Menschenopfer und der damit häufig verbundene Kannibalismus sind brisante Themen, die sich seit
jeher und global leitmotivisch durch Literatur, Kunst und mündliche Überlieferungen ziehen.
Auch in der heutigen Zeit hat dieses Thema nichts von seiner einstigen Brisanz eingebüßt. Die
Spannung aus Ekel und Faszination, die von diesem Thema ausgeht, zog nicht nur seit jeher
Wissenschaftler in ihren Bann, sondern inspirierte auch Künstler, Autoren und Regisseure bis in die
Gegenwart. (Man denke nur an den Psychothriller „Das Schweigen der Lämmer“, der mit dem
Tabubruch, der Darstellung von kulinarischem Kannibalismus bei einem Intellektuellen, eine neue Ära
der subtilen Grausamkeit in der filmerischen Darstellung einläutete und die Leitfigur Hannibal Lecter
zur Kultfigur erhob.) Doch Kannibalismus und Menschenopfer sind nicht nur archaische Phänomene;
bis in die heutige Zeit werden sie praktiziert (man denke nur an den aufsehenserregenden Fall von
Rotenburg)1 und als verleumderisches Element eingesetzt (z.B. in der nationalsozialistischen
Propagandazeitschrift „Der Stürmer“ gegen die Juden), wenngleich sich Faktoren wie
gesellschaftliche Akzeptanz, Häufigkeit und Art der Vorkommnisse sowie Motive verschoben haben. Menschenopferungen sind aus allen Erdteilen überliefert, die Tötungsrituale wiederholen sich in allen
Kulturen und reichen vom ertränken oder enthaupten, erdrosseln, erstechen, erhängen bis zum
verbrennen.
Sie lassen sich nach der Art des Opfers kategorisieren in Bittopfer, Sühneopfer, Kriegsopfer,
Ahnenverehrung, Bauopfer und Kannibalismus.
Endzweck aller Formen von religiös/kulturell motiviertem Menschenopfer ist die Wiederherstellung
beziehungsweise Aufrechterhaltung des Wohlergehens einer Gemeinschaft durch Aufrechterhaltung
der Weltordnung. Im Laufe der Menschheitsgeschichte kam es zu einer verstärkten Vermischung
von religiösen Motiven mit profanen Motiven beim Menschenopfer. So wurden zum Beispiel im
alten Rom bevorzugt Strafgefangene und Kriegsgefangene geopfert und somit Rechtsprechung und
Kultopfer verknüpft.2 3 Dem Kult des Menschenopfers liegt die Vorstellung von Göttern zugrunde, die Opfer verlangen oder
sogar darauf angewiesen sind, um fortzubestehen. [...]
1 www.m-ww.de/kontrovers/kannibalismus.html?: 08.06.2003
2 Kuhner, Hans-Peter, S. 19
3 Rind, Michael M., S. 62
Inhaltsverzeichnis
Der Menschenopferkult
Erster Teil:
1 Einleitung
2 Formen und Motive des Menschenopferrituals
2.1 Selbstopfer
2.2 Bittopfer
2.3 Sühneopfer
2.4 Kriegsopfer
2.5 Ahnenverehrung
2.6 Bau- und Weiheopfer
2.7 Kannibalismus
3 Die Schwierigkeit bei der Deutung von Knochenfunden
4 Kopfjagd, Schädelopfer und Trophäen
5 Menschenopfer und Kannibalismus in der Literatur
6 Menschenopfer in der Kunst
7 Menschenopfer im Film
8.1 Umgestaltung von Menschenopfer
8.2 Der Umgestaltungsprozess von kultischen Menschenopferungen am Beispiel der Menschenopfer im römischen Amphitheater
9 Auswirkungen ritueller Opferpraktiken auf die Gesellschaft
10 Menschenopfer und Kannibalismus heute
Zweiter Teil:
11 Rituelles Menschenopfer am Beispiel der Kultur der brasilianischen Jivaro-Indianer
11.1 Einleitung
11.2 Wohnverhältnisse
11.3 Wirtschaftsform
11.3.1 Feldbau und Sammeln
11.3.2 Jagd und Fischfang
11.4 Gebrauchsgüterfertigung
11.5 Formen des Zusammenlebens und geschlechtsspezifische Arbeitsteilung
