Die folgende Arbeit hat zum Ziel anhand der drei ausgewählten Balladen „Der Geierpfiff“, „Die Schwestern“ und „Die Vergeltung“ die Balladentechnik der Annette von Droste-Hülshoff zu durchleuchten.
Dabei lenken vor allem drei Fragen die Untersuchung: Welche Wirkung haben die balladesken Werke auf den Leser? Wodurch wird sie erzeugt? Welche Absicht verfolgt die Dichterin mit ihren Werken?
In der Untersuchung der Drosteschen Texte interessiert zunächst die Frage, wie es zur Produktion der Balladen, insbesondere zur Entstehung der drei ausgewählten Werke gekommen ist. Bevor es an die Analyse der ausgewählten Beispiele geht, werden noch allgemeine Bemerkungen zum Typus der Balladen vorangestellt.
Die Texte „Der Geierpfiff“, „Die Schwestern“ und „Die Vergeltung“ werden im Hauptteil dieser Arbeit nacheinander behandelt.
Ein Diskussionspunkt, der sich zu den drei ausgewählten Werken anbietet, ist die Struktur und die Sprachgestalt der Gedichte.
Zuerst wird deren Aufbau näher betrachtet. In einem anschließenden Gang durch den Text soll die Sprache analysiert werden. Dabei müssen stets die Fragen im Auge behalten werden, welche Wirkung die gegebene Struktur und Sprache bei dem Leser hinterlassen, durch welche Mittel letztere erzeugt wird und drittens warum die Droste eine derartige Darstellung gewählt hat.
Nachdem der Laie auf diese Weise in die Balladentechnik der Autorin eingeführt worden ist, wird im Folgenden der Inhalt der drei Schriftstücke skizziert. Da der Schwerpunkt dieser Arbeit auf der Interpretation der Drosteschen Texte liegt, werden ausschließlich die einschlägigen, die Handlung bestimmenden Ereignisse kurz angerissen. Dazu wird auf den geschickt angelegten Inhalt Bezug genommen und dessen Wirkung beim Leser untersucht. Dies ist notwendig, um eine Sinndeutung anschließen zu können.
(...)
Den Schlussteil dieser Arbeit bildet die Meinung der Verfasserin.
Hier wird eine pointierte Zusammenfassung der in den Einzeluntersuchungen gewonnenen Ergebnisse angestrebt. Dies soll dadurch geschehen, dass die Verfasserin sich zu den diskutierten Punkten äußert und letztere noch einmal kurz zusammenfasst.
INHALTSVERZEICHNIS
1. Einleitung
2. Die Balladenzeit der Droste
3. „Drei ausgewählte Balladen der Annette von Droste Hülshoff: ,Der Geierpfiff’, ,Die Schwes-tern’ und ,Die Vergeltung’“
3.1 Die Balladentechnik der Annette von Droste-Hülshoff
3.1.1 „Der Geierpfiff“
3.1.1.1 Struktur und Sprachgestalt
3.1.1.2 Inhalt
3.1.1.3 Sinndeutung
3.1.2 „Die Schwestern“
3.1.2.1 Struktur und Sprachgestalt
3.1.2.2 Inhalt
3.1.2.3 Versuch einer biographischen Deutung
3.1.3 „Die Vergeltung“
3.1.3.1 Struktur und Sprachgestalt
3.1.3.2 Inhalt
3.1.3.3 Sinndeutung
4. Meinung der Verfasserin
Anhang
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die folgende Arbeit hat zum Ziel anhand der drei ausgewählten Balladen „Der Geierpfiff“, „Die Schwestern“ und „Die Vergeltung“ die Balladentechnik der Annette von Droste-Hülshoff zu durchleuchten.
Dabei lenken vor allem drei Fragen die Untersuchung: Welche Wirkung haben die balladesken Werke auf den Leser? Wodurch wird sie erzeugt? Welche Absicht verfolgt die Dichterin mit ihren Werken?
In der Untersuchung der Drosteschen Texte interessiert zunächst die Frage, wie es zur Produktion der Balladen, insbesondere zur Entstehung der drei ausgewählten Werke gekommen ist. Bevor es an die Analyse der ausgewählten Beispiele geht, werden noch allgemeine Bemerkungen zum Typus der Balladen vorangestellt.
