In einer Welt, in der die nationalen Grenzen der Wirklichkeitswahrnehmung zunehmend zerbrechen, in der ein nie dagewesener Überfluss vorhanden ist; in einer Welt in der Mangel und Armut zur Tagesordnung gehören, muss die Soziologie, laut Reinhard Kreckel, einen neuen Rahmen für die Erfassung von sozialen Ungleichheiten entwickeln. Dabei muss eine Abkehr von der nationalen hin zur globalen Sichtweise stattfinden (vgl. Kreckel S. 3ff.). Durch die Globalisierung, so Ulrich Beck, wird der nationalstaatliche Rahmen zur Erfassung von sozialen Ungleichheiten aufgebrochen und es entsteht ein Perspektivenwechsel hin zu globalen Ungleichheiten (vgl. Beck 1997 S. 28ff.). Ausgehend von den Überlegungen von Kreckel und Beck, soll das Ziel dieser Diplomarbeit sein, die Implikationen und Probleme der globalen Ungleichheitsforschung offenzulegen. Bedenkt man, dass die Einkommensunterschiede zwischen den Nationen größer sind, als innerhalb einer einzigen Nation, und dass die Ungleichheiten innerhalb eines Landes nur von einem Viertel bis zu einem Drittel durch interne Faktoren erklärbar sind, d. h. das 65 – 75 Prozent durch den globalen Gesamtkontext bestimmt werden, scheint ein Blick über die nationalen Grenzen hinaus unerlässlich (vgl. Firebaugh 2003 S. 365f.; Kreckel 2006 S. 4). Die globale Sichtweise ist weitaus mehr als die Summe aller Nationalstaaten und deren Beziehungen. Sie ist vielmehr als „die“ Gesamtheit zu verstehen und bildet daher einen eigenen Untersuchungsgegenstand (vgl. Greve / Heintz 2005 S. 89). Globale Ungleichheitsstrukturen, so scheint es, gewinnen durch die fortschreitende Globalisierung immer mehr an Bedeutung. Die Soziologie, die Ökonomie aber auch die Internationale Politik sind sich in den letzten Jahrzehnten der Brisanz der globalen Ungleichheiten und der Armut bewusst geworden, so erfolgt die Erhebung und Generierung von globalen Daten durch die Vereinten Nationen und die Weltbank. Das Gebiet der sozialen Ungleichheiten wurde im Rahmen des Nationalstaates theoretisch und methodisch sehr gut ausgebaut. Durch die Erfassung von globalen, sozialen Ungleichheiten, wird ein neuer Wirklichkeitsbereich erzeugt, welcher nicht mehr nur durch den nationalstaatlichen Rahmen gedeckt werden kann.
Inhalt
1. Einleitende Gedanken und Übersicht
2. Die Theoretischen Probleme der globalen Ungleichheitsperspektive
2.1. Die Phänomene „Globalisierung“ und „soziale Ungleichheit“ – Eine Begriffsbestimmung
2.1.1. Was ist Globalisierung?
2.1.2. Die Kontroverse um den Beginn der Globalisierung
2.1.3. Was sind globale Ungleichheiten? - Der Versuch einer Begriffsbestimmung
2.2. Der Capability-Ansatz als Grundlage für globale Ungleichheiten?
2.2.1. Der Human Development Index als Weiterentwicklung des Capability-Ansatz
2.3. Die „Weltgesellschaft“ als Grundlage von globalen Ungleichheiten?
2.3.1. Von der Modernisierungstheorie zum Weltsystem
2.3.2. Das Weltsystem nach Immanuel Wallerstein
2.3.3. Drei Welten in einem System – Über die Ungleichheiten im Weltsystem
2.3.4. Wie entstand das Zentrum – Peripherie - Gefälle?
2.3.5. Kritikpunkte am Weltsystem nach Immanuel Wallerstein
2.3.6. Die Bielefelder Weltgesellschaft als globales Interaktionsfeld - Eine kurze Einführung
2.3.7. Innovationen und Mechanismen in der Weltgesellschaft
2.3.8. Die Bedeutung der sozialen Ungleichheitsstrukturen in der Weltgesellschaft
2.3.9. Zentrum und Peripherie in der Weltgesellschaft
2.4. Soziale Ungleichheit, Globalisierung und die Rolle der Nationalstaaten
2.4.1. Die Entwicklung sozialer Ungleichheitsstrukturen im Nationalstaat
2.4.2. Die Entwicklung sozialer Ungleichheiten im Globalisierungsprozess innerhalb der Nationalstaaten
3. Die Methodisch-empirischen Probleme der globalen Ungleichheitsforschung
3.1. Die Konzepte der globalen Ungleichheitsstrukturen
3.2. Die Entwicklung der globalen Ungleichheitsstrukturen – Ein kurzer Überblick
3.3. Die Internationalen Einkommensungleichheiten zwischen 1820 - 1950 – Der große Anstieg
3.4. Der Wandel der Einkommensungleichheiten im späten 20. Jahrhundert – Die große Kehrtwende?
3.4.1. Globale Einkommensungleichheiten im späten 20. Jahrhundert - Divergenz
3.4.2. Globale Einkommensungleichheiten im späten 20. Jahrhundert - Konvergenz
3.4.3. Die globalen Einkommensungleichheiten aller Weltbürger
3.5. Der Human Development Index als mehrdimensionales Maß
3.6. Der Sonderfall Asien
3.7. Die Entwicklung der globalen Armut
3.8. Die methodischen Probleme der globalen Ungleichheitsforschung – Ein kurzer Abriss
4. Ausblick und Rückblick – Zusammenfassende Gedanken
4.1. „Proletarier aller Länder vereinigt euch!“ – Zur Entstehung einer globalen „sozialen Frage“?
4.2. „Should we worry about Income inequality?“
4.3. Zusammenfassende Gedanken und Schlussfolgerungen
5. Anhang
1. Einleitende Gedanken und Übersicht
„Soziale Ungleichheit kann heute nicht mehr allein im nationalstaatlichen Kontext untersucht werden.“ (Kreckel 2006 S. 3)
In einer Welt, in der die nationalen Grenzen der Wirklichkeitswahrnehmung zunehmend zerbrechen, in der ein nie dagewesener Überfluss vorhanden ist; in einer Welt in der Mangel und Armut zur Tagesordnung gehören, muss die Soziologie, laut Reinhard Kreckel, einen neuen Rahmen für die Erfassung von sozialen Ungleichheiten entwickeln. Dabei muss eine Abkehr von der nationalen hin zur globalen Sichtweise stattfinden (vgl. Kreckel S. 3ff.). Durch die Globalisierung, so Ulrich Beck, wird der nationalstaatliche Rahmen zur Erfassung von sozialen Ungleichheiten aufgebrochen und es entsteht ein Perspektivenwechsel hin zu globalen Ungleichheiten (vgl. Beck 1997 S. 28ff.). Ausgehend von den Überlegungen von Kreckel und Beck, soll das Ziel dieser Diplomarbeit sein, die Implikationen und Probleme der globalen Ungleichheitsforschung offenzulegen. Bedenkt man, dass die Einkommensunterschiede zwischen den Nationen größer sind, als innerhalb einer einzigen Nation, und dass die Ungleichheiten innerhalb eines Landes nur von einem Viertel bis zu einem Drittel durch interne Faktoren erklärbar sind, d. h. das 65 – 75 Prozent durch den globalen Gesamtkontext bestimmt werden, scheint ein Blick über die nationalen Grenzen hinaus unerlässlich (vgl. Firebaugh 2003 S. 365f.; Kreckel 2006 S. 4). Die globale Sichtweise ist weitaus mehr als die Summe aller Nationalstaaten und deren Beziehungen. Sie ist vielmehr als „die“ Gesamtheit zu verstehen und bildet daher einen eigenen Untersuchungsgegenstand (vgl. Greve / Heintz 2005 S. 89). Globale Ungleichheitsstrukturen, so scheint es, gewinnen durch die fortschreitende Globalisierung immer mehr an Bedeutung. Die Soziologie, die Ökonomie aber auch die Internationale Politik sind sich in den letzten Jahrzehnten der Brisanz der globalen Ungleichheiten und der Armut bewusst geworden, so erfolgt die Erhebung und Generierung von globalen Daten durch die Vereinten Nationen und die Weltbank. Das Gebiet der sozialen Ungleichheiten wurde im Rahmen des Nationalstaates theoretisch und methodisch sehr gut ausgebaut. Durch die Erfassung von globalen, sozialen Ungleichheiten, wird ein neuer Wirklichkeitsbereich erzeugt, welcher nicht mehr nur durch den nationalstaatlichen Rahmen gedeckt werden kann.
