Der französische Schriftsteller George Simenon schrieb in seinem Leben 180 Bücher
über das Leben und die Ermittlungen des Kommissar Maigret. Die vorliegende
Hausarbeit beschäftigt sich mit dem 1954 veröffentlichten Roman „Maigret und die
junge Tote“.1
Dass die Wahl auf diesen Roman gefallen ist, ist Zufall. Mit diesem Vorgehen soll der
Charakter eines Experimentes erhalten bleiben. Untersucht werden soll der Roman
durch Anwendung der Raumtheorie von Jurij M. Lotman. Aus diesem Grund beginnt
die vorliegende Ausarbeitung mit einer kurzen Zusammenfassung der Theorie Lotmans,
hierbei werden die Begriffe Raum, Grenze und Sujet erläutert und in Beziehung
zueinander gebracht.2
Im Anschluss werden zwei Beispiele für Anwendungen der Theorie beschrieben und
besondere Aspekte dieser Arbeiten vorgestellt: zum einen eine Arbeit von Karl Nikolaus
Renner aus dem Jahr 1983, die sich mit Heinrich von Kleists Erzählung „Der
Findling“ beschäftigt,3 zum anderen eine Untersuchung von Hartmut Heuermann,
Peter Hühn und Brigitte Röttger, die 1982 unter dem Titel „Werkstruktur und Rezeptionsverhalten“
veröffentlicht wurde.4
Daran anschließend wird dann der Roman „Maigret und die junge Tote“ anhand der
Theorien Lotmans untersucht. Als Vergleich soll der erste von George Simenon geschriebene
Roman „Maigret und Pietr der Lette“ dienen.5 Dabei sollen einige ausgewählte
Räume und ihre Grenzen in den beiden Romanen herausgearbeitet und beschrieben
werden.
Es soll die These vorangestellt werden, dass die Grenze ein wichtiger Bestandteil im
Werk von George Simenon ist und dass in beiden Romanen dieser Übergang nicht
nur vorkommt, sondern auch die Handlung verändert und prägt. Ob die Grenze und
ihre Überschreitung sogar konstitutiv für George Simenons Roman „Maigret und die
junge Tote“ ist, soll ebenfalls untersucht werden.
1 Simenon, George: Maigret und die junge Tote. Zürich 1997.
2 Lotman, Jurij M.: Die Struktur literarischer Texte. München 1972.
3 Renner, Karl Nikolaus: Der Findling. Eine Erzählung von Heinrich von Kleist und ein Film von George
Moorse. Prinzipien einer adäquaten Wiedergabe narrativer Strukturen. München 1983.
4 Heuermann, Hartmut/ Hühn, Peter/ Röttger, Brigitte: Werkstruktur und Rezeptionsverhalten. Empirische
Untersuchungen über den Zusammenhang von Text-, Leser- und Kontextmerkmalen. Göttingen
1982.
5 Simenon, George: Maigret und Pietr der Lette. Zürich 1999.
INHALTSVERZEICHNIS
1. Einleitung
2. Der Raumbegriff von Jurij M. Lotman
2.1 Der Raum und seine Ordnung
2.2 Die Charakteristika der Grenze und des Sujets
3. Beispielhafte Anwendungen der Theorie Jurij M. Lotmans
3.1 „Der Findling“ – Beispiel I
3.2 „Werkstruktur und Rezeptionsverhalten“ – Beispiel II
4. Lotmans Theorie und der Kriminalroman George Simenons
4.1 Zum Inhalt
4.2 Grenze I: Das Rotlichtmilieu und die Polizei
4.3 Grenze II: Maigrets Berufs- und Privatleben
4.4 Grenze III: Kommissar Maigret und Inspektor Lognon
4.5 Grenze IV: Paris und die Provinz
5. Fazit
LITERATURVERZEICHNIS
1. Einleitung
Der französische Schriftsteller George Simenon schrieb in seinem Leben 180 Bücher über das Leben und die Ermittlungen des Kommissar Maigret. Die vorliegende Hausarbeit beschäftigt sich mit dem 1954 veröffentlichten Roman „Maigret und die junge Tote“.[1]
Dass die Wahl auf diesen Roman gefallen ist, ist Zufall. Mit diesem Vorgehen soll der Charakter eines Experimentes erhalten bleiben. Untersucht werden soll der Roman durch Anwendung der Raumtheorie von Jurij M. Lotman. Aus diesem Grund beginnt die vorliegende Ausarbeitung mit einer kurzen Zusammenfassung der Theorie Lotmans, hierbei werden die Begriffe Raum, Grenze und Sujet erläutert und in Beziehung zueinander gebracht.[2]
Im Anschluss werden zwei Beispiele für Anwendungen der Theorie beschrieben und besondere Aspekte dieser Arbeiten vorgestellt: zum einen eine Arbeit von Karl Nikolaus Renner aus dem Jahr 1983, die sich mit Heinrich von Kleists Erzählung „Der Findling“ beschäftigt,[3] zum anderen eine Untersuchung von Hartmut Heuermann, Peter Hühn und Brigitte Röttger, die 1982 unter dem Titel „Werkstruktur und Rezeptionsverhalten“ veröffentlicht wurde.[4]
Daran anschließend wird dann der Roman „Maigret und die junge Tote“ anhand der Theorien Lotmans untersucht. Als Vergleich soll der erste von George Simenon geschriebene Roman „Maigret und Pietr der Lette“ dienen.[5] Dabei sollen einige ausgewählte Räume und ihre Grenzen in den beiden Romanen herausgearbeitet und beschrieben werden.
