1 Einleitung
„Weckt so schnell wie Frauen reden.“ Mit dieser headline bewirbt die Marke Nivea for Men in der letztjährigen Dezemberausgabe des Männermagazins Men’s Health ihr revitalisierendes Feuchtigkeitsgel, und bedient sich dabei freimütig an der Palette der gesellschaftlichen Geschlechterklischees. Kombiniert mit dem platten Gender-Bias im Slogan „Was Mann will“ wird auch dem letzten Zweifler klar werden, für wen das Produkt und auch die Anzeige konzipiert wurde – und für wen nicht.
Folgte die Werbung früher zu großen Teilen der Devise „sex sells“, wird heute von der Erfolgsstrategie „gender sells“ gesprochen. Diese wurde in den letzten Jahren und wird auch zurzeit sowohl von der Marketing-Forschung als auch der Soziologie in zahlreichen Abhandlungen diskutiert, findet jedoch auch in der Linguistik vermehrtes Interesse. Als Höhepunkt dieser sprachwissenschaftlichen Auseinandersetzung könnte man zurzeit die 2006 veröffentlichte Dissertation von Heiko Motschenbacher ansehen, der den verbalen Kode von 2000 Anzeigen in Frauen- und Männermagazinen auf sprachlich-genderspezifische Besonderheiten untersucht hat. Er konnte feststellen, dass „[D]ie Geschlechter […] sprachlich in der Werbung […] hochgradig stereotypisiert und polarisiert“ (Motschenbacher 2006:412) werden und mittels der zwei soziolinguistischen Modellen Audience Design und Politeness Theory darlegen, dass Doing Gender für das „Gewinnen des Zielpublikums“ kommerziell ausgeschlachtet werden kann und wird (ebd.).
[...]
In dieser Arbeit werden folgende Hauptziele verfolgt:
• Die Feststellung und Analyse von auffälligen Geschlechtssymbolisierungen in Text und Bild der Werbeanzeigen für Parfüm und Kosmetik unter besonderer Berücksichtigung der Marken- und Produktnamen.
• Die Überprüfung der Hypothese, dass bei betont genderspezifischen Markennamen die Produkte für das jeweils andere Geschlecht ebenfalls mit betont genderspezifischem Namen versehen werden.
• Die Überprüfung der Hypothese, dass die Werbeindustrie im Fall von Parfüm und Kosmetik vermehrt ganzheitliche Marken- und Produktidentitäten konstruiert, statt ausschließlich auf das DG-Prinzip zu setzen.
Gliederung
1 Einleitung
2 Vorgehensweise
2.1 Werbekorpus
2.2 Methodik
3 Vorüberlegungen und Theorien
3.1 Beyond binary thinking – Sex, Gender und Dekonstruktivismus
3.2 Das Doing-Gender-Konzept
3.3 Werbestrategien
3.3.1 Gender-, Diversity- oder Individual-Marketing?
3.3.2 Identitäts-Marketing
4 Marken- und Produktnamen
4.1 Englisch, deutsch, französisch?
4.2 Aus Dove mach Dove Men&Care
4.3 Eigennamen
4.4 Sound symbolism
4.4.1 Vokale
4.4.2 Konsonanten
4.4.3 Auswertung
5 Textuelle Aspekte
5.1 Parfüm, fragrance, scent
5.2 Neu vs. bewährt
5.3 Soforthilfe vs. Langzeitwirkung
6 Bildliche Aspekte
6.1 Relative Gesichtsbetonung
6.1.1 Theorie und Methode: Der „face-ism Index“
6.1.2 Auswertung
6.2 Visuelle Kommunikation
6.2.1 Blickkontaktillusion
6.2.2 Mundöffnung
7 Ausnahmefälle
7.1 Diversity-Marketing: Ck one
7.2 Familienidentität
7.2.1 Calvin Klein Eternity
7.2.2 Dove Men&Care Clean Comfort Pflegedusche
7.3 Nivea sun
7.4 Ähnliches Design: Armani Code und Otto Kern Signature
7.5 Exkurs: Eau Mo – Das Parfüm für homosexuelle Männer
7.6 The return of men – Tabac
8 Auswertung der Ergebnisse
9 Schlussbetrahtung und Ausblick
10 Bibliographie
Anhang
Fundstellenregister
Auswertung relative Gesichtsbetonung
Auswertung Nominalzahl-Analyse
Namentlich genannte Anzeigen, alphabetisch nach Markennamen geord-net
1 Einleitung
„Weckt so schnell wie Frauen reden.“ Mit dieser headline bewirbt die Mar-ke Nivea for Men in der letztjährigen Dezemberausgabe des Männermaga-zins Men’s Health ihr revitalisierendes Feuchtigkeitsgel, und bedient sich dabei freimütig an der Palette der gesellschaftlichen Geschlechterklischees. Kombiniert mit dem platten Gender-Bias[1] im Slogan „Was Mann will“ wird auch dem letzten Zweifler klar werden, für wen das Produkt und auch die Anzeige konzipiert wurde – und für wen nicht.
Folgte die Werbung früher zu großen Teilen der Devise „sex sells“, wird heute von der Erfolgsstrategie „gender sells“ gesprochen. Diese wurde in den letzten Jahren und wird auch zurzeit sowohl von der Marketing-For-schung als auch der Soziologie in zahlreichen Abhandlungen diskutiert, fin-det jedoch auch in der Linguistik vermehrtes Interesse. Als Höhepunkt die-ser sprachwissenschaftlichen Auseinandersetzung könnte man zurzeit die 2006 veröffentlichte Dissertation von Heiko Motschenbacher ansehen, der den verbalen Kode von 2000 Anzeigen in Frauen- und Männermagazinen auf sprachlich-genderspezifische Besonderheiten untersucht hat. Er konnte feststellen, dass „[D]ie Geschlechter […] sprachlich in der Werbung […] hochgradig stereotypisiert und polarisiert“ (Motschenbacher 2006:412) wer-den und mittels der zwei soziolinguistischen Modellen Audience Design und Politeness Theory[2] darlegen, dass Doing Gender für das „Gewinnen des Zielpublikums“ kommerziell ausgeschlachtet werden kann und wird (ebd.).
