In dieser Arbeit
soll die Theorie der funktionalen Differenzierung nach Luhmann erläutert werden, um danach über
den Begriff der Kommunikation und die damit verbundenen Besonderheiten in der Systemtheorie
zu erklären, welche Auswirkungen die funktionale Differenzierung in Bezug auf die Reaktionsfähigkeit
der Gesellschaft hat, wenn es um ökologische Gefährdungen geht.
Gliederung
Einleitung
1. Beschreibung der Gesellschaft als funktional differenzierte Gesellschaft
1.1 Gesellschaft
1.2 Die Umwelt der Gesellschaft
1.3 Funktionale Differenzierung
2. Kommunikation
2.1 Der Kommunikationsbegriff der Systemtheorie
3. Auswirkungen der funktionalen Differenzierung am Beispiel ökologischer Gefährdungen
3.1 Das Problem
3.2 Folgen der funktionalen Differenzierung
3.3 Warnung vor zu hohen Erwartungen
3.4 Die Kommunikation ökologischer Probleme
Literatur
Einleitung
Die folgende Ausarbeitung eines Referates, welches im Wintersemester 2008/2009 im Seminar „Differenzierungstheorien“ von Herrn Gregor Bongaerts abgehalten wurde, befasst sich mit der Differenzierungstheorie nach Niklas Luhmann. Kerntext des Referats war der Aufsatz „Kann die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen einstellen?“ (Luhmann 1996). Im Folgenden soll die Theorie der funktionalen Differenzierung nach Luhmann erläutert werden, um danach über den Begriff der Kommunikation und die damit verbundenen Besonderheiten in der Systemtheorie zu erklären, welche Auswirkungen die funktionale Differenzierung in Bezug auf die Reaktionsfähigkeit der Gesellschaft hat, wenn es um ökologische Gefährdungen geht.
2. Beschreibung der Gesellschaft als funktional differenzierte Gesellschaft
1.1 Gesellschaft
Um die funktionale Differenzierung der Gesellschaft zu erörtern, erscheint es zunächst sinnvoll den Begriff der Gesellschaft zu klären. Gesellschaft ist nach Luhmann als Begriff für die Einheit des Sozialen definiert. Sie ist das umfassende Sozialsystem, das alles Soziale einschließt und folglich keine soziale Umwelt kennt. Sie konstituiert sich aus Kommunikationen und dadurch wird alles, was Kommunikation ist, zur Gesellschaft - das Paradebeispiel der autopoietischen Sozialsysteme. Es kann keine Kommunikationen außerhalb der Gesellschaft geben, da jegliche Kommunikation die Gesellschaft reproduziert. Die Grenze zwischen System (Gesellschaft) und Umwelt (Natur, Menschen) wird dementsprechend dort gezogen, wo die Kommunikation ihre Grenzen hat. Alle nichtkommunikativen Sachverhalte liegen außerhalb der Gesellschaft, somit auch Menschen als psychische und physische Systeme, da diese nicht kommunizierbar sind. Mit anderen Worten ist Gesellschaft die Menge aller füreinander anschlussfähigen Kommunikationen; ihre Grenzen können daher weder territorial noch an Personengruppen festgemacht werden und sie muss folglich als Weltgesellschaft (im Sinne der Reichweite von Kommunikation) gedacht werden (vgl. Luhmann 1988:555ff).
1.2 Die Umwelt der Gesellschaft
Im Unterschied zu allen anderen Sozialsystemen ist die Gesellschaft gegen ihre Umwelt ausnahmslos geschlossen, kann also auf der Ebene ihres eigenen Funktionierens keine Kontakte mit der Umwelt aufnehmen. Dennoch ist sie ein System in einer Umwelt, nur kann diese Umwelt lediglich über Sensoren vermittelt als Information in das System eingespeist werden. Notwendig wird dies, weil Kommunikation als konstitutives Element der Gesellschaft für ihr eigenes Operieren auf Information angewiesen ist. Kommunikation über Kommunikation, also das Verarbeiten von Kommunikation als Information, kommt zwar auch vor, bildet aber nur einen geringen Anteil an der Gesamtkommunikation. Kommunikation ist in der Regel nicht selbstgenügsam, daher ist sie auf Menschen angewiesen, die als Sensoren die Umwelt wahrnehmen und als Information in die Kommunikation eingeben. Luhmann bezeichnet diesen Sachverhalt als Interpenetration, auf die gerade autopoieti- sche, selbstreferentiell geschlossene Systeme als Bedingung der Möglichkeit ihrer Genese und Reproduktion angewiesen sind (vgl. ders.:556ff).
