Woher beziehen wir unser Wissen über fremde Länder, ihre Eigenheiten und ihre Gepflogenheiten? Ein ausdifferenziertes Bild ist dann möglich, wenn man einige Zeit im anderen Land verbringt und sich mit der dortigen Kultur vertraut macht. Diese Primärerfahrungen sind heutzutage viel eher möglich als noch vor wenigen Jahrzehnten. Doch auch heute sind es hauptsächlich die Massenmedien, durch die in Italien Informationen über Deutschland bezogen werden, wobei allerdings häufig ein eklatantes Desinteresse aus italienischer Sicht konstatiert wird. Denn was „man über Deutschland schreibt, interessiert in Italien niemanden, auch die Kollegen und den Chefredakteur nicht“ (Roberto Giardina (2000: IfA).
Eine Ausnahme stellt der Fußball-Sport dar. Dieser ist sowohl in Italien als auch in Deutschland von enormer Relevanz. Dabei haben beide Länder auf internationaler Ebene große Erfolge zu verbuchen.
Die Brisanz von internationalen Fußball-Turnieren führt dabei zu einem besonderen medialen Interesse, wobei neben dem eigentlichen Spielgeschehen ausführlich über Land und Leute berichtet wird. Der Mediensport kann als bedeutender Vermittler von nationalen Bezügen gesehen werden: Den Sportlern werden in der Berichterstattung nichtsportliche Eigenschaften und allgemein gesellschaftliche Stereotypisierungen übertragen, der Athlet als Träger von öffentlichen Bildern wird zum Repräsentanten nationaler oder gesellschaftlich relevanter Eigenschaften.
Ein erster Blick in die Berichterstattung der italienischen Tageszeitung Corriere della Sera lässt vermuten, dass die deutschen Panzer und effizienten Ergebnisspieler in den letzten Jahren verschwunden sind. Über die deutsche Mannschaft wird mit unerwartet positiven Worten berichtet, in Überschriften wird ihnen die Eigenschaft zuerkannt, phantasievoll zu spielen.
Kann eine Untersuchung des Deutschlandbildes in der italienischen Sport-Berichterstattung diesen ersten Eindruck empirisch belegen?
Eine Analyse von knapp 200 Artikeln des Corriere della Sera über die Weltmeisterschaften 2006, 2010 und die Europameisterschaft 2008 soll Aufschluss über das Deutschlandbild im Spiegel der italienischen Sport-Berichterstattung geben.
INHALTSVERZEICHNIS
1 EINLEITUNG
2 THEORETISCHER RAHMEN
2.1 Was versteht man unter Fremdwahrnehmung?
2.2 Stereotype und benachbarte Begriffe
2.2.1 Stereotype und nationale Stereotype
2.2.1.1 Das Stereotyp als sozial- und sprachwissenschaftliches Phänomen
2.2.1.2 Nationale Stereotype
2.2.1.3 Funktionen und Gefahren von nationalen Stereotypen
2.2.2 Images und Nationenbilder
2.2.3 Selbst- und Fremdbilder - Auto- und Heterostereotype
2.2.4 Wandelbarkeit von nationalen Stereotypen und Nationenbildern
2.2.5 Zusammenfassung - nationale Stereotype und Nationenbilder
2.3 Sprachwissenschaftliche Grundlagen
2.3.1 Explizite All-Aussagen und Aussagen mit eingeschränkter Verbindlichkeit
2.3.2 Implizite Stereotype
2.3.3 Ersatzbezeichnungen und ethnische Schimpfnamen
2.3.4 Der Gebrauch von Germanismen
2.4 Deutsche und italienische Fremd- und Selbstbilder
2.4.1 Das Italienbild und das Selbstbild der Deutschen
2.4.2 Das Selbstbild der Italiener
2.4.3 Wie die Italiener die Deutschen sehen
2.4.3.1 Das geschichtliche Werden des Deutschlandbildes
2.4.3.2 Das heutige Deutschlandbild der Italiener
2.4.4 Nationale Fußballstereotype
2.4.4.1 Fußball und nationale Identität
2.4.4.2 Typisch deutscher - typisch italienischer Fußball
2.4.4.3 Aktuelle Trends
2.5 Massenmedien und nationale Stereotype
2.5.1 Massenmedien als Vermittler von nationalen Stereotypen
2.5.2 Sekundärerfahrungen im deutsch-italienischen Verhältnis
2.6 Stand der Forschung
3 EMPIRIE: DIE FUßBALL-BERICHTERSTATTUNG IN DER TAGESZEITUNG ‚CORRIERE DELLA SERA‘
3.1 Erkenntnisziele der Untersuchung
3.2 Methodische Vorgehensweise
3.2.1 Wahl der Untersuchungsmethode
3.2.2 Wahl des Untersuchungsmaterials
3.2.2.1 Untersuchungszeitraum
3.2.2.2 Erschließung des Materials
3.2.3 Entwicklung eines Kategoriensystems - qualitative Vorgehensweise
3.2.4 Das Kategoriensystem zur Untersuchung des Deutschlandbildes
3.2.5 Ergebnisinterpretation - quantitative und qualitative Analyse
3.3 Quantitative Verteilung der Untersuchungsergebnisse
3.4 Fußballspezifische Aussagen
3.4.1 Aussehen der Spieler und Trainer
3.4.2 Handlungen und Eigenschaften der Akteure
3.4.2.1 Aggressiver und körperbetonter Spielstil
3.4.2.2 Ehrgeiz und mentale Stärke
3.4.2.3 Unvermeidbarkeit deutscher Siege
3.4.2.4 Selbstbewusstsein bis hin zur Arroganz
3.4.2.5 Ordnung, Disziplin, Taktik
3.4.2.6 Wenn deutsche Tugenden schönem Fußball im Wege stehen«
3.4.2.7 Untypische Mannschaft
3.4.2.8 Fazit - Basta con i panzer tedeschi?
3.5 Verallgemeinernde Aussagen
3.5.1 Aussehen der Deutschen
3.5.2 Handlungen und Eigenschaften der Deutschen
3.5.2.1 Ehrgeiz bis hin zum Größenwahn
3.5.2.2 Humorlos, rassistisch, neidisch, frustriert
3.5.2.3 Organisation, Effizienz
3.5.2.4 Kultiviertes Deutschland: Anstand, Pünktlichkeit, Gehorsam
3.5.2.5 Nüchternes, kaltes Deutschland
3.5.2.6 Patriotismus und Feierfreude - Ist Deutschland ein normales Land?
3.5.2.7 Fazit - Verallgemeinernde Aussagen
3.6 Fußballspezifische und allgemeine Ersatzbezeichnungen
3.6.1 Ersatzbezeichnungen neutraler Art
3.6.2 Die Germanismen ‚Mannschaft‘ und ‚Nationalmannschaft‘
3.6.3 Ethnisch geprägte Ersatzbegriffe
3.6.4 Verschiedene Metaphern
3.6.5 Junges, multiethnisches und untypisches Deutschland
3.7 Germanismen in der Berichterstattung
3.8 Fazit - Das Deutschlandbild in der italienischen Fußball-Berichterstattung
4 SCHLUSSBEMERKUNGEN
LITERATUR- UND QUELLENVERZEICHNIS
Literaturverzeichnis
Quellenverzeichnis
ABBILDUNGS- UND TABELLENVERZEICHNIS
ANHANG
Weiterführende Hinweise zum Quellenkorpus
Fremdbildhaltige Belegstellen im Korpus
1 EINLEITUNG
Woher beziehen wir unser Wissen über fremde Länder, ihre Eigenheiten und ihre Gepflogenheiten? Ein ausdifferenziertes Bild ist dann möglich, wenn man einige Zeit im anderen Land verbringt und sich mit der dortigen Kultur vertraut macht (vgl. Gruner 1991: 31). Diese Primärerfahrungen sind heutzutage viel eher möglich als noch vor wenigen Jahrzehnten. Doch während deutsche Touristen jeden Sommer über italienische Strände herfallen und so ihren Beitrag zu einem eher einseitigen Nationenbild leisten, gilt Deutschland für die Italiener als ein eher unattraktives Reiseziel und ist deswegen für die überwiegende Mehrheit ein wenig bekanntes Land - sie kennen es viel schlechter als im umgekehrten Fall (vgl. Battafarano 2007: 155).
Aus diesem Grund sind es hauptsächlich die Massenmedien, durch die in Italien Informationen über Deutschland bezogen werden. Allerdings konstatiert Roberto Giardina (2000: IfA) auch hier ein eklatantes Desinteresse aus italienischer Sicht. Denn was Äman über Deutschland schreibt, interessiert in Italien niemanden, auch die Kollegen und den Chefredakteur nicht“ (ebd.).
Eine Ausnahme stellt der Fußball-Sport dar. Dieser ist sowohl in Italien als auch in Deutschland von enormer Relevanz: ÄIl gioco del calcio ha avuto fin dall’inizio ampia diffusione e grande rilevanza sociale sia in Germania sia in Italia“ (Battafarano 2007: 136). Dabei haben beide Länder auf internationaler Ebene große Erfolge zu verbuchen:
Sia l’Italia sia la Germania, due paesi nel Pallone, hanno un cospicuo bottino di vittorie, seconde solo al Brasile, con alti e bassi però che hanno costellato di grande entusiasmo e di cocenti delusioni la loro storia, tra campionati europei e mondiali, alternantisi ogni due anni. (ebd.: 137)
Die Brisanz von internationalen Fußball-Turnieren führt dabei zu einem besonderen medialen Interesse. Fußballartikel erscheinen dann auf der Titelseite, es werden Sonderseiten gedruckt und neben dem eigentlichen Spielgeschehen wird ausführlich über Land und Leute berichtet:
Nicht das Sportspiel (kursiv im Original) Fußball selbst produziert schon kulturelle Bedeutung(en), sondern erst diejenigen Geschichten, die rund um das Spielgeschehen erzählt werden. Dauert das eigentliche Sportspiel die bekannten 90 Minuten, so nimmt das dazugehörige Gesellschaftsspiel (kursiv im Original) mit seinen mal antizipatorischen, mal nachgetragenen Narrativierungen und Diskursivierungen den zigfachen Umfang ein und bietet zudem die bevorzugten Orte der meist wenig reflektierten Reproduktion von Nationalstereotypen. (Parr 2003: 49)
Kurzum - der Mediensport kann als bedeutender Vermittler von nationalen Bezügen gesehen werden: Den Sportlern werden in der Berichterstattung nichtsportliche Eigenschaften und allgemein gesellschaftliche Stereotypisierungen übertragen, der Athlet als Träger von öffentlichen Bildern wird zum Repräsentanten nationaler oder gesellschaftlich relevanter Eigenschaften (vgl. Wernecken 2000: 136).
