien Ausbildungsstellen bzw. das Problem einer kurzsichtigen Personalpolitik13,14. Viele Unternehmen erfüllen aus Sicht der Gewerkschaften nicht den Anspruch einer nachhaltigen15 Fachkräftesicherung. Au- ßerdem werfen sie den Unternehmen vor, Ausbildungsplätze für bildungsschwache Auszubil- dende intern zu streichen und diese öffentlich nur zum Schein auszuschreiben16. Von den 2.020.000 Betrieben in Deutschland sind nur ca. 1.190.000 ausbildungsberechtigt. Nur etwa 41 % von den ausbildungsberechtigen Betrieben bilden aus. Wenn diese Quote auf die Gesamtzahl von Betrieben (2.020.000) gerechnet wird, ergibt sich eine Ausbildungsquote von lediglich 24 %17. Dem demografischen Wandel treten die Unternehmen nach Einschätzungen der Gewerkschaften nicht entschlossen genug entgegen. Zur Lösung dieses Dilemmas müssen die Unternehmen das Erfahrungswissen der älteren Mitarbeiter erkennen und schätzen lernen. So kann dieses Wissen dann adäquat reflektiert, transformiert, dokumentiert und an junge Menschen weitergegeben werden. Unter Berücksichtigung dieses Ansatzes kann dem zu erwarteten Fachkräftemangel entgegengesteuert werden18.
Dem gegenüber sehen die Unternehmen und ihre Arbeitgeberverbände die Probleme an einer anderen Stelle. Dem Vorwurf des mangelnden Interesses an der Schaffung und Besetzung von Ausbildungsplätzen treten sie entschieden entgegen. Der Großteil der Betriebe ist überzeugt von der Sinnhaftigkeit einer nachhaltigen Personalentwicklung. Zum einen bietet sie eine Chance bei der mittel- und langfristigen Sicherung des Fachkräftebedarfs und zum anderen wird die Wirtschaft ihrer Verantwortung gegenüber den Jugendlichen gerecht19. Aus Sicht der Unternehmen wird es immer schwerer die freien Lehrstellen zu besetzen um auf diese Weise dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Diese Entwicklung hat ihrer Meinung nach verschiedene Ursachen, die im Folgenden näher erläutert werden.
2.2.1 Demographischer Wandel
In den nächsten Jahren wird kein20,21 e Entwicklung unsere Gesellschaft so beeinflussen und verändern wie der demografische Wandel. Dieser Trend begann Mitte der 70er Jahre, als erstmals eine negative Entwicklung der Bevölkerungsbilanz auftrat. Seit dieser Zeit reicht die Zahl der neugeborenen Kinder nicht mehr aus, um die Elterngeneration zu ersetzen. Die Sterberate lag in den letzen 10 Jahren konstant bei ca. 800.000 Personen pro Jahr, woge- gen die Geburtenrate von 830.000 im Jahr 1991 auf 686.000 im Jahr 2005 stetig gesunken ist. Für 2030 rechnen Experten mit einem weiteren Rückgang auf 566.000 Geburten. Dem entsprechend verschiebt sich die Altersstruktur in der Bundesrepublik zunehmend. Im Jahre 1871 war noch der Großteil der Bevölkerung unter 20 Jahre alt und die Bevölkerungsstruktur baute sich wie eine Pyramide auf. Bereits 2005 waren nur noch 20 % der Bevölkerung unter 20 Jahre alt. Etwa 61 % der Einwohner in Deutschland waren 20-65 Jahre alt und ca. 19 % waren älter als 65 Jahre. Weitere Prognosen sehen für das Jahr 2030 eine totale Umkehr der Bevölkerungspy- ramide, sodass höchstens noch 19 % der Gesamtbevölkerung unter 20 Jahre alt sein werden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Bevölkerungsentwicklung
Quelle: http://www.diercke.de