Die Texte „Der Geierpfiff“, „Die Schwestern“ und „Die Vergeltung“ werden im Hauptteil dieser Arbeit nacheinander behandelt.
Ein Diskussionspunkt, der sich zu den drei ausgewählten Werken anbietet, ist die Struktur und die Sprachgestalt der Gedichte.
Zuerst wird deren Aufbau näher betrachtet. In einem anschließenden Gang durch den Text soll die Sprache analysiert werden. Dabei müssen stets die Fragen im Auge behalten werden, welche Wirkung die gegebene Struktur und Sprache bei dem Leser hinterlassen, durch welche Mittel letztere erzeugt wird und drittens warum die Droste eine derartige Darstellung gewählt hat.
Nachdem der Laie auf diese Weise in die Balladentechnik der Autorin eingeführt worden ist, wird im Folgenden der Inhalt der drei Schriftstücke skizziert. Da der Schwerpunkt dieser Arbeit auf der Interpretation der Drosteschen Texte liegt, werden ausschließlich die einschlägigen, die Handlung bestimmenden Ereignisse kurz angerissen. Dazu wird auf den geschickt angelegten Inhalt Bezug genommen und dessen Wirkung beim Leser untersucht. Dies ist notwendig, um eine Sinndeutung anschließen zu können.
Nach einer kurzen Gattungszuordnung soll im `Geierpfiff´ zunächst auf einige charakteristische Stellen Bezug genommen werden, um die Ausnahmesituation klar werden zu lassen, die dieses Werk besitzt. Im Anschluss daran ist die Funktion der Landschaftsdarstellung von Interesse. Nachdem diese an einem Beispiel kurz erörtert worden ist, soll das Stück auf seine Hintergründigkeit untersucht werden. Es soll deutlich werden, dass es sich bei der Ballade „Der Geierpfiff“ nicht wie vielleicht nach dem ersten Lesen vermutet, um eine bloße Geschichtenerzählung ohne tiefere Bedeutung handelt.
Bei den Balladen „Die Schwestern“ und “Die Vergeltung“ soll nach einem ähnlichen Prinzip vorgegangen werden. Nachdem die Autorin dieser Arbeit die Struktur und Sprachgestalt der beiden Gedicht analysiert hat, steht als nächstes eine kurze Inhaltsangabe an. Bei der anschließenden Sinndeutung werden „Die Schwestern“ auf Grund ihrer Parallelen zur Biographie der Annette von Droste-Hülshoff biographisch ausgelegt. Hier werden zwei Fragen angesetzt: Welche Parallelen gibt es? Wie werden sie dargestellt? Bei „Der Vergeltung“ soll hauptsächlich auf die Schuld-Sühne-Thematik eingegangen werden.
Den Schlussteil dieser Arbeit bildet die Meinung der Verfasserin.
Hier wird eine pointierte Zusammenfassung der in den Einzeluntersuchungen gewonnenen Ergebnisse angestrebt. Dies soll dadurch geschehen, dass die Verfasserin sich zu den diskutierten Punkten äußert und letztere noch einmal kurz zusammenfasst.
2. Die Balladenzeit der Droste
Zu Beginn dieser Arbeit soll zunächst untersucht werden, wie es zum einen zur Entstehung der zahlreichen Balladen1 der Dichterin und zum anderen wie es im Speziellen zur Verfassung ihrer Werke „Der Geierpfiff“, „Die Schwestern“ und „Die Vergeltung“ gekommen ist.
Die Balladenzeit 1840-1842 begann eigentlich damit, dass Levin Schücking die Droste zur Mitarbeit an seinem „Malerischen und romantischen Westfalen“ bat. Annette sollte ihm einige Stoffe für neue Gedichte liefern.2 Diese Aufforderung war ein auslösendes Moment für die neue Schaffensperiode. Eine explosive Balladenproduktion war das Ergebnis, das „weit über den gegebenen publizistischen Anlaß hinausreichte“3. Darunter fanden sich eine Reihe von Balladen, die den westfälischen Aberglauben, die westfälische Sage und die Historie behandelten. Diese Gruppe der balladesken Werke ist in die Rüschhauser Zeit der Droste einzuordnen.4
Einen anderen möglichen Anstoß sieht Ronald Schneider in der äußerst positivern, teilweise sogar begeisterten Aufnahme des 1838 publizierten `Graf von Thal´ „und in der hierin sich dokumentierenden allgemeinen Hochschätzung der Balladenform in der Zeit“5.
