[...] Aufgabe dieser Arbeit wird sein, Endes bekannteste Kinderbücher Momo, Die unendliche Geschichte und die beiden Bücher über Jim Knopf (Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer und Jim Knopf und die Wilde 13 ) nach ausgewählten anthroposophischen Gesichtspunkten zu untersuchen. Diese werden zunächst für ein besseres Verständnis des Analyseteils dargestellt. Dabei werden aber nur jene Bereiche der Anthroposophie erläutert, die für den zweiten Teil der Arbeit relevant sind. Eine allumfassende Darstellung der Theorien Steiners ist im Rahmen dieser Arbeit nicht zu leisten.
Außer der Dissertation Kaminskis gibt es keine Forschungsliteratur, die sich explizit mit dem Einfluss Steiners auf Michael Endes Kinderliteratur beschäftigt. Kaminski erwähnt viele von Endes Büchern und stellt einzelne Passagen in den Kontext mit der Anthroposophie, konzentriert sich aber größtenteils auf Die unendliche Geschichte. Neben dieser Arbeit wird aber auch Sekundärliteratur mit anderen Schwerpunkten in dieser Untersuchung unterstützend und belegend verwendet werden, sofern sie inhaltlich mit anthroposophischen Gesichtspunkten übereinstimmt beziehungsweise sich mit ihnen in Verbindung setzen lässt.
Inhalt
1 Einleitung
2 Rudolf Steiner und die Anthroposophie
2.1 Bildung unter Einfluss des Staates und die Bedeutung der Phantasie
2.2 Die Bedeutung von Märchen
2.3 Die Waldorfschule in den ersten Jahren
3 Die Werke Michael Endes unter dem Einfluss Steiners
3.1 Momo und die Unterdrückung der freien Entwicklung durch Autoritäten
3.2 Die unendliche Geschichte als Märchen im Sinne Steiners
3.3 Jim Knopf und die Vorzüge der Waldorfpädagogik
4 Schluss
Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Seinen ersten Kontakt zu den Lehren Rudolf Steiners hatte Michael Ende bereits 1936 im Alter von sechs Jahren. Sein damaliger Lehrer, Herr Riegel, war Anhänger der anthroposophischen Weltanschauung. Da diese vom Dritten Reich jedoch abgelehnt wurde, ist nicht bekannt, inwiefern er sie in den Unterricht einfließen lassen konnte.[1] Spätestens jedoch nach dem Krieg bewegte sich die Familie Ende in einem Freundes- und Bekanntenkreis, der die Lehren Steiners anerkannte und bewunderte.[2] Nach dem Zweiten Weltkrieg verbrachte Michael Ende seine letzten Schuljahre auf der Stuttgarter Waldorfschule.[3] Außerdem ist bekannt, dass Ende zum Zeitpunkt seines Todes 179 Bücher und Werke Steiners besaß[4] Diese Vielzahl an Büchern lässt darauf schließen, dass Ende mit der Anthroposophie und den damit verbundenen Theorien und Gedanken vertraut war. Auch wenn er niemals erwähnte, dass Gedanken Steiners in seinen Kinderbüchern zu finden seien, ist es nicht von der Hand zu weisen, dass Steiner und die Anthroposophie Michael Ende in seinem Leben begegnet sind und es somit auch möglich, wenn nicht sogar wahrscheinlich ist, dass sie einen Weg in Endes Werke gefunden haben.
Aufgabe dieser Arbeit wird sein, Endes bekannteste Kinderbücher Momo, Die unendliche Geschichte und die beiden Bücher über Jim Knopf (Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer und Jim Knopf und die Wilde 13[5]) nach ausgewählten anthroposophischen Gesichtspunkten zu untersuchen. Diese werden zunächst für ein besseres Verständnis des Analyseteils dargestellt. Dabei werden aber nur jene Bereiche der Anthroposophie erläutert, die für den zweiten Teil der Arbeit relevant sind. Eine allumfassende Darstellung der Theorien Steiners ist im Rahmen dieser Arbeit nicht zu leisten.
Außer der Dissertation Kaminskis gibt es keine Forschungsliteratur, die sich explizit mit dem Einfluss Steiners auf Michael Endes Kinderliteratur beschäftigt. Kaminski erwähnt viele von Endes Büchern und stellt einzelne Passagen in den Kontext mit der Anthroposophie, konzentriert sich aber größtenteils auf Die unendliche Geschichte. Neben dieser Arbeit wird aber auch Sekundärliteratur mit anderen Schwerpunkten in dieser Untersuchung unterstützend und belegend verwendet werden, sofern sie inhaltlich mit anthroposophischen Gesichtspunkten übereinstimmt beziehungsweise sich mit ihnen in Verbindung setzen lässt.
