Die Kurzgeschichte „San Salvador“ von Peter Bichsel erschien im Jahre 1963. Sie handelt von einem unglücklichen Ehemann, der ein monotones Leben führt und auswandern möchte, es wegen seiner Kommunikationsunfähigkeit und Passivität nicht schafft, seiner Ehefrau diesen Gedanken zu vermitteln.
Peter Bichsel
Kurzgeschichte „San Salvador"
Vollständige Analyse von
Tim Blume
Die Kurzgeschichte „San Salvador“ von Peter Bichsel erschien im Jahre 1963. Sie handelt von einem unglücklichen Ehemann, der ein monotones Leben führt und auswandern möchte, es wegen seiner Kommunikationsunfähigkeit und Passivität nicht schafft, seiner Ehefrau diesen Gedanken zu vermitteln.
Die Kurzgeschichte handelt vom Ehemann und Familienvater Paul, der, nachdem er einen neuen Füller gekauft und einige Schreibübungen gemacht hat, feststellt, dass es ihm „zu kalt“ ist und er „nach Südamerika“ gehen möchte. Er schreibt diesen Gedanken nieder und überlegt, wie seine noch beim Kirchenchor befindliche Frau auf den Brief reagieren würde bzw. was sie täte. Statt aber seinen Gedanken wahrzumachen und zu gehen, lenkt er sich ab und denkt sowohl an ferne Palmen als auch an seine Frau, bis diese schließlich nach Hause kommt.
In der Erzählung, die sich durch personales Erzählverhalten aus Pauls Perspektive auszeichnet, wird durch das Schreiben des Briefes deutlich, dass Paul unglücklich ist: Er äußert den Wunsch, sein Heimatland zu verlassen, weil es ihm dort „zu kalt“ ist und nach „Südamerika“ zu gehen. Für die Monotonie seines Lebens finden sich einige Hinweise: So zählt Paul beispielsweise all jene Dinge auf, die er mit seinem Füller ausprobiert; formal auffällig dabei ist, dass diese Aufzählung durchgehend syndetisch verbunden ist und nur aus Hauptsätzen besteht. Diese lange Aufzählung verdeutlicht die Monotonie, die Detail die der Leser erfährt, sind jedoch unwichtig und unterstützen damit die Eintönigkeit Pauls Lebens.
Auch wenige Sätze später kann man eine längere Aufzählung finden, die die Vorgehensweise Pauls bis ins Detail beschreibt, hier aber den Text durch Verwendung einer Parenthese mit unwichtigem Inhalt zusätzlich in die Länge zieht, das obwohl der Text insgesamt zeitraffend ist. Der Inhalt von über einer Stunde wird in einen Text von einigen Dutzend kurzen Zeilen wiedergegeben.
An die zeitdehnende Passage schließt sich ein Beleg für Pauls Passivität an, er sitzt oft einfach nur da oder denkt nach, bewegt sich aber kaum. Der äußerst kurze Satz „Dann saß er da.“ zeugt von dieser Passivität und verdeutlicht gleichzeitig die Eintönigkeit in Pauls Leben. Paul denkt viel nach, manchmal an „irgend etwas“, dann an „Palmen“ oder seine Frau „Hildegard“. Diese ungeordneten Gedankenstränge, das sprunghafte Wechseln der Gedanken zeugt davon, dass sich Paul möglicherweise gar nicht sicher ist, ob er wirklich auswandern möchte. Paul überlegt, wem er noch einen Brief schreiben könne, kommt aber zu keinem Ergebnis, in der Folge lenkt er sich durch lesen ab und flüchtet sich vor der schriftlichen Kommunikation mit Verwandten oder Bekannten, die er über seine Abreise hätte informieren können.
Untersucht man die Gedanken Pauls über die Reaktion seiner Frau, so stellt man fest, dass er ihr Verhalten in erlebter Rede, verfasst im Konjunktiv II, darstellt, stellt man fest, dass er bereits jeden Sinn für Realität verloren hat, dass auch die letzte Hoffnung verloren ist, wird zudem am Ende des Textes deutlich: Paul „saß da“. Dieser unvollendete Satz hat im Gegensatz zu vorangegangenen Äußerungen keinen temporalen Bezug mehr, Paul ist völlig in seinem geistigen Durcheinander untergegangen.
Betrachtet man die genannten Punkte, so kann ich feststellen, dass Paul tatsächlich kommunikationsunfähig und passiv ist und es damit nicht schafft, seiner Frau seine Gedanken offen zu vermitteln. Es wird deutlich, dass er ein äußerst monotones Leben führt, ob er aber tatsächlich auswandern will, kann nicht endgültig geklärt werden, da er aber schließlich nicht wagt, seine Frau zu unterrichten, kann man davon ausgehen, dass er nicht das starke Bedürfnis verspürt auszuwandern. In diesem Punkt muss die Interpretationshypothese demnach angepasst werden.
Trotz der Kürze der Geschichte wird diese durch ihre durchgehende Eintönigkeit schnell uninteressant. Die unnötigen Informationen, die Paul dem Leser mitteilt, hätten genauso gut weggelassen werden können, ohne den Text weniger Eintönig zu gestalten. Hier wird die Monotonie in Pauls Leben überbetont, mit der Folge, dass der Leser weder Paul noch sein Verhalten ernstnehmen kann. Dennoch ist es dem Auto gelungen, eine Szene während einer langen, möglicherweise bereits „ausgelebten“ Ehe, darzustellen und dem
Leser zu vermitteln. Besonders die vorausschauenden Gedanken Pauls stärken das Interesse des Lesers und lassen ihn über schienbar endlose ,Ausschmückungen‘ und Wiederholungen hinwegsehen.
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- Arbeit zitieren
- Tim Blume (Autor:in), 2010, Peter Bichsel: „San Salvador“ – eine Analyse, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/170181