Diese Arbeit beschäftigt sich mit dem Untersuchungsfeld Social Web als Teilbereich des Internets. Das Social Web hat in den letzten Jahren durch exponentiell ansteigende Nutzerzahlen zunehmend Einfluss in die Gesellschaft erhalten. Es handelt sich um ein breitgefächertes Themengebiet, das Unmengen an Forschungsmaterial bietet. In der vorliegenden Arbeit werden soziale Netzwerke untersucht und anhand von kommunikationswissenschaftlichen Theorien durchleuchtet. Soziale Netzwerke verbinden Millionen von Nutzern weltweit und vereinfachen die Kommunikation, verändern aber auch das Verhalten der Nutzer. Die Communitys des Internets haben neue Dimensionen erreicht und auch Unternehmen können sich dem Social Web nicht mehr entziehen und sehen neue Chancen für vielfältige Marketingstrategien. Anhand einer empirischen Untersuchung wird erforscht, welche Möglichkeiten im sozialen Netzwerk Facebook für Unternehmen bestehen, sich durch Fanseiten zu positionieren. Dazu wurde eine quantitative Erhebung mittels Online-Befragung durchgeführt. Diese hat gezeigt, dass die Nutzerakzeptanz sehr hoch und noch im Begriff zu steigen ist. Umso mehr Content das Unternehmen bietet, desto mehr gefällt die Fanseite einem Nutzer und er kann sich mit dieser identifizieren. Für Unternehmen ist es noch nicht zu spät mit einzusteigen, da auch mit zunehmender Anzahl an Fanseiten das Interesse der Nutzer nicht sinkt.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Vorwort
Kurzzusammenfassung/ Abstract
I. Einleitung
1. Ausgangslage
2. Erkenntnisinteresse
3. Aufbau der Arbeit
II. Das Social Web
4. Entstehung des Social Web
5. Theorie des Social Web
5.1. Handlungstheoretischer Ansatz
5.2. Das Internet als Hybridmedium und Computerrahmen
5.3. Netzwerktheorie
5.4. Theorien der computervermittelten Kommunikation
5.5. Kern des Social Web: die Community
5.6. Conclusio
6. Praxis des Social Web
6.1. Weblogs
6.2. Wikis
6.3. Social Sharing
6.4. Social Networks
7. Marketing im Social Web
7.1. Empfehlungsmarketing
7.2. Virales Marketing
7.3. Buzz-Marketing
7.4. Social Media Marketing
III. Empirie
8. Forschungsfragen und Hypothesen
9. Online-Befragung
9.1. Methodendesign
9.2. Vorbereitung und Durchführung
9.3. Auswertung
10. Auswertung und Interpretation der Ergebnisse
10.1. Statistische Daten der Grundgesamtheit
10.2. Facebookspezifische Daten
10.3. Forschungsgeleitete Auswertung und Interpretation
IV. Fazit
V. Literaturverzeichnis
11. Literatur
12. Fachzeitschriften
13. Internetquellen
14. Sekundär Literatur
15. Weiterführende Literatur
VI. Anhang
16. Glossar
16.1. Allgemein
16.2. Facebook Glossar
17. Befragung
18. Detaillierte Grafiken
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Feldschema der Massenkommunikation von Maletzke (Academic Dictionary 2010)
Abbildung 2: Multiple Rahmen computervermittelter Kommunikation nach Höflich (2003: 80)
Abbildung 3: Unterscheidung von Primär- und Sekundärgruppen nach Cooley (1993 zit. nach Schelske 2007)
Abbildung 4: Spezifik der computerunterstützten Gruppe nach Schelske (2007: 115)
Abbildung 5: Dreiecksmodell (Ebersbach/Glaser/Heigl 2008: 35)
Abbildung 6: Bekannte Social Networks des Social Web (Social Web 2009)
Abbildung 7: Facebook-Nutzung Österreich 2009 (ikp 2009)
Abbildung 8: Facebook News Feed (2010)
Abbildung 9: Unterschiede zwischen Communitys und Content-Portalen (vgl. Wiedmann 2008: 684)
Abbildung 10: Fanseite von facebookbiz.de
Abbildung 11: Altersverteilung der Respondenten
Abbildung 12: Geschlechterverteilung der Respondenten
Abbildung 13: Berufstätigkeit der Respondenten
Abbildung 14: Höchste abgeschlossene Ausbildung der Respondenten
Abbildung 15: Facebook Nutzung der Respondenten
Abbildung 16: Anzahl Freunde in Facebook der Respondenten
Abbildung 17: Aktivitäten im Facebook der Respondenten
Abbildung 18: Privatsphäre Einstellungen der Respondeten
Abbildung 19: Bekanntheitsgrad von und Mitgliedschaft bei Fanseiten
Abbildung 20: Anzahl an Fanseiten Gesamt
Abbildung 21: Gründe für die Nicht-Mitgliedschaft bei Fanseiten
Abbildung 22: Gründe für die Mitgliedschaft bei Fanseiten
Abbildung 23: Bisherige Weiterempfehlung von Fanseiten
Abbildung 24: Kategorisierung Fanseiten
Abbildung 25: Genannte Fanseiten der Respondenten
Abbildung 26: Semantisches Differential der Merkmalsausprägungen der Fanseiten
Abbildung 27: Weiterempfehlungsbereitschaft der genannten Fanseite
Abbildung 28: Keine Weiterempfehlungsbereitschaft einer bestimmten Fanseite
Abbildung 29: Kaufbereitschaft der Respondenten
Abbildung 30: Aktivität auf den Fanseiten
Abbildung 31: Übereinstimmung mit Aussagen zu Fanseiten
Abbildung 32: Einstellung zu Fanseiten
Abbildung 33: Nutzung der Funktion „Verbergen“
Abbildung 34: Nutzung der Funktion „Verbergen“
Abbildung 35: Chi-Quadrat Test nach Pearson bei FF5
Abbildung 36: Austritt und Beitritt von Fanseiten bei Gewinnspielen
Abbildung 37: Austritt bei ausbleibender Kommunikation der Unternehmen
Abbildung 38: Austritt bei zu häufiger Kommunikation der Unternehmen
Abbildung 39: Häufigste Aktivitäten der Respondenten in Facebook
Abbildung 40: Chi-Quadrat Test nach Pearson bei FF5
Abbildung 41: Beschäftigung der Respondenten im Detail
Abbildung 42: Aufmerksamkeitsfaktor zur Registrierung auf Facebook
Abbildung 43: Aktivitäten der Respondenten im Detail
Abbildung 44: Aufteilung Anzahl Fanseiten bis 10 Fanseiten in absoluten Zahlen
Abbildung 45: Aufteilung Anzahl Fanseiten bis 10 Fanseiten in Prozent
Abbildung 46: Null-Nennungen bei Kategorisierung der Fanseiten
Abbildung 47: Aktivitäten auf Fanseiten der Respondenten im Detail
Vorwort
Mein persönliches Interesse für dieses Thema wurde im Rahmen meiner beruflichen Laufbahn in der Marketingabteilung einer Versicherungsanstalt geweckt. Ich habe mich dort mit der Möglichkeit eine neue Marketingstrategie für die Zielgruppe Studenten im Bereich des Internets zu entwickeln beschäftigt. Meine Projektgruppe sollte einen Weg finden, wie sich das Unternehmen in sozialen Netzwerken positionieren kann. Als das weltweitgrößte Netzwerk stellt Facebook viele verschiedene Möglichkeiten bereit aktiv zu werden. Da ich selbst registriertes Mitglied bin, die Plattform täglich nutze und sie dauerhafte Medienpräsenz hat, erschien es mir als geeignetes Forschungsfeld für meine Magisterarbeit.
An dieser Stelle möchte ich den Menschen danken, die mich so tatkräftig in dem letzten Jahr unterstützt haben. Meinen Freunden für ihre aufmunternden und motivierenden Worte. Meiner Familie da sie nie den Glauben an mich verloren hat, dass ich es schaffe mein Berufsleben und das Schreiben dieser Arbeit unter einen Hut zu bekommen. Meinen Universitätskolleginnen die mir hilfreiche Tipps gegeben und mir bei der Programmierung sowie Auswertung der empirischen Untersuchung zur Seite gestanden sind. Ohne all diesen Menschen wäre es mir nicht möglich gewesen diese Arbeit zu beenden. Abschließend möchte ich noch Goethe zitieren, der sehr trefflich formulierte wann man eine Arbeit beenden muss:
„So eine Arbeit wird eigentlich nie fertig,
man muss sie für fertig erklären,
wenn man nach Zeit und Umständen
das Möglichste getan hat.“
(J. W. Goethe, Italienische Reise, 16.03.1787) 6
Kurzzusammenfassung/ Abstract
Diese Magisterarbeit beschäftigt sich mit dem Untersuchungsfeld Social Web als Teilbereich des Internets. Das Social Web hat in den letzten Jahren durch exponentiell ansteigende Nutzerzahlen zunehmend Einfluss in die Gesellschaft erhalten. Es handelt sich um ein breitgefächertes Themengebiet, das Unmengen an Forschungsmaterial bietet. In der vorliegenden Arbeit werden soziale Netzwerke untersucht und anhand von kommunikationswissenschaftlichen Theorien durchleuchtet. Soziale Netzwerke verbinden Millionen von Nutzern weltweit und vereinfachen die Kommunikation, verändern aber auch das Verhalten der Nutzer. Die Communitys des Internets haben neue Dimensionen erreicht und auch Unternehmen können sich dem Social Web nicht mehr entziehen und sehen neue Chancen für vielfältige Marketingstrategien. Anhand einer empirischen Untersuchung wird erforscht, welche Möglichkeiten im sozialen Netzwerk Facebook für Unternehmen bestehen, sich durch Fanseiten zu positionieren. Dazu wurde eine quantitative Erhebung mittels Online-Befragung durchgeführt. Diese hat gezeigt, dass die Nutzerakzeptanz sehr hoch und noch im Begriff zu steigen ist. Umso mehr Content das Unternehmen bietet, desto mehr gefällt die Fanseite einem Nutzer und er kann sich mit dieser identifizieren. Für Unternehmen ist es noch nicht zu spät mit einzusteigen, da auch mit zunehmender Anzahl an Fanseiten das Interesse der Nutzer nicht sinkt.
This Master thesis preoccupies with the examination of the Social Web as a section of the internet. The Social Web Growth increased exponentially in the last couple of years and has a growing improvement on the society. This concerns an extensive topic area, which offers enormous amounts at research material. This paper is about social networks and their investigation by means of communication science theories. Social networks connect millions of users worldwide and make communication easier, but also change the users behaviour. Communities of the internet have reached new dimensions and even companies can’t work without them because they see new chances for various marketing strategies in any kind of way. With the help of an empirical research the possibilities to position themselves via fanpages in the social network facebook for companies are investigated. Therefore a quantitative collection had been made through an online survey. The result showed that the user acceptance is very high and still about to rise. The more content a company offers, the more users will like the fanpage and identify themselves with the company. It is still not too late for companies to be part of the community, because even with increasing numbers of fan sites, the interest of the users still exists
I. Einleitung
1. Ausgangslage
Das Internet hat schneller als jedes andere Medium vorher unsere Wirtschaft und Gesellschaft beeinflusst. In Österreich waren im Jahr 2009 bereits 72,3% der Bevölkerung online. In den Jahren 2000 bis 2009 wurde eine Wachstumsrate von 182,7% verzeichnet (vgl. worldstats 2009). Mit der Entstehung des Social Web, auch Web 2.0 genannt, wurde das Internet „revolutioniert“. Man spricht vom sozialen Netz, in dem sich Millionen von Menschen auf der ganzen Welt vernetzen, Informationen austauschen, Gedanken und Meinungen miteinander teilen, einkaufen, Dinge bewerten und vieles mehr machen. Computervermittelte Kommunikation ist für viele von uns zum selbstverständlichen Bestandteil des privaten sowie des betrieblichen Alltags geworden (Beck 2006: V). Durch das Internet bzw. World Wide Web hat die Massenkommunikation ein weiteres Medium dazu gewonnen, welches gleichzeitig auch Individualkommunikation beinhaltet. Es handelt sich hierbei um ein sehr breites Forschungsfeld für viele Wissenschaftsdisziplinen. In den letzten Jahren kamen unzählige Veröffentlichungen auf den Markt, die sich mit diesem Thema beschäftigen. Das Social Web bzw. Web 2.0 ist ein relativ junger Gegenstand der kommunikationswissenschaftlichen Forschung und dennoch steht es bereits im Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion. Es wird viel wissenschaftliche Forschung betrieben, hauptsächlich im universitären Umfeld. Die Forscher konzentrierten sich zunehmend auf Blogs und die Entstehung von „neuen“ Öffentlichkeiten bzw. die Entwicklung des Laienjournalismus und der Opinion LeaderForschung. Erst in den letzten Jahren sind mit den steigenden Nutzerzahlen auch soziale Netzwerke in den Fokus gerückt. Da empirische Forschung jedoch viel Zeit benötigt und es sich um einen rasch verändernden Gegenstand handelt, sind viele Publikationen oft schnell nach ihrer Veröffentlichung überholt bzw. vorwiegend als Diplomarbeiten und Dissertationen vorhanden. Auch die vorliegende Magisterarbeit beschäftigt sich mit dem Social Web und den sozialen Netzwerken, allerdings unter einem neuen Blickwinkel. Hierbei soll die Möglichkeiten für Unternehmen im Bereich Social Media Marketing aktiv zu werden, untersucht werden.