2 Rudolf Steiner und die Anthroposophie
„Anthroposophie ist […] eine Lehre, die nicht nur für den Kopf gedacht ist, sondern für das ganze Leben.“[6] Dieses Zitat weist daraufhin, wie umfassend die Weltanschauung Steiners ist. Sein Werk umfasst zahlreiche Bücher, Aufsätze und Vorträge, die zum größten Teil auch erhalten sind.
Die Anthroposophen sehen die von Steiner entwickelte Anthroposophie neben einer geschlossenen Weltanschauung vor allem als einen Erkenntnisweg, der den Menschen und seine Stellung im Weltganzen betrachtet.[7] Steiners Anthroposophie wirkte sich auf viele verschiedene Bereiche aus wie die Medizin, die Heilmittelherstellung, die Pädagogik, die Theologie, die Sozialwissenschaft oder die Landwirtschaft.[8]
2.1 Bildung unter Einfluss des Staates und die Bedeutung der Phantasie
Rudolf Steiner sieht eine Dreigliederung der Gesellschaft vor in das Geistesleben mit Bildung und Wissenschaft, das Wirtschaftsleben mit Warenproduktion und Handel und das Rechtsleben mit Gesetzgebung und Rechtsprechung.[9] Auch wenn alle drei Bereiche indirekten Einfluss auf die jeweils anderen haben, ist der Begründer der Anthroposophie der Meinung, dass sie getrennt voneinander eine eigene Verwaltung und Organisation haben sollten. Er lehnt also einen Eingriff des Staates kategorisch ab.[10] Die Verwaltung und Organisation vom Bildungswesen soll also jenen obliegen, die selbst in diesem Bereich arbeiten. Direkte Einflüsse von außerhalb wie vom Staat wirken sich negativ aus. Steiner begründet dies damit, dass nur sozial empfindende Menschen in der Lage sind, Kinder und Jugendliche zu erziehen und dies seien ausschließlich diejenigen, die im Sozialbereich arbeiten.[11] Dies beinhaltet aber auch, dass die Wirtschaft keinerlei Einfluss auf die Erziehung und Bildung hat. In diesem Zusammenhang muss man Steiners Einstellung zu Spielzeug erwähnen. Er ist der Ansicht, dass weniger mehr ist. Er lehnt vollkommen abbildungsgetreue, möglicherweise sogar sprechende oder Töne erzeugende Spielzeuge ab. Dies begründet er damit, dass Kinder solche Spielwaren, die nur einem ganz bestimmten Zweck dienen, schnell langweilig finden, während bei Dingen wie alten Kisten oder gewöhnlichen, unebenen Gegenständen ihre Phantasie gefordert ist.[12] Waldorfpädagogen vertreten die Meinung, dass Kinder bis zu sieben Jahren fast ausschließlich über Sinneseindrücke lernen und dafür unfertige und ungleichmäßige Gegenstände am besten geeignet sind.[13] Steiner ist der Ansicht, dass die Phantasie bei Kindern gefördert werden muss, damit sie bis ins Erwachsenenalter erhalten bleibt. Dabei neigen Kinder von Natur aus, zu träumen und zu erfinden, aber diese Fähigkeit könnte von Eltern und Betreuern beeinträchtigt, wenn nicht sogar zerstört werden.[14] Vor allem die Phantasie werde unterdrückt, wenn die Bildung und Erziehung von anderen Menschen geleitet wird, als von denen, die auch in diesem Bereich arbeiten.