Die Zahl der Personen im erwerbstätigen Alter wird auf 52 % schwinden und die Gruppe der über 65 jährigen steigt auf 29 %. Aufgrund der kleiner werdenden Bevölkerungszahl im er- werbstätigen Alter, ergeben sich riesige Probleme für den Arbeitsmarkt und das soziale Sys- tem.22. Diese negative Entwicklung wird durch eine positive Bilanz bei der Zu- und Auswan- derung teilweise entkräftet. Hinsichtlich der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Gege- benheiten in Deutschland wandern jedes Jahr mehr Menschen nach Deutschland ein, als schen Deutschland verlassen. Der stärkste Überschuss bei den Zu- und Auswanderungen wurde 1992 mit 780.000 Personen registriert. In den darauf folgenden Jahren hat sich der Überschuss konstant bei 100.000 Menschen pro Jahr eingependelt und wird auch bis 2020 als realistischer Schätzwert angesehen. Die zuwandernden Personen sind im Durchschnitt sentlich jünger als die auswandernden Bundesbürger. Dieses führt zu einer positiven Auswir- kung auf die Altersstruktur. Eine negative Tendenz ist bei der Binnenwanderung zu erkennen. Jedes Jahr siedeln zwischen 250.000-312.000 Menschen aus den neuen Bundesländern in die alten Bundesländer über. Für die in Ostdeutschland ansässigen Unternehmen entstehen große Probleme bei der Besetzung von Stellen mit qualifizierten Mitarbeitern. Bis zum Jahre 2020 wird diese Binnenwanderung auf etwa 8.000 Personen pro Jahr zurückgehen. Die Entwick- lung ist dem starken Rückgang der Schulabgänger im Verhältnis zu den vorhandenen Ausbil- dungsplätzen geschuldet.
Als Folge dieser demografischen Entwicklung wird die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland nach Schätzungen des statistischen Bundesamtes bis zum Jahre 2050 von ca. 82,5 Millionen auf etwa 68-75 Millionen Einwohner zurückgehen. Der Bevölkerungsrückgang führt zu einem starken Anstieg des Durchschnittsalters. Durch diese Prognose wird noch deutlicher, dass Zuwanderung alleine die Geburtenlücke und den daraus resultierenden Mangel an Ausbildungswilligen nicht schließen kann23.
2.2.2 Konjunkturelle Lage
In den letzten Jahren gab es24 starke Schwankungen bei der konjunkturellen Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland, sowie der gesamten Weltwirtschaft. Es besteht eine starke Kor- relation zwischen der wirtschaftlichen Situation und den Veränderungen auf dem Lehrstel- lenmarkt. Immer wenn die Volkswirtschaft in eine Krise geraten ist, gingen automatische die Zahl der verfügbaren Ausbildungsplätze zurück. Die deutsche Wirtschaft erlebte in den ver- gangenen ca. 50 Jahren einen ständigen Aufstieg und wurde erst in den letzten Jahren durch Krisen ausgebremst. Besonders seit 2005 haben anhaltende ökonomische Schocks der Wirt- schaft zugesetzt. Im Jahre 2008 erschütterte eine Wirtschafts- und Immobilienkrise die Welt, was viele große und kleine Unternehmen in Existenznöte brachte. Durch diesen enormen ökonomischen Einbruch wurden besonders die großen Unternehmen betroffen, welche viele der verfügbaren Lehrstellen bereitstellen. In Folge der Krise haben diese Unternehmen aus Kostengründen ihre Ausbildungsbereitschaft stark heruntergefahren. Zudem befindet sich der Euroraum gerade in einer tiefen Krise. Durch das wirtschaftliche Ungleichgewicht einiger Mitgliedsländer muss das gesamte Projekt „Euro“ hinterfragt werden. Durch einen Stabilisie- rungsschirm und Soforthilfen konnte ein Fiasko und der totale Zusammenbruch des Euro vor- übergehend verhindert werden. Es bleibt abzuwarten, welche Folgen sich jetzt für den Ar- beits- und Ausbildungsmarkt ergeben.