Insgesamt sind die Balladen der Annette in drei Phasen geschrieben worden6:
Die „Frühe Phase“, die die Jahre 1835 und 1836 umfasst, ist die erste ihrer drei Schaffensperioden. Dazu gehören folgende vier Gedichte: `Der Barmekiden Untergang´, `Bayazet´, `Der Venuswagen´ und `Der Graf von Thal´. Diese ersten Versuche der Dichterin, sind, wie man anhand der Jahreszahlen sehen kann, nicht auf die Anregung Levin Schückings zurückzuführen. Von diesen ersten Versuchen ist der `Graf von Thal´ am meisten gewürdigt worden.
In der sogenannten „Reiferen Phase“ schuf die Dichterin in den Jahren 1840 und 1841 insgesamt 11 Gedichte. Sie werden zu den `Rüschhauser Balladen´ zusammengefasst. Dazu gehören `Das Fräulein von Rodenschild´, `Der Graue´, `Der Schlosself´, `Vorgeschichte´, `Das Fegefeuer des westfälischen Adels´, `Kurt von Spiegel´, `Die Stiftung Cappenbergs´, `Der Tod des Erzbischofs Engelbert von Köln´, `Meister Gerhard von Köln´, `Der Geierpfiff´ und `Der Mutter Wiederkehr´.
Davon sind die ersten neun genannten Gedichte, wobei die ersten fünf eine erste Gruppe bilden und die an sechster bis neunter Stelle aufgeführten eine zweite Gruppe formen, auf Anregung Schückings entstanden. `Der Geierpfiff´ und `Der Mutter Wiederkehr´ sind unabhängig von dem Projekt Levin Schückings entstanden.7
Die dritte Phase ihrer Produktion fällt auf die Zeit ihres Meersburger Aufenthaltes zwischen 1841 und 1842. Während den zwei Jahren entstanden vier Balladen, die heute zu den sogenannten `Meersburger Balladen´ zusammengefasst werden: `Die Vergeltung´, `Die Vendetta´, `Der Fundator´ und `Die Schwestern´ bilden die letzte Gruppe in der Balladenproduktion der Annette von Droste-Hülshoff. Sie sind gänzlich unabhängig von Schückings `Malerischem und Romantischem Westfalen´ entstanden.8 Positiv könnte auf die Entstehung der letzten vier Balladen die Gegenwart Schückings gewirkt haben. Denn er war während des gesamten Meersburger Aufenthaltes an Annettes Seite, da er zu dieser Zeit eine Bibliothekarsstelle innehatte.9 Mit ihm konnte sie sich gedanklich austauschen, was während des Aufenthaltes im Rüschhaus im Kreise der Familie nicht gegeben war, und so womöglich Inspirationen für ihre Arbeit gewinnen. Er beflügelte die Droste nicht nur durch seine Kritik; allein schon seine enge Bindung zu Annette haben womöglich wesentlich zu ihrer Schaffenskraft beigetragen und schließlich wesentlich zu ihrem Erfolg.
3. Drei ausgewählte Balladen der Annette von Droste Hülshoff:
„Der Geierpfiff“, „Die Schwestern“ und „Die Vergeltung“
Den Balladen der Droste ist laut Schneider ein bedeutender Rang innerhalb der Geschichte dieser Gattung zuzumessen: „Sie ragen aus der Flut der aus dem 19. Jh. überlieferten Balladen heraus durch eine ungewöhnliche Synthese von Schaurig-Schicksalshaftem und Ethisch-Religiösem, und nicht wenige von ihnen weisen eine literarische Qualität auf, die sie den besten Ausprägungen dieses Genres bis hin zu Fontane und Bert Brecht gleichrangig an die Seite stellt.“10
Warum die Balladen als äußerst gelungen bezeichnet werden können und wie dies die Autorin der drei ausgewählten Werke erzielt hat, soll im folgenden Gliederungspunkt der Arbeit deutlich werden.
3.1 Die Balladentechnik der Annette von Droste-Hülshoff
Bevor in den folgenden Punkten die Technik der Droste anhand der drei ausgewählten Balladen `Der Geierpfiff´, `Die Schwestern´ und `Die Vergeltung´, die einer genaueren Betrachtung unterzogen werden, dem Leser deutlich vor Augen geführt werden, sollen noch einige allgemeine Bemerkungen zu den Balladen der Dichterin vorangestellt werden.