Es stellt sich daher die Frage, ob man die Neuorientierung hin zu globalen Ungleichheitsstrukturen wagen soll und ob der Referenz- und Berechnungsrahmen, eine wie auch immer geartete die „Weltgesellschaft“ sein kann. Die Probleme, welche aus einer globalen Ungleichheitsperspektive entstehen, sollen anhand zweier soziologischer Dimensionen geprüft werden: der theoretischen und methodisch-empirischen Dimension. Zu Beginn stellt sich das Problem der Definition und Verknüpfung der beiden Begriffe „Globalisierung“ und „soziale Ungleichheit“. Denn nur durch die Globalisierung entstand die Vorraussetzung für eine globale Ungleichheitsperspektive: die globale Öffnung. Ausgehend von der Begriffsbestimmung globaler Ungleichheiten soll ein gerechtigkeitstheoretischer Ansatz näher vorgestellt werden. Der Capability-Ansatz von Amartya Sen stellt einen mehrdimensionalen Ausgangspunkt zur Ungleichheitserfassung da, welcher als Grundlage für den Human Development Index der Vereinten Nationen verwendet wurde. Der zweite Teil der theoretischen Dimensionen, stellt die Diskussion um die „Weltgesellschaft“ als Grundlage für globale Ungleichheiten dar. Die weltgesellschaftliche Perspektive ist für die Soziologie keineswegs neu, daher soll das Hauptaugenmerk auf die Weltsystem- und Weltgesellschaftstheorien gelegt werden. Den Abschluss des theoretischen Teils bildet die Rolle des Nationalstaates in einer globalisierten Welt.
Die Beleuchtung der globalen Ungleichheitsproblematik aus der methodisch-empirischen Dimension, soll im zweiten Teil dieser Arbeit im Vordergrund stehen. Zu Beginn werden die Konzepte der Erfassung von Ungleichheiten näher betrachtet. Im folgenden soll die Entwicklung der globalen Disparitäten, die Frage nach den steigenden oder fallenden Ungleichheiten und letztlich auch die Armutsdiskussion einer detaillierten Betrachtung unterzogen werden. Ein wichtiger Punkt bei der Diskussion um globale Ungleichheitsverhältnisse, ist die außergewöhnliche Rolle Asiens, da dieser Kontinent nicht nur bevölkerungsreich ist, sondern sich, durch den Wirtschaftsboom, die Lebensverhältnisse vieler Asiaten, besonders von Teilen der chinesischen Gesellschaft, entscheidend verändert haben. Dass die globalen Ungleichheiten nicht frei von empirischen Problemen sind, soll im letzten Teil der methodisch-empirischen Dimension gezeigt werden. Der letzte Teil dieser Arbeit soll einen Ausblick bieten, basierend auf den Fragen, ob sich eine globale „Soziale Frage“ herausbildet und ob man sich Gedanken über die Einkommensungleichheiten machen sollte. Den Abschluss bildet eine Zusammenfassung mit finalen Schlussfolgerungen.
2. Die Theoretischen Probleme der globalen Ungleichheitsperspektive
Die soziologische Ungleichheitsdiskussion war zu Beginn sehr stark von den Wirtschaftswissenschaften geprägt, so Kreckel. In den letzten Jahrzehnten sind die Debatten um die globalen Ungleichheiten jedoch immer soziologischer geworden (vgl. Kreckel 2006 S. 10). Dennoch verweist Schwinn (2008 S. 11) auf das Fehlen von geeigneten Konzepten, um die globalen Ungleichheitsverhältnisse erklären zu können. Die theoretischen Probleme einer globalen Ungleichheitsperspektive sollen daher in den nächsten Abschnitten von verschiedenen Seiten beleuchtet werden.
2.1. Die Phänomene „Globalisierung“ und „soziale Ungleichheit“ – Eine Begriffsbestimmung
Das Konstrukt globaler Ungleichheiten setzt zwei notwendige Begriffsdefinitionen voraus. Zum einen: Was sind „soziale Ungleichheiten“ und zum anderen was bedeutet „global“? Bornschier stellt in seinem 2002 erschienenen Buch „Weltgesellschaft“ die Frage: „Wann wurde die soziale Welt global?“ (Bornschier 2002 S. 7) Diese Fragestellung ist für die Betrachtung von globalen Ungleichheitsstrukturen unerlässlich, denn letztlich wurde erst durch die Globalisierung die Voraussetzung für eine globale Ungleichheitsperspektive geschaffen. Die Vorstellung einer weltweiten Öffnung ermöglichte den Zugang zu globalen Ungleichheiten. Ohne die Globalisierung würden soziale Ungleichheiten weiterhin nur im Nationalstaat verortet werden. Die Container-Theorie des Raumes und der methodologische Nationalismus bildeten laut Berking das epistemologische Fundament der Soziologie. Die Globalisierung ziele auf neue Formen der sozialräumlichen Vergesellschaftung ab, welche nicht mehr nur im Rahmes des Nationalstaates wahrgenommen werden können (vgl. Berking 2006 S. 66).
Seit den 1980er Jahren beherrscht kaum ein anderes Wort die wissenschaftliche Literatur in dem Maße, wie das Wort „Globalisierung“. Dabei gehört der Terminus „Globalisierung“ wohl zu den meist Ge- und Missbrauchtesten der letzten 25 Jahre. Es könnte der Eindruck entstehen, dass es sich bei „Globalisierung“ um etwas völlig Neues handelt. Doch bereits vor dem Globalisierungsboom der 1980er und vor allem der 1990er Jahre, so legte Kreckel offen, befassten sich zahlreiche Soziologen wie z.B. Giddens, Elias oder auch Therborn mit diesem Phänomen (vgl. Kreckel 2004 S. 316).
Der nächste Abschnitt, soll dazu verwendet werden, den Begriff „Globalisierung“ mit Inhalt zu füllen, um im Folgenden auf die globalen Ungleichheitsstrukturen eingehen zu können. Grundlegend, so Goldthorpe, muss man zwischen Globalisierungskonzepten- und Theorien unterscheiden. Globalisierungskonzepte, die nominalen Behauptungen, können zum einem als ökonomisches aber auch als politisches, soziales und kulturelles Phänomen verstanden werden. Globalisierungstheorien befassen sich hingegen mit den Gründen und Konsequenzen der Globalisierung. Dabei existieren zwei verschiedene Typen: Der erste Typus geht von einer Kontinuität von Globalisierungsprozessen aus. Diese Auffassung geht mit einem engen ökonomischen Verständnis von Globalisierung einher und verneint das plötzliche Aufkommen der Globalisierung in den letzten Jahrzehnten. Der zweite Typus verweist darauf, dass die gegenwärtige Globalisierung eine andere Dynamik besitzt, als die Globalisierung in früheren Epochen. Globalisierung bewirkt einen historischen Umbruch, welche eine neue Phase der Moderne[1] auslöst. Dieser Wandel beeinflusst nicht nur das ökonomische oder politische Handeln, vielmehr stürme er auf das menschliche Sein und Tun ein (vgl. Goldthorpe 2003 S. 31f.).
