„Nur wer beide Regime erlebt hat, konnte erkennen,
wie ähnlich sie sich gewesen sind.“
Simon Wiesenthal
Aufgrund der Masse der genozidalen Ereignisse im zwanzigsten Jahrhundert und der Schaffung verschiedener Lagersysteme schlägt Zygmunt Baumann der Nachwelt als eine mögliche Namensgebung für dieses Jahrhundert „das Jahrhundert der Lager“ vor und weist darauf hin, dass die Welt der Lager noch eingehend erforscht werden muss. Zahlreiche der im vergangenen Jahrhundert existenten Lagersysteme sind ebenso wie die Genozide, die sie hervorgebracht haben noch nicht hinlänglich erforscht. Die intensivste „justitielle Auseinandersetzung eines demokratischen Landes mit seiner diktatorischen Vergangenheit“ fand in Deutschland statt, ebenso die „breiteste wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Tätern eines Genozids“.
Trotz dieser intensiven Beschäftigung gilt es für die Täterforschung in Deutschland ebenso wie für die in anderen Ländern noch viele Fragen zu beantworten. Zu sehr standen bisher die Organisatoren im Blickpunkt der Forscher, in Deutschland also jene „Architekten der Endlösung“, die die Massenvernichtung planten und vorantrieben. Die Betrachtung der „Direkttäter“ machte spätestens auf der Ebene der Kommandanten halt. Dies hatte – und hat - seine Gründe nicht zu letzt in dem nicht, oder erst durch den Zusammenbruch des kommunistischen Regimes zugänglichen Aktenmaterial.
Eine der offenen Fragen ist die nach der Motivation der Direkttäter. Dieser soll in dieser Arbeit am Beispiel der beiden größten Lagersysteme nachgegangen werden: Dem System der nationalsozialistischen Konzentrationslager und dem der sowjetischen GULags. Wurde das Agieren der Täter durch eine „handlungsmotivierende Antriebskraft“ geleitet und welche Rolle kam gezielter propagandistischer Agitation der Täter in Form von Schulungen zu. Zugespitzt heißt es zu fragen, ob das Propagieren von Volksfeinden im NS-System und Klassenfeinden in der Sowjetunion eine notwendige Grundlage für die Entstehung von Vernichtungslagern war.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Täter
2.1. im Konzentrationslager
2.1.1. Struktur
2.1.2. Verhalten
2.2. Im GULag
2.2.1. Struktur
2.2.2. Verhalten
3. Die Motive
3.1. der Täter im Konzentrationslager
3.2. der Täter im GULag
4. Fazit
5. Literaturverzeichnis
Quellen:
Sekundärliteratur:
1. Einleitung
„Nur wer beide Regime erlebt hat, konnte erkennen,
wie ähnlich sie sich gewesen sind.“
Simon Wiesenthal[1]
Aufgrund der Masse der genozidalen Ereignisse im zwanzigsten Jahrhundert und der Schaffung verschiedener Lagersysteme schlägt Zygmunt Baumann der Nachwelt als eine mögliche Namensgebung für dieses Jahrhundert „das Jahrhundert der Lager“ vor und weist darauf hin, dass die Welt der Lager noch eingehend erforscht werden muss.[2] Zahlreiche der im vergangenen Jahrhundert existenten Lagersysteme sind ebenso wie die Genozide, die sie hervorgebracht haben noch nicht hinlänglich erforscht. Die intensivste „justitielle Auseinandersetzung eines demokratischen Landes mit seiner diktatorischen Vergangenheit“ fand in Deutschland statt, ebenso die „breiteste wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Tätern eines Genozids“[3].
Trotz dieser intensiven Beschäftigung gilt es für die Täterforschung in Deutschland ebenso wie für die in anderen Ländern noch viele Fragen zu beantworten. Zu sehr standen bisher die Organisatoren im Blickpunkt der Forscher, in Deutschland also jene „Architekten der Endlösung“[4], die die Massenvernichtung planten und vorantrieben. Die Betrachtung der „Direkttäter“ machte spätestens auf der Ebene der Kommandanten[5] halt. Dies hatte – und hat - seine Gründe nicht zu letzt in dem nicht, oder erst durch den Zusammenbruch des kommunistischen Regimes zugänglichen Aktenmaterial.
Eine der offenen Fragen ist die nach der Motivation der Direkttäter. Dieser soll in dieser Arbeit am Beispiel der beiden größten Lagersysteme nachgegangen werden: Dem System der nationalsozialistischen Konzentrationslager und dem der sowjetischen GULags[6]. Wurde das Agieren der Täter durch eine „handlungsmotivierende Antriebskraft“[7] geleitet und welche Rolle kam gezielter propagandistischer Agitation der Täter in Form von Schulungen zu. Zugespitzt heißt es zu fragen, ob das Propagieren von Volksfeinden im NS-System und Klassenfeinden in der Sowjetunion eine notwendige Grundlage für die Entstehung von Vernichtungslagern war.
