Es wird die Entstehung und Charakteristik der modernen Arbeitsgesellschaft skizziert und in ihrer Auswirkung auf das arbeitende Subjekt problematisiert. Die Rolle der Sozialen Arbeit (z.B. Jugenderufshilfe) wird in diesem Horizont kritisch hinterfragt: Geht es darum, benachteiligte Menschen für den Arbeitsmarkt fit zu machen oder ihre Interessen gegenüber der Arbeitswelt zu vertreten? Der Beitrag diskutiert das Theorem von Sozialer Arbeit als Normalisierungsarbeit zwischen System und Lebenswelt.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die moderne Arbeitsgesellschaft
2.1. Entstehung der modernen Arbeitsgesellschaft
2.2. Charakterisierung der modernen Arbeitsgesellschaft
2.3. Problematisierung: die Doppelgesichtigkeit der modernen Arbeitsgesellschaft
2.4. Krise der Arbeitsgesellschaft von der Objektseite gesehen
2.5. Krise der Arbeitsgesellschaft von der Subjektseite gesehen
2.6. Krise der Arbeitsgesellschaft - Fazit
3. Soziale Arbeit in der modernen Arbeitsgesellschaft
3.1. Sozialarbeit als Funktion der (Lohn-)Arbeitsgesellschaft
3.2. Die Vergesellschaftung von Erziehung im Kontext der Lohnarbeitsgesellschaft: Entstehung der Sozialpädagogik
3.3. Sozialarbeit als Vermittlungsinstanz zwischen System und Lebenswelt
3.4. Sozialarbeit als Normalisierungsarbeit
3.5. Alternative Handlungsorientierungen für die Soziale Arbeit
4. Zusammenfassung: Anforderungen einer arbeitsweltbezogenen
(Jugend-) Sozialarbeit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die Arbeitslosigkeit Jugendlicher ist auch am Ende des 20. Jahrhunderts und nach über 50 Jahren wirtschaftlicher Entwicklung Deutschlands zu einer der führenden Industrienationen der Erde nach wie vor ein weithin ungelöstes Problem. Wenn auch die schwierigsten Zeiten der Jugendarbeitslosigkeit hierzulande nunmehr überschritten sind, und das Problem nicht mehr dieselbe politische Brisanz besitzt wie etwa während der 1980er Jahre, so heißt das nicht automatisch, dass Wirtschaft und Politik diesen Sachverhalt im Griff haben. Das 100.000-Stellen-Programm der 1998 neu angetretenen Bundesregierung beispielsweise stellt nicht nur mit einem Schlag die Problematik erneut ins - alsbald wieder verlöschende - Rampenlicht des Medieninteresses, sondern es vermittelt eben auch den irreführenden Eindruck, dass mittels einer pompösen Sofort-Maßnahme eine so komplexe Angelegenheit eben mal nebenbei vom Tisch gewischt werden könnte.
Die Feststellung, dass Jugendarbeitslosigkeit - wie übrigens Arbeitslosigkeit im allgemeinen - eine strukturelle und nicht bloß konjunkturelle Frage darstellt, gehört heute zwar unter Sozialwissenschaftlern weitestgehend zum Gemeingut, ist aber unter Politikern nach wie vor nicht wirklich ins Unterbewusstsein durchgesickert, was allein schon der Begriff „Stellen“-Programm der bereits angesprochenen Politik zeigt. Dies ist vielleicht sogar verständlich, reduziert doch eine konjunkturbezogene Interpretation des Problems dessen Dringlichkeit und hängt den Level der erforderlichen Anstrengungen zu einer erfolgreichen Bekämpfung niedriger, als wenn die verfestigten Strukturen infragegestellt und verändert werden müssen.
Diese strukturelle Komponente muss allerdings nicht nur die Politik und die Wirtschaft in der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit berücksichtigen, auch die sozialpädagogischen Anstrengungen werden damit konfrontiert. Arbeitsweltbezogene Sozialpädagogik - traditionell Jugendberufshilfe genannt - wird dadurch zugleich aber auch in ihrem Selbstverständnis tangiert, insofern nämlich die Partner ihrer Arbeit in erster Linie nun mal nicht die Verursacher oder Verfüger über diese Strukturen sind, sondern deren Opfer. Diese Stellung der Sozialen Arbeit hat Michael Galuske als ein fortwährendes „Orientierungsdilemma“ beschrieben, insofern Soziale Arbeit eben grundsätzlich mit der Vermittlung zwischen System und Lebenswelt beauftragt sei.[1]
Aufgabe dieser Arbeit ist es, sich mit einer näheren Bestimmung und Problematisierung dieser Vermittlungsfunktion der Arbeitsweltbezogenen Jugendsozialarbeit auseinanderzusetzen. Dazu ist eine Klärung erforderlich, welche sowohl im Hinblick auf die betroffenen Subjekte als auch in Bezug auf die gegebenen Strukturen zur „Standort“-Bestimmung heutiger Arbeit und Arbeitslosigkeitsbekämpfung verhilft.