2.1.1. Was ist Globalisierung?
Der Begriff[2] „Globalisierung[3] “ geht nicht nur mit inflationärem Gebrauch sondern auch mit den verschiedensten Definitionen einher. Robert und Khondker argumentieren, dass Globalisierung im öffentlichen Diskurs zumeist mit etwas „negativen“ konnotiert wird. Alles Schlechte in der Welt, beginnend mit der derzeitigen Weltfinanzkrise, den ökologischen Problemen bis hin zur Armutsdebatte scheint seine Ursache in der Globalisierung zu haben (vgl. Robert / Khondker 1998 S. 32). Globalisierung, laut Tyrell, diktiert die Richtung eines Prozesses, ist aber als solches arm an Hoffnungen. Globalisierung gibt etwas unabwendbares, fast Schicksalhaftes vor, angesichts dessen sich der nationalstaatliche Akteur zumeist nur adaptiv oder reaktiv verhalten kann (vgl. Tyrell 2005 S. 5). Die regelmäßigen Ausschreitungen bei dem Gipfeltreffen der acht wichtigsten Industrienationen der Welt, der G8-Gipfel, und die Polarisierung der öffentlichen Debatten über Globalisierung[4] scheinen die Diskussionen um den Begriff noch zu bestärken. Eine Studie der Stiftung für Zukunftsfragen aus dem Jahr 2007 ergab, dass sich nur 19 Prozent der Deutschen als Gewinner der künftigen Gesellschaftlichen Herausforderungen sehen (vgl. Stiftung für Zukunftsfragen 2007 o.S.). Dies deckt sich mit den Ergebnissen der Forsa-Umfrage im Auftrag des Stern aus dem Jahr 2007. So meint jeder dritte Deutsche, dass ihm Nachteile durch den Internationalisierungsprozess entstehen könnten. Zwei von drei Bundesbürgern (67 Prozent) sagen, dass durch die Globalisierung, die Kluft zwischen Armen und Reichen größer werde. Auch die Angst, dass verstärkt Ausländer ins Land kommen (45 Prozent, vor sieben Jahren: 33 Prozent) hat zugenommen und 39 Prozent (vor sieben Jahren: 28 Prozent) fürchten, dass durch die Globalisierung Arbeitsplätze abgebaut werden könnten (vgl. Burgi 2007 o.S.). Durch die Zunahme von unerwarteten Marktentwicklungen und durch die rapide veränderte Weltwirtschaft, so Blossfeld, werden ökonomische, soziale und politische Entwicklungen zunehmend unberechenbarer und der Akteur, also das Individuum, sieht sich wachsenden Unsicherheiten gegenübergestellt (vgl. Blossfeld et.al. 2007 S. 669). Der Grund hierfür scheint schnell mit dem Begriff der „Globalisierung“ gefunden. Durch seine verschiedenartige Verwendung in den Zeitungen, Zeitschriften, im Fernsehen, Radio und im Internet ist es sehr schwer eine vorurteilsfreie Definition zu erstellen. Auch in der wissenschaftlichen Literatur existiert eine Vielzahl von Erklärungsansätzen von Globalisierungsbefürwortern -und Gegnern. Dem Begriff „Globalisierung“ gebührend, oder zumindest ohne Voreingenommenheiten zu definieren, kommt laut Beck dem Versuch gleich, „einen Pudding an die Wand zu nageln.“ (Beck 1997 S. 44). Dennoch oder gerade deshalb sollen die Gemeinsamkeiten der verschiedenen Globalisierungsbegriffe herausarbeiten werden. Dieses kann natürlich nur Ausschnittartig geschehen. Zu Beginn muss geklärt werden, was Globalisierung nicht ist. Es ist nicht nur die ökonomische und politische weltweite Öffnung und Verknüpfung der verschiedenen Märkte. Globalisierung ist nicht mit Internationalisierung, Amerikanisierung, Westernisierung oder schlicht und einfach mit Kolonialismus und Imperialismus gleichzusetzen (vgl. Robert / Khondker 1998 S. 31). Globalisierung ist vielmehr ein eigenständiges und inhomogenes Phänomen, das keiner spezifischen Logik folgender Einzelprozess sei (vgl. Giddens 1997 S. 23, Badura 2004 S. 13).
Blossfeld versteht unter Globalisierung grundsätzlich das Zusammentreffen von Prozessen die zu einer wachsenden internationalen Verknüpfung führen (vgl. Blossfeld et.al. 2007 S. 668). Für Giddens ist Globalisierung „ [ ... ] the intensification of worldwide social relations which link distant localities in such a way that local happenings are shaped by events occuring many miles away and vice versa.“ (Giddens 1994 S. 64) Daher wendet sich die Globalisierung bewusst von den Ideen und Vorstellungen der Ersten Moderne[5] ab (vgl. Beck 1997 S. 44). Durch die Globalisierung, so Beck, wurde die Vorstellung umgestoßen, dass das Individuum in geschlossenen und gegeneinander abgrenzbaren Räumen von Nationalstaaten lebt und in diesen handelt (vgl. Beck 1997 S. 44). Dabei verlieren die Nationalstaaten ihre Souveränität, den Orientierungshorizont und die Chancen der Machtausübung, da diese durch transnationale Akteure unterlaufen werden (Beck 1997 S. 29). Bornschier beschreibt fünf Facetten des soziologischen Globalisierungsbegriffes, beginnend mit der wirtschaftlichen Globalisierung, welche sich auf die arbeitsteiligen Prozesse in der Weltwirtschaft beschränkt. Die politische Globalisierung beginnt mit der Gründung der Vereinten Nationen 1945 in San Francisco und wurde durch die steigende Bedeutung der Nichtregierungsorganisationen (NGO) in den 1970er Jahren noch intensiviert. Die ökologischen Risiken stellen eine dritte Facette des Globalisierungsbegriffes da. Durch die technologischen Neuerungen wie z. B. dem Internet, stellt die Kommunikation ein weiteres Merkmal der globalen Welt dar. Durch die überregionale Erreichbarkeit verlieren die geografischen und politischen Parameter zunehmend an Bedeutung. Letztlich werden auch Werte und Institutionen globalisiert. Beginnend mit der Übernahme ursprünglich westlicher Praktiken, der politischen Demokratie, und endend in der Ausbreitung des Individualismus (vgl. Bornschier 2002 S. 20ff.). Diese fünf Facetten decken sich weitgehend mit den fünf Dimensionen Becks. Auch er geht von einer ökologischen, ökonomischen, informatorischen und kulturellen Globalisierung aus. Als weitere Dimension nennt Beck die Globalisierung von Arbeitskooperationen bzw. Produktionenabläufen, welche sich in einer Verteilung von Produktionsprozessen über den gesamten Globus äußert (vgl. Beck 1997 S. 39ff.). Blossfeld et al. gehen von vier makrostrukturellen Entwicklungen aus, welche die Internationalisierung von Märkten, die Verschärfung von Standortwettkämpfen zwischen den Staaten, die rasante weltweite Vernetzung und die zunehmende Interdependenz und Volatilität lokaler Märkte beinhaltet (vgl. Blossfeld et al. 2007 S. 668f.).
Globalisierung beinhaltet verschiedene Bedeutungen und Implikationen, welche von Ort zu Ort variieren. Diese hängen von der Größe, der Wahrnehmung der Globalisierung und dem globalen Öffnungsgrad eines Landes ab (vgl. Therborn 2000a S. 169). Damit ist Globalisierung nicht einheitlich, da es regional und national zu verschiedenen Ergebnissen kommt, welche zu unterschiedlichen Reaktionen führen können. Man kann abschließend festhalten, dass Globalisierung nicht nur ein politischer oder ökonomischer Fortgang ist. Er ist vielschichtig und nicht durch ein Merkmal beschreibbar. Für Held ist Globalisierung kein einheitlicher, monolithischer Prozess den man mit gut oder böse bewerten kann (vgl. Held 2007 S. 24). Zum Abschluss soll daher ein Zitat von Robertson Erwähnung finden. Für ihn ist Globalisierung ein Prozess in dem „ [ ... ] the world is a single place.“ (Robertson 1992 S. 137) So ist es doch gerade diese Einfachheit, welche den Zugang zu einer so komplexen Thematik erleichtert.