11.6 Religion
11.6.1 Der Zusammenhang von magischen Vorstellungen und Rachefeldzügen
11.6.2 Die nekas - und die arutam -Seele
11.6.3 Die muisak -Seele
11.6.4 Herstellung und Funktion einer tsantsa
11.6.5 Die Kopfjagdfeste
11.6.6 Die Erdmutter nungui und ihre Kinder –eine mythologische Geschichte mit kannibalisch-vampiristischem Gedankengut
11.7 Schlusswort
11.8 Abschließende Bemerkung
12 Quellen
Der Menschenopferkult
(Hauptthema)
1 Einleitung
Menschenopfer und der damit häufig verbundene Kannibalismus sind brisante Themen, die sich seit jeher und global leitmotivisch durch Literatur, Kunst und mündliche Überlieferungen ziehen. Auch in der heutigen Zeit hat dieses Thema nichts von seiner einstigen Brisanz eingebüßt. Die Spannung aus Ekel und Faszination, die von diesem Thema ausgeht, zog nicht nur seit jeher Wissenschaftler in ihren Bann, sondern inspirierte auch Künstler, Autoren und Regisseure bis in die Gegenwart. (Man denke nur an den Psychothriller „Das Schweigen der Lämmer“, der mit dem Tabubruch, der Darstellung von kulinarischem Kannibalismus bei einem Intellektuellen, eine neue Ära der subtilen Grausamkeit in der filmerischen Darstellung einläutete und die Leitfigur Hannibal Lecter zur Kultfigur erhob.) Doch Kannibalismus und Menschenopfer sind nicht nur archaische Phänomene; bis in die heutige Zeit werden sie praktiziert (man denke nur an den aufsehenserregenden Fall von Rotenburg) [1] und als verleumderisches Element eingesetzt (z.B. in der nationalsozialistischen Propagandazeitschrift „Der Stürmer“ gegen die Juden), wenngleich sich Faktoren wie gesellschaftliche Akzeptanz, Häufigkeit und Art der Vorkommnisse sowie Motive verschoben haben.
2 Formen und Motive des Menschenopferrituals
Menschenopferungen sind aus allen Erdteilen überliefert, die Tötungsrituale wiederholen sich in allen Kulturen und reichen vom ertränken oder enthaupten, erdrosseln, erstechen, erhängen bis zum verbrennen.
Sie lassen sich nach der Art des Opfers kategorisieren in Bittopfer, Sühneopfer, Kriegsopfer, Ahnenverehrung, Bauopfer und Kannibalismus.
Endzweck aller Formen von religiös/kulturell motiviertem Menschenopfer ist die Wiederherstellung beziehungsweise Aufrechterhaltung des Wohlergehens einer Gemeinschaft durch Aufrechterhaltung der Weltordnung. Im Laufe der Menschheitsgeschichte kam es zu einer verstärkten Vermischung von religiösen Motiven mit profanen Motiven beim Menschenopfer. So wurden zum Beispiel im alten Rom bevorzugt Strafgefangene und Kriegsgefangene geopfert und somit Rechtsprechung und Kultopfer verknüpft.[2] [3]
Dem Kult des Menschenopfers liegt die Vorstellung von Göttern zugrunde, die Opfer verlangen oder sogar darauf angewiesen sind, um fortzubestehen. Daraus ergibt sich die Vorstellung von einem Abhängigkeitsverhältnis [4] zwischen Göttern und Menschen. Meist fanden Opferungen in Krisenzeiten statt und stellen Bittopfer zur Abwendung der Notlage dar. So zum Beispiel während Naturkatastrophen (Erdbeben, Sturm, Dürre) oder bei Seuchen und Kriegen. Das Ritual der Menschenopferung gründet meist auf eine im Altertum allgegenwärtige Existenzangst, die durch Endzeiterwartungen und furchteinflößende Naturschauspiele (Sonnenfinsternis, Mondfinsternis, Erdbeben) genährt wurde. Aber auch der Tod eines Herrschers oder eine Inthronisation konnte Grund für ein Menschenopfer bieten.