Zunächst werden die beiden Tätergruppen, die SS-Männer und die Tschekisten in ihrer Organisation vorgestellt, um dann mit ausgewählten Beispielen das Verhalten der Wachmannschaften in den Lagern zu beschreiben.
Im folgenden Kapitel dann wird den individuellen Motiven nachgegangen, für jedes System getrennt in einem eigenen Unterpunkt, wobei neben der Betrachtung der ideologischen Motive gerade auch den hedonistischen Platz eingeräumt wird. So werden Gemeinsamkeiten und Gegensätze im Antrieb der Wächter ideologisch gänzlich unterschiedlicher Systeme deutlicher.
2. Die Täter…
2.1. im Konzentrationslager
2.1.1. Struktur
Die „Inspektion der Konzentrationslager“ (I.K.L.) wurde am 10. Dezember 1934 eingerichtet und direkt Himmler unterstellt. Ihr oblag die „Organisation, Verwaltung und Wirtschaftsführung der Konzentrationslager“, und somit „die Angelegenheiten, die die im Wachdienst der Konzentrationslager eingesetzten SS-Wachmannschaften“[8] betrafen; Leiter der I.K.L. wurde Theodor Eicke, der eine einheitliche Struktur für alle Konzentrationslager schuf[9]. Seit 1934 wurden in allen Lagern nur noch SS-Wachmannschaften eingesetzt, die auf Befehl des Reichsführers-SS vom 16.4.1936 in „SS-Totenkopfverbände“ umbenannt wurden.[10]
Die Totenkopfverbände waren vor allem mit der Bewachung der Gefangenen und dem Stellen der Postenkette bei außerhalb des Lagers eingesetzten Häftlingskommandos betraut „und sind somit vom eigentlichen Lagerpersonal zu unterscheiden“[11], wobei die Trennung zwischen „innerer“ und „äußerer“ Bewachung, ein Kennzeichen des „Dachauer Modells“, „nicht in der behaupteten strikten Form bestand“[12].
Mit Kriegsbeginn wurden Teile der Totenkopfstandarten an die Front geschickt, ihre Aufgaben in den Lagern übernahmen Mitglieder der Allgemeinen SS, zumeist ältere Männer.[13] Mit fortwährender Kriegsdauer wurden auch Wachverbände anderer Nationalitäten eingesetzt[14], die in dieser Täterbetrachtung aber keine Berücksichtigung finden, da andere Voraussetzungen und Motivationen für deren – sich von dem der deutschen Einheiten unterscheidendes – Handeln vorlagen.
Die Mitglieder der Totenkopfverbände leisteten ihren Dienst im Konzentrationslager freiwillig, anders als die zehn[15] Prozent weiblichem Bewacher, die SS-Aufseherinnen. In den Prozessen nach Kriegsende gaben die Aufseherinnen fast einheitlich an, zum Dienst verpflichtet worden zu sein. Dies deckt sich mit der Beschreibung von Höß über die Zwangsverpflichtung weiblicher Angestellte solcher Betriebe, die weibliche Häftlinge beschäftigten.[16] Doch gab es auch unter den SS-Aufseherinnen jene, die sich entweder in ihrem Betrieb oder auf dem Arbeitsamt freiwillig gemeldet hatten.[17]
2.1.2. Verhalten
In zahlreichen Büchern berichten ehemalige Häftlinge über die Verbrechen ihrer Bewacher. Aus dieser Vielzahl an bewegten Dokumenten eine Auswahl zu treffen, um die Schrecken, die von der SS ausgingen, in ihrer Gesamtheit fassbar zu machen oder die Kaltblütigkeit des Mordens in allen Facetten darzustellen, ist im Rahmen dieser Arbeit, bedingt durch den Mangel an zur Verfügung stehenden Platz, nicht angemessen zu gewährleisten.
Deshalb sollen hier nur solche Beispiele dargestellt werden, die den vergleichenden Blick zu den Tätern im GULag ermöglichen.
Vereitelungen von Fluchtversuchen wurden mit Begünstigungen in Form von Sonderurlaub belohnt und in einigen Fällen wurden die betreffenden SS-Männer öffentlich belobigt:
„Bei einem Fluchtversuch eines Häftlings in Dwory zeigte der SS-Rottenführer Stolten, der als Blockführer dem Kommando zugeteilt war, ein sehr umsichtiges Verhalten. Es gelang ihm, die Flucht zu vereiteln und ihn bei seinem Vorhaben zu erschießen. Ich spreche dem SS-Rottenführer Stolten hierfür meine Anerkennung aus.
Derer SS-Mann Ewald Leuow, 4./SS-T-Sturmbann, hat am 26.6.41 bei einer Massenflucht von Juden durch seine Aufmerksamkeit und Umsichtigkeit wesentlich dazu beigetragen, diese Flucht zu verhindern. Ich spreche dem SS-Mann Leuow hierfür meine Anerkennung aus.“[18] Ob es sich um wirkliche Fluchtversuche handelte, welche Hintergründe die Massenflucht hatte, bleibt leider im Dunkeln.