Für eine Untersuchung des italienischen Deutschlandbildes bietet sich die SportBerichterstattung italienischer Medien also an. Eine derartige Analyse bleibt nicht auf die Wahrnehmung länderspezifischer Spielstile beschränkt, sondern wirft ihren Blick über den Tellerrand hinaus, wie folgende Aussage aus der Berichterstattung des Corriere della Sera belegt:
Non bisogna mai fare l' errore di sovrapporre una squadra nazionale con la Nazione stessa, eppure ci sono momenti in cui questa identificazione è così viva, così palpabile che ogni distinguo diventa pura accademia. Magari giocassimo come la Germania, in tutti i sensi! (Grasso: 4.7.10)
Wie Deutschland spielen zu können, so lautet der sehnsüchtige Wunsch des Corriere della Sera nach dem überragenden 4:0-Sieg der deutschen Mannschaft über die Argentinier bei der Weltmeisterschaft 2010 - ein Sieg, auf Grund dessen den Deutschen das Prädikat Äbellissimi“ (Sconcerti: 4.7.10) zuerkannt wurde. Überdeutlich zeigt sich die Untrennbarkeit der Sphären Fußball und nationale Identität. Man solle sich Deutschland zum Vorbild nehmen, so die Aufforderung, und zwar sowohl im Fußball als auch im gesellschaftlichen und politischen Bereich. Jan Berting und Christina Villain-Gandossi (1995: 21) sprechen in diesem Zusammenhang von einem möglichen missionarischen Anspruch. Der Fußball-Kenner wird jedoch aufhorchen - neidloses Lob für den Spielstil einer deutschen Mannschaft? Eine Mannschaft, die seit Jahrzehnten eher für einen zwar effektiven, aber in höchstem Maße unattraktiven Spielstil bekannt ist? Die deutsche Band Sportfreunde Stiller besang dies anlässlich der Weltmeisterschaft 2006 mit etwas selbstironischen Worten:
Wir haben nicht die höchste Spielkultur.
Sind nicht gerade filigran.
Doch wir haben Träume und Visionen und in der Hinterhand nen Master Plan. (Sportfreunde Stiller: 54, 74, 90, 2006)
Ein erster Blick in die Berichterstattung der italienischen Tageszeitung Corriere della Sera lässt jedoch vermuten, dass die deutschen Panzer und effizienten Ergebnisspieler in den letzten Jahren verschwunden sind. Über die deutsche Mannschaft wird mit unerwartet positiven Worten berichtet, in Überschriften wird ihnen die Eigenschaft zuerkannt, phantasievoll zu spielen: ÄLa nuova Germania manda la fantasia al potere“ (Valdiserri: 14.6.10), sogar von Champagner-Fußball ist die Rede (vgl. Monti: 18.6.10).
Kann eine Untersuchung des Deutschlandbildes in der italienischen Sport- Berichterstattung diesen ersten Eindruck empirisch belegen? Welche fußballspezifischen Eigenschaften werden den deutschen Spielern von der italienischen Presse zugeschrieben? Welche Attribute werden über den Fußball-Kontext hinaus den Deutschen allgemein zugeteilt? Werden durch die Berichterstattung weitere Informationen etwa in Form von Ersatzbezeichnungen für die deutsche Mannschaft bzw. die Deutschen transportiert oder Germanismen als Fremdheitsmarker, die das medial vermittelte Deutschlandbild komplettieren? Kurzum - wie wird durch die SportBerichterstattung ein Nationenbild geformt und u.U. verändert?
Diese Fragen beschäftigen im zweiten Teil der Arbeit, in dem die Analyse von knapp 200 Artikeln des Corriere della Sera über die Weltmeisterschaften 2006, 2010 und die Europameisterschaft 2008 Aufschluss über das Deutschlandbild im Spiegel der italienischen Sport-Berichterstattung geben soll.
Der theoretische Rahmen (Kapitel 2) stellt die Grundlage für die empirische Untersuchung dar. Nach einem kurzen Abriss zu den Charakteristika und Eigenheiten der Fremdwahrnehmung (Kapitel 2.1) werden die für die folgende Untersuchung relevanten Begriffe ‚Stereotyp‘, ‚nationales Stereotyp‘, ‚Image‘ und ‚Nationenimage‘ voneinander abgegrenzt und für den Kontext der vorliegenden Arbeit definitorisch eingegrenzt (Kapitel 2.2). Als kognitiv-affektive Konstrukte finden das Stereotyp und die mit ihm verwandten Begriffe ihren Niederschlag in der Sprache. Um die formale Darstellung von Stereotypen und weitere Fremdheitsmarker im Text wie den Gebrauch von Germanismen und Ersatzbezeichnungen adäquat beschreiben zu können, dient das Kapitel 2.3 den sprachwissenschaftlichen Grundlagen. Die ausführliche Darstellung der jeweiligen Selbst- und Fremdbilder der Deutschen und Italiener ist nötig, um bei der Analyse altbekannte Stereotype aufdecken zu können (Kapitel 2.4). Auf die besondere Wirkung von Massenmedien in Bezug auf nationale Stereotype soll in Kapitel 2.5 eingegangen werden. Schließlich konstatiert der status quo der Forschung (Kapitel 2.6) ein Erkenntnisdefizit im deutsch-italienischen Kontext hinsichtlich einer Untersuchung des Deutschlandbildes in der italienischen Sport-Berichterstattung.
Anknüpfend an die theoretischen Vorüberlegungen widmet sich Kapitel 3 der Untersuchung der Fußball-Berichterstattung zur Weltmeisterschaft 2006, Europameisterschaft 2008 und Weltmeisterschaft 2010. Nach einer Konkretisierung des Forschungsziels (Kapitel 3.1), der Darlegung der methodischen Vorgehensweise (Kapitel 3.2) und der Präsentation der quantitativen Ergebnisverteilung (Kapitel 3.3) wird die italienische Fußball-Berichterstattung anhand verschiedener Kategorien auf ihr transportiertes Deutschlandbild untersucht (Kapitel 3.4, 3.5, 3.6, 3.7). Ein abschließendes Fazit soll die verschiedenen Erkenntnisziele der Untersuchung zusammenführen (Kapitel 3.8).
Der Schlussteil der vorliegenden Arbeit dient dem Versuch einer Synthese aus dem theoretischen und praktischen Teil und wagt einen Ausblick über mögliche Entwicklungen (Kapitel 4). Im Anhang finden sich weiterführende Informationen zum Quellenmaterial und die fremdbildhaltigen Textbelege.
2 THEORETISCHER RAHMEN
2.1 Was versteht man unter Fremdwahrnehmung?
Eine Untersuchung von Nationenbildern verlangt neben der Erläuterung grundsätzlicher Wahrnehmungsaspekte auch Anmerkungen zum Zusammenhang von Selbst- und Fremdwahrnehmung. Viele (geistes-)wissenschaftliche Disziplinen beschäftigen sich mit der Frage, wie Fremdes wahrgenommen wird. Einigkeit besteht darüber, dass die menschliche Wahrnehmung versucht, die Wirklichkeit bestmöglich sozial zu konstruieren. Doch schon 1922 stellte der als Pionier der Stereotypenforschung geltende amerikanische Journalist Walter Lippmann (1990: 108f.) fest, dass die Realität zu komplex sei, um alle Reize und Informationen aufnehmen zu können, weswegen der Mensch gezwungen sei, die Wirklichkeit auf ein für ihn zu bewältigendes Maß zu reduzieren:
Bei der Bildung unserer öffentlichen Meinung müssen wir nicht nur mehr Raum, als wir mit unseren Augen sehen können, und mehr Zeit, als wir miterleben können, darstellen, sondern wir haben auch mehr Leute, mehr Handlungen und mehr Dinge zu beschreiben und zu beurteilen, als wir jemals zählen oder uns lebhaft vorstellen können. Wir müssen zusammenfassen und verallgemeinern. Wir greifen Musterfälle heraus und behandeln sie als typisch.
Als Folge entsteht eine Diskrepanz zwischen der objektiven Beschaffenheit der Welt und dem subjektiven Wissen über die Welt (vgl. Boulding 1956: 5f.). Um seine Umwelt dennoch bewältigen zu können, braucht der Mensch vorgeprägte Wahrnehmungs-, Urteils- und Handlungsschemata (vgl. Süssmuth 1997: 219), wobei die eigene Sozialisation Ädie Funktion eines Filters [übernimmt], sodass aus der Vielzahl der Reize und Informationen letztendlich nur eine Auswahl den Menschen auch wirklich erreicht“ (Müller 2004: 31). Folgendes Modell zur menschlichen Wahrnehmung soll dies verdeutlichen:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Die Filterfunktion der Sozialisation - Modell zur menschlichen Wahrnehmung
Als Filter der menschlichen Wahrnehmung und als Gesamtheit aller lebenslangen Lernprozesse kann die Sozialisation auf direktem oder indirektem Weg erfolgen, also Äentweder durch eigene Beobachtung und unmittelbaren Kontakt (Primärerfahrung) oder durch Mitteilung anderer, also Kommunikation (Sekundärerfahrung)“ (Wilke 1989: 11). An letzterer können verschiedene Instanzen beteiligt sein1, wobei den Massenmedien als Sozialisationsagenten eine zunehmend wichtigere Rolle zufällt - insbesondere bei der Wahrnehmung fremder Nationen (vgl. Müller 2004: 32f.).