2. Erkenntnisinteresse
Das Social Web hat sich zu einem in alle Lebensbereiche übergreifenden Phänomen entwickelt. In den Nachrichten werden YouTube-Videos mit hoher View-Anzahl gezeigt, Journalismus findet durch den Blogger von nebenan hautnah statt, Menschen twittern rund um den Globus und finden durch soziale Netzwerke nach Jahren alte Freunde wieder. Die Kollaboration von Wissen ist ein bedeutendes Gut des World Wide Web. Es entsteht der Eindruck eines globalen, miteinander verwobenen Netzwerks, in dem jeder mit jedem kommunizieren und interagieren kann. Auch Unternehmen müssen im Social Web auf den verschiedensten Kanälen aktiv werden um am Puls der Zeit zu sein. Es heißt, wer nicht im Internet ist, existiert nicht. Doch die reine Existenz eines Unternehmens im World Wide Web, trägt noch nichts zu seiner Beliebtheit bei bzw. kann dem Image sogar schaden, wenn falsch gebookmarkt, gespamt, zu wenige oder zu viele Inhalte auf der Homepage vorhanden sind oder auf Kritik unsachgemäß reagiert wird. Unternehmen müssen von sich aus Teil der öffentlichen Diskussion werden und in den Dialog mit den Kunden treten.
Im Mittelpunkt der Arbeit steht die Fragestellung, wie Unternehmenskommunikation im Social Web statt findet bzw. stattfinden kann, speziell im Bereich der sozialen Netzwerke. Diese bieten vielfältige Möglichkeiten und ihre Potenziale sind noch lange nicht ausgeschöpft. Anhand von kommunikationswissenschaftlichen Theorien wie z.B. dem Handlungsansatz oder Netzwerktheorie, wird erklärt, warum Menschen sich dem Social Web zuwenden und wie sie miteinander interagieren.
Für Unternehmen bedeutet dies eine veränderte Form der Kommunikation. Sie wenden sich dem Social Media Marketing zu. Da die Erforschung aller Social Web Anwendungen den Rahmen einer Diplomarbeit sprengen würden, steht hier eine spezielle Werbeform im Bereich Social Networks im Fokus. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Untersuchung von Fanseiten des sozialen Netzwerkes Facebook und deren Nutzung durch registrierte Teilnehmer. Ziel ist es, diese Nutzung genauer zu erforschen und festzustellen, welche Auswirkungen die Mitgliedschaft bei Fanseiten auf die einzelnen Nutzer hat, bzw. welcher Mehrwert für den Nutzer und für Unternehmen dadurch entstehen kann. Anhand von quantitativen Daten wird die Art der Nutzung von Fanseiten erhoben. Als Ausgangsbasis für die im Rahmen dieser Arbeit durchgeführte Untersuchung wurden folgende Forschungsfragen definiert:
FF1: Wie beeinflusst die Interaktivität der Kommunikation eines Unternehmens auf einer Facebook Fanseite die Weiterempfehlung der Fanseite durch die Rezipienten?
FF2: Wie beeinflusst die Interaktivität der Kommunikation eines Unternehmens auf einer Facebook Fanseite die Grundeinstellung der Rezipienten der Fanseite gegenüber?
FF3: Was sagt die Anzahl an Mitgliedschaften an Fanseiten über die Identifizierung mit den einzelnen Unternehmen aus?
FF4: Was sagt die Anzahl an Mitgliedschaften an Fanseiten über die Weiterempfehlungsbereitschaft der Nutzer aus?
FF5: Was sagt die Anzahl an Mitgliedschaften an Fanseiten über die aktive Teilnahme der Nutzer auf der Fanseite aus?
FF6: Welche Auswirkungen haben Gewinnspiele auf die Nutzerzahlen von Unternehmens-Fanseiten in Facebook?
FF7: Welche Auswirkung hat eine ausbleibende Kommunikation der Unternehmen durch ihre Fanseite auf die Mitgliedschaft die Nutzer?
FF8: Welche Auswirkung hat eine regelmäßige Kommunikation der Unternehmen über ihre Fanseite auf die Mitgliedschaft der Nutzer?
FF9: Welche Auswirkung hat eine häufige Kommunikation der Unternehmen durch ihre Fanseite auf die Mitgliedschaft die Nutzer?
FF10: Was sagt die Aktivität der einzelnen Nutzer im Facebook allgemein über ihre Mitgliedschaft bei Fanseiten aus?
3. Aufbau der Arbeit
Im nachstehenden Kapitel findet sich zunächst eine Einführung in die Entstehung des Social Webs sowie eine kurze zeitliche Auflistung der Gründungen einiger Social Web Anwendungen. Kapitel II beleuchtet die theoretischen Hintergründe der Arbeit und zieht einen Bogen, begonnen bei den handlungstheoretischen Ansätzen über die Netzwerktheorie bis zu ausgewählten Theorien und Modellen der computervermittelten Kommunikation. Dem Kern des Social Webs, der Community, widmet sich das Kapitel 5.5. Die theoretischen Erläuterungen finden hier Eingang. Kapitel 6 geht detaillierter auf die einzelnen Social Web Anwendungen ein und legt ein besonderes Augenmerk auf den Untersuchungsgegenstand Facebook. Kapitel 7 beschäftigt sich mit dem Social Web aus Unternehmenssicht. Die Veränderung des Marketings durch das Social Web wird mittels ausgewählter Strategien dargestellt. Teil III der Arbeit widmet sich der empirischen Untersuchung der Fanseiten des sozialen Netzwerkes Facebook und stellt die Ergebnisse dar. Abschließend werden diese in Teil IV reflektiert und ein Ausblick auf mögliche Entwicklungen gegeben.
In der gesamten Arbeit wird zur leichteren Leseweise auf Doppelnennung der beiden Geschlechter verzichtet. Alle Angaben, außer explizit ausgewiesen, beziehen sich immer auf Frauen und Männer.
II. Das Social Web
„Social Web“, „Web 2.0“ und „Social Software“ - diese Begriffe sind zur Zeit in aller Munde und weisen auf die gleichen sozialen Phänomene im World Wide Web hin, die sich in den letzten Jahren immer mehr zu alltäglichen Einflüssen in unserem Leben entwickelt haben. Um die Phänomene wissenschaftlich betrachten zu können, muss zunächst eine Begriffsdefinition stattfinden, die die Unterschiede und Gemeinsamkeiten verdeutlicht.
An sich scheint der Begriff „Social Web“ noch sehr jung, dennoch fand bereits im Oktober 2004 die erste Web 2.0 Konferenz der Welt statt - auf dieser begründete der amerikanische Verleger Tim O’Reilly die Definition von Web 2.0. Fünf Jahre später hat das Web 2.0, oder auch Social Web, Einzug in das tägliche Leben vieler Menschen gefunden. Nicht nur Nerds, Online-Gamer, Programmierer bzw. Informatiker oder Menschen mit ausgeprägtem Hang zur Online-Welt und dem Internet, kennen sich im Internet aus, darüber hinausgehend sie verwenden es als festen Bestandteil im alltäglichen Ablauf. Eine gewisse Affinität zum World Wide Web reicht bereits aus, um von dem Hype rund um das Social Web erfasst zu werden. Begriffe wie Social Networking, Blogs, RSS-Feeds oder Podcast werden selbstverständlich in den Medien benutzt und bedürfen dort keiner weiteren Erklärung. Meistgesehene Videos von YouTube werden in den Nachrichten gezeigt, Benutzerzahlen der einzelnen Social Web Anwendungen werden laufend veröffentlicht oder Blogger als neue Journalisten betitelt. Zeitungsartikel werden Online nachgelesen, wenn nicht schon im Ganzen virtuell konsumiert, und interessante Funktionen werden mittels Bookmarking in diversen sozialen Netzwerken gleich an Freunde und Bekannte weiterverteilt. Kurz, das Social Web ist nicht mehr nur in der Online-Welt Thema, sondern verschmilzt immer mehr mit der Offline-Welt.
Der Begriff “Web 2.0” wurde von Tim O’Reilly folgendermaßen definiert:
“Web 2.0 is the business revolution in the computer industry caused by the move to the internet as platform, and an attempt to understand the rules for success on that new platform. Chief among those rules is this: Build applications that harness network effects to get better the more people use them.” (O’Reilly 2006).
Diese Definition beinhaltet ein zentrales Element des Internets: je mehr Menschen es benutzen, desto besser und relevanter wird es.
Der Begriff hat sich rasch verbreitet und gilt inzwischen als Chiffre, um eine Reihe von Veränderungen zusammenzufassen. Der Zusatz „2.0“ nimmt Bezug auf SoftwareVersionen, welche fortlaufende Nummern haben, um die Aktualität der Versionen auf den ersten Blick sehen zu können. Jedoch gilt eine neue Version in der Programmierung als grundlegende Veränderung, die einen Bruch mit vorhergehenden Versionen beinhaltet, und daher bringt der Begriff eine Assoziation mit einem tief greifenden Wandel des Internets mit sich. Die gegenwärtige Situation ist dagegen kein revolutionärer Bruch in der Entwicklung, sondern das Ergebnis eines kontinuierlichen bzw. inkrementellen Wandels. Aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht scheint der Begriff „Social Web“ besser geeignet, um die Prozesse und Strukturen unter einer Definition zu vereinen. Einerseits enthält er keine Unterscheidungen zeitlicher Phasen, verweist auf das World Wide Web als zunehmend universalen Dienst des Internets und betont den grundlegenden Charakter desjenigen Bereichs des Internets, der Kommunikation und anderes aufeinander bezogenes Handeln zwischen Nutzern fördert, also über die Mensch-Maschine-Interaktion hinausgeht (vgl. Schmidt 2008: S. 19ff). Man kann in diesem Sinne auch von einer Sozialisierung des World Wide Webs sprechen.
Ebersbach u.a. (2008) verweisen darauf, dass das Social Web ein Teilbereich des Web 2.0 ist, sich auf die Unterstützung sozialer Strukturen und Interaktionen über das Netz bezieht und neue Formate oder Programmarchitekturen ausschließt. Als Ausgangspunkt für ihre Definition des „Social Web“ wird die „Social Software“-Definition von Hippner (2006 zit. nach ebd.: 29) herangezogen, welche „webbasierte Anwendungen, die für Menschen, den Informationsaustausch, den Beziehungsaufbau und die Kommunikation in einem sozialen Kontext unterstützen“, umfasst. Als eindeutiges Abgrenzungskriterium für „Social Web“ zählt das World Wide Web, d.h. nur webbasierte Anwendungen, die im Browser laufen und nicht von externen Komponenten abhängen, sind Teil davon. Plattformen, die eine eigenständige Software benötigen, werden dadurch ausgeschlossen. Es muss möglich sein, sich im Social Web von jedem Internet-Zugang weltweit zu bewegen, ohne auch nur irgendeine Art Applikation zu downloaden - Voraussetzung ist einzig und allein ein Webbrowser. Weiters gehen die Autoren auf die Doppeldeutigkeit des englischen Begriffes „social“ ein und verweisen darauf, dass dieser einerseits mit „gesellschaftlich“ und andererseits mit „gesellig“ übersetzt wird, also eine gesellschaftliche und eine gemeinschaftliche Dimension beinhaltet, deren unterschiedlichen Zielsetzungen in der Definition Rechnung getragen werden soll. In der Gemeinschaft überwiegt das emotionale Moment, wie in der Familie oder im Freundeskreis, während man sich der Gesellschaft aus rationalen Gründen anschließt und diese eher unpersönlich ist. Während „Social Software“ rein auf Programme und Anwendungen abzielt, sind „Social Web“-Anwendungen ohne dazugehörige Community nicht denkbar (vgl. Ebersbach/ Glaser/ Heigl 2008: 29f).
„Das „Social Web“ besteht aus:
(im Sinne des WWW) webbasierten Anwendungen,
die für Menschen
den Informationsaustausch, den Beziehungsaufbau und deren Pflege, die Kommunikation und die kollaborative Zusammenarbeit
in einem gesellschaftlichen oder gemeinschaftlichen Kontext unterstützen, sowie
den Daten, die dabei entstehen und
den Beziehungen zwischen Menschen, die diese Anwendungen nutzen.“ (ebd.: 31)
Diese Definition umfasst somit nicht nur das World Wide Web, sondern verweist auch auf die unterschiedlichen Ebenen der Interaktionen der Menschen im gesellschaftlichen und gemeinschaftlichen Sinn und die Datenaufbereitung als gemeinsamen Output, der durch die Zusammenarbeit und Beziehung entsteht. Wesentliche Prinzipien, die alle diese Formen mehr oder weniger gemeinsam haben, sind:
Das Individuum bzw. die Gruppe steht im Mittelpunkt. Wesentlich sind die Funktionen der Kommunikation untereinander. Aktionen des Einzelnen sind nachvollziehbar, da alle Dienste personalisiert sind.
Integration in die Gruppe steht im Vordergrund, und Einzelkämpfer, die auf Kosten der Community arbeiten, werden nicht gerne gesehen.