Es soll die These vorangestellt werden, dass die Grenze ein wichtiger Bestandteil im Werk von George Simenon ist und dass in beiden Romanen dieser Übergang nicht nur vorkommt, sondern auch die Handlung verändert und prägt. Ob die Grenze und ihre Überschreitung sogar konstitutiv für George Simenons Roman „Maigret und die junge Tote“ ist, soll ebenfalls untersucht werden.
2. Der Raumbegriff von Jurij M. Lotman
2.1 Der Raum und seine Ordnung
In dem 1972 veröffentlichten Buch „Die Struktur literarischer Texte“ stellt der estnische Literatur- und Kulturwissenschaftler Jurij M. Lotman eine Raumsemantik vor, die als Grundlage der vorliegenden Arbeit angesehen werden darf. Zunächst wird diese Raumsemantik aufgezeigt.
Nach Lotman, ist „jede kulturelle Ordnung der Welt topologisch strukturiert.“[6] Somit stellt Lotman zu Beginn seiner Ausführungen zum Raum die These auf, dass die Mehrzahl der Menschen aufgrund ihrer visuellen Wahrnehmung bei jeder Vorstellung eines Begriffes einen räumlichen Zugang wählen, d.h. die Rezeption erfolgt durch sichtbare Objekte, die sich der Rezipient „in Gedanken ruft“.
Aus dieser These folgert Lotman, dass „die Struktur des Raumes zum Modell der Struktur des Raumes der ganzen Welt“[7] wird. Dabei versteht er Raum, als Gesamtheit gleichartiger Objekte, die entkontextualisiert sind und nur durch ihre räumliche Anordnung verbunden sind. Dies ermöglicht, dass Begriffe die ursprünglich nicht räumlich sind, dennoch räumlich betrachtet werden können.
Die verschiedenen Facetten der Realität werden in räumliche Beziehungen gesetzt, als Beispiel nennt Lotman u. a. die Dreiteilung von Himmel, Erde und Unterwelt. Es entsteht ein Raum, der gekennzeichnet ist, durch die Erde als „Mitte“ und einen darüber liegenden Himmel und eine darunter liegende Unterwelt. Die Bedeutsamkeit derartiger Modelle korreliert stark mit den kulturellen Bedingungen einer Gesellschaft.[8]
Daraus leitet Lotman ab, dass „das räumliche Modell der Welt in diesen Texten zum organisierenden Element wird, um das herum sich auch die nichträumlichen Charakteristiken ordnen.“[9] Er bringt dann auch den ethischen Raum in die Kollokation ein. Bei dem oben angeführten Beispiel ist das Böse „unten“, also in der Unterwelt, und das Gute „oben“, also im Himmel, angesiedelt.
Dass diese Ordnung auch umgedreht gelten kann, zeigt er am Beispiel der Atombombe, die das Böse symbolisiert, aber von „oben“ kommt.[10]
Lotman ergänzt seine Theorie durch den Begriff der Bewegung, den er als Verwandlung deutet. Allerdings sind „vorherbestimmte, vollständig determinierte Bewegungen“ und „mechanische Ortsveränderungen“[11] gleichbedeutend mit Unbeweglichkeit und Sklaverei. Lotman grenzt die Kultur von der Natur ab, er lokalisiert die Kultur als Teil des „oben“, während er die Natur „unten“ ansiedelt.
Er stellt noch eine weitere Opposition vor, den Gegensatz von „offen“ und „geschlossen“. Dabei steht der „geschlossene“ Raum für Haus oder Heimat, während der „offene“ Raum für Fremde oder Feindschaft steht.[12]
2.2 Die Charakteristika der Grenze und des Sujets
Der zentrale Bestandteil der narrativen Theorie Lotmans ist die Grenze.[13] Er beschreibt die Grenze als das wichtigste topologische Merkmal des Raumes, die diesen in zwei getrennte Teilräume zerteilt.[14] Dabei müssen die beiden Teilräume strukturell differieren und die Grenze darf nicht überwindlich sein.