Innerhalb einer Gesellschaft scheint es kollektive Wissensbestände zu geben, über die sowohl Autoren als auch Rezipienten verfügen. Der Kulturwissenschaftler Jan Assmann (1988: 9-19) spricht bezogen auf die Fremdwahrnehmung von einem kollektiven Gedächtnis über das Fremde und teilt es in zwei Bestandteile auf, die beide zur Identitätsbildung einer Gruppe beitragen, wobei die Übergänge dieser ÄVergangenheitsregister, diese[r] beiden Enden ohne Mitte“ (Assmann 1999: 50), fließend sind:
Das kommunikative Gedächtnis beruht auf Alltagskommunikation und wird innerhalb einer Gruppe sozial vermittelt. Jeder Mensch ist Mitglied verschiedener sozialer Gruppen, weswegen er über viele kommunikative Gedächtnisse verfügt, aus denen er kontextbedingt schöpfen kann. Während dieses kommunikative Gedächtnis auf 80-100 Jahre beschränkt ist, überdauert das kulturelle Gedächtnis - Assmanns zweite Komponente - Generationen. Dieses häufig als offizielles Gedächtnis der Gesellschaft bezeichnete Wissen zeichnet sich durch Alltagsferne, starke Kanonisierung und Selektion aus. Assmann (1988: 13) spricht von ÄIdentitätskonkretheit“, die sich durch Äeine Art identifikatorischer Besetztheit im positiven (‚das sind wir‘) oder im negativen Sinne (‚das ist unser Gegenteil‘)“ auszeichnet. Daneben existieren im kulturellen Gedächtnis Fixpunkte, also […] schicksalshafte Ereignisse der Vergangenheit, deren Erinnerung durch kulturelle Formung (Texte, Riten, Denkmäler) und institutionalisierte Kommunikation (Rezitation, Begehung, Betrachtung) wachgehalten wird. (ebd.: 12)
Der Historiker Siegfried Quandt (1989: 37) fügt dem hinzu, dass ÄErstbegegnungen und dramatische Ereignisse der Beziehungsgeschichte […] tiefenstrukturell wirksame Eindrücke, langfristige Einstellungen und Erwartungen“ schaffen, die sich tendenziell immer wieder selbst bestätigen und deswegen von hoher Bestandskraft sind. Auf derartige Fixpunkte bzw. ÄErinnerungsfiguren“ (Assmann 1988: 12) im deutschitalienischen Diskurs soll in Kapitel 2.4.3.1 näher eingegangen werden.
2.2 Stereotype und benachbarte Begriffe
Bei der Untersuchung von Fremdwahrnehmung muss zwischen verschiedenen subjektiven Konstrukten unterschieden werden. Für den Kontext der vorliegenden Arbeit interessieren insbesondere die Begriffe ‚Stereotyp‘, ‚nationales Stereotyp‘, ‚Image‘ und ‚Nationenimage‘, weil mit Elisabeth Demleitner (2009: 15) eine Analyse nationaler Stereotype zwingend eine Untersuchung der in den Massenmedien vermittelten Nationenbilder beinhalten muss.
Zu der Tatsache, dass eine allgemeingültige Definition für diese Begriffe bislang sowohl im umgangssprachlichen als auch im wissenschaftlichen Bereich fehlt, kommt erschwerend hinzu, dass die Übergänge zwischen den verschiedenen Konstrukten fließend sind (vgl. Wilke 1989: 12), was eine genaue Ab- und Eingrenzung fast unmöglich macht. Ziel ist es also, die für die vorliegende Untersuchung relevanten Aspekte herauszuarbeiten.
2.2.1 Stereotype und nationale Stereotype
2.2.1.1 Das Stereotyp als sozial- und sprachwissenschaftliches Phänomen
Walter Lippmann übertrug mit seinem bahnbrechenden Werk Public Opinion bereits 1922 das in der Pressetechnik beheimatete Bild der Stereotypie2 als ÄBilder in den Köpfen“ (Lippmann 1990: 28) in die Sozialwissenschaften, ohne jedoch den Begriff eindeutig zu definieren (vgl. Hömberg/Pürer/Saxer 2000: 40).
Seit Lippmann ist in vielen verschiedenen Wissenschaftszweigen ein reges Interesse an dem Phänomen des Stereotyps entfacht, was zu einer enormen Vielfalt an Definitionen führte, eine Tatsache, die John Brigham (1971: 15) folgendermaßen kommentierte:
It is suggested that none of the current definitions of stereotype are (sic!) completely adequate. […]. Yet, almost 50 years after the term stereotype was coined, there is little agreement between researchers and theorists concerning the function and importance of ethnic stereotypes in social perception and behavior. At a more basic level, there is little consensus on just what stereotype is (kursiv im Original).
Und auch fast 20 Jahre später mussten die beiden Sozialpsychologen Charles Stangor und James Lange (1994: 360) immer noch feststellen Äthat it has often seemed as no two writers could agree upon even the most basic aspects about stereotypes“.
Grund für diese uneinheitlichen Auslegungen3 ist das jeweils unterschiedliche Forschungsinteresse (vgl. Moneta 2000: 35), weswegen es auch wenig sinnvoll erscheint, auf Unterschiede und Schwerpunkte in den einzelnen Definitionen4 einzugehen, sondern die Aspekte herauszufiltern, mit denen im Folgenden gearbeitet werden soll.
Uta Quasthoff (1973: 28) definiert in ihrem interdisziplinären Ansatz das Stereotyp als den Äverbale[n] Ausdruck einer auf soziale Gruppen oder einzelne Personen als deren Mitglieder gerichteten hberzeugung“:
Es hat die logische Form eines Urteils, das in ungerechtfertigt vereinfachender und generalisierender Weise, mit emotional-wertender Tendenz, einer Klasse von Personen bestimmte Eigenschaften oder Verhaltensweisen zu- oder abspricht.
Die Realität würde dabei mit Aenne Ostermann und Hans Nicklas (1982: 36) größtenteils unvollständig erfasst.
Nach Uta Quasthoff (1973: 13) ist das Phänomen des Stereotyps in erster Linie Äeine sozialpsychologische Erscheinung […], die sich jedoch sprachlich manifestiert und in enger Beziehung zur sprachlichen Äußerung steht“. Die eigentlich kognitiv-affektiven Konstrukte werden also kommunikativ dokumentiert, weswegen der Analyse der Sprache eine enorme Relevanz zukommt (vgl. Wernecken 2000: 454).
Der Spagat zwischen dem Stereotyp als sozialwissenschaftlichem Phänomen und seiner sprachlichen Fixierung gelingt Maria Pümpel-Mader (2010: 14), indem sie die soziale Kategorie und die ihr zugeschriebenen Eigenschaften bzw. Verhaltensweisen mit den Ausdrücken der Rollensemantik ‚Träger‘ und ‚Merkmal‘ benennt.5 Dadurch, dass die Träger-Merkmal-Struktur inhaltlich mit dem korreliert, was thematisch auch in der Sozialpsychologie als Stereotyp gesehen wird, weil auch Ädort […] das Stereotyp auf die Zuordnung von Eigenschaften und Verhaltensweisen zu sozialen Gruppen festgelegt [ist]“ (ebd.), handelt es sich um Äzwei Aspekte derselben Erscheinung“ (Quasthoff 1973: 284).
2.2.1.2 Nationale Stereotype
Im Kontext der vorliegenden Arbeit interessieren nationale Stereotype. Ein Blick auf die Etymologie des Begriffs (griechisch stereo ‚fest, dauerhaft, steif, starr‘ und typos ‚Form, Muster, Gattung, Gestalt‘) verrät zumindest seine unumstrittenste Eigenschaft - die als unveränderlich und rigide geltende Struktur. Den Versuch einer Synthese zwischen dem Herkunftsbereich der Stereotypie - der Pressetechnik - und nationalen Stereotypen wagt Hans Kleinsteuber (1991: 61f.):
Bei der Stereotypie wird also eine an sich veränderliche Struktur in eine feste, unwandelbare Form gebracht - genau wie unsere festgefügten Vorstellungen über andere Völker.
Ausgehend davon sind Stereotype als national zu bezeichnen,
[…] wenn sie den Mitgliedern einer Nation gemeinsame, vermeintlich immer auftretende, typische Merkmale zuordnen, sie also einen Allgemeingültigkeitsanspruch erheben. (Müller 2004: 48)
Dieser äußert sich häufig in Generalisierungen, mit der Folge, dass die Mitglieder einer Nation nicht mehr differenziert betrachtet werden, sondern beispielsweise eine Generalisierung als die Deutschen erfahren, deren Eigenschaften dann entindividualisiert als typisch deutsch bezeichnet werden (vgl. Pürer 2003: 439).
Die Charakterisierung nationaler Stereotype nach Jan Berting und Christiane VillainGandossi (1995: 22) als Ärigid shorthand descriptions of a complex outside world“ enthält zwei wesentliche Eigenschaften von nationalen Stereotypen, die in den unterschiedlichsten Definitionen auftauchen:
Es sind dies der starre und Veränderungen gegenüber resistente Charakter zum einen und zum anderen die Eigenschaft, komplexe Sachverhalte auf ein einziges Bild zu reduzieren (vgl. Müller 2004: 47). Manche dieser Bilder sind völlig falsch, andere wiederum enthalten ein Äkernel of truth“ (Bassewitz 1990: 18), stellen also Halbwahrheiten dar, wobei es aufgrund der Vereinfachung oft nicht möglich ist, zwischen Äwahren“ und Äfalschen“ Stereotypen zu unterscheiden. Stellt man sich mit Jochen Müller (2004: 47) die Frage, wer Äohne weiteres ein Wahrnehmungsmuster auf[gibt], dessen absolute Falschheit nicht belegt werden kann“, kommt man unweigerlich zu dem Schluss, dass nationale Stereotype Ärationaler Argumentation unzugänglich und daher in großem Maße stabil sind“ (Kuntz 1997: 37).