Durch das Vorherrschen einer großen Transparenz hinsichtlich der Aktionen, Daten und Zusammenhänge des Social Web ist ein Sichtbarmachen von Personen, Beziehungen, Inhalten und Bewertungen unabdingbar.
Grundlegende Idee ist die Selbstorganisation. Die Community passt die Inhalte an ihre Bedürfnisse an, macht eine Plattform zu ihrem Medium und bildet eigene Verhaltensnormen. In diesem Zusammenhang spricht man auch von einer „Demokratisierung des Web“.
Die Freiheiten der Selbstorganisation werden durch soziale Rückkoppelungen in Form von Social Ratings in Bahnen gelenkt. Durch Bewertungen der Beiträge können diese geordnet werden. Eine hohe Wertung ist somit mit Belohnung gleichzusetzen.
Die Struktur, die aus der Verknüpfung von einzelnen Informationen erwächst, liegt im Fokus. Erst durch die Verbindung und das In-Beziehung-Setzen von Beiträgen können die Inhalte ihre Stärke ausspielen. Dadurch wird eine Art kollektives Wissen aufgebaut (vgl. Hippner 2006 zit. nach ebd.: 31).
Zusammenfassend geht es im Social Web um medial vermittelte Kooperationsformen, kollektive Meinungsbildungen und den kulturellen Austausch sozialer Gruppen. Eine wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema muss sozialwissenschaftlich vorangehen, darf aber dabei Kultur und Politik nicht außer Acht lassen:
„Schließlich ist das Social Web eng mit allen gesellschaftlichen Bereichen verzahnt: Es greift in die Arbeits- und Lebensweisen von Menschen ein, es gibt klare ökonomische Interessen, politische und rechtliche Implikationen, Auswirkungen auf die Erschließung von Inhalten für Bildung und Wissenschaft. (...) Ganz generell erweitert das Social Web die Horizonte der Nutzer und grenzt sie gleichzeitig wieder ein. Es ist ein Unterhaltungsmedium, das Spaß bereitet. (...) Man erfährt sich als Teilhabende an einem Medium. Für Jugendliche, aber auch Ältere wird das Social Web zum Teil ihrer Sozialisation und Teil ihres kulturellen Austauschs.“ (Ebersbach/ Glaser/ Heigl 2008: 13)
4. Entstehung des Social Web
„Die Begriffe “Social Software” und “Social Web” selbst gibt es erst seit wenigen Jahren, aber die Entwicklung des Social Webs reicht bis in die Anfänge des Internets zurück.“ (Ebersbach/ Glaser/ Heigl 2008: 14).
Da eine umfangreiche Einführung in das Social Web die Geschichte des Internets mit einbezieht, sollen hier nur die Meilensteine aus der kommunikationswissenschaftlichen Perspektive der Entstehung erläutert werden.[1]
Der Computer diente in den 50er-Jahren dem Militär und der Wirtschaft ausschließlich als Rechenmaschine. J.C.R. Licklider, Architekt des MAC-Projektes (Multiple-Access Computer) am Massachusetts Institute of Technology (MIT), wechselte 1962 von BBN zur Advanced Research Projects Agency (ARPA) des US-Verteidigungsministeriums. BBN, ein US-Rüstungslieferant, verwendete eines der ersten Time-Sharing-Systeme, ein Mehrbenutzersystem für Großrechneranlagen. Durch Lickliders Erfahrung mit diesem System, dass sich durch die gemeinsame Nutzung der Ressourcen Teamgeist bildet, definierte er den Computer neu, indem er ihn als Kommunikationsgerät bezeichnete und nicht nur als Rechenmaschine verstand. Als Leiter des ARPA-Forschungsbereiches konnte er den Gemeinschaftsgeist in den Vordergrund stellen und brachte damit einen Paradigmenwechsel in der Netzplanung zur Wirkung. Ende der 60er-Jahre schrieb die ARPA-Forschungsabteilung verschiedene Bestandteile des neuen Netzes aus. Das Stanford Research Institute (SRI) bekam den Auftrag für die Entwicklung neuer Technologien. Eine Gruppe arbeitete zeitgleich an computergestützten Techniken zur Förderung von menschlicher Interaktion (vgl. Grassmuck 2002: 180f).
Als revolutionär erwies sich das zentrale Konzept des über Telefonleitungen verbundenen ARPANETs. Die für das US-amerikanische Verteidigungsministerium forschenden Universitäten sollten durch ein dezentrales Netzwerk verbunden werden, welches 1969 in Betrieb ging und bereits Ende der 1970er-Jahre über die erste E-Maildiskussionsgruppe verfügte. Das SRI wurde als geeigneter Standort gewählt, um ein Network Information Center (NIC) einzurichten. Als freie Alternative entstand 1979 das USENET, welches zum internetweiten schwarzen Brett avancierte. Die dortige Kommunikation hatte heutigenForums-Charakter. Jeder Nutzer konnte sich mit Postings an der Diskussion beteiligen und eigene Bereiche eröffnen. Auch die Erfindung der E-Mail 1965 unterstützte als asynchrones Kommunikationsmedium den Paradigmenwechsel (vgl. Ebersbach/ Glaser/ Heigl 2008: 16ff). Die Computerpioniere der 60er-Jahre bildeten die ersten Online- Gemeinschaften („Communities“). Ein bekanntes Beispiel einer der ersten öffentlichen Time-Sharing-Systeme, und somit eine der ersten Online-Communities, ist PLATO. Ursprünglich für computerbasiertes Lernen in den frühen 1960er-Jahren auf dem Urbana Campus der University of Illinois entwickelt, nutzten es viele Menschen als unkompliziertes Kommunikationssystem. Sie eigneten sich die Computertechnologie spielerisch an und begriffen, dass man mehr machen konnte, als nur atomare Kriegsszenarien durchzurechnen (vgl. Woolley 1994).
Weitere technische Meilensteine sind die Vorstellung des ersten eigenen Personalcomputers 1981 von IBM und 1982 der Durchbruch der Internetprotokolle TCP/IP, durch deren Implementierung zum ersten Mal der Begriff „Internet“ gebraucht wurde. Außerhalb von Hochschulen entstand 1986 das erste Freenet, das Cleveland Freenet, welches sich nach einer Weile mit dem Internet verband. Das „Whole Earth 'Lectronic Link“ (The WELL) wurde 1985 von Stewart Brand und Larry Brillant gegründet und gilt als der Prototyp einer Online-Community. Es besteht noch immer, ist jedoch kostenpflichtig und kämpft seit Jahren mit Existenzproblemen (vgl. The Well 2009a, The Well 2005). Ende der 1980er kam das erste synchrone Kommunikationsformat auf, von Jarkko Oikarinen als Internet Relay Chat (IRC) bezeichnet, welches bis heute als textbasiertes Chat-System verwendet wird (vgl. Ebersbach/ Glaser/ Heigl 2008: 18f).
In den 1980er-Jahren gelang der kommerzielle und internationale Durchbruch, vorangetrieben durch Onlinedienste wie CompuServe oder AOL, wurde das Internet zum zentralen Medium für weltweite Güterproduktion und den Transfer von Finanzdienstleistungen. Mit Abschaltung des ARPANETs 1990 wurde die Gestaltung des Netzes ab jetzt von der Initiative privater Unternehmen geprägt (vgl. ebd.: 19ff). Durch die Erfindung des World Wide Web (WWW) 1989 von Tim Berners-Lee am Genfer Centre Europeen de Recherches Nucleaires (CERN) eröffneten sich neue Horizonte für die öffentliche Nutzung des Internets. Es handelt sich hierbei um ein über das Internet abrufbares Hypertextsystem auf der Basis Hypertext Transfer Protocol (HTTP). Durch die Einführung und Verbreitung komfortabler Browser-Software wurde die Nutzung auch für Laien ermöglicht. Die Navigation erfolgt mittels Browser. Browsing bezeichnet das Vor- und Zurückblättern auf verschiedenen Webpages im World Wide Web. Dieses basiert auf einer Server-Client-Architektur. Webpages werden als elektronische Dokumente auf speziellen Webservern (Hosts) gespeichert. Durch das standardisierte Protokoll können sie von jedem vernetzten Rechner abgerufen, mittels Browser-Software dargestellt, verändert, ausgedruckt und lokal abgespeichert werden. Das WWW ist prinzipiell ein Pull- Medium, d.h. der Nutzer muss aktiv auf die Inhalte zugreifen.[2] Die Entwicklung von Programmiersprachen wie Hyper Text Markup Language (HTML) bzw. Extended Markup Language (XML) ermöglichte es, mit vergleichsweise geringem Aufwand und entsprechender Editoren-Software eigene Webpages zu erstellen und via File Transfer Protocol (FTP) auf Webservern abzulegen oder hochzuladen (vgl. Beck 2006: 57f).
Bereits 1965 wurden Elemente des Social Webs von Ted Nelson beschrieben. Er kreierte das Hypertextsystem „Xanadu“, welches als unbegrenzte Informationsdatenbank gedacht war, in deren System sämtliche Informationen der Welt gespeichert sein sollten und durch Leser und Autor simultan und kollektiv bearbeitet werden können. Ebenso sollten alte, überarbeitete Versionen weiter erhalten bleiben. Jede Information sollte durch eine eigene Adresse wieder auffindbar sein. Nelson hatte schon damals die Idee der aktiven Beteiligung der Nutzer. 1993 ging mit „Internet Talk Radio“ die erste regelmäßige „Radiosendung“ online. Mitte der 1990er-Jahre bestand das World Wide Web größtenteils aus privaten Homepages mit den unterschiedlichsten Inhalten. Die Bereitstellung von spezifischem Wissen diverser Fachbereiche war jedoch bereits schon vor 20 Jahren dominant, gefolgt von privaten Fotoalben und Linklisten. Auch die Entstehung der ersten Weblogs[3] und Wikis fällt in diese Zeit. Weitere Popularität erlangte das Internet 1996 durch den Instant Messenger ICQ des israelischen Start-up-Unternehmens Mirabelis, und Massive Multiplayer Online Games (MMOG) mit Online-Rollenspielen vor allem bei den Jugendlichen. Bereits 1994 gegründet, gilt auch Amazon als einer der Pioniere in Sachen Gemeinschaftsnutzung und Kundenfreundlichkeit. Das System, aufgebaut aus einem reinen Buchversand, beruht auf „kollaborativen Filtern“. Gemeint sind Weiterempfehlungen, die dadurch zustande kommen, dass dem Benutzer angezeigt wird, welche Bücher ein anderer Käufer des Buches XY noch gekauft hat. Ebenso sind Rezensionen anderer und Leseproben ersichtlich. Mittlerweile hat es sich zum größten Warenhaus des World Wide Webs entwickelt und seine Produktpalette um ein Vielfaches erweitert (vgl. Amazon 2006). Das Platzen der Dotcom-Blase 2000 konnte die steigende Nutzung des Internets, vor allem durch die nachfolgende „Sozialisierung des Webs“, nicht mehr aufhalten (vgl. Ebersbach/ Glaser/ Heigl 2008: 19ff).
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts wurde es durch neue datenbankbasierte Applikationen und Erweiterungen der Bandbreiten auch für Private möglich, immer größere Datenmengen über das WWW zur Verfügung zu stellen. Die Blogosphäre tat sich auf, und Weblogs wurden als neue Mitteilungs-Plattformen beliebt. 2001 startete das bislang erfolgreichste Community-Projekt Wikipedia, eine Enzyklopädie, die mittlerweile mehr als 1.028.000[4] Artikel in deutscher Sprache umfasst. Wikipedia hat es sich zum Ziel gesetzt, das gesamte Wissen der Welt allen zugänglich zu machen. 2002 fiel zum ersten Mal der Begriff „Social Software“ im Rahmen der Tagung „Social Software Summit“ des Internetexperten Clay Shirky (vgl. Himpls 2007: 39). In kürzester Zeit entstanden nun die bis heute bekanntesten Social Software-Anwendungen bzw. deren Vorreiter: 2002 Flickr, die größte Fotobörse im Netz, die öffentliches Sharing populär machte; 2003 OpenBC (heute Xing) und MySpace, beide Online-Communitys im Sinne von sozialen Netzwerken. Man sieht, welche Freunde ein Benutzer hat, kann auf „Wänden“ posten und gibt persönliche Daten wie Wohnort, Ausbildungsstätte, Status des Liebeslebens, div. Vorlieben der Öffentlichkeit preis. Als Pionier in Sachen Social Bookmarking ging del.icio.us ebenfalls 2003 online. 2004 war die Gründungzeit von Orkut, einem virtuellen sozialen Netzwerk von Google und Facebook, dem beliebtesten und größten sozialen Netzwerk weltweit mit über 300 Millionen registrierten Usern, welches Gegenstand dieser Arbeit ist. 2005 folgte das deutschsprachige Dependant studiVZ, dass sich mit SchülerVZ und MeinVZ zum größten Netzwerk in diesem Sprachraum etablieren konnte.[5] Mit der immer weiter steigenden Verbreitung, Nutzung und Ausweitung taten sich neue Konfliktpotenziale auf. Das Internet wird oft als die größte Kopiermaschine der Welt bezeichnet, daher müssen Fragen des Urheberrechts oder das Recht auf Weiterverbreitung freier Software und geistigen Eigentums, um nur ein paar wenige Konflikte zu nennen, neu geklärt und definiert werden. So hat zum Beispiel das FileSharing die Musikindustrie stark getroffen, und illegale Downloads von Musiktiteln wurden salonfähig (vgl. Ebersbach/ Glaser/ Heigl 2008: 22). „
5. Theorie des Social Web
Im Internet-Zeitalter verändert sich der Untersuchungsgegenstand der Kommunikationswissenschaft radikal. Die klassische Trennung von interpersonaler und massenmedialer Kommunikation weicht einem hybridmedialen Kommunikationssystem.“ (Löffelholz/ Quandt 2003a: 26).
