In der vorliegenden Magisterarbeit wird die Entwicklung von Frauencharakteren im Science Fiction Roman im Zeitraum zwischen 1970 und der Gegenwart analysiert.
Es werden hierbei drei exemplarische Science Fiction Romane und deren weibliche Hauptfiguren untersucht. Ausgehend von diesen Beispielwerken sollen Rückschlüsse auf generelle Tendenzen in der Entwicklungskurve der weiblichen Protagonistin zwischen 1970 und der heutigen Epoche gezogen werden.
Diesem Forschungsansatz liegt die Beobachtunge zu Grunde, dass eine Entwicklung in der Darstellung der Frau im Science Fiction Roman in den vergangenen vier Jahrzehnten stattgefunden hat. Um dies zu beweisen, werden die ausgewählten Frauencharaktere in Charakterisierungskriterien aufgegliedert werden in dieser Arbeit. Die Frauenfigur wird anhand ihres Körpers, ihres Verhältnisses zum männlichen Charakter, anhand ihrer Kleidung, des Umgangs mit Technik und Waffen und anhand ihrer Sexualität detailliert untersucht. Außerdem wird durch die Einbeziehung der Kampfszenen und Rettungsszenarien die Entwicklung dargestellt werden.
Die untersuchten Frauencharaktere sind dabei in erster Linie als weibliche Hauptfigur, Heldin (Protagonistin) oder Co-Protagonistin aufzufassen. Die Begriffe Weibliche Hauptfigur, Frauenfigur/Frauencharakter und Heldin/Protagonistin werden synonym verwendet.
Die literarische Gattung der Science Fiction, ein Genre, welches sich nur schwer definieren lässt, beschäftigt sich vor allem mit Handlungsschwerpunkten, welche sich außerhalb der Erfahrungswelt des Lesers abspielen. Etwas Neues soll geschaffen werden, dies ist die Prämisse eines jeden Science Fiction Werkes. Dieses Neue wiederum soll etwas sein, das sich der Realität der dem Leser bekannten Welt entzieht, ein Novum.
In der vorliegenden Arbeit werden dreidimensionale, eigenverantwortlich handelnde Protagonistinnen als eben jener Handlungsschwerpunkt und jene Neuheit, welche die Science Fiction fordert, aufgefasst. Die für diese Arbeit ausgewählten Werke, Joanna Russ’ The Female Man, William Gibsons Neuromancer und John Twelve Hawks’ Traveler handeln von einer weiblichen Protagonistin und stellen damit anschaulich deren Maturation in der postmodernen Literatur dar.
Inhaltsverzeichnis
I. Gegenstand und Problemstellung der Arbeit
II. Creating a society-gesellschaftliche, ideologische und psychologische Hintergründe
1. Die Frauenbewegung der 70er und ihre Relevanz für die Science Fiction Literatur
2. Die gesellschaftlich-politischen Hintergründe
3. What defines mankind?-Identität als Konvention und Konzept
III. The underlying literary concepts - literaturkritischer Hintergrund und Theorien
1. Die Definition der Science Fiction nach Clute/Nicholls
2. Darko Suvins Poetik der Science Fiction und das Novum
3. Rachel Blau Duplessis’ Einteilung in Quest/Romance-Handlungen
4. Die Einteilung in Female Hero und Heroine nach Duplessis
5. Die Geschichte des Science Fiction Romans als traditionell männliches Genre
6. Stereotype Frauendarstellungen in Science Fiction Romanen bis 1970
7. Die neue Heldin der Science Fiction nach Joanna Russ und Ursula Le Guin
8. Von der weiblichen Dystopie einer Anti-Gesellschaft zur individuellen 24 Einzelkämpferin
IV. Die innere Analyse- Identifying and characterizing the woman in the novel
1. Die drei Romane: The Female Man (1975), Neuromancer (1984), Traveler (2005)
a) Entstehungshintergrund
b) Plot/Handlung
2. Die Frau als Protagonistin /Heldin und ihre Aufgabe im Roman
a) Joanna Russ’ „cluster protagonist “ J
b) William Gibsons „Razor girl Molly „
c) John Twelve Hawks’ einsame Kämpferin Maya
3. Charaktereigenschaften
3.1.Untersuchung der Charaktere anhand verschiedener Kriterien
a) Die Äußerlichkeiten
b) Das Verhältnis zum männlichen Charakter
c) Kleidung
d) Der Umgang mit Wissenschaften und Technik
e) Der Umgang mit Sexualität
3.2. Unterschiede und Gemeinsamkeiten
4. What is new about these women?-Exemplarische Details der untersuchten Frauenfiguren
a) Kampf-und Konfliktszenen
b) Rettungsszenarien
c) Überblick über die Entwicklungstendenzen der Frauencharaktere von den 1970ern bis in die Gegenwart
5. Anwendung von Duplessis’ Konzept der Female Hero/Heroine und Quest/Romance auf die Figuren
a) Untersuchung der vier J’s (Joanna Russ) mit DuPlessis
b) Untersuchung der Molly (Neuromancer) mit DuPlessis
c) Untersuchung von Maya (Hawks) mit DuPlessis
d) Die drei Frauen im Vergleich
6. Die zukünftige weibliche Hauptfigur der Science Fiction -ein AusblickV. Ergebnisse
VI. Literaturverzeichnis
I. Gegenstand und Problemstellung der Arbeit
In der vorliegenden Magisterarbeit wird die Entwicklung von Frauencharakteren im Science Fiction Roman im Zeitraum zwischen 1970 und der Gegenwart analysiert. Es werden hierbei drei exemplarische Science Fiction Romane und deren weibliche Hauptfiguren untersucht. Ausgehend von diesen Beispielwerken sollen Rückschlüsse auf generelle Tendenzen in der Entwicklungskurve der weiblichen Protagonistin zwischen 1970 und der heutigen Epoche gezogen werden.
Diesem Forschungsansatz liegt die Beobachtunge zu Grunde, dass eine Entwicklung in der Darstellung der Frau im Science Fiction Roman in den vergangenen vier Jahrzehnten stattgefunden hat. Um dies zu beweisen, werden die ausgewählten Frauencharaktere in Charakterisierungskriterien aufgegliedert werden in dieser Arbeit. Die Frauenfigur wird anhand ihres Körpers, ihres Verhältnisses zum männlichen Charakter, anhand ihrer Kleidung, des Umgangs mit Technik und Waffen und anhand ihrer Sexualität detailliert untersucht. Außerdem wird durch die Einbeziehung der Kampfszenen und Rettungsszenarien die Entwicklung dargestellt werden.