Auch im Judentum glaubte man lange Zeit, dass Gott Menschenopfer forderte. Dieses brutale Gottesbild wurde erst durch die Abrahamsgeschichte zu Fall gebracht.(Diese Geschichte, die eine Abkehr vom Menschenopfer hin zum Tieropfer bedeutet, stellt eine Zäsur in der Anthropologie dar und wird auch als Beginn zu höheren Stufen der Zivilisation gewertet.)[5] Auffällig sind dabei Parallelen zu griechischen Sagen.
Beabsichtigte Funktionen von Menschenopferungen sind unter anderem: die spirituelle Reinigung einer Gemeinschaft durch Sühne, die Wiederholung eines mythischen Urzeitgeschehens zur Erhaltung der Weltordnung[6], das Füttern der Elemente (Befruchtungsgedanke), Aufnahme von psychischen und physischen Potenzen des Opfers (beim magischen Kannibalismus) und Kommunikation zwischen Götter und Menschen durch das Opfer als Mittler zwischen den Welten.
Die Vorstellung durch ein Menschenopfer mit den Göttern kommunizieren zu können, evozierte auch den Brauch aus den Gedärmen des Geopferten göttliche Botschaften beziehungsweise die Zukunft zu lesen.[7]
Von entscheidender Bedeutung für den Wert eines Opfers war, vor allem in der Neuen Welt, die Durchführung des Tötungsaktes unter Befolgung magisch religiöser Rituale. Darunter fallen rituelle Speisen, Gesänge, Tänze, Gebete usw. Die Tötungen wurden ursprünglich von Menschen vorgenommen, denen man eine besondere Verbindung zur Geisterwelt nachsagte, wie den Hexen, den Schamanen, Priestern und den Druiden. [8] Bei den Opfern handelte es sich meist um Personen, die keinen sozialen Rückhalt in der Gemeinschaft fanden wie zum Beispiel Kriegsgefangene, Sklaven, alleinstehende Frauen, alte Menschen und ungewollte Kinder.[9] Dies war wichtig zum Erhalt der Gesellschaft und hatte reinigende Funktion. Bei besonders prekär empfundenen Situationen wurden aber auch Kriegshelden, Priesterkönige und Königskinder dargebracht, weil diese als besonders wertvoll angesehen wurden.[10]
Im Gegensatz zur Alten Welt legten die Naturvölker der Neuen Welt bei der Auswahl ihrer Opfer besonders viel Wert auf deren physische Reinheit. Daher wurden die zum Opfer Auserkorenen durch re inigende Rituale (Essen bestimmter Speisen, Fasten, Schwitzbäder, Enthaltsamkeit, Bemalung und Schmücken) auf den Ritualmord vorbereitet.[11]
Wichtig bei der Behandlung dieses Themas ist es sich vor Augen zu führen, dass viele Mutmaßungen über Menschenopferungen und insbesondere Kannibalismus, die auf Knochenfunden gründen sich unter wissenschaftlichen Methoden nicht eindeutig nachweisen lassen. Dies rührt daher, dass Knochenfunde meist nur Spekulationen zulassen, welche dann von den Erwartungen des Forschers, des Zeitgeist und der politischen Situation gefärbt sind.[12] Die gleiche Problematik besteht beim Auswerten von historischen Menschenopferberichten, die meist aus der Zeit der Eroberung des amerikanischen Kontinents stammen. Auch diese Quellen sind gefärbt von Unverständnis und ideologisch begründeten Vorurteilen. Daher werde ich mich auch nicht näher mit einzelnen Knochenfunden und Textquellen befassen, sondern vielmehr auf religiöse Weltbilder und Denkschemata eingehen, die sich hinter solchen Ritualen verbergen.