Im Anschluss an Motschenbachers umfängliche und ergiebige Arbeit würden sich für eine erneute Untersuchung von Werbeanzeigen unter dem Gender-Aspekt theoretisch folgende Möglichkeiten ergeben:
Zum einen könnte untersucht werden, ob seit Motschenbachers Studie an Magazinausgaben zwischen 1999 und 2001 signifikante Unterschiede in der Anzeigenwerbung eingetreten sind. So repräsentiert seine Arbeit zwar den aktuellen Stand der sprachwissenschaftlichen Forschung zu diesem Thema, basiert jedoch auf einem Werbekorpus aus mittlerweile bis zu 12 Jahre alten Anzeigen und liegt damit in Hinblick auf die sich rasch verändernde Wer-beindustrie eine halbe Ewigkeit zurück. Zudem kann ein Werbekorpus be-stehend aus Anzeigen, die innerhalb eines begrenzten Zeitraumes von weni-gen Jahren geschaltet wurden, immer nur eine Momentaufnahme darstellen. Diese könnte jedoch mit einer erneuten, zeitnäheren Momentaufnahme ver-glichen werden und so diachronische Gemeinsamkeiten bzw. Veränderun-gen im Doing Gender (DG)-Mechanismus festgestellt werden. Aufgrund der Tatsache, dass sich Motschenbachers Werbekorpus aus den Anzeigen US-amerikanischer und britischer Printmedien zusammensetzt, könnte zudem untersucht werden, in wieweit Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede zwi-schen den englisch- und deutschsprachigen Ausgaben der jeweiligen Maga-zine bestehen. Eine solche Untersuchung würde jedoch entsprechend der oben erwähnten Schnelllebigkeit der Werbebranche nur bei synchronischer Betrachtung brauchbare Ergebnisse liefern und wäre somit nicht mit der dia-chronischen Analyse vereinbar, sodass eine Entscheidung für eine der bei-den Varianten nicht unterbleiben könnte. Aufgrund der Tatsache, dass diese Arbeit im Rahmen der deutschen Sprachwissenschaft verfasst wird, würde eine Bearbeitung der zweiten Variante naheliegen. In diesem Fall könnten jedoch Ergebnisse festgestellt werden, die ebenfalls aufgrund der werbli-chen Schnelllebigkeit in der momentanen Anzeigenwerbung eventuell keine Gültigkeit mehr haben und somit wissenschaftlich hinter die aktuellen Ent-wicklungen zurückfallen würden. Berücksichtigt werden muss zudem bei beiden Varianten, dass nicht alle in Motschenbachers 459 Seiten langen Dissertation untersuchten und festgestellten Aspekte im Rahmen einer Bachelorarbeit, quasi in Form eines Rasters, über ein neues Werbekorpus gelegt werden können, sodass eine subjektive Auswahl nicht unterbleiben könnte. Ein Vergleich der Erkenntnisse einer erneuten Untersuchung von Werbeanzeigen mit denen von Motschenbacher kann somit keine uneinge-schränkten Ergebnisse liefern.
Es wird daher im Folgenden eine eigenständige Untersuchung von Werbe-anzeigen unter dem Gender-Aspekt vorgenommen, wobei die Produkt-spe-zifischen Besonderheiten und Auffälligkeiten in den Anzeigen des gewähl-ten Werbekorpus darüber entscheiden sollen, welche Aspekte relevant sind. Des Weiteren soll der Blick insbesondere auf die Elemente gerichtet wer-den, die Motschenbacher nicht bzw. nur am Rande berücksichtigt hat.
Bei der Auswahl des Werbekorpus wurden entsprechend der dargestellten Vorüberlegungen folgende Kriterien berücksichtigt: Aktualität, deutsche Ausgaben, Korpusgröße zum einen entsprechend dem Rahmen einer Bache-lorarbeit, zum anderen ausreichend für eine Tendenzfeststellung[3], Gender-spezifität der Produkte und ihres werblichen Kontextes.
Daher wurde das Werbekorpus aus den Parfüm- und Kosmetikanzeigen[4] in den deutschsprachigen Ausgaben der Frauenmagazine Vogue und Cosmo-politan sowie der Männermagazine GQ (Gentleman’s Quarterly) und Men’s Health[5] aus dem Jahr 2010 zusammengesetzt.
Mit der Entscheidung für Parfümanzeigen ergibt sich jedoch die Problema-tik, dass in ihnen relativ wenig Text zu finden ist.[6] Daher erscheint es notwendig, auch den bildlichen Teil der Anzeige in die Untersuchung einzu-beziehen, zumal Motschenbacher diesen nicht untersucht hat. Zudem fällt sprachlich ein besonderes Augenmerk auf den Bereich der von Motschenba-cher nur am Rande berücksichtigten Marken- und Produktnamen (vgl. Mot-schenbacher 2006: 170), die zum Teil den kompletten verbalen Teil der An-zeige ausmachen. Interessant wäre also überprüfen, ob auch in der Marken- und Produktnamenlinguistik Genderspezifizierungs-Mittel festgestellt wer-den können.
Hierzu wird zudem die Hypothese aufgestellt, dass vor allem Marken mit betont genderspezifischem Namen ihre Produkte für das jeweils andere Geschlecht mit einem ebenfalls genderspezifischen Namen versehen, um die gegengeschlechtlich ausgerichtete Linguistik des Markennamens auszuglei-chen.[7]
Des Weiteren soll in dieser Arbeit gezeigt werden, dass dem DG-Prinzip in den einzelnen Anzeigen ein unterschiedliches Maß an Bedeutung zugemes-sen wird und es bisweilen nur einen Teil einer übergeordneten Strategie aus-macht: Der Konstruktion von Identität als Identifikationsangebot für den Konsumenten, kurz: Identitäts-Strategie. Ein Ziel dieser Arbeit besteht s-omit darin zu zeigen, dass die Werbeindustrie besonders in der Luxusbran-che, zu der auch der Bereich von Parfüm und Kosmetik gehört, in zuneh-mendem Maße ganzheitliche Marken- und Produktidentitäten statt aus-schließlich Genderidentitäten konstruiert, mit denen sich die potentiellen Konsumenten identifizieren können und sollen, um so eine lebenslange Kundenbindung zu ermöglichen. Der Gender-Aspekt nimmt bei diesem Konzept zwar als Konstante der menschlichen Identität eine tragende Rolle ein, stellt jedoch nicht den Fokus der Werbestrategie dar. Das DG-Prinzip bezeichnet hierbei nicht die Werbestrategie, sondern arbeitet ihr zu, indem es eine höhere Identifikationsbereitschaft bei potentiellen Kunden erzeugen kann. Der Gender-Aspekt wird dabei zudem viel subtiler und mit anderen Mitteln herausgearbeitet, als durch die bloße Anwendung von Geschlechts-stereotypen und Rollenklischées. In einigen Fällen werden sogar einfach in einer Anzeige gleichzeitig die Produktvarianten für beide Geschlechter ab-gebildet und beworben und durch diesen Kontrast die Genderspezifität des Produktes verdeutlicht.
In dieser Arbeit werden somit folgende Hauptziele verfolgt:
- Die Feststellung und Analyse von auffälligen Geschlechtssymboli-sierungen in Text und Bild der Werbeanzeigen für Parfüm und Kos-metik unter besonderer Berücksichtigung der Marken- und Produkt-namen.
- Die Überprüfung der Hypothese, dass bei betont genderspezifischen Markennamen die Produkte für das jeweils andere Geschlecht eben-falls mit betont genderspezifischem Namen versehen werden.
- Die Überprüfung der Hypothese, dass die Werbeindustrie im Fall von Parfüm und Kosmetik vermehrt ganzheitliche Marken- und Pro-duktidentitäten konstruiert, statt ausschließlich auf das DG-Prinzip zu setzen.