Die untersuchten Frauencharaktere sind dabei in erster Linie als weibliche Hauptfigur, Heldin (Protagonistin) oder Co-Protagonistin aufzufassen, Nebencharaktere werden bewusst nicht in die Analyse einbezogen, da sie für die Darstellung der Entwicklung der Frauenfiguren zu wenig ausgearbeitet und daher irrelevant sind. Die Begriffe Weibliche Hauptfigur, Frauenfigur/Frauencharakter und Heldin/Protagonistin werden synonym verwendet.
Die literarische Gattung der Science Fiction, ein Genre, welches sich nur schwer definieren lässt, beschäftigt sich vor allem mit Handlungsschwerpunkten, welche sich außerhalb der Erfahrungswelt des Lesers abspielen. Etwas Neues soll geschaffen werden, dies ist die Prämisse eines jeden Science Fiction Werkes. Dieses Neue wiederum soll etwas sein, das sich der Realität der dem Leser bekannten Welt entzieht, ein Novum.
Über diese Definitionsansätze hinaus gibt es viele unterschiedliche Ausprägungen des Science Fiction Romans. Selbst unterschiedliche Schreibweisen existieren: In dieser Arbeit werden die Schreibweisen Science Fiction und SF alternierend und als Synonyme gebraucht werden.
In der vorliegenden Arbeit werden dreidimensionale, eigenverantwortlich handelnde Protagonistinnen als eben jener Handlungsschwerpunkt und jene Neuheit, welche die Science Fiction fordert, aufgefasst. Die für diese Arbeit ausgewählten Werke, Joanna Russ’ The Female Man, William Gibsons Neuromancer und John Twelve Hawks’ Traveler handeln von einer (beziehungsweise in Russ‘ Fall einem Clusterprotagonist aus vier Teilcharakteren) weiblichen Protagonistin und stellen damit anschaulich deren Maturation in der postmodernen Literatur dar.
Die drei Romane stammen aus drei verschiedenen Jahrzehnten und stehen stellvertretend für die jeweilige Entwicklung der Frauenfigur in ihrer Dekade. Durch die dreidimensionale Gestaltung wird nach Ansicht der Autorin dieser Magisterarbeit der Forderung der Science Fiction Gattung nach einem inhaltlichen Novum (Suvin, „Poetik“ 93) nachgekommen.
Die neu entsteandenen Frauenfiguren zeigen zusätzlich das innovative Potential der SF Gattung, welches, mit Hilfe der Frauenbewegung in den 70er Jahren, weg von der Weltraumtechnik und mehr auf soziale Themen hin geleitet wird. Durch die feministische Frauenbewegung entsteht ein entscheidender Einfluss auf die Emanzipation der Hauptfigur. Das Auftauchen der weiblichen Hauptfiguren im Science Fiction Roman und die ersten Schritte dieser Protagonistin werden hierdurch nachhaltig geprägt.
Die gesellschaftlichen Auswirkungen des Kampfes der Frauen in den 60er und 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts bereiteten daher den Weg für viele Autorinnen und Autoren und ermutigen sie, die Problematik der Geschlechtsthematik auch in die SF Literatur einzuführen und somit wieder einmal neue Welten zu eröffnen. Im theoretisch-allgemeinen Teil der Arbeit (Teil II in der Gliederung) wird zunächst ein Überblick über die gesellschaftlichen, ideologischen und psychologischen Hintergründe gegeben, sofern diese relevant für das Thema sind und Einfluss auf die literarische Entwicklung der Protagonistinnen genommen haben.
Dabei wird die Frauenbewegung der 1970er Jahre einerseits und die Identität des Einzelnen in der Postmoderne andererseits dargestellt. Denn die Identität, verstanden als „Einheit der Person im psychologischen Sinn“ (Brockhaus 633), wird in der Literatur der Postmoderne zunehmend fragmentarisch und lässt sich nicht mehr leicht als Einheit eingrenzen. Aus diesem Grund wird auch auf die Frage der Identität einer literarischen Figur eingegangen, wobei besonders die Frage nach den Einzelfaktoren, welche die Identität im Roman generieren, gestellt wird.
Nach Katarzyna SmyczyĔska (2007) kann Identität, besonders in der heutigen, postmodernen Zeit, als etwas beschrieben werden, was sich im Laufe der Zeit auch ändert, sich zunächst jedoch einmal selbst konstruiert. SmyczyĔska beschreibt Identität folgendermaßen:„ [I]dentity can be described as an individual's own perception of the self, changing and developing in time and space yet thought of as coherent“(21). Auf Basis dieser Sicht auf die Identität und Identitätskonstruktion, in welcher die weibliche Identität als „no[t] […] passive entity, determined exclusively by outside factors“(SmyczyĔska 22) begriffen wird, sollen die weiblichen Hauptfiguren der ausgewählten Romane untersucht werden.
Die postmoderne Literatur lässt sich daraus resultierend ebenfalls schwer in eine enge Definition fassen, generell jedoch markiert der gesellschaftlich schwindende Fortschrittsglaube und die aufkeimende Stimmung des Skeptizismus und Subjektivismus diese Epoche (Hornung 326). Ebenso, wie es im Postmodernismus um Grenzüberschreitung geht (Hornung 327), überschreiten die, während und nach der Frauenbewegung entstandenen, weiblichen Heldinnen im SF Roman Grenzen des bisher Bekannten.
Verbunden damit wird in der vorliegenden Arbeit im Teil II auch, aufgrund der Herkunft der Romane, ein Überblick über die gravierenden gesellschaftlichen Veränderungen in den USA zu jener Zeit gegeben.
Im theoretisch-literaturkritischen Teil (III) der Arbeit („Underlying literary concepts“) werden die theoretischen und literarischen Grundkonzepte, auf deren Basis die Problemstellung der Arbeit analysiert wird, vorgestellt. Dabei geht es grundsätzlich zunächst um das schwierige Thema der Definition des Begriffes „Science Fiction“, um Darko Suvins Novum-Begriff und um Rachel Blau DuPlessis’ Theorie zur Einteilung der weiblichen Hauptfigur im Roman in Female Hero/Heroine und Quest/Romance- Handlungsstrang (Plot). Ihre Theorie kritisiert vor unter anderem die einseitige Orientierung auf den heterosexuellen Romance- Plot als alleinigem Handlungsspielraum für die weibliche Heldin in Romanen des 20. Jahrhunderts.