Das Internet ist als Infrastruktur ein Medium erster Ordnung. Es ist eine technische Einrichtung und eröffnet die Möglichkeiten der Vermittlung, des Speicherns und/oder Abrufens von Mitteilungen (vgl. Burkart 2002: 45). Aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht ist an diesem Medium interessant, dass so vielfältige Formen von Kommunikation möglich werden. Die Übergänge zwischen direkter und medienvermittelter, interpersonaler, Gruppen- und öffentlicher Kommunikation können sich fließend ergeben. Rahmenanalytisch kann das Internet als Bündel bzw. Verbund von Medien beschrieben werden, bei dem sich verschiedene Kommunikationsmodi auf spezifische Weise im Mediengebrauch mischen (vgl. Beck 2006: 24).
Das Internet wird oft als ein Massenmedium bezeichnet. Massenkommunikation, im Sinne von Gerhard Maletzke (1963: 36), ist jene Form der Kommunikation, bei der Aussagen öffentlich, durch technische Verbreitungsmittel (Medien), indirekt (über räumliche, zeitliche oder raumzeitliche Distanz zwischen den Kommunikationspartnern) an ein disperses Publikum (räumlich und mitunter zeitlich getrenntes, verstreutes und nicht organisiertes Publikum) verbreitet werden. Im Mittelpunkt seiner Modellierung des Kommunikationsprozesses stehen Beziehungen und Wechselbeziehungen. Massenkommunikation wird begriffen als Beziehungssystem zwischen den Grundfaktoren Kommunikator, Aussage, Medium und Rezipient. Jeder Teil verweist auf den anderen und wird umgekehrt ebenfalls davon beeinflusst (vgl. Burkart/ Hömberg 2004: 259). Massenmedien sind all jene Medien, über die durch Techniken der Verbreitung und Vervielfältigung mittels Schrift, Bild und/oder Ton optisch bzw. akustisch Aussagen an eine unbestimmte Vielzahl von Menschen vermittelt werden (vgl. Maletzke 1963: 36).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Feldschema der Massenkommunikation von Maletzke (Academic Dictionary 2010)
Das Modell des Feldschemas der Massenkommunikation führt vor Augen, dass Kommunikator und Rezipient stets in Abhängigkeit ihrer subjektiven, psychischen und sozialen Dispositionen handeln und nicht voraussetzungslos in den Massenkommunikationsprozess eintreten. Der Inhalt und die Gestaltung der produzierenden Aussage des Kommunikators werden von seiner Persönlichkeit, seinem Selbstbild, seiner Stellung und seinen sozialen Beziehungen beeinflusst. Auch der Rezipient wird von seiner Persönlichkeit, seinem Selbstbild sowie der Gruppenzugehörigkeit beeinflusst und kann nicht ungeachtet der konkreten Situation, in der er sich als Glied des dispersen Publikums den Aussagen der Massenmedien zuwendet, gesehen werden. Diese Faktoren beeinflussen seine Wahrnehmung, sein Erleben und damit die Wirkung der vermittelten Botschaften und sind mitverantwortlich für seine Auswahl (vgl. Burkart/ Hömberg 2004: 259f).
Dieses Feldschema stellt nur einen Ausschnitt sozialer Kommunikation dar. Kommunikatoren der sozialen Kommunikation benötigen Quellen für die öffentliche Kommunikation. In den meisten Fällen sind sie nicht deren (alleinige) Urheber, sondern deren Vermittler. Feedback ist in diesem Schema systematisch berücksichtigt, aber strukturell eingeschränkt. Es verläuft über andere Medien als die Verbreitung der Aussagen der Kommunikatoren und es stammt nicht von einem dispersen Publikum, sondern von einzelnen Rezipienten. Öffentliche Kommunikation, dieser Begriff ist aus kommunikationssoziologischer Sicht dem Begriff der Massenkommunikation vorzuziehen, ist keine „rückkopplungsfreie“ Kommunikation. Rückkoppelungen können über Telekommunikationsmedien stattfinden, z.B. per Telefon, Brief oder E-Mail. Indirektes Feedback kann auch durch andere Kanäle erfolgen, z.B. können Kauf- und Nutzungsentscheidungen auf dem Markt Rückkoppelungsdaten liefern. Diese werdenaufgrund ihrer medienökonomischen Verfasstheit sensibel zur Kenntnis genommen. Wird ein Produkt vermehrt gekauft und dadurch genutzt, so lässt sich eindeutig die Zustimmung der Rezipient damit identifizieren. Die Daten der systematischen Medienforschung geben zwar Informationen über Präferenzen und Bewertungen des Publikums, sind aber dennoch vergleichsweise unspezifisch, da sie sich auf Kommunikate der Makro- und Mesoebene beziehen, wie Zeitungsausgaben oder Programmformate, und nicht auf einzelne Aussagen, wie ein bestimmter Artikel oder Beitrag, zu denen ein inhaltliches Feedback erfolgen oder sich ein Diskurs entfalten würde (vgl. Beck 2006: 44f). Im Social Web hingegen ist es durchaus möglich, wenn auch eingeschränkt, dem Rezipienten direktes Feedback zu geben. Kernprinzip des Social Web ist der Community- Gedanke[6], d.h. ein Interagieren miteinander. Eingeschränkt daher, da es für Unternehmen unmöglich ist, das gesamte Social Web nach Aussagen, das Unternehmen betreffend, zu durchforsten und daraufhin Feedback zu geben, da die Fülle unermesslich scheint. Die Rückkoppelung ist nicht mehr regional eingeschränkt oder überschaubar, sondern kann jederzeit von jedem Ort aus in den Weiten des World Wide Web stattfinden. Es ist sogar ein Prinzip des Social Web sich gegenseitig zu helfen, Wissen zu vernetzen und Informationen jedem allzeit zugänglich zu machen. Diese „Sozialität“ des Social Web macht im Kern das veränderte Kommunikationsmodell aus. Sie entstand durch Communities, Blogs und Multimedia-Plattformen und löste die einseitige Kommunikation, z.B. von Unternehmen über die Redakteure und Kanäle der klassischen Massenmedien wie TV, Print oder Radio, ab. Jeder Nutzer kann „senden“, „empfangen“ und wird „gehört“ (vgl. Mühlenbeck/ Skibicki 2008: 23). Bereits Bertolt Brecht schrieb 1932 am Beginn zu den Ausführungen seiner Radiotheorie, das er sich wünsche, dass eine weitere Entwicklung im Zuge der Erfindung des Radios gemacht werden möge, mit der es möglich sein sollte, „das durch Radio Mittelbare auch noch für alle Zeiten zu fixieren“ (Brecht 1932: 2). Weiteres entwickelte er einen Vorschlag für den Rundfunk, Jahrzehnte bevor die Technik soweit war diesen umzusetzen:
„Der Rundfunk ist aus einem Distributionsapparat in einen Kommunikationsapparat zu verwandeln. Der Rundfunk wäre der denkbar großartigste Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens, ein ungeheures Kanalsystem, das heißt, er wäre es, wenn er es verstände, nicht nur auszusenden, sondern auch zu empfangen, also den Zuhörer nicht nur hören, sondern auch sprechen zu machen und ihn nicht zu isolieren, sondern ihn in Beziehung zu setzen.“ (ebd.: 7).
Brecht beschreibt damit sehr klar das Konstrukt der Interaktivität. Rogers (1986: 4) versteht die Kapazität eines technischen Systems zum Nutzer „zurück zusprechen“ als Interaktivität. Um diesen Begriff kommunikationswissenschaftlich zu fassen, müssen jedoch zunächst grundlegende Konzepte von Interaktion handlungstheoretisch erläutert werden, um dann den Computer als Hybridmedium zu identifizieren und dessen Multimedialität zu erklären. Wie Rezipienten kommunikative Handlungen erfassen, wird durch die Ausführungen zu Computerrahmen erklärt. Abschließend wird der Besonderheit des Social Web Rechnung getragen, indem die ,Sozialität’ und das ,Community-Prinzip’ durch den Netzwerkansatz herausgearbeitet werden.
5.1. Handlungstheoretischer Ansatz
Die anhaltende Verbreitung des Internets verändert die Prozesse und Systeme der interpersonalen, gruppenbezogenen und massenmedialen Kommunikation tiefgreifend. Unüberschaubare Informationsmengen lassen sich im WWW erschließen. Diese werden von den unterschiedlichsten Akteuren und Organisationen bereitgestellt und verarbeitet (vgl. Schmidt/ Frees/ Fisch 2009: 50).
„Eine im weiten Sinne sozialwissenschaftliche Analyse der gegenwärtigen Entwicklungen im Social Web muss der grundsätzlichen Dualität von Struktur und Handeln (Giddens 1984) Rechnung tragen, die unsere soziale Welt prägt: Auch wenn der einzelne Nutzer immer in konkreten Situationen und mit spezifischen Bedürfnissen agiert, wird sein Handeln durch kollektiv geteilte Regeln und Ressourcen gerahmt, die sich oft nur langsam verändern.“ (Schmidt/ Welker 2008: 12).
„Handlung“ liegt den soziologischen Handlungstheorien als zentraler theoretischer Begriff zugrunde. Im Gegensatz zu Verhalten, welches jegliche Regung eines Organismus bezeichnet, kein Bewusstsein voraussetzt und durch angeborene Instinkte eintreten kann, ist eine Handlung etwas spezifisch Menschliches, weil sie ein Bewusstsein, einen Entschluss und eine bestimmte Absicht voraussetzt. Handlungen sind intentional, da das gewünschte Handlungsergebnis zum entscheidenden Kriterium einer Handlung wird. Soziale Handlungen beziehen sich auf einen anderen Menschen. Der oder die Handelnde (Ego) möchte bei einer/m anderen (Alter) etwas bewirken, genau deshalb wählt er diesen bestimmten Handlungsentwurf und führt ihn aus (Beck 2006: 41). So entsteht eine Erwartungshaltung von Ego gegenüber Alter aufgrund seines (Egos) eigenen Handelns. Erwidert Alter eine soziale Handlung auf Ego, so spricht man von einer Interaktion. Die Handlungen haben wechselseitigen Bezug aufeinander und einen subjektiv gemeinten Sinn. Soziales Handeln kann, in seinem kommunikativen Ausdruck, nicht von den verfügbaren Medien- und Kommunikationskanälen getrennt werden. Diese beeinflussen kommunikatives Handeln ebenso, wie sie von den Handelnden sozial überformt werden. Giddens (1995 zit. nach Götzenbrucker 2005: 20) bezeichnet diese zugleich ermöglichenden und einschränkenden Dimensionen menschlichen Handelns als Dualität von Struktur und Handeln. Kommunikative Handlungen resultieren somit aus sozialen Handlungen und beinhalten zwei Intentionen der Akteure. Zum einen die allgemeine Intention von Ego Alter etwas mitzuteilen und eine spezielle Intention, die jedoch variabel sein kann. Ego bezweckt, durch seine spezifische kommunikative Handlung, Alter etwas Bestimmtes mitzuteilen, den subjektiv gemeinten Sinn mit ihm zu teilen. Alter soll daraufhin Ego mitteilen, dass er ihn verstanden (allgemeine) und was er verstanden hat (spezielle Intention). Nur wenn das kommunikative Handeln von Ego ein kommunikatives Handeln von Alter bedingt, kann Ego wiederum mit kommunikativen Handlungen reagieren. Durch die Erzielung von Verständigung wird die Intention kommunikativen Handelns realisiert. Interaktion setzt somit Intentionalität und Bewusstsein auf beiden Seiten voraus. Da es sich nicht um eine reine instinktive Reaktion von Alter auf Ego handelt, sind beide gleichberechtigte Partner. Bei Kommunikation handelt es sich um einen sozialen Interaktionsprozess zwischen menschlichen, mit Bewusstsein begabten Akteuren. Es ist ein Zeichenprozess. Jedoch ist nicht jeder Zeichenprozess zugleich auch Kommunikation (vgl. Beck 2006: 40ff).
Eine handlungstheoretische Herleitung erhebt keinen Absolutheitsanspruch und weist auch kein „Copyright“ auf den Kommunikationsbegriff aus, aber sie erscheint äußerst hilfreich dabei, die Tier-Mensch-, Mensch-Maschine-, Computer-Mensch-Kommunikation (oder weitere Varianten) von der Kommunikation zwischen Menschen zu unterscheiden. Im Unterschied zu Tieren verwenden wir kommunikativ handelnden Menschen Symbole als spezifische Zeichentypen. Diese sind arbiträre Zeichen, die nicht in einem ursächlichen Zusammenhang oder einem bildlichen Ähnlichkeitsverhältnis mit dem Bezeichneten stehen. Kommunikation wird daher auch als symbolische Interaktion im Sinne von George Herbert Mead[7] bezeichnet (vgl. ebd.: 43). Symbolische Codes sind in den meisten Fällen kollektive Kulturphänomene mit Tradition, daher ist für symbolische Interaktion das Bewusstsein der kommunizierenden Akteure Ego und Alter eine notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzung. Es ist aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht „eben nicht bedeutungslos, wer oder was miteinander interagiert oder kommuniziert, es kommt vielmehr auf die qualitativen Unterschiede an - gerade wenn wir es (...) mit technisch vermittelter Kommunikation (...) zu tun haben“ (ebd.: 43).
