Trotz des 50-jährigen Engagements und des hohen Mitteleinsatzes konnte die Zahl der Armen und Benachteiligten in der Welt in vielen Regionen nicht verringert werden, und die Lebenssituation des Großteils der Menschheit konnte kaum verbessert werden. Die Wirksamkeitsdebatte der EZ wurde auch durch die große Abhängigkeit vieler EL von internationalen Institutionen und Gebern von Official Development Assistance sowie durch die Instrumentalisierung der EZ für außen- und sicherheitspolitische, wirtschaftliche und geostrategische Ziele gefördert. Als Reaktion auf diese Kritik, die auch in breiten Bevölkerungsgruppen in den Geberstaaten Anklang gefunden hat, wurden auf einigen Gipfeln der Gebernatio-nen Wege der Reform diskutiert. Diese hatten die Umsetzung und Verankerung der Millennium Erklärung und der MDG in die EZ sowie die Verbesserung der Wirksamkeit der EZ zum Ziel. Im Jahr 2005 wurde schließlich die Paris Declaration on Aid Effectiveness (PD) von Geber-, Empfängerstaaten und internationalen Organisationen verabschiedet. Diese Re-formagenda fordert in fünf Kernprinzipien eine Reorganisation der Geber-Empfänger-Beziehung: Eine bessere Koordinierung und Harmonisierung der EZ-Maßnahmen, die Re-duktion der Transaktionskosten, die Stärkung der Eigeninitiative und Eigenbestimmung der Entwicklungsländer. Bedeutsam ist der Versuch, die Machtasymmetrie zwischen Geber und Empfänger aufzubrechen um eine gleichberechtigte Partnerschaft zu etablieren. Für die Geber ergeben sich hieraus entscheidende Veränderungen in der Organisation, den Modalitäten der Implementierung und der Koordinierung auf Länder- und Sektorenebene .
Für das institutionell stark fragmentierte deutsche EZ-System resultieren aus diesem Reformprogramm weit reichende Konsequenzen in der praktischen Arbeit vor Ort, aber auch für die überfällige Umstrukturierung des deutschen EZ-Systems. Gleichzeitig bietet die Reform der Entwicklungszusammenarbeit aber auch Chancen für die deutschen Institutionen und Akteure.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
I Einleitung
1.1 Themenstellung
1.2 Ziele der Arbeit
1.3 Material und Methoden
1.4 Aufbau der Arbeit
II Die Millennium Erklärung und die Millennium Development Goals (MDG)
2.1 Das MDG 1| Beseitigung der extremen Armut und des Hungers
2.2 Sambia als Beispiel für die Umsetzung der MDG
2.3 Das MDG 8| Aufbau einer globalen Entwicklungspartnerschaft
2.3.1 MDG 8| Zielvorgabe 12
2.3.2 MDG 8| Zielvorgaben 13 und 14
2.3.3 MDG 8| Zielvorgabe 15
2.3.4 MDG 8| Zielvorgaben 16, 17 und 18
2.4 Kritische Betrachtung der Millennium Development Goals
2.5 Zwischenfazit Millennium Development Goals
III Die Wirksamkeit der Internationalen Entwicklungszusammenarbeit 29
3.1 Wirksamkeit & Entwicklung
3.1.1 Entwicklung
3.1.2 Wirksamkeit
3.1.3 Evaluierung
3.1.4 Macht und Hierarchien in Wirksamkeit & Entwicklung
3.2 Die Debatte um die Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit
3.2.1 Hauptkritikpunkte
3.2.2 Die Debatte um den „Sachs Bericht“ als Beispiel
3.2.3 Zwischenfazit Debatte um die Wirksamkeit
3.2.4 Wege zur Reform
IV Die Paris Declaration on Aid Effectiveness 58
4.1 Zieldefinition und Entschlossenheitserklärung
4.2 Partnerschaftsverpflichtungen und Fortschrittsindikatoren
4.2.1 Eigenverantwortung / ownership
4.2.2 Alignment / Partnerausrichtung
4.2.3 Harmonisation / Harmonisierung
4.2.4 Managing for Development Results / Ergebnisorientiertes Management
4.2.5 Mutual Accountability / Gegenseitige Rechenschaftspflicht
4.2.6 Die Umsetzung der Paris Declaration in fragilen Staaten
4.2.7 Die Rolle der NGO im Paris Prozess
4.3 Kritische Betrachtung
4.4 Zusammenfassung Paris Declaration
4.5 „ Old habits die hard “ Die Umsetzung der Paris Declaration
4.6 Accra Agenda for Action - “We are making Progress, but not enough”
V Die Deutsche Entwicklungszusammenarbeit und die Umsetzung der Paris Declaration
5.1 Das System der deutschen Entwicklungszusammenarbeit
5.1.1 Die Ziele und Grundlagen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit
5.1.2 Regionale Schwerpunktsetzung und Länderkonzentration
5.1.3 Das Ankerlandkonzept des BMZ
5.1.4 Zusammenfassung: System der deutschen Entwicklungs zusammenarbeit
5.2 Die Umsetzung und Auswirkungen der Paris Declaration in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit
5.3 Vorschläge der OECD zur Reform der Entwicklungszusammenarbeit Deutschlands
5.3.1 Reform der institutionellen Strukturen
5.3.2 Dezentralisierung
5.3.3 Capacity Development
5.4 Die Umsetzung der Paris Declaration in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit
5.4.1 Die OECD Evaluierungen zur Umsetzung der Paris Declaration 2006 und 2008
5.4.2 Die Voraussetzungen und das Engagement der deutschen Entwicklungszusammenarbeit zur Umsetzung der Paris Declaration
5.5 Auswirkungen der Paris Declaration auf die deutsche Entwicklungszusammenarbeit
VI Schlussbetrachtung und Ausblick
Literatur- und Quellenverzeichnis
Anhang
A1 Paris Declaration on Aid Effectiveness
A2 Unterzeichnerstaaten und institutionen der Paris Declaration
A3 Partnerländer der deutschen bilateralen Entwicklungszusammenarbeit
A4 Deutsche Netto ODA 2001 2006 in Mio. €
A5 Mittelherkunft der deutschen ODA 2006 und 2005
A6 Kontaktierte OECD Koordinatoren
A7 Fragebogen Erhebung
A8 Fragebogen Burundi
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Prozentuale Anteile der extrem Armen an der Gesamtbevölkerung in ausgewählten Weltregionen
Abbildung 2: Durchschnittlicher Wert (in US$), den die extrem Armen pro Tag zur Verfügung haben
Abbildung 3: Die Kausalitätskette
Abbildung 4: Korrelationen von Wirtschaftswachstum und Aid / BIP
Abbildung 5: Aggregatebene und Validität
Abbildung 6: Einflussmatrix MAPP
Abbildung 7: Die Wirksamkeitspyramide in der Entwicklungszusammenarbeit
Abbildung 8: Ownership - Indikator 1
Abbildung 9: Alignment - Indikatoren 2-5b
Abbildung 10: Alignment - Indikatoren 6-8
Abbildung 11: Harmonisierung 9, 10a und b
Abbildung 12: Ergebnisorientiertes Management - Indikator 11
Abbildung 13: Gegenseitige Rechenschaftspflicht - Indikator 12
Abbildung 14: Das System der deutschen EZ
Abbildung 15: Die Umsetzung der Paris Declaration in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit; die Indikatoren 3-10b
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
I Einleitung
1.1 Themenstellung
Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der Dekolonisation Afrikas und Asiens ist die Entwicklungszusammenarbeit (EZ) zwischen den reichen Industrieländern im Norden und den Entwicklungsländern (EL)[1] im Süden einem kontinuierlichen Wandel unterzogen. Die ersten Formen der EZ waren wirtschaftliche Abkommen, die die damalige Europäische Wirt- schaftsgemeinschaft (EWG) mit den ehemaligen Kolonien der Mitgliedsstaaten schloss. Das Motiv war, Einflusssphären und Absatzmärkte trotz Dekolonisation zu erhalten und zu si- chern. Unter dem Dach der Vereinten Nationen (UN)[2] kam es in den 1960er Jahren zu ers- ten Formen der Zusammenarbeit bei humanitären Hilfsleistungen. In den darauffolgenden Dekaden des Kalten Krieges war die „Entwicklungshilfe“ geprägt von wirtschaftlichen, au- ßenpolitischen und geostrategischen Interessen. Unter dem Deckmantel der „Entwicklungs- hilfe“ wurde die bipolare Weltordnung auf die Länder der „Dritten Welt“ übertragen, letztere dienten oft als Schauplatz von Auseinandersetzungen. Ab den 1980er Jahren verbreitete sich vor allem durch das Engagement von zivilgesellschaftlichen Organisationen die Vorstel- lung von der Verantwortung für die „Eine Welt“. Die westlichen Gesellschaften wurden für die Belange der Armen in den EL sensibilisiert. „Entwicklungshilfe“ für die „Dritte Welt“ bekam so politische und gesellschaftliche Relevanz. Das Ende des Kalten Krieges hatte für die „Ent- wicklungshilfe“ entscheidende Folgen. In allen Geberländern wurden die Budgets der EZ gekürzt, denn die politische Einflussnahme auf die EL in EZ-Gestalt hatte einen Teil ihrer Motive mit dem Ende des Kalten Krieges verloren.
Die ersten Auswirkungen der Globalisierung, die immer deutlicher werdende Kluft zwischen „entwickelter“ und „zu entwickelnder“ Welt, Armut und Reichtum, die Ausbeutung durch die Industrienationen, der Kampf um Rohstoffe, billige Arbeitskräfte und Produktionsstandorte trugen jedoch zur Förderung der globalen Bedeutung der Entwicklung in den Folgejahren bei. Unter der Ägide der UN wurden mehrere Gipfel ausgerichtet, auf denen Einzelthemen der Entwicklung diskutiert wurden, darunter die Themen Umwelt (Rio de Janeiro 1992) und die Gleichberechtigung der Frauen (Peking 1995). Mit der Verabschiedung der Millennium- Erklärung und den Millennium Development Goals (MDG)[3] im Jahr 2000 sind erstmals global verbindliche Ziele zur zukünftigen Gestaltung und Entwicklung von fast allen Staaten der Welt ratifiziert worden. Diese globale Übereinkunft kann als entscheidende Zäsur in der Entwicklung der Beziehungen zwischen Nord und Süd gewertet werden.