2.1.2. Die Kontroverse um den Beginn der Globalisierung
Nicht nur die Kontroverse um den Begriff „Globalisierung“ sondern auch die Frage nach dem Beginn der globalen Öffnung stellt ein Problem da. Die Beziehung, zwischen Globalisierung und sozialer Ungleichheit, kann erst durch einen Blick auf den Beginn von Globalisierung zufriedenstellend erklärt werden. Globalisierung beginnt, laut Brock, mit zwischengesellschaftlichen Beziehungen und endet mit einem weltumspannenden zwischengesellschaftlichen Netzwerk (vgl. Brock 2008 S. 13). Die Idee, dass sich die Welt immer mehr politisch, wirtschaftlich und kulturell verflechte ist dabei keineswegs neu. Jedoch wird der genaue Beginn der Globalisierung intensiv diskutiert. Das Kernproblem liegt hierbei, so Dürrschmidt, im Verhältnis zwischen Moderne[6] und Globalisierung. So wird auf der einen Seite argumentiert, dass die Globalisierung aus der europäischen Moderne entstanden sei. Auf der anderen Seite habe die Globalisierung die Moderne von Grund auf verändert (vgl. Dürrschmidt 2002 S. 10). Eine ausführliche Diskussion um das Problem „der Moderne“ in der Soziologie findet sich bei Therborn wieder (siehe dazu Therborn 2000b S. 16ff.). Bornschier setzt den Beginn der Globalisierung mit der Entdeckung der Kugelgestalt der Welt gleich. Die Erkenntnis, dass die Welt nicht eine Scheibe, sondern eine Kugel sei, ergab eine nie dagewesene Weltsicht. Diese Weltsicht machte den Weg für die großen europäischen Entdeckungen des 15. Jahrhunderts frei (vgl. Bornschier 2002 S. 7). Die Sichtweise Bornschiers, stellt durchaus die geistige Vorraussetzung für die Möglichkeit eines Globalisierungsdiskurses dar. Die politische Vorraussetzung für die Globalisierung stellt eine hegemoniale Macht, laut Beck da. Nur durch die nationalstaatliche Erlaubnis hin zu einer globalen Öffnung sei Globalisierung möglich (vgl. Beck 1997 S. 71). Jedoch ist damit der tatsächliche Beginn der Globalisierung noch nicht datiert. Robertson unterscheidet in seinem detaillierten Phasenmodell fünf Etappen. Die Germinal Phase, welche vom 15. bis zum 18. Jahrhundert dauerte, stellt dabei den Ausgangspunkt da. Diese Keimungsphase beschränkt sich auf Europa und geht mit einer Herausbildung des heliozentrischen Weltbildes und den ersten Formen transregionaler Gemeinschaften der katholischen Kirche einher. Die Inicipient Phase (Mitte 18. Jahrhundert bis 1870) beschränkte sich auf Europa. Diese Anfangsphase zeichnet sich durch die Zunahme internationaler Beziehungen und dem transnationalen Austausch[7] aus. In der dritten Stufe, der Take-off Phase, wird die Entstehung einer internationalen Gesellschaft begünstigt. Zwischen 1870 und den 1920er Jahren kommt es ferner zu einer steigenden Anzahl an globaler Kommunikation und zur Einführung einer Weltzeit. The Sruggle-for-Hegemony Phase ist wohl am Besten durch die zerbrechliche Weltordnung beschrieben. Dieser Zeitabschnitt (Mitte der 1920er Jahre bis Ende der 1960er Jahre) ist aber auch durch Konflikte und Kriege gekennzeichnet, man erinnere sich nur an den Zweiten Weltkrieg und den Kalten Krieg. Die fünfte Etappe setzt mit der Uncertainty Phase (Ende 1960 bis Mitte 1990) ein. Diese Phase wird durch ein zunehmendes Krisenbewusstsein dominiert. Dieses Krisenbewusstsein beschränkt sich nicht nur auf die globale Gesellschaft, sondern auch auf ökologische, technische, kommunikative und soziale Probleme. Es gibt Tendenzen z. B. die McDonalisierung wie auch Gegentendenzen z. B. der Fundamentalismus. Für Robertson sind diese Wechselbeziehungen ein fester Bestandteil des Globalisierungsprozesses (vgl. Dürrschmidt 2002 S. 23ff.). Letztlich sind es gerade diese (Gegen-) Tendenzen welche die Moderne kennzeichnen und der Fundamentalismus ist vielmehr ein Produkt des modernen Antimodernismus (vgl. Küenzlen 2003 S. 52). Während Marken wie Coca-Cola, Apple, Nike und McDonalds den globalen Siegeszug angetreten haben, ist in den letzten Jahrzehnten auch ein fundamentalistischer Ruck festzustellen. So sind die evangelikalen Protestanten in den Vereinigten Staaten und der islamische Fundamentalismus längst keine Einzelerscheinung mehr.
Marx, Wallerstein und Harvey setzten das 16. Jahrhundert als Beginn der Globalisierung an (vgl. Dürrschmidt 2002 S. 23, Sernau 2006 S. 43). Wobei sich Wallerstein und Marx besonders auf den Kapitalismus beziehen. Marx geht von einem modernen Kapitalismus aus, während sich Wallerstein dem kapitalistischen Weltsystem zuwendet (vgl. Beck 1997 S. 44). Für Giddens beginnt die Globalisierung im 19. Jahrhundert mit der institutionalized modernity (vgl. Dürrschmidt 2002 S. 23ff.). Es wird anhand der wenigen Autoren deutlich wie unterschiedlich man den Beginn der Globalisierung ansetzen kann. Jede Sichtweise hat ihre ganz eigenen Vor- und Nachteile und eine Diskussion derer würde in diesem Rahmen zu weit führen. Letztlich wird aber deutlich, das Globalisierung kein Phänomen der 1980er Jahre ist, denn die Grenzen der nationalen Wirklichkeitswahrnehmung verschwimmen schon seit Jahrhunderten.
2.1.3. Was sind globale Ungleichheiten? - Der Versuch einer Begriffsbestimmung
Wir nähern uns nun endlich dem Kern der Frage: was sind globale Ungleichheiten? Erstaunlicherweise wird der Terminus „globale Ungleichheiten“ zwar oft verwendet, aber nur unzureichend definiert. Ungleichheit stellt, ganz allgemein, das Gegenteil von Gleichheit da. Menschen unterscheiden sich hinsichtlich ihrer äußeren Eigenschaften und ihres Charakters. Sie sind daher von Natur aus verschieden (vgl. Sen 1992 S.1). Diese Erkenntnis ist allerdings bezüglich sozialer Ungleichheitsstrukturen noch nicht aussagekräftig. Laut Dahrendorf ist die Ungleichheitsfrage, die historisch erste Frage des soziologischen Denkens (vgl. Dahrendorf 1974 S. 353f.). Daher ist die Zugang, laut Kreckel, zu sozialen Ungleichheiten im Rahmen des Nationalstaates, theoretisch und methodisch hervorragend ausgebaut worden (vgl. Kreckel 2006 S. 3).
Schwinn stellte treffend fest, dass der Begriff der globalen Ungleichheit, noch keinen große wissenschaftlichen Rezeption erfahren hat (vgl. Schwinn 2008 S. 11). Für die Betrachtung von globalen Ungleichheiten stellt dieses ein erstes Problem da. Die Soziologie wende sich bei ihren Analysen Gesellschaften zu, so Beck. Allerdings werden diese Gesellschaften als Staatengesellschaften aufgefasst. So beschäftigt sich die Soziologie mit der deutschen, US–amerikanischen oder auch der indischen Gesellschaft. Diese Gesellschaften sind im Machtraum der Nationalstaaten aufgehoben. Sie stellen damit, gemäß Beck, einen Container da. Der Staat gibt als Container eine territoriale Einheit vor, in der systematisch Statistiken über wirtschaftliche und soziale Prozesse und Situationen erhoben werden. Das nationalstaatliche Gesellschaftsmodell wird durch die Globalisierung erschüttert. Die Soziologie muss sich daher, in der nicht-integrierten Vielfalt der entgrenzten Welt begrifflich neu einrichten und orientieren, so Beck (vgl. Beck 1997 S. 49ff.). Dieses Container-Modell, so arbeitet Kreckel heraus, also die nationalstaatlich verfasste Gesellschaft, bedingte die Rezeptionssperre für die weltgesellschaftliche Öffnung (vgl. Kreckel 2006 S. 7). Für die Erfassung globaler Ungleichheiten ist allerdings eine staatenübergreifende Perspektive notwendig, um die transnationalen Disparitäten zu erfassen und verstehen zu können.