2.2 Die Bedeutung von Märchen
Märchen stellen in der Anthroposophie einen wichtigen Aspekt in der Kinder-erziehung dar. Während viele andere Pädagogikrichtungen sie mittlerweile sehr kritisch betrachten, wird es in der Waldorfschule außer Frage gestellt, dass in den ersten Schuljahren Märchen, Mythen und Legenden als Erzählstoff ausgewählt werden.[15] In diesen Erzählungen sehen die Anthroposophen eine Vereinfachung der realen Welt, die für Kinder geeignet und vor allem verständlich ist. Die starken Prototypen eines Märchens erklären den Kindern die Welt, ohne dass sie begreifen müssen, dass es sich dabei um eine Abstraktion handelt. Nach Steiner sind Kinder dazu nicht in der Lage, weshalb man auch nicht versuchen sollte, ihnen die Märchen zu erklären, indem man ihnen eine Interpretation nahebringt. Stattdessen sollen die Geschichten in ihrer natürlichen Beschaffenheit auf die Kinder einwirken.[16]
Ein Merkmal von Märchen ist, dass es einen klaren Kontrast zwischen Gut und Böse gibt. Durch diese Vereinfachung ist es den Kindern möglich, sich mit den Figuren zu identifizieren und auch bei ihrem Verhalten zwischen richtig und falsch entscheiden zu können.[17]
Ein weiteres Charakteristikum von Märchen ist eng verbunden mit der Lehre Steiners. So steht jede Handlung in einem höheren Zusammenhang. Dieses Menschen- und Weltbild ist auch in der Anthroposophie zu finden. Ganz gleich, was der Held im Märchen tut; im späteren Verlauf wird sich herausstellen, dass es eine wesentliche Bedeutung für die Geschichte hat.[18] Mit jeder Handlung können sich die Figuren im Märchen zwischen Gut und Böse entscheiden. Dies spiegelt die Entscheidungsgewalt des Menschen wider. Aufgrund seiner Entscheidungen durchläuft er einen individuellen Entwicklungsprozess. „Keine andere Art von Dichtung zeigt so anschaulich die Verwandlungsmöglichkeiten auf, die dem Menschen eingeboren sind.“[19] Hierbei muss allerdings erwähnt werden, dass sich die Figuren bei jeder Gelegenheit ihrem Charakter entsprechend entscheiden werden. Eine Märchenfigur ist entweder gut oder böse und durchläuft während der Handlungsgeschichte keine Entwicklung. Aber dadurch, dass es in fast allen Fällen sowohl gute als auch böse Figuren gibt, haben die Kinder trotzdem die Wahlmöglichkeit, mit welcher sie sich identifizieren. In den meisten Fällen werden sie sich für den guten Helden entscheiden.
[...]
[1] Vgl. Boccarius, Peter: Michael Ende. Der Anfang der Geschichte. Frankfurt am Main; Berlin: Ullstein 1995. S. 62. Im Folgenden zitiert als Boccarius 1995.
[2] Vgl. ebd., S. 126.
[3] Vgl. ebd., S. 154.
[4] Kristina Kaminski listete aufgrund ihrer Dissertation sämtliche Werke Steiners auf, die sich im Nachlass Endes befanden. Vgl. Kaminski, Kristina: Michael Endes Rudolf Steiner Rezeption. Am Beispiel der Darstellung von Innenwelt in der Unendlichen Geschichte. Saarbrücken: Dr. Müller Aktiengesellschaft & Co. KG 2009. S. VII. Im Folgenden zitiert als Kaminski 2009.
[5] Im Folgenden werden beide Bücher der Einfachheit halber gemeinsam nur unter dem Begriff Jim Knopf genannt.
[6] Burkart, Axel: Das große Rudolf Steiner Buch. Texte aus seinen wichtigsten Werken. Kreuzlingen; München: Hugendubel 2003. S. 71. Im Folgenden zitiert als Burkart 2003.
[7] Vgl. Lippert, Susanne: Steiner und die Waldorfpädagogik. Mythos und Wirklichkeit. Neuwied; Berlin: Luchterhand 2001. S. 40. Im Folgenden zitiert als Lippert 2001.
[8] Vgl. Baumann, Adolf: Wörterbuch der Anthroposophie. Grundlagen, Begriffe, Einblicke. Bern: Hallwag AG 1986. S. 9.
[9] Vgl. Burkart 2003, S. 434.
[10] Vgl. ebd., S. 436.
[11] Vgl. Burkart 2003, S. 436.
[12] Vgl. Carlgren, Frans; Klingborg, Arne: Erziehung zur Freiheit. Die Pädagogik Rudolf Steiners. 9. Aufl. Stuttgart: Verlag Freies Geistesleben 2005. S. 44. Im Folgenden zitiert als Carlgren; Klingborg 2005.
[13] Vgl. Lippert 2001, S. 239-240.
[14] Vgl. Carlgren; Klingborg 2005, S. 43.
[15] Vgl. ebd., S. 133.
[16] Vgl. Lippert 2001, S. 175.
[17] Vgl. ebd., S. 174.
[18] Vgl. ebd., S. 176.
[19] Carlgren; Klingborg 2005, S. 136.
- Citar trabajo
- Jana Hölters (Autor), 2011, Michael Endes Kinderliteratur unter dem Einfluss Rudolf Steiners, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/170275
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