2.1 Selbstopfer
Die freiwillige Hingabe des Lebens, welche das Selbstopfer auszeichnet, ist besonders für unser Zeitalter, das von dem Wunsch ewiger Jugend und der Angst vor dem Tod geprägt ist, schwer nachvollziehbar. Mythologien und Sagen lassen allerdings auf das tatsächliche Vorkommen von freiwilligen Selbstopferungen im Altertum schließen. Sie berichten von freiwilligen Totenfolgen, freiwilligen Opferungen zur Besiegelung eines Bauwerks oder Selbstmord aus religiösem und politischem Fanatismus.
Auch die Religionsbekenntnis der Christen zu Zeiten ihrer Verfolgung durch die Römer kam einem Selbstopfer gleich, stellten sie sich doch somit freiwillig dem Martyrium des Zerfleischens durch Tiere in der römischen Arena.[13]
Meist ging die Selbstopferung jedoch mit gesellschaftlichem Druck und Perspektivlosigkeit einher und nahm daher oft nur gewaltsame Sanktionen vorweg.
Des Weiteren gehört das Opfern von Körperteilen oder Blut zum Selbstopferkult. Von den Maya und Azteken sind zum Beispiel bestimmte Geräte bekannt, mit denen sie sich ihr eigenes Blut als Opfergabe an die Götter abzapften.[14] [15]
Moderne Formen von Selbstopferungen, geprägt durch religiösen und politischen Fanatismus, stellen zum Beispiel die Märtyrertode terroristischer Selbstmordattentäter dar, denn auch sie opfern ihr Leben für einen Krieg zu Ehren ihres Gottes.
2.2 Bittopfer
Meist geschahen Menschenopferungen als Bittopfer aus größter Not und Furcht heraus. Zum Beispiel bei großer Hungersnot oder Naturkatastrophen.[16] Das Opfer sollte die erzürnten Götter besänftigen und versöhnen. Allerdings konnten Bittopferungen auch präventive Funktion haben, wenn die Furcht vor einer wiederkehrenden Katastrophe gegenwärtig war.
2.3 Sühneopfer
Sühneopfer wurden dargebracht, um die Gemeinschaft stellvertretend zu sühnen. Wichtig bei der Auswahl der Opfer war in vielen Kulturen deren spirituelle Reinheit. Um diese zu gewährleisten musste sich das Opfer gewissen Reinigungsritualen unterziehen zu denen zum Beispiel das Fasten, das Beten, die Einnahme bestimmter Speisen und Getränke und die sexuelle Enthaltsamkeit zählte. Das wohl bekannteste Sühneopfer im europäischen Raum finden wir in der Bibel. Es handelt sich um Jesus Christus, welcher stellvertretend für die Sünden der Menschheit in den Tod ging und mit seinem Blutopfer die Menschheit von ihren Sünden befreite.