Besonders die international agierenden Nichtregierungsorganisationen (NGO)[4] haben viel- fach Kritik an den Modalitäten der staatlichen bilateralen EZ geübt. Trotz des 50-jährigen Engagements und des hohen Mitteleinsatzes konnte die Zahl der Armen und Benachteiligten in der Welt in vielen Regionen nicht verringert werden, und die Lebenssituation des Großteils der Menschheit konnte kaum verbessert werden. Besonders durch den wirtschaftlichen Auf- stieg der südostasiatischen „Tigerstaaten“[5] ist jedoch die Zahl der Armen in Asien verringert worden, obwohl im Vergleich zu den Staaten Sub-Sahara Afrikas (SSA) pro Kopf weit weni- ger Mittel durch die internationalen Institutionen und Geber investiert wurden. Die Wirksam- keitsdebatte der EZ wurde auch durch die große Abhängigkeit vieler EL von internationalen Institutionen und Gebern von Official Development Assistance (ODA)[6] sowie durch die In- strumentalisierung der EZ für außen- und sicherheitspolitische, wirtschaftliche und geostra- tegische Ziele gefördert. Als Reaktion auf diese Kritik, die auch in breiten Bevölkerungsgrup- pen in den Geberstaaten Anklang gefunden hat, wurden auf einigen Gipfeln der Gebernatio- nen Wege der Reform diskutiert. Diese hatten die Umsetzung und Verankerung der Millenni- um Erklärung und der MDG in die EZ sowie die Verbesserung der Wirksamkeit der EZ zum Ziel. Im Jahr 2005 wurde schließlich die Paris Declaration on Aid Effectiveness (PD)[7] von Geber-, Empfängerstaaten und internationalen Organisationen verabschiedet. Diese Re- formagenda fordert in fünf Kernprinzipien eine Reorganisation der Geber-Empfänger- Beziehung: Eine bessere Koordinierung und Harmonisierung der EZ-Maßnahmen, die Re- duktion der Transaktionskosten[8], die Stärkung der Eigeninitiative und Eigenbestimmung der Entwicklungsländer. Bedeutsam ist der Versuch, die Machtasymmetrie zwischen Geber und Empfänger aufzubrechen um eine gleichberechtigte Partnerschaft zu etablieren. Für die Ge- ber ergeben sich hieraus entscheidende Veränderungen in der Organisation, den Modalitä- ten der Implementierung und der Koordinierung auf Länder- und Sektorenebene[9].
Für das institutionell stark fragmentierte deutsche EZ-System resultieren aus diesem Re- formprogramm weit reichende Konsequenzen in der praktischen Arbeit vor Ort, aber auch für die überfällige Umstrukturierung des deutschen EZ-Systems. Gleichzeitig bietet die Reform der Entwicklungszusammenarbeit aber auch Chancen für die deutschen Institutionen und Akteure.
1.2 Ziele der Arbeit
Ziel dieser Arbeit ist es, die Entwicklungen zu diskutieren, die zur Verabschiedung der PD geführt haben und deren Auswirkungen auf die deutsche EZ darzustellen. Die verschiedenen Prüfberichte und Evaluierungen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD[10] ) fordern explizit eine Umstrukturierung der deutschen EZ, da im aktu- ellen System kaum zusätzliches Potential für weitere Effektivitäts- und Effizienzsteigerungen gesehen wird. Anhand der systemischen Voraussetzungen, der Anreize und der Hemmnisse im deutschen EZ-System werden die Auswirkungen der PD auf die deutschen EZ hin unter- sucht. Um aber auch eine Sicht auf die Veränderungen im deutschen EZ-System auf Part- nerlandebene abbilden zu können, wurde im Rahmen dieser Arbeit eine qualitative, nicht- repräsentative Befragung durchgeführt. Dabei wurden die OECD-Koordinatoren in den Part- nerländern der deutschen EZ befragt, die die Umsetzung der PD in ihren Ländern seit 2005 begleiten und demnach auch über wertvolle Informationen über die Zusammenarbeit mit der örtlichen Regierung und dem Geberland Deutschland verfügen. Zusätzlich wurden weitere Informationen über die deutsche EZ im Reformprozess erhoben, um daraus auf weitere Ent- wicklungen im deutschen EZ-System zu schließen.
1.3 Material und Methoden
Die theoretischen Grundlagen dieser Arbeit basieren auf einer umfassenden Literaturrecher- che von Monographien, Bibliographien, Aufsätzen in Zeitschriften, Internet-Quellen und In- formationsbroschüren. Die Untersuchungen zu den Auswirkungen der PD wurden mittels einiger Evaluierungsberichte und Prüfberichte verschiedener Organisationen erarbeitet. Für die o. g. Außenansicht auf die Reformprozesse im System der deutschen EZ auf Partner- landebene wurde eine qualitative Erhebung durchgeführt. Sie basiert auf offenen Fragen, die digital am 20.11.2008 und nochmals am 27.11.2008 an die 31 OECD-Koordinatoren[11] der Partnerländer Deutschlands gesendet wurden, die an den OECD-Evaluierungen 2006 und 2008 teilgenommen haben. Lediglich ein Koordinator bearbeitete den Fragebogen, zwei wei- tere gaben an, aufgrund der derzeit hohen Arbeitsbelastung keine Zeit für die Bearbeitung zu haben. Aufgrund dessen ist anzunehmen, dass auch für die übrigen Koordinatoren eine Be- arbeitung nicht möglich war. Das Ergebnis des beantworteten Fragebogens wurde in der Organisation for Economic Co-operation and Development Eine Liste der kontaktierten Koordinatoren ist im Anhang A6 und der Fragebogen von Burundi in Anhang A8 angefügt. Analyse der Auswirkungen der PD auf die deutsche EZ eingearbeitet und ist entsprechend im Text kenntlich gemacht. Der vollständige Fragebogen ist im Anhang A8 zu finden.
1.4 Aufbau der Arbeit
Im Anschluss an diese Einleitung werden im Kapitel II die Millennium Erklärung und die MDG insgesamt und das MDG 1| Beseitigung der Armut und des Hungers als Einführung in die komplexe Thematik der EZ ausführlich diskutiert. Am Beispiel Sambias als eines der ärmsten Länder der Welt werden die MDG 1-7 und deren Umsetzung dargestellt. Da das Ziel 8| Auf- bau einer globalen Entwicklungspartnerschaft eine wichtige Grundlage für diese Arbeit, die Fragestellung der Wirksamkeit der EZ und besonders die zukünftigen Anforderungen an die Gebernationen darstellt, wird dieses gesondert betrachtet. Im Kapitel III sind die Ausgangs- punkte der Entwicklung, die Wirksamkeit des EZ-Engagements, die Evaluierung und die Macht- und Hierarchiestrukturen in der Geber-Empfängerbeziehung aufgezeigt. Die Debatte um die Wirksamkeit der EZ wird im Kapitel 3.2 betrachtet, und am Beispiel des so genannten „Sachs-Berichts“ exemplarisch dargestellt.
Im Kapitel IV ist die Paris Declaration und deren Kernprinzipien grundlegend erläutert. Die Umsetzung der PD wird anhand der Kernprinzipien und der Indikatoren auf internationaler Ebene diskutiert. Auch Schwierigkeiten in der Umsetzung und kritische Betrachtungen fließen hier mit ein. Anhand der Evaluierungsberichte der OECD 2006 und 2008 ist die Umsetzung des Gesamtkonzeptes PD im Kapitel 4.5 „ Old habits die hard “ dargelegt und der Weg zur Accra Agenda for Action (September 2008) im Kapitel 4.6 beschrieben.
Im Kapitel V Die Deutsche Entwicklungszusammenarbeit und die Umsetzung der Paris Dec- laration werden die Auswirkungen der PD auf das System der deutschen EZ untersucht. Ein- leitend sind die Grundzüge, die Zielsetzungen und die wichtigsten Akteure der deutschen EZ erläutert. In den darauf folgenden Kapiteln sind die Ergebnisse des OECD Prüfberichts über die Entwicklungszusammenarbeit Deutschlands, und des Berichts „ Evaluation of the Imple- mentation of the Paris Declaration: Case Study of Germany “ dargelegt. Im Anschluss werden die Auswirkungen der PD auf die deutsche Entwicklungszusammenarbeit im Kapitel 5.5 er- läutert und zusammengefasst.
Die Arbeit endet mit einer Schlussbetrachtung und einem Ausblick (Kapitel VI). Darauf folgen die Literaturangaben und der Anhang, unter anderem mit der Paris Declaration on Aid Effectiveness und dem Fragebogen der Erhebung.
II Die Millennium Erklärung und die Millennium Development Goals (MDG)
Das Ende des Ost-West-Konflikts und die damit einhergehende globale Wende war beson- ders für die Krisengebiete und die armen Länder der Welt mit der Hoffnung verbunden, in Frieden und Freiheit zu leben und an einer wirtschaftlichen Entwicklung teilzuhaben. „ Doch es kam anders. [ … ] Kurz vor der Jahrtausendwende mussten die Vereinten Nationen eine bittere Bilanz ziehen: Mehr als eine Milliarde Menschen leben in extremer Armut, immer mehr Menschen müssen hungern, und die Schere zwischen armen und reichen Staaten ver- gr öß ert sich zusehends. [ … ] Alle bisherigen Entwicklungsanstrengungen konnten die extre- me Armut nur in Ansätzen lindern “ (LASCHET 2006, S. 11). Die Verabschiedung der Millenni- um-Erklärung am 8. September 2000 ist die erste globale, allgemeingültige Übereinkunft für eine Zukunftssicherung, welche durch nachhaltige Entwicklung und globale partnerschaftli- che Zusammenarbeit erreicht werden soll.
Die Herausforderungen der Millennium-Erklärung sind in vier Handlungsfeldern zusammen- gefasst:
1| Frieden, Sicherheit und Abrüstung
2| Entwicklung und Armutsbekämpfung
3| Schutz der gemeinsamen Umwelt
4| Menschenrechte, Demokratie und gute Regierungsführung.