Die allgemeinen bzw. als typisch geltenden Strukturzüge der Ballade, wie „die Tendenz zur Verknappung des Erzählvorgangs, zur dramatischen Szene und zur durchgehenden Gespanntheit auf den immer pointierten Ausgang, die Hinneigung aber auch zum stimmungshaften Bild und zur sinnbildlich-moralisierenden Akzentuierung“11, gelten ohne jeden Abstrich auch für die Werke der Droste, die im Folgenden behandelt werden.
Die Eigentümlichkeit dieser Gattung liegt in der Menge der poetischen Elemente. Dieses Postulat kann aufgestellt werden, da sie von jeder Dichtgattung etwas übernommen hat. Sowohl Dramatisches, Episches, als auch Lyrisches ist in diesem Typus vorzufinden, wenn auch letzteres sehr zurücktritt.12
Diese Eigenschaften der Ballade können je nach Dichter in vielfältiger Abstufung in Stärke und Anzahl verwendet werden. Je nach der Anschauungsform, nach der sich dann die Technik orientiert und ausrichtet, in welcher sich dem Autor ein Stoff darstellt, wird die eine oder andere Seite mehr hervorgehoben oder auch alle Elemente gleichmäßig verwendet.13 Bei Annettes Produktion tritt das Epische sehr stark hervor. Episch bezeichnet Boehme sie insofern, „als sie mehr das äußere, die objektive Welt dichterisch zu bewältigen sucht, als ihr subjektives Innenleben unverhüllt darzustellen“14. „Zu lyrischen Gedichten sich zu ergehen drängte es sie nicht,“ sagt Schücking, „ihre Natur war nicht subjektiv, nicht ichlebig genug, um sich lyrisch aussprechen zu müssen.“15 Aus diesem Grund und wegen der Zahl ihrer epischen Gedichte kann man laut Boehme die Droste nicht als „lyrische Natur“16 bezeichnen.
Wie Annette von Droste-Hülshoff ihren eigenen Typus der Ballade kreiert, soll in den folgenden Seiten dieser Arbeit veranschaulicht werden.
3.1.1 „Der Geierpfiff“
`Der Geierpfiff´ der Droste wird in dieser Arbeit als erstes behandelt, da er zeitlich vor den `Meersburger-Balladen´ (1841/1842) einzuordnen ist: Das eben erwähnte Gedicht gehört den sogenannten `Rüschhauser-Balladen´ an, die in den Jahren 1840 und 1841 entstanden sind.
3.1.1.1 Struktur und Sprachgestalt
Die Ballade besteht aus zwei Teilen, die scheinbar keinen Zusammenhang haben.17 Der erste umfasst acht Strophen zu je acht Verszeilen, während der zweite 13 Strophen zu je acht Verszeilen aufweist. Die Strophe sei laut Cämmerer wegen ihres architektonischen Aufbaus des Reimschemas ein festes und bereites Gefäß, „in dem die Sprache wogt und wallt“18. Architektonisch deshalb, da es sich durch das ganze Gedicht hindurch vierhebig alternierend zeigt. Die Dichterin unterbricht die Regelmäßigkeit des Metrums, das nicht durchweg streng alternierend ist, z.B. in der letzten Strophe des ersten Teils. In deren letztem Vers beginnt das Metrum mit einer Hebung (dam), die zwei Senkungen (dada) nach sich zieht. Durch die Umkehrung des Rhythmus (anstatt dadamdadamdadamdadam nun damdadadamdadamdadam) wird das Wort „Vorsichtig“19 zu Beginn des achten Verses betont. Da nun plötzlich das Versmaß anders läuft, d.h. das Fließende, das durch die Regelmäßigkeit des Metrums erzeugt wird, unterbrochen ist, konzentriert sich der Leser verstärkt auf diesen Vers am Ende des ersten Teils. Der Leser kann sich durch diese Betonung ein Bild davon machen, wie vorsichtig die Räuber ihre Messer schleifen.