Im weiteren Verlauf von Teil III wird die Frauenfigur in ihren stereotypen Darstellungen vor der Frauenbewegung vorgestellt und kontrastiv werden hierzu die Visionen der ersten feministischen Autorinnen der SF, Ursula Le Guin und Joanna Russ, zur neuen Frau in der SF Literatur präsentiert.
Im letzten Teil des literaturkritischen Abschnitts (III.8) wird ein kurzer Überblick über die generelle Entwicklung der Frauenfiguren, unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen Rolle von den 70ern bis heute gegeben.
Die innere Analyse im Hauptteil der Arbeit (Teil IV) beschäftigt sich dann dezidiert mit den Frauenfiguren der ausgewählten Werke, ihrer Aufgabe im Roman, ihrer exemplarischen Rolle und ihren Charaktereigenschaften, vergleicht sie untereinander und geht auf eventuelle Weiterentwicklungstendenzen ein.
Im diesem, praktischen Teil der Arbeit werden Identität- und Identitätsbildung anhand der Analyse von inneren und äußeren Details der Frauenfiguren, beispielsweise ihrem Verhältnis zum männlichen Charakter, aufgezeigt. Dabei soll gezeigt werden, dass all diese Untersuchungskriterien in ihrer literarischen Darstellung der Präsentation eines dreidimensionalen, ausformulierten Charakters dienen und dadurch seine Identität formen.
Des Weiteren gehen das sexuelle Verhalten der Frauenfigur und ihre literarische Identitätsfindung ein enges Verhältnis ein. Durch das Eingeständnis und Einräumen einer selbst bestimmten Sexualität der Frau bereits in der feministischen Frauenbewegung, nimmt die weibliche Hauptfigur traditionell maskuline Verhaltensweisen und Denkmuster an und wandelt diese in Macht um: „the akquisition of sexual identity by the heroine, [...], potentially transfers part of the patriarchal power onto her“(51), sagt SmyczyĔska. Indem die weibliche Hauptfigur dies erreicht, nimmt sie auch graduell den Platz der selbst bestimmten Heldin im Roman ein, transferiert somit die traditionell maskuline Rolle auf sich. Aus dieser Beobachtung heraus wird ein besonderes Augenmerk auf die Sexualität der Protagonistinnen gelegt.
Besonders herausfordernd für den Bereich des Science Fiction Romane sind die Kampf- und Konflikt-, beziehungsweise Rettungsszenarien, in welche die Heldinnen involviert sind. Hierin zeigt in der Regel traditionell der wahre Held des Romans sein unverhülltes Gesicht. In diesem Unterkapitel des praktischen Teils (IV.4.) soll untersucht werden, inwiefern eine Entwicklung von The Female Man bis zum Traveler stattfindet, und auf welche Art sich die weibliche Hauptfigur anhand dieser Szenen etabliert und verändert hat.
Das Novum im Sinne von Darko Suvin (1979) wird in dieser Examensarbeit durch die Anwendung von DuPlessis’ allgemein literarischen Kriterien auf die weiblichen Hauptfiguren der untersuchten Science Fiction Romane übertragen, indem die Anwendbarkeit der Theorie auch in der Science-Fiction Literatur einerseits dokumentiert und das Novum nach Suvins Verständnis exemplifiziert wird. Während DuPlessis ihre Erkenntnisse hauptsächlich auf die Frauenfiguren und Handlungen der traditionellen Romane und auf die Gattung der Romance-Narrative (Liebesroman) bezieht, werde ich in dieser Arbeit ihre Überlegungen und Ergebnisse auf die Kategorie der Frauenfiguren und deren Handlungen in postmodernen Science Fiction Romanen anwenden.
Die beiden theoretischen Ansätze von DuPlessis und Suvin werden dabei auf die drei exemplarischen Romane aus der Science Fiction Gattung übertragen, den Female Man von Joanna Russ (1975) mit den vier J’s als Clusterprotagonistinnen, den Neuromancer (1984) von William Gibson mit der Hauptfigur Molly und den Traveler (2005) von John Twelve Hawks, in welchem Maya die Hauptrolle darstellt. Dabei werden, als Novum der vorliegenden Arbeit gewissermaßen, DuPlessis‘ Kriterien an den SF-Frauen der ausgewählten Werke getestet und es wird sich zeigen, dass sie auch in der SF- Gattung Gültigkeit und Relevanz besitzen, sogar zur Darstellung des Novums „weibliche Protagonistin“ existenziell sind.
Dabei wird von einem innovativen Modell der textuellen Repräsentation und einer innovativen Leseart ausgegangen, ausgehend vom Grundgedanken, dass diese Lesearten der theoretischen Kategorisierungen von Suvin und DuPlessis mehr oder weniger in jedem literarischen Text der Postmoderne inhärent vorhanden sind. Durch die neuartige Darstellung der Hauptfiguren im postmodernen Science Fiction Roman der Gegenwart als Female Hero im kombinierten Quest/Romance- Plot wird gleichzeitig auch die maßgebliche Weiterentwicklung der neuen weiblichen Hauptfigur dokumentiert.
Das Ziel der Arbeit ist daher, aufzuzeigen, dass die Entwicklung der Protagonistin bis heute hin zur Female Hero im kombinierten Quest/Romance-Handlungsschwerpunkt geht, dass diese Entwicklung in den vergangenen vierzig Jahren stattgefunden hat und somit die Ausgangsbasis für den aktuellen Stand in der Darstellung der Frauencharaktere im Science Fiction Roman bedeutet.
Die Arbeit endet mit einem kleinen, hypothetischen Ausblick auf die künftige Weiterentwicklung der weiblichen Hauptfigur im Science- Fiction Roman, welche anhand der dargestellten Entwicklung der letzten 40 Jahre gewagt werden soll. Um die Arbeit abzurunden, befinden sich Zeichnungen der Protagonistinnen aus den untersuchten Romanen im Anhang. Sie sollen einer Visualisierung dienen, sind jedoch rein interpretativ zu verstehen. Diese Zeichnungen stammen nicht von der Verfasserin dieser Magisterarbeit, sondern von einer Künstlerin, welche zu diesem Zweck beauftragt wurde.