Diese grundlegenden Handlungsfelder und deren Umsetzung bedingen sich gegenseitig und sollen in Hinblick auf das Ziel der globalen Zukunftssicherung kohärent gestaltet werden. Die Millennium-Erklärung bildet somit das Oberziel zur Zukunftssicherung (vgl. BMZ 2005c, S. 7). Mit der Verabschiedung der Millennium Development Goals (MDG) im selben Jahr durch 189 Mitgliedsstaaten der United Nations hat sich die Staatengemeinschaft auf verbindliche Ziele für die Erreichung der Anforderungen der Millennium-Erklärung geeinigt. Weltweite Verbes- serungen in den Bereichen Frieden, Sicherheit, Entwicklung, Menschenrechte und Gesund- heit zu erreichen und den Bedürfnissen der Armen ein stärkeres politisches Gewicht zu ge- ben (vgl. UN 2005a, S. 5). Die MDG sind die bisher umfassendste Übereinkunft über die Be- kämpfung der globalen Ungleichgewichte, insbesondere in den Bereichen Armut und Hunger (vgl. BMZ 2005a, S. 3). Die MDG ermöglichen auch eine hochrangige politische Kooperation zwischen Geber- und Empfängerstaaten, Zivilgesellschaften und den international agieren- den Institutionen der EZ. So wurde eine übergeordnete Rahmenstruktur erzeugt, um die Ak- tivitäten zu bündeln und den Zielen insgesamt ein größeres Gewicht zu verleihen, sowie die in der Millennium Erklärung noch unverbindlichen Absichtserklärungen durch Indikatoren als Maßstäbe zur Erfolgskontrolle zu erhärten (vgl. NUSCHELER/ROTH 2006, S. 21).
Der verbindliche Zeitplan, die Erfolgskontrolle und Sicherstellung der Messbarkeit und der Vergleichbarkeit sollen die Zielerreichung der MDG gewährleisten. Inhaltlich sind die MDG auf die Bedürfnisse der Entwicklungsländer (EL) fokussiert, die wie die Industrieländer im Rahmen der MDG Verpflichtungen eingegangen sind, die Lebenssituation der Armen und Benachteiligten zu verbessern (vgl. UN 2005a, S. 5).
Durch die globale Relevanz, den Charakter der Selbstverpflichtung und die Einigung auf verbindliche Ziele genießen die MDG weltweit eine sehr hohe Popularität. Sowohl in Geber-, als auch Empfängerstaaten wurden die nationalen Kampagnen und Initiativen der Entwicklungszusammenarbeit den MDG gemäß umgestaltet.
Die acht MDG im Überblick (vgl. BMZ 2005a, S. 4f.):
1| Die Beseitigung der extremen Armut und des Hungers
2| Die Verwirklichung der allgemeinen Grundschulbildung
3| Förderung der Gleichstellung der Geschlechter und der Ermächtigung der Frauen
4| Senkung der Kindersterblichkeit
5| Verbesserung der Gesundheit von Müttern
6| Bekämpfung von HIV/AIDS, Malaria und anderen Krankheiten
7| Sicherung derökologischen Nachhaltigkeit
8| Aufbau einer globalen Entwicklungspartnerschaft
Die MDG 1| - 7| sind besonders relevant für die EL, das MDG 8| bezieht sich auf die Verbes- serung der Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit und ist besonders für die Geber wesentlich. Jedes dieser Ziele ist, wie oben beschrieben, mit konkreten Zielvorgaben und Indikatoren verknüpft. Exemplarisch soll im folgenden das MDG 1| aufgrund seiner übergrei- fenden Bedeutsamkeit für die MDG ausführlich besprochen werden: Gründe für diese Be- deutung sind: Das MDG 1| zielt auf die Armuts- und Hungerbekämpfung ab, den wichtigsten und populärsten Aufgaben der EZ die von den Geberstaaten und den supranationalen Insti- tutionen in den benachteiligten Ländern geleistet wird. Und die Halbierung der Armut ist zu einem Schlagwort in der besonders von NGO geführten Debatte um die Wirksamkeit der EZ und der globalen Ungerechtigkeiten geworden. Anschließend wird das MDG 8| wegen der besonderen Relevanz für die Thematik dieser Arbeit dargestellt.
2.1 Das MDG 1| Beseitigung der extremen Armut und des Hungers
Das MDG 1| Die Beseitigung der extremen Armut und des Hungers ist mit den Zielvorgaben eins und zwei verknüpft:
Mess- und vergleichbar werden die Zielvorgaben durch die Anwendung allgemein verbindli- cher Indikatoren. Diese geben Auskunft über den Anteil der Bevölkerung der mit weniger als einem US$ pro Tag auskommen muss, der Anteil, den das ärmste Fünftel der Bevölkerung am gesamten nationalen Konsum hat oder der Anteil der untergewichtigen Kinder unter fünf Jahren. Durch diese Messgrößen kann die Implementierung der MDG international bewertet und verglichen werden und wenn notwendig, weitere Entwicklungen beziehungsweise wei- tergehende Maßnahmen zur Verbesserung der Lage beobachtet und veranlasst werden (vgl. BMZ 2005a S. 5).
Der Begriff Armut umfasst nicht nur unzureichendes Einkommen, sondern schließt auch die Benachteiligung der Betroffenen im Bereich Bildung, Menschenrechte und -würde, bei der Beteiligung an politischen und wirtschaftlichen Vorgängen und des fehlenden Zugangs zu Ressourcen mit ein (vgl. BMZ 2005b S. 4). Damit werden Hunger und Armut durch viele Ein- flussgrößen maßgeblich bestimmt. Neben kriegerischen Handlungen, politischen und wirt- schaftlichen Unwägbarkeiten, staatlichen Interventionen, Staatszerfall, Bildung, dem globa- len Handel, Exportsubventionen, Protektionismus und die aus diesen Faktoren resultierende regionale, interregionale sowie internationale Migration, sind hier besonders die agrarische Nutzbarkeit des Landes, wiederkehrende Naturkatastrophen wie Dürren oder Überschwem- mungen, und die Zerstörung der natürlichen Umwelt von größter Relevanz (vgl. ebd., S. 40). Durch Anstrengungen im Bereich der good governance[12], aber auch in der Förderung des Agrarsektors, der Privatwirtschaft, Bildung, Konfliktbewältigung, Friedenssicherung, Gesund- heitsvorsorge oder der Gleichstellung der Geschlechter versuchen die internationalen Institu Good governance steht für leistungsfähige politische Institutionen, sowie einen verantwortungsvollen Umgang des Staates mit politischer Macht und öffentlichen Ressourcen (GTZ 2008a, o. S.)tionen und Organisationen, sowie die Geber- und Empfängerstaaten die Armut in diesem eng verzahnten Netz von Einflussgrößen zu mindern. Um nachhaltige Verbesserungen zu erreichen, müssen grundsätzlich die Strukturen anstelle von Einzelmaßnahmen verändert werden (vgl. BMZ 2005b, S. 25).
In der Debatte um die Armutsbekämpfung ist eine Kontroverse entstanden zwischen der Position der Grundbedürfnisstrategien, bei denen die Armut durch rein sozialpolitische Konzepte unter Vernachlässigung der Bedeutung der wirtschaftlichen Dynamik bekämpft wird und der diametral entgegengesetzten, ausschließlich wachstumstheoretischen Position, bei der von automatischen armutsmindernden Effekten der Trickle-Down Theorie[13] ausgegangen wird. Die Debatte um die Wirksamkeit der EZ wird detaillierter im Kapitel III besprochen, es kann aber vorweg genommen werden, dass die oben genannten Einflussgrößen der Armut in einem komplexen Wirkungszusammenhang stehen und Fehlentwicklungen im Voraus einkalkuliert werden müssen, denn es können keine allgemeingültigen Strategien für die Entwicklung eines Landes oder einer Region angewendet werden.
Die nachfolgende Abbildung zeigt die prozentualen Anteile von extrem Armen[14] in der Bevölkerung in den besonders betroffenen Weltregionen.
Das Trickle-Down Theorem geht von einem allmählichen „Durchsickern” des Wohlstandes auch zu den ärmsten Gesellschaftsschichten aus, begriffsbestimmend war hier die US-Regierung unter R. Reagan, die mit diesem Ansatz Wohlstand für alle Amerikaner erreichen wollte (vgl. THE OXFORD PRESS 1998, o. S.).
Die von extremer Armut Betroffenen haben weniger als einen US$ pro Tag zur Verfügung.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Prozentuale Anteile der extrem Armen an der Gesamtbevölkerung in ausgewählten Weltregionen
Zwischen 1990 und 2004 hat sich die Zahl der extrem Armen aus globaler Perspektive stark verringert. Der Anteil der extrem Armen an der Bevölkerung in den Entwicklungsländern ins- gesamt ist von rund 28 % auf ca. 19 % gesunken. Hauptursache für diese positive Entwick- lung ist das kontinuierliche Wirtschaftswachstum im asiatischen Raum. Im Schwerpunkt der Armut, den SSA-Staaten, hat sich die Situation hingegen ab dem Jahr 2001 verschlechtert (vgl. UN 2005a, S. 7). Hauptgründe sind hier vor allem die nach wie vor schlechte Wirt- schafts- und Beschäftigungslage, die Stagnierung in der landwirtschaftlichen Produktion, die Auswirkungen der Pandemien von HIV/Aids und Malaria und kriegerische Auseinanderset- zungen. Bei der Untersuchung aus dem Jahr 2004 ist der Anteil der extrem Armen in SSA wieder leicht gesunken, von 46,4 % auf 41,1 %. Dies zeigt, dass durch Veränderungen der oben genannten Einflussgrößen die Lage der Armen in relativ kurzen Zeitabständen verbes II Die Millennium Erklärung und die Millennium Development Goals (MDG) 10 sert aber auch verschlechtert werden kann. Die starke Zunahme von extrem Armen in den ehemaligen Sowjetrepubliken bzw. Nachfolgestaaten der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR) und den Transformationsländern in Südosteuropa lässt sich mit dem Zusammenbruch der UdSSR und dem damit einhergehenden wirtschaftlichen und politischen Systemwechsel erklären.