Erst durch Interpenetration wird es möglich, „Funktionsebenen des operativen Prozessierens von Informationen getrennt zu halten und trotzdem zu verbinden, also Systeme zu realisieren, die in Bezug auf ihre Umwelt zugleich geschlossen und offen sind“ (Luhmann 1988:558).
1.3 Funktionale Differenzierung
Luhmann definiert den Begriff der modernen Gesellschaft über die Form ihrer Differenzierung. Danach ist die Gesellschaft mit dem Übergang von der stratifikatorischen zur funktionalen Differenzierung modern geworden (vgl Luhmann 1998: 743f). Welche Differenzierungsformen es vor der Moderne gab, soll kurz umrissen werden.
Die einfachste und früheste Differenzierungsform war die natürlich gewachsene segmentäre Differenzierung. Segmentär bedeutet die Differenzierung in gleichwertige Segmente, in diesem Fall Familien, Stämme, Clans oder Siedlungen. Differenzierung bedeutet dabei Schaffung einer Differenz von System und Umwelt, also die Grenzziehung zwischen Selbstreferenz und Fremdreferenz. Die einzelnen Systeme existieren in der segmentären Differenzierung nebeneinander, die Zugehörigkeit zu einem System wird durch Geburt oder Heirat, im Falle von Siedlungen durch Zuzug geregelt. Alle anderen Segmente werden aus Sicht eines solchen Systems zur (gleichwertigen) Umwelt.
Mit der Ausbildung von stratifikatorischer Differenzierung, also der Einteilung Gesellschaft in Schichten, wird ein neues Ordnungsmerkmal etabliert, das sich über die segmentäre Differenzierung legt. Zwar ist die Gesellschaft nach wie vor aus Segmenten (Familien etc.) zusammengesetzt, primäre Unterscheidung wird jedoch der Stand. Es bildet sich eine Adelsschicht heraus, deren Umwelt die unteren Schichten sind und umgekehrt, und ein Übergang zwischen den Schichten ist kaum möglich, da die Schichtzugehörigkeit über Herkunft geregelt wird.
Innerhalb der Schichten werden Kommunikation und Arbeitsteilung sowie die Ausprägung von Rollen erleichtert, und sowohl interne Komplexität als auch die Komplexität der Beziehungen zur Umwelt gesteigert (vgl. Luhmann 1980:25f).
Etwa seit dem 18. Jahrhundert beginnt die Umstellung der primären Differenzierungsform in Hinsicht auf Funktionssysteme. Das bedeutet, dass operativ geschlossene Systeme ausdifferenziert werden, die eine bestimmte Funktion für das Gesamtsystem Gesellschaft erfüllen, die von keinem anderen System erfüllt wird. Diese Funktion wird allen anderen Funktionen vorgeordnet. Operative Geschlossenheit der Systeme bedeutet, dass die Systeme auf Basis ihrer Operationen die Grenze zu ihrer Umwelt konstituieren, und diese Systemgrenzen (und damit das System selber) durch eben diese Operationen reproduzieren.
Die Orientierung an einem Funktionsprimat ist jedoch nicht ausreichend für die Autopoiesis, also die Selbstreproduktion der Funktionssysteme. Sie benötigt eine binäre Codierung, also eine zweiseitige Unterscheidung, um sicherzustellen, dass das System sich nicht an einem Ziel festläuft und aufhört zu operieren. „Während mit der Funktionsorientierung das System die Überlegenheit seiner eigenen Optionen verteidigt [...], reflektiert es über den negativen Wert seines Codes die Kriterienbedürftigkeit aller eigenen Operationen“ (Luhmann 1998:749). Am Beispiel des Wirtschaftssystems bedeutet dies, dass die Funktion der Wirtschaft in der zukünftigen Versorgung unter der Bedingung von Knappheit liegt. Der Code 'Zahlen/Nicht-Zahlen' ermöglicht die Orientierung der eigenen Operationen an der Positivseite: Die Wirtschaft ist bestrebt, sich an Zahlung (bzw. Zahlungsfähigkeit) zu orientieren, um ihre Funktion erfüllen zu können. Der Negativwert NichtZahlen (bzw. Zahlungsfähigkeit) verdeutlicht dabei die Bedingung, unter der die Funktion nicht mehr erfüllt werden kann.