II. Creating a society - gesellschaftliche, ideologische und psychologische Hintergründe
II.1. Die Frauenbewegung der siebziger Jahre und ihre Relevanz für die Science - Fiction Literatur
Um die volle Signifikanz der Bedeutung der weiblichen Hauptfigur in der Science- Fiction Literatur erfassen zu können, ist es unerlässlich, den politisch-gesellschaftlichen Hintergrund kurz anzusprechen. Denn ausschlaggebend für das Frauenbild, sowohl in der Gesellschaft als auch in der Literatur, war in den 1970ern die feministische Frauenbewegung.
Historisch gesehen ist es die zweite Welle der Frauenbewegung, deren Höhepunkt in den späten sechziger und frühen siebziger Jahren liegt und die „every area of women’s experience“ (Brittan]ica online) berührt.
Betty Friedan merkt in ihrem Werk The Feminine Mystique (1963) an, wie sehr die Gesellschaft die Frau negiert. Sie sieht die Frau „deadened by domesticity“ (qtd. in Britannica online), und zwar dadurch, dass sie aus dem Alltag des täglichen Lebens verbannt ist. Vor diesem Hintergrund setzt sich 1966 die National Organization for Women zusammen und stellt politische Forderungen auf, darunter beispielsweise die Forderung nach einen Gesetz, welches die Diskriminierung der Frauen in der Arbeitswelt bannt. Ebenfalls in dieser Zeit wird das Scheidungsrecht liberalisiert, eine Veränderung, welche eine Welle lostreten wird.
Diese politischen und gesellschaftlichen Veränderungen bleiben nicht ohne Auswirkung auf die Frauencharaktere in der Literatur, deren spiegelbildhafter Charakter maßgebend werden soll. Die künstlerischen Auswirkungen lassen sich auch bei den Autoren des Science- Fiction Genre beobachten, denn die Schriftsteller und vor allem Schriftstellerinnen erkennen „im Zuge der Frauenbewegung das Potential der Science- Fiction dafür andere Frauen darzustellen“ (Mayerhofer 1 [my emphasis]).
Somit bewirken das erstarkende Bewusstsein für Frauenthemen in der Gesellschaft und das zunehmende, neue Selbst-Bewusstsein der Frauen schlechthin in der 1970ern, bezogen auf die Science- Fiction eine revolutionäre inhaltliche Veränderung in der weiblichen Hauptfigur. Vorreiterinnen dieser Veränderungen sind die feministischen Schriftstellerinnen Ursula K. Le Guin und Joanna Russ. Während Le Guin die Rolle übernimmt, das „Thema Geschlecht“ (Mayerhofer 5) in die Science- Fiction einzuführen, bekommt die Leserschaft mit Russ’ Romanheldin Alyx „ eine starke, kriegerische Protagonistin in der Science Fiction“ (Mayerhofer 5). Dieser literarischen
Figur kommt der Nimbus zu, „eine nachhaltige, befreiende Wirkung auf das Genre“ zu haben und gleichzeitig die Route festzulegen, auf der nachfolgende Heldinnen sich bewegen (Mayerhofer 5).
Zu einem zentralen Thema der feministischen SF- Literatur wird die von „Geschlechtsrollen befreite Gesellschaft“ (Holland-Cunz 7). Die Verzahnung zwischen literarischem Schaffen und politischem Engagement ist groß, Frauencharaktere haben die Aufgabe, exemplarisch für die neue Rolle der Frau in der Gesellschaft zu stehen, und das Ende des Patriarchats scheint „ein wenig näher gerückt“ (Holland - Cunz 7). Die SF - Schriftstellerinnen dieser Epoche haben ein festes Bild von ihrer Heldin: Sie sind „frequently leaders - world changers“ (King 143). Besonders kennzeichnend ist auch ihr metaphorischer Charakter, der sie „larger than life, admireable, even heroic“ erscheinen lässt (King 143). Die Frauenfiguren dieser Epoche nehmen Führungspositionen ein.
Thematisch vollzieht sich eine Hinwendung zum „inneren Raum“ (Lexikon der SF 40), der Psyche des Menschen und weg von der Exploration interstellarer Welten. Mit dieser Kehrtwende hin zum Inneren gelingt der Science Fiction die „Emanzipation“ und der Lückenschluss zur „anerkannten Literatur“ (Lexikon der SF 40). SF Literatur gehört endlich zum Kanon.
Feministische Schriftstellerinnen arbeiten dabei stark mit SF - Utopien, deren Gesellschaftssysteme „klassenlos, ökologisch ländlich und sexuell frei in dem Sinne, dass sie Sexualität von Fragen des Besitzes, der Fortpflanzung und der sozialen Struktur trennen“ (Mayerhofer 7) sind. Dies entspricht der Forderung der feministischen Frauenrechtlerin Luce Irigaray nach der Auflösung theoretischer Strukturen: „The issue is not one of elaborating a new theory of which women would be the subject or the object but of jamming the theoretical machinery itself” (qtd. in Roberts 150).
Hierzu ist, nach Irigaray, ein revolutionärer Akt notwendig, “a subversion of the narrative structure that holds the protagonist in place” (qtd. in Roberts 154). Nur durch diese Mechanismen sollten sich weibliche Protagonisten in literarischen Texten etablieren können: “The woman in the text is also an effect of the textual practice of breaking patriarchal forms” (Friedman/Fuchs 3). Alldem steht der Ruf der feministischen Theoretikerinnen Cixous und Irigaray nach einer “écriture féminine“ (qtd. in. Friedman/Fuchs 4) voran.
Zusammenfassend lässt sich durchaus ein beträchtlicher Einfluss feststellen, welchen die feministische Frauenbewegung der sechziger und siebziger Jahre auf die Darstellung von Frauen in literarischen Texten der Science Fiction ausgeübt hat. Hinzu kommt die Signalwirkung für die nachfolgenden Jahrzehnte: „Things have changed in the subsequent decades, chiefly due to the impact of feminism and to the increasing numbers of women writers in science fiction in the 1970s, 1980s and 1990s”. (Encyclopedia of SF 342).
II.2. Die gesellschaftlich-politischen Hintergründe
Zur Auswirkung der Frauenbewegung auf die Darstellung der Frau in der Literatur der Science- Fiction kommen politische und gesellschaftliche Ursachen hinzu. Dieser Einfluss, welchen die Veränderungen in den Jahrzehnten zwischen 1970 und der Gegenwart auslösten, soll in diesem Kapitel interpretiert und somit ein kurzer Überblick über eine Zeitspanne großer Umbrüche und gesellschaftlicher Krisen entwickelt werden.
