Einleitung
Das erste Mal trat das Europäische Parlament gemäß den Bestimmungen des EGKS-Vertrages noch unter dem Namen der „Gemeinsamen Versammlung“ am 10. September 1952 zusammen. Als Kontrollorgan ohne gesetzgeberische Befugnisse gehörten ihm zu diesem Zeitpunkt 78 Abgeordnete an, die von den nationalen Parlamenten entsandt wurden . Bis heute hat sich das Europäische Parlament neben der im Primärrecht verankerten Bezeichnung „Europäisches Parlament“ zahlreiche Rechte erkämpft. Es stellt heute 626 direkt gewählte Abgeordnete und ist in einigen Bereichen dem Rat als Gesetzgeber gleichgestellt. Diese Arbeit wird sich mit der Frage beschäftigen, ob das EP im derzeitigen Entwicklungsstadium dem Anspruch eines echten Parlaments gerecht wird. Problematisch erscheint, dass das EP -ebenso wie der Rat und die Kommission auch- einzigartige Organe sind, die sich wesentlich von den nationalen (und internationalen) Gegenstücken unterscheiden und deren Entwicklungsprozess nicht abgeschlossen ist. Im Mittelpunkt wird dennoch die Untersuchung stehen, ob und inwieweit das EP die klassischen Parlamentsfunktionen der nationalstaatlichen Parlamente westeuropäischer Demokratien erfüllt. Zwei Überlegungen führen zu diesem nicht unproblematischen Ansatz:
1) Die Europäischen Gemeinschaften unterliegen dem Prinzip der Supranationalität, d.h., ihr Gemeinschaftsrecht begründet eine Rechtsordnung, die unmittelbar innerstaatlich Rechtswirkung erzeugt. Die Charakterisierung der Gemeinschaften als supranational beinhaltet, dass sie eine neue öffentliche, gegenüber der Staatsgewalt eigenständige Gewalt darstellt, deren Normen unmittelbare Durchgriffswirkung gegenüber den Mitgliedsstaaten und ihren Bürgern haben und Vorrang vor dem innerstaatlichen Recht genießen. In diesen Bereichen sollte daher der Demokratiestandard in demselben Maße gewährleistet sein wie auf nationaler Ebene soweit er mit den Zielen und der Struktur der Organisation vereinbar is. Die Untersuchung wird sich daher auch lediglich auf den supranational ausgerichteten Bereich konzentrieren, d.h. die Europäischen Gemeinschaften als erste und wichtigste Säule der EU. 2) Die kontinuierliche Ausweitung der gemeinschaftlichen Kompetenzen führt zu einer Aushöhlung national-parlamentarischer Kompetenzen, die nur durch vergleichbare Befugnisse des EP auf europäischer Ebene kompensiert werden können. [...]
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Der europäische Volksbegriff
2. Die Wahlen zum Europäischen Parlament
3. Die Parlamentsfunktionen
3.1. Die Wahl- und Abberufungsfunktion
3.1.1. Wahl und Abberufung der Kommission
3.1.2. Wahl und Abberufung des Rates
3.2. Die Gesetzgebungsfunktion
3.2.1. Anhörungsverfahren
3.2.2. Zusammenarbeit
3.2.3. Zustimmungsverfahren
3.2.4. Mitentscheidungsverfahren
3.2.5. Haushaltsverfahren
3.2.5.1. Vorschlagsrecht im Bereich der „obligatorischen Ausgaben“
3.2.5.2. Änderungsrecht im Bereich der „nicht-obligatorischen Ausgaben“
3.2.5.3. Gesamtablehnung des Haushalts
3.2.6. Beurteilung der Gesetzgebungsfunktion
3.2.6.1. Die Gesetzgebungsverfahren
3.2.6.2. Beurteilung der Haushaltsfunktion
3.3. Die Kontrollfunktion
3.3.1. Kontrollrechte gegenüber der Kommission
3.3.2. Kontrollrechte gegenüber dem Rat
3.3.3. Organunabhängige Kontrollrechte