Im Gegensatz zu Motschenbacher sollen zudem neben der Feststellung einer Anzeigen- und Marken-übergreifenden werbestrategischen Tendenz auch Spielarten und Ausnahmeerscheinungen innerhalb des untersuchten Werbekorpus in entsprechend exemplarischer Darstellungsweise Berück-sichtigung finden. Denn eine Schlussfolgerung aus der bisherigen Darstel-lung besteht darin, dass in der Printwerbung, zumindest für Parfüm und Kosmetik, nicht von webestrategischer Uniformität ausgegangen werden kann. Zudem werden dadurch ähnlich der beschreibenden Statistik auch die Extrema in die Darstellung mit einbezogen, die eventuell einen Ausblick darauf ermöglichen können, welche Werbestrategien in Zukunft vermehrt zur Anwendung kommen könnten bzw. welche mittlerweile tendenziell we-niger verwendet werden. Ein Beispiel für letzteren Fall stellt die am Anfang zitierte Werbeanzeige von Nivea for Men dar. Denn Gender–Bias und über-triebene Genderstereotype sind gesellschaftliche und mittlerweile auch wer-bestrategische Auslaufmodelle.
2 Vorgehensweise
2.1 Werbekorpus
Das Werbekorpus aus Parfüm- und Kosmetikanzeigen, das dieser Arbeit zu-grunde liegt, basiert auf insgesamt 41 Heften der monatlich erscheinenden deutschen Printausgaben der Frauenmagazine Vogue und Cosmopolitan so-wie der Männerzeitschriften Gentlemen’s Quarterly (GQ) und Men’s Health.[8] Aufgenommen wurden alle Anzeigen, die Produkte aus einem der folgenden Bereiche bewerben: Parfüms und Eaux de Toilette, Deodorants, Crèmes, Pflegestifte und Tinkturen, Haarpflege und –styling, Shampoos, Duschgel, Rasierschaum und –wasser, Anti-Aging, Sonnenschutz, Mund-spülungen, sowie das weite Feld des Make-ups. Nicht berücksichtigt wurden dagegen Medikamente[9], Blasenpflaster und Gerätschaften wie Zahnbürs-ten, Glätteisen und Lockenstäbe, Föhns oder Rasierer. Bei der quantitiven Auswertung wurden Anzeigen, die sich durchgängig oder unterbrochen über mehrere Seiten erstrecken, jedoch ein kohärentes Ganzes darstellen[10], als eine Anzeige gewertet. Gleichgesetzt wurden ebenso Anzeigen, die dem Grunde nach dasselbe Design aufweisen[11], jedoch mal auf einer einzelnen, mal auf einer Doppelseite abgedruckt sind. Anzeigen, die zwar das gleiche bzw. ein ähnliches Design besitzen, sich jedoch in ihren Schlagzeilen und/ oder Textinhalten unterscheiden[12], wurden als zwei unterschiedliche Anzei-gen gewertet.
Die folgende Tabelle veranschaulicht die quantitative Auswertung der Frau-en- (FZ) und Männerzeitschriften (MZ). Es wurde hierbei zwischen Parfüm und Kosmetik, sowie zwischen Anzeigen insgesamt und verschiedenen An-zeigen unterschieden, da einige Anzeigen unverändert mehrfach geschaltet wurden. Der erste Wert spiegelt dabei die absolute Häufigkeit und das quan-titative Verhältnis von Kosmetik- und Parfümanzeigen in den Frauen- und Männerzeitschriften wieder, während der zweite die eigentliche Größe des Korpus’ für die qualitative Auswertung beziffert. Zwischen Vogue und Cos-mopolitan sowie Men’s Health und GQ wurde nicht unterschieden, da sie jeweils gemeinsame geschlechtsspezifische CofPs darstellen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Sieben Anzeigen finden sich sowohl in den Frauen- als auch in den Männermagazinen, davon sechs für Parfüm (D&G 1 le bateleur etc., Micha-lsky, Otto Kern Egoluxe, s.Oliver Casual, Gucci Sport, Bvlgari Man)[13] sowie eine für Kosmetik/Shampoo (Guhl Bier-Shampoo). In insgesamt zwölf verschiedenen Anzeigen werden zugleich die Varianten eines Parfüms für beide Geschlechter beworben (bzw. im Fall von Ck one ein Unisex-Parfüm): D&G[14] 1 le bateleur etc. , Michalsky, Otto Kern Egoluxe, Calvin Klein Eternity und Ck one, s. Oliver men/women und Casual, Acqua Colonia, Givenchy, Esprit Imagine..., Marc O’ Polo, Diesel fuel for life, mitsamt der oben angeführten Überschneidungen jeweils achtmal in den MZ und FZ. Kosmetikanzeigen mit Produkten bzw. –varianten für beide Ge-schlechter lassen sich zweimal in MZ (Nivea sun, Paul Mitchell teatree shampoo), jedoch keinmal in den FZ finden. Zweimal wird ein Männerpar-füm in den Frauenzeitschriften beworben (Gucci Sport, Bulgari Man), ein-mal ein Frauenparfüm in den Männerzeitschriften (Jil Sander Jil), Letzteres jedoch ausdrücklich als Geschenkvorschlag zu Weihnachten („XMas End-spurt. Wieder mal der 23. und noch kein Geschenk für Freundin, Eltern, Lieblingsneffen? Wir hätten da was für Sie…“), merkwürdigerweise in der Januarausgabe der GQ. In drei Anzeigen aus den Männerzeitschriften sind Frauen abgebildet, obwohl nur ein Produkt für Männer beworben wird (Davidoff Hot water, Otto Kern Signature, Wolfgang Joop Freigeist), vice versa sechsmal (Armani code, Gucci Guilty, pureDKNY, Lancome Trésor in love, L’Oréal Studio Secrets, Playboy presstoplay).
2.2 Methodik
Entsprechend dem gewählten Werbekorpus wird diese Untersuchung des-kriptiv-synchronisch verlaufen und zu großen Teilen kontrastiv verfahren. Zur Überprüfung der Signifikanz wird bei großen Stichprobenzahlen der Chi2-Test angewandt, bei n < 30 jedoch der exakte Fisher-Test, da dieser auch bei kleinen Stichprobenzahlen und niedrigen Erwartungswerten der Zellhäufigkeiten im Gegensatz zum asymptotischen Chi2-Test zuverlässige Ergebnisse liefert. Im Fall der Mittelwertsüberprüfung wird der Zweistich-proben-t-Test für unabhängige Stichproben verwendet.
Die Signifikanzniveaus werden entsprechend der gültigen Norm mit * für p < 0,05 (Signifikanz) und ** für p < 0,01 (Hochsignifikanz) angegeben (F* bei größerer relativer Häufigkeit in den FZ, M* bei größerer relativer Häu-figkeit in den MZ)[15]. Nähern sich die Unterschiede dem 0,05-Signifikanz-niveau an, werden sie wie bei Motschenbacher „durch f bzw. m als schwach signifikant gekennzeichnet und mit dem zugehörigen Wert für p versehen“ (Motschenbacher 2006: 87).