Die sechziger und siebziger Jahre in den USA waren vorbelastet durch den Vietnamkrieg, den Kalten Krieg, die Proteste der farbigen Bevölkerung, Aufstände an den Universitäten und Ähnliches. Die amerikanische Gesellschaft jener Jahre befand sich „in a state of considerable cultural transformation, if not chaos“ (Fain 19). Bereits in den sechziger Jahren waren Andeutungen von Auflösungserscheinungen in der amerikanischen Gesellschaft zu beobachten und die Perspektive verschob sich hin zur Gegenkultur, zum gesellschaftlichen Rand.
Die beiden darauf folgenden Jahrzehnte verstärken dies noch. Politisch sind die achtziger Jahre durch radikale Veränderungen geprägt, welche von den republikanischen Präsidenten Reagan und Bush ausgelöst werden. Ronald Reagan steht für Konservatismus, für die Rückkehr zu den amerikanischen Werten der individuellen und eigenstaatlichen Selbstverwirklichung und schränkt gleichzeitig die Macht des Staates ein. Dies führt zur Polarisierung in Klassen und Rassen und somit zur Verschlechterung der wirtschaftlichen und politischen Situation der Minderheiten, zu welchen natürlich auch Frauen zu zählen sind. Die Folge sind weitere Marginalisierungen von Frauen und somit kann man behaupten, dass die Auswirkungen der postmodernen Zeitspanne, ergo des späten 20. Jahrhunderts kulturell insgesamt zu einer Teilung führt zwischen „those, who reject and those who cling to the patriarchal assumptions of male superiority“ (Springer 48).
Die literarischen Auswirkungen in der Science Fiction, einher gehend mit der Zerstörung des unerschütterlichen Glaubens an die Allmacht der Technik und die Routine, die im Bezug auf die Eroberung des Weltraums eintritt, bewirken eine größere Hinwendung zu inneren Bereichen, welche noch nicht erobert wurden und auch zu größerem Realismus in der Science- Fiction Erzählung.
Im Rahmen dieser Hinwendung zur realistischen Darstellungsweise auch in der Science- Fiction, nehmen Frauencharaktere mehr Gestalt an, verlieren, zumindest in der ernstzunehmenden SF - Literatur den mythologischen Charakter, treten beispielsweise aus der Kochküche eines interstellaren Raumschiffes in eine postnukleare Gesellschaft ein, um in einem Gewirr aus politischen und gesellschaftlichen Zusammenbrüchen mittels ihres Geistes und Verstandes zu überleben.
II.3. What defines mankind? - Identität als Konvention und Konzept
One day I wanted to explain myself to myself. And it struck me with a sort of surprise that the first thing I had to say was ƍI am a Woman.ƍ“ (De Beauvoir Cover)
In ihrem Buch Le Deuxième Sexe/The Second Sex versucht Simone de Beauvoir eine breit angelegte Erklärung des Begriffes Frau. Dabei geht sie von der Grundthese aus, dass eine Zweiteilung der Gattung des Menschen in männliche und weibliche Repräsentanten, die von unterschiedlichen physischen Voraussetzungen ausgehend im Verhältnis eines soziokulturellen Ungleichgewichts leben, existiert. Der Mann ist dabei als Norm, als das Menschliche per se definiert, das Weibliche dagegen als Abweichung von dieser Norm, als etwas Defizitäres, eben als „das zweite Geschlecht“ (vgl. De Beauvoir).
„One is not born but rather becomes a woman“ (De Beauvoir Cover): Hieraus resultiert für die Identität auch des literarischen weiblichen Prinzips die Frage, welche Faktoren Prozesse bestimmen, die das Selbstbild und die gesellschaftliche Rolle der Frau beeinflussen. „Das Geschlecht [muss] eliminiert werden, um herauszufinden, was dann bliebe“ (169), fordert Ursula K. Le Guin, eine der führenden Autorin der feministischen Science- Fiction Literatur.
Hinter jeder Person, jedem Ding steht eine Identität. Etwas, anhand dessen sie/es sich identifizieren lässt: „Identity: who or what somebody/something is“ (616) definiert der ALD. Doch darüber hinaus gibt es auch Identitäten, welche Gruppen zugeordnet sind: die nationale Identität, die rassische Identität, die weibliche Identität und viele andere mehr. Und schließlich unterscheiden sich auch die Identitäten in ihrer phänotypischen Ausprägung, zum Beispiel die weibliche von der männlichen Identität. In diesem Kapitel wird Identität dahingehend behandelt, inwiefern diese von gesellschaftlichen Konventionen und Konzepten verschleiert sein kann. Konvention wird hierbei definiert als „general, unspoken agreement about how people should act or behave“ (ALD 258) und Konzept als „idea underlying something; general notion“ (ALD 240).
Darüber hinaus soll die Auswirkung unseres gesellschaftlichen Konzepts von Identität auch in seiner Ausprägung auf sowohl das weibliche Geschlecht, als auch auf die literarische Hauptfigur der Science Fiction thematisiert werden.
Am besten vergleicht man Identität mit Platons Ideenlehre: Das, was Platon als das Eine bezeichnet, wäre die Identität des Individuums, das, was er Geist nennt demzufolge die Gruppenidentität, und die platonische Seele wäre folglich die literarische Ausprägung, der Phänotyp der Identität.
Wie im Höhlengleichnis von Plato beschrieben, sahen die Menschen lange nur den Schatten der Dinge in der Literatur der Science- Fiction Gattung, wenn sie sich mit der Darstellung von Frauencharakteren beschäftigten. Denn die Identität des Konzeptes Frau hat eine immense Ausprägung, einen Nimbus des Absoluten und einzig Wahren, sodass die Einzelidentität des Individuums Frau völlig hinter der Gruppenidentität verschwindet.
Nach Le Guin liegt es an der gesellschaftlichen Konditionierung, dass es schwierig ist, „klar zu erkennen, was[…], Mann und Frau wirklich unterschiedet“ (169). Natürlich spielt hier auch der gender-Begriff eine Rolle. Begreift man gender als „kulturell und gesellschaftlich bedingte Identitätskonzepte, die dem „Männlichen“ und dem „Weiblichen“ zugeordnet“ sind (Butler 15) und ist sich klar darüber, dass „im Grunde […] auch kaum Übereinstimmung [besteht] darüber, was denn die Kategorie „Fraue(en)“ konstituiert (Butler 16), so lässt sich schlüssig folgern, dass Geschlechtsidentität einerseits „nicht aus den politischen und kulturellen Vernetzungen“ gelöst werden kann (Butler 18) und sie auch nicht „das kausale Resultat des Geschlechts“ ist (Butler 22).