Auch im zweiten Teil des Gedichtes sind derartige Unregelmäßigkeiten zu entdecken. Ein Beispiel dafür ist in Vers acht der fünften Strophe auszumachen. Auch hier verschwindet der sonst regelmäßig verwendete Auftakt (da). Der Versanfang wird durch eine Betonung (dam) besonders hervorgehoben. Diese Hebung bewirkt, dass dem Leser nicht die Vögel im Gedächtnis bleiben, sondern die Lockvögel (damdada).
Die Droste wechselt geschickt das alternierende Metrum, um bestimmte Wörter in ihrem Gedicht hervorzuheben. Der Leser wird an diesen Stellen aus seinem Trance (dadamdadamdadamdadam) herausgerissen, da er bei der Anwendung des alternierenden Versmaßes über jene eben erwähnte Stellen stolpert. Er liest sie nochmals mit verändertem Metrum. Diese Besonderheit im Metrum steigert die schon vorhandene Spannung erheblich. Die Dichterin schildert das Geschehen vor allem in Strophe vier und fünf des zweiten Teils in seinen Einzelheiten. Es wird der Ablauf in Sekunden und Minuten beschrieben, nicht in Stunden und Tagen. Der Leser erfährt sämtliche augenblickshafte Einzelheiten, was ihn nur noch neugieriger auf den weiteren Verlauf der Handlung macht.
Heinrich Cämmerer ist der Auffassung, dass sich das Reimschema nicht von innen heraus ergebe, sondern , „dass es von außen auferlegter Zwang ist, der nach der platten Auffassung bürgerlicher Kreise notwendig zum Dichten gehört.“20 Es kommt ihm so vor, als stünden wir in einer Zeit, in der das Reimen Dichtung und Gesellschaftsspiel zugleich wäre.21
Das Reimschema besteht in jeder Strophe aus jeweils zwei Kreuzreimen (abab und cdcd). Die Regelmäßigkeit, die durch die Kreuzreime entsteht, wird noch im d-Reim gesteigert: Dieser weist im Verlauf der gesamten Ballade eine weibliche Kadenz auf. Es heißt z.B. im d-Reim der Strophe fünf des zweiten Teils nicht `fühln´ und `spieln´, sondern „fühlen“ und „spielen“22. Alle anderen Reime besitzen eine männliche Kadenz, d.h. sie enden jeweils einsilbig. Sie wirken wie in einem Musikstück staccatohaft, die durch das Legato der weiblichen Kadenzen etwas neutralisiert wird. Es wird jedoch nicht nur durch den Wechsel von männlichen und weiblichen Kadenzen Variation bewirkt, sondern auch durch viele unreine Reime (z.B. a-Reim und c-Reim der Strophe fünf des ersten Teils: „scheut-weit“ und „Stier-Tür“23). Besser passen würde z.B. scheut-heut und Stier-mir. Auch hier sollte die Frage angesetzt werden, warum die Dichterin gerade solche unreinen Reim zu bevorzugen scheint. Vielleicht wollte sie ja gerade solche Dissonanzen erreichen, um beim Leser weitere Aufmerksamkeit zu erregen.
Sah sie die Gefahr bei lauter reinen Reimen Langeweile und Schläfrigkeit durch deren Eintönigkeit und Regelmäßigkeit beim Leser hervorzurufen? Da sich weder die Droste selbst dazu äußerte noch in der Sekundärliteratur speziell zu diesem Problem Äußerungen darüber zu finden sind, können hier nur Spekulationen angestellt werden.
Neben der Struktur ist hier noch die Sprache von Interesse, um einen genauen Einblick in die Balladentechnik der Annette von Droste-Hülshoff zu bekommen.
Die Dichterin verwendet, was der Häufigkeit zu entnehmen ist, gerne lautmalende Verben, wie man an vielen Verben im ersten Teil der Balladen sehen kann: z.B. pfeifen, klirren, rascheln, gerauscht, geklirrt, streifen und schleifen. Diese verbindet die Droste des öfteren mit „Es“-Konstruktionen. Die Wirkung dieser Verbindung kommt besonders gut in Strophe fünf des ersten Teils zur Geltung:
„„Und betet, raschelt es im Walde,
Und manches Weib verschließt die Tür,
Schreit nur ein Kuckuck an der Halde.“ (Vers 6-8)
Das lautmalende Verb „raschelt“, das beim Leser eine bestimmte Vorstellung hervorruft, ist hier zusätzlich mit einer „Es“-Konstruktion verbunden, die das Unheimliche noch unterstreicht. Der Wald gilt als unheimlicher Ort, in dem Geräusche zu hören sind, die nicht genau einordbar sind und daher Angst einflößend wirken, welche in Vers 7 zum Ausdruck kommt. Die Frau verschließt bei dem kleinsten Geräusch ihre Türe, um sich vor Räubern und Feinden zu schützen.