Menschliche Kommunikation basiert auf zielgerichteten, also intentionalen, kommunikativen Handlungen. Sie setzt Kommunikanden bzw. Akteure voraus, die über das Selbstbewusstsein verfügen, Aussagen zu formulieren und an andere zu adressieren. Kommunikation kann somit als wechselseitige Konstruktion von Sinn und Bedeutung verstanden werden. Der Inhalt der Kommunikation wird vorselektiert. Nicht alles, was zum „Ich“ gehört, wird geäußert. Ohne die Vorstellung von Ego als Sprecher und Alter als Hörer wäre Kommunikation kein sinnvolles Handlungskonzept, weil die Grenzen von Alter und Ego aufgehoben wären. Verstehenshandlungen setzen ebenso voraus, dass Aussagen einem Urheber zugeschrieben werden, damit sie verstanden werden können. Identitäten (Ego/ Alter) sind folglich konstitutiv für Kommunikation, aber sie gehen nicht in Kommunikation auf. Vermutlich wäre es sogar dysfunktional, vor allem ist es gar nicht notwendig, für Ego sein „wahres Ich“ an Alter vollständig zu kommunizieren, um Verständigung zu erzielen. Daher wird zwischen zwei Bedeutungsgehalten von Identitäten unterschieden. Zum einen identifiziert sich Ego als Subjekt selbstreflexiv mit Ego als Objekt und zum anderen wird Ego von Alter eine Identität zugeschrieben. In dieser Zuschreibung spielen soziale Merkmale, wie Status- und Rollenzuweisungen oder Typisierungen und Stereotypisierungen, wichtige Fakten. (So verhält sich ein Arbeiter seinem Chef gegenüber anders, wenn er diesen als Chef identifiziert hat, im Gegensatz dazu, wenn er nicht weiß, das dieser sein Vorgesetzter ist.) Ego kann versuchen, kommunikativ oder durch sein Verhalten aktiv auf diese Zuschreibungen Einfluss zu nehmen (vgl. ebd.: 154).
Handlungen sind demnach keine einfachen Konstrukte, sondern individuelle Akte mit vielen Einflussfaktoren. Das individuelle Handeln geschieht immer vor dem Hintergrund von sozialen Strukturen, die wiederum selbst Produkt von vorangegangenem Handeln und dadurch wandelbar und nicht vollständig determinierend sind (vgl. Schmidt 2008: 22). D.h. jede Handlung baut auf vorhergehenden Handlungen auf und lässt sich nicht von diesen abgrenzen. Weiters spielen Umwelteinflüsse eine wichtige Rolle. Handlungen können eben nicht isoliert betrachtet werden sondern bedingen eine Strukturierung. Dies „(als Rahmen organisatorischen Handelns) bedeutet grundsätzlich die Einbettung der Strukturen des Handelns in die Strukturiertheit der Welt“ (Götzenbrucker 2005: 14f) und somit auch in die Strukturierung des World Wide Web. Individuelles Handeln geschieht auf der Mikro-Ebene, während überindividuelle Strukturen auf der Makro-Ebene stattfinden. Als verbindendes Element im Social Web steht das Konzept der Nutzungspraxis, in dem sich situative Nutzungsabsichten der Akteure manifestieren, die durch drei strukturelle Dimensionen gerahmt werden:
1. Verwendungsregeln
Konventionen und Normen müssen gegeben sein, um den Gebrauch einer Anwendung zu leiten und bestimmte kommunikative Bedürfnisse zu erfüllen. Diese Verwendungsregeln sind unterschiedlich explizit und unterschiedlich stark sanktionierbar, haben somit individuelle Einflüsse auf den Handelnden.
2. Relationen
Beziehungen, die mithilfe von Anwendungen des Social Web geknüpft oder aufrechterhalten werden, stellen einerseits zwischen Texten Öffentlichkeiten her, die als Referenzpunkte der individuellen Nutzung dienen können, oder sind oft Ausdruck von sozialen Beziehungen, wie vor allem im Fall von Social NetworkSeiten. Einige Anwendungen unterstützen die Formierung und Artikulation von sozialen Netzwerken, da sie ihren Angehörigen Sozialkapital, im Sinne von Beziehungen der Mitglieder untereinander, zur Verfügung stellen.
3. Code
Die softwaretechnischen Grundlagen des Social Web ermöglichen erst bestimmte Handlungsweisen und schließen andere aus. Ein besonderes Merkmal des Social Webs ist die Modularität vieler Anwendungen, deren Koppelung durch offene Schnittstellen-Kombinationen bzw. „Mashups“[8] von Funktionen ermöglichen (vgl. Schmidt 2008: 22f).
Der „Praxis“-Begriff leistet die Vermittlung zwischen individuellem Tun und kollektiven Strukturen, die sich wechselseitig bedingen, da er beide Ebenen der sozialen Welt in Beziehung setzt. Praktiken äußern sich immer in konkreten Episoden des Handelns, die jedoch von strukturellen Gegebenheiten gerahmt werden. Die Anwendungen des Social Web ermöglichen ihren Nutzern, sich und ihre Interessen, Kompetenzen, Erfahrungen und Meinungen im Netz zu veröffentlichen (Identitätsmanagement) sowie darüber mit anderen Menschen in Kontakt zu treten bzw. bestehende Beziehungen zu pflegen (Beziehungsmanagement). Durch das Nutzen gleicher Software auf ähnliche Art und Weise zu bestimmten Themen entstehen spezialisierte Öffentlichkeiten, die wiederum zur Recherche und zum Austausch genutzt werden (Informationsmanagement). Die Kanalisierung von Aufmerksamkeit in den Öffentlichkeiten erfolgt nicht mehr ausschließlich von klassischen und professionellen Gatekeepern wie den Journalisten, sondern wird durch zwei Mechanismen unterstützt, die dem einzelnen Nutzer einen höheren Stellenwert einräumen. Einerseits werden in den Mechanismen der Weisheit der Masse individuelle Bewertungen oder Klassifizierungen automatisch aggregiert, um besonders populäre oder thematisch verwandte Inhalte zu identifizieren. Andererseits werden in den Mechanismen der Weisheit des eigenen Netzwerks von Nutzern eigene individuelle Repertoires von Quellen zusammengestellt. Dadurch wird deutlich, dass sich die Nutzungspraktiken im Social Web nicht mehr klar in Produzieren (Kommunikator) und Konsumieren (Rezipient) von Wissen trennen lassen, sondern die Grenzen verschwimmen. „Prodnutzung“ gewinnt zunehmend an Bedeutung (vgl. Schmidt/Pellegrini 2009: 454f). Bereits in den 1970er-Jahren hat Alvin Toffler den Begriff „Prosumer“ geprägt, als Weiterentwicklung des englischen „Consumer“, also Konsumenten. Die Bezeichnung steht für einen mehr informierten, mehr involvierten Konsumenten, der auf ihn zugeschnittene Güter seines individuellen Bedarfs konsumiert, die nicht mehr durch Massenanfertigung, sondern ,on-demand’ und ,just-in-time’, also Anfrage bzw. Abruf bestimmte und termingerechte Produktion, gekennzeichnet sind (vgl. Bruns 2007: 2f). Der Begriff „Prodnutzung“ beinhaltet Nutzer, die gleichermaßen Produzent wie Konsument sind. In der täglichen Nutzungspraxis sind Autorenschaft, Bewertung, Rezeption, Nutzung und Verbreitung von Wissens- und Kulturgütern untrennbar verbunden. Der Nutzer wird zum „Produser“. Auf kollektiver Ebene erzeugen die individuellen Handlungen wie das Verfassen eines Eintrags in einem Weblog, das Kommentieren eines Videos oder die Revision eines Wikiartikels, eigene, vom Einzelnen zum Teil unintendierte Strukturen. Prodnutzung ist demnach „auch ein kollaborativer, öffentlicher und prinzipiell unabgeschlossener Prozess, dessen Resultate als erweiterungs-, überarbeitungs-, aktualisierungs- und übertragungsbedürftig gelten“ (Schmidt/Pellegrini 2009: 456f).
5.2. Das Internet als Hybridmedium und Computerrahmen
Da nahezu ohne Medienbruch zwischen verschiedenen Kommunikationsmodi gewechselt werden kann, kann das Internet auch als „Hybridmedium“ bezeichnet werden. Neben den technischen Merkmalen treten im alltäglichen Gebrauch auch semiotische, organisatorische und institutionelle Merkmale auf, die für eine kommunikationswissenschaftliche Mediendefinition notwendig sind. Erst durch den kommunikativen Gebrauch des Mediums erster Ordnung, also der technischen Einrichtung, entsteht ein Medium zweiter Ordnung, wenn institutionalisierte Kommunikatoren beteiligt sind, die diese technischen Hilfsmittel zur Herstellung und Verbreitung von Inhalt nutzen (vgl. Beck 2006: 28f und Burkart 2002: 45).
Die Verbindung unterschiedlicher Übertragungskanäle (Ton, Bild oder Schrift) auf ein Medium wird als Multimedialität bezeichnet und der Terminus oft für die Vielfältigkeit des Internets gebraucht. Multimedial bedeutet, dass der Computer (bzw. das Internet) Funktionen vereint, die bislang separate Medien übernommen haben bzw. Übernehmen mussten, und diese nun als wählbare Gebrauchsalternativen nebeneinander anbietet. Gerade diese Option, zwischen verschiedenen Angeboten und Darstellungsweisen fließend wechseln zu können, ohne dabei das Medium wechseln zu müssen, ist es, was den vernetzten Computer als Kommunikationsmedium im Besonderen auszeichnet:
„Der (vernetzte) Computer ist ein Hybridmedium, das nicht nur Schrift, Bild (einschließlich Bewegtbild) und Ton miteinander verbindet (so gesehen hätte der Tonfilm schon einen Hybridcharakter), sondern Wahlen zwischen unterschiedlichen Medien- bzw. Computerrahmen innerhalb ein und desselben Mediums ermöglicht.“ (Höflich 2003: 76)
Im Gegensatz zu Maletzkes dispersem Publikum, in dem die Nutzer voneinander unabhängig agieren, ist das Spektrum der herkömmlichen Massenkommunikation somit erweitert. Die Nutzer nehmen über verschiedene Ausprägungen des World Wide Web aufeinander Bezug (z.B. in Diskussionsforen) oder pflegen ihre Kontakte auf medialem Wege. Dadurch bilden sich „virtuelle Gemeinschaften“ (vgl. ebd.: 79f). Die Diffusion von Informations- und Kommunikationstechnologien führt nach Schmidt (2006: 32) zu einer Institutionalisierung, die sich als Wechselspiel der Öffnung und Schließung von Handlungsoptionen darstellt. Diesen Prozess hat Joachim Höflich als Rahmung herausgearbeitet und auf computervermittelte Kommunikation übertragen. Eine Interaktion ist immer auch zugleich eine soziale Situation für die Kommunikationspartner. Jede Situation, in der sich Handelnde befinden, wird durch Rahmen definiert. Das bedeutet, dass sich Akteure in verschiedenen Situationen an bereits erlebten und gegebenen Rahmen, also „kulturell vorgeformten Situationsdefinitionen“ (Schmidt 2006: 32), orientieren können und nicht jede Situation neu decodieren müssen. Ein Rahmen ist nach Erving Goffman ein „grundlegendes Organisationselement im Kontext der Definition der Situation“ und steht für die „Organisation der Erfahrung“ (Goffman 1977: 274). Rahmen können ebenso als „Deutungs- und Interpretationsmuster“ (Höflich 2003: 40) bzw. „mehr oder weniger komplexe (Meta-) Verstehensanweisungen, derer sich die Handelnden bedienen und die Handlungs- und Interaktionsketten möglich machen“ (Willems 1997: 351) definiert werden. Dadurch wissen Akteure, welches Verhalten adäquat und erwartbar ist (vgl. Schmidt 2006: 32). So orientiert sich die Kommunikation über Chats in der Regel an realen Face-to-Face-Kommunikationsakten, selbst wenn geschrieben anstatt gesprochen wird. Die Akteure gehen jedoch von bereits erlebten, in diesem Fall Face-to- Face-Situationen aus und übertragen das bereits Erfahrene auf ihre derzeitige (computervermittelte) Situation. Aufgrund einer bestimmten Medienwahl entstehen Erwartungen. Das bedeutet, immer
„wenn man sich für ein Medium entscheidet, um mit anderen in Kontakt zu treten, gehen damit Erwartungen eines medienadäquaten, sozialen und kommunikativen Handelns der gemeinsam in die Mediensituation eingebundenen Handelnden einher.“ (Höflich 2004: 149)
Goffman unterscheidet zwischen natürlichen und sozialen Rahmen. In natürlichen Rahmen sind kein Wille und keine Absicht als Ursache vorhanden, sie werden als ,rein physikalisch’ betrachtet und auf natürliche Ursachen zurückgeführt. Dagegen werden soziale Rahmen beschrieben als „Verständnishintergrund für Ereignisse, an denen Wille, Ziel und steuerndes Eingreifen einer Intelligenz, eines Lebewesens, in erster Linie des Menschen, beteiligt sind“ (Goffman 1977: 32). Ein Medienrahmen ist ein sozialer Rahmen, der von technischen Rahmenelementen vorgeprägt, jedoch nicht determiniert ist. Dementsprechend werden soziale Situationen von Medienrahmen umfasst, wenn die Kommunikationspartner ein bestimmtes Medium verwenden und speziell über dieses interagieren. Grenzen und Möglichkeiten werden nicht nur durch Technik bestimmt, sondern sind auch in einem sozialen Sinn zu verstehen, da ein Medienrahmen Sinnvorgaben wie auch medienspezifisch limitierte Handlungs- bzw. Kommunikationsmöglichkeiten umreißt. Weiters wird dieser „subjektiv wahrgenommen, obwohl er technisch durch die Kommunikationspotenziale der jeweiligen Kommunikationstechnologien präformiert ist“ und auf eine intersubjektive Grundlage gestellt, da er „kommunikativ zusammen mit anderen konstituiert wird“ (Höflich 2003: 39). Ein Computerrahmen ist ein distinkter Medienrahmen, der multiple und miteinander konkurrierende Medienrahmen eröffnet (vgl. ebd.: 39ff). Je nach Verwendungszweck leiten andere Erwartungen und Regeln die Nutzungsepisoden an und aktivieren unterschiedliche Computerrahmen. Die nachstehenden drei Computerrahmen ermöglichen jeweils eine unterschiedliche „Lokalisierung, Wahrnehmung, Identifikation und Benennung einer unbeschränkten Anzahl konkreter Vorkommnisse, die im Sinne des Rahmens definiert sind“ (Goffman 1977: 31).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Multiple Rahmen computervermittelter Kommunikation nach Höflich (2003: 80) [9]
Fungiert der Computer als (a) Abrufmedium, dann richten sich die Angebote an alle Nutzer als disperses Publikum, und die Situation ähnelt stark der massenmedialen Kommunikation. Die einzelnen Akteure entscheiden selbst über Auswahl, Zeit, Dauer und Intensität der Nutzung diverser Informationen oder Dienste. Rückkoppelungsmöglichkeiten werden nur marginal genutzt, sind aber durchaus vorhanden. Als (b) Kontakt- und Diskussionsmedium genutzt, stellt der Computer bzw. das Internet Öffentlichkeit her und bietet sowohl asynchrone Kommunikationsforen (z.B. Newsgroups) als auch synchrone Formen der öffentlichen Kommunikation (z.B. Online-Chats). Das Publikum bildet „virtuelle Gemeinschaften“. Diese Gemeinschaften entwickeln gemeinsame Gebrauchsweisen mit zugrunde liegenden Normen und Regeln. Die Nutzer nehmen gegenseitig aufeinander Bezug, erwarten Response von anderen und akzeptieren zumeist Lurker. Als (c) Medium technisch vermittelter interpersonaler Kommunikation dient der Computer, wenn Kommunikation in privaten Formen möglich ist, wie etwa bei E-Mail oder in privaten Chaträumen. Lurkern ist es nicht möglich, in diese Privatsphäre einzudringen. Zwischen diesen Rahmen kann fortwährend gewechselt und das Verhalten automatisch angepasst werden, ohne dass sich die Rezipienten dessen bewusst sein müssen.