Bevor man sich den Begriff „globaler Ungleichheiten“ nähert, sollte man sich darüber im Klaren sein, dass es nicht nur einen einzigen Ungleichheitsparameter gibt. Es existiert eine Vielzahl verschiedener Ungleichheiten. Daher soll im Folgenden von sozialen Ungleichheiten im Plural die Rede sein. Für Kreckel stellen die sozialen Ungleichheiten eine von Menschen gemachte und daher auch eines von Menschen veränderbares Strukturmerkmal der Welt dar (vgl. Kreckel 2004 S. 13).
„Soziale Ungleichheit ist von bloßer physisch bedingter Verschiedenartigkeit der Menschen (z. B. in Bezug auf Geschlecht, Augenfarbe, Lebensalter, Rassenzugehörigkeit, Körpergröße, „natürliche Begabung“) zu unterscheiden. Das heißt, wer von sozialer Ungleichheit spricht, spricht stets von gesellschaftlich verankerten Formen der Begünstigung und Bevorrechtigung einiger, der Benachteiligung und Diskriminierung anderer, jedoch nicht von deren unterschiedlicher biologischer Grundausstattung. “ (Kreckel 2004 S. 15)
Dahrendorf geht von vier Arten von Ungleichheiten aus, wobei die erste die Verschiedenartigkeit des Aussehens und die zweite die natürliche Verschiedenartigkeit der Intelligenz und des Talents umfasst. Diese Ungleichheiten liegen im Menschen vor und sind daher unveränderlich. Die dritte und vierte Unterscheidung geht von der sozialen Differenzierung und der sozialen Schichtung aus, welche sich von der askriptiven Sichtweise lösen (vgl. Dahrendorf 1974 S. 355). Auch Kreckel unterscheidet zwischen sozialer Ungleichheit und sozialer Differenzierung, auch wenn er von einer Verwebung der beiden Begriffe in der alltäglichen Lebenswelt ausgeht (vgl. Kreckel 2004 S. 16). Schwinn und Schimank argumentieren, dass die beiden makrosoziologischen Hauptkonzepte nicht getrennt voneinander betrachtet werden dürfen. Beide Theorien, so Schimank, gehen von einer Aufsplitterung des gesellschaftlichen Ganzen in Teile aus (vgl. Schimank 1998 S. 62). Schwinn begründet die Verknüpfung der beiden Konzepte damit, dass man Ungleichheitsverhältnisse nicht ohne die differenzierten Institutionen verstehen kann und auf der anderen Seite die Differenzierungsmuster der Institutionen ohne die sozialstrukturellen Verhältnisse nur bedingt verständlich sind (vgl. Schwinn 2007 S. 6). Schimank erklärt die Verknüpfung der beiden Theorien wie folgt: Durch die Ungleichheitsperspektive können teilsystematische Entwicklungstendenzen durch eine Inflation der Ansprüche erklärt werden, welche auf Verteilungsungleichheiten zurückgehen, und die differenzierungstheoretische Perspektive lenkt das Interesse auf die Folgen der Verteilungskonflikte. Je stärker die Bessergestellten sind, desto höher sei ihre Durchsetzungskraft um Gleichheitsbestrebungen abzuwehren (vgl. Schimank 1998 S. 76ff.). Nicht nur das Verhältnis zwischen Differenzierung und sozialer Ungleichheit, welches hier nur kurz angedeutet wird, sondern auch die Frage nach den Ursachen, ist ein kontrovers diskutierter Bereich. Ob nun das Privateigentum (Marx, Rousseau), die Arbeitsteilung (Engels), soziale Schichtung (Parsons) oder Normen und Sanktionen (Dahrendorf) als Ursachen betrachtet, soll in dem Rahmen dieser Arbeit allerdings nicht diskutiert werden.
Dem Problem globaler Ungleichheiten haben wir uns damit aber immer noch nicht zufriedenstellend genähert. Während die Erforschung sozialer Ungleichheiten im Nationalstaat mehrdimensional erfolgt, ist die globale Sichtweise meist nur eindimensional. Dieses spiegelt sich in den Terminus wieder. Leider beschränken sich viele Autoren auf ökonomische Indikatoren zur Beschreibung von globalen Ungleichheiten, was sich in der Definition derselben äußert. So verstehen Milanovic und Firebaugh Ungleichheiten stets als Einkommensungleichheiten zwischen den Menschen (vgl. Firebaugh 2003 S. 71ff.; Milanovic 2005 S. 7ff.). Dieses resultiert daraus, dass die Diskussion sehr stark von wirtschaftswissenschaftlichen Denkweisen geprägt ist. Für Kreckel und Sen ist das Resultat, eine verengte Sichtweise auf die sozialen Ungleichheiten der Welt (vgl. Kreckel 2006 S. 8; Sen 2000 S. 134). Diese Sichtweise, so heißt es weiter, geht nicht auf geschichtliche, soziale oder auf kulturelle Eigenarten von Ungleichheitsstrukturen ein. Damit ist die Betrachtung globaler Ungleichheitsstrukturen eingeschränkt, da man die Vielzahl an Variablen nicht zufriedenstellend betrachtet (vgl. Kreckel 2006 S. 10; Sen 1992 S. 28). Durch die Debatten um die steigenden oder fallenden Einkommensunterschiede, so Sen, wurden die anderen Faktoren wie z.B. Arbeitslosigkeit, Bildungsdefizite oder soziale Ausgrenzungen nur unzureichend analysiert und thematisiert (vgl. Sen 2000 S. 134f.). Neben der Fokussierung auf Einkommensungleichheiten, stellt ein weiteres Problem die Unterscheidung zwischen internationalen und globalen Ungleichheiten dar. Internationale Ungleichheiten beziehen sich auf Ungleichheiten zwischen den Nationen, während globale Ungleichheiten das Individuum unabhängig vom Nationalstaat betrachteten (vgl. Milanovic 2007 S. 26). So beschreibt Milanovic globale Ungleichheiten, als Ungleichheiten zwischen den Menschen der Welt, unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft und unabhängig von dem Ort indem sie leben. Die Welt wird dabei als ein Staat betrachtet in dem sich die Ungleichheiten entwickeln (vgl. Milanovic 2007 S. 26). Kreckel geht in seiner Definition von sozialen Ungleichheiten noch einen Schritt weiter:
„Soziale Ungleichheit [ ... ] liegt überall dort vor, wo die Möglichkeiten des Zuganges zu allgemein verfügbaren und erstrebenswerten sozialen Gütern und/ oder zu sozialen Positionen, die mit ungleichen Macht- und/ oder Interaktionsmöglichkeiten ausgestattet sind, dauerhafte Einschränkungen erfahren und dadurch die Lebenschancen der betroffenen Individuen, Gruppen oder Gesellschaften beeinträchtigt bzw. begünstigt werden.“ (Kreckel 2004 S. 17)
Therborn unterscheidet, im Folgenden, drei Arten von Ungleichheiten – vitale, essentielle und durch Ressourcen bedingte Ungleichheiten (vgl. Therborn 2006 S. 3). Diese Unterscheidung birgt für die globale Ungleichheitsforschung zahlreiche Vorteile, so stellen die vitalen Ungleichheiten, besonders wenn man an die AIDS-Problematik in Afrika denkt, einen entscheidenden Indikator dar. Therborn argumentiert, dass man aus der Lebenserwartung und den Sterberaten die ersten Ungleichheiten ablesen kann. Unter essentieller Ungleichheit versteht er das Streben der Menschen nach Glück, Chancengleichheit und Freiheit. Dieses lässt den Schluss zu, dass die Rechte des Menschen nur in demokratischen Systemen geschaffen werden können, bedenkt man aber die Ressentiments gegenüber Muslime in den westlichen Gesellschaften ist dieser Punkt fraglich. Es lässt sich allerdings auch festhalten, dass die persönliche Entfaltung in autoritären und diktatorischen Regimes, weitaus schwieriger ist, als in demokratischen Staaten. Die durch Ressourcen bestimmten Ungleichheiten zielen vor allem auf die materiellen Güter ab. So gehe es um Eigentum, Besitz und Arbeit (vgl. Therborn S. 6ff.). Therborn stellt, wie schon Kreckel (2004 S. 321) fest, dass „inequalities are produced, reproduced, reduced, and dismantled by social interaction.“ (Therborn 2006 S. 11) Globale Ungleichheiten werden eben nicht nur durch ökonomische Bedingungen geschaffen, sie entstehen auch durch verschiedene soziale Dimensionen, funktionale Differenzierungen und der Ungleichartigkeit der Verschiedenheit der Teile einer Gesellschaft. Aus ungleichheitstheoretischer Sicht, so Schimank, besteht die Gesellschaft aus diversen Lagen, aus denen sich positive oder negative Lebenschancen ableiten lassen (vgl. Schimank 1998 S. 62). Basierend auf den Gedanken Therborns, stellt Sens Capability-Ansatz, eine wichtige Weiterentwicklung hin zu einer mehrdimensionalen Betrachtungsweise da. Sen betrachtet die Lebenschancen und sozialen Ungleichheiten der Menschen unter einer gerechtigkeitstheoretischen Perspektive. Im folgenden Abschnitt, soll der Capability-Ansatz kritisch betrachtet und die Möglichkeit als Grundlage für globale Ungleichheiten erörtert werden.