Da die jeweiligen Gesamtzahlen der Beobachtungen in MZ und FZ zum Teil sehr unterschiedlich ausfallen, werden zur besseren augenscheinlichen Vergleichbarkeit zudem neben den absoluten Zahlen auch Prozentwerte angegeben.
3 Vorüberlegungen und Theorien
3.1 Beyond binary thinking – Sex, Gender und Dekonstruktivismus
Der Begriff Gender, also die „Bez[eichnung] für die Geschlechtsidentität des Menschen als soziale Kategorie (z.B. im Hinblick auf Selbstwahrneh-mung, Selbstwertgefühl, Rollenverhalten)“[16], gilt mittlerweile auch jenseits des englischen Sprachraums in allen Geisteswissenschaften als terminus technicus für die Benennung des sozialen Geschlechts in Abgrenzung zum biologischen. Mit seiner Einführung wurde der Tatsache Schuldigkeit getan, dass „das soziale Geschlecht prinzipiell erst einmal unabhängig vom biolo-gischen Geschlecht ist“ (Motschenbacher 2006:30). So werde Letzteres erst „[i]m Zuge der Sozialisierung [….] mit einem ganzen System an sozialen Rollenerwartungen befrachtet“ (ebd.), wohingegen es sich von Natur aus nur auf einem der 23 Chromosomenpaare manifestiere (vgl Wood/Dindia 1998:30). Während Menschen allerdings hinsichtlich ihres biologischen Ge-schlechts im Normalfall[17] entweder weiblich oder männlich sein müssen, kann ihre jeweilige sozialgeschlechtliche Identität „mehr oder weniger mas-kulin oder feminin“ (Motschenbacher 2006:31) ausfallen. Diese graduellen Abstufungen werden der Tatsache gerecht, dass auch Männer feminine so-wie Frauen maskuline Züge an sich haben können (ebd.).
Während die Notwendigkeit einer Unterscheidung von Sex und Gender so-mit mittlerweile einen geisteswissenschaftlichen Konsens darstellt, geht Butler (2004) im Rahmen des Dekonstruktivismus-Ansatzes noch einen Schritt weiter und hinterfragt die generelle Gültigkeit der geschlechtlichen Bipolarität. So trete Geschlecht „nie als isolierte Variable“ sondern stets in Kombination mit anderen Identitätskriterien wie beispielsweise „einer be-stimmten Ethnie und Schicht, eines bestimmten Alters und einer bestimmten Sexualität“ auf (Motschenbacher 2006:34). Diese „innergeschlechtliche Va-riabilität“ (ebd.) führe die Kategorien Frau/Mann ad absurdum, somit aller-dings auch genderspezifische Untersuchungen wie die vorliegende Arbeit. In diesem Fall wird daher der Argumentation Motschenbachers gefolgt, der in Kenntnis von Butlers Ansatz und dessen sprachwissenschaftlicher Rezep-tion zu dem Schluss kommt, dass die von Butler eingeführten „,intelligib-len’[18] Geschlechtsidentitäten“ (ebd. 35) den Ansatzpunkt einer genderge-richteten Untersuchung von Werbeanzeigen darstellen. Denn
Geschlechtsbinaritäten, so konstruiert sie im Endeffekt auch sein mögen, sind näher an der Denk- und Sichtweise der im Werbekontext Kommunizierenden. Sowohl die Mehrheit der Rezipierenden, als auch der Werbenden geht einerseits von der Natür-lichkeit der Aufteilung männlich/weiblich aus und hat andererseits kein Bewusstsein für dekonstruktivistische Debatten. Die Symbolisierung binärer Geschlechtsidentitäten ist bis heute für die meisten Menschen gängige Praxis […] Die Werbung muss dieser Alltagspraxis weitgehend entsprechen, sonst ist ihre Überzeugungskraft und Plausi-bilität gefährdet (ebd. 43).
Gender kann also auch weiterhin als gültige Kategorie für die Beurteilung sprachlicher und bildlicher Besonderheiten und Unterschiede in Werbean-zeigen angesehen werden.
3.2 Das Doing-Gender-Konzept
Das Doing-Gender-Konzept (DG) basiert auf der Annahme, dass „Ge-schlechtszugehörigkeit und Geschlechtsidentität als fortlaufender Herstel-lungsprozess aufzufassen sind, der mit faktisch jeder menschlichen Aktivität vollzogen wird und in den unterschiedliche institutionelle Ressourcen ein-gehen“ (Gildemeister 2008:137). Geschlecht bzw. Geschlechtszugehörig-keit gelte folglich „nicht als Eigenschaft oder Merkmal von Individuen“ (ebd.), sondern stelle das Ergebnis performativer Tätigkeiten dar. Eingeführt wurde dieses „ursprünglich ethnomethodologische Konzept“ (Motschenba-cher 2006:30) von West/Zimmerman (1987) und „vor dem Hintergrund von soziologischen Analysen zur Transsexualität entwickelt“ (Gildemeister 2008: 137), da
[b]ei Transsexuellen […] vom Standpunkt der traditionellen Sichtweise biologisches und soziales Geschlecht zunächst im Widerspruch zueinander [stehen]. Entscheidend ist für die Betroffenen eine gelungene (soziale) Genderpraxis, die auch als passing be-zeichnet wird. Transsexuelle erfahren täglich am eigenen Leib, was es heißt, „Ge-schlecht zu tun“. Ihnen werden geschlechtliche Produktionsmechanismen bewusster als Nichttranssexuellen, für die Geschlechtskonstruktion meist als Routine ablaufen (Mot-schenbacher 2006: 31).
Bei diesem Ansatz wird der Blick also auf den Herstellungsprozess und somit auf die Mittel, Umstände und Situationen sowie die Instanzen und Institutionen gerichtet, die an der Konstruktion und Inszenierung von Ge-schlechtsidentität(en) beteiligt sind (vgl. Oelkers 2003:22). Dies macht das Konzept auch für die Werbeforschung und somit für die vorliegende Arbeit interessant, da Werbung durch die „Produktion und Rezeption geschlechts-intelligibler Werbebotschaften […] zu einer Institution der andauernden Materialisierung und Ritualisierung des Geschlechtsbinarismus“ (Motschen-bacher 2006:49) werde. Zugleich könne aufgrund der höheren Persuasivität und damit Werbewirksamkeit normativer Geschlechtsperformanzen davon ausgegangen werden, dass sie insbesondere stereotypisches Geschlechter-verhalten sowohl bildlich als auch sprachlich[19] abbilden werde (vgl. ebd.).
Im Folgenden soll jedoch gezeigt werden, dass diese Aussage nur bedingt am vorliegenden Werbekorpus belegt werden kann, da die Intensität des DG und auch der Grad der geschlechtsperformativen Normativität sehr stark von der jeweils verfolgten Werbestrategie abhängt.