3.3.3.1. Gerichtliche Kontrollen
3.3.3.2. Haushaltskontrolle
3.3.3.3. Bürgerbeauftragter
3.3.3.4. Petitionsrecht
3.3.3.5. Untersuchungsausschuss
3.3.4. Beurteilung der Kontrollfunktion
3.4. Die Repräsentationsfunktion
3.5. Die Kommunikationsfunktion
3.5.1. Beurteilung der Repräsentations- und Kommunikationsfunktion
4. Fazit und Ausblick
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Einleitung
Das erste Mal trat das Europäische Parlament gemäß den Bestimmungen des EGKS-Vertrages noch unter dem Namen der „Gemeinsamen Versammlung“[1] am 10. September 1952 zusammen. Als Kontrollorgan ohne gesetzgeberische Befugnisse gehörten ihm zu diesem Zeitpunkt 78 Abgeordnete an, die von den nationalen Parlamenten entsandt wurden[2]. Bis heute hat sich das Europäische Parlament neben der im Primärrecht verankerten Bezeichnung „Europäisches Parlament“[3] zahlreiche Rechte erkämpft. Es stellt heute 626 direkt gewählte Abgeordnete[4] und ist in einigen Bereichen dem Rat als Gesetzgeber gleichgestellt.
Diese Arbeit wird sich mit der Frage beschäftigen, ob das EP im derzeitigen Entwicklungsstadium dem Anspruch eines echten Parlaments gerecht wird. Problematisch erscheint, dass das EP –ebenso wie der Rat und die Kommission auch- einzigartige Organe sind, die sich wesentlich von den nationalen (und internationalen) Gegenstücken unterscheiden[5] und deren Entwicklungsprozess nicht abgeschlossen ist. Im Mittelpunkt wird dennoch die Untersuchung stehen, ob und inwieweit das EP die klassischen Parlamentsfunktionen der nationalstaatlichen Parlamente westeuropäischer Demokratien erfüllt. Zwei Überlegungen führen zu diesem nicht unproblematischen Ansatz:
1) Die Europäischen Gemeinschaften unterliegen dem Prinzip der Supranationalität, d.h., ihr Gemeinschaftsrecht begründet eine Rechtsordnung, die unmittelbar innerstaatlich Rechtswirkung erzeugt[6]. Die Charakterisierung der Gemeinschaften als supranational beinhaltet, dass sie eine neue öffentliche, gegenüber der Staatsgewalt eigenständige Gewalt darstellt, deren Normen unmittelbare Durchgriffswirkung gegenüber den Mitgliedsstaaten und ihren Bürgern haben und Vorrang vor dem innerstaatlichen Recht genießen[7]. In diesen Bereichen sollte daher der Demokratiestandard in demselben Maße gewährleistet sein wie auf nationaler Ebene soweit er mit den Zielen und der Struktur der Organisation vereinbar ist[8]. Die Untersuchung wird sich daher auch lediglich auf den supranational ausgerichteten Bereich konzentrieren, d.h. die Europäischen Gemeinschaften als erste und wichtigste Säule der EU.
2) Die kontinuierliche Ausweitung der gemeinschaftlichen Kompetenzen führt zu einer Aushöhlung national-parlamentarischer Kompetenzen, die nur durch vergleichbare Befugnisse des EP auf europäischer Ebene kompensiert werden können. Nach Ansicht des BVerfG seien es zwar „zuvörderst die Staatsvölker der Mitgliedstaaten, die dies über die nationalen Parlamente demokratisch zu legitimieren“ hätten, dass aber „im Maße des Zusammenwachsens der europäischen Nationen zunehmend - innerhalb des institutionellen Gefüges der Europäischen Union die Vermittlung demokratischer Legitimation durch das von den Bürgern der Mitgliedstaaten gewählte Europäische Parlament“[9] zu erfolgen hat.