Die christliche Vorstellung, sich beim Abendmahl das Fleisch und Blut Christi einzuverleiben, verweist zudem auf einen archaischen Menschenopferkult, der durch mystisches und vampiristisches Gedankengut [17] geprägt war und ist somit Ausdruck des Umgestaltungsprozesses von rituellem Kannibalismus zu symbolischen Gesten.[18]
2.4 Kriegsopfer
Bei Kriegsopfern handelt es sich meist um Kriegsgefangene, die den Göttern zum Dank für die gewonnene Schlacht, oder auch als Bittopfer für die erfolgreiche Heimkehr dargebracht werden. Sehr bekannt sind die Kriegsgefangenenopferungen der Azteken.[19]
2.5 Ahnenverehrung
Totenfolgen ( Begleitopfer) und Kollektivbestattungen
Unter Totenfolgen versteht man die Tötung von Menschen zur Grabbeigabe eines Verstorbenen. Diesem Ritual liegt der Glaube an ein Weiterleben nach dem Tod zugrunde. Sehr bekannt ist hierbei das Witwenopfer aber auch Blutsbrüder, Soldaten und Diener wurden geopfert.[20] Die Opferung demonstrierte einen Liebes- und Treuebeweis von Seiten des Opfers gegenüber dem Toten aber auch die Verfügbarkeit und die Macht des Verstorbenen über das Opfer[21] und wurde teils gewaltsam, teils freiwillig vollbracht. Totenfolgen sind aus vielen Ländern der Welt schriftlich überliefert und durch Knochenfunde bestätigt. Sie fanden noch bis ins späte Mittelalter statt. Besonders große Dimension nahmen die Totenfolgen bei den Bestattungen bestimmter Könige an. So gingen im alten China und in Mesopotamien Dutzende Soldaten und Diener als Folgeopfer in den Tod.[22]
Der Geschichtsschreiber Herodot berichtete im 5. Jahrhundert von freiwilligen Totenfolgen der Frauen beim Volk der Thrakern, in dessen Kultur es als ehrenhaft galt, als Begleitopfer auserwählt zu werden.[23] Diese freiwillige Selbstopferungen der Frauen ist wohl in dem Glauben verwurzelt, dass ihre Selbstopferung sie in der Stellung im Jenseits aufwerte; doch waren auch viele Witwenopfer Ergebnis gesellschaftlichen Zwanges und Ausweglosigkeit der Witwen, die von ihren Männern materiell abhängig waren.[24] Das Witwenopfer hatte demnach auch, wenn nicht sogar vor allem, eine gesellschaftssichernde Funktion, indem es die Gesellschaft von materiell Bedürftigen entlastete und somit letztendlich ihre Existenz sicherte.
Auch gab es eine Verbindung von Sühneopfer und Totenfolge. So ist z.B. von den Etruskern die Sitte bekannt, bei einem Begräbnis einen rituellen Zweikampf abzuhalten, dessen Verlierer mit seinem Tod die Seele des Verstorbenen sühnt.[25]
Ein weiteres Begleitopfer stellt die Totenhochzeit dar. Bei diesem Brauch wird ein verstorbener Junggeselle an seinem Grab mit einer lebenden Frau vermählt, welche daraufhin geopfert wird, um ihn in den Tod zu begleiten.
Ein interessantes Beispiel für solch eine Totenhochzeit ist in der Schilderung des arabischen Gesandtschaftsekretärs Ahmad Ibn Fadlan überliefert, der 922 nach Christus die Beisetzung eines Anführers der Rusen an der Wolga beobachten konnte. Er beschreibt in seinen Schilderungen die Totenfolge eines jungen Mädchens aus der Dienerschaft, die, zum Zeichen ihrer Vermählung mit dem Herrscher, Geschlechtsverkehr mit dessen engsten Kameraden durchführte, welche in Stellvertretung für den Toten agierten.[26] Auch in den Sagen um den trojanischen Krieg finden wir die Beschreibung einer Totenhochzeit. Dort wird die Opferung der jungfräulichen Königstochter Polyxena an den verstorbenen Achilleus beschrieben, wobei das Opfer wie eine Braut bekleidet zum Grab geführt wurde.[27]
In vielen Berichten taucht Kannibalismus als Form von Ahnenverehrung bei Naturvölkern auf. Ihm liegt die Absicht zugrunde mit dem Verzehren der Toten deren Seelenbestandteile der Nachwelt zu erhalten und den Verstorbenen gegenüber Respekt zu erweisen.[28] Aber auch Angst spielte hier wieder ein treibendes Motiv, denn dem kannibalischen Akt ging der Glaube an böse Geister voraus, der man sich durch das Verspeisen entledigen wollte.