Des Weiteren soll an dieser Stelle noch angemerkt werden, dass gemäß des DG-Konzeptes in dieser Arbeit keine Urteile darüber abgegeben werden, ob Stereotype bzw. geschlechtliche Präferenzen und Unterschiede in der Reali-tät zutreffend sind, sondern wie sie von den Werbetreibenden zu ihren Zwe-cken inszeniert und instrumentalisiert werden. An einigen Stellen fließen je-doch Erkenntnisse aus Rezeptionsstudien und Assoziationstests ein, die be-gründen sollen bzw. belegen können, warum Werbetreibende sich von einer bestimmten Strategie Erfolg versprechen und diese daher vermehrt im Kor-pus festzustellen ist.
3.2 Werbestrategien
3.2.1 Gender-, Diversity- oder Individual-Marketing?
In der Anfang diesen Jahres von Jaffé/Riedel veröffentlichten Marketing-theoretischen Arbeit mit dem Titel „Werbung für Adam und Eva“ stellen die Autoren die drei aktuell gängigsten Marketing-Strategien dar, die in jeweils unterschiedlichem Ausprägungsgrad den Gender-Aspekt einschließen. Im Folgenden sollen diese Konzepte kurz vorgestellt und hinsichtlich ihrer Passung auf Teile des Werbekorpus überprüft werden.
Das Individual-Marketing lässt sich insbesondere in der Luxusbranche bzw. dem Luxussegment einer Marke finden und soll prinzipiell statusorientierte Menschen ansprechen, wie sie sicherlich in den Zielgruppen der verwen-deten Magazine zu finden sind (vgl. Jaffé/Riedel 2011:34f). Gemäß der De-finition von Jaffé/Riedel bedarf es dafür allerdings individuell angefertigter Produkte (vgl. ebd.), weshalb diese Marketing-Strategie im Fall von Parfüm und Kosmetik nicht in Frage kommt, obwohl speziell die in den verwen-deten Magazinen beworbenen Produkte aufgrund des hohen Preises ein durchaus beträchtliches Maß an Exklusivität besitzen.
Den Begriff des Gender-Marketings definieren Jaffé/Riedel als
ganzheitliche(n) Marketing-Ansatz, der primär auf den Gemeinsamkeiten und den Unterschieden zwischen Konsumentinnen und Konsumenten basiert […]. Der Fokus liegt dabei auf der Kenntnis von geschlechtsspezifischen Bedarfen, Bedürfnissen und dem Ver-halten von Konsumentinnen und Konsumenten (ebd. 26).
Neben der Kenntnis dieser Bedürfnisse und auch ihrer (eventuellen) Berück-sichtigung bei der Produktgestaltung ist es für eine erfolgreiche Anwendung dieser Strategie aber genauso wichtig bzw. vielleicht sogar wichtiger, dem potentiellen Kunden auch zu vermitteln, dass man seine Wünsche und Be-dürfnisse kennt und im jeweiligen Produkt berücksichtigt hat. An dieser Stelle kommt das DG-Prinzip zur Anwendung, indem in der Werbung die (normativen) Geschlechtsbedürfnisse „performed“ werden.[20]
Im Fall von Parfüm und Kosmetik spricht für diese Strategie zudem, dass (zumindest in den meisten Fällen) bereits bei der Produktplanung der Ge-schlechtsbinarismus zur Anwendung kommt, da die Hersteller diese Produk-te in der Regel entweder speziell für Frauen oder für Männer kreieren bzw. Varianten davon für beide Geschlechter anbieten. Werden diese nun bereits genderspezifischen Produkte zudem entsprechend ihrer Ausrichtung in MZ oder FZ beworben, tritt aufgrund der Zielgruppenkongruenz von Magazin und Produkt ein genderspezifischer Kontext hinzu. So werden beispielswei-se Frauenmagazine in der Regel auch von Frauen gelesen, mit der kontext-bedingten Erwartungshaltung, beim Durchblättern des entsprechenden Hef-tes auch insbesondere auf Produktbewerbungen für Frauen zu stoßen.
Entsprechend dem Namen stellt der Gender-Aspekt bei dieser Marketing-Strategie somit das primäre Kriterium dar, an dem sich das Marketing orientiert. Dies ist jedoch auch der Grund, warum diese Strategie nicht für alle Anzeigen im Werbekorpus zutreffend erscheint: So ist in einigen der Gender-Aspekt den anderen Identitäts-stiftenden Elementen nicht über- son-dern beigeordnet und stellt nur einen Teil eines übergeordneten Konzeptes dar. Im Fall des Gender-Marketings können zwar „beliebige weitere Dif-ferenzierungskriterien verwendet werden, allerdings bleiben sie dem Ge-schlecht untergeordnet“ (ebd.). Des Weiteren basiert diese Strategie auf der Annahme, dass Geschlecht durch die Abbildung bestimmter, teilweise di-chotomischer Vorlieben, Interessen und Verhaltensweisen inszeniert werden kann,[21] sodass gleich konstruierte Identitäten für Männer und Frauen, die sich nur hinsichtlich der Geschlechtlichkeit unterscheiden, mit dieser Stra-tegie nicht vereinbar sind. Es lassen sich jedoch einige Beispiele finden, in denen Marken-intern bei der Bewerbung von Produktvarianten für Männer und Frauen die gleiche Identität konstruiert wird, und die Geschlechtlichkeit nur in einer nicht auffällig stereotypisierten Abbildung eines Mannes bzw. einer Frau kenntlich gemacht wird. In einem Fall ist dies auch Marken-übergreifend am auffällig ähnlichen Anzeigendesign feststellbar, und zwar in den Anzeigen für Otto Kern Signature und Giorgio Armani Armani code. In zwei Anzeigen wird die männliche Identität sogar mit ursprünglich weiblichen Stereotypen aufgeladen: Calvin Klein Eternity und Dove Clean Comfort Pflegedusche. Alle vier Anzeigen werden im Kapitel mit den Aus-nahmefällen noch eingehender betrachtet.
Ferner ist diese Marketing-Strategie zumindest nur schwierig mit Anzeigen vereinbar, in denen zugleich Produktvarianten für Männer und Frauen be-worben und diese außerdem zum Teil noch sowohl in MZ als auch in FZ geschaltet werden.[22]
Das Problem bei dieser Marketing-Form ist zudem, dass sich Menschen durch wesentlich mehr Aspekte unterscheiden und identifizieren als ihr Geschlecht. Um dieser geschlechtsinternen Heterogenität werblich nach-kommen zu können, wurde Anfang der 90er Jahre das sog. Diversity-Marketing entwickelt, das der „Vielfalt und Verschiedenartigkeit der Men-schen“ (Jaffé/Riedel 2011:39) gerecht zu werden versucht, indem alle Dif-ferenzierungsmerkmale der Menschen, wie Geschlecht, Alter, ethnische Herkunft, sexuelle Orientierung, Religion u.a. – zumindest theoretisch – gleichwertig berücksichtigt werden. Die folgenden Grafiken veranschau-lichen die Unterscheide dieser beiden Marketingstrategien:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb.2: Gender Marketing
Das Geschlecht ist zentrales Element und unabhängig von anderen Differenzierungs-merkmalen.