Einigkeit besteht in Wissenschaftskreisen - so Katja Nafroth (2002: 21) - auch darüber, dass in Änationalen Stereotypen positiv und negativ bewertende Aussagen verbunden werden“6: Nationale Stereotype beinhalten also eine emotional geladene Wertung, die aber im Gegensatz zu Werturteilen, die durch Vorurteile als Äemotionsgeladene Folgen von negativen Stereotypen“ (Moneta 2000: 42) transportiert werden, nicht zwingend negativ sein muss, sondern durchaus auch positiv sein kann.
2.2.1.3 Funktionen und Gefahren von nationalen Stereotypen
Nationale Stereotype besitzen eine Reihe positiver Funktionen, wobei häufig die (a) Orientierungsfunktion, die (b) identitätsstiftende und (c) integrierende Wirkung, die (d) Verteidigungs- und die (e) Attraktivitätsfunktion genannt werden:
Die (a) Orientierungsfunktion hilft, die fremde Nation und deren Mitglieder sozial einzuordnen und zu strukturieren (vgl. Pütz 1993: 40). Nationale Stereotype tragen außerdem zu einem ÄWir-Gefühl“ bei und haben somit (b) identitätsstiftende Wirkung (vgl. Müller 2004: 48). Susanne von Bassewitz (1990: 23) verweist außerdem auf die (c) Äsoziale Integrationsfunktion“ von nationalen Stereotypen, weil es ihrer Meinung nach unmöglich ist, in einer Gesellschaft aufzuwachsen, Äohne die Stereotypen erlernt zu haben, die den wichtigsten ethnischen Gruppen zugeordnet werden“. Nationale Stereotype können so mit Walter Lippman (1990: 71) zu (d) ÄVerteidigungswaffen unserer gesellschaftlichen Stellung“ werden, nämlich dann, wenn Änicht primär die Homogenität innerhalb der eigenen Gruppe betrachtet [wird], sondern die konstante, klare Abgrenzung der eigenen von der fremden Gruppe“ (Nafroth 2002: 21). Journalisten selbst finden nationale Stereotype attraktiv, da sie sich sehr gut eignen, den Rezipienten für ein Thema zu interessieren: Der Leser hat gewisse Vorstellungen von einem Land und findet diese in den Texten bestätigt (vgl. Müller 2004: 48).
Dass nationale Stereotype aber auch gefährlich sein können, nämlich dann, wenn sie (a) beleidigend und (b) diskriminierend sind oder als (c) Kommunikationsbarrieren auftreten, zeigt folgender Abschnitt:
Stereotype sind (a) beleidigend, wenn sie negative Wertungen und abschätzige Bemerkungen enthalten, um so die eigene Nation im Vergleich zur anderen als höherwertig oder moralisch überlegener hinzustellen. Sie können sogar (b) diskriminierend sein, wenn Personengruppen als Bedrohung für die eigenen Werte gesehen werden und als Reaktion darauf als bequeme Sündenböcke aus der Gesellschaft ausgegrenzt werden (vgl. Müller 2004: 49). Ebenso ist es als negativ anzusehen, wenn Stereotype in ihrer Funktion als Denk- und Äußerungsschablonen eine kritische Auseinandersetzung mit der Realität verhindern und so als (c) ÄKommunikationsbarriere, die insbesondere einer kollektiven und individuellen Wissenserweiterung im Wege steht“ (Quasthoff 1973: 192), fungieren.
2.2.2 Images und Nationenbilder
Als Begründer der Imageforschung gilt Kenneth E. Boulding, der 1956 den Begriff ‚Image‘ (lateinisch imago ‚Bild‘)7 aus der Werbepsychologie und den Public Relations in die Wissenschaft einführte. Wie Walter Lippmann geht auch Boulding (1956: 5f.) von einer Diskrepanz zwischen der objektiven Wirklichkeit und subjektivem Wissen aus:
Knowledge, perhaps, is not a good word for this. Perhaps one would rather say my Image (kursiv im Original) of the world. Knowledge has an implication of validity, of truth. What I am talking about is what I believe to be true; my subjective knowledge.
Eine allgemeingültige Definition sucht man mit James Grunig (1993: 263) aber auch hier vergeblich: Ä‚Image’ has almost as many meanings as the number of people who use it“.
In der vorliegenden Arbeit soll mit der Definition von Petra Dorsch-Jungsberger (1995: 88) gearbeitet werden: ÄPerzeption, Vorurteile, Stereotypen sind der Stoff, aus dem sowohl Images als auch Nationenbilder (Hervorhebung im Original) geformt werden“. Weil in Nationenbilder auch Stereotype mit einfließen, meint ÄFremdwahrnehmung […] also immer auch stereotype Wahrnehmung“ (Müller 2004: 3). Nationenbilder als Summe mehrerer Images (vgl. Och 2008: 29) stellen somit die Gesamtheit aller Eigenschaften dar, die einer Nation von einer Gesellschaft zugeschrieben werden (vgl. Nafroth 2002: 5). Damit sind mit Wolfgang Pütz (1990: 36) die zu einem einheitlichen Bild zusammengefassten unterschiedlichen Vorstellungen, Einstellungen und Meinungen der Mitglieder einer Gesellschaft über eine Nation gemeint. Nationenbilder sind also in aller Regel nicht ausdifferenziert, sondern eine verallgemeinerte und vereinfachte Darstellung einer anderen Nation. Mit mehr Fakten und einer Bereicherung um persönliche Erfahrungen entsteht ein differenziertes Bild, das für neue Informationen offener ist (vgl. Bassewitz 1990: 25).
2.2.3 Selbst- und Fremdbilder - Auto- und Heterostereotype
Im Zusammenhang mit nationalen Stereotypen und Nationenbildern wird zwischen verschiedenen Bezugsformen unterschieden, die in einem dialektischen, spannungsgeladenen Verhältnis zueinander stehen (vgl. Blaicher 1992: 7).
Unter Autostereotypen versteht man dabei Bilder, die Angehörige einer Nation von sich selbst haben und durch die sie sich von ihren Nachbarn abzugrenzen meinen, während mit Heterostereotypen die Vorstellungen gemeint sind, die die eigene Gruppe von einer fremden Gruppe entwickelt (vgl. Kleinsteuber 1991: 63).
Angelehnt an Wolfgang Pütz (1993: 39f.) lassen sich vier Bezugsformen von Auto- und Heterostereotypen abgrenzen. Die Beispiele sind in Hinblick auf die Untersuchungsperspektive gewählt.8
(a) Übliches Heterostereotyp (SI > SD): Ein Italiener sagt, die Deutschen sind humorlos.
(b) Autostereotyp (SI > SI): Ein Italiener sagt, die Italiener genießen das Leben.
(c) Vermutetes Heterostereotyp (SI > (SD > SI)): Ein Italiener sagt, die Deutschen halten alle Italiener für Muttersöhnchen.
(d) Vermutetes Autostereotyp (SI > (SD > SD)): Ein Italiener sagt, die Deutschen halten sich für effizient.
Auffällig an der Gegenüberstellung von Selbst- und Fremdbild ist, dass die eigene Position häufig mit Sympathie betrachtet, also harmonisiert wird und eine Aufwertung erfährt, während die fremde Gruppe von Aversion und Abgrenzung geprägt ist. Im Kontext dieser Arbeit würde das bedeuten, dass die Schwächen der Deutschen betont würden, um entweder von den Mängeln der Italiener abzulenken oder um ihre Stärken besonders hervorzuheben.9 Günther Blaicher (1992: 7) weist außerdem darauf hin, dass auch der umgekehrte Fall möglich sei, nämlich dann, wenn Ädas Fremdbild in Ideale überhöht wird, damit das Eigenbild einer Kritik unterzogen werden kann“.
In einer Untersuchung von Fremdwahrnehmung müssen sowohl die jeweiligen Selbst- als auch Fremdbilder Beachtung finden, da mit Hans Süssmuth (1997: 219) die Wahrnehmung des fremden Landes nicht ohne die Wahrnehmung des eigenen Landes zustande kommt:
Die Art und Weise, wie ein Volk ein anderes wahrnimmt, die Bilder und Stereotypen, die über das andere Volk bestehen, geben nicht nur darüber Auskunft, wie das fremde Volk von dem betrachtenden gesehen wird. Sie sagen oftmals noch viel mehr darüber aus, wie das betrachtende Volk sich selbst sieht und definiert; kurzum: sie geben Aufschluss über seine Selbstwahrnehmung und nationale Identität. (Müller 2004: 38)
Eine Analyse wie die vorliegende, die das Deutschlandbild der Italiener zum Schwerpunkt hat, wird als ÄNebenprodukt“ also auch Auskünfte darüber geben, wie sich das betrachtende Volk - in diesem Fall Italien - selbst sieht.
Siegfried Quandt (1989: 37) sieht in dem Verhältnis Äwir und die anderen“, auf dem unsere Identität beruht, eine Äzentrale Grundstruktur in unseren inneren Welt- und Menschenbildern“, wobei das Fremde Ävor allem unter den Polaritäten nah/entfernt, stark/schwach, gut/böse gesehen“ wird. Das erklärt auch die Tatsache, dass Äalle Völker sich selber eine Reihe hervorragender Tugenden, ausgezeichneter Vorzüge zu[schreiben] und schon dem Nachbarvolk, (sic!) ebensoviele Fehler, Schwächen, Unzulänglichkeiten“ (Hellpach 1954: 12).