Höflich unterscheidet weiters zwischen zwei Regelvarianten. Zum einen legen Adäquanzregeln fest, welches Medium zu welchem Zweck zu nutzen oder abzulehnen ist und geben Aufschluss über die Eignung spezifischer Internet-Dienste für bestimmte kommunikative Zwecke. Als Beispiel wird hier das E-Mail gewählt, welches im privaten Austausch sehr wohl passend genutzt wird, aber weiterhin als inadäquat für Kondolenzschreiben gilt. Andererseits beeinflussen prozedurale Regeln den Ablauf der Kommunikation, sobald ein bestimmtes Medium bzw. ein bestimmter Dienst für einen bestimmten Zweck gewählt wurde. Diese Regeln bestimmen z.B. die Wahl der schriftlichen Sprache. So wird zur geschäftlichen Anfrage per E-Mail eine andere Form gewählt als in einem Chat-Gespräch, in dem vermutlich Emoticons[10] eingesetzt werden. Als Regelkomplexe rahmen sie das Medienhandeln als aktive und bewusste Selektion von Medienangeboten seitens der Rezipienten, um bestimmte kommunikative Gratifikationen zu erfüllen (vgl. Höflich 1997, 2003 zit. nach Schmidt 2006: 33).
Der Computer bietet als Hybridmedium vielfältige interpretative Zugänge und Bedeutungszuweisungen. Es gibt nicht die Nutzer des Computers oder des Internets, denn für jeden bedeutet dieses Medium etwas anderes bzw. wird auf verschiedenste Art genutzt (z.B. zur Geschäftskommunikation per E-Mail, zur Beteiligung an Diskussionen, zur Informationssuche oder zum Flirten in diversen Chat-Foren, um nur ein paar wenige Beispiele zu nennen). Die Verwendungsweisen sind niemals endgültig festgelegt, da die soziale Aneignung eines Mediums ein sozialer Prozess ist. Dem Computer werden je nach Stellenwert, im Kontext der alltäglichen kommunikativen Praktiken, unterschiedliche Bedeutungen beigemessen, die zum Teil konkurrieren (vgl. Höflich 1997: 104). Daher definieren sich im Laufe der Verwendung des Mediums immer wieder neue Rahmen, deren situationsspezifische Eigenheiten institutionalisiert und für die Zukunft gespeichert werden. Die unterschiedlichen Medienrahmen bedingen unterschiedliche Nutzungserfordernisse und -optionen die Heeter (1989) als Interaktivität und somit als Merkmal bzw. Maß für das „Interaktionspotenzial“ eines Mediums versteht. Sie unterscheidet demnach sechs verschiedene Dimensionen von Interaktivität:
1. Komplexität verfügbarer Wahlmöglichkeiten: also die Selektivität bzw. vorhandene Auswahl für einzelne Rezipienten. Je größer diese ist, desto größer ist die Interaktivität.
2. Vom Nutzer zu erbringender Aufwand, um an mediale Inhalte zu gelangen: Damit wird die Nutzeraktivität der Individuen bezeichnet. Ohne Aufwand bzw. gewisse Anstrengungen kann keine Gratifikation durch computervermittelte Kommunikation erlangt werden.
3. Rückantworten auf Nutzeraktivitäten: bezieht sowohl die Mensch-Mensch- als auch die Mensch-Maschine-Beziehung mit ein.
4. Kontrolle der Informationsnutzung: Durch die kontinuierliche Aufzeichnung von Nutzeraktivitäten und -weisen bringen die neuen Technologien die Feedbackprozesse in einen umfassenderen Zusammenhang.
5. Möglichkeiten um Informationen hinzuzufügen: verweist auf den Trennungskonflikt von Sender und Kommunikator, da Rezipienten in der computervermittelten Interaktion beides sein können.
6. Ermöglichung interpersonaler Kommunikation: Nicht nur Massenkommunikation, sondern auch die Möglichkeit (technisch vermittelter) interpersonaler Kommunikation zwischen zwei und mehreren Nutzern ist gegeben (vgl. Heeter 1989: 221ff).
Diese Dimensionen sind nicht unabhängig voneinander zu betrachten und zum Teil auch miteinander verwoben. Weiters wird Interaktivität ambivalent verwendet, da nicht nur Medieneigenschaften, sondern auch das Nutzerverhalten damit bezeichnet werden können. Rogers stellt, wie bereits erwähnt, die Feedback-Leistung in den Vordergrund und definiert Interaktivität als the capability of new communication systems (usually containing a computer as one component to ‘talk back’ to the user, almost like an individual participating in a conversation.” (Rogers 1984: 34)
Er begreift Interaktivität als eine Eigenschaft, die dem Medium zugeschrieben wird und somit als ein Kontinuum von ,niedriger vs. hoher Kontinuität’, wobei Massenmedien am unteren und Medien computervermittelter Kommunikation am oberen Ende stehen. Wird jedoch nach Höflich zwischen den Computerrahmen unterschieden, so muss Interaktivität kommunikationssoziologisch erklärt werden, da eine Interaktion allenfalls mittels Computer möglich ist, nicht jedoch, im Sinne der Handlungstheorie, mit der Maschine. Interaktivität meint somit Potenziale von Medien, „die eine Kommunikation zwischen menschlichem Ego und Alter mit wechselseitiger Handlungskoordinierung und Verstehen des jeweils subjektiv gemeinten Sinns“ (Beck 2006: 50) gestatten. Von Goertz wurde ein mehrdimensionaler Index entwickelt, der die entscheidenden Faktoren des Interaktivitätspotenzials von Medien misst:
Grad der Selektionsmöglichkeiten: keine, abgesehen von Anfang und Ende, bis zur Verfügbarkeit mehrer Angebotesdimensionen als Pole Grad der Modifikationsmöglichkeiten: keine, abgesehen von Speichern und Löschen, bis zur Modifikation durch Hinzufügen, Ändern und Löschen Größe des Selektions- und Modifikationsangebotes: keine Selektion vs. unendlich viele Möglichkeiten zur Auswahl Grad der Linearität bzw. Nicht-Linearität: von der Vorgabe bis zur eigenen Bestimmung über Zeitpunkt, Tempo, Abfolge und Verknüpfung Ergänzende Dimension ist die Zahl der verwendeten Sinneskanäle, um die „Media Richness“ zu messen (vgl. Goertz 1995: 480f)
Die Gesamtsumme der Faktoren bildet somit die Basis für die Interaktivitätsskala die man sich als unipolare Skala vorstellen kann. Dennoch bleibt unklar, wie die Verrechnungsregeln lauten, die einen bestimmten Interaktionswert einem Medium zuordenbar machen, also mit welchen Maßeinheiten die Medien gemessen werden können und die Definition dieser. Als ergänzendes Modell kann die Theorie der sozialen Präsenz angesehen werden, auf welche an späterer Stelle noch detaillierter eingegangen wird. Es gilt aber, dass die Kommunikation über ein Medium der Face-to-Face- Kommunikation umso ähnlicher wird, je mehr Sinnesmodalitäten es anbietet. Somit wird Interaktion „ermöglicht und erleichtert, ohne dass das Medium damit selbst schon zu einem ,interaktiven Medium’“ (Beck 2006: 51) wird.
Als Hybridmedium eröffnet der Computer einen „fließenden Wechsel zwischen medialen Gebrauchsofferten“ und daher auch einen „Wechsel zwischen einer Interaktion mit und durch den Computer“ (Höflich 2003: 91). Die distinkten Medien- bzw. Computerrahmen bestimmen über die individuelle Nutzung je nach Erwartungen und Gebrauchsweisen des Computers. Durch diese Unterscheidung wird die Frage, was die Menschen mit den Medien machen, in die Aufmerksamkeit gerückt (vgl. ebd.: 91f). Im Social Web stehen die sozialen Beziehungen als zentrales Konzept im Mittelpunkt der Untersuchungen.
5.3. Netzwerktheorie
Der Begriff „Social Web“ bezieht die ,neue’ Sozialität des Webs mit ein und verweist zugleich auf die unterschiedlichen Ebenen der Interaktionen von Menschen im gesellschaftlichen wie auch gemeinschaftlichen Sinn. Menschen stehen in sozialen Beziehungen zueinander. Diese Beziehungen zeichnen sich durch eine gewisse Dauer aus, da sie auf wiederholten oder länger andauernden sozialen Kontakten und Interaktionen beruhen.
„Soziale Netzwerke als wesentlicher Teil unseres gesellschaftlichen Daseins, beziehen sich auf Interaktionen, die sowohl mit funktionalem Austausch als auch emotionalen Bindungen verbunden sind. (...) Insofern lässt sich die Gesellschaft als ein komplexes und vielschichtiges System von miteinander verbundenen Handlungsräumen definieren.“ (Hennig 2006: 60)
Man unterscheidet zwischen persönlichen (informellen) und formalen Beziehungen, diesich jedoch nicht immer voneinander abgrenzen lassen und sich in Teilbereichen überschneiden können. Erstere basieren auf Emotionen und sind nicht immer freiwillig gewählt (z.B. Familie oder Freunde), bieten jedoch erhebliche Gestaltungs- und Handlungsspielräume. Formale Beziehungen stellen sachliche Anforderungen an die Rollenträger, die weitgehend austauschbar bleiben. Jedes Individuum steht in einer Fülle sozialer Beziehungen und ist gleichzeitig Teil mehrerer bilateraler Dyaden[11] und multilateraler Beziehungen. Dies wird als Beziehungsnetz bzw. soziales Netzwerk bezeichnet und geht auf wechselseitige Erwartungen der beteiligten Akteure zurück (vgl. Beck 2006: 174). Die Netzwerkforschung bezieht diesen Beziehungskontext in ihre Analyse mit ein und untersucht die Struktur sozialer Beziehungen zwischen den Akteuren. Ziel der theoretischen Entwicklung dieses Forschungszweiges ist die Verbindung von Akteurs- und Handlungsansätzen mit der Struktur- und Systemtheorie, d.h. das Bemühen einer Integration von Mikro- und Makroperspektiven (vgl. Götzenbrucker 2005: 23). Das orschungsfeld wird im Englischen auch als „social network analysis“ bezeichnet. Die Netzwerktheorie ist ein operativ offener, dynamischer und relationaler Ansatz, der sich nicht in der Definition von Rollen erschöpft und im Gegensatz zur Systemtheorie nicht von relativ stabilen und in sich geschlossenen, auf ihren Erhalt hin ausgerichtete Systeme ausgeht, sondern Positionen von Akteuren in ihrer Vieldimensionalität aufzeigt (vgl. Weber 2001 zit. nach Götzenbrucker 2005: 14). Zu den Netzwerktheorien werden u.a. das Konzept der „Stärke der schwachen Bindungen“ von Mark Granovetter (1973), die Sozialkapitaltheorie von Ronald Burt (1992), die sozialkonstruktivistische Strukturtheorie von Harrison White (1992) und die Rational Choice (RC) Theorie von James Coleman zugeordnet. Die sozialkonstruktivistischen Sozialtheorien besagen, dass der Mensch nicht nach einem vorgängig festgelegten Eigenvorteilsmuster handelt, sondern dass das Handlungsmuster, die Präferenzen und die gesamte soziale Identität in einem Beziehungszusammenhang entstehen. Das Netz und die Struktur des sozialen Netzes bringen die Identitäten und Handlungsmuster erst hervor.