Was also macht die Frau zur Frau? In der christlichen Schöpfungsgeschichte wird Eva aus Adams Rippe geschnitten: Damit wird nicht nur der erste Schritt getan zum patriarchalischen Weltbild, zum untergeordneten Status und zur Abhängigkeitsdefinition der Frau als „Nebenprodukt“ des Mannes (Russ „Frauenbild“ 24), sondern gleichzeitig das erste Abbild im Sinne Platos erschaffen, die erste Konvention und das erste literarische Konzept.
Dadurch gestaltet sich die literarische Konvention der Identität des Konzeptes Frau in der Science Fiction Literatur viele Jahrzehnte äußerst eindimensional: Ob Muttertier- Alien, Amazone oder furchtsame Jungfrau, nie sieht man hinter die Trugbilder des platonischen Schattens, um im Bereich der Metaphorik und des Vergleichs mit Plato zu bleiben.
Die literarische Darstellung der Identität der Frau vor der Frauenbewegung in der Science- Fiction ist flach und orientiert sich nur hin zur Darstellung der Gruppenidentität der Frau, eines Konzeptes, welches, äußerst verfremdet, auf die unrealistische Darstellung und Identifizierung der konventionellen Idee von der Frau (welche per se schon irreal ist, da sie ein Produkt der Phantasien einer patriarchalischen Weltsicht entspricht) als genuin weiblichem Wesen abzielt.
What identifies a woman? What identifies mankind? Die literarische Entwicklung, welche zwischen 1970 und der Gegenwart stattfindet, erstreckt sich über die alternative Darstellung der Gruppenidentität des Konzeptes Frau in der feministischen Literatur in Form von Matriarchaten beispielsweise, ihrer Individualisierung und Verfremdung im Computerzeitalter, inklusive der Dissolutionserscheinungen des Cyborgs im Cyberpunk, bis hin zur vorläufig endgültigen Entmythifizierung der aktuellen Entwicklung.
„Eine Frau zu sein, ist sicherlich nicht alles was man ist“, sagt Butler (18). Die in dieser Arbeit angesprochenen Schriftsteller haben in ihren Werken einen ersten Versuch gewagt, den Kreislauf der individuellen Identität der Frau als „Effekt diskursiver Praktiken“ (Butler 39) zu durchbrechen und somit der unfreiwillig geschlechtlich bestimmten Identität eine andere Dimension zu verleihen.
In den Siebzigern forderte Ursula K. Le Guin von der Science- Fiction die „Aufhebung der gewohnten Denkweisen“ (169). Und da ihrer Ansicht nach „das weibliche Prinzip[…] im Wesentlichen anarchistisch [ist]“ (169), bietet es sich den Schreibenden der Science Fiction an, damit „speculation[s] about the innate personality differences between men and women“ (Russ „Image“ 80) anzustellen.
Im Cyberspace- Genre der 80er wird die Frau oftmals als Cyborg identifiziert, also als Mischung aus Mensch und Maschine: „The cyborg is not only a physical amalgam of human and machine, but represents a radical shift in subjectivity“ (Leblanc 3) und damit auch in der Auffassung von Identität. „The cyborg combines a humanly incorporated personal consciousness, with a technological incorporated machine consciousness“(Leblanc 3) und erzeugt somit auch einen völlig neuen Identitätsbegriff. Mit dieser Entwicklung kann eine neue Identitätsdefinition für die Frau in der ScienceFiction Literatur gewonnen werden, und zwar dadurch, dass diese neuen Protagonistinnen sich darstellen lassen in der Hinwendung zum “psychological and […] physical potential of the female of the human species“ (King XV).
Der Beginn dieser Entwicklung lässt sich eben im Cyberpunk der 80er finden, denn das Computerzeitalter stellt den Menschen erneut vor die Frage nach seiner Identität. What defines mankind, wenn wir im unendlichen Bereich des World Wide Web mühelos über zahlreiche verschiedenen Identitäten verfügen können?
Bezogen auf die Identitäten der Romanfiguren stellt sich hierbei vor allem die Frage nach der Kernidentität der Figur. Die virtuelle Realität schafft neue Protagonisten und Identitäten, zeigt sie uns doch „a future where identities can become obscure and ambiguous“ (Sterling 346). Die Figur der Molly wird als etwas beschrieben "that seemed to absorb the light“ (Gibson 24), zumindest zu Beginn des Romans. Technologie im Cyberpunk ist hierbei ein Mittel, welches eingesetzt wird, um die Identität bewusst zu verschleiern. Durch die Möglichkeit kosmetischer Chirurgie werden alt hergebrachte Konzepte von Identitäten und dem Selbst aus dem Kontext der gesellschaftlich bekannten Realität extrahiert und verfremdet. Etwas Neues kann entstehen. Der Leser erlebt einen „rise of new paradigms of embodiment and subjectvity which center on technology“ (Leblanc 1).
Die aktuelle Entwicklung zeigt oft einen Frauencharakter, dessen Identität nur noch als weiblich identifiziert werden kann anhand des Namens oder der Tatsache, dass sie ein heterosexuelles Verhältnis zum männlichen Protagonisten pflegt. Darüber hinaus lassen sich keine eindeutigen stereotypen Identitätsmerkmale der Gattung Frau feststellen, wie sie in der Literatur viele Jahrhunderte vorherrschten. Die Identität der Frau in der Science- Fiction Literatur strebt hin zu einem eindeutig menschlichen Charakter, der zwar weiblich ist, dessen Relevanz aber aus der Handlung entsteht und nicht aus dem Geschlecht.
III.The underlying literary concepts - literaturkritischer Hintergrund und Theorien
III.1. Die Definition der Science Fiction nach Clute/Nicholls
Das Science Fiction Genre ist literaturwissenschaftlich gesehen ein relativ junges Genre, ebenso wie die Science Fiction in ihrer Ernsthaftigkeit und ihrer Zugehörigkeit zum Kanon der anerkannten Literatur auch selbst noch ein sehr junges Phänomen darstellt.