2.2.4 Wandelbarkeit von nationalen Stereotypen und Nationenbildern
In den vorigen Kapiteln wurde auf die Rigidität und Starrheit von Stereotypen hingewiesen und ein fluiderer Charakter von Nationenbildern angedeutet. Nach Walter Hömberg, Heinz Pürer und Ulrich Saxer (2000: 21) können sich Images und damit auch Nationenbilder leichter als Stereotype verändern, weil das Stereotyp im Vergleich zum ganzheitlichen Nationenbild ein ÄEinzelcharakteristikum“ darstellt, das in bestimmten Kontexten zwanghaft assoziiert wird.
Es interessiert nun zunächst die Frage, ob und unter welchen Bedingungen (nationale) Stereotype überhaupt veränderbar sind. Walter Lippmann und auch seine Nachfolger in Politik- und Sozialwissenschaften negieren eine solche Wandelbarkeit zwar im Prinzip, räumen jedoch ein, dass Äbestimmte Ereignisse aber - und auch hier besteht Konsens - […] doch das Bild des einzelnen oder einer Gruppe verändern“ (Kuntz 1997: 38) können. Diese Ereignisse müssen dann entweder besonders spektakulär sein oder aber über eine lange Zeitspanne hin anhalten. Weniger Übereinstimmung herrscht allerdings darüber, wie langfristig und endgültig diese Veränderungen sind.10 An Katja Nafroth (2002: 19) anschließend soll in der vorliegenden Arbeit davon ausgegangen werden, dass sich Stereotype schon ändern können - allerdings nur sehr langsam, und dass Äein Totalwandel vom positiven zum negativen Grenzwert oder umgekehrt […] bei den meisten Stereotypen in einem Menschenalter nicht zu beobachten [ist]“ (Dröge 1967: 149).
Nationenbilder dagegen gelten durchaus als wandelbar. Gründe dafür liegen in dem dynamischen Charakter und der Vielschichtigkeit von Images, die Informationen und Eindrücke ständig neu kombinieren (vgl. Och 2008: 29). Wegen des interdependenten Verhältnisses von Nationenbildern und Informationen werden durch wahrgenommene Informationen Nationenbilder bestimmt und umgekehrt bestimmen Nationenbilder, welche Informationen aufgenommen werden (vgl. Hömberg/Pürer/Saxer 2000: 53).
Trifft eine Information auf ein Nationenbild, können neben der Möglichkeit, dass das Image von der Nachricht unberührt bleibt, zwei weitere Fälle auftreten - das Nationenbild wird dann beeinflusst:
Erstens kann eine Nachricht, die dem bestehenden Image hinzugefügt wird, zur Bestärkung des Nationenbildes führen, zweitens kann das Gegenteil der Fall sein - nämlich dann, wenn die neue Information zu einer Revidierung des Nationenbildes führt (vgl. Boulding 1956: 7f.). Zu letzterem ist anzumerken, dass oft ein Ä‚harter Kern‘ des Nationenbildes von Veränderungen unberührt bleibt“ (Nafroth 2002: 15). Mit Walter Hömberg, Heinz Pürer und Ulrich Saxer (2000: 54) haben überhaupt nur diejenigen Informationen, die über einen längeren Zeitraum geliefert werden und nicht mit dem bestehenden Nationenimage übereinstimmen, eine Wirkungschance.
2.2.5 Zusammenfassung - nationale Stereotype und Nationenbilder
Nationale Stereotype sollen in der vorliegenden Arbeit als Eigenschaften bzw. Merkmale verstanden werden, die einer Nation typischerweise zugeordnet werden und daher einen Allgemeingültigkeitscharakter beanspruchen. Während nationale Stereotype als sehr schwer wandelbar gelten und daher teilweise sehr lange die entsprechende Diskurstradition prägen können, wird Nationenbildern ein fluiderer Charakter unterstellt. Nationenbilder bestehen zwar teilweise aus Stereotypen, allerdings fließen daneben noch andere Informationen mit ein, so dass Nationenbilder insgesamt vielschichtiger sind.
Als soziale Konstrukte sind diese Merkmale nicht fassbar, ihre sprachlichen Korrelate hingegen sind ablesbar. Das folgende Kapitel gibt einen Überblick über die sprachlichen Mittel und Strukturen, mit denen Stereotype und weitere Fremdheitsmarker im Text ausgedrückt werden können.
2.3 Sprachwissenschaftliche Grundlagen
Uta Quasthoff (1973: 239-258) unternimmt in ihrem Versuch zur Älinguistischen Beschreibung von Stereotypen“ (ebd.: 212) eine Aufteilung von insgesamt vier Arten von Stereotypen - eine Klassifikation, an der sich im Wesentlichen auch die vorliegende Arbeit orientiert:
Die expliziten All-Aussagen entsprechen bei Quasthoff Typ I. Explizit ausgedrückte, aber mit Einschränkung verwandte Stereotype, ordnet sie Typ II zu und die impliziten dem Ätextlinguistischen“ Typ IV. Der umstrittene Typ III umfasst Sätze, Äin denen der Sprecher explizit auf sich selbst Bezug nimmt“ (ebd.: 252). Solche treten in Printmedien kaum auf (vgl. Demleitner 2009: 11) und werden ansonsten Typ II zugeordnet.11
Neben der Charakterisierung von expliziten und impliziten Stereotypen geht dieses Kapitel auf einen weiteren Aspekt ein, weil mit Elisabeth Demleitner (2009: 18) auch dem Äverwendeten Vokabular, der Wortwahl der Berichterstattung, […] sicherlich eine zentrale Bedeutung für Aufbau und Bestätigung von Nationenbildern zu[kommt]“.
Konkret wird auf den Gebrauch von Germanismen und Ersatzbezeichnungen bzw. ethnischen Schimpfwörtern hingewiesen, weil auch durch diese Fremdheit im Text ausgedrückt werden kann.
2.3.1 Explizite All-Aussagen und Aussagen mit eingeschränkter Verbindlichkeit
Explizite All-Aussagen gelten als Grundform stereotyper Ausdrucksformen: Bestimmte Eigenschaften werden mit Hilfe von Allgemeingültigkeit postulierenden Artikeln bzw. Pronomina (zum Beispiel die/alle Deutschen), dem kollektiven Singular (der Deutsche) oder der Nullform des Artikels (Deutsche) sämtlichen Mitgliedern einer Gruppe zugeschrieben. Der Referent wird durch Prädikativergänzungen bewertet und charakterisiert.12 Die Prädikation kann aber vor allem in Zeitungsüberschriften auch elliptisch realisiert werden.13
Nationale Stereotype erscheinen in der Oberflächenstruktur oft nicht in Satzform, sondern verdichtet in Nominalgruppen - mit folgenden Möglichkeiten: Die Nationalitätenbezeichnung kann entweder als Adjektivattribut oder als substantivischer Kern, der durch ein oder mehrere Attribute modifiziert wird, auftreten.14 Auch Adjektivgruppen, in denen die Nationalitätenbezeichnung als Kern oder Attribut stehen kann, sind oft anzutreffen.15 Hinzu kommen einige seltenere Typen, beispielsweise Komposita und Ableitungen,16 und Ad-hoc-Bildungen (vgl. Demleitner 2009: 230).
Der zweite Typ stereotyper Äußerungen besteht aus Aussagen, Äderen Verbindlichkeit durch bestimmte Signale in der Oberflächenstruktur des Satzes eingeschränkt ist“ (Quasthoff 1973: 248). Auf syntaktischer Ebene sind dies oft konjunktivische Sätze, Fragesätze und Aussagen des Typs ‚x gilt als«‘, eine Formulierung, die Uta Quasthoff als eine besonders typische ansieht, weil der Sprecher so nur auf eine verbreitete Meinung referiert und sich einer eigenen Meinungsäußerung entzieht, Äum nicht in den Verdacht der Verbreitung stereotyper Überzeugungen oder vorurteilsvollen Denkens zu geraten“ (ebd.).
Die Einschränkung der Verbindlichkeit kann durch graphische, syntaktische und inhaltliche Mittel erfolgen: Während die Verwendung von Anführungsstrichen - meist zur Kennzeichnung eines Zitats - bei expliziten All-Aussagen dazu dient, die Authentizität und den Wahrheitsgehalt des Gesagten zu betonen, werden sie im Falle einer Einschränkung der Verbindlichkeit in erster Linie als Mittel der Distanzierung verwandt. Inhaltliche Möglichkeiten zur Einschränkung können etwa die Semantik von Angaben und Attributen sein,17 außerdem die Ironisierung in Form von Sprichwörtern, Witzen und Redewendungen. All-Aussagen, die explizit als stereotype Äußerungen charakterisiert werden, stellen einen Sonderfall der Einschränkung dar. (Vgl. Demleitner 2009: 231)
2.3.2 Implizite Stereotype
Eine klare und genaue Zuordnung ist bei impliziten Stereotypen oft noch schwieriger als bei den expliziten Typen, weil in denselben Aussagen sowohl implizite als auch explizite Formulierungen anzutreffen sind. Erschwerend hinzu kommt das subjektive Moment, weil Ädie Frage, was noch als implizit und was bereits als explizit anzusehen ist, […] u.a. mit der Sensibilisierung des Analysierenden für die Thematik zusammen[hängt]“ (Demleitner 2009: 344).
Implizite Stereotype lassen sich durch zu Grunde liegende Präsuppositionen und nahegelegte Folgerungen mittels textlinguistischer und pragmatischer Methoden erschließen (vgl. Demleitner 2009: 229). Dabei geht es hauptsächlich um hintergründige Satzinhalte, um ÄMitbedeutetes, Mitgemeintes, Mitzuverstehendes“ (Polenz 1985: 302). Ob die impliziten Stereotype absichtlich oder unabsichtlich gesetzt werden, ist nicht immer klar, spielt aber hier auch keine große Rolle - es gelte die inhaltsanalytische Kategorie der Latenz, nachdem Ä[g]esellschaftliche Sinn- und Bedeutungsstrukturen […] erfaßt werden [sollen], gleichgültig ob der Sender sie geplant hat oder nicht“ (Ritsert 1972: 43).
