Das Persönliche Budget steht im Zeichen des Paradigmenwechsels in der Behindertenhilfe. Für alle beteiligten Akteure ergeben sich neue Rollenbilder, um mehr Partizipation, Selbstbestimmung und Personenzentrierung für behinderte Menschen bei der Gestaltung ihrer Unterstützungsleistungen zu ermöglichen und diese nicht mehr nur als passive Konsumenten zu betrachten.
Bevor die neuen Rollenbilder in der Arbeit erarbeitet werden, wird die Ausgangssituation im klassischen Leistungsdreieck analysiert und die Geschichte des Paradigmenwechsels kurz dargestellt. Anschließend wird die neue Leistungsform "Persönliches Budget" mit ihren rechtlichen Grundlagen vorgestellt und die neuen Rollenbilder der drei beteiligten Akteure Leistungsnehmer, Leistungsanbieter und Kostenträger erarbeitet. Ausgehend von den Konzepten des Empowerments und der Konsumentensouveränität werden im empirischen Teil der Arbeit Anforderungen an Leistungsanbieter formuliert und anhand des Interviewmaterials hinsichtlich ihrer Umsetzung in der Praxis der Behindertenhilfe untersucht.
Gliederung
1. Einleitung
1. Einleitung
Das europäische Ausland hat es vorgemacht: Behinderten Menschen wird eine an ihrem Bedarf angepasste Geldsumme zur Verfügung gestellt, mit der sie die für sie passenden Leistungen einkaufen können.
So wurde in den Niederlanden 1995, zunächst als Modellprojekt, Personengebundene Budgets (PGB) eingeführt, auf die seit 2003 ein Rechtsanspruch besteht. Dabei werden in einem leistungsträger- und leistungsanbieterunabhängigen Verfahren die Bedarfe des Leistungsnehmers ermittelt, der dann einen Antrag auf Unterstützungsleistung stellen kann. Ein PGB kann dabei nicht für stationäre Leistungen in Anspruch genommen werden, sondern soll ein selbstständiges Leben in der eigenen Wohnung fördern (vgl. Rothenburg 2009, S. 20). In der Folge hat sich die Angebotsstruktur der Behindertenhilfe in den Niederlanden verändert: stationäre Einrichtungen wurden geschlossen und neue ambulante Leistungsformen konzipiert (vgl. ebd., S. 21). PGB zeichnen sich auch dadurch aus, „sowohl Fachkräfte als auch Laien über das PBG finanzieren zu können und damit eine optimale Kombination entsprechender Unterstützungsleistungen bezogen auf die individuellen Erfordernisse“ (Schlebrowski 2009, S. 99 f.) zu ermöglichen.
Auch in Schweden können behinderte Menschen seit 1994 Geldleistungen in An-spruch nehmen, die im Rahmen des Gesetzes für „Persönliche Assistenz“ gewährt werden. Auch in Schweden ist die Inanspruchnahme an das Leben in einer eigenen Wohnung gebunden. Allerdings gibt es dort auch kaum noch stationäre Einrichtungen, seit 1999 das „Gesetz über die Auflösung von Anstalten“ verab-schiedet wurde, mit der Zielstellung, „dass kein Mensch mit einer Behinderung in einer Anstalt oder einem Heim wohnen muss, wie groß die ursprüngliche Beeinträchtigung auch immer sein mag“ (Rothenburg 2009, S. 18). Mit der persönlichen Assistenz können alle Unterstützungsbedarfe gedeckt werden, die individuell vorhanden sind. Dabei ist die Bewilligung der Assistenz nicht an bestimmte Inhalte gebunden, jeder Assistenznehmer bestimmt selbst darüber und bekommt einen pauschalen Stundensatz bewilligt, den die Regierung jedes Jahr festlegt. Im Jahr 2006 lag dieser bei 24 € (vgl. Schlebrowski 2009, S. 100).
Als letztes Beispiel aus dem europäischen Ausland wäre auch noch Großbritannien zu nennen, wo 1997 der „Community Care Direct Payment Act“ eingeführt wurde, der es Leistungsnehmern zur Wahl stellt, ob eine Sach- oder eine Geldleistung in Anspruch genommen wird. Diese Direktzahlungen sind vorrangig an ambulante Leistungsformen gebunden, kurzfristige stationäre Unterbringungen können aber auch finanziert werden (vgl. ebd., S. 101 f.). Besonders die mit der Einführung der Direktzahlungen „verbundene Veränderung der Angebots- und Nachfragestrukturen zugunsten der nachfragenden Menschen mit Behinderung und der damit bestehende Wettbewerb der Anbieter untereinander“ (Rothenburg 2009, S. 24) wird als positiver Effekt hervorgehoben.
Auch wenn in allen drei Beispielen die Einführung von Geldleistungen als Alter-native zu Sachleistungen auf der Grundlage unterschiedlicher Sozialgesetze geschah, und auch verschiedene Implementierungen damit verbunden waren, so haben sich für die Leistungsnehmer doch Veränderungen ergeben, die in allen drei Ländern ähnlich aussehen: Die Leistungsnehmer begrüßen die eigenen Gestaltungsmöglichkeiten der Leistungsinhalte, wodurch die Lebensqualität als verbessert empfunden wird (vgl. Schlebrowski 2009, S. 102).
Seit mittlerweile 2004 gibt es für behinderte Menschen auch in Deutschland die Möglichkeit, anstatt einer Sachleistung ein Persönliches Budget in Anspruch zu nehmen und sich so selbst die benötigten Unterstützungsleistungen einzukaufen. Die Effekte, die in anderen europäischen Ländern erzielt wurden, werden auch für die deutsche Behindertenhilfe erhofft. Zuerst als Modellprojekt konzipiert, besteht seit 1. Januar 2008 ein Rechtsanspruch auf ein Persönliches Budget. „Kaum eine Entwicklung hat die Diskussion um Angebote und Unterstützungsleistungen für Menschen mit Behinderung in den letzten Jahren so geprägt wie die Einführung des Persönlichen Budgets.“ (Metzler et. al. 2007; S. 5) Rollen im Rahmen der Leistungserbringung wurden neu verteilt, die Mitsprache der behinderten Menschen entschieden gestärkt.
Auch wenn die Inanspruchnahme Persönlicher Budgets eher schleppend anlief – bundesweit werden etwa 10.000 Budgets umgesetzt bei insgesamt etwa 7 Mio. Anspruchsberechtigter (vgl. BMAS 2009, S.82 und Schädle 2010, S. 3) – sind die Wellen, die die neue Leistungsform schlägt enorm. Informationsveranstaltungen für Leistungsnehmer, die über die neuen Möglichkeiten informieren, werden zahlreich angeboten. Bundesweit wurde vom Paritätischen Wohlfahrtsverband ein Kompetenzzentrum eingerichtet, das als zentraler und vernetzender Ansprechpartner zu allen Fragen des Persönlichen Budgets zur Verfügung steht. Auch für Leistungsanbieter. So hat das Kompetenzzentrum im Jahr 2009 die Broschüre „Zukunft gestalten“ herausgegeben, die Handlungsempfehlungen konkret für Leistungsanbieter zum Umgang mit Persönlichen Budgets formuliert. Auch die Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation hat im selben Jahr Handlungsempfehlungen zur Umsetzung von Persönlichen Budgets veröffentlicht.
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