Zwischen den Staaten der SSA und den übrigen Entwicklungsländern ergibt sich des Weiteren eine Schere in den durchschnittlich pro Tag verfügbaren Werten der Versorgung:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Durchschnittlicher Wert (in US$), den die extrem Armen pro Tag zur Verfügung haben
Auch anhand dieser Abbildung lässt sich erkennen, dass sich im Zeitraum 1990 bis 2001 die Situation der extrem Armen in den SSA-Staaten verschlechtert hat. Die durchschnittliche Verfügbarkeit von monetären oder materiellen Werten pro Tag in US$ ist hier gesunken. Be- sonders der im Vergleich mit den übrigen Entwicklungsländern viel niedrigere Durchschnitt der verfügbaren Werte stellt die Konzentration von extremer Armut in den Staaten SSA dar. Trotz intensiver Bemühungen - die Staaten des SSA sind ein Schwerpunkt des Engage- ments der internationalen EZ - konnten Verbesserungen nicht erreicht werden. Dieser Um- stand war und ist ein wichtiger Auslöser der Debatte über die Wirksamkeit der internationa- len EZ.
Der erhebliche Anstieg der Lebensmittel- und Energiepreise im Frühjahr 2008 hat die Situa- tion der extrem Armen und vom Hunger Betroffenen weiter verschärft. WIGGINS / LEVY (2008, S. 1ff.) sehen dabei das Aufeinandertreffen verschiedener Ereignisse für den dramatischen Preisanstieg verantwortlich. Dazu zählen, unter anderem extreme Klimaereignisse, wie eine Dürreperiode auf dem australischen Kontinent, die Verteuerung der Düngemittel durch höhe- re Erdölpreise oder die vermehrte Produktion von Bio-Ethanol als Energielieferant. Die Preisspekulationen an den Warenbörsen können zusätzlich als preistreibender Faktor ange- fügt werden. Einzeln für sich genommen hätten diese Faktoren nur geringe Auswirkungen auf die Preise gehabt, ihr zeitnahes Aufeinandertreffen aber hat die aktuelle Krise ausgelöst.
Neben der oben beschriebenen direkt oder indirekt durch wirtschaftliche Effekte vom Hunger bedrohten Bevölkerung sind laut WIGGINS / LEVY lebensmittelimportabhängige Staaten und die Institutionen der Lebensmittelsoforthilfe, wie das World Food Programme besonders be- troffen, da sie erheblich mehr Devisen für den Import bzw. Finanzmittel für den Lebensmittel- kauf aufwenden müssen. Die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- wicklung Heidemarie Wieczorek-Zeul zieht daraus folgendes Fazit: „ 100 Millionen Menschen sind zusätzlich von Hunger bedroht, Konflikte um Nahrungsmittel und Ressourcen, die inter- nationale Sicherheit ist bedroht. Ohne sofortiges Handeln besteht die Gefahr, dass Fort- schritte bei der MDG-Erreichung der letzten 7 Jahre zunichte gemacht werden “ (BMZ 2008a, o. S.).
Besonders SSA ist im Vergleich zu anderen Regionen von einigen strukturellen Voraussetzungen und geschichtlichen sowie geographischen Problemen betroffen, die die weitere Entwicklung dieser Weltregion erschweren. Um auch in Hinblick auf die in den nächsten Kapiteln vorgestellte Diskussion der Wirksamkeit und Entwicklung und ein Beispiel für deren Einflussfaktoren in dieser Schwerpunktregion der Entwicklungszusammenarbeit darzustellen, werden die Gründe für diese Situation in SSA detailliert dargestellt:
In 48 SSA Staaten leben ca. 700 Mio. Menschen, deren Lebenssituation sich sehr unter- schiedlich darstellt. Das wirtschaftlich relativ erfolgreiche Südafrika hat sich zu einem Schwellenland entwickelt und fungiert als politische Regionalmacht. Verbesserungen können auch im Bereich der Demokratisierung beobachtet werden. In 40 von 48 Staaten finden re- gelmäßige Wahlen unter Beteiligung mehrerer Parteien statt. Einige Staaten in SSA verfügen über reiche Rohstoffvorkommen, darunter Erdöl, Gold, Diamanten und andere. Dem gegen- über stehen aber in einigen Staaten grassierende Armut, Hunger, hohe HIV und Malaria- Infektionsraten, eine geringe Lebenserwartung, Staatskrisen, kleptokratische Regimes, hohe Staatsverschuldung, die sehr geringe Rolle im Welthandel, fragile Staaten und Kriege, die die Entwicklung der Staaten in SSA massiv beeinträchtigen (vgl. BMZ 2006a, S. 361f.). Gründe für diese besondere Situation[15] sind unter anderem (vgl. UN MP 2005, S. 148ff.; NEPAD 2001, S. 5ff, HERBERT 2006, S. 212ff.):
I. Infrastruktur: Die oft schlechte Qualität der Infrastruktur und die hohen Kosten des Transportwesens sind wesentliche Entwicklungshindernisse. Besonders deutlich wird dies bei der Qualität der Straßenverbindungen und dem Fehlen gut ausgebauter, kontinentaler Verkehrswege. Zudem sind beispielweise die großen Flüsse kaum mit Handelsschiffen befahrbar. Zu kleine Märkte, bedingt durch regional niedrige Bevöl- kerungsdichten, erhöhen die Transportkosten zusätzlich und beeinträchtigen die wirt- schaftliche Dynamik. Die aufgeführten Gründe gelten nicht für alle Staaten gleichermaßen. Sie können aber teilweise auch auf andere Weltregionen übertragen werden.
II. Korruption wird häufig als entscheidendes Investitionshindernis genannt. Durch korrupte Systeme werden wirtschaftliche Abläufe behindert und Regierungsentschei- dungen beeinflusst. Öffentliche Gelder werden „privatisiert“ und fehlen so für öffentli- che Aufgaben.
III. Bürokratie und governance: Die teils überbordende Bürokratie und die Unzuverlässigkeit vieler staatlicher Stellen und die teilweise fehlende Rechtsstaatlichkeit verlangsamen oder verhindern Entwicklungsprozesse jedweder Art.
IV. Bildung und Ausbildung: Es besteht ein Mangel an technischen Arbeitskräften, sowie Fachkräften in den Bereichen allgemeines Management, Buchhaltung und Projektmanagement.
V. Abhängigkeit von internationalen Finanzinstitutionen und Entwicklungszuwendungen: Durch Konditionalitäten[16] wird die Mittelverwendung von externer Seite gesteuert. Zu große Abhängigkeit verhindert Eigeninitiative, zudem können Gelder zum großen Teil nicht selbstbestimmt investiert werden.
VI. Zu geringe Sparrate bei zu hohem Bevölkerungswachstum: Hierdurch kann nur wenig Kapital angehäuft werden, welches für die privatwirtschaftliche Entwicklung vonnöten wäre.
VII. Klima: Die teils extremen klimatischen Bedingungen auf dem afrikanischen Kontinent beeinflussen den Nahrungsmittelanbau. Große Wasserverluste durch Evapotranspi- ration aufgrund der hohen Temperaturen, Extremereignisse wie Dürren oder die un- regelmäßigen Regenfälle beeinträchtigen die afrikanische Landwirtschaft.
VIII. Die Pandemien HIV/AIDS, Malaria und Tuberkulose haben ihren Verbreitungs- schwerpunkt im südlichen Afrika. Von den jährlich etwa eine Million Todesfällen, die der Malaria zugeschrieben werden, sind ca. 90 % dem südlichen Afrika zugeordnet.
IX. Die jahrhundertelange koloniale Ausbeutung, der Sklavenhandel und die geostrategi- sche Grenzziehung durch die europäischen und zum Teil arabischen Kolonialmächte haben zu vielfältigen aktuellen Problemen geführt. Die willkürliche Grenzziehung durch Kolonialmächte, ohne Rücksicht auf die Belange der Stämme und Volksgrup- pen, ist Grundlage vieler Konflikte und Bürgerkriege. Eine weitere Belastung war und ist die Rolle Afrikas als Austragungsort der Stellvertreterkriege des Kalten Krieges.
X. Besonders im Bereich der Landwirtschaft und der Gesundheitsvorsorge schreitet die
Verbreitung moderner Technologien nur sehr langsam voran. Beispielsweise fand bis heute, anders als in Asien, keine flächendeckende „Grüne Revolution“[17] statt.
Unter diesen Voraussetzungen soll im Folgenden die Problematik um die Erreichung der MDG anhand des Beispiellandes Sambia aufgezeigt werden, welche Einflussgrößen auf die Entwicklung von Hunger und Armut einwirken und welche Anstrengungen unternommen werden, um die MDG zu erreichen.
2.2 Sambia als Beispiel für die Umsetzung der MDG
Sambia war ein vergleichsweise wohlhabendes Land. Ausgestattet mit einem funktionieren- den Gesundheitssystem und Ausbildungsstätten in fast allen Provinzen, verfügte das Land über ausreichende Einkommen aus dem Abbau von Kupfer - dem bis heute wichtigsten Ex- portgut. Mit diesem Auskommen aus dem Export konnten auch Infrastruktur- und Entwick- lungsprogramme finanziert werden. In den 1970er Jahren verfiel der Weltmarktpreis für Kup- fer und gleichzeitig stiegen die Preise für Produkte auf Erdölbasis (vgl. AFRODAD 2003, S. 12f.). „ The political leaders misjudged the economic events of the time and thought that copper prices would recover — fast enough to reverse the economic downswings. Their op timism was proved wrong. Zambia has never recovered from the copper and oil shocks of the 1970s “ (AFRODAD 2003, S. 13).
