Cézanne war in seiner Kunst auf einer ständigen Suche nach Harmonie, die „parallel zur Natur verläuft“. Das Wort „Parallel“ erinnert stark an den Widerspruch, den auch unser Held spürt wenn er für kurze Augenblicke im Einklang mit der Natur ist, um sich danach wieder fremd zu fühlen. Verläuft Handkes Erzählverfahren somit „parallel“ zu dem Gestaltungsverfahren des französischen Malers? Gelingt es ihm in Worten zu realisieren, was Cézanne mit Hilfe seiner Pinseln und Farben auf der Leihwand gelungen ist? Ziel dieser Arbeit ist es herauszufinden, ob es tatsächlich ein verstecktes Verhältnis in Handkes Erzählung zu Cézannes Kunst gibt. Zunächst jedoch gilt es, die verschiedenen Aspekte Cézannes Kunst und die Handkes zusammenzufassen und sie dann zu vergleichen.
Peter Handke „ Langsame Heimkehr “
Parallelversuch zu Paul Cézanne
1) Einleitung
In dieser Arbeit geht es um die seit jeher diskutierte Frage nach der Möglichkeit wechselseitiger Anregungen von bildender Kunst und Literatur. So wie es Handke um die erzählerische Bedeutung der Wortkunst geht, hat auch Cézanne nicht auf sprachliche Vermittlung und Deutung von Kunst verzichtet. Cézannes Gemälde weisen keine Mimesis im klassischen Sinne auf, keine Handlung, sondern vielmehr eine Darstellung der Räume unabhängig von den Dingen, dass heißt, es ging ihm in seiner Kunst um die symbolische Erkenntnis der Wirklichkeit. Die Zeitlosigkeit seiner Gemälde wird eben durch diese Wirklichkeitserkenntnis begreifbar. Ähnlich geht es auch Handke in seiner Erzählung „ Langsame Heimkehr “ um die Wirklichkeitserkenntnis. Die verlangsamte Handlung ermöglicht es dem Helden Sorger sich Reflexionen, Erinnerungen, Kunstbeschreibungen und Gesetze vor seinem inneren Auge zu zusammen zu phantasieren.
Cézanne war in seiner Kunst auf einer ständigen Suche nach Harmonie, die „parallel zur Natur verläuft “[1]. Das Wort „Parallel“ erinnert stark an den Widerspruch, den auch unser Held spürt wenn er für kurze Augenblicke im Einklang mit der Natur ist, um sich danach wieder fremd zu fühlen. Verläuft Handkes Erzählverfahren somit „parallel“ zu dem Gestaltungsverfahren des französischen Malers? Gelingt es ihm in Worten zu realisieren, was Cézanne mit Hilfe seiner Pinseln und Farben auf der Leihwand gelungen ist? Ziel dieser Arbeit ist es herauszufinden, ob es tatsächlich ein verstecktes Verhältnis in Handkes Erzählung zu Cézannes Kunst gibt. Zunächst jedoch gilt es, die verschiedenen Aspekte Cézannes Kunst und die Handkes zusammenzufassen und sie dann zu vergleichen.
2) Cézannes Kunstauffassung und -deutung
Paul Cézanne (1839-1906) gehört zu den großen Malern des Post-Impressionismus'. Obwohl er wie seine Zeitgenossen alle Merkmale des Post-Impressionismus' aufweist, bleibt es schwierig ihn in einer wirklichen Kunstbewegung einzuordnen. Cézanne wahr ein einzelgängerisches Genie; sein Werk übte später durch seine nicht „akademischen“ Beobachtungen der Wirklichkeit einen großen Einfluss auf die Kubisten aus. In den 70er Jahren des XIX. Jahrhunderts beginnt Cézannes Karriere als Naturalist. Sein Stil verändert sich jedoch sehr schnell, da er in der unberührten Natur die Voraussetzung für eine Wahrheitserkenntnis sieht. Diese Wende verfolgt das Ziel „ die Wirklichkeit ausschließlich als ein Ereignis des Auges zu begreifen.“[2][3] Das XIX. Jahrhundert war zudem für die Bildkunst eine wahre Revolution: eine neue Farbtechnik wurde durch die Herstellung von chemischen Farben möglich und man konnte seine Farbpalette überall mitnehmen. Außerdem mussten die Farben nicht mehr gemischt werden und so konnte man ihre Farbintensität bewahren und die Gemälde wirkten heller, leuchtender. Die Maler machte sich auf die Suche nach der intensivsten Farbhelligkeit, malten sehr schnell mit kleinen Farbtupfer, um die Impressionen der Wirklichkeit, die sich ihnen stellte, durch Farbempfindungen darzustellen und ihnen somit einen Ausdruck des Heils und der Dauer zu verleihen.
Cézannes Naturauffassung jedoch ist eher als etablierte Ordnung, die immer neue hervorbringende, schöpferische Kraft erzeugt, zu verstehen. Sie ist also etwas, das außerhalb und innerhalb des Menschen mitarbeitet. Cézanne ist streng gegen eine klassische Trennung von Subjekt und Objekt. Es gibt also keinen unabhängigen Raum (Außenwelt), die Einheit wird durch die Struktur der Farbtupfer und der Zwischenräume gestaltet. Cézanne „ malte Bilder, in denen die Einheit des Menschen und der Dinge 'mitgemalt' ist, ohne daß thematisch unbedingt auch Menschen gemalt sein mußten. Eine Einheit allerdings, die sich der Andersheit der Dinge bewußt war und die diese Andersheit in der Unzerstörbarkeit der Dinge anerkannte. “[4] Cézannes Bilder wirken geheimnisvoll, denn es geht darum, das Mysterium der Natur zu erfassen und sie meiden die im klassischen Sinne beliebte Einfühlung, die bei Cézanne „Raumverbot“ hat.