Der Effekt der lautmalenden Verben bekommt durch Zischlaute (z.B. raschelt) ein noch unheimlicheres Kolorit. Dunkle Vokale wie z.B. in Strophe sieben des ersten Teils verstärken diese Wirkung durch ihr dunkles Kolorit. Die dunklen Vokale „a“ und „o“, die in der genannten Strophe gehäuft auftreten, geben der gespannten Situation die passende Untermalung.24 Die unheimlichen, bösen Räuber bewegen sich im Wald auf ihre Hütte zu, aus der dann nur noch Geräusche zu hören sind, die schließlich langsam verklingen. Der Leser liest die Verse mit Spannung und Interesse im Hinblick auf die folgende Handlung.
Alliterationen, wie z.B. „So sachte streift“ (Vers 6), die in der vierten Strophe des ersten Teils zu finden ist, betonen das sachte, vorsichtige Streifen und verstärken die Wirkung des lautmalenden Verbs „streift“. Die Ballade gewinnt durch sie an Dynamik und Spannung.
Ein flüssiges Lesen garantiert nicht nur der meist gleichbleibende Rhythmus, sondern auch das Voranstellen des Genitivattributs vor das Bezugswort. Anstatt `das Grün des Reben´ heißt es in Strophe acht des ersten Teils „der Reben Grün“ (Vers 3). Andere Beispiele sind: „der Zöpfe Paar“ (Vers1, Strophe 4, zweiter Teil), „des Windes Gruß“ (Vers 3, Strophe 5, zweiter Teil) oder „Odems Zug“ in Vers 5 der gleichen Strophe.
Zum Variantenreichtum der Sprache der Annette von Droste-Hülshoff gehören auch die im `Geierpfiff´ verwendeten Enjambements. In der achten Strophe des ersten Teils sind sie besonders auffällig, denn hier treten sie in einer Strophe drei Mal auf. Es befindet sich zwischen den Versen 1 und 2, 3 und 4 sowie den Versen 7 und 8 ein fließender Übergang. Durch diese Enjambements wird die Tätigkeit der Natur und deren emsiges Treiben, das in dieser Ballade vor allem durch Geräusche verdeutlicht wird, vor den Augen des Lesers sichtbar.
Eine zusätzliche Dynamik erzielt die Autorin durch ihre verwendeten Reden. Der Hauptmann beherrscht die ersten drei Strophen der Ballade, indem er seine Räuber an die richtige Stelle postiert. Ohne Exposition steigt die Ballade direkt in das Geschehen ein. Der Leser bekommt während dem verlauf der Ballade nicht nur die Rede des Hauptmanns mit, sondern auch sämtliche Gedanken der handelnden Personen. Dadurch wirkt das Werk lebendig und abwechslungsreich und erzeugt alles andere als Langeweile.
Spannung erzielt die Droste auch dadurch, indem sie den Handlungsverlauf zum Stocken bringt und sich auf das Beschreiben des augenblickshaften konzentriert.
Im zweiten Teil des Gedichts wird das Mädchen im Steinbruch näher beschrieben. Die Aufmerksamkeit des Lesers ist auf das Lösen ihrer Zöpfe (Strophe 4, Vers 1-4) und auf das Wippen ihres Fußes (Vers 1 und 2) gelenkt. Die Handlung steht fast still, da eine Situation bis ins Detail beschrieben wird. Der Leser liest die kunstvollen Verse mit Genuss, da sie durch ihre sehr abwechslungsreiche Sprache lebendig und anregend wirken. Er ist schon neugierig, wie die weitergeht und vor allem wie sie endet.
Nachdem die Droste es versteht, lautmalende Verben mit „Es“-Konstruktionen in ihre Verse einzubauen, durch Zischlaute, dunkle Vokale und Alliterationen ein dunkles und unheimliches Kolorit mit Spannung und Dynamik entstehen zu lassen und den Leser dadurch bei der Stange hält, indem sie in ihren Versen durch Enjambements und vorangestellte Genitivattribute ein leichtes, unbeschwertes Lesen garantiert, ist ihre Ballade `Der Geierpfiff´ durchaus ein gelungenes Werk.