2.2.3 Ausbildungsreife
Die hohe Zahl an Schulabgängern ohne Ausbildungsplatz steht in einer starken Diskrepanz zu den noch offenen Ausbildungsplätzen. So gaben 50% der bei der Industrie- und Handelskammer befragten Unternehmen an, dass die Qualität der Bewerber stark gesunken ist. Auf Grund unterqualifizierter Bewerber (mangelnde Ausbildungsreife) hatten etwa 21 % der ausbildungswilligen Unternehmen noch mindestens einen Ausbildungsplatz unbesetzt25. Dieser Gesichtspunkt soll im Folgenden besonders detailliert geschildert werden und als Grundlage der weiteren Ausarbeitungen dienen26. Hierbei werden die gegenseitigen Sichtweisen der Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften weiter durchleuchtet.
3 Ausbildungsreife
Das Phänomen der Ausbildungsreife ist schon seit fast 100 Jahren in der Literatur bekannt und damit kein neues Problem. Jede Generation legt eine andere Definition und einen für sie passenderen Namen fest. So verwendete Liebenberg im Jahr 1929 die Unterscheidung in „be- rufsunreif“ und „berufsschwach“. Unter dem Begriff „berufsunreif“ verstand er Jugendliche, die gegenwärtig noch nicht bereit für eine Ausbildung waren, diese Bereitschaft aber noch erlangen konnten. Berufsschwache Jugendliche waren dagegen nicht in der Lage bestimmte Berufe zu erlernen, egal wie diese jungen Erwachsenen sich noch entwickelten27. In den 50er und 60er Jahren wurde hauptsächlich die Berufsunreife zum zentralen Thema gemacht. Zu dieser Zeit war die Wirtschaft der Meinung, dass ¼ der Jugendlichen nicht ordnungsgemäß Schreiben und Rechnen könne und demzufolge nicht berufsfähig sei. Mitte der 80er Jahre kam der Begriff der „Berufswahlunreife“ auf. Den Jugendlichen wurde von den Arbeitgeber- verbänden vorgeworfen, dass sie durch mangelnde Berufswahlverfahren die Ausbildungsmi- sere verursacht hätten und zudem emotional und kognitiv überfordert seien28.
3.1 Definition
Der Begriff der „Ausbildungsreife“ gilt als schwieriges Konstrukt, sodass auch unter Fachleuten29 eine einheitliche Definition umstritten ist. Es gibt große Meinungsverschiedenheiten darüber, wie Ausbildungsreife zu prüfen ist und welche Maßstäbe zur Bewertung angesetzt werden müssen. Außerdem entsteht aufgrund der fehlenden Definition eine oft falsche oder zweideutige Verwendung des Begriffes, wodurch eine sachliche Diskussion oft erschwert wird. In der Politik wird die Ausbildungsreife unnötig funktionalisiert und zum Spielball machtpolitischer Grabenkämpfe genutzt. Aufgrund der hieraus entstehenden subjektiven Betrachtungsweise der Ausbildungsreife, wird im Folgenden eine Unterteilung in formale und inhaltliche Gesichtspunkte unternommen. Auf diese Weise soll eine angemessene Objektivität für die Begrifflichkeit der „Ausbildungsreife“ ermöglicht werden.
3.1.1 Formale Definition
Die meisten Fachleute sind sich darüber einig, dass unter dem Begriff der Ausbildungsreife Fähigkeiten und Arbeitstugenden zusammengefasst sind, die für alle Ausbildungsberufe glei- chermaßen wichtig sind. Hierzu zählen Fähigkeiten und Fertigkeiten, die schon zu Beginn der Ausbildung vorhanden sind und nicht diejenigen, die erst während der Ausbildung erworben werden. Außerdem ist es nebensächlich, wie anspruchsvoll der Ausbildungsberuf angesehen wird30. Einige Autoren31 ergänzen diese Sichtweise noch. Sie sind der Meinung, dass Jugendliche nicht nur Fähigkeiten zum Beginn einer Ausbildung haben sollten, sondern auch zum erfolgreichen Beenden dieser32. Den wohl detailliertesten Begriffsvorschlag machte 2005 die Bundesagentur für Arbeit. Ausbildungsreife wird hier als „allgemeines Merkmal der Bildungs- und Arbeitsfähigkeit“ verstanden. Jugendliche sollen durch entsprechende Ausbildungsreife in die Lage versetzt werden, eine duale oder schulische Ausbildung zumindest auf dem untersten Niveau erfolgreich abzuschließen33.