Cézanne ist auf der Suche nach einer konkreten Form, einer physischen Anwesenheit des Objekts. Dazu benutzt er lange Pinselstriche und pure Farben. Er treibt die Formkonsistenz bis ins Extremste, neigt sogar zum Abstrakten. Dieser Hang zum Abstrakten kann am Beispiel eines Zitats S. Clerbois' illustriert werden: „ La montagne Sainte-Victoire, chez Cézanne, est un assemblage de carrés colorés avant d'être l'image d'une montagne. “[5] Es geht nicht mehr um das Nachahmen, sondern darum, Empfindungen zu verwirklichen und auszudrücken. Er strebte nach Harmonie parallel zur Natur. Ulrike Schlieper hebt hervor, dass der Maler aus diesen Empfindungen einen Text, etwas Lesbares machen wollte, eine Epik.[6] Dieser letzte Punkt soll später noch ausführlicher analysiert werden.
3) Sorgers Weltbild und Philosophie
Valentin Sorger ist in „ Langsame Heimkehr“ auf der Suche einer subjektiven Wahrnehmung die mit den objektiven Wahrnehmungen in Gleichklang gebracht werden soll; Die Suche der Harmonie des Ichs mit der Welt. Jedoch wird diese Suche immer wieder mit einer Verfremdung, einer Spaltung des Ichs mit der Umwelt in Verbindung gebracht:
„Sorger hatte schon einige ihm nah gekommene Menschen überlebt und empfand keine Sehnsucht mehr, doch oft eine selbstlose Daseinslust und zuzeiten ein animalisch gewordenes, auf die Augenlider drückendes Bedürfnis nach Heil. Einerseits zu einer stillen Harmonie fähig, welche als eine heitere Macht sich auch auf andere übertrug, dann wieder zu leicht kränkbar von den übermächtigen Tatsachen, kann er die Verlorenheit, wollte die Verantwortung und war durchdrungen von der Suche nach Formen, ihrer Unterscheidung, und Bestimmung über die Landschaft hinaus, wo ('Im Feld', 'Im Gelände') diese oft quälende, dann auch wieder belustigende, in Glücksfall triumphierende Tätigkeit sein Beruf war.“[7]
Es wird hier ganz deutlich, dass der Verlust am Zugang zur Realität, zur Welt, den Absturz heraufbeschwört. Es handelt sich während der ganzen Erzählung um eine ständige Suche nach Glück, die der Forscher Valentin Sorger während seiner Reise aus dem Norden Alaskas nach Europa zu finden versucht. Jenseits aller wissenschaftlichen Erklärung sucht der Geologe zunächst in den ursprünglichen Formen der Natur die Einheit und Ordnung der Dinge, eine metaphysische Erfahrung. Die Suche führt von Alaska zur Universitätsstadt an der Westküste Amerikas zu New-York, mit dem Ziel, eine Abhandlung über Räume zu meistern. Der Held Sorger ist in seiner Entscheidung, nach Europa zurückzukehren, auf der Suche nach den Formen, nach sich selbst um
„ anders – ganz anders “[8] zu werden.
Die Formsuche wird zu einer poetologischen Formsuche, der persönliche Raum wird zum Raum der Literatur[9] ; es folgt ein kurzer Moment der Epiphanie:
„War es nicht so, das gerade jenes kurze 'kreisen der Räume' ihn jeweils begeisterte als Erkenntnisglücksfall, welcher dann nach Dauer in einer Form verlangt und ihm so eine Idee von der richtigen menschlichen Arbeit vermittelte, wo Ekel und Trennungsschmerz zwischen ihm und der Welt aufgehoben wären? Wir aber könnte es gelingen, von Räumen, die ja an sich kein 'nach und nach' kannten, zu 'erzählen'?“[10]
[...]
[1] Paul Cézanne: Briefe. Die neue, ergänzte und verbesserte Ausgabe der gesammelten Briefe von und an Paul Cézanne, aus dem Französischen übertragen und herausgegeben von John Rewald. Zürich 1962, S. 243
[2] Ulrike Schlieper: Die „andere Landschaft“ Handkes Erzählen auf den Spuren Cézannes, Lit Verlag Hamburg 1994, S. 34-49 Sébastien Clerbois: Notions d'histoire de l'art et d'archéologie, Art des 19e et 20e siècles, Presse Universitaire, 2e édition – Tirage 2007-08/1 HAAR-B-120_7, S. 79-80
[3] U. Schlieper: Die „andere Landschaft“, Anm. 2, S. 35
[4] Ebd., S. 42
[5] S. Clerbois: Notions d'histoire de l'art et d'archéologie, Anm.2, S. 80
[6] U. Schlieper: Die „andere Landschaft“, Anm. 2, S. 38
[7] Peter Handke: Langsame Heimkehr: Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1984, S. 9
[8] Ebd, S.124
[9] Peter Handke: Langsame Heimkehr, Anm.7, S.11
[10] Ebd., S. 200
- Quote paper
- Anne-Christine Funk (Author), 2011, Peter Handke „Langsame Heimkehr“ - Parallelversuch zu Paul Cézanne, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/169525
-
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X.