2.2. Der Capability-Ansatz als Grundlage für globale Ungleichheiten?
„Was der Gedanke der Verwirklichungschancen für die Armutsanalyse leistet, ist ein tieferes Verständnis der Natur und der Ursachen von Armut, indem er nicht die Mittel in das Zentrum der Aufmerksamkeit rückt – vor allem ein besonderes Mittel nicht, das normalerweise ausschließlich beachtet wird: das Einkommen.“ (Sen 2000 S. 133)
Der Capability-Ansatz[8] wurde von dem Nobelpreisträger Amartya Sen[9] und der US-amerikanischen Philosophin Martha Craven Nussbaum entwickelt. Der Capability-Ansatz, der Ansatz der Verwirklichungschancen, diskutiert soziale Ungleichheiten unter einem gerechtigkeitstheoretischen Gesichtspunkt, welcher die Möglichkeiten einer Lebensführung des Menschen in den Mittelpunkt der Betrachtung rückt (vgl. Otto / Ziegler 2008 S. 9). Auch wenn dieser Ansatz nicht primär auf soziale Ungleichheiten ausgerichtet bzw. konzipiert wurde, stellt er einen Ausgangspunkt der Betrachtung von globaler Ungleichheiten dar. Dass es sich bei diesem Ansatz um keinen soziologischen Ansatz sui generis, sondern vielmehr um eine gerechtigkeitstheoretische Perspektive handelt, soll ihm aber nicht zum Nachteil gereichen. Dieser Ansatz wendet sich von rein ökonomischen Faktoren ab, hin zu multiplen Indikatoren der Erklärung von Ungleichheiten. Sein Hauptaugenmerk liegt auf der Beschreibung von Armut unter der Berücksichtigung von Freiheit und den bereits angesprochenen Verwirklichungschancen.
Sen unterscheidet zwischen „ funtionings “ und „ capabilities “. „ Functionings “ sind die Lebensumstände und Aktivitäten die ein Menschen schätzt und tatsächlich verwirklicht z.B. sich frei bewegen, gesund und gut ernährt sein. „ Capabilities “ leiten sich aus dieser Auffassung ab, sie stellen die potenziell möglichen Verwirklichungschancen dar- sie sind die Menge an „ functionings “, welche möglich und wünschenswert sind (vgl. Sen 1992 S. 4f.). Diese Verwirklichungschancen geben die tatsächliche Freiheit eines Menschen wieder, sein Leben so zu gestalten, wie er es selbst für wünschenswert erachtet. „ Freedom “ besteht, für Sen, in der Möglichkeit bzw. der Freiheit unterschiedliche Lebensstile zu verwirklichen (vgl. Sen 1992 S. 129). Freiheit stelle ein zentrales Ziel und Bewertungskriterium der Politik der Entwicklung einer Gesellschaft da. Sie sei zum einen obersten Ziel und zum anderen wichtigsten Mittel der Entwicklung (vgl. Sen 2000 S. 50). Freiheit stellt einen intrinsischen und einen instrumentellen Wert da (vgl. Scholtes 2005 S. 24ff.). Sen unterschiedet fünf unterschiedliche, instrumentelle Typen der Freiheit: die politische Freiheit, ökonomische Vorteile, soziale Chancen, Garantien für Transparenz und soziale Sicherheit. Diese verschiedenen Typen fördern oder hemmen individuelle Verwirklichungschancen der Menschen (vgl. Sen 2005 S. 21). Volkert und Scholtes argumentieren, dass die „ functionings “ von den Verwirklichungschancen zu trennen sind. Aus der Vielzahl an Verwirklichungschancen geht ein Potenzial, an realisierbaren Lebensentwürfen hervor, welche durch die „ functionings “ in tatsächliche Lebensumstände umgewandelt werden könnten. Nicht die „ functionings “ sondern die Verwirklichungschancen entscheiden über das Wohlergehen (well-being) eines Menschen, da die Freiheit wählen zu können ein entscheidender Faktor der Erreichung der eigenen Ziele und Werte sei, so die Autoren. Vergleicht man z.B. das Fasten mit dem Hungern nach einer Naturkatastrophe, so stellt man fest, dass das Resultat bei beiden eine Gewichtsreduzierung ist. Der Unterschied liegt jedoch in der Tatsache, dass der eine fastet um Kalorien zu reduzieren und jederzeit wieder genussvoll speisen kann, während Hungernde aus Mangel an Nahrungsmitteln ihr Gewicht reduzieren und die Freiheit auf genügend Lebensmittel eingeschränkt ist. Der objektive Wert ist also gleich nur die subjektiven Gegebenheiten unterscheiden sich. Des Weiteren werden Menschen trotz gleicher Verwirklichungschancen ihr Leben anders gestalten, da jeder Mensch über ganz eigene Lebensvorstellungen und Präferenzen verfügt. Neben der Individualität des Menschen existiert auch eine Verschiedenartigkeit an Wünschen, Träumen und Hoffnungen, welche zum einen dem eigenen Wohlbefinden dienen können und zum anderen können diese aber auch altruistisch veranlagt sein. Daher sind die „ functionings “ von den Verwirklichungschancen zu trennen (vgl. Volkert 2005a S. 12f.; Scholtes 2005 S. 30).
Für die Betrachtung globaler Ungleichheiten stellt diese Sichtweise mehrere Vorteile dar, so Kreckel und Volkert. Zum einen distanziert sich der Ansatz vom nationalstaatlichen Gesellschaftsbegriff, da die Freiheit unterschiedliche Lebensstile zu realisieren unabhängig von Staatsgrenzen ist. Des Weiteren löst sich der Capability-Ansatz von rein ökonomischen Faktoren, da nicht nur monetäre Ungleichheitsmaße, wie das Einkommen, die Güteraustattung oder das Vermögen betrachtet werden (vgl. Kreckel 2006 S. 14f.;Volkert 2005a S. 13). Auch wenn sich der Capability-Ansatz nicht direkt auf soziale Ungleichheiten, sondern vielmehr auf soziale Gerechtigkeiten bezieht, stellt er dennoch einen Anhaltspunkt für die Analyse globaler Ungleichheiten dar. Der Grundgedanke des Capabiliy-Ansatzes ist es, nach den Verwirklichungschancen zu fragen und die substantiellen Freiheiten aufzudecken, welche es einem Menschen erlauben ein erstrebenswertes Leben zu führen.