Das in diesem Zusammenhang allseits diskutierte „Demokratiedefizit“ wird in diesem Aufsatz nur im Hinblick auf das EP betrachtet. Weiterhin ist anzumerken, dass lediglich rechtliche Voraussetzungen und Rahmenbedingungen geprüft werden, tatsächliche, soziologische und gesellschaftspolitische Aspekte werden nicht betrachtet. Zuletzt wird der Aufsatz sich mit der Frage beschäftigen, wie denn ein „echtes“ europäisches Parlament in die Organtätigkeit der EG eingebunden sein müsste.
Hauptteil
1. Der europäische Volksbegriff
Die MS der Europäischen Gemeinschaften als Bestandteil der EU verpflichten sich zu Demokratie[10]. Demokratie –wörtlich Volksherrschaft- im allgemeinen Sinne besagt, dass das Volk nicht nur Ursprung und Träger der politischen Gewalt ist, es übt sie auch aus. Auch wenn dieser Begriff im allgemeinen Sinne nichts über die konkrete Ausgestaltung aussagt, so ist das gemeinschaftsweite Demokratieverständnis im Sinne eines wertenden Rechtsvergleiches zu berücksichtigen[11]. Das Demokratieprinzip ist in den Mitgliedsstaaten sehr unterschiedlich konkretisiert worden, in allen ist jedoch das Parlament als Instrument der direkten Volksherrschaft realisiert worden[12]. Dies bedeutet aber auch, dass jedes Parlament als Legitimationssubjekt ein Demos benötigt. Die Legitimation des EP müsste also die Existenz eines europäischen Volkes voraussetzen. Das BVerfG negiert in seiner Maastricht-Entscheidung die Existenz eines europäischen Volkes unter Berufung auf Art. 1 EUV, der von einer Union der „Völker Europas“ spricht. Resultat dieser häufig von der deutschen Staatsrechtlehre vertretenen „Kein-Demos-These“[13] wäre eine schon im Ansatz verfehlte Legitimation des EP. Eine Ausrichtung auf ein demokratisches System mit eigenem Legitimationsgeber wäre schon deshalb unmöglich, weil es ohne Volk auch keine Volksherrschaft geben könne. Eine andere Auffassung vertritt Suski. Auch sie kommt nach eingehender Untersuchung zu dem Schluss, dass es aufgrund mangelnder Gleichheit ein Volk im staatsrechtlichen Sinne nicht gibt. Sie sieht allerdings in der Einführung der Unionsbürgerschaft die Schaffung einer Rechtsstellung der Unionsbürger, die derjenigen der Staatsbürger sehr nahe kommt. So seien die rechtlichen Vorraussetzung für die politische Willensbildung insofern gegeben, dass Parteimitgliedschaft, aktives und passives Wahlrecht und die Teilnahme an politischen Veranstaltungen im jeweiligen Aufenthaltsstaat möglich seien. Auch wenn es kein europäisches Volk gibt, so gäbe es doch die Völker der Mitgliedsstaaten, die in demokratischer Weise unmittelbar ihren Einfluss geltend machen könnten[14]. Auch Weiler liefert einen interessanten Ansatz: Er sieht keinerlei Notwendigkeit, einen europäischen Demos identisch zum Demos einer der Mitgliedstaaten zu definieren. Die Trennung von Nationalität und Staatsangehörigkeit würde die Möglichkeit eröffnen, sich koexistierende, multiple Demoi vorzustellen. Einerseits die nationale Zugehörigkeit –fassbar in einer organisch-kulturellen Identität, andererseits und gleichzeitig die europäische Zugehörigkeit, die zuallererst in bürgerlichen und politischen Begriffen zu verstehen sei[15]. Folgt man dieser Argumentation, wäre auch hier das Volk als Legitimationssubjekt wieder gegeben und eine direkte Legitimation durch Wahlen zum EP möglich.
