[...] Der Film Mulholland Drive lieferte die Idee für diese Arbeit – sich den klanglichen
Dimensionen des Filmtons von einer wissenschaftlichen Seite zu nähern. Dabei ging
der Weg zunächst weg vom einzelnen Film, hin zu einer allgemeinen Beschreibung
der Strukturen des Filmtons. In einer Art Begriffsklärung für eine auditive Filmanalyse
(Seite 19) werde ich verschiedene Konzepte zur Beschreibung von Ton im Film
aufzeigen und das zuweilen komplizierte Verhältnis von Bild und Ton (Seite 28)
erläutern.
Den zweiten Schwerpunkt der Arbeit bildet der Versuch einer auditiven Filmanalyse
am Beispiel von Mulholland Drive. Dabei werde ich zum Teil auf die vorgestellten
Konzepte zurückgreifen und versuchen, Besonderheiten, Themen und Techniken
dieses Films herausarbeiten. In Ermangelung einer umfassenden Theorie, die alle
Phänomene des audiovisuellen Geflechts zu beschreiben in der Lage ist, muss der
einzelne Film den Ausgangspunkt für ein solches Unterfangen bilden und die
Analyse wird sich an ihm ausrichten.
Natürlich sollte die auditive Filmanalyse nicht lediglich Selbstzweck sein. Vielmehr
liegt darin die Möglichkeit, sich dem Untersuchungsgegenstand Film von einer Seite
zu nähern, die oft für viel zu selbstverständlich erachtet wird. Der Ton scheint dem
Bild auf natürlichste Weise regelrecht zu entspringen und passiert den Rezipienten
häufig völlig unreflektiert.
Die meisten Kinobesucher können sich nach einer Vorstellung schwerlich an die
gehörte Musik erinnern. Konkrete Aussagen über die Qualität des Tons hört man
sogar noch seltener – am ehesten wenn ein technischer Defekt vorlag, der die
Wahrnehmung auf die Tonspur lenkt, die ansonsten wahrscheinlich unbeachtet
bliebe. Es ist die Allgegenwart des Tons, die ihn uns unterschätzen lässt. Gleichzeitig ist
dies aber auch seine größte Stärke. Eine Manipulation des Bildes ist meist
offensichtlich, eine Manipulation des Tons bleibt dagegen meist unbemerkt und kann
sich unterbewusst entfalten. Diesen Umstand gewissermaßen ausnutzend, lässt der
Filmemacher die Töne sprechen, um auch tiefere Bewusstseinsschichten beim
Zuschauer zu erreichen.
Die Beeinflussung durch Klang, die im Kino oftmals nur ein vages, unbestimmtes
Gefühl hinterlässt, kann in einer auditiven Filmanalyse objektiviert werden. Zudem
lassen sich narrative Strategien am Ton überprüfen; die Analyse macht uns auf
verborgene Qualitäten des Filmwerks aufmerksam und schärft unsere
Wahrnehmung, indem sie uns Dinge benennen lässt.
[...]
Inhalt
Einleitung
I Von den ersten Tönen zum sensorischen Kinoerlebnis
II Begriffsklärung für eine auditive Filmanalyse
Über die Schwierigkeit der Kategorisierung von Klangobjekten auf der Tonspur
Die Terminologie von Bordwell/Thompson
Die erweiterte Terminologie von Sonnenschein
Das informationstheoretische Modell von Flückiger
Die Hörmethoden von Chion
III Das Verhältnis von Bild und Ton
Synchrese und Akzentuierung
Das System des Mehrwerts
Raum und Zeit
Ein Sonderfall: Das unidentifizierbare Klangobjekt
Tonperspektive und Extension
Die Frage des Kontrapunkts
IV Mulholland Drive – Eine auditive Filmanalyse
Der Film
Synopse
Lesarten
Anmerkung
Die Grenze zwischen Musik und Geräusch
Raumtöne und Atmosphären
UKOs als offene Zeichen
Die akustische Nahaufnahme
Tonperspektive und Subjektivierung
Optisch-akustische Phänomene
Optisch-akustische Enunziationsmarkierung
Optisch-akustische Parallelisierung
Nicht simultaner Ton
Songs
Mehrwert durch Songtexte
Llorando – Eine Performance im Film
Sprache
Schlussbetrachtung: Die souveräne Tonspur
Bibliographie
- Citation du texte
- Roman Keller (Auteur), 2003, Auditive Filmanalyse: Die Notwendigkeit bewusster Wahrnehmung von Filmton am Beispiel von David Lynchs "Mulholland Drive", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/172939
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