Der Human Development Index[18] der UNDP taxiert Sambia im Jahr 2005 auf Platz 165 von 177 untersuchten Staaten. Besonders in den Bereichen der Lebenserwartung, des Bruttoso- zialproduktes, der Alphabetisierungsrate und Einschulungsquote werden für Sambia sehr schlechte Werte angegeben (vgl. UNDP HDI 2007, o. S.). In Zusammenarbeit mit den Institu- tionen der UN hat die Regierung in Sambia einige Aktivitäten angestoßen, um die MDG zu erreichen. Darunter etwa den 5th National Development Plan (FNDP) im Jahr 2005, bei dem die UN vor allem das Training und die Beratung von Regierungs- und zivilgesellschaftlichen Organisationen finanziell und technisch unterstützt, um den Fokus verstärkt auf die Armuts- bekämpfung zu richten und die Erreichung der MDG zu gewährleisten. Darüber hinaus wur- de eine Studie erstellt, welche die zu erwartenden Kosten veranschlagen soll, die für die Er- reichung der MDG anfallen werden (vgl. MDG MONITOR 2008, o. S.). Der FNDP 2006-2011 ist auf die Armutsreduktion fokussiert, aber Sambia konnte bis dato für das MDG 1| kaum Erfolge verzeichnen, teilweise verschlechterte sich die Lage in Teilbereichen. So zählen im Jahr 2005 rund 63 % der Bevölkerung zu den extrem Armen, die weniger als einen US$ pro Tag zur Verfügung haben, 84 % verfügen über weniger als zwei US$ pro Tag. Im Vergleich zum Jahr 1990 sind heute mehr Menschen von extremer Armut betroffen (vgl. ONEWORLD UK 2008, o. S.). Tatsächlich ist die Armut regional sehr unterschiedlich verteilt: Besonders in den ländlichen Provinz ist die Armut grassierend, in wenigen Provinzen liegt der Anteil der extrem Armen relativ gesehen bei nur 35 %, in anderen Provinzen hingegen weit über den durchschnittlichen 65 % (vgl. SCHEFFLER 2006, S. 11).
Obwohl die Ernten in den vergangenen Jahren relativ gut waren, ist die Ernährungssicherheit weiterhin in einigen Regionen aufgrund der lokal sehr unterschiedlich auftretenden Regenfäl- len nicht gegeben. Als weitere Gründe für die Probleme in der MDG Zielerreichung sind die viert höchste HIV Infektionsrate weltweit, die Verbreitung von Malaria und das überforderte Gesundheitswesen anzuführen. Neben der großen Zahl von HIV/AIDS- und Malariakranken wirken zusätzliche Effekte auf das Gesundheitssystem Sambias: Zum Einen die Abwande- rung der medizinischen Fachkräfte (Ärzte und Krankenpfleger) in europäische Staaten oder die USA aufgrund der besseren Arbeitsbedingungen und Bezahlung. Zum Anderen wird durch die Einführung der kostenlosen Krankenfürsorge 2005 in ländlichen Gebieten die be- stehende Infrastruktur weiter überlastet (vgl. ONEWORLD UK 2008, o. S.). Die Privatisierung von Staatsunternehmen und die Diversifizierungsstrategie in der Wirtschaft haben noch nicht die erhofften Erfolge bei der Generierung von Arbeitsplätzen erbracht und die Abhängigkeit vom Kupferexport noch nicht verringert. Durch Krisen und Bürgerkriege in den Nachbarstaa- ten halten sich rund 117.000 Flüchtlinge, größtenteils kongolesischer und angolanischer Herkunft, in Sambia auf, deren Rückkehr in ihre Heimat ungewiss ist. Sie stellen eine zusätz- liche Belastung für die lokale Sicherstellung der Ernährung dar. Darüber hinaus erschweren die ausufernde Korruption, Missachtung der Menschenrechte und die oft fehlende Gleichstel- lung der Geschlechter die Erreichung der MDG.
Durch die Heavily Indebted Poor Countries (HIPC) Initiative[19] und die Erholung des Welt- marktpreises für Kupfer konnte der Schuldenstand Sambias von US$ 7 Mrd. auf US$ 600 Mio. gesenkt werden. So konnten freigewordene (Zins-) Mittel für die Verbesserung der Er- nährungssicherheit, Infrastruktur, Bildung, Gesundheitsvorsorge sowie für Maßnahmen zur Wirtschaftsförderung verwendet werden (vgl. ONEWORLD UK 2008, o. S.). Trotz der oben genannten Probleme und Verschlechterung in einigen Bereichen hält die Mehrheit der Akteure die Erreichung der MDG in Sambia für möglich. Das UNDP ZAMBIA (2008, o. S.) sieht etwa gute Chancen bei MDG 1| Beseitigung der extremen Armut und des Hungers, 2| Verwirklichung der allgemeinen Grundschulbildung - heute liegt der Einschu- lungsgrad bei 95 %, 3| Förderung der Gleichstellung der Geschlechter, und 6| Bekämpfung von HIV/AIDS, Malaria. Die Ziele 4| Senkung der Kindersterblichkeit und 5| Verbesserung der Gesundheit von Müttern werden möglicherweise erreicht. Wohingegen Ziel 7| Sicherung derökologischen Nachhaltigkeit wahrscheinlich nicht erreicht wird. Gründe hierfür sind die Entschuldungsinitiative für hochverschuldete, arme Länder, s. Kapitel 2.3.3.
Auswirkungen des Klimawandels, mit in den letzten zwei Dekaden gehäuft auftretenden Ex- tremereignissen wie Dürren, Überschwemmungen, extremer Hitze und einer kürzeren Re- genperiode. Die Folgen sind Erosion, Degradierung der Qualität der Ackerböden, Verlust von fruchtbarem Land oder die Reduktion der Fischbestände. Damit sind die Biosphären und die Lebensgrundlage der Bevölkerung gefährdet, die zu einem großen Teil in der Sub- sistenzwirtschaft lebt (vgl. RICHÉ 2007 S. 26ff.). Rund 75 % der Bevölkerung ist direkt oder indirekt abhängig von der Landwirtschaft, die ca. 20 % des Bruttoinlandsprodukts ausmacht (vgl. FAO 2005, o. S.). Im Bereich der Trinkwasserversorgung konnten im ländlichen Raum Verbesserungen erzielt werden, im Jahr 1990 waren noch 62 % der ländlichen Bevölkerung ohne Zugang zu einwandfreiem Trinkwasser, im Jahr 2002 48 %. Das Ziel der Halbierung auf 31 % fordert demnach noch einige Anstrengungen (vgl. UNDP ZAMBIA 2005, S. 2). Die Auswirkungen des Klimawandels und die große Bedeutung der Landwirtschaft wiederum stellen eine Gefährdung für die Sicherstellung der Ernährung und die Beschäftigungslage - und damit für die Erreichung des MDG 1| dar.
2.3 Das MDG 8| Aufbau einer globalen Entwicklungspartnerschaft
Mit dem MDG 8| sind die Akteure aufgefordert, verbesserte Rahmenbedingungen für eine effektive und effiziente Entwicklungszusammenarbeit zu schaffen und tiefgreifende Veränderungen in der Praxis, institutioneller Organisation und Strategien der EZ vorzunehmen. Da dieses Millenniumziel entscheidend für die Thematik dieser Arbeit ist, werden die Zielvorgaben und die dazugehörigen Indikatoren detailliert aufgeführt.
Bei der Umsetzung sind insbesondere die Gebernationen aufgefordert, die Rahmenbedin- gungen zu schaffen und zu erweitern, die es den Entwicklungsländern ermöglichen, ihren Verpflichtungen im Zuge der MDG 1| - 7| nachzukommen. Hieraus resultieren die Anforde- rungen an die Geber für die nächsten Jahre. Aber auch den Entwicklungsländern ist aufge- tragen etwa die systemischen Rahmenbedingungen - zum Beispiel im Bereich good gover- nance - im Land zu verbessern, um eine effiziente und effektive EZ zu ermöglichen. Im Ver- antwortungsbereich der Entwicklungsfinanzierung ergeben sich für die Industrieländer bis 2015 und darüber hinaus weitreichende Veränderungen (vgl.BMZ 2006a, S. 296).
Bereits in den 1970er Jahren wurde von der UN eine Erhöhung der ODA -Zahlungen auf 0,7 % der Geber-Bruttonationaleinkommen (BNE) gefordert. Aber erst 2002 wurde auf der Internationalen Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung im mexikanischen Monterrey ein verbindlicher Zeitplan für die Verwirklichung dieses Zieles im Jahr 2015 beschlossen. Die Mitgliedstaaten der Europäische Union (EU) haben sich darüber hinaus auf ein Zwischenziel geeinigt: Bis 2010 sollen die Entwicklungsleistungen der einzelnen Mitgliedstaaten auf 0,51 % des BNE gesteigert werden, die Entwicklungsleistungen der EU werden dann insge II Die Millennium Erklärung und die Millennium Development Goals (MDG) 16 samt 0,56 %[20] der BNE betragen (vgl. BMZ 2006a, S. 425f.). Dänemark, Luxemburg, Schweden, die Niederlande und Norwegen leisten bereits Entwicklungsleistungen von 0,7 % oder mehr ihrer jeweiligen BNE. Im Jahr 2005 ist die insgesamt aufgewendete Summe für die Internationale Entwicklungszusammenarbeit von US$ 79 Mrd. auf US$ 106,8 Mrd. ge- stiegen (vgl. UN 2005, S. 36, BMZ 2006a, S. 425f.). Diese Steigerung ist hauptsächlich den massiven Schuldenerlässen für Entwicklungsländer zu verdanken, Profiteure waren hier vor allem Nigeria und der Irak. Im darauf folgenden Jahr ist die Summe der weltweit aufgewen- deten ODA auf US$ 103 Mrd. gesunken. Dies entspricht 0,3 % der Bruttonationaleinkommen der Industrieländer. Werden die Schuldenerlässe aus diesem Rückgang von 5,1 % exkludiert, wurden immer noch 1,8 % weniger Mittel aufgewendet als im Jahr 2005 (vgl. UN DESA 2007, S. 28). Um die Anforderungen des 0,7 %-Zieles zu erreichen, müssen die ODA-Leistungen der Geberländer in den folgenden Jahren verdoppelt bis verdreifacht werden - angesichts der in den meisten Staaten angespannten Haushaltslage ist die Realisierung fraglich. Das MDG 8| Aufbau einer weltweiten Entwicklungspartnerschaft ist mit den Zielvorgaben 1218 definiert:
2.3.1 MDG 8| Zielvorgabe 12
Die Globalisierung soll gemäß der Millennium-Erklärung für alle Staaten und deren Bürger positive Effekte haben. Bis heute wirken Zölle und Einfuhrbeschränkungen einem offenen Handels- und Finanzsystems entgegen. Dies behindert die Integration der EL in die Welt- märkte. Durch die Integration soll das Produktionsniveau durch Anwendung neuer Technolo- gien erhöht, oder Agrarprodukte zollfrei in die Industrieländer exportiert werden. Eine gänzli- che Öffnung der Märkte kann aber auch die Verletzbarkeit strukturschwacher Länder durch schwankende Weltmarktpreise erhöhen und ist anfangs mit Anpassungskosten und oft mit negativen Auswirkungen verbunden. Viele Länder konnten in den letzten Jahren ihren Welt- marktanteil erhöhen. So stieg der Anteil der Entwicklungsländer an den weltweiten Exporten von 27,7 % im Jahr 1994 auf 33,4 % in 2004. Aber insbesondere die am wenigsten entwi- ckelten Länder konnten die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Volkswirtschaften nicht verbessern.