3.1.2 Inhaltliche Definition
Die folgenden Erwartungen und Forderungen der Wirtschaft, Gewerkschaften und For- schungsinstitute, sowie die Standards der Kulturministerkonferenz dienten als Grundlage für den Ausbildungspakt der in Abschnitt 4.0 näher erläutert wird. Daher werden hier die entspre- chenden Erwartungen der wichtigsten Institutionen zum Thema Ausbildungsreife kurz darge- legt. So soll eine gemeinsame Basis zum Verständnis über Gemeinsamkeiten und Wieder- sprüche geschaffen werden.
3.1.2.1 Ansatz der Wirtschaft
Stellvertretend für die Wirtschaftsunternehmen34 hat die Industrie- und Handelskammer (IHK) einen Kriterienkatalog für die Ausbildungsreife von Jugendlichen erstellt. Darin wurden die einzelnen Qualifizierungsanforderungen in drei Kompetenzbereiche aufgeteilt. Hierbei wurde eine Unterteilung vorgenommen, bei der neben schulischen Basiskenntnissen35 vor allem die Schlüsselkompetenzen36 eine besondere Berücksichtigung fanden.
1. Fachliche Kompetenz
Elementares Grundwissen in den wichtigsten Lern- und Lebensbereichen. Hierzu zählen z.B. Beherrschung der deutschen Sprache in Schrift und Wort, einfache Rechentechniken, grundlegende naturwissenschaftliche Kenntnisse usw.
2. Persönliche Kompetenzen
Grundhaltung und Werteeinstellung, die den Jugendlichen befähigen, den Anforde- rungen im Unternehmen gerecht zu werden. Dabei handelt es sich um die so genann- ten Schlüsselkompetenzen wie z.B. Zuverlässigkeit, Selbstständigkeit, Belastbarkeit, Sorgfalt usw.
3. Soziale Kompetenzen
Soziale Einstellungen, die die Zusammenarbeit in der Organisation Betrieb ermöglichen. Auch hierunter fallen einige Schlüsselkompetenzen wie z.B. Teamfähigkeit, Höflichkeit, Kommunikationsfähigkeit usw.37
Die IHK fordert, dass die Schüler grundlegend wissen, was sie in den jeweiligen Berufen erwartet und möglichst schon die ersten praktischen Erfahrungen im Beruf gemacht haben. Dieses kann in Form von Praktika oder anderen kooperativen Maßnahmen zwischen Schule und Unternehmen geschehen38.
3.1.2.2 Ansatz des deutschen Gewerkschaftsbundes
Der deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) definiert Ausbildungsreife immer abhängig vom jeweiligen Beruf, dem jeweiligen Ausbildungsbetrieb und dem dort bestehenden Umfeld. Demnach benötigen Auszubildende keinen starren Kriterienkatalog, sondern eine individuelle Potenzialanalyse. Der DGB möchte durch gezielte Förderprogramme die Stärken und Schwä- chen der Jugendlichen fördern. Als Basiskompetenzen gelten Lesekompetenz und Rechtschreibung, mathematische Grundkenntnisse, sowie fremdsprachliche und informations- technologische Kompetenz. Darüber hinaus sollen Jugendliche gelernt haben, wie sie sich das nötige Wissen selbstständig aneignen können. Hinzu kommen Schlüsselqualifikationen wie Motivation, Selbständigkeit, Teamfähigkeit und soziale Kompetenz. Die Schlüsselqualifika- tionen werden in der Handreichung des DGB in Sozialkompetenz, Methodenkompetenz, Selbstkompetenz und Handlungskompetenz unterteilt. Beim Thema „Ausbildungsreife“ fin- den die strukturellen und individuellen Bedingungen und Benachteiligung einzelner Jugendli- cher Berücksichtigung39.