Wichtige Formulierungsmöglichkeiten, um implizite Stereotype auszudrücken, sind das Setzen von Anführungsstrichen, die Verwendung von Pronomen und Partikeln, die entsprechende Wortwahl und die Stilmittel der Metapher und des Vergleichs.
In impliziten Stereotypen werden Anführungsstriche hauptsächlich distanzierend gebraucht. Daneben können sie aber Äauch als Hinweis auf einen impliziten Vergleich, dem ein Stereotyp zugrunde liegt, genutzt werden“ (Demleitner 2009: 384) und so zur Kennzeichnung eines Zitates eingesetzt werden. (Vgl. ebd.: 383f.)
Um die Solidarisierung mit der Eigengruppe zu demonstrieren, dient vor allem der inklusive Gebrauch der Pronomen der 1. Person Plural. Antithetisch dazu stehen die Pronomen der 3. Person Plural, die die Abgrenzung zur Fremdgruppe betonen sollen. Mit Maria Pümpel-Mader (2010: 93) dienen Pronomen generell als Äschema-beziehbare Indikatoren, die Verstehen postulieren und auf gemeinsames, evidentes Vorwissen verweisen, das als stereotypes Wissen gedeutet werden kann“. Weil durch den Gebrauch von solchen Pronomen automatisch Wertungen aktiviert werden, treten sie gehäuft in emotional aufgeladenen Diskursen auf (vgl. ebd.: 94).
Implizite Stereotype können auch durch den Gebrauch von Partikeln ausgedrückt werden. In diesem Fall werden unterschwellig, aber wirkungsvoll Wertungen transportiert und dem Leser nahegelegt. Partikeln postulieren Verständnis: Der Kommunikator verweist auf ein kollektives Vorwissen, das, wenn es mit einer Nationenbezeichnung kombiniert wird, als stereotypbeziehbares Wissen gedeutet werden kann. Partikeln wie sehr, so, ausgerechnet, noch und natürlich haben so häufig eine intensivierende Wirkung. Dagegen wirkt das Partikelwort vielleicht eher abschwächend.18 (Vgl. Pümpel-Mader 2010: 89)
Die Wortwahl gilt als eines der wichtigsten Verfahren, um unterschwellig Wertungen auszudrücken. Dabei stehen zur ÄAktivierung von stereotypen Vorstellungen […] semantische Netze zur Verfügung, die mit expliziten Stereotypen aufgebaut werden und diese jederzeit signalwortartig aufrufen“ (Demleitner 2009: 385). So können typische Partnerwörter von häufig vorkommenden Kollokationen19 auch allein wirken und die stereotypen Vorstellungen aktivieren. Ferner sieht Elisabeth Demleitner (2009: 385) ein Wirkungspotenzial in der Aufzählung von Wertwörtern - etwa als Alliterationen oder Gradatio.20
Metaphern sind in der Mediensprache - vor allem in der Sport-Berichterstattung - sehr häufig anzutreffen. Als verkürzte Vergleiche sind sie Stilfiguren der uneigentlichen Rede und perfekt dazu geeignet, dem Leser Mitzuverstehendes nahezulegen und Ideologeme zu transportieren. Gerade bei der flüchtigen Zeitungslektüre bleiben beim unkritischen Leser subtile, aber nachhaltige Effekte. Metaphern haben einen besonderen Unterhaltungswert, wenn sie nicht konventionell sind, sondern bewusst gewählt mit altbekannten Stereotypen spielen. (Vgl. Demleitner 2009: 25)
2.3.3 Ersatzbezeichnungen und ethnische Schimpfnamen
Wird über Personen bzw. Personengruppen berichtet, benutzt der Autor entweder ihre allgemeingebräuchlichen Namen oder - wie es aus ästhetischen Gründen gerade im Journalismus gebräuchlich ist - Synonyme und Ersatznamen.
Neben neutralen Ethnonymen als (Quasi-)Synonyme greifen Journalisten auch auf pejorative Gruppenbezeichnungen oder ethnische Schimpfnamen zurück. Diese sind im Sinne von erniedrigenden Kollektivbezeichnungen zu verstehen, denen Menschen einzig und allein wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe zugeordnet werden (vgl. Demleitner 2009: 175). Bei derartigen Ersatzbegriffen, so Jochen Müller (2004: 136), Äschwingt unweigerlich eine über diese Bedeutung des ursprünglichen Wortes hinausgehende Konnotation mit“. Hier finden sich dann häufig stereotypale Anspielungen. Elisabeth Demleitner (2009: 22f.) bezeichnet solche Pauschalisierungen als Ägeronnene nationale Stereotype“ mit hohem emotionalen Gehalt, die in Opposition zu neutralen Ethnonymen stehen.
2.3.4 Der Gebrauch von Germanismen
Ganz allgemein wird durch die Verwendung von Fremd- und Lehnwörtern Fremdheit im Text angedeutet, wobei im Rahmen der vorliegenden Arbeit die deutschen Zitatwörter von Interesse sind.
Diese Germanismen haben dann folgende Funktionen: Vor allem in Überschriften dienen sie als Blickfang, (vgl. Schweickhard 1987: 9) und werden für Witze und Wortspiele verwandt. Die Nutzung deutscher Fachausdrücke schafft eine authentische Atmosphäre, ist ein Zeichen von Prestige und hilft, sich knapp und präzise auszudrücken. Durch die Verwendung von Kriegswörtern entstehen negative Assoziationen mit Deutschland (vgl. Eichhoff 1972: 201-211).
2.4 Deutsche und italienische Fremd- und Selbstbilder
Die Unterschiede zwischen Italienern und Deutschen scheinen so groß zu sein, daß das Wesen der einen am besten durch den Kontrast zu den anderen beschrieben werden kann. (Moneta 2000:115)
Ziel der folgenden Kapitel ist es, anhand verschiedenster Forschungsergebnisse altbekannte Stereotype aufzudecken, die den deutsch-italienischen Diskurs seit Jahrzehnten prägen, und so einen Überblick über klare und konstante Konturen der jeweiligen Bilder zu geben. Vor allem über die Ergebnisse von Eigenschaftslistenverfahren, historischen Quellen- und Dokumentenforschung, Befragungen, Inhaltsanalysen und semantischen Differentialen lässt sich ein Eindruck über das gegenseitige Fremdbild der beiden Nationen gewinnen.21
2.4.1 Das Italienbild und das Selbstbild der Deutschen
Elisabetta Moneta (2000: 77) fasst das Selbstbild der Deutschen folgendermaßen zusammen:
Mit einer Gründlichkeit, die sie sich gerne selbst zuschreiben, zählen die Deutschen fleißig Eigenschaften auf, die pünktlich und zuverlässig - zeitliche und gesellschaftliche Grenzen sprengend - immer wieder auftauchen. Ein schönes Beispiel von bürokratischem Eifer, wenn man will, von einer gewissen Sturheit, aber auch von musterhafter Ausdauer (kursiv im Original).
Die im Zitat genannten Punkte lassen sich mit weiteren für die Deutschen als typisch geltenden Merkmalen ergänzen und verbinden. So gilt der Deutsche nicht nur als gründlich, sondern auch als sehr penibel, perfektionistisch, sauber und ordentlich. Er bezeichnet sich als diszipliniert, arbeitsam, ehrgeizig und strebsam - besitzt also eine gewisse Aufsteigermentalität. Die für ihn typischen Eigenschaften der Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit stehen in Verbindung zu seinem Pflichtbewusstsein, woraus auch eine gewisse Berechenbarkeit der Deutschen resultiert. (Vgl. Moneta 2000: 65-77)
Daneben hält sich der Deutsche für kultiviert, gebildet und intelligent, für einen guten Organisator und für unbestechlich. Er bezeichnet sich selbst als sparsam, ernst und vorsichtig (vgl. Peabody 1985: 118f.), des weiteren aber auch als trinkfreudig, überheblich22, vorurteilsvoll und fremdenfeindlich (vgl. Moneta 2000: 72f.), neidig und schadenfroh (Gross 1992: 39).
Johannes Gross (1992: 23) spricht ferner das mangelnde nationale Selbstvertrauen der Deutschen an und ihren Wunsch, ein normaler Staat zu sein:
Die Deutschen haben aufgehört, sich als Besonderes, als Träger des Weltgeistes zu sehen. Sie wollen Normalität, keine Ausnahmestellung, weder im Bösen noch im Guten; am liebsten wollen sie nur noch Mensch sein unter Menschen, doch zur Not auch unter Engländern, Franzosen, Italienern - Deutsche.
Zu dieser Normalität zu finden, ist für die Deutschen, so Angelo Bolaffi (1995: 8), nicht einfach, nachdem es seit dem Zweiten Weltkrieg als Tabu galt, von einem Vaterland - geschweige denn Patriotismus - zu sprechen. Heute aber könne Deutschland Äzu Recht danach streben, ein ‚normales Land‘ zu sein“ (ebd.).
Das Italienbild der Deutschen steht - was nicht allzu überraschend ist - meist in direkter Opposition zu ihrem Selbstbild, die beiden Nationalcharaktere werden fast antithetisch wahrgenommen.
Bewunderung für die Italiener klingt durch, wenn die deutsche Ernsthaftigkeit der italienischen Herzlichkeit und dem heißblütigen, lebensfrohen und temperamentvollen Äsüdlichen Typ“ (Pütz 1993: 29) gegenübergestellt und die deutsche Gründlichkeit und Bürokratie mit ihrem Wunsch, alles berechnen und planen zu können, mit der schnellen Anpassungs- und Arrangierfähigkeit der ÄMeister im Chaosmanagement“ verglichen wird (vgl. Rusconi 2003: 10). Dieser Gegensatz hat zur Folge, dass die Italiener auf die Deutschen oft einen unberechenbaren Eindruck machen (vgl. Moneta 2000: 71).