Quelle: Jaffé/Riedel 2011:32.
Abb.1: Diversity Marketing
Geschlecht ist nur ein Merkmal von vielen
und untrennbar mit den anderen verbunden.
Quelle: Jaffé/Riedel 2011:32.
Entsprechend der angenommenen Gleichwertigkeit von Geschlecht und anderen Identitäts-stiftenden Aspekten in einigen Anzeigen des Werbekor-pus erscheint die Diversity-Strategie zunächst als passend. Jedoch ist der Ausschluss eines Geschlechts auch dann nicht mit diesem Ansatz vereinbar, wenn Selbiges für die jeweilige Anzeige aufgrund von Produkt-inhärenter Genderspezifität keine Relevanz hat (vgl. ebd. 31). Der Diversity-Ansatz ist somit nur im Fall von Unisex-Produkten anwendbar, deren Bewerbung je-doch die Ausnahme innerhalb des Werbekorpus darstellt. Allerdings lässt sie sich uneingeschränkt an einer Anzeige feststellen: Calvin Klein ck one.
Alles in allem muss festgestellt werden, dass das Gender-Marketing als Werbestrategie nicht für alle Werbeanzeigen im Korpus passend erscheint.
Im Folgenden soll daher eine neue Marketing-Strategie dargestellt und definiert werden.
3.2.2 Identitäts-Marketing
„Hinter der Werbung steht vielfach die Überlegung, daß jeder Mensch eigentlich zwei sind: einer, der er ist, und einer, der er sein will.“
William Feather (1889-1969), amerikanischer Werbefachmann
Die in diesem Kapitel dargestellte Marketing-Strategie basiert auf der An-nahme, dass die Werbetreibenden insbesondere in der Luxusbranche heutzu-tage keine Produkte, sondern Identitäten vermarkten. So wird der Zielgrup-pe suggeriert, dass sie sich durch den Konsum der Produkte die jeweilige Identität aneignen und diese der Außenwelt demonstrieren kann. Warum sich die Werbetreibenden von dieser Strategie Erfolg versprechen und in wiefern mangelnde Identitätsautonomie dabei eine Rolle spielt, soll im Folgenden gezeigt werden.
So erweist es sich globalen (Online-) Dorf der heutigen Zeit sowie einer sich stetig weiter diversifizierenden Multi-Kulti-Gesellschaft für jeden Ein-zelnen als immer schwieriger, die eigene Identität zu finden, zu bestimmen oder gar zu rechtfertigen. Dieses Problem wird von den mittlerweile zahl-reichen Social networks und virtuellen Parallelwelten wie Second Life noch weiter forciert, da sie es ermöglichen, die unbequeme und schmerzliche Identitätsfrage durch das Erstellen und Wechseln verschiedener Alter Egos zu umgehen. So kann eine Vielzahl an teilweise gegensätzlichen Persön-lichkeiten „durchgespielt“ und dem Geschmack der jeweiligen Gruppe an-gepasst, bzw. bei Nichtgefallen ohne Konsequenzen für das reale bzw. On-line-Leben wieder verworfen werden. Sofern der User es nicht möchte, wird er seine jeweilige Identität nie in Frage stellen oder begründen müssen.
Natürlich stellt dies den Extremfall dar. Doch auch im Normalfall dürfte sich heute kaum einer mehr die Fragen stellen: Wer bin ich? Woher komme ich? Wo will ich hin? bzw. ernsthaft und unbeeinflusst nach einer indivi-duellen Antwort darauf suchen. Diese Aufgabe übernehmen andere, wie bei-spielsweise Produkthersteller, Designer, Werbefachleute, getreu dem Motto des amerikanischen Werbeleiters und –texters Leo Burnett (1891-1971): „Sagt den Leuten nicht, wie gut ihr die Güter macht, sagt ihnen, wie gut eure Güter sie machen“. So kreieren sie ansprechende Marken- und Pro-duktidentitäten[23], mit denen sich die Angehörigen der jeweiligen Zielgruppe identifizieren sollen und wollen bzw. durch deren Erwerb oder Konsum sie ihr eigene Statusvorstellung verwirklichen und bestätigen können (vgl. Latour 1996:135) - mit dem Ergebnis, dass einige Menschen ihre Identität nach folgendem Muster darstellen: Ich rauche XY, ich fahre einen XY, Mein Lieblingsdesigner ist XY.[24] Sicherlich sind dies wahrscheinlich nicht die ersten Nennungen auf eine von außen kommende Frage nach dem eigenen Selbst, jedoch stellen sie einen durchaus beträchtlichen Teil des Flickentep-pichs aus Gruppenzugehörigkeiten dar, den einige ihre Persönlichkeit nen-nen. An die Stelle von Selbstreflexion und Identitätsautonomie tritt eine be-liebig lange Reihe von Einzelidentifikationen. Diese wiederum bedürfen gewisser Übereinstimmungen zwischen Identifikationssubjekt und -objekt, die sich häufig auf der Ebene der natürlichen, indiskutablen Gegebenheiten befinden, wie Herkunft, Sprache, Alter oder Geschlecht. Besonders Letzte-res ist aufgrund seiner binären[25] Beschaffenheit und Konstanz ein werbe-technisch hochrelevanter Aspekt. So lasse sich „[m]it Geschlecht […] ver-kaufen, weil sich die Mehrheit der Menschen mit einem der beiden Ge-schlechter identifiziert“(Motschenbacher 2006:49).
Diese Werbestrategie hat jedoch unmittelbar zur Folge, dass die Zielgruppe mit jeder Hinzufügung eines Identitätselementes immer weiter ausdifferen-ziert und segmentiert wird, sodass auch die Zahl der gewinnbringenden Kundschaft zurück geht. Jedoch stellt auch Motschenbacher fest, dass „die Zeiten der Massenwerbung“ vorbei sind, „als es galt, möglichst viele po-tentielle KäuferInnen zu erreichen“ (ebd. 10). Heutzutage wird vielmehr versucht, einen kleinen Konsumentenkreis lebenslang an eine Marke bzw. ein Produkt zu binden. Zudem kann eine Marke verschiedene Produkte auf den Markt bringen, die mit unterschiedlichen Identitäten versehen werden und somit jeweils verschiedene Zielgruppen binden können. Berücksichtigt werden muss dabei jedoch, dass diese Unterschiede nicht zu gravierend ausfallen und mit der Markenidentität in Einklang gebracht werden können. Da Letztere zum Teil bereits durch den jeweiligen Markennamen bestimmt wird, soll dieser im folgenden Kapitel betrachtet werden.