Die Differenz entspricht den Entwicklungsleistungen der verschiedenen Institutionen der Europäischen Union.
Afrikas Anteil an den globalen Exporten lag 2004 bei nur 2,2 % - dabei besteht der größte Teil dieser Exporte (Afrika ca. 75 %, Westasien ca. 78 %) aus Rohstoffen (vgl. BMZ 2006a S. 298f.), die mehrstufige und damit besonders arbeitsplatzschaffende und gewinnbringende Weiterverarbeitung erfolgt größtenteils in den Zielländern.
In der Mehrheit der EL ist die Landwirtschaft der wichtigste Wirtschafts- und Beschäftigungs- zweig und trägt oft zu einem sehr hohen Anteil am Bruttosozialprodukt bei. Da rund 3,1 Mrd. Menschen in diesen Staaten direkt oder indirekt von der Landwirtschaft abhängig sind, er- weisen sich die Agrarsubventionen der Industrieländer, vor allem aus den USA und der EU weiterhin als problematisch, da diese durch ihre Steuer-, Preis- und Strukturpolitik den hei- mischen Bauern bzw. Agrarunternehmen ausreichende Preise versprechen. Die Preise der subventionierten Produkte liegen jedoch unter dem Weltmarktniveau bzw. unter dem Niveau der lokalen Märkte. Durch ihren Export in Entwicklungsländer können die einheimischen Produkte nicht mehr mit diesen konkurrieren. Die Kleinbauern in den EL können ihre Er- zeugnisse nicht mehr zu einem kostendeckenden Preis auf den lokalen Märkten absetzen. Die Folge daraus sind Einkommenseinbußen, die Unfähigkeit Kredite für Arbeitsmittel (Saat- gut und Düngemittel) zu tilgen und die anfallenden Zinsen zu bezahlen. Da die landwirt- schaftlichen Betriebe normalerweise die Großfamilie beschäftigen und ernähren sowie Be- schäftigungs- und Einkommensalternativen rar sind, droht schließlich die Verarmung der Bauern. So werden etwa in Ghana und anderen westafrikanischen Staaten viele Geflügelhal- ter in ihrer Existenz bedroht, da Geflügelteile[21] aus der EU zu Dumpingpreisen[22] importiert werden (vgl. THALMANN 2008, S. 313; WIECZOREK-ZEUL 2008, S. 250f.; SHARMA 2006, S. 24f.). Als Folge der Importe wird die landwirtschaftliche Produktion im importierenden Land zurückgefahren, die Lebensmittelpreise verfallen und Investitionen besonders im ländlichen Bereich werden nicht mehr oder nur noch in geringem Umfang getätigt (vgl. GROTE/WOBST 2005, S. 3).
Ein weiteres Hemmnis bei der Integration der EL in den Welthandel ist die Zolleskalation, die höhere Besteuerung von weiterverarbeiteten Produkten in Relation zu den in diesen enthal- tenen Rohstoffen oder Agrargütern. Grund für die Protektion mittels dieses Instrumentariums ist neben dem Schutz der Erzeuger die Arbeitsplatzsicherung im verarbeitenden Gewerbe. So müssen beispielsweise für die Einfuhr von Tomatenprodukten in die EU (z.B. Tomaten- mark oder -soße) grundsätzlich höhere Zölle einkalkuliert werden als für unverarbeitete, fri- sche Tomaten aus Südamerika oder Nordafrika. Während der Hauptsaison der Tomatenern- te in Europa werden aber wiederum für frische Tomaten viel höhere Importzölle erhoben, um die Erzeuger v. a. in Spanien und Italien vor billigeren Importen aus Staaten außerhalb der EU zu schützen. Einhergehend mit den oben aufgeführten Folgen werden die Überschüsse aus der tomatenverarbeitenden Industrie Europas beispielsweise nach Westafrika exportiert (vgl. BMZ 2006a, S. 299; SHARMA 2006, S. 16f.).
Besonders in den 1970er Jahren wurden in vielen EL staatliche oder halbstaatliche weiterverarbeitende Betriebe gegründet, um unabhängiger von Importen aus dem Ausland zu werden. Diese Betriebe und ihre Erzeugnisse waren und sind jedoch häufig gegenüber importierten Produkten nicht konkurrenzfähig. Qualitative Mängel, planwirtschaftliche und teure Produktionsmethoden, fehlende Innovationsmöglichkeiten und -bereitschaft, fehlende Infrastrukturen, zu kleine und periphere Absatzmärkte sowie die ausufernde Bürokratie und die Korruption führen zu dieser Situation.
Bei der geplanten und in Teilen schon durchgeführten globalen Marktliberalisierung fällt für diese Industrien der staatliche Schutz weg, und die ausländische Konkurrenz kann die Märk- te durch oft qualitativ hochwertigere, manchmal günstigere Waren stark verändern. Viele Betriebe sind aber in der Lage trotz dieser Bedrohung zu bestehen und exportieren ebenso in ausländische Märkte.
Das zu geringe Kapital und der Mangel an ausreichend ausgebildeten Fachkräften behindern viele Unternehmen im Wettbewerb, so dass zum Beispiel die Optimierung der Betriebsabläu- fe in den Bereichen Einkauf, Verarbeitung, Logistik, Marketing oder die für den Export äu- ßerst wichtigen Investitionen in die Produktklassifizierung und -kennzeichnung, oder in der Produktion nach Öko- und Sozialstandards nicht getätigt werden können und damit die Marktzugänglichkeit erschwert wird (vgl. BMZ 2006a, S. 299, UN DESA 2007, S. 28ff, SHAR- MA 2006, S. 21,29).
Im Jahr 2001 haben die Mitglieder der Welthandelsorganisation WTO[23] in der so genannten Doha-Runde eine Absicht über die Öffnung der Märkte beschlossen, die bis Ende 2004 um- gesetzt werden sollte. Auch die nachfolgenden Gipfeltreffen in Doha, der Hauptstadt des Emirats Katar, scheiterten an unüberbrückbaren Differenzen. Bei den Verhandlungen im Sommer 2008 wurde versucht, eine Einigung über einen „speziellen Absicherungsmecha- nismus“ zu erzielen. Bei plötzlich ansteigenden Importen oder sehr starken Schwankungen der Weltmarktpreise wären die EL in der Lage gewesen, kurzfristig die Importzölle zu erhö- hen, um die heimischen Bauern und Betriebe zu schützen, und deren Risiko abzuschwächen. Auch wenn in fast allen Punkten eine Einigung erzielt werden konnte, wurde der „spezielle Absicherungsmechanismus“ aufgrund der Weigerung Brasiliens, Uruguays, Costa Ricas und der USA nicht beschlossen. Die Regierungen dieser Länder fürchteten neu hinzugewonnene Märkte schnell wieder zu verlieren, wohingegen für Indien und andere Entwicklungsländer der Schutz der armen Bauern im Vordergrund steht.
Insgesamt hat sich das Mächteverhältnis in den Doha-Runden verschoben. Die großen Schwellenländer, allen voran Brasilien, vertreten ihre Interessen nicht mehr in Absprache mit EU und USA, sondern verfolgen eine eigenständige Politik. Sie sind inzwischen ebenfalls zu wichtigen Agrarexporteuren herangewachsen (vgl. THALMANN 2008, S. 313). Deren Wider- stand bei der Aufnahme einzelner Themen wie Handelserleichterungen, Wettbewerbspolitik und Öffentliches Auftragswesen in das Regelwerk der WTO, oder die Weigerung der Indust- rieländer ihre Agrarsubventionspolitik aufzugeben, sind weitere Gründe für das Scheitern der Verhandlungen. Erschwert werden die Verhandlungen durch die große Heterogenität der Entwicklungsländer. Neben den erwähnten neuen Agrarexporteuren, sind viele Länder ab- hängig von Importen. Bei einer im Zuge der Marktliberalisierung erwarteten durchschnittli- chen Steigerung der Weltmarktpreise um 10 % müssen jene Länder mehr für ihre importier- ten Güter einkalkulieren, was deren Volkswirtschaften zusätzlich belastet (vgl. GROTE/WOBST 2005, S. 1f.; BMZ 2006a, S. 302).
Hauptsächlich die Schwellenländer, die über entsprechende Technologien in der Verarbei- tung und Kenntnisse der Märkte verfügen, sind Profiteure dieser Marktliberalisierung. Da etwa Zucker kostengünstig und qualitativ hochwertig in der brasilianischen Agrarindustrie hergestellt werden kann, können viele afrikanische Staaten hier nicht mehr konkurrieren. Sie sind damit Verlierer dieser Liberalisierung in doppelter Hinsicht, da sie vor der Liberalisierung im Rahmen der AKP-Abkommen[24] konkurrenzfreien, bevorzugten Zugang in den EU Markt haben. Deutlich wird dies auch am über 16-jährigen Rechtsstreit zwischen AKP-Mitgliedern, lateinamerikanischen Staaten und der EU. Die AKP-Staaten wehrten sich gegen niedrigere Zölle auf Bananen aus Südamerika, da die AKP-Staaten zollfreien Zugang zum EU-Markt haben und mit der Liberalisierung neue Konkurrenz durch südamerikanische Produzenten bekommen hätten. Durch das neuerliche Scheitern der WTO-Verhandlungen kommt es nicht zu der von der EU im WTO-Kontext versprochenen Senkung der Importzölle für Lateiname- rika. In diesem Fall hätten die AKP-Staaten Kompensationszahlungen erhalten, die bei nun möglicherweise zukünftigen bilateralen Abkommen zwischen der EU und südamerikanischen Staaten nicht mehr aufgebracht werden müssen (vgl. THALMANN 2008, S. 313).