Daraus ergeben sich verschiedene Möglichkeiten der Figurenkonstellation. Eine wichtige Möglichkeit ist, dass jede Figur zu einem der Teilräume gehört. Figuren können aber auch zu mehreren Räumen gehören und die Grenze überschreiten.
Lotman setzt seine Ausführungen mit der Beschreibung des Sujets fort, dessen kleinste Einheit das Ereignis ist, auch Motiv genannt.[15] Hartmut Heuermann, Peter Hühn und Brigitte Röttger interpretieren Lotman sogar soweit, dass sie das Sujet stets als „revolutionäres“ Ereignis in Relation zum Weltbild“ ansehen.[16] Das Ereignis definiert Lotmann folgendermaßen: „Ein Ereignis im Text ist die Versetzung einer Figur über die Grenze eines semantischen Feldes.“[17]
Die besondere Rolle der Position einer beschriebenen Tatsache in der semantischen Struktur wird hierbei deutlich. Inwiefern eine solche Tatsache zum Ereignis wird, hängt ab von der Konstruktion einzelner semantischer Felder. Diese Konstruktion wiederum wird beeinflusst durch das Weltbild, das bemisst, ob es sich um ein Ereignis handelt oder nicht. Um dies zu verdeutlichen führt Lotman die Bewertung von Tagesereignissen an, deren Relevanz sich in der Geschichte stark gewandelt hat.
Die Grenze zwischen den semantischen Feldern wird skizziert, wie eine Linie die einen Raum teilt. Dies führt Lotman zu zwei Gruppen von Figuren. Zum einen diejenigen, die die Grenze überschreiten, zum anderen diejenigen, die in einem semantischen Feld bleiben und somit unbeweglich sind. Als ein Beispiel für Figuren der ersten Gruppe nennt er „Romeo und Julia“, die beiden überschreiten unter zu Hilfenahme ihrer Liebe die Grenze, die sich aus ihrer Herkunft ergibt.
Diese Grenzüberschreitung bildet für Lotman das Ereignis. An dieser Stelle wird die Bedeutung des Raumes für den Begriff des Ereignisses sehr deutlich. Dabei sind die Sujets immer als Konflikt aufgestellt.[18] Lotman vermittelt dabei den Eindruck, dass das Ereignis konstitutiver Bestandteil einer Erzählung ist, an anderer Stelle wird allerdings deutlich, dass dies nicht zutrifft.[19]
Die vorliegende Arbeit orientiert sich an dieser Grenzüberschreitung und versucht Lotmans Theorie und Raumsemantik auf George Simenons Roman „Maigret und die junge Tote“ anzuwenden. Dabei stehen vor allem die Figuren im Vordergrund, die eine Grenze überschreiten.
Im Folgenden werden zwei Arbeiten kurz vorgestellt, die die Theorie Lotmans angewandt haben. Hierbei sollen besondere Aspekte des Umgangs mit der Theorie Lotmans genannt werden, um somit die daran anschließende eigene Textanalyse des Kriminalromans von George Simenon zu erklären und abzugrenzen. Zudem wird im zweiten Beispiel ein Teilergebnis vorgestellt.
[...]
[1] Simenon, George: Maigret und die junge Tote. Zürich 1997.
[2] Lotman, Jurij M.: Die Struktur literarischer Texte. München 1972.
[3] Renner, Karl Nikolaus: Der Findling. Eine Erzählung von Heinrich von Kleist und ein Film von George Moorse. Prinzipien einer adäquaten Wiedergabe narrativer Strukturen. München 1983.
[4] Heuermann, Hartmut/ Hühn, Peter/ Röttger, Brigitte: Werkstruktur und Rezeptionsverhalten. Empirische Untersuchungen über den Zusammenhang von Text-, Leser- und Kontextmerkmalen. Göttingen 1982.
[5] Simenon, George: Maigret und Pietr der Lette. Zürich 1999.
[6] Martinez, Matias/ Scheffel, Michael: Einführung in die Erzähltheorie. München 1999. S. 143.
[7] Lotman, Jurij M.: Die Struktur literarischer Texte. München 1972. S. 312.
[8] vgl. ebd., S. 313.
[9] ebd. S. 316.
[10] vgl. ebd., S. 318.
[11] Lotman, S. 320.
[12] vgl. ebd., S. 327.
[13] vgl. Renner. S. 25.
[14] vgl. Heuermann, Hartmut/ Hühn, Peter/ Röttger, Brigitte. S. 61.
[15] vgl. Lotman. S. 327 ff.
[16] Heuermann, Hartmut/ Hühn, Peter/ Röttger, Brigitte. S. 580.
[17] Lotman. S. 332.
[18] vgl. ebd., S. 333 ff.
[19] vgl. Martinez/ Scheffel. S. 142.
- Citation du texte
- Jan Schüttler (Auteur), 2003, George Simenons "Maigret und die junge Tote" und die Grenze nach Jurij M. Lotman., Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/17120
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