Allein der Titel dieser Arbeit mag den einen oder anderen Leser unruhig stimmen, da der Begriff der Handlungsspielräume im Bereich der neueren Täterforschung erst seine Konjunktur erlebt hat und damit vermeintlich die Funktionshäftlinge2 in die Nähe der Täter im Nationalsozialismus rückt. In der Tat verweist der Begriff des Handlungsspielraumes auf das Subjekt und seine Möglichkeiten, innerhalb eines sozialen Raumes zu agieren. Bezogen auf NS-Täter, Mitwisser und –läufer, Schreibtischtäter und so weiter rekurriert der Begriff, auf das Potential „Was wäre möglich gewesen, wenn sich eine Person anders verhalten hätte.“
Gleichzeitig dient er aber auch als Folie, vor dem die zahlreiche Mittäterschaft breiter Bevölkerungsschichten gespiegelt wird, die Schuld nicht mehr nur auf die zwangspathologisierten Eliten des NS-Systems transferiert, sondern die Mitschuld großer Teile der Bevölkerung geschärft wird.3 Im Zusammenhang der neueren Täterforschung hat sich auch unser Wissen über die nationalsozialistischen Konzentrationslager in den vergangenen 15 bis 20 Jahren systematisch erweitert, eine ganze Reihe von Publikationen geben Aufschluss über Planung4, Errichtung, Funktionsweise und Zweck von Konzentrationslagern im Herrschaftsgefüge der Nationalsozialisten.5 Auch die KZ-Gedenkstätten publizieren auf lokaler Ebene, so dass zumindest die deutschen Gedenkstätten nicht nur Eingang in die Forschungslandschaft finden, sonder diese auch zum großen Teil prägen.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Forschungsstand
- Strukturen und Definitionen im Konzentrationslager:
- Vom Aufbau des Systems der Funktionshäftlinge bis zur Einlieferung der Häftlinge und ihrer Kennzeichnung
- Zur Frage von Macht und Autonomie einzelner Funktionsstellen
- Von der Gruppenbildung zur Stereotypisierung
- Gruppenspezifische Handlungsformen zwischen Widerstand und „Opfertausch“?
- Anmerkungen zu NSG-Verfahren gegen ehemalige Funktionshäftlinge
- Zusammenfassung und Problemanalyse
- Strukturen und Definitionen im Konzentrationslager:
- Das Ermittlungsverfahren 4 Js 798/64 gegen Dr. Stefan Buthner
- Dr. Stefan Budziaszek alias Dr. Stefan Buthner
- Vom Krakauer Medizinstudenten Stefan Budziaszek zum polnischen Widerstandskämpfer in Auschwitz-Monowitz?
- Aufbau einer neuen Existenz in Westdeutschland als Dr. Stefan Buthner
- Das Ermittlungsverfahren 4 Js 798/64 im Rahmen der Frankfurter Auschwitzprozesse
- Die Belastungszeugen
- Die Entlastungszeugen
- Ergebnis der Vorermittlungen
- Dr. Stefan Budziaszek alias Dr. Stefan Buthner
- Rekonstruktion der Selektionen in Monowitz anhand weiterer Aktenbestände
- Der zweite Frankfurter Auschwitz-Prozess und das Urteil gegen den SDG Neubert
- Jawischowitz
- Das Verhältnis Buthner - Fischer
- Fazit
- Schluss
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit befasst sich mit den Handlungsspielräumen von Funktionshäftlingen in nationalsozialistischen Konzentrationslagern. Sie analysiert die Möglichkeiten und Grenzen individuellen Handelns innerhalb des totalitären Systems des Nationalsozialismus am Beispiel des Monowitzer Revierältesten Stefan Budziaszek alias Dr. Stefan Buthner. Die Arbeit untersucht, inwieweit die Funktionsstellen, die Häftlinge innerhalb des Lagers innehatten, ihnen Handlungsspielräume eröffneten und welche Faktoren ihre Entscheidungen beeinflussten.
- Die Rolle von Funktionshäftlingen in der NS-Lagergesellschaft
- Die Komplexität der Handlungsspielräume von Funktionshäftlingen
- Die Einflussfaktoren auf Entscheidungen von Funktionshäftlingen
- Die Rekonstruktion der Selektionen in Monowitz anhand von Aktenmaterial
- Die Analyse des Ermittlungsverfahrens 4 Js 798/64 gegen Dr. Stefan Buthner
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt den Forschungsstand zur Thematik der Handlungsspielräume von Funktionshäftlingen dar und erläutert die Bedeutung des Begriffs „Handlungsspielraum“ im Kontext der Täterforschung. Sie zeigt die Notwendigkeit einer individuellen Analyse von Funktionshäftlingen auf, um pauschalisierenden Erklärungsansätzen zu entgegnen.
Das Kapitel „Forschungsstand“ beleuchtet die bisherige Forschung zu Funktionshäftlingen in nationalsozialistischen Konzentrationslagern. Es wird deutlich, dass es sich um ein bisher wenig erforschtes Feld handelt, und die Arbeit soll einen Beitrag zur Schließung dieser Forschungslücke leisten. Es werden verschiedene Ansätze zur Analyse von Funktionshäftlingen vorgestellt, die sich mit ihrer Rolle in der Lagergesellschaft, ihren Handlungsspielräumen und den Einflussfaktoren auf ihre Entscheidungen befassen.
Das Kapitel „Das Ermittlungsverfahren 4 Js 798/64 gegen Dr. Stefan Buthner“ widmet sich dem konkreten Fall des Monowitzer Revierältesten Stefan Budziaszek alias Dr. Stefan Buthner. Es wird die Biografie des Beschuldigten, das Ermittlungsverfahren und die Belastungs- und Entlastungszeugen vorgestellt. Das Kapitel beleuchtet die Schwierigkeiten, die bei der Ermittlung der Handlungsspielräume von Funktionshäftlingen auftreten können, und die Komplexität der Beweisführung in solchen Fällen.
Das Kapitel „Rekonstruktion der Selektionen in Monowitz anhand weiterer Aktenbestände“ analysiert die Selektionen in Monowitz anhand von Aktenmaterial und stellt den zweiten Frankfurter Auschwitz-Prozess gegen den SDG Neubert sowie die Beziehungen zwischen Buthner und Fischer in den Kontext. Es werden die konkreten Entscheidungen und Handlungen von Funktionshäftlingen im Lageralltag rekonstruiert und die Bedeutung der Aktenanalyse für die Erforschung des Themas hervorgehoben.
Schlüsselwörter
Funktionshäftlinge, Konzentrationslager, Handlungsspielräume, Täterforschung, NS-Lagergesellschaft, Auschwitz-Monowitz, Ermittlungsverfahren, Selektionen, Aktenanalyse, Dr. Stefan Buthner, Frankfurter Auschwitzprozesse.
- Arbeit zitieren
- Jan Oswald (Autor:in), 2006, Die Ermittlungen im Fall „4 Js 798/64“, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/167959
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