Dabei wurde nicht unbedingt das Fleisch der Toten gegessen. Überliefert sind zum Beispiel das Verarbeiten von Knochenpulver und Haaren zu Speisen.[29] Interessant hierbei ist die Tatsache, dass der Kannibalismus aus Ahnenverehrung, kulturspezifisch mit völlig verschiedenen Emotionen einherging. Während manche Naturvölker das Menschenfleisch ohne Abneigung aßen, empfanden andere Kulturen bei diesem Ritual großen Ekel, erbrachen sich oder spieen ihr Essen wieder aus.[30]
2.6 Bau- und Weiheopfer
Unter Bauopfer versteht man die Opferung eines Menschen im Zusammenhang mit der Fertigstellung eines Bauwerks. Ihm liegt die Vorstellung von einer Verknüpfung von menschlicher Seele und Bauwerk zugrunde. Das Bauopfer, welches meist in oder unter dem Bauwerk deponiert wurde, sollte die Funktion des Baus verstärken und ihm eine Seele geben. Wie den meisten Opferungen lag auch dem Bauopfer die Angst vor bösen Mächten zugrunde. In diesem Fall fiel dem Bauopfer die Aufgabe zu, das Gebäude vor den Machenschaften der dort ansässig vermuteten bösen Geister zu schützen. Bauopfer werden aus allen Erdteilen überliefert. Gefunden wurden menschliche Skelette zum Beispiel unter Wachtürmen, in Stadtmauern und unter Tempeln.[31]
2.7 Kannibalismus
Der Begriff Kannibalismus leitet sich von dem Wort canibales ab und wurde durch Christopher Kolumbus geprägt. Das Wort canibales verweist auf einen Verständnisfehler, denn Kolumbus bezeichnete damit den Stamm der Kariben, die seiner Auffassung nach Kannibalismus praktizierten.[32] Die wissenschaftliche Bezeichnung für Kannibalismus ist Anthropophagie. Neben Christopher Kolumbus gab es viele Eroberer, die der Nachwelt Dokumentationen über Kannibalismus der amerikanischen Ureinwohner hinterließen. Die Schwierigkeit bei dem Umgang mit diesen historischen Quellen liegt darin, dass die europäischen Eroberer dereinst auf ihnen völlig unverständliche Kulturen stießen, deren Riten sie aus ihrem europäischem religiös –kulturellen Kontext heraus nicht verstehen konnten. Hinzu kamen die politischen Umstände, die nach Rechtfertigungen für Versklavung und Völkermord suchten und sich auf Berichterstattungen demagogisch auswirkten. So gibt es wissenschaftliche Theorien, die historische Dokumentationen von Kannibalismus der Konquistadoren als gezielt demagogische Verleumdungen betrachten, die einen Mythos heraufbeschworen, um einen systematischen Völkermord mit der angeblichen Überlegenheit ihrer Kultur zu rechtfertigen.
Nach dieser Theorie handelt es sich beim Phänomen Kannibalismus um einen systematisch erschaffenen Mythos, dessen soziale Funktion es ist, die eigene kulturelle oder religiöse Gemeinschaft gegenüber anderen durch Feindbilder abzugrenzen, um so die eigene soziale Einheit zu stärken.[33]
Tatsächlich lässt sich Kannibalismus und Menschenopferung als rein verleumderisches Element zur Erschaffung von Feindbildern vielfältig nachweisen. So beschuldigte man Juden, Christen und Hexen[34] in Zeiten der Verfolgung neben Homosexualität, Pädophilie und Inzest des rituellen Menschenmordes und machte sie so zu Sündenböcken für Seuchen und Missstände, während in Kriegen und politischen Spannungen gezielt verstreute Gerüchte über rituellen Kannibalismus Feindbilder und Kampfeswillen schürten. (Als Beispiel beschuldigte man im Mittelalter die Juden, für die Zubereitung ihrer Pessachbrote das Blut geschlachteter Christenkinder zu verwenden. Hannibal unterstellte man indes seine Krieger mit Menschenfleisch gespeist zu haben, um sie blutrünstiger zu machen.)[35]
Allerdings spricht viel zu viel dagegen kulturell anerkannten Kannibalismus als reines Phantasieprodukt zur Diffamierung von Minderheiten zu deklarieren! Meiner Meinung nach ist die Leugnung dieses Kults kennzeichnend für die gesellschaftliche und politische Tabuisierung dieses Themas.