Um das MDG 8| und die Zielvorgabe eines berechenbaren und nicht-diskriminierenden Han- dels- und Wirtschaftssystem dennoch zu erreichen, sollte die Liberalisierung langsam und produktspezifisch vollzogenen werden. Unter Anwendung zielgerichteter Instrumente wie dem „speziellem Absicherungsmechanismus“, können die negativen Auswirkungen in den EL möglicherweise abgemildert werden. Ein verstärktes Engagement der EZ im Bereich Produktion, Handelserleichterungen, oder insgesamt eine Reduktion der Markteintrittsbarrie- ren, könnte ebenso Abhilfe schaffen, wie es beispielsweise schon mit dem „Aid for Tra de“ Programm der EU versucht wird. Diese schon vor der Liberalisierung einzelner Märkte versprochenen Maßnahmen versuchen, die Integration in den Welthandel zu erleichtern und die negativen Auswirkungen und anfangs hohen Anpassungskosten abzumildern. Instrumen- te des „Aid for Trade” sind die Förderung von Infrastrukturmaßnahmen zur Transporterleich- terung, der Produktstandardisierung, Verbesserung der Hygiene und Produktionsbedingun- gen oder die Durchführung von Marktanalysen. Insgesamt wurden (exklusive Infrastruktur- mittel) im EU Budget 2007 hierfür rund € 1 Mrd. eingeplant (vgl. SIX/KÜBLBÖCK, 2006, S. 17). Die für die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes sehr wichtigen ausländischen Direktin- vestitionen (FDI)[25] sind gegenüber 2003 um 40 % auf rund US$ 233 Mrd. im Jahr 2004 ge- stiegen, grundsätzlich eine sehr positive Entwicklung, wobei sich hier eine starke Divergenz in der Verteilung der Investitionen ergibt. Die FDI konzentrieren sich hauptsächlich auf die Schwellenländer China, Mexiko, Singapur und Brasilien. Allein China konnte Investitionen im Wert von US$ 95 Mrd. verzeichnen. In den meisten EL konnte im Jahr 2004 ein Anstieg der FDI festgestellt werden, die Anteile sind jedoch immer noch marginal. Lediglich in den ölrei- chen Staaten Sudan und Angola konnte die Summe der FDI verdoppelt werden (vgl. BMZ 2006a, S. 300).
Zusammenfassend kann eine Liberalisierung der Märkte wie es die Zielvorgabe 12 fordert, eine Reihe positiver und negativer Auswirkungen haben. Hier fehlt eine eindeutige Positionierung in den MDG, zumal dort das aktuelle weltwirtschaftliche System insgesamt weder thematisiert noch in Frage gestellt wird - die Symptome werden zwar behandelt, aber die Ursachen der strukturellen Ungleichheit zwischen Nord und Süd werden in den MDG vernachlässigt (vgl. BRAND 2007, S. 9, KÜBLBÖCK 2006, S. 146ff.).
2.3.2 MDG 8| Zielvorgaben 13 und 14
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Wie bereits in den Erläuterungen zur vorangehenden Zielvorgabe 12 erwähnt, ist der Anteil der am wenigsten entwickelten Länder am Weltmarkt marginal und die Marktzugangsbarrie- ren stellen in Qualität, Verarbeitung und Klassifizierung ein großes Hindernis bei der Integra- tion in den globalen Handel dar. Besonders tragend ist hier die ungünstige Grundsituation der Least Developed Countries (LDC)[26]. Mit den Zielvorgaben 13 und 14 soll die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit auf die am wenigsten entwickelten und Länder, die aufgrund ihrer geographischen Lage benachteiligt sind, fokussiert werden. Das soll ihnen die Möglich- keiten zu einer beschleunigten und nachhaltigen Entwicklung geben (vgl. UN 2005a, S. 36). „ However, aid to the [ … ] LDCs [ … ] has essentially stalled since 2003. Aid to sub-Saharan Africa [ … ] increased by only two per cent between 2005 and 2006 “ (UN DESA 2007, S. 29), obwohl auf dem G8[27] Treffen in Gleneagles 2005 eine Verdopplung der finanziellen Hilfe für Afrika bis 2010 vereinbart wurde. Auf dem folgenden G8 Gipfel 2007 in Heiligendamm wurde dies noch einmal bekräftigt. Es bleibt daher abzuwarten, ob die G8-Staaten dieses sehr po- puläre Versprechen bis 2010 einlösen werden (vgl. NUSCHELER 2008a, S. 20).
2.3.3 MDG 8| Zielvorgabe 15
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die teilweise extreme Verschuldung und die damit verbundene Zins- und Tilgungslast vieler EL erschweren oder verhindern gänzlich die Investitionen in Schlüsselbereiche wie Bildung, Infrastruktur, Gesundheitsvorsoge, Wirtschaftsförderung und/ oder Ernährungssicherung, die zur Erreichung der MDG vonnöten wären. Erstmals wurde auf dem G7 Gipfel in Köln 1999 mit der erweiterten Entschuldungsinitiative eine globale und zielgerechte Entschuldung der HIPC[28] vorangetrieben. Zusätzlich wurde auf dem G8 Gipfel in Gleneagles 2005 ein multila- terales Instrument, die Multilateral Debt Relief Initiative (MDRI)[29] eingeführt, um nach der erfolgreichen Anwendung der HIPC-Initiative eine Schuldentragfähigkeit für die betroffenen Staaten auch in Zukunft sicherzustellen. So verpflichtete sich die Weltbank, deren Tochter- gesellschaft International Development Association und der Afrikanische Entwicklungsfond auf einen hundertprozentigen Erlass der Schulden der HIPC. Die Inter American Develop- ment Bank ging fast zwei Jahre später, Anfang 2007, denselben Weg und erließ fünf latein- amerikanischen und karibischen hochverschuldeten Staaten die Schulden (vgl. BMZ 2006a, S. 309f, UN DESA 2007, S. 30f.). Bis 2006 sind die HIPC um insgesamt ca. US$ 60 Mrd. entlastet worden. Durch die MDRI und HIPC Initiativen konnte der Kreditstand der betroffenen Staaten um ca. 90 % gesenkt werden. Im April 2007 erfüllten bereits 22 der 40 HIPC alle Konditionen und konnten so einen Schuldenerlass erreichen. Acht weitere Staaten befinden sich auf der Vorstufe des Erlasses und werden also in naher Zukunft von ihrer Kredit-, Tilgungs-, und Zinslast befreit werden. Die übrigen zehn HIP Staaten haben Zusagen über rund US$ 12 Mrd. erhalten und es besteht die Möglichkeit, diese Länder über die MDR Initiative weiter zu entlasten (vgl. UN DESA 2007, S. 30f.).
Aufgrund der Initiativen sind die armutsbezogen Investitionen der HIPC in den einzelnen Ländern fühlbar angestiegen, und übertreffen nun die Schuldendienstleistungen deutlich (vgl. BMZ 2006a, S. 312).
2.3.4 MDG 8| Zielvorgaben 16, 17 und 18
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Zielvorgaben 16, 17 und 18 behandeln die Themen der Jugendarbeitslosigkeit, die Forderung nach kostengünstigeren Pharmaka in den EL und dem information gap[30], der den Anschluss der benachteiligten Staaten an das Kommunikationszeitalter bedroht und diesen damit Entwicklungschancen beraubt.
Die UN schätzt die Anzahl der weltweit erwerbslosen Menschen auf rund 200 Millionen (2006), davon sind fast 95 Millionen junge Erwachsene. Insgesamt wird die weltweite Ar- beitslosenrate mit 4,4% angegeben, der Anteil der erwerbslosen jungen Erwachsenen be- läuft sich aber auf ca. 14 %. Das starke Bevölkerungswachstum in vielen EL und der daraus resultierende hohe Anteil von Kindern und Jugendlichen an der Gesamtbevölkerung, birgt die Gefahr einer hohen Arbeitslosigkeit der jungen Erwachsenen und zieht eine Bedrohung der wirtschaftlichen Entwicklung und Armutsbekämpfung nach sich, die wiederum höheres Potential für Kriminalität und gesellschaftliche Unzufriedenheit hervorrufen und damit die stabile Entwicklung eines Staates gefährden. Besonders die berufliche Ausbildung und der Eintritt in das Arbeitsleben ermöglichen Personen aus armen und unterprivilegierten Umwel- ten den Weg aus der Armut und gewähren damit auch deren Nachkommen eine Chance auf ein Leben in relativem Wohlstand.
Die Ausbreitung der AIDS/HIV und Malaria-Pandemien soll laut MDG 6| bis 2015 gestoppt werden. Aus dem ethisch nicht vertretbaren Zustand, dass lebensverlängernde Medikamente zu vertretbaren Preisen, von hoher Qualität und hoher Verfügbarkeit fast ausschließlich in den Industrieländern erhältlich sind, ergibt sich für die Entwicklung eines Landes eine Bedro- hungssituation, da durch den verfrühten Tod Erwerbstätiger ein akuter Fachkräftemangel - wie bereits in einigen Staaten Sub-Sahara Afrikas - entstehen kann und sich die abhängigen Familienmitglieder durch den Verlust des Familienhaupteinkommens von Armut bedroht se- hen. Zwar konnten im Jahr 2004 schon deutliche Verbesserungen registriert werden, etwa bei der Versorgung mit HIV/AIDS Medikamenten und dem Preisverfall bei Generika, den- noch sind die Kosten für Behandlung und Pharmaka, die Distribution und die fehlende medi- zinische Infrastruktur die größten Hemmnisse für eine erfolgreiche, flächendeckende Be- handlung Erkrankter. Der Global Fund To Fight AIDS, Tuberculosis [31] and Malaria hat bis 2005 und seit seiner Gründung 2002 3,4 Mrd. US$ in über 300 Programmen zur Bekämp- fung der Pandemien investiert (vgl. BMZ 2006a, S. 226ff.; UN 2005a, S. 40).