[...]
[1] Zit. nach: Dlugoborski, Waclaw, Das Problem des Vergleichs von Nationalsozialismus und Stalinismus, in: Dahlmann, Dittmar u. Hirschfeld, Gerhard [Hrsg.]: Lager, Zwangsarbeit, Vernichtung und Deportation, Essen 1999, S.23.
[2] Baumann, Zygmunt: Das Jahrhundert der Lager?, in: Dabag…, S. 81ff.
[3] Paul, Gerhard, Die Täter der Shoah im Spiegel der Forschung, in: Ders. [Hrsg.]: Die Täter der Shoah. Fanatische Nationalsozialisten oder ganz normale Deutsche?. Dachauer Symposien zu Zeitgeschichte Bd.2, Göttingen 2002, S. 67.
[4] Breitman, Richard: Der Architekt der „Endlösung“. Himmler und die Vernichtung der europäischen Juden, Paderborn 1996.
[5] Hier sind z.B. zu nennen: Segev, Tom: Die Soldaten des Bösen. Zur Geschichte der KZ-Kommandanten, Reinbeck bei Hamburg, 1992 oder Orth, Karin: Die Konzentrationslager-SS. Sozialstrukturelle Analysen und biographische Studien, Göttingen 2000.
[6] Schon die Bezeichnung des gesamten Lagersystems nach Solschenizyn als „GULag“ ist problematisch, da dieser Begriff ursprünglich nur die Hauptverwaltung der Lager des NKWD meinte. Siehe hierzu: Stettner Ralf, „Archipel GULag“: Stalins Zwangslager. Terrorinstrument und Wirtschaftsgigant, Paderborn 1996, S. 22. Da die von mir zur Beschreibung der Wachmannschaften genutzen Quellen, Solschenizyn und Bardach, hier keine Unterscheidung treffen, und auch in der verwendeten Sekundärliteratur diese nicht eingehalten wird, verzichte ich ebenso darauf.
[7] Broszat, Martin, Hitler und die Genesis der „Endlösung“. Aus Anlass der Thesen von David Irving, in: VfZ 25 (1977), S. 770.
[8] Verfügung Himmlers über die Errichtung der „Inspektion der Konzentrationslager“ vom 10. Dezember 1934, Bundesarchiv, R 58/239, fol. 64-66, abgedruckt in: Tuchel, Johannes: Die Inspektion der Konzentrationslager 1938 -1945. Das System des Terrors, Berlin 1994, S. 30f.
[9] Siehe hierzu: Orth, Karin: Das System der nationalsozialistischen Konzentrationslager, Zürich und München 2002, S. 39ff.
[10] Schreiben des „Chefs des SS-Hauptamtes“ Heißmeyer vom 16.04.1936, Bundesarchiv, NS31/258, fol. 12, abgedruckt in: Tuchel, Johannes: Die Inspektion der Konzentrationslager 1938 -1945. Das System des Terrors, Berlin 1994, S. 49.
[11] Wegener, Bernd: Hitlers politische Soldaten: Die Waffen-SS 1933 -1945. Studien zu Leitbild, Struktur und Funktion einer nationalsozialistischen Elite, Paderborn 1982, S. 101.
[12] Orth, Karin: Die Konzentrationslager-SS. Sozialstrukturelle Analysen und biographische Studien, Göttingen 2000, S. 35.
[13] Orth, Karin: Experten des Terrors. Die Konzentrationslager-SS und die Shoah, in: Paul, Gerhard: Die Täter der Shoah. Fanatische Nationalsozialisten oder ganz normale Deutsche?. Dachauer Symposien zu Zeitgeschichte Bd.2, Göttingen 2002, S.99.
[14] Kogon, Eugen: Der SS-Staat, Hamburg 1974, S. 63.
[15] Schwarz, Gudrun: SS-Aufseherinnen in Konzentrationslagern, in: Dachauer Hefte, Täter und Opfer, 10 (1994), S.35.
[16] Höß, Rudolf: Kommandant in Auschwitz. Autobiographische Aufzeichnungen, hrsg. von Martin Broszat, München 31965, S.119.
[17] Schwarz, Gudrun: SS-Aufseherinnen in Konzentrationslagern, in: Dachauer Hefte, Täter und Opfer, 10 (1994), S.37-41.
[18] Kommandanturbefehl Nr. 15/41, abgedruckt in: Frei, Norbert u.a. [Hrsg.]: Standort- und Kommandanturbefehle des Konzentrationslager Auschwitz 1940-1945, München 2000, S.51f.
- Citar trabajo
- Reto Stein (Autor), 2003, Genozidale Taeter und ihre Motivation am Beispiel der Konzentrationslager und GULags, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/16868
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