Daher geht es im ersten Teil dieser Arbeit zunächst um eine Betrachtung der modernen Arbeitsgesellschaft und ihrer Eigenschaften als der umfassenden Grundlage und des spezifischen Kontextes heutiger arbeitsweltbezogener Jugendhilfe. Dabei geht es bereits um die Vermittlung zwischen gesellschaftlichen Erwartungen und der individuellen Seite derselben, d.h. um die Frage, welche Auswirkungen dieser gesellschaftliche Rahmen auf den einzelnen Menschen hat. Im zweiten Teil folgt dann die Auseinandersetzung mit Aufgabe und Rolle von Sozialer Arbeit unter den Bedingungen der modernen Arbeitsgesellschaft, um dadurch ihre Möglichkeiten aufzuzeigen. Dabei gilt es insbesondere, den Vermittlungscharakter sozialer Arbeit herauszuarbeiten. Das vorliegende Referat bezieht sich hierzu im Wesentlichen auf die Thesen und Positionen Michael Galuskes überblicksartiger und umfassender Arbeit zum Thema.[2]
2. Die moderne Arbeitsgesellschaft
Die moderne Arbeitsgesellschaft ist - wie bereits der Begriff zum Ausdruck bringt - kein ahistorisches Phänomen, sondern Ergebnis eines umfassenden Entwicklungsprozesses, welcher die Konstitution der jeweiligen Gesellschaft als solcher zum Kennzeichen hat. Dies zeigt folgender Überblick:
2.1. Entstehung der modernen Arbeitsgesellschaft
Im griechisch-römischen Verständnis war Arbeit das, was diejenigen leisteten, die ‘unterhalb des Vollbürgerstatus’ lebten (also bspw. Sklaven u.a.). Der Bürgerstatus wurde über die Einhaltung von Tugenden definiert. Vom christlichen Verständnis her ist Arbeit als ‘Mitschöpfertum’ dagegen auf alle Menschen bezogen, wenn auch die vita activa der vita contemplativa gegenüber klar nachrangig bleibt. Ein Bruch tritt erst mit Martin Luther auf, der die ‘weltliche Arbeit’ aufwerten möchte. In Johannes Calvins Prädestinationslehre avanciert dann der berufliche Erfolg zum Kennzeichen religiöser Erwählung. Arbeit behält aber zunächst seinen religiösen Charakter, so dass Profitstreben allein keine zentrale Bedeutung bekommt. Das bedeutet, dass die Reformation zwar ein kapitalistisches Leistungsethos grundlegend ermöglicht, ohne es zu verursachen.[3] Bei John Locke geschieht dann eine Verknüpfung von Arbeit mit dem Erwerb von Besitz bzw. Besitzrechten; diese Verknüpfung wird von Adam Smith erweitert: Arbeit führt zu Besitz und dieser zu Glück. Im geschichtlichen Verlauf ergibt sich also - so das Resümee Hannah Arendts - ein „Aufstieg der Arbeit von der untersten und verachtetsten Stufe zum Rang der hochgeschätztesten aller Tätigkeiten“[4].
Mit diesem Wandel des Wertbewusstseins geht auch eine Transformation menschlicher Verhaltensmuster und -orientierungen einher, so dass die Erfordernisse der neuen Produktionsstrukturen internalisiert werden. In der Agrar- und Handwerksgesellschaft gängige Verhaltens- und Arbeitsweisen werden in der Industriegesellschaft zum Armutsrisiko: Besonders im Verlagswesen wird die am Output orientierte Entlohnung zum Instrument der Durchsetzung disziplinierten und selbstgesteuerten Arbeitens; im Manufakturwesen erzeugt die Komplexität massenhafter synchronisierter Handlungsabläufe einen Zwang, so dass kein Weg an der Anpassung an die Prinzipien der Arbeitsteiligkeit, der Kontrolle und der fremdbestimmten Zeiteinteilung vorbeiführt, wie sie in der Detailliertheit damaliger Fabrikordnungen deutlich zum Ausdruck kommen.
2.2. Charakterisierung der modernen Arbeitsgesellschaft
Wird auf dem Hintergrund dieser historischen Entwicklung die moderne Gesellschaft als „Arbeitsgesellschaft“ charakterisiert, so ist dabei daran zu erinnern, dass dieser Begriff einen ganz spezifischen Blickwinkel auf die Gesellschaft ausdrückt, unter dem (und nur unter dem) diese betrachtet wird.