4 Marken- und Produktnamen
Der besondere Stellenwert und damit auch die Relevanz von Marken- und Produktnamen für eine sprachwissenschaftliche Untersuchung von Parfüm-anzeigen ergibt sich bereits aus der Tatsache, dass Letztere generell wenig Text enthalten. Zum Teil stellen die Marken- und Produktnamen den ge-samten verbalen Bestandteil der Anzeige dar. Daraus ergibt sich für diese Studie die interessante Frage, ob und, wenn ja, welche genderspezifischen Unterschiede an den sprachlichen Besonderheiten von Marken- und Pro-duktnamen festgestellt werden können. Da die Marke, insbesondere die Ab-sender[26] - oder Sortimentsmarke[27], zudem die Gesamtheit aller unter ihrem Namen vertriebenen Produkte bzw. Produktpaletten repräsentiert, die je-weils unterschiedliche, heterogene Zielgruppen haben können, muss sie zudem den Spagat zwischen allgemeiner Akzeptanz und Zielgruppenorien-tierung leisten können. Da dessen Bewerkstelligung in einem einzigen Na-men, der zusätzlich zwecks Memorierbarkeit möglichst kurz ausfallen sollte (vgl. Latour 1996:31), mit zunehmender Heterogenität des Adressatenkrei-ses immer schwieriger wird, übertragen die Markenhersteller einen Teil dieser Funktion auf die Produktnamen. Zudem gibt es den Fall, dass bereits etablierte Marken, die sich zunächst auf eine bestimmte Zielgruppe, bei-spielsweise Männer oder Frauen, fokussiert und diese exklusiv bei der Wahl des Namens berücksichtigt hatten, aufgrund ihres Erfolges nun auch in Richtung anderer Zielgruppen expandieren wollen. Damit stehen sie vor dem Problem, ihr bisheriges Image auf den neuen Adressatenkreis anzupas-sen, ohne die etablierte Kundschaft zu verschrecken sowie vor der Aufgabe, die für die neue Zielgruppe möglicherweise unattraktiven Merkmale des Markennamens durch entsprechende Produktnamen wett zu machen. Daher ist es für die folgende Untersuchung zusätzlich von Interesse, die Wechsel-wirkungen und Unterschiede zwischen diesen Namenkombinationen zu ver-gleichen und festzustellen, ob beispielsweise ein betont maskuliner Marken-name im Fall einer Bewerbung von Frauenparfüms oder –kosmetika mit einer betont femininen Produktnamen verbunden wird und andersrum.
4.1 Englisch, deutsch, französisch…?
„Jeder Markenname stößt auf ein Hindernis: Die Welt ist ein Turm zu Babel“ (Latour 1996:38). Dieser Problematik müssen sich alle Firmen stel-len, wollen sie ihre Produkte in verschiedenen Sprachregionen dieser Welt bekannt machen und vertreiben. Einen Markennamen, der in fast allen Spra-chen gleichermaßen gut artikuliert werden kann, haben bisher nur wenige Unternehmen finden bzw. entwickeln können, darunter z.B. Kodak, Coca-Cola oder Mobil (vgl.ebd.). Dieser Umstand veranlasst Platen zu dem Schluss, dass „[g]lobal branding, das Etablieren einer weltweit anerkannten Marke […], der kommerzielle Mythos unserer Zeit und in Produzentenau-gen zur magischen Formel geworden [sei]“ (Platen 1997:147). Englisch gel-te zwar als Weltsprache, werde jedoch entgegen der Erwartung nur von ei-ner Elite „mit höherem sozialen Status“(Latour 1996:38) und folglich höhe-rer Bildung beherrscht.
Diese Elite kann jedoch als Zielgruppe der in dieser Studie untersuchten Magazine angesehen werden, da in ihnen kosmopolitische Anschauungen vertreten und hochpreisige Designerwaren beworben werden. Dadurch kann ein englischer Markenname in diesem Fall zwei Funktionen erfüllen: Zum einen garantiert er eine zielgruppenorientierte, überregionale Verständlich-keit und eröffnet somit weltweite Expansionsmöglichkeiten (vgl. ebd. 166), ohne durch „areale Variationen“[28] die weltbürgerliche Kundschaft zu ver-schrecken, zum anderen wirkt er gleichzeitig sozial-selektiv, da er die elitäre Inklusion und Exklusion unterstützt. In noch höherem Maße wird dieser Prozess von den anderen Fremdsprachen wie Französisch, Spanisch oder Italienisch getragen, die aufgrund bestimmter Designer-Metropolen in der Mode- und Glamourwelt etabliert sind, jedoch vom Durchschnittsbürger kaum verstanden, geschweige denn beherrscht werden. Der benannten Ziel-gruppe dürften diese Sprachen jedoch wenigstens in dem Maße vertraut sein, wie es für die Dekodierung der enthaltenen Information und eventuell auch für das Erkennen von Anspielungen, Polysemien oder Paronomasien von Nöten ist, obgleich diese in der Parfüm- und Kosmetik-Branche eher selten anzutreffen sind. Bei der Wahl einer anderen, in der High Society eher unterrepräsentierten oder zumindest ungebräuchlichen Sprache für den Markennamen, wie Deutsch, werden diese beiden Funktionen nicht erfüllt, da die deutsche Sprache jenseits ihrer Region für Verständnisprobleme sor-gen dürfte, die sich zudem über alle Gesellschaftsschichten erstrecken und daher nicht sozial- sondern regional-selektiv wirken. Dies kann dafür jedoch den Vorteil nach sich ziehen, regional alle Bevölkerungs- und Bildungs-schichten zu erreichen und zudem für die eigentliche, wohlhabende Ziel-gruppe Identifizierungsanreize durch sprachliche Übereinstimmung zu bie-ten. Denn wie bereits dargestellt kommt gerade im Bereich von Parfüm und Kosmetik die Wahl der jeweiligen Marke oft einer Glaubensfrage gleich und sorgt nicht selten für eine lebenslange Kundentreue, sofern sich der Kunde mit der Marke identifizieren kann (vgl. Latour 1996:134). Ebenso können allerdings fremdsprachliche Markennamen auch eine Identifikation evozieren, sofern sich die Rezipienten als Kosmopoliten verstehen oder ver-stehen möchten.
Für eine genderorientierte Betrachtung von Markennamen bedeutet dies, dass ein geschlechtsspezifisch unterschiedlich hoher Anteil an deutschen oder fremdsprachlichen Markennamen auf unterschiedliche Identitätskon-struktionen schließen lässt. Da jedoch einige Marken sowohl Männer- als auch Frauenprodukte anbieten sowie besonders in der Parfümbranche zum Großteil den Eigennamen der Designer entsprechen und daher von anderen Faktoren abhängig sind, erscheint es notwendig, die Produktnamen mit ein-zubeziehen, zumal wie bereits erwähnt die unterschiedlichen Funktionen, also die Expansions-, Selektions- und Identifikationsfunktion auf die einzel-nen Namen verteilt werden können, sodass beispielsweise ein englischer Markenname in Kombination mit deutschen[29] Produktnamen sowohl die Expansionsfunktion, als auch die regionale Selektions- und Identifikations-funktion erfüllen kann.