„Handelnde beziehen sich demnach in ihrem Handeln stets auf konkrete andere Handelnde und treten auf diese Weise immer schon in soziale Beziehungen zueinander, die ihr Handeln ,einbetten‘. Netzwerke bezeichnen die Struktur der Einbettung des Handelns in soziale Beziehungen und damit soziale Struktur schlechthin.“ (Bommes/ Tacke 2006: 39)
Das Rational Choice Paradigma verweist hingegen auf eine einwirkende und einschränkende umgebende Sozialstruktur und modelliert den Menschen als Atom der Gesellschaft, dessen Handlungen rein rationale Entscheidungen sind und ist daher kein zu reflektierendes Modell der vorliegenden Arbeit (vgl. Stegbauer 2008a: 11ff).
Ausschlaggebende erklärende Variablen der Ansätze der Netzwerktheorie sind „die Relationen der Akteure zueinander und ihre jeweiligen Positionen innerhalb des Netzwerks sozialer Beziehungen“ (Beckert 2005: 286). Demoskopische Merkmale wie Hautfarbe oder Geschlecht sind nicht alleinige Erklärungen für das Handeln der Menschen, sondern ihre Beziehungen zueinander rücken in den Mittelpunkt. So kann z.B. das Zustandekommen eines Flashmobs[12] durch die Relation, die die Akteure aufgrund der Mitgliedschaft in einem bestimmten Netzwerk/ in einer bestimmten Gruppe miteinander haben, plausibel gemacht werden. Aber auch die Teilnahme an Protesten wird häufig als Erklärungsbeispiel genannt, die die Wichtigkeit der Beziehungen erklärt, da „die anderen Akteure innerhalb eines sozialen Systems wichtige Referenzpunkte sind, dieWahrnehmungen, Überzeugungen und Handlungen beeinflussen“ (Knoke/Kuklinski 1982: 9). Als Netzwerk wird ein „. abgegrenzter Set von Knoten und den diese Knoten verknüpfenden Verbindungen definiert. Unter Knoten werden zumeist Akteure gefasst, es kann sich dabei aber auch um Organisationen, Staaten oder Ereignisse handeln, die miteinander in Verbindung stehen.“ (Beckert 2005: 288f).
Definitionen von Kommunikation sind stets auf dem Gedanken von mindestens zwei Knoten und ihrer Verbindung (Dyade) aufgebaut (vgl. Friemel 2008: 179). Die Verbindungen unter den Knoten sind verschiedene Arten von Sozialbeziehungen, die diese Akteure miteinander haben können, z.B. Liebes-, Tausch-, Verwandtschafts- oder Berufsbeziehungen. Dabei variieren die Arten zwischen einseitig und wechselseitig, formal oder emotional, inhaltsbezogen oder am Grad der Intensität, und geben somit die „Formalität der Strukturierung“ (Henning 2006: 59) vor. Daraus ergeben sich die Folgen der zu erwartenden Handlungen und die Handlungsmöglichkeiten der Akteure. Nicht nur die bestehenden Verbindungen sind wichtig, sondern gerade die nicht vorhandenen Kontakte, die dennoch Teil einer Struktur sind, sind von erheblicher Bedeutung. So sagt „jemanden über drei Ecken zu kennen“ Vieles für die Beschreibung der Position des Akteurs in einer Beziehung aus. Struktur ist somit die Summe aller vorhandenen und fehlenden Verbindungen zwischen den einzelnen Knoten. Formal beschrieben werden diese mit Maßen wie Zentralität, Dichte, Reichweite, Prestige und Erreichbarkeit, aber auch durch ihre Größe, also die Anzahl der Knoten (vgl. Beckert 2005: 289). Nach Beck (2006: 174f) werden in der soziologischen Theorie soziale Beziehungen weiter differenziert und durch folgende Charakteristika beschrieben:
Soziale Beziehungen (Relations): werden anhand der Eigenschaften Inhalt (was wird zwischen den Netzwerkmitgliedern ausgetauscht), Gerichtetheit (wechselseitiges Gleichgewicht zwischen „Geben“ und „Nehmen“) und Stärke (z.B. Häufigkeit oder Bedeutung der Kommunikation) gemessen (vgl. Garton/ Haythornthwaite/ Wellman 1997).
Dichte eines Netzwerkes: Maß für die aktuellen Beziehungen im Verhältnis zu den potenziellen Beziehungen, d.h. umso mehr die Mitglieder der Netzwerke auch untereinander verbunden sind, desto höher ist die Dichte, und desto enger stehen sie in Verbindung.
Abgrenzung: Dieser Grad misst die Interaktionen des Netzwerkes. Beziehungen innerhalb des Kerns werden als „strong ties“ und sporadische Beziehungen nach außen als „weak ties“ bestimmt.
Reichweite: wird differenziert in geografische, inhaltliche oder soziale Reichweite; je größer diese sind, desto offener ist ein Netzwerk. Vermutlich wächst die Heterogenität der Zusammensetzung und die Komplexität der Beziehungen durch jedes neue Mitglied (vgl. Wellman 2000: 148f).
Soziale Kontrolle: Damit ist die Überwachung sowie Sanktionierung und die Beschränkung von Zugang, Inhalten und Kommunikationszeiten gemeint. Sie ist desto geringer ausgeprägt, je lockerer die Netzwerke sind (vgl. ebd.: 152ff).
Bindung (Ties): Diese Bindungen in bzw. von sozialen Netzwerken entstehen durch die Faktoren der empfundenen sozialen Nähe, der Freiwilligkeit, der Kontakthäufigkeit und der Multiplexität[13] (vgl. ebd.: 155f). So handelt es sich um uniplexe Beziehungen, wenn dem Netzwerk ein thematischer Kern zugrunde liegt (z.B. Selbsthilfeforen für junge Mütter). Starke Bindungen (strong ties) wachsen langsam, erfordern einen hohen zeitlichen und emotionalen Aufwand und sind dadurch auch in ihrer Anzahl beschränkt. Intimität, wechselseitige Unterstützung und hohes Vertrauen kennzeichnen die Kommunikation in diesen Kernnetzwerken, während schwache Bindungen (weak ties) leicht zu beenden und weniger intim sind (vgl. Garton/ Haythornthwaite/ Wellman 1997).
Bedeutend für die Verortung der Netzwerkanalyse in der Sozialtheorie ist der Ansatz von Granovetter, da er konkreten sozialen Beziehungen, in die die Akteure eingebettet sind, eine Bedeutung für die Entstehung und Stabilisierung sozialer Ordnung beimisst.[14] Handlungen gehen immer aus den sozialen Beziehungsgefügen der Akteure hervor und können nur im Bezug dahingehend erklärt werden. Aufgrund der Untersuchung zur Stellenbeschaffung einzelner Akteure erkannte Granovetter (1973) die Stärke schwacher Beziehungen, da diese wichtiger für die Erlangung eines Arbeitsplatzes waren als die vermeintlich entscheidenden starken Beziehungen. Schwache Beziehungen stehen für ein Mehr an Ideen und Informationen, da sich die Akteure in verschiedenen sozialen Zirkeln bewegen und somit unterschiedlichen Zugang zu Informationskreisen haben. Diese schwachen Beziehungen zwischen ansonsten unverbundenen Teilen des Gesamtnetzwerkes, die die Erfolgschancen für das Handeln der Akteure erhöhen, nennt er Brücken (vgl. Granovetter 1973: 1364ff). this means that whatever is to be diffused can reach a larger number of people, and traverse greater social distance (i.e., path length), when passed through weak ties rather than strong.” (ebd.: 1366).
Er illustriert dies mit dem Beispiel eines Gerüchts. Wenn jemand ein Gerücht all seinen nahen Freunden (strong ties) erzählt und diese es ihm gleich tun, hören viele das Gerücht mehrmals, da diese Verbindungen dazu tendieren ebenfalls die gleichen Freunde zu haben. Wird ein Gerücht jedoch schwachen Beziehungen erzählt, so ist die Verbreitung diffuser und größer (vgl. ebd.: 1366). In diesem Sinne sind Brücken (immer) schwache Verbindungen, die die breite Diffusion von Information ermöglichen. Burt (1992) schließt an das Konzept von Granovetter an und verweist auf die strukturellen Löcher im Gesamtnetz. Nicht nur die Menge an Beziehungen, die ein Akteur hat, ist entscheidend, sondern auch die Unterschiedlichkeit dieser hat Einfluss. Strukturelle Löcher sind Lücken im Gesamtnetz, die durch nicht-redundante Beziehungen (vergleichbar mit weak ties) geschlossen werden. Je unterschiedlicher, desto mehr strukturelle Löcher können überbrückt und der Informationsgewinn ausgeweitet werden. Je höher die Zahl der nichtredundanten Beziehungen, desto mehr unterschiedliche Bereiche eines Gesamtnetzes können erreicht werden. Die Stärke oder Schwäche von Beziehungen ist nicht ausschlaggebend in Burts Konzept, sondern der Schwerpunkt liegt auf dem Akteur, seiner Position im Netz und wie er selbst diese Beziehungen benützt, also welches Kapital er daraus schlägt (vgl. Hennig 2006: 77f, weiterführend Burt 1982). Daraus resultieren die Fragen, wie sich ungleiche Handlungsmöglichkeiten aus den Strukturen ergeben und weitergehend, wie Akteure ihre Netzwerke gestalten können, um möglichst viele Ressourcen zu erlangen, also ihre Gewinnchancen zu maximieren. Diese Gewinnchancen, in Form von Information und Kontrollmöglichkeiten, stellen das soziale Kapital eines Akteurs dar. Soziales Kapital ist in Form von sozialen Beziehungen ständig wandelbar und abhängig von den aktuell aktivierten Beziehungen zu anderen Akteuren. Es kann sich zum einen in ihrer Stärke äußern, z.B. in vertrauensvollen, festen Beziehungen. Zum anderen aber auch in strategischen Allianzen‘ (losen Beziehungen in Form von Brücken), die verschiedene, ansonsten unverbundene Akteursgruppen miteinander verbinden“ (Götzenbrucker 2005: 15). Granovetter hatte gezeigt, dass Brücken es ermöglichen, zu vielen Informationen zu kommen. Burt erweiterte dieses Konzept und zeigte, dass Brücken es auch ermöglichen, Kontrolle über die Handlungsoptionen anderer Akteure zu erlangen. Beide Ansätze zusammen ermöglichen es, ungleiche „Handlungsmöglichkeiten aufgrund verschiedener Kontrolloptionen und unterschiedlichen Informationszugangs der Akteure“ (Beckert 2005: 301) als wichtige Komponenten in der Bedeutung von Netzwerkstrukturen zu erklären.