3.1.1.2 Inhalt
Das Geschehen dreht sich um eine Räuberbande, die sogar am hellen Tag als gefürchtet gilt. Der Leser erfährt im ersten Teil der Ballade, dass deren Mitglieder, angeführt von dem Räuberhauptmann, einen Überfall auf eine Kutsche planen. Jeder postiert sich an die von ihrem Anführer zugewiesene Stelle. Falls Gefahr auftritt, so lautet der Befehl des Hauptmanns, sollen die Mitglieder der Bande dreimal wie ein Geier pfeifen, um die anderen zu warnen.
Einer der Räuber, genannt Rieder, der im Steinbruch seine Position hat, trifft im zweiten Teil der Ballade auf ein festes, kräftiges Bauernmädchen, das sehr attraktiv ist und herausfordernde Reize besitzt. Als er sich an sie heranmachen möchte, ertönt dreimal der Geierpfiff. Alle Bandenmitglieder denken, es lauert Gefahr und verschwinden. Doch es stellt sich zum Verdruss des Rieder heraus, dass es ein echter Geier war, der dreimal einen Pfiff verlauten ließ. Der Überfall auf die Kutsche misslingt dadurch und der Räuber Rieder kann sein Vorhaben, das Mädchen zu verführen, nicht ausführen.
[...]
1“Der Begriff `Ballade´, seit dem 16. Jahrhundert im Deutschen nachgewiesen, geht ethymologisch auf den italienischen Terminus „ballata“ und den provenzalischen „ballada“ zurück, womit ein von Tänzern gesungenes, volkstümliches Lied bezeichnet wird.“ Nach http://utenti.lycos.it/gfiona/balladef.html.
2Vgl. Ronald Schneider: Annette von Droste-Hülshoff. Stuttgart: Metzler 1977 (Realien zur Literatur, Sammlung Metzler Band 153), S. 59.
3Winfried Freund: Annette von Droste-Hülshoff. München: Deutscher Taschenbuch Verlag 20002, S. 106.
4Vgl. R. Schneider: Annette von Droste-Hülshoff (Anm. 1), S. 59.
5Ebd., S. 59.
6Vgl. http//utenti.lycos.it/gfiona/balladeb.html.
7Vgl. R. Schneider: Annette von Droste-Hülshoff (Anm. 1), S. 59.
8Informationen zur genaueren Entstehung der drei Balladen `Der Geierpfiff´, `Die Schwestern´ und `Die Vergeltung sind im Anhang dieser Arbeit dem Handout des am 12.06.2003 gehaltenen Referates zu entnehmen.
9Vgl. W. Freund: Annette von Droste-Hülshoff (Anm. 3), S. 124.
10R. Schneider: Annette von Droste-Hülshoff (Anm. 1), S. 59.
11Ebd., S. 60.
12Lothar Boehme: Die Balladentechnik der Annette von Droste-Hülshoff. In: Euphorion 14, 1907,
S. 725.
13Ebd., S.725.
14Ebd., S. 727.
15Ebd., S. 727.
16Ebd., S.727.
17Darauf wird im Gliederungspunkt 3.1.1.2 der Arbeit Bezug genommen.
18Heinrich Cämmerer: Zu den Balladen der Annette von Droste-Hülshoff. In: Euphorion 36, 1935,
S. 235.
19Clemens Heselhaus (Hrsg.): Annette von Droste-Hülshoff. Werke in einem Band. München / Wien: C. Hanser 19966, S. 285.
20C. Cämmerer: Zu den Balladen der Annette von Droste-Hülshoff (Anm. 18), S. 235.
21Ebd., S. 235.
22C.Heselhaus (Hrsg.): Annette von Droste-Hülshoff (Anm. 19), S. 286.
23Ebd., S. 284.
24Vgl. http//utenti.lycos.it/gfiona/balladee.html.
- Citation du texte
- Monika Reichert (Auteur), 2003, Drei ausgewählte Balladen der Annette von Droste-Hülshoff: "Der Geierpfiff", "Die Schwestern" und "Die Vergeltung" - eine Interpretation, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/17578
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