„So gesehen drückt sich Armut im Mangel an fundamentalen Verwirklichungschancen aus und nicht bloß in einem niedrigen Einkommen das gemeinhin als Kriterium für Armut gilt.“ (Sen 2000 S. 110)
Dies bedeutet, dass es an tatsächlichen „ functionings “ mangelt um die eigenen Lebensziele umzusetzen. Sen geht zwar davon aus, dass das Einkommen die Hauptursache von Armut ist, er weist allerdings noch weitere Faktoren zu welche auch kombinierbar sind z.B. das Alter, Geschlecht, Wohnort, Gesundheit. Die reale Armut wird als ein Mangel an Verwirklichungschancen verstanden und das kann gravierender sein, als es nur durch das Einkommen vermittelt wird (vgl. Sen 2000 S. 111ff.). Monetäre Ressourcen sind besonders in westlichen Industriegesellschaften ein wesentlicher Einflussfaktor auf die Verwirklichungschancen. Dennoch vermag es dem Einkommen nicht, so Sen, Gegensätze in den Fähigkeiten in tatsächliche Verwirklichungschancen umzuwandeln. Neben dem Einkommen haben persönliche Umwandlungsfaktoren, z.B. Gesundheit, Bildung, soziale Chancen einen beachtlichen Einfluss auf die Verwirklichungschancen eines Menschen. Soziale Chancen können, laut Volkert, als Zugang zu angemessenem Wohnraum und sozialen Kontakten beschrieben werden (vgl. Sen 2000 S. 118f.; Volkert 2005b S. 124ff.).
Welche „ functionings “ und Verwirklichungschancen relevant sind, sei von dem Untersuchungszweck- und voraussetzungen abhängig (vgl. Volkert 2005a S. 11f.). Sen beschränkt sich hauptsächlich auf die Ungleichheiten welche durch das Einkommen, Arbeitslosigkeit, mangelnde gesundheitliche Vorsorge und dem Geschlecht hervorgerufen werden (vgl. Sen 2000 S. 113ff.). Während Sen keine allgemein gültige Liste an Verwirklichungschancen nennt, entwickelt Martha Nussbaum den Capability-Ansatz weiter und formuliert zehn zentrale, funktionale Verwirklichungschancen.
Tabelle 1: Die funktionalen Verwirklichungschancen laut Martha Nussbaum
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Darstellung nach Nussbaum 2000 S. 78ff.
Nussbaum verwendet diese Liste als Grundlage der Erfassung von Verwirklichungschancen, wobei sie einräumt, dass die Liste nicht feststehend und erweiter- und veränderbar ist (vgl. Nussbaum 2000 S. 75). Besonders die Betonung des „guten“ Lebens sticht bei Nussbaum hervor. Allerdings ist eine Bestimmung des „Guten“ nur bedingt möglich, da dieses von der individuellen und letztlich auch einer einzigartigen Sichtweise jeder Person abhängt. Dieses stellt ein theoretisches und methodisches Problem des Ansatzes da. Allerdings wendet sich der Capability-Ansatz, so Otto und Ziegler, mehr der Schaffung von sozialen Bedingungen zu, welche es dem Menschen erlauben ein gelungenes Leben zu führen (vgl. Otto / Ziegler 2008 S. 10). Der Capability-Ansatz wurde als Grundlage für den HDI verwendet, wie man eine Gerechtigkeitstheorie in ein Maß zur Erfassung der menschlichen Entwicklung umwandeln konnte, soll im nächsten Abschnitt im Vordergrund stehen.
2.2.1. Der Human Development Index als Weiterentwicklung des Capability-Ansatz
Wie bereits schon erwähnt, wird der Capability-Ansatz als Grundlage für den Human Development Report verwendet. So hat Amartya Sen persönlich bei der Entwicklung einer neuen Maßeinheit mitgearbeitet, welche seit 1990 den Grad der menschlichen Entwicklung mist (vgl. Kreckel 2006 S. 15). Versucht man den Entwicklungsstand eines oder mehrerer Staaten zu erfassen, so ergeben sich dabei, laut Ochel, drei Hauptfunktionen: die informative Funktion, die Evaluierungsfunktion und letztlich die Prognosefunktion (vgl. Ochel 1982 S. 22). Vergleicht man den HDI mit anderen Entwicklungsindikatoren z.B. von Adelmann / Morris oder Nohlen / Nuscheler[10] so fällt zu Beginn seine Indikatorenarmut auf. Der HDI berechnet die durchschnittlichen Leistungen in grundlegenden Bereichen der menschlichen Entwicklung und stellt diese in einer Rangliste von Ländern zusammen. Der HDI kann einen standardisierten Wert zwischen 0 und 1 einnehmen. Länder mit einer niedrigen Entwicklung haben einen Wert weniger als 0,500, während die mittlere Kategorie bis 0,799 reicht. Länder mit einem HDI-Wert von 0,800 und höher, zählen zu den Staaten mit einem hohen Entwicklungsgrad. Dieser Index wird heute von der Weltbankgruppe und dem UN Millenium Project[11] anstelle der früher gebräuchlichen Einkommensstatistiken verwendet. Durch die Erweiterung der Indexe kamen weitere Indikatoren hinzu: der geschlechterbasierten Entwicklungsindex (GDI), den Gender Empowerment Measure (GEM) und der Index der menschlichen Armut[12] (HPI I + II). Der HDI bildet drei Dimensionen[13] (Gesundheit, Bildung und Lebensstandard) ab, dabei misst er nicht nur das Pro-Kopf-Einkommen (PPP$), vielmehr bezieht er die Lebenserwartung seit der Geburt, die Alphabetisierungsquote der Erwachsenen und die Gesamteinschulungszahl in die Analysen mit ein (vgl. UNDP 2008 S. 355).
Bei genauerer Betrachtung des HDI fällt auf, dass nur wenige der Vorschläge von Nussbaum verarbeitet wurden, dieses ist hauptsächlich auf die schwierige Erfassbarkeit ihrer Indikatoren zurückzuführen. Schließlich stellt der HDI ein Versuch dar, die Problematik sozialer Ungleichheiten global zu erfassen. Allerdings beschränkt sich diese Erfassung sehr stark auf den Entwicklungsgrad eines Landes. Die Anwendung gerechtigkeitstheoretischer Ansätze auf soziale Ungleichheitsstrukturen scheint global durchaus plausibel zu sein, gewiss aber nur zur Erklärung von unterentwickelten Staaten und den, zumeist daraus resultierenden, extremen Armutslagen: denn armen Menschen mangelt es besonders an der Möglichkeit, ihr Leben nach den eigenen Vorstellungen zu leben. Inwieweit dieses, in den Industrienationen der Fall ist, sei fraglich. Bei dem HDI wird das Problem der Einbindung und Gewichtung aller Erdenbürger eminent, da nicht nur die Entwicklungen zwischen den Nationen sehr verschieden und hoch sind, sondern eben auch innerhalb der Nationen. Gerade diese, werden durch eine globale Sichtweise nicht beachtet. Global kann man durchaus davon ausgehen, dass Deutschland sehr gut entwickelt ist (HDI-Rank 22 im Jahr 2005). Daher sollten die Verwirklichungschancen für jeden Deutschen relativ hoch sein, bedenkt man z.B. die Situation der Türken in Deutschland, scheint dies nicht der Fall zu sein. Eine weitere Schwierigkeit stellt die Gewichtung der Einzelindikatoren zu einem Gesamtindikator da. Die relative Bedeutung der Einzelindikatoren ist von Land zu Land verschieden, daher stellt die Gewichtung ein nicht unerhebliches methodisches Problem des HDI da. Letztlich ist es fraglich, in wieweit man die menschliche Entwicklung mit dem Problem sozialer Ungleichheit gleichsetzen kann. Versteht man aber soziale Ungleichheiten, wie Sen, als Lebens- und Verwirklichungschancen, so ist die Verknüpfung des HDI und sozialer Ungleichheiten durchaus schlüssig. Was man dem HDI letztlich zu Gute halten muss, ist der Versuch einer mehrdimensionalen Analyse von globalen Entwicklungsstrukturen.
