Im Zuge der reflexiven Modernisierung werden klassische Institutionen und grundlegende
Unterscheidungen zunehmend begründungsbedürftig und verlangen nach Neuformierungen. Die durch technische Innovationen einhergegangenen ungeahnten Risiken und Folgen lassen Zweifel an der Exklusivität der Wissenschaft aufkommen. Gerade Konflikte im Umwelt- und Gesundheitswesen haben hier ihre Wirkung entfaltet und führen die wachsende Bedeutung von Nichtwissen vor Augen. Unsicherheiten werden vermehrt zum Thema des öffentlichen Diskurses. Der Fortschritt der Wissenschaft trägt also nicht zwingend zu einer Abnahme von Risiken bei, sondern kann Nichtwissen eher noch begünstigen. Risikobeobachtung kann allerdings nicht weiterhin allein unter Betrachtung eines explizit wissenschaftlich begründeten Ordnungssystems erfolgen, sondern bedarf ganz wesentlich auch gesellschaftlich etablierter Erwartungshorizonte, bedarf der Politik und Ökonomie. Wissen wird vermehrt an unterschiedlichen Orten produziert, womit auch unterschiedliche Wissensformen in die Wissenschaft selbst eingehen und sich zunehmend Abgrenzungsprobleme zwischen Wissen und Nichtwissen, Experten und Laien, Fakten und Werten auftun. Nichtwissen ist in sich selbst nicht einheitlich und weist weitere Dimensionen auf. Der unterschiedliche Umgang mit der Problematik im Allgemeinen verdeutlicht die Vielschichtigkeit von Nichtwissen, das im Vorliegenden anhand ausgewählter Fallbeispiele exemplifiziert werden soll. Es gilt dabei, die unterschiedlichen Entstehungsumstände der Fälle, das Erkennen und Reagieren auf jeweilige Unsicherheiten und die Auswirkungen auf die Öffentlichkeit herauszuarbeiten. Um die Analyse der Fallbeispiele zu erleichtern, sollen zu Beginn der vorliegenden Arbeit zunächst jedoch einführende Vorbemerkungen zum Phänomen des Nichtwissens und Grundlagen, Abgrenzungen und zentrale Fragestellungen einer Soziologie des wissenschaftlichen Nichtwissens vorangestellt werden. Auf die analysierten Fälle aus der Umwelt – oder Chemiepolitik folgen Gedanken über den angemessenen Umgang mit der Problematik. An dieser Stelle werden einzelne Vergleichspunkte aus den Fallbeispielen erneut aufgegriffen, wobei auch allgemeine Reflexionen zum Umgang mit der Nichtwissensproblematik angeführt werden. In einem abschließenden Fazit wird versucht, wesentliche Auswirkungen einer Soziologie des wissenschaftlichen Nichtwissens sowohl auf die Wissenschaft als auch auf unser gesellschaftliches Zusammenleben zu verdeutlichen.
Inhaltsverzeichnis:
1. Wissenschaftliches Nichtwissen als Schattenseite reflexiv-moderner Gesellschaften
2. Zur Soziologie des wissenschaftlichen Nichtwissens
2.1. Einführende Vorbemerkungen, Abgrenzungen und Differenzierungen
2.2. Grundlagen und Themenfelder der Soziologie wissenschaftlichen Nichtwissens
2.2.1. Die soziale Konstruktion von wissenschaftlichem Nichtwissen
2.2.1.1.„Ignorance claims“ in Wissenschaft, Medien und Öffentlichkeit
2.2.1.2.Öffentliche Unkenntnis von Wissenschaft
2.2.1.3.Die politische Erzeugung von Wissenslücken
2.2.2. Die kognitive Konstruktion von Nichtwissen in der Forschungspraxis
2.2.2.1.Die Selektivität wissenschaftlicher Theorie
2.2.2.2.Die Dekontexutalisierung experimentell erzeugten Wissen
2.2.2.3.Die Konstruktion neuer, unbekannter Wissenshorizonte
3. Fallbeispiele wissenschaftlichen Nichtwissens - Ein Vergleich
3.1. Allgemeines zum Vorsorgeprinzip
3.2. Vorbemerkungen zur Chemiepolitik
3.3. MTBE als Bleiersatz in Ottokraftstoffen
3.4. Tributylzinn- (TBT)-haltige Antifoulingfarben
3.5. Resumée der beiden Fallbeispiele
4. Umgang mit der Problematik und Perspektiven
4.1. Technikfolgenabschätzung
4.2. Paradigmenwechsel
5. Schlussfolgerungen
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- Martina Tauscher (Author), 2009, Über die Soziologie des wissenschaftlichen Nichtwissens, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/168439
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