[...]
1 August Bebel 1840-1913
2 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf genderneutrale Sprache verzichtet.
3 Vgl. IHK Ausbildung 2010: 30
4 Unternehmen und Betriebe werden im Folgenden als Synonym betrachte
5 Vgl. Bundesagentur für Arbeit 2007/2008
6 Vgl. Bundesagentur für Arbeit 2008/2009
7 Vgl. Bundesagentur für Arbeit- Statistik 2009
8 alle die nicht im Jahr ihrer Schulentlassung eine Ausbildung aufnehmen; aus: G.I.B. Info. Heft 4/2009.
9 siehe Anhang 1
10 siehe Anhang 2
11 Vgl. DGB 2006: 13
12 Vgl. taz.de 2009: 1
13 ist auf kurzfristige Gewinnmaximierung ausgelegt und nicht auf eine langfristige Entwicklung des Unternehmens; aus: Wöhe 2008: 135
14 Vgl. BWP 2004: 15
15 zukunftsverträgliche Entwicklung; aus: http://www.nachhaltigkeit.info/artikel/archiv_97/Ziele_und_Wege_105/definitionen_897.htm
16 Vgl. http://www.google.de/search?hl=de&client=firefox-a&hs=ygS&rls=org.mozilla%3Ade%3Aofficial&q =scheinausschreibungen +freie+ausbildungspl%C3%A4tze&aq=f&aqi=&aql=&oq=&gs_rfai=: 20.07.2010
17 Vgl. Fütterer/Hofmann/Weik 2008: 26
18 Vgl. Diettrich/Koch 2006: 35
19 Vgl. BWP 2004: 18
20 Vgl. Statistisches Bundesamt 2009
21 Vgl. Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung 2009
22 Vgl. Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2007: 8-14
23 Vgl. Statistisches Bundesamt 2003: 42-49
24 Vgl. Sachverständigenrat 2009: 32ff
25 Vgl. DIHK 2010: 17
26 Vgl. Hammel 2009: 29
27 Vgl. Liebenberg 1929: 322
28 Vgl. Rebmann/Tredop 2006: 85
29 Fachleute wie z.B. Hammel
30 Vgl. Kloas 2006: 102
31 Hammel, Wege, Herdt
32 Vgl. Ebbinghaus 2000: 100
33 Vgl. Müller-Kohlenberg/Schober/Hilke 2005: 20
34 Ansatz bzw. Sichtweise der Wirtschaft kann im Folgenden als synonym mit Ansatz bzw. Sichtweise der Unternehmen betrachtet werden
35 (Recht)Schreiben, Lesen, Sprechen, mathematische Grundkenntnisse, wirtschaftliche Grundkenntnisse; aus: Kriterienkatalog zur Ausbil- dungsreife
36 sind diejenigen Kompetenzen, die alle Menschen für ihre persönliche Entfaltung, soziale Integration, Bürgersinn und Beschäftigung benö- tigen; aus: http://www1.fh-koeln.de/zaq/wir_ueber_uns/schluesselkompetenzen/
37 Vgl. IHK Frankfurt/Main 2006: 1-5
38 Vgl. Industrie- und Handelskammer 2010: 33
39 Vgl. Rebmann/Tredop 2006: 3
- Citar trabajo
- Tewes Bosselmann (Autor), 2010, Ausbildungsreife: Unterschiedliche Sichtweisen des Problems und Lösungsansätze - dargestellt am Beispiel des selbstorganisierten Lernens, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/175983
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