Im Komplex der sozialkonstruktivistischen Sozialtheorien handelt der Mensch nicht nach einem vorgängig festgelegten Eigenvorteilsmuster, sondern das Handlungsmuster und die gesamte soziale Identität entstehen in einem Beziehungszusammenhang (vgl. Stegbauer 2008a: 13). Bereits Georg Simmel (1908) erkannte, dass Handlungen sich an Konventionen orientieren, d.h. sich aus einem konkreten Handlungsanlass herausbilden, aber sich danach verselbstständigen. Harrison White (1992) geht nun in seinem Verständnis von sozialer Ordnung davon aus, „dass Positionensysteme von den Akteuren aktiv konstruiert würden, um ein Stück Sicherheit in der Vielfalt der möglichen auf sie einströmenden Informationen, Beziehungen, Probleme etc. zu bekommen“ (Stegbauer 2008b: 192). Akteure ringen um ihre soziale Positionierung, und dieser Wettbewerb wird zum Grundprinzip gesellschaftlicher Ordnungsprozesse und ihrer Dynamik. White bezeichnet die Einheiten, aus denen sich Statusordnungen konstituieren, als soziale Moleküle, die z.B. Verwandtschaftssysteme oder Unternehmensgruppen sein können und in denen Akteure immer eingebettet sind. Nur als Teil dieser, erlangen Akteure eine Identität und können diese aufrecht erhalten (vgl. White 1992: 22 zit. nach Beckert 2005: 305) . Neben Identität ist Kontrolle das weitere zentrale Glied der Theorie. Während Identität „eine gewisse äußerlich wahrnehmbare Stabilität von Akteuren im Zeitablauf“ ist, dient Kontrolle „zur Herstellung von Ordnung und zur Wahrnehmung der Identität“ (Hennig 2006: 80). Durch Beteiligung an sog. Kontrollprojekten versuchen Akteure an Aktivitäten teilzunehmen, mit denen sie Ereignisse, Personen oder Dinge beeinflussen. Diese Beeinflussung wirkt sich wiederum auf ihre Position innerhalb der Molekülstruktur aus. Neue Beziehungen entstehen durch Einbettung und Entkoppelung und bilden neue Netzwerkstrukturen. Dadurch eröffnen sich neue Handlungswege und die neu formierten Strukturen blockieren mit ihren Positionsverteilungen und charakteristischen Grenzen die Handlungsmöglichkeiten anderer Akteure, auch als „blocking action“ bezeichnet. Gerade durch die Verhinderung der Handlungsmöglichkeiten anderer erlangt der Akteur Kontrolle, da dadurch (neue) eigene Handlungsmöglichkeiten geschaffen werden (vgl. Beckert 2005: 306). Der theoretische Ansatz von White stellt einen groß angelegten Entwurf einer Netzwerktheorie dar, ist jedoch noch sehr abstrakt und oft nicht in einfacher Form zu fassen. Es handelt sich eher um „einen theoretischen Orientierungsrahmen für untersuchungswerte Aspekte (...), da meist nur einzelne Phänomene charakterisiert und nur vereinzelt auch Hypothesen entwickelt werden“ (Hennig 2006: 84f).
Der Netzwerkansatz stellt soziale Beziehungen, die Mitglieder verschiedener Gruppen verbinden und dadurch Strukturen bilden, in den Mittelpunkt. Soziale Netzwerke sind jedoch nicht das Gleiche wie soziale Gruppen. Diese unterscheiden sich „. durch die Berücksichtigung der innersystemischen Dynamik, die aufgrund der indirekten und direkten Beziehungen das Netz permanent erweitern, durch das Vorhandensein homogener und heterogener Beziehungen sowie die Fähigkeit, unterschiedliche Bedürfnisse zu befriedigen.“ (Hennig 2006: 59)
Im Social Web gewinnen die schwachen Beziehungen zunehmend an Stärke, da die Kommunikation der Knoten untereinander vereinfacht wurde. Löcher können leichter überbrückt werden, und speziell in Social Networks findet ein diffuser Informationsaustausch schon dadurch statt, dass die Akteure nicht unmittelbar mehr beeinflussen können, welche Beziehungen bestehen und für andere zugänglich resp. sichtbar sind. Soziale Netzwerke grenzen sich untereinander ab, durch die zeitliche, sachliche und räumliche Differenzierung der sozialen Umwelt (vgl. Hennig 2006: 59). Bevor jedoch die Unterschiede zwischen (sozialen) Gruppen, sozialen Netzwerken und virtuellen Communitys beschrieben werden, muss zunächst theoretisch erklärt werden, warum sich Nutzer dem Computer als Medium zuwenden und dort ,Knoten und Verbindungen’ herstellen.
5.4. Theorien der computervermittelten Kommunikation
Gerade in sozialen Netzwerken hat sich eine schnelle und unmittelbare, aber vor allem kurze Kommunikation etabliert. Es werden selten lange Kommentare geschrieben, Nutzer überfliegen die Informationen geradezu. Doch warum wenden sich Nutzer überhaupt dem Computer als Medium zu und gründen dort Gruppen oder Beziehungen zueinander? Damit beschäftigen sich die Theorien der computervermittelten Kommunikation. Mit jeder kommunikativen Handlung werden zwei Intentionen verfolgt. Einerseits soll dem anderen etwas mitgeteilt werden (Sozialbezug oder Beziehungsaspekt) und andererseits soll etwas Bestimmtes mitgeteilt werden (Gegenstandsbezug oder Inhaltsaspekt). Daher sind edienwahlen immer situations- und kontextbezogen, erfolgen routinisiert und habitualisiert und orientieren sich an den sozialen Medienregeln (vgl. Beck 2006: 231). Unter computervermittelter Kommunikation versteht man „. alle Formen der interpersonalen, gruppenbezogenen und öffentlichen Kommunikation, die offline oder online über Computernetze oder digitale Endgeräte erfolgen.“ (Kimpeler/ Schweiger 2007: 15)
Sie schafft eigene Rahmenbedingungen, die die Bandbreite zwischenmenschlicher Ausdruckweisen entscheidend einschränken. Medium der Kommunikation ist der Computer und das Internet und somit die traditionell textbasierte Basis über die Tastatur.
Damit ist die Kommunikation von Vornherein auf die Schrift eingeschränkt.[15] Intonation oder Dynamik der Sprache sowie die Eigenheiten der Körpersprache werden (fast) vollständig ausgeblendet. Da Sprache an sich ein redundantes System ist, d.h. Information auf mehreren Kanälen vermittelt, kommt es zu unaufgelösten Ambiguitäten bei der Wegnahme eines Kanals. Die Art, wie ein Satz betont wird, differenziert mehrdeutige Aussagen. So kann z.B ein freundliches Scherzen zwischen zwei Bekannten zu einer groben Beleidigung in einem anderen Tonfall werden. Diese Nuancen werden in der Verschriftlichung herausgefiltert und das Risiko von Missverständnissen somit erhöht. Kommunikation per Internet, sei es E-Mail, Chat oder Instant Messenger hat per se oft einen informellen Charakter. Das persönliche Gespräch ist bestimmt durch die Umgangsart miteinander, Humor und Ironie, aber auch durch die angenommenen Kommunikationsabsichten des Gesprächspartners. Im Wesentlichen basiert computervermittelte Kommunikation auf getippten Texten und unterscheidet sich, durch die Verwendung anderer Codes und eines einzigen Sinneskanals, somit grundlegend von der Telekommunikation (vgl. Beck 2006: 231). Das notwendige „Social Information Processing“, also die soziale Informationsverarbeitung, dauert bei der computervermittelten Kommunikation länger als in der Face-to-face-Situation, da der erste Eindruck immer auf symbolisch (re-)präsentierten „Social Cues“[16] beruht wie dem Nickname und geschriebenen Texten. Diese können aber durch sprachliche Selbstauskünfte („Self Disclosure“) oder grafische Websites ergänzt werden (vgl. ebd: 171). Damit die Nutzer nun medienadäquat kommunizieren können, müssen sie sich diverse Fähigkeiten aneignen. Dazu zählen nicht nur die technischen Kenntnisse und Fertigkeiten, sondern ebenso kommunikative Kompetenzen im Sinne der Beherrschung relevanter Kommunikationsregeln im medialen Umgang mit anderen. Diese Regeln helfen einer möglichen Verwechslung von interpersonalem und technischem Rahmen vorzubeugen und die reale Person hinter dem Computerbildschirm nicht zu übersehen (vgl. Höflich 2003: 63). Durch die Kanalreduktion haben sich besondere Codierungen in der computervermittelten Kommunikation entwickelt, um Emotionen und beziehungsanzeigende Hinweise zu vermitteln. Durch die ,Beschleunigung der Reaktionszeit’ im Social Web, d.h. dass die Kommunikation in Echtzeit vonstatten geht, anders noch als bei der E-Mail-Kommunikation, ist eine vereinfachte und schnelle
Kommunikation sehr wichtig. Wetzsein et al. (1995) listen verschiedene Varianten der Codierung von der Sprache zur Schrift auf:
Emoticons: Um auch Gefühle und Stimmungen (schnell) ausdrücken zu können, haben sich Emoticons in der computervermittelten Kommunikation etabliert. Diese sind „Emotional Icons“ - ikonische, abbildhafte abstrahierte Zeichen. Die Erfindung des seitwärts zu lesenden lachenden Gesichts (Doppelpunkt, Minus-Zeichen und eine nach links offene Klammer „ :-) “) geht auf Professor Scott Fahlmann 1982 in einem Posting für eine Newsgroup zurück (Fahlmann 2009). Mittlerweile gibt es eine Unzahl an Emoticons und Smileys mit unterschiedlicher Bedeutung (vgl. Emoticons und Smilies 2009).
Grafiken: durch den ASCII-Zeichensatz werden verschiedene Grafiken erstellt und in die Nachrichten eingebaut. Dies wird auch als Kunstrichtung verstanden, da versucht wird, ganze Bilder darzustellen (z.B. eine Rose „ @>--}-- “).
Sound- oder Lautwörter. Diese werden auch Onomatopöien genannt, entstammen dem Comicbereich und beschreiben diverse (Re)Aktionen von Nutzern wie Verlangen („lechz“), Ekel („bääh“), Schlafen („zzzzzz“), usw.
Aktionswörter, dienen der Beschreibung situativer Vorgänge wie der physischen oder psychischen Verfassung, z.B. „denk“ für Nachdenken, „zwinker“ für Zuzwinkern „schlotter“ für Zittern, „hihi“ für Lachen, usw. (vgl. Wetzstein et al. 1995: 75ff).
[...]
[1] Eine ausführliche und detaillierte Geschichte des Internets würde den Rahmen der Arbeit sprengen und ist u.a. zu finden bei Ebersbach/ Glaser/ Heigl 2008: 14ff, Döring 2003: 1ff, Grassmuck 2002: 179ff.
[2] Mittlerweile gibt es auch Push-Elemente wie z.B. Werbeeinschaltungen in Form von Banner oder Pop-ups.
[3] Weblogs ist die Bezeichnung für öffentlich geführte Tagebücher im WWW. Die geposteten Beiträge werden in chronologischer Reihenfolge gelistet. Weblogs werden auch kurz als Blogs bezeichnet.
[4] (Stand 22.02.2010: http://www.wikipedia.org/ )
[5] Auf die Besonderheiten der einzelnen Social Web-Anwendungen wird in detaillierter Form in Kapitel 6 eingegangen.
[6] Ausführungen folgen in Kapitel 5.5.
[7] Das Konzept des symbolischen Interaktionismus geht davon aus, dass menschliches Handeln ein In- Beziehung-Treten des Menschen mit seiner natürlichen und symbolischen Umwelt ist. Das handlungstheoretische Verständnis basiert nach Herbert Blumer (1973: 81f) auf den Prämissen, dass Menschen „Dingen“ gegenüber auf der Grundlage von Bedeutungen handeln, die diese Dinge für sie besitze n. Diese Bedeutungen entstehen aus sozialen Interaktionen mit den Mitmenschen und werden im Rahmen der Auseinandersetzung in einem interpretativen Prozess benützt und abgeändert.
[8] Bezeichnung für das Vermischen von bereits bestehenden Webanwendungen, wie etwa das Einbinden von Google Maps-Karten oder YouTube-Videos in die eigene Website und dadurch Erstellung neuer Medieninhalte.
[9] Mit „ Lurker“ werden Nutzer des World Wide Webs bezeichnet, die nicht aktiv zu Gesprächen, Diskussionen oder sonstigen Formen von Meinungsaustauschen etwas beitragen, sondern nur passiv rezipieren.
[10] Emoticons sind ikonische, abbildhafte abstahierte Zeichen und werden in Abschnitt 2.4 näher erläutert.
[11] Die Beziehung zwischen zwei Menschen wird als Dyade bezeichnet.
[12] Flashmob ist ein Anglizismus, für einen kurzen und scheinbar spontanen Menschenauflauf an öffentlichen Plätzen bezeichnet. Die Menschen scheinen sich nicht zu kennen und machen um eine bestimmte Uhrzeit eine bestimmte Tätigkeit (wie etwa einen Tanz aufführen oder in einer gewissen Position verharren). Anschließend löst sich die Gruppe wieder auf, als wäre nichts passiert. Organisiert werden diese Spektakel durch Aufrufe in Foren, sozialen Netzwerken, per SMS oder ähnlichen Kommunikationsmedien.
[13] Multiplexität meint das gleichzeitige Vorkommen mehrer, verschiedener sozialer Beziehungen in Netzwerken (Hennig 2006: 74).
[14] Granovetter beschäftigte sich mit der ökonomischen Handlungstheorie von Talcott Parsons. Dieser Theorie nach haben Akteure festgelegte Präferenzen die unbeeinflussbar sind durch die Interaktion mit anderen. Auch im normenorientierten Modell treffen die Akteure Handlungsentscheidungen in sozialer Isolation voneinander (vgl. Beckert 2005: 289ff).
[15] Die Möglichkeiten der Internettelefonie und der Erweiterung durch Webcams, also die realweltliche Konstruktion einer Gesprächssituation sind Sonderformen der computervermittelten Kommunikation und werden hier außen vor gelassen. Der Großteil der Kommunikation über das Internet bzw. im World Wide Web findet über die Tastatur und somit über die Schrift statt.
[16] Social Cues sind soziale Hinweisreize auf den Gesprächspartner wie Alter, Hautfarbe oder Geschlecht.
- Citation du texte
- Kathrin Kremser (Auteur), 2010, Unternehmenskommunikation im Social Web, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/173227
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