2. Die Wahlen zum EP
Nach Art. 190 EGV werden die Abgeordneten der Völker der in der Gemeinschaft vereinigten Staaten im Europäischen Parlament in allgemeiner, unmittelbarer Wahl gewählt. Die Einhaltung der restlichen Wahlprinzipien (frei, gleich und geheim) wird damit begründet, dass es sich hierbei um allgemeine Rechtsgrundsätze handelt, die allen Rechtsordnungen der MS gemein seien[16]. Die ausdrückliche Aufnahme der Grundsätze der Allgemeinheit und Unmittelbarkeit soll lediglich das „neue“ Verhältnis zwischen Bürgern der MS und der Gemeinschaft demonstrieren. Durch die Zulassung der nationalen Wahlsysteme[17] wird jedoch der Grundsatz der Gleichheit in zwei Punkten verletzt. So gilt beispielsweise in Großbritannien im Gegensatz zu allen übrigen MS das Mehrheitswahlsystem, welche die beiden großen Parteien Labour und Konservative begünstigt, da die übrigen Stimmen verfallen, wenn der jeweilige Wahlkreis gewonnen wurde. Allerdings ist bei aller Kritik zu berücksichtigen, dass sowohl die Mehrheitswahl als auch die Verhältniswahl demokratischen Wahlformen sind, die historisch gewachsen sind und jeweils ihre Vor- und Nachteile haben[18]. Daher gestaltet sich auch die in Art. 190 Abs. 4 geforderte Vereinheitlichung der Wahlen durch das Europäische Parlament als eine der schwierigsten Aufgaben, deren Lösung bisher nicht erfolgte.
Der zweite Kritikpunkt richtet sich gegen die unterschiedliche Gewichtung der Wählerstimmen, die Konsequenzen für die Repräsentation des einzelnen Abgeordneten hat. So vertritt ein Europaabgeordneter aus Luxemburg 70.000, sein deutscher Kollege 800.000 Bürger.[19] Dieser Kompromiss aus den entgegenstehenden Prinzipien der Staatengleichheit und exakte Proportionalität wurde durch den Vertrag von Nizza etwas zugunsten des Proporzes korrigiert, auch wenn Deutschland und Luxemburg die gleiche Sitzstärke behalten. Des Weiteren bilden Luxemburg (bzw. zukünftig Malta) am unteren Ende der Skala und Deutschland am oberen Ende Ausnahmen, es müssen auch die anderen Staaten untereinander verglichen werden.
[...]
[1] Art. 7 EGKSV
[2] Art. 21 EGKSV, der Vertrag räumte die Wahlmöglichkeit zwischen Direktwahl der Abgeordneten und Entsendung durch nationale Parlamente ein; die MS einigten sich jedoch auf Durchführung des Entsendungsverfahren
[3] Artikel 3 EEA, das EP beschloss seine Umbenennung bereits 1962, allerdings wurde sie erst mit Inkrafttreten der EEA 1986 primärrechtlich verankert
[4] Art. 21 EGV, die Wahl 1999 erfolgte nach der Fassung des Amsterdamer Vertrages von 1997
[5] Lorenz, Das Europäische Parlament auf dem Vormarsch, 39f.
[6] Herdegen, Europarecht, 62ff.
[7] Kamann, Die Mitwirkung der Parlamente der Mitgliedsstaaten, 208
[8] Suski, Volksvertretung ohne Volk und Macht, 119
[9] BVerfGE 89, 155, 155
[10] Art. 6 Abs. 1 EUV
[11] Suski, Volksvertretung ohne Volk und Macht, 97f.
[12] Oberreuther, Das Parlament als Gesetzgeber und Repräsentationsorgan, in: Die EU-Staaten im Vergleich, 308 ff.
[13] vgl. Kirchhof, Der deutsche Staat im Prozess der europäischen Integration, in: Handbuch des Staatsrechts der BRD, 866ff.
[14] Suski, Volksvertretung ohne Volk und Macht, 89f
[15] Weiler, Demos, Telos und die Maastricht-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts,
[16] Hovehme, Ein demokratisches Verfahren für die Wahlen zum Europäischen Parlament, 164f.
[17] Art. 7 Abs. 2 Direktwahlakt
[18] Leiße, Möglichkeiten und Grenzen einer supranationalen Demokratie, 146
[19] Herdegen, Europarecht, 115
- Citation du texte
- Martin Köhler (Auteur), 2003, Das Europäische Parlament - ein echtes Parlament, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/17242
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