Jede Operation des Systems bezieht sich auf diesen Code und stellt damit sicher, dass immer eine Anschlusskommunikation möglich ist, die zum Gegenwert übergehen kann. Damit wird Teleologie verhindert und der Bestand des Systems gesichert (vgl. ders.:749). Indem sich jede Codierung als Form, genauer als Zwei-Seiten-Form, von allen anderen Formen unterscheidet, wird der Übergang von der einen Seite der Form zur anderen Seite der Form erleichtert, da alles, was mit dem Code erfasst wird, kontingent bleibt - also auch den anderen Wert annehmen könnte. Daher müssen die Systeme zusätzlich zu den Codes Programme entwerfen, die in Form von Entscheidungsregeln festlegen, wann ein Sachverhalt der einen oder der anderen Seite des Codes zugeordnet werden muss. Ein Beispiel für solche Programme sind die Methoden und Theorien, derer die Wissenschaft sich bedient um festzustellen, ob ein Sachverhalt wahr oder unwahr ist. Wie man an dem Beispiel erkennt, ist der Code des Systems über die Zeit stabil, die Programme jedoch variabel im Sinne der Anpassung an neue Trends, Erkenntnisse und Möglichkeiten. Ein anderes Beispiel für Programme sind Gesetze, die im Rechtssystem die Zuordnung von Sachverhalten zu einer der beiden Ausprägungen des Codes 'Recht/Unrecht' ermöglicht. Auch hier lässt sich die zeitliche Stabilität des Codes bei Variabilität der Programme historisch leicht nachvollziehen.
Jedes Funktionssystem grenzt sich durch die Orientierung seiner Operationen an seinem, ausschließlich für dieses System gültigen, Code gegenüber allen anderen Funktionssystemen ab. Kein Funktionssystem kann daher die Funktion eines anderen Systems übernehmen, bei gleichzeitiger Abhängigkeit davon, dass die anderen Funktionen von den jeweils anderen Funktionssystemen übernommen werden (vgl. ders.:753).
Zwischen den Funktionssystemen kommt es zwar zu Leistungsbeziehungen, jedoch nie zur gegenseitigen Übernahme von Funktionen. So ist zum Beispiel die Wirtschaft mit dem Recht über die Institutionen des Vertrags und des Eigentums strukturell gekoppelt, d.h. das Rechtssystem stellt mit dem Vertrags- und Eigentumsrecht eine wichtige Basis für die Operationen des Wirtschaftssystems zur Verfügung. Gleichzeitig bleiben die Operationen der Wirtschaft darauf ausgerichtet, die eigene Zahlungsfähigkeit sicher zu stellen, und nicht darauf zu entscheiden, ob etwas Recht oder Unrecht ist. Genauso wenig wird das Rechtssystem die Entscheidung, ob etwas Recht oder Unrecht ist, an zukünftiger Zahlungsfähigkeit ausrichten, sondern ausschließlich an geltenden Rechtsbeständen. Politische Entscheidungen richten sich ebenfalls ausschließlich an der Codierung 'Machterhalt/Machtverlust'1 aus, auch wenn es sich dabei um eine wirtschaftspolitische Entscheidung handeln sollte. Stellt die Politik beispielsweise Zahlungsfähigkeit für Unternehmen durch Bürgschaften her, wie es im Rahmen der aktuellen Finanzkrise geschieht, so ist diese Entscheidung nicht auf Basis der Codierung des Wirtschaftssystem motiviert, sondern richtet sich danach aus, ob eine solche Sicherstellung der Zahlungsfähigkeit eines Unternehmen politisch honoriert wird. Unter der Annahme, dass die Wirtschaft Promotor von Wohlstand ist, und Wohlstandserhaltung von den Wählern honoriert wird, wohingegen die Zahlungsunfähigkeit des fraglichen Unternehmens zur Wohlstandsminderung großer Bevölkerungsteile führen würde, die diese Minderung wiederum der politischen Entscheidung zurechnen würden, wird dann eine politische Einflussnahme auf wirtschaftliche Prozesse politisch (also in Bezug auf Machterhalt vs. Machtverlust) sinnvoll.