Der Begriff Science Fiction taucht erstmalig 1929 auf und geht auf den Verleger Hugo Gernsback zurück (Fain 2). Seither wurden unzählige Versuche gewagt, dieses Genre welches derart viele Ausprägungen und Charakteristika aufweist, zu definieren. Joanna Russ, eine der ersten Feministinnen in der Science Fiction Literatur, bezeichnet die Science Fiction als „what if literature“ („Images of“ 79). Sie, so Russ, zeige die Dinge „as they might be“ („Images of“ 79).
Für die vorliegende Arbeit wird weitestgehend die Definition von John Clute und Peter Nicholls aus der Enzyklopädie der Science Fiction Literatur (1993) zu Grunde gelegt. Clute und Nicholls beziehen sich in ihrer Encyclopedia of Science Fiction bei dem Versuch, den Begriff zu definieren vor allem auf die Aussagen Darko Suvins aus dem Jahre 1972: „ Science Fiction [is] a literary genre whose necessary and sufficient conditions are the presence and interaction of estrangement and cognition, and whose main formal device is an imaginative framework alternative to the author’s empirical environment“ (qtd. in Clute/Nicholls 313).
Estrangement muss im Sinne Berthold Brechts verstanden werden, als Verfremdungseffekt, “a representation which estranges is one which allows us to recognize its subject, but at the same time makes it seem unfamiliar” (Clute/Nicholls 313 [my emphasis]). Clute fügt hinzu, der Verfremdungseffekt wirke dahingehend, dass Dinge oder Verhältnisse, die eigentlich nicht glaubwürdig und realistisch sind, durch ihn plausibel und logisch erscheinen (313).
Es ist wichtig im SF Roman über den Erzählgegenstand auch das notwendige Hintergrundwissen zu liefern. Im eigentlichen Sinne bedeutet dies: Wenn eine Alternativwelt vorgestellt wird, so muss der Autor all die Dinge, die nicht der Wirklichkeit des Lesers entsprechen, auch exakt beschreiben und definieren. Dies jedoch sollte keineswegs in didaktischer Weise geschehen, sondern „in a very palatable form“ (Clute/Nicholls 312).
Der SF Roman entsteht aus der Verschmelzung verschiedener Genres. Im Prinzip vermischt sich alles zwischen „utopias [and] space adventure“ (Clute/Nicholls 314). Der Science Fiction Roman generiert dabei einen „sense of fluidity of the future and the excitement of the scientific attempts to understand our universe” (Clute/Nicholls 314). An diesen Charakteristika lässt sich bereits deutlich erkennen, dass es nicht einfach ist, das Genre, welches eine Kumulation verschiedener Strömungen ist, zu definieren. Alle Definitionen beziehen sich vor allem auf die Elemente, welche ein Science Fiction Roman unbedingt aufweisen sollte, um explizit als Science Fiction zu gelten.
Die vorliegende Examensarbeit baut auf der Vielschichtigkeit dieser Definitionsansätze auf, allerdings soll auch im Verlauf der Arbeit der vorhandenen Definition das ein oder andere Merkmal hinzugefügt werden. Denn da sich die Arbeit mit einem eher neuartigen Phänomen beschäftigt, der weiblichen Heldin im Science Fiction Roman und das Genre eine sehr lange und hartnäckige Tradition als männliches Genre mit explizit maskulinen Helden aufweist, zeigte sich die Notwendigkeit, die von Clute und Nicholls vorgeschlagene Definitionsansätze gegebenenfalls zu erweitern, da die weiblichen Charaktere weitere, neuartige Aspekte zur Definition beisteuern.
III.2. Darko Suvins „Poetik der der Science Fiction“ und das Novum
Clute und Nicholls verwenden in ihrer Enzyklopädie Darko Suvins Ansätze um SF Literatur zu definieren, denn Suvin gilt als einer der bedeutendsten Theoretiker der Science Fiction. Seine Theorie benennt das Novum als essentiellen Bestandteil des SF Romans, als „die differentia specifica der SF“ („Poetik“ 93). Dies ist auch ein Grundgedanke dieser Arbeit. Daher soll an dieser Stelle kurz auf seine Theorie eingegangen werden.
Suvin definiert Science Fiction Literatur weiterhin als „symbolisches System, in dessen Mittelpunkt ein Novum liegt, dessen Gültigkeit sich in der erzählerischen Wirklichkeit und deren Wechselwirkung mit den Erwartungen des Lesers erweisen muss“ („Poetik“ 112 [my emphasis]).
Wie im vorangegangenen Kapitel bereits angesprochen, gibt es nicht eine Science Fiction Literatur, sondern viele. Es gibt auch nicht ein entscheidendes Charakteristikum, demzufolge sich das SF-Element ableiten ließe, sondern viele. Aus diesem Grund ist es nach Suvin unmöglich, den Begriff der SF „intuitiv aus jenen Werken[…], die als SF gelten“ („Poetik“ 93) zu erschließen. Es muss also ein übergeordnetes, logisches Prinzip geben, welches den Science Fiction Roman zu dem macht, was er ist.
Dieses übergeordnete Prinzip findet sich eben in jener „erzählerische[n] Vorherrschaft oder Hegemonie eines erdichteten Novums (einer Neuheit, Neuerung), „[…] deren Gültigkeit mittels der Logik der Erkenntnis legitimiert wird“ (Suvin „Poetik“ 93). Diese Neuerung dominiert nachfolgend den Roman.
Daraus folgernd lässt sich das Novum wie folgt charakterisieren:
„Ein Novum oder eine erkenntnisträchtige Neuerung ist eine gänzliche (totalisierende) Erscheinung oder ein Verhältnis, die von der Wirklichkeitsnorm des Autors und des implizierten Lesers abweichen“ (Suvin „Poetik“ 94). Das Novum beeinflusst die Erzählung dahingehend, dass „eine Veränderung im gesamten Universum der Erzählung„ (Suvin „Poetik“ 94) eintritt.
Die Gestalt des Novums ist dabei zweitrangig und unterliegt selbstverständlich der eigenen Interpretation und Phantasie des Autors. Vieles ist vorstellbar als Novum, vielleicht ist es etwas Kleines, wie ein Apparat, oder das „Maximum eines Milieus, […], Handlungsträgers (Hauptfigur oder Hauptfiguren) und/oder Verhältnisse, die in der Umwelt des Autors grundlegend neu oder unbekannt sind“ (Suvin „Poetik“ 95 [my emphasis]). Dieses Charakteristikum des Handlungsträgers als mögliches Novum soll später noch einmal aufgegriffen werden in seiner Relevanz für die weibliche Hauptfigur als Novum.