Kannibalismus lässt sich nach der Auswahl der Opfer unterteilen in Exokannibalismus, Endokannibalismus und Autokannibalismus.[36]
Unter Exokannibalismus versteht man das Verspeisen von Feinden, wobei es sich meist um verfeindete Völker und Gruppen handelt, während Endokannibalismus das Verspeisen von Mitgliedern des eigenen Stammes oder Gruppe beschreibt. Meist handelt es sich dabei um das Verspeisen der Toten, die eines natürlichen Todes gestorben sind. Beim seltener vorkommenden Autokannibalismus handelt es sich um das Verzehren eigener Körperteile, was hauptsächlich unter Zwang und Folter geschieht.
Detaillierter ist die Aufteilung nach dem Aspekt der Motivation, wobei man bedenken sollte, dass sich in der Praxis mehrere Motive für Kannibalismus überlagern können.
Grundsätzlich lässt sich unterscheiden zwischen profanem und sakralem/kulturellem Kannibalismus. Während beim profanen Kannibalismus religiöse Motive nicht zum Tragen kommen, gründet sich der sakrale/kulturelle Kannibalismus auf religiöse Vorstellungen und kultische Verpflichtungen.
Zu dem profanen Kannibalismus lässt sich Kannibalismus aus Rache, Hass, Abschreckung oder Machtdemonstration zählen, des Weiteren Kannibalismus aus Hunger in Krisenzeiten (existenzieller Kannibalismus), kulinarischer Kannibalismus und pathologischer Kannibalismus. Unter dem sakralen/kulturellen Kannibalismus fallen der mystische und der magische Kannibalismus mit dem medizinischen Kannibalismus als Untergruppe.
Neben dem profanen und sakralen Kannibalismus gibt es eine weitere Form des Kannibalismus, die sich nicht eindeutig zuordnen lässt. Es ist dies der gerichtliche Kannibalismus, welcher sich gegen Verbrecher richtet und sowohl religiöse als auch profane Motive beinhalten kann.
Unter existenziellem Kannibalismus versteht man das Verzehren von Toten in Notzeiten, so geschehen bei einem Flugzeugabsturz in den chilenischen Anden 1972, wo eine Rugbymannschaft aus Uruguay sich durch das Essen der tödlich Verunglückten ihre Lebensexistenz sicherte.[37] [38] Auch in den beiden großen Weltkriegen soll es Fälle von Hungerkannibalismus gegeben haben; man spricht daher auch von Kriegskannibalismus.[39] Bei dem kulinarischen Kannibalismus hingegen geht es dem Kannibalen ausschließlich um den Genuss des Menschenfleisches. Der pathologische Kannibalismus beschreibt die triebhafte Gier nach Menschenfleisch bei psychisch kranken Triebverbrechern und geht oft einher mit sexuellen Motiven. So geschehen bei dem Kannibalen Issei Sagawa, der durch das Verspeisen seiner Kommilitonin im Jahr 1981 und der anschließenden Veröffentlichung seines Verbrechens, in Form einer Autobiographie, in Japan traurige Berühmtheit erlangte.[40]
Der mystische Kannibalismus basiert auf dem Bestreben sich mit dem Göttlichen zu vereinigen (Unio mystica). Wie beim magischen Kannibalismus liegt ihm die Vorstellung zugrunde, sich mit der Aufnahme von Körperteilen und Blut auch psychische und physische Potenzen des Verstorbenen beziehungsweise des ihm geweihten Gottes einzuverleiben.[41] [42] Ein ähnlicher Gedankengang geht dem medizinischen Kannibalismus voraus, bei dem menschliche Überreste aufgrund einer angeblichen heilenden Wirkung verspeist werden. Diese Form von Kannibalismus war nach zahlreichen Belegen aus dem Volksglauben in Europa sehr verbreitet[43], wo man das Blut von Gehängten zu Medizin verarbeitete[44] oder Mumienbestandteile aus Ägypten importierte, um es in den Apotheken, verarbeitet zu medizinischen Produkten, zu verkaufen.