An diesem Beispiel lässt sich zudem eine wichtige Konsequenz der Umstellung auf funktionale Differenzierung ablesen und erklären: „Die Umstellung des Beobachtens auf ein Beobachten zweiter Ordnung, also auf ein Beobachten von Beobachtern“ (ders.:766). Die beobachteten Beobachter befinden sich dabei in der Regel in der Umwelt des Systems. Während der Zeit der stratifikatorischen Differenzierung beobachtete der Adel sich selbst und war weitestgehend indifferent dem gegenüber, wie er vom einfachen Volk wahrgenommen wurde. Am politischen System lässt sich anschaulich zeigen, warum dies in einer funktional ausdifferenzierten Gesellschaft kaum mehr möglich ist: Zumindest in demokratischen Gesellschaften ist die Politik bei der Ausrichtung ihrer Operationen in Bezug auf ihren Code auf die Beobachtung der Wähler angewiesen, da diese vermittels periodischer Wahlen über Machterhalt und Machtverlust entscheiden. Die Politik hat sich daher darauf eingestellt, sich selbst im Spiegel der öffentlichen Meinung wahrzunehmen, also zu beobachten, wie ihre eigenen Inszenierungen von der Öffentlichkeit beobachtet (und bewertet) werden. Basierend auf dieser Beobachtung von Beobachtern werden dann Programme entworfen und Positionen bezogen, Entscheidungen - wie die oben angeführte - hinterfragt und nicht zuletzt versucht, sich ein öffentliches Image zu erschaffen, immer unter dem Blickwinkel, welche Reaktionen seitens der Beobachter hinsichtlich ihres Wahlverhaltens antizipiert werden. Das wirtschaftliche Äquivalent zur öffentlichen Meinung als Instrument der Selbstbeobachtung in der Politik ist der Markt, der es wirtschaftlichen Organisationen (z.B. Produktionsbetrieben) erlaubt zu beobachten, wie andere Beobachter (Konsumenten und Produzenten) beobachten. Die Organisation wird ihr eigenes Verhalten entsprechend ihrer Beobachtung ausrichten, also beispielsweise Güter zu bestimmten Preisen anbieten, von denen sie aufgrund ihrer Marktbeobachtung annehmen kann, dass dieser Preis von den Beobachtern als angemessen wahrgenommen wird.
2. Kommunikation
2.1 Der Kommunikationsbegriff der Systemtheorie
Wie bereits ausgeführt, sind die Grenzen der Gesellschaft die Grenzen der Kommunikation, und auch die Funktionssysteme produzieren und reproduzieren sich über Kommunikation als Basisoperation, die allen anderen Operationen zugrunde liegt. Kommunikation ist also die basale Operation, die als Bedingung der Genese von Sozialsystemen vorausgesetzt werden muss. Dabei unterscheidet sich der Kommunikationsbegriff der Systemtheorie von der intuitiven Auffassung dessen, was Kommunikation sei und wie diese funktioniere. Alltagsverständlich wird Kommunikation meistens begriffen als die Übertragung von Informationen zwischen Individuen, die kommunizieren. Dabei ist die verbreitete Vorstellung, dass es einen Sender gäbe, der einen bestimmten Sachverhalt in Richtung eines Empfängers kommuniziert, und das Verstehen bzw. Missverstehen dieses Sachverhalts bezieht sich in dieser Vorstellung auf die inhaltliche Übertragung der Information.
Nach Luhmann (Luhmann 1995) ist Kommunikation jedoch ein eigenständiger Sachverhalt, der ohne Bezugnahme auf Bewusstsein Bestand hat, wodurch die Vorstellung von Sender und Empfänger und der Übermittlung von Inhalten zwischen zwei Bewusstseinssystemen, aufgegeben werden.
[...]
1 Alternativ bieten sich Codierungen wie 'Regierung/Opposition' oder 'Macht/Ohnmacht' an. In der Literatur lassen sich verschiedene Varianten finden. Die Seiten des Codes sindjedoch injeder Variante mit der gleichen Bedeutung versehen: Auf der Positivseite steht die Sicherung bzw. der Ausbau von 'Einfluss/Macht', während die Negativseite mit einem Verlust von 'Einfluss/Macht' assoziiert ist
- Arbeit zitieren
- Marian Bosse (Autor:in), 2009, Differenzierungstheorien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/173624
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