[...]
[1] Geschlechtsbezogener Verzerrungseffekt, bei dem durch sprachliche Mittel ein Ge-schlecht als In-Group bestimmt und das andere als Outgroup negativisiert wird.
[2] Vgl. dazu Motschenbacher 2006: 380-412.
[3] So kritisiert Motschenbacher, dass in den bisherigen Untersuchungen „in der Regel […] nur einzelne oder zu wenige Werbetexte als Datenmaterial verwendet, so dass die erzielten Ergebnisse bestenfalls exemplarischen, jedoch kaum repräsentativen Charakter haben“ (Motschenbacher 2006: 56).
[4] Es wird davon ausgegangen, dass für Parfüm- und Kosmetikanzeigen ein hoher Grad an Genderspezifität besteht, da die in ihnen beworbenen Produkte in der Regel nur für ein Ge-schlecht konzipiert werden.
[5] Motschenbacher bezeichnet derartige Magazine mit dem etablierten Terminus Communi-ties of Practice (CofP): „Darunter versteht man Gemeinschaften sozialer Praxis, zu denen sich Menschen zu bestimmten Zwecken zusammenfinden“ (Motschenbacher 2006: 29). Dieses Konzept dient dabei der „Erfassung kontextuell variabler Faktoren“ (ebd. 28). Vogue/Cosmopolitan und GQ/Men’s Health können somit als „genderrelevante CofPs“ (ebd. 79) angesehen werden.
[6] Aus diesem Grund hat Motschenbacher sie bei seiner auf den verbalen Teil beschränkten Arbeit nicht berücksichtigt. Ein Grund für den geringen, verbalen Anteil in den Anzeigen könnte darin liegen, dass die Werbetreibenden das Produkt für sich stehen lassen wollen. Daher wird auch in einigen Fällen der Anzeige eine Produktprobe beigefügt.
[7] Gleiches könnte für die komplette Anzeige angenommen werden, wenn Marken, die ur-sprünglich nur Produkte für ein bestimmtes Geschlecht herausgebracht haben, nun auch in Richtung der gegengeschlechtlichen Zielgruppe expandieren und die entsprechenden Pro-dukte bewerben wollen. Eine derartige Untersuchung würde jedoch in den Bereich der Marktforschung fallen und kann daher in dieser sprachwissenschaftlichen Arbeit nicht vor-genommen werden.
[8] Folgende Monatsausgaben konnten nicht berücksichtigt werden: Vogue: Februar, April, Dezember; Cosmopolitan: Juni; GQ: Mai, Oktober, Dezember.
[9] Hierzu zählen auch Tabletten, die z.B. der Verbesserung von Hautbild oder Haarstruktur dienen sollen.
[10] Vgl. dazu beispielsweise die Anzeige der Marke Betty Barclay.
[11] In den meisten Fällen erhält bei einer doppelseitigen Anzeige die Abbildung des Parfümflakons einfach eine eigene Seite.
[12] Vgl. dazu die Anzeigen der Marke Clinique.
[13] Die Bezeichnung der jeweiligen Anzeige erfolgt generell nach keinem festen Schema, sondern orientiert sich an Zweckmäßigkeit und Eindeutigkeit. Alle namentlich erwähnten Anzeigen sind alphabetisch nach der Marke sortiert im Anhang beigefügt.
[14] Bei zwei anderen Parfümen mit Varianten für beide Geschlechter, die in den ausgewerte-ten Heften beworben werden (the one, light blue) verzichtete D&G jedoch darauf, in den jeweiligen Anzeigen beide Varianten aufzuführen.
[15] Bei Unterscheidung von Parfüm und Kosmetik K* bzw. P*, bei Unterscheidung von Marken- und Produktnamen MN* bzw. PN*.
[16] Duden. Fremdwörterbuch, s.v. Gender.
[17] Die seltenen Fälle von Zwittern bzw. Hermaphroditen werden hier nicht berücksichtigt.
[18] „(Philos.) nur durch den Intellekt im Gegensatz zur sinnlichen Wahrnehmung, Erfahrung erkennbar“ (Duden, Fremdwörterbuch s.v. intelligibel).
[19] Vgl. dazu die Ausführungen zum Genderlektkonzept bei Motschenbacher (2006:362): Dabei werden im Gegensatz zum Mythos der Männer-/Frauensprache nicht geschlechts-spezifische sondern geschlechtspräferentielle Sprachmuster betrachtet.
[20] Sollten die dargestellten Bedürfnisse auch nicht denen jedes einzelnen Kunden entspre-chen, wird er sich selbst dennoch aufgrund ihrer Normativität veranlasst fühlen, ihnen zu entsprechen, sodass sie zu einer Art „self-fulfilling prophecy“ werden können.
[21] Das DG-Ansatz wird in der Forschung zwar gerade zur Dekonstruktion dieser Stereotype verwendet, bei seiner praktischen Anwendung müssen die Werbetreibenden jedoch dem werblichen Imperativ des bereits erwähnten gender passing nachkommen, um zielgruppen-adäquate Werbung zu generieren (vgl. Motschenbacher 2006:33).
[22] In diesen Fällen wird häufig die Binarität von Geschlecht genutzt, um dem Rezipienten durch die Abbildung zweier Parfümflakons signalisieren zu können, dass in der Anzeige Produktvarianten für beide Geschlechter beworben werden. Diese Methode wirkt zudem sehr dezent, da sie ohne auffällige Geschlechtsstereotype auskommt.
[23] Vgl. dazu auch die Ausführungen zum lifestyle-engineering bei Schmerl 1992: 14f.
[24] Vgl. dazu auch Erich Fromm: „Haben oder Sein“ (1976) und „Vom Haben zum Sein“ (1990).
[25] Zur Gültigkeit der Geschlechtsbinarität s. 3.1.
[26] Unter Absendermarke wird hier auch der Spezialfall der Luxusmarke gefasst, „die über die Zielgruppe hinaus zur Referenz“ (Latour 1996:51) geworden ist. Eine Unterscheidung zwischen diesen beiden Markenkategorien ist jedoch auf der Textebene bisweilen schwer zu treffen und mitunter auch nicht von Relevanz.
[27] Markenkategorien gemäß Latour 1996:50.
[28] Eine areale Variation bezeichnet die sprachliche Adaption eines Marken- oder Produkt-namens an die jeweilige Sprachregion. So heißt Lagnese beispielsweise in Spanien Frigo (vgl. Platen 1997:147).
[29] Bei einem weltweiten Vertrieb würde dies jedoch unweigerlich areale Variationen nach sich ziehen, die jedoch im Fall der Produktnamen höchstwahrscheinlich eine höhere Akzep-tanz finden dürften, als im Bereich der Markennamen.
- Citar trabajo
- Jennifer Ellermann (Autor), 2011, Doing Gender in der deutschen Anzeigenwerbung für Parfüm und Kosmetik, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/174686
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