Grundlegend ist die Erkenntnis, dass eine notwendige Begleiterscheinung des Novums die alternative Wirklichkeit ist, eine Wirklichkeit mit einer anderen historischen Zeit beispielsweise, die „anderen menschlichen Verhältnissen und soziokulturellen Normen entspricht“ (Suvin „Poetik“ 101). Das Novum muss dabei „zentral“ und „wesentlich“ (Suvin „Poetik“ 101) sein, so „dass die ganze Erzähllogik […] von ihm bestimmt wird.“ (Suvin „Poetik“ 101).
In den in dieser Arbeit untersuchten Werken lässt sich, anhand ihres neuartigen Charakters und ihrer von der erzählerischen Wirklichkeit abweichenden Rolle in der Wirklichkeitsnorm des Leser und Autors, die weibliche Protagonistin /Heldin als das erzählerische Novum der Romane interpretieren.
Die selbst bestimmte, kämpfende Frau als individueller Handlungsträger tritt in den Siebzigern in diese Gattung der Science Fiction als Neuerung (Novum) ein und weicht stark von der Erlebniswelt des Autors und des Lesers ab (und das bis heute).
Sie lässt sich jedoch mittels erkenntnistheoretischer Hintergrundinformationen als logische differentia specifica charakterisieren. Ganz im Sinne Suvins stellt somit auch die weibliche Hauptfigur als Novum einen „qualitative[n] Sprung in der Entwicklung menschlicher Verhältnisse“ dar („Poetik“ 112).
III.3. Rachel Blau Duplessis’ Einteilung in Quest/Romance- Handlungen
Das im Folgenden dargestellte Konzept der Literaturtheoretikern Rachel Blau DuPlessis, wie sie es in ihrem Werk Writing beyond the ending (1985) vorgestellt hat, soll im praktischen Teil auf die Romane angewendet werden.
DuPlessis beschäftigt sich vor allem mit der Struktur und dem inhaltlichen Aufbau der Romane. Ihr besonderes Augenmerk liegt auf dem Handlungsspielraum der weiblichen Charaktere des Romans. Sie entdeckt ein dualistisches System, zwei grundlegende Prinzipien, nach welchen besonders Romane mit Frauen in einer hauptrollenähnlichen Position aufgebaut werden. Ihr Forschungsschwerpunkt sind Autoren des 20. Jahrhunderts.
Ausgehend von der grundlegenden Feststellung, dass unsere gesellschaftlichen Konventionen die Handlungsspielräume der Frauenfigur im Roman bestimmen, hat sich DuPlessis der „delegimitization of cultural conventions about romance/quest, male/female“ verschrieben (ix). Ihren Untersuchungen an Romanen des 20. Jahrhunderts zufolge zeichnet sich deutlich ein bestimmtes Muster ab, nämlich jenes, das „[t]he very structure of the novel […]the male hero as leader, the female protagonist as followers“ (200) einsetzt. Damit wird besonders wichtig, die „convention of romance as a topic of the sex-gender system“ (DuPlessis 200) zu dekonstruieren.
Zunächst muss beachtet werden, dass der Liebesroman (Romance) als Gattung lange Zeit schlichtweg der einzige Weg war, um eine weibliche Hauptfigur zu etablieren. Diese Erkenntnis wird auch von Larbalestier unterstützt. Sie definiert „the romance narrative“ als „one of the few narratives in which „woman“ can signify and be a meaningful subject“ (107).
Um Duplessis` Erkenntnisse später auf die untersuchten Romane dieser Arbeit aus dem Bereich der Science Fiction anzuwenden, soll zunächst ihre Definition und Einteilung von Quest- und Romance- Handlung vorgestellt werden:
Unter einem Quest-Plot versteht sie: „any progressive, goal oriented search with stages, obstacles and „battles“, which in general involve self-realization, mastery, and the expression of energy, where this may be at the service of a larger ideology“ (200).
Der Romance-Plot hingegen wird auch Marriage-Plot genannt. Hierbei wirkt „the use of a conjugal love as a telos and of developing heterosexual love relation as a major if not the only major element in organizing the narrative action. In purest strain the romance plot asserts that amor vincit omnia” (DuPlessis 200).
Die Rezeption und Gültigkeit sowie eine mögliche Weiterentwicklung sowohl in den Romanen der Science Fiction Gattung allgemein als auch in den drei betrachteten Werken wird im praktischen Teil dieser Arbeit versucht.
III.4. Die Einteilung in Female Hero und Heroine nach Duplessis
Es besteht ein breiter Konsens darüber, dass eine enge Verbindung zwischen dem Rollenbild in der Gesellschaft und der Darstellung von Frauen in der Literatur besteht. Lieberman merkt hierbei an, dass Sexismus nicht nur im Kopf der männlichen Kritiker entsteht, sondern „also in the social conventions that shape both the creation of literature and our response to it“ (339). Sie führt weiterhin aus, dass das Frauenbild im Roman durch die Konventionen, an welche der Leser und der Autor gewöhnt sind, entsteht und gefestigt wird und somit „the treatment and the fate of the heroine“ (328) bestimmt.
Rachel Blau DuPlessis geht von folgenden Prämissen aus: „literature as a human institution is organizing many ideological scripts“(2). Eine Erzählung im Roman ist demnach nur „a version of ideology, [a] representation by which we construct and accept values and institutions“ (DuPlessis x). Daher ist die Protagonistin im Roman niemals frei von gesellschaftlichen Vorurteilen dargestellt.
Susan Koppelman Cornillion beschäftigt sich ebenfalls mit der weiblichen Hauptfigur und nimmt in ihrem Werk eine Einteilung in vier Kategorien der weiblichen Heldin im Roman vor, wobei zwei Kategorien hier angesprochen werden sollen, da sie der Einteilung von Duplessis entsprechen und ausführlich kategorisieren: The Woman as a hero und the Woman as heroine (xi/x). Da sich ihre Definitionen überschneiden und die Essenz der Einteilung korrespondiert, werden die Charakteristika beider Autorinnen genannt an dieser Stelle.
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- Quote paper
- Jayashri Ghosh (Author), 2010, Die Darstellung von Frauencharakteren in ausgewählten Science Fiction Romanen der Postmoderne, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/168351
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