Auch die Vorstellung, dass eine Schwangerschaft die Resultat einer Mahlzeit ist, konnte zu Kannibalismus von Verstorbenen führen, glaubte man doch damit, die verstorbene Seele zu reinkarnieren.[45]
[...]
[1] www.m-ww.de/kontrovers/kannibalismus.html?: 08.06.2003
[2] Kuhner, Hans-Peter, S. 19
[3] Rind, Michael M., S. 62
[4] Kuhne r, Hans-Peter, S. 20
[5] Girard, Rene, http://www.furche.at/fu2000/fu41-00/4.htm:11.02.2003
[6] Kuhner, Hans-Peter, S. 181-182
[7] Rind, Michael M., S. 62
[8] Rind, Michael M., S. 66
[9] Kuhner, Hans-Peter, S. 178
[10] Rind, Michael M. S. 39
[11] Kuhner, Hans-Peter, S. 184
[12] Kuhner, Hans-Peter, S. 21
[13] Kuhner, Hans-Peter, S. 88
[14] Schulz, Matthias, S. 170
[15] Kuhner, Hans-Peter, S. 184
[16] Rind, Michael M., S. 39
[17] http://www.lebenslust.at/wellness/wusstensieschon/kannibalismus/seite2.ihtml: 05.04.2003
[18] http://www.m-ww.de/kontrovers/kannibalismus.html: 08.06.2003
[19] Kuhner, Hans-Peter, S. 178
[20] Rind, Michael M., S. 51-52
[21] Rind, Michael M., S. 59-60
[22] Rind, Michael M., S. 53-54
[23] Rind, Michael M., S. 51
[24] Rind, Michael M., S. 53
[25] Kuhner, Hans-Peter, S. 71-72
[26] Rind, Michael M., S. 57-58
[27] Rind, Michael M., S. 56-57
[28] http://geo.de/GEO/medizin_psychologie_2001_10_GEO_11_anthropologie/?SD: 05.04.2003
[29] Disselhoff, Hans Dietrich, S. 248
[30] http://www.sandammeer.atkulinarr/kannibalismus.htm: 05.04.2003
[31] Rind, Michael M., S. 35-38
[32] Rind, Michael M., S. 29
[33] http://www.johanesschulzinfo.de/trinken/essen6.htm: 10.01.2003
[34] Rind, Michael M., S. 67
[35] Rind, Michael M., S. 30-31
[36] White, Tim D., S. 40
[37] White, Tim D., S. 40
[38] http://www.lexi-tv.de/lexikon/thema.asp?InhaltID=1046&Seite=1: 04.04.2003
[39] http://www.geo.de/kap4a/40dd0004.htm: 05.04.2003
[40] http://www.wodka-apfelsaft.de/sagawa.htm: 11.07.2003
[41] Rind, Michael M., S. 34
[42] Wahl, Detlev, S. 62
[43] Rind, Michael M., S.39
[44] Rind, Michael M., S.34
[45] http://www.lebenslust.at/wellness/wusstensieschon/kannibalismus/Seite2.ihtml: 10.05.2003
- Citation du texte
- Verena Diefenbach (Auteur), 2003, Menschenopfer, Kannibalismus und Opferkult, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/17431
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