Auf der anderen Seite sind den Italienern - wie Kripal Sodhi und Rudolf Bergius (1953: 40) zeigen konnten - aus deutscher Sicht auch eine Reihe nicht nachahmenswerter Züge zu eigen: Im Vergleich zu den fleißigen und zuverlässigen Deutschen gelten sie als faul, wenig ausdauernd, unzuverlässig (vgl. ebd.) und unordentlich (vgl. Bergmann 2001: 6). Die Deutschen schätzen sie ferner als wenig glaubhaft, opportunistisch (vgl. Rusconi 2003: 10) und bestechlich (vgl. Moneta 2000: 71) ein. Als weitere negative Assoziationen führt Wolfgang Pütz (1993: 29) die bekannten mit Italien verbundenen Schlagwörter Mafia, Korruption, Regierungskrise und Streiks an.
2.4.2 Das Selbstbild der Italiener
In der 1953 veröffentlichten UNESCO Studie How Nations see each other (Buchanan/Cantril 1972) konnte mittels mehrerer Eigenschaftslistenverfahren eine vermeintliche Gemeinsamkeit in den Selbstbildern von Deutschen und Italienern belegt werden: Demnach beanspruchen beide Nationen die Attribute intelligent und arbeitsam für sich (vgl. ebd.: 52).23 Anders als die Deutschen begründen die Italiener ihre Intelligenz jedoch mit typisch italienischen Eigenschaften wie Kreativität, Phantasie und Einfallsreichtum (vgl. Moneta 2000: 109f.) und auch die italienische Liebe zur Arbeit unterscheidet sich von der deutschen in dem Sinn, dass sie sich, so Luigi Barzini (1964: 82), durch ÄHingabe und Begeisterung“ und Äsichtbare Freude“ auszeichnet, was aber nicht heiße, Ädaß sie in allem tüchtig, gründlich und pünktlich wären“. Die als typisch deutsch empfundenen Arbeitseigenschaften sind den Italienern also fremd - ein deutliches Zeichen der Disparität zwischen Italienern und Deutschen.
Gegen den Vorwurf der Faulheit und das Stereotyp von Italien als Land des dolce far niente wehren sich die Italiener vehement:
[…] [F]orse siamo un paese che dà agli stranieri delle allucinazioni. Qui tutti si alzano di buon mattino con il rovello di fare qualcosa, specie in città come Napoli, in fama di oziose. (Bocca 1997: 24)
Dean Peabody (1985: 118f.) konnte mittels Ergebnissen aus Eigenschaftslisten weitere Steinchen zum Mosaik des italienischen Selbstbildes fügen und so zeigen, dass sich Italiener in ihrer Selbstwahrnehmung in erster Linie als heitere und sympathische Zeitgenossen einschätzen und sich ferner die Attribute flexibel, wankelmütig und unbeherrscht zuschreiben. Auch Vergnügungsliebe, Leidenschaft, Redseligkeit und Impulsivität sind Eigenschaften, die sich die Italiener selbst zu eigen machen, den Deutschen aber eindeutig aberkennen (vgl. Krueger 1996: 962).
In Curzio Malapartes (1962: 49f.) Beschreibung von italienischen und deutschen Heiligen24 wird der antithetische Charakter der beiden Nationen wieder sehr deutlich skizziert: So stehen italienische Gewandtheit, Leichtigkeit, Freigebigkeit und Bescheidenheit, die elegante Kleidung und die klare anmutige Sprache dem in Kapitel
2.4.1 skizzierten Selbstbild der Deutschen konträr gegenüber.
Intelligenz und Gewitztheit gelten wie auch Flexibilität und Anpassungs- und Arrangierfähigkeit als italienische Nationaltugenden (vgl. Moneta 2000: 118). Weil Italiener ein tiefes Misstrauen gegenüber ihrem Staat besitzen, sehen sie sich wegen dieser fehlenden Identifikationsmöglichkeit auch mehr als Individualisten, wobei
[…] die daraus folgenden Neigungen des einzelnen, sich der Allgemeinheit gegenüber zu behaupten, […] die nationalen Untugenden der Italiener [erklären]: schlechte Politik, Betrug und Korruption. (Moneta 2000: 120)
So kann es mit Luigi Barzini (1964: 103) auch kaum überraschen, dass man in Italien bisweilen den Drang verspürt, Ämittels dieser tief sitzenden Gewohnheiten seine Nachbarn in ihrem eigenen persönlichen Interesse hinters Licht zu führen“. Weitere Eigenschaften, die die Italiener ihrer eigenen Meinung nach auszeichnen, sind das italienische Temperament - verbunden mit dem Lärm als Nationaleigenschaft -, die italienische Küche und die Fähigkeit, das Leben in vollen Zügen zu genießen.
2.4.2 Wie die Italiener die Deutschen sehen
Der Fokus der vorliegenden Untersuchung liegt auf dem Deutschlandbild der Italiener. Weil verschiedene Komponenten in Form von Verallgemeinerungen und Gemeinplätzen des noch heute geltenden Deutschlandbildes schon eine lange Tradition aufweisen, soll zunächst auf das geschichtliche Werden des italienischen Deutschlandbildes eingegangen werden. Auf diese Weise ergibt sich mit Eva Kuntz (1997: 117) die Möglichkeit, unter Miteinbeziehung der früheren Vergangenheit, ÄKontinuitätslinien in der Deutschlandperzeption der italienischen Presse aufzuzeigen und sie von kurzlebigen Stereotypen abzugrenzen“.25 Das anschließende Kapitel (2.4.3.2) soll der Vertiefung des aktuellen Deutschlandbildes der Italiener dienen.
2.4.3.1 Das geschichtliche Werden des Deutschlandbildes
Schon in Caesars De bello gallico finden sich Beschreibungen der hochgewachsenen Germanen als Ähomines feri ac barbari“ (ebd. Liber I, Kap. 31). Bei Caesar galten die Germanen als gute Krieger, gesegnet mit körperlicher Stärke und Tapferkeit.
Am ausführlichsten und genauesten aber berichtete etwa hundert Jahre nach Caesar der Geschichtsschreiber Tacitus in seinem Werk Germania über die Germanen und Germanien. An der stereotypen Wahrnehmung vom großen, blonden und blauäugigen Germanen - jetzt Deutschen - hat sich nach wie vor nichts geändert. Auch die Vorstellungen von einem klimatisch unangenehmen Land konnten sich bis in die Gegenwart halten (vgl. Tacitus: IV). Wie schon Caesar vor ihm und wie auch heute die Italiener bemerkt Tacitus außerdem die nicht immer bewundernswerte auffällige Kraft, die allerdings hauptsächlich zum Angriff nutzt: Ä[T]antum ad impetum valida“ (Tacitus: IV). Südländische Raffinesse und Schnelligkeit wird den Deutschen, die als eher schwerfällig gesehen werden, somit eindeutig aberkannt. Auch das noch heute geläufige Bild der deutschen Maßlosigkeit und Trunksucht wurde schon von Tacitus erkannt und prägt den Diskurs bis in die Gegenwart: Ä[A]dversus sitim non eadem temperantia“ (Tacitus: XXIII). Damals wie heute gelten die Deutschen nicht als Meister des geselligen Zeitvertreibs, und so unterstellte bereits Tacitus den Germanen einen Mangel an Lebenskunst (vgl. Tacitus: XXIV), den Untersuchungen neueren Datums über das italienische Deutschlandbild nur unterstreichen können (vgl. Moneta 2000: 97). Weitere Berührungspunkte zwischen den Beobachtungen von Tacitus und den Ergebnissen jüngerer Studien betreffen die Eigenschaften des aggressiven, disziplinierten Germanen bzw. Deutschen mit seinen militaristischen Neigungen und seinem berühmtberüchtigten Obrigkeitsglauben (vgl. Tacitus: XIV).
Im Mittelalter und unter der Eroberungspolitik von Karl dem Großen ist das italienische Deutschlandbild im Wesentlichen von Eigenschaften wie ÄWildheit, Streitlust und Grausamkeit geprägt […], die alle leicht unter der Formel ‚furor teutonicus‘26 zusammengefasst werden können“ (Moneta 2000: 100f). Dies habe dazu geführt, dass die Teutonen mehr und mehr als rohe und unzivilisierte Barbaren empfunden wurden, deren menschenunwürdige Sprache mehr an brüllende Tierlaute erinnerte, die außerdem gefräßig sind und maßlos trinken (vgl. ebd.).
An dieser Stelle sei angemerkt, dass schon damals die die Germanen/Teutonen bzw. Deutschen betreffenden Gemeinplätze nicht nur negativ gesehen wurden, sondern ihnen auch Respekt und Anerkennung gezollt wurde: So stieß die Kraft der Germanen durchaus auch auf Bewunderung, ebenso wie sich fast 1500 Jahre später Niccolò Machiavelli lobend über die deutsche Disziplin und die militärischen Tugenden der Deutschen äußerte und sie sogar seinen Mitmenschen als Vorbild hinstellte, so dass der furor teutonicus zeitweise sogar als erstrebenswerte Eigenschaft erschien. (Vgl. Moneta 2000: 103f.)
In der Renaissance fügt sich ein weiteres Stück in das Puzzle des italienischen Deutschenbildes der Gegenwart ein. So gesellt sich mit dem Aufblühen der Romantik, die als wichtige Komponente der ideologischen Voraussetzungen des Risorgimento zu betrachten ist, und der Verbreitung des aufklärerischen Rationalismus in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zum barbarischen, ungehobelten und kriegerischen Deutschen noch ein weiterer: Der Ägeistige Bruder“ (Moneta 2000: 106) in Form von Schiller, Goethe und Wagner.
Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges mutiert Deutschland jedoch wieder zum Land der grausamen und aggressiven Barbaren, und das Stereotyp des furor teutonicus kommt wieder an die Oberfläche, wie beispielsweise folgende Grabinschrift belegt: ÄIn essi il tedesco è dipinto con le truculente tinte del barbarico malvagio secondo antichi stereotipi“ (Rusconi 1990: 215).