2.3. Die „Weltgesellschaft“ als Grundlage von globalen Ungleichheiten?
Der Begriff „Globalisierung“ hat sich längst in den Sprachgebrauch[14] eingebürgert, doch wie sieht es mit dem Begriff der „Weltgesellschaft“ aus? Das Zeitalter der Globalisierung hat längst begonnen, auch das Zeitalter einer Weltgesellschaft? Der Begriff „Weltgesellschaft“ beschreibt zunächst den Zustand einer weltweiten Vernetzung, während Globalisierung den Prozess dieses Umstandes erklärt (vgl. Tyrell 2005 S. 18). Begreift man die globalen Ungleichheitsstrukturen als einen eigenständigen und kausal wirksamen Wirklichkeitsbereich, so scheint ein Perspektivenwechsel hin zu einer globalen Gesellschaftsperspektive unerlässlich. In einer Welt, in der die Verflechtungen von Politik, Wirtschaft und Kultur den nationalen Rahmen weit übersteigen, ist es sinnvoll den Nationalstaat als Analyseeinheit zu verlassen und sich der „Weltgesellschaft“ zuzuwenden. Gesellschaft ist dabei, mit Verweis auf Talcott Parsons, als Sozialsystem höchster Ordnung zu verstehen (vgl. Stichweh 2000 S. 11). Globaltheorien wie die Modernisierungstheorie, die Dependencia, die Weltsystem- und Weltgesellschaftstheorien haben für den Forschungsprozess eine wichtige heuristische Funktion so Boeckh, da sie auf Zusammenhänge verweisen, welche rein induktiv nicht zu verstehen wären (vgl. Boeckh 1985 S. 68). Man könnte daher annehmen, das besonders die Weltsystem- und Weltgesellschaftstheorien für die globalen Ungleichheitsstrukturen ideal erscheinen. Im nächsten Abschnitt sollen daher, diese zwei grundlegenden Theorien betrachtet werden und welche Implikationen für globale Ungleichheiten daraus resultieren.
Grundlegend kann man sagen, dass die „Weltgesellschaft“ von einem zunehmenden Bedeutungsverlust des Nationalstaates ausgeht. Wirtschaft und Wissenschaft machen vor den nationalen Grenzen nicht mehr halt, daher gerät die relativ stabile nationale Ordnungskonstellation ins Wanken (vgl. Schwinn 2007 S. 115). Die beiden Konzepte, der Weltgesellschaft und des Weltsystems, sind trennscharf voneinander zu unterscheiden. Während das Weltsystem, so Bornschier, sich durch die Einbindung aller sozialen Prozesse (Klassen, Staaten, Parteien) in der Gesellschaft und durch die hierarchische Gliederung auszeichnet, ist das Konzept der Weltgesellschaft weitaus anspruchsvoller. Weltgesellschaft bezeichnet allgemein das umfassende System menschlichen Zusammenlebens, welche miteinander in Wechselwirkung stehen (vgl. Bornschier 2002 S. 69ff.). Als Basis globaler Ungleichheiten erscheinen beide Theorien sehr verlockend, da alle Erdenbürger unter dem Deckmantel der „Weltgesellschaft“ betrachtet werden könnten. Greve und Heintz führen an, dass die verschiedenen Weltgesellschafts- und Systemtheorien fünf Gemeinsamkeiten besitzen. So gehen alle Theorien von einem globalen Zusammenhang aus, der sich historisch herausgebildet hat. Des Weiteren entstanden durch den globalen Zusammenhang neue Formen der Sozialorganisationen. So sind es nicht mehr die Nationen oder der Vergleich der Nationen welcher im Vordergrund stehen, vielmehr wird die Weltgesellschaft als Ganzes betrachtet. Die Weltgesellschaft weist eigenständige Strukturmerkmale auf, welche nicht mit denen im Nationalstaat vergleichbar sind. Der Fokus der Analyse geht von der nationalen hin zur globalen Sichtweise. Viertens verstehen sich die theoretischen Ausrichtungen als strikt makrosoziologisch. Sie gehen mit Irreduzibilität und Makrodetermination einher, demnach muss alles was in der Welt geschieht, als ein Resultat derselben verstanden werden. Letztlich grenzen sich die Weltgesellschaftstheorien von jenen Theorien ab, welche nur ein Funktionssystem betrachten. Die gesamte soziale Welt, inklusive den darin verorteten Ungleichheiten, gelangt damit in den Fokus der Betrachtung (vgl. Greve / Heintz 2005 S. 109ff.) Im Folgenden wird die Weltgesellschaft anhand von zwei Denkrichtungen, inklusive ihrer Protagonisten, näher beschreiben. Die Weltsystemperspektive wird durch Immanuel Wallerstein vertreten und die Argumente der Bielefelder Sicht, bezüglich der Weltgesellschaft, sollen besonders durch Niklas Luhmann und Rudolf Stichweh zum Ausdruck gebracht werden.
[...]
[1] Begriffe für diese „neue“ Moderne können „zweite“, „reflexive“ oder auch „Post-Moderne“ sein.
[2] Diese Überschrift lehnt sich an das Buch von Ulrich Beck „Was ist Globalisierung?“ an.
[3] Auf die Begriffe Globalismus und Globalität soll nicht näher eingegangen werden, da im Rahmen dieser Ausführungen nur das Konzept der „Globalisierung“ als Problem definiert wird.
[4] In der WDR – Sendung „Hart aber Fair“ wurde am 26.11.2008 über die Auswirkungen der Globalisierung, zu dem Thema: „Wirtschaft global – Abschwung total – Platz die Globalisierungslüge?“, kontrovers diskutiert. Die ganze Sendung ist unter http://www.wdr.de/tv/hartaberfair/sendungen/2008/20081126.php5 abrufbar.
[5] Die zentrale Aufgabe der Politik, die rechtlichen, wirtschaftlichen, sozialen und letztlich auch ökologischen Rahmenbedingungen auszumachen verwischt. Der Nationalstaat muss sich in dem globalen Gefüge zurechtfinden.
[6] Der Begriff „Moderne“ stellt ein weiteres Problem da, denn es ist fraglich wann genau die Moderne beginnt, da dies von den nationalen und kulturellen Kontexten abhängig war (vgl. Küenzlen 2003 S. 52). Max Weber geht vom 18. Jahrhundert aus, während Marx und auch Wallerstein den Beginn im 16. Jahrhundert sehen. Moderne bezeichnet einen Umbruch in allen Bereichen beginnend im 18. und 19. Jahrhundert geistesgeschichtlich mit der Aufklärung, politisch mit der Amerikanischen und der Französischen Revolution, sowie ökonomisch mit der Industrialisierung. Dieses Problem sei hier nur kurz angedeutet, um die daraus resultierenden Probleme mit der Begriffsdefinition von Globalisierung zu verstehen.
[7] Die erste Weltausstellung in London 1851 stellt nur ein Beispiel für diese zunehmenden Verflechtungen da.
[8] Dieser Ansatz findet, laut Kreckel und Volkert, in der deutschen Ungleichheitsforschung noch keine große Beachtung, allerdings hat er in die Armutsdiskussion Einzug gehalten, so stützt sich der Zweite Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung auf das Konzept von Amartya Sen (vgl. Kreckel 2006 S. 15; Volkert 2005 S. 11).
[9] Die Vereinten Nationen, aber auch die Weltbank, die OECD, die EU und die Bundesregierung, haben sich den Ideen des Capability-Ansatzes angenommen. So finden sich in den Armuts- und Sozialberichterstattungen, laut Volkert, Überlegungen des Capability-Ansatzes wieder (vgl. Volkert 2005 S.11).
[10] Eine detaillierte Auflistung der Indikatoren beider Entwicklungssysteme findet man bei Ochel (1982) ab Seite 23ff.
[11] Die acht Millenniumsziele können im Anhang nachgelesen werden (Tabelle 6).
[12] Der Index für menschliche Armut teilt sich noch in den HPI-1 für Entwicklungsländer und den HPI-2 für Industrieländer auf.
[13] Eine detaillierte Beschreibung zur Erfassung des HDI, und anderer Indexe des UNDP, befindet sich im Anhang (Abbildung 19).
[14] Die Gesellschaft für Deutsche Sprach hat das Wort „Globalisierung“ im Jahr 1996 unter die „Top Ten“ gewählt (vgl. Gesellschaft für Deutsche Sprache).
- Citation du texte
- Ellen Ziegler (Auteur), 2009, Probleme und Implikationen einer globalen Ungleichheitsperspektive, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/167540
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