Soziologisch betrachtet wird ‘Arbeit’ als Verausgabung des Einzelnen zu seiner Unterhaltsversorgung verstanden, während ‘Beruf’ eher die ethische Pflicht zur Beteiligung im Gemeinwesen bezeichnet. Nach Ulrich Beck ist der Beruf sozusagen die „marktbezogene Form der Organisation von Arbeitskraft in der [arbeitsteiligen] Warentauschgesellschaft“[5]. Es geht darum, Arbeit sozial und systemisch zu integrieren, was über den Warencharakter von Arbeit erreicht wird. Dieser bringt die unaufhebbare Spannung zwischen dem Interesse, sie möglichst teuer zu verkaufen, und der preisdrückenden Konkurrenz von Arbeitsanbietern mit sich. ‘Beruf’ ist also ein standardisiertes Muster, das Arbeit als Ware tauschbar macht.[6]
In der Konsequenz wird die Tauschbarkeit zum Kriterium für Arbeit, so dass Lohn-/ Erwerbsarbeit mit Arbeit schlechthin gleichgesetzt wird. Der Arbeitsbegriff wird auf Lohnarbeit reduziert, woraus sich auch der Begriff der Arbeitsgesellschaft herleitet, insofern sich die Rolle der Lohnarbeit im gesellschaftlichen Zusammenhang als zentral herauskristallisiert:
- Materielle Reproduktion: Der Verkauf von Arbeitskraft als Basis der individuellen Unterhaltssicherung ist ein Standardentwurf der Lohnarbeitsgesellschaft. Dieser schafft auch eine allgemeine Dynamik der Reichtumsproduktion, an der auch untere Schichten prinzipiell teilhaben.
- Soziale Platzierung: Im Gegensatz zur Feudalgesellschaft, in der die soziale Stellung durch Abstammung bestimmt und damit undurchlässig war, wird die soziale Stellung nun durch den Beruf definiert. Da Berufspositionen erworben und erarbeitet werden können, wird die Sozialstruktur nun durchlässig. Mehr noch: berufliche Ausbildung, Qualifikation und Leistung werden zum fast einzigen Weg sozialen Aufstiegs. Dies bedeutet zwar keine Gleichheit der Positionen, sondern „nur“ der Chancen (was allerdings in gewisser Weise auch wieder Ideologie ist).
- Strukturierung von Lebenszeit: Bedingt durch den Waren- und Tauschwert von Arbeit ergibt sich eine Umstrukturierung des Zeitbewusstseins, die zu einer rationalen Zeitmessung und Zeiteinteilung führt („Zeit ist Geld“). Arbeit wird zum entscheidenden Strukturierungsprinzip des Alltags, sowie Grundlage einer Phasengliederung der Biographie.
- Personale Entwicklung: Der Beruf wird zum Schlüssel für gesellschaftliche Partizipation insgesamt und somit zur Basis des modernen Selbstwertgefühls und des persönlichen Sinnbezugs.
Aufgrund dieser Aspekte resümiert Michael Galuske folgendermaßen: „Der Sach-, Realitäts- und Gemeinschaftsbezug gesellschaftlicher Arbeit ermöglicht dem Individuum den Erwerb bzw. die Modifikation realistischer Kompetenzen zur materiellen und sozialen Auseinandersetzung mit der Welt, die einerseits soziale Integration gewährleisten, andererseits aber auch Handlungsspielräume und Veränderungsstrategien vermitteln, die eine aktive Auseinandersetzung mit der alltäglichen Arbeitswelt erlauben.“[7]
[...]
[1] Vgl. Galuske, Michael: Das Orientierungsdilemma. Jugendberufshilfe, sozialpädagogische Selbstvergewisserung und die modernisierte Arbeitsgesellschaft, Bielefeld 1993, S. 97-101.
[2] Vgl. Galuske, Michael: Das Orientierungsdilemma. Jugendberufshilfe, sozialpädagogische Selbstvergewisserung und die modernisierte Arbeitsgesellschaft, Bielefeld 1993. Den theoretischen Teil dieser Arbeit (S. 14-149) für das Seminar in seinen Grundzügen und Thesen aufzubereiten und als „Hintergrundinformation“ einzubringen war ja die Aufgabenstellung des hier ausgearbeitet vorliegenden Referats. Dieser wird etwa auch in der Rezension von H. Effinger als „Überblick zur Bedeutung gesellschaftlicher Lohnarbeit in der aktuellen Theoriedebatte Sozialer Arbeit“ (S. 111) qualifiziert. Der Rezensent kreidet aber auch -und m.E. zurecht- Redundanzen und Überfrachtung von Bezügen an (S. 110). Die Leserfreundlichkeit, welche H. Arnold und W. Schröer dem Buch attestieren, kann ich folglich kaum nachvollziehen.
[3] Vgl. Galuske (1993), S. 16.
[4] Zitiert nach Galuske (1993), S. 17.
[5] Galuske (1993), S. 21.
[6] Galuske (1993), S. 22, vgl auch das Zitat von U. Beck (ebd.).
[7] Galuske (1993), S. 27
- Arbeit zitieren
- Markus Raschke (Autor:in), 2000, Das Verhältnis von moderner Arbeitsgesellschaft und Sozialer Arbeit - ein Orientierungsdilemma, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/17021
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