Und auch im Verlauf des Zweiten Weltkrieges schafft es Deutschland, Äinnerhalb weniger Jahre vom unpopulären Verbündeten und Waffenbruder zunächst zum Besatzer und dann […] zum verhaßten Feind“ (Kuntz 1997: 131) zu avancieren mit der Folge, dass sich Äla fatale saldatura stereotipa di tedesco e nazista“ (Rusconi 1990: 216) noch weiter verstärkt. Hier sind es besonders die Ereignisse zwischen dem 25. Juli und dem 8. September 1943, die das gegenseitige Misstrauen der beiden Staaten auf die Spitze treiben. Der Waffenstillstand der Italiener vom 8. September wird von den Deutschen als italienischer ÄVerrat“ empfunden, die Italiener dagegen sehen in dem Verhalten der Deutschen einen Beweis für die deutsche Aggression und Anmaßung (vgl. Rusconi 2006: 155). Die Folgejahre des Krieges sind beherrscht von gegenseitigen Aggressionen und bilateralen Verratsvorwürfen der sich misstrauenden Völker (vgl. ebd.: 200).
Nach dem Zweiten Weltkrieg, der den Tiefpunkt des bilateralen Verhältnisses markiert, nehmen Deutschland und Italien schnell wieder Beziehungen zueinander auf, wobei die tiefe persönliche Freundschaft zwischen Konrad Adenauer und Alcide De Gaspari sich als sehr förderlich entpuppt (vgl. Kuntz 1997: 139).
Mit dem Politikwissenschaftler Gian Enrico Rusconi (2006: 5) sind die Folgejahre - geprägt von wachsenden politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen - weniger im kollektiven Gedächtnis verankert. Die neuen Erfahrungen, etwa der europäische Integrationsprozess, hätten zwar zu einer Überlagerung der vorhandenen Erinnerungen geführt, diese aber nicht substanziell verändert. Als Grund dafür nennt Rusconi die fehlende übergreifende Reflexion im Rahmen der Vergangenheitsbewältigung, mit der Folge, dass die damaligen Ereignisse sich noch heute negativ auf die politische Meinung der Gegenwart auswirken.
[...]
1 Weitere Sozialisationsinstanzen sind etwa die Familie, Freunde, Arbeitsplatz, politische Erziehung und die eigene Kultur (vgl. Nafroth 2002: 16).
2 In der Druckersprache verstand man unter Stereotypie das Verfahren, Äbei dem die Anfertigung von Druckplatten durch Abformung des aus einzelnen Lettern zusammengesetzten Schriftsatzes in Matrizen erfolgt, die den Massendruck ohne erneuten Satz ermöglichen“ (Kleinsteuber 1991: 61f.).
3 Uneinigkeit besteht sogar beim Pluralgebrauch des Ausdrucks ‚Stereotyp‘. Selbst in Wörterbüchern treten uneinheitlich zwei Formen auf: ‚Stereotyp-e‘ und ‚Stereotyp-en‘ (vgl. Pümpel-Mader 2010: 12). In der vorliegenden Arbeit wird die Pluralform ‚Stereotyp-e‘ benutzt, tritt die Konkurrenz-Form jedoch in wörtlichen Zitaten auf, wird sie ohne (sic!) übernommen.
4 Für einen ausführlichen Überblick über verschiedene Definitionen des Stereotyps wird an dieser Stelle etwa auf Charles Stangor und James Lange (1994: 360), Elisabetta Moneta (2000: 32-41), Katja Nafroth (2002: 16-21), Jochen Müller (2004: 50-57) und Maria Pümpel-Mader (2010: 9-14) verwiesen.
5 Die Beziehung zwischen Träger und Merkmal ist keine definitorisch-klassifikative (vgl. Die Menschen sind Lebewesen.) sondern eine qualifizierende (vgl. Die Deutschen sind fleißig). Ein Unterschied besteht auch in der Handlungsfunktion: Im ersten Fall handelt es sich um eine Definition und im zweiten Fall um eine Eigenschaftszuschreibung (vgl. Pümpel-Mader 2010: 14f.).
6 Die Deutschen gelten beispielsweise als extrem gut organisiert, auf der anderen Seite aber auch als sehr phantasielos (vgl. Kapitel 2.4.3.2).
7 Die Begriffe ‚Image‘ und ‚Bild‘ werden in der vorliegenden Arbeit synonym gebraucht. Bei Jens Wernecken (2000: 111f.) lassen sich feine Bedeutungsnuancierungen differenzieren, die an dieser Stelle aber nicht relevant sind.
8 SI: Stereotyp der Italiener, SD: Stereotyp der Deutschen.
9 Werner Bergmann (2001: 5) macht ferner auf einen weiteren Unterschied bezüglich der Wahrnehmung von Selbst- und Fremdgruppe aufmerksam: Die Mitglieder der fremden Gruppe würden seiner Meinung nach häufig stereotyper betrachtet, die der eigenen Gruppe differenzierter.
10 Oft wird von einem sehr elastischen Charakter von Stereotypen ausgegangen: So formen sich Stereotype wieder in ihre alte Form zurück, sobald das spektakuläre Ereignis vorbei ist (vgl. Kuntz 1997: 38). Anderer Meinung ist Elisabeth Noelle-Neumann (1990: 289) in ihrem Nachwort in Lippmanns Öffentliche Meinung: ÄWie Gewitterwolken stehen Stereotypen im Meinungsklima einer bestimmten Zeit, wenig später können sie vollkommen verschwunden sein, niemand sieht sie mehr“.
11 Quasthoff (1973: 252) selbst weist schon auf die Verwandtschaft der beiden Typen hin und auch Maria Pümpel-Mader (2010: 285) sieht bei Typ II und Typ III zwei Varianten eines Typs, wobei sie hervorhebt, Ädass der Sprecher meist nicht die Verantwortung für die Zuschreibung der stereotypen Eigenschaft für den Wahrheitsgehalt der Proposition übernimmt“.
12 Zum Beispiel: Die Deutschen sind fleißig.
13 Zum Beispiel: Deutsche bleiben Deutsche (Pümpel-Mader 2010: 275).
14 Mit Maria Pümpel-Mader (2010: 208) gilt dabei besonders die Struktur (Artikel/Pronomen +)
adjektivische(s) Attribut(e) + Einwohnerbezeichnung als sehr geläufig, zum Beispiel: Die soliden Deutschen, teutonische Kühle.
15 Zum Beispiel: Typisch deutsch (Pümpel-Mader 2010: 236).
16 Zum Beispiel: Italienischst, urösterreichisch, unitalienisch (Pümpel-Mader 2010: 119-129).
17 Beispiele für eine solche Einschränkung sind manchmal, nicht mehr, angeblich (Demleitner 2009: 238).
18 Das Adverb eigentlich nimmt eine ÄZwitterposition zwischen abschwächenden und verstärkenden Mitteln ein. Mit ihr zeigt der Sprecher, dass etwas erst auf den zweiten Blick erkennbar wird“ (Roth 2005: 190).
19 Kollokationen sollen in der vorliegenden Arbeit mit Hadumond Bußmann (2002: 353) als charakteristische und häufig auftretende Wortverbindungen verstanden werden.
20 Beispielsweise verbindet man mit dem Ausdruck blond und blauäugig automatisch den deutschen Prototyp. Ebenso kann eine Aufzählung wie pedantisch, organisiert, humorlos auf nähere Informationen zum Träger dieser Eigenschaften verzichten.
21 Wird im Folgenden von Äden Deutschen“ und Äden Italienern“ die Rede sein, so wird dies aus Gründen der Lesbarkeit ohne Anführungsstriche erfolgen.
22 Nach Luigi Ferraris (1991: 248) waren und sind die Deutschen oft davon überzeugt, anderen
überlegen und daher auch moralisch besser zu sein. Diese Überzeugung wird dann zur ÄRechtfertigung dafür, dass man in missionarischer Weise auftritt und die anderen kritisiert und belehrt“ (ebd.).
23 Hier wird der Schwachpunkt von Eigenschaftslistenverfahren deutlich: Die beiden Nationen assoziieren ganz andere Bedeutungen mit denselben Begriffen. Susanne von Bassewitz (1990: 54) bemängelt außerdem, dass durch vorgegebene Sympathieskalen oder Eigenschaftspaare Stereotype eher produziert als reproduziert werden.
24 Curzio Malaparte (1962: 46) bedient sich bei seiner Beschreibung der italienischen Heiligen als Symbol für die Italiener im Allgemeinen häufig des gegensätzlichen Charakters der beiden Nationen: ÄUm zu verstehen, mit welch einfacher, geschwinder Hand die italienischen Heiligen begabt sind, […], möge man sie mit den ausländischen Heiligen vergleichen, zum Beispiel mit den deutschen, die ‚grandi, grossi e bischeri‘ sind, […], hohe, mächtige und dumme Tiere, […]“.
25 Nicht alle stereotypen Vorstellungen von den Deutschen, die im Laufe der Jahrhunderte den italienischen Diskurs prägten, stimmen mit dem heutigen Deutschenbild der Italiener überein. In diesem Kapitel soll daher nur auf die Punkte eingegangen werden, die auch heute noch zum Bild der Deutschen beitragen. Außerdem begrenzt sich die Verfasserin auf die Merkmale, die für die vorliegende Analyse relevant sein könnten. Ausführliche Überblicke über die italienische Deutschlandperzeption im Wandel der Zeit finden sich etwa bei Elisabetta Moneta (2000: 94-108) und Eva Kuntz (1997: 117-143).
26 Der furor teutonicus geht auf Lucans ÄPharsalia sive de bello civili“ zurück und meinte dort den Ansturm teutonischer Wut, den die Bewohner des heutigen Rimini am Ende des zweiten Jahrhunderts vor Christus erlebt hatten. Die Wortprägung wurde auf die Deutschen übertragen und war unter anderem schon bei Petrarca ein beliebter Ausdruck für die deutsche Wut und Wildheit (vgl. Moneta 2000: 101).
- Citation du texte
- Helena Pleier (Auteur), 2011, Nationale Stereotype in der italienischen Sport-Berichterstattung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/175567
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