Der rasante Anstieg der Anzahl der Mobiltelefonanschlüsse von weltweit 11 Mio. im Jahr 1990 auf rund 2,2 Mrd. Anschlüsse im Jahr 2005 erhöhte den Zugang zu Information und die Vernetzung. In Regionen mit schlecht ausgebildeter Infrastruktur für die Festnetztelefonie konnte dieser Nachteil durch die wesentlich kostengünstigere Infrastruktur für Mobiltelefonie ausgeglichen werden. Auf dem afrikanischen Kontinent ist das Mobiltelefon das wichtigste Kommunikationsmittel geworden, zwischen 1990 und 2005 hat sich hier die Zahl der Mobilte- lefonnutzer verzehnfacht. Bei der Zugänglichkeit des Internets ist aber eine Diskrepanz zu- gunsten der Industrieländer zu verzeichnen, da neben den hohen Kosten für die Hardware- komponenten das Netz in vielen EL nicht oder nicht ausreichend ausgebaut ist. Daraus er- gibt sich eine digitale Kluft zwischen Entwicklungs- und Industrieländern, aber auch zwischen peripheren und städtischen, armen und reichen Regionen innerhalb eines Landes, die die politische, gesellschaftliche, wirtschaftliche und soziale Entwicklung und damit auch die Ar- mutsbekämpfung stark beeinträchtigt. Selbstverständlich ist der Zugang zu neuen Kommuni- kationsformen an sich kein Garant für die günstige Entwicklung eines Landes, sondern viel- mehr ein Werkzeug und Hilfsmittel zur Zielerreichung. Beispielsweise wird ein schneller, kos- tengünstiger und einfacher Zugriff auf entwicklungsrelevante Informationen ermöglicht (vgl. BMZ 2006a, S. 314ff, UN DESA 2007, S. 32, UN 2005a, S. 41).
Mit dem MDG 8| sind einige wichtige Punkte für die zukünftige Entwicklung aufgegriffen, in den Zielvorgaben sind aber keine festen Verantwortlichkeiten oder andersartige Verbindlich- keiten für eine Verbesserung der EZ oder der Etablierung einer partnerschaftlichen Beziehung zwischen EL und IL festgelegt. Daher „ handelt es sich eher um symbolische Appelle an die Industrieländer ohne jeden Verpflichtungscharakter “ (FUES 2006, S. 52). Besonders wich- tig ist aber die Umsetzung der Zielvorgabe 12, ein offenes, regelgestütztes, berechenbares und nicht-diskriminierendes Handels- und Finanzsystem weiterzuentwickeln, welche aber von weiteren Verhandlungen der Doha-Runde abhängig ist. Grundsätzlich werden die Anfor- derungen an die Gebernationen deutlich, ihre Entwicklungspolitik zu einer kohärenten Politik umzugestalten, um das Konterkarieren der „ durchaus vorzeigbaren Fortschritte im Bereich der EZ und Entschuldung durch anhaltende Agrarsubventionen und Marktabschottung “ (ebd.) zu verhindern.
2.4 Kritische Betrachtung der Millennium Development Goals
Die MDG sind heute einer der wesentlichen Grundlagen und das Leitbild der internationalen Entwicklungszusammenarbeit. Durch ihre Proklamation wurde weltweit Aufmerksamkeit auf die Situation der Armen in der Welt gerichtet. Beispiellos ist die Bandbreite der Akteure, Re- gierungen, NGO, EZ-Agenturen, Zivilgesellschaftliche Institutionen und die Internationalen Einrichtungen der Vereinten Nationen die sich an der Diskussion beteiligen, Stellung bezie- hen und Umsetzungspläne entwickeln. In vielen Ländern konnte so in Teilbereichen große Verbesserungen erreicht werden, wie anhand des Beispiellandes Sambia dargestellt.
Betrachtet man allerdings die vorangegangenen internationalen Beschlüsse, so wird deutlich, dass in Detailfragen die MDG teils einem Rückschritt gegenüber den Forderungen aus den Jahren 1995 / 1996[32] darstellen. Hier wurde eine Halbierung der aktuellen Anzahl der in Ar- mut lebenden Menschen beschlossen, während die MDG die Halbierung des Anteils seit dem Jahr 1990 beinhalten. Da die Weltbevölkerung aber zwischen 1990 und 2015 kräftig gewachsen ist und weiter wächst, relativiert sich der Umfang des Zieles 1| deutlich gegen- über den vorangegangenen Beschlüssen (vgl. NUSCHELER / ROTH 2006, S. 18).
KÜBLBÖCK (2006, S. 140ff.) kritisiert auch die fehlende Infragestellung des Weltwirtschafts- systems und „ [wirft] die Frage auf, wie sehr die Erreichung der MDG vorrangig der politi- schen Legitimation des derzeitigen Weltwirtschaftssystem zu dienen hat. Denn die Tatsache, dass in einer Welt mit Nahrungsüberproduktion, hohem technologischem Fortschritt und Produktivitätszuwächsen die Hälfte der Bevölkerung ihre dringendsten Grundbedürfnisse nicht erfüllen kann, stellt eben dieses Weltwirtschaftssystem zunehmend in Frage und ist eine Hauptursache für soziale und politische Instabilität “. Die MDG bilden den aktuellen Kurs der Entwicklungs- und Wirtschaftspolitik ab, ohne deren Struktur in Frage zu stellen (vgl. BRAND 2007, S. 9; KÜBLBÖCK 2006, S. 151). Ebenso fehlt in den MDG die Diskussion um „ die internen und internationalen Ausprägungen der sozialen Ungleichheit und die Ungerechtig- keit der Verteilung der Ressourcen “ (KÜBLBÖCK 2006, S. 29). Wenn in einem Land Wohlstand sehr ungleich verteilt ist, und eine kleine privilegierte Minderheit über den Großteil des Volksvermögens verfügt, sollte die Frage der Ursache der Armut der Mehrheit der Be- völkerung in erster Linie eine Frage der landesinternen Verteilung der Ressourcen sein. Grundlage für eine nachhaltige Entwicklung, dynamisches Wirtschaftswachstum und Reduk- tion der Armut sind demokratische Verhältnisse, die Beachtung der Menschenrechte und Gute Regierungs- und Verwaltungsführung. In den MDG sind außer dem Ziel Ermächtigung der Frauen keinerlei politische Forderungen enthalten. HOLTZ (2006, S. 126ff.) fordert des- wegen die Erweiterung der MDG um ein neuntes Ziel: Diktaturen überwinden und Demokra- tien stärken, um Demokratie, Menschenrechte und good governance als Voraussetzung und Ziel für die Verwirklichung der MDG zu installieren. Bestärkt wird dies durch die seit den ter- roristischen Anschlägen im Jahr 2001 wieder in den Vordergrund gerückten sicherheitspoliti- schen Interessen. Denn gerade von den fragilen Staaten können Gefahren ausgehen und eine Verbesserung der governance zur Sicherung der staatlichen Stabilität wird immer wich- tiger. Aber „ faktisch sind die MDG für [ … ] [fragile Staaten] unerreichbar, [denn] die Entwick- lung einer signifikanten Anzahl von Ländern wird vom chronischen Versagen - oder gar dem totalen Zusammenbruch - staatlicher Institutionen blockiert “ (DEBIEL ET. AL. 2007, S. 11). Hier ist es besonders verwunderlich, dass good governance in den MDG nicht thematisiert wird und kaum politische Stellungnahmen enthalten sind, aber in der Millennium-Erklärung als übergeordnetes Ziel 4| Menschenrechte, Demokratie und gute Regierungsführung größte Bedeutung innehat.
Besonders die in Zukunft erwartete, deutlich zunehmende Zahl der Umweltflüchtlinge ist ein Hinweis auf die Bedeutung des MDG 7| für die Entwicklung. Denn die Umweltveränderungen, resultierend aus dem Klimawandel oder anderen anthropogen geprägten Phänomenen wie Siedlungsdruck, Reduktion der Biodiversität oder Minderung der Bodenqualität in der Land- wirtschaft haben direkte Auswirkungen auf die Entwicklung und stellen eine Bedrohung für die Armutsreduktion dar. In der Millennium-Erklärung zählt der „Schutz der gemeinsamen Umwelt“ aus oben genannten Gründen zu den vier prioritären Handlungsfeldern der Entwick- lung. Im MDG 7| dagegen fehlt ein klares Bekenntnis zur Bedeutung des Schutzes der Um- welt. Sie wird mit den sozialpolitischen Indikatoren 10 und 11 überfrachtet. Dies sind die Verbesserung der Lebensbedingungen der Slumbewohner und die Verbesserung der sanitä- ren Bedingungen. Die Zielvorgabe 9 Die Grundsätze nachhaltiger Entwicklung in einzelstaat- liche Politiken und Programmeüberführen und dem Verlust von Umweltressourcen Einhalt gebieten, wird mit fünf Kriterien verbunden, die zwar mit Daten zum CO2 Ausstoß, Energie- verbrauch, geschützter Gebiete oder Anteil der Waldbedeckung einen Beitrag zur Überwa- chung der Nachhaltigen Entwicklung beisteuern, insgesamt ist aber die Bedeutung des Um II Die Millennium Erklärung und die Millennium Development Goals (MDG) 27 weltschutzes für die Erreichung der Ziele nicht ausreichend erfasst und dargestellt (vgl. NUSCHELER 2006, S. 155ff, S. 245).
2.5 Zwischenfazit Millennium Development Goals
Im vorangehenden Kapitel wurden die wichtigsten Einzelziele der MDG dargestellt. Insbe- sondere das MDG 1| Bekämpfung des Hungers und der Armut, hat eine große Popularität erlangt. Dieses gilt oft als Synonym für die MDG insgesamt, da in diesem Bereich, wie oben anhand des Beispiellandes Sambia dargestellt, die bestimmenden Parameter und deren Be- ziehungen untereinander für die Armutsbekämpfung besonders deutlich werden. Landwirt- schaftliche Produktion, die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse, Korruption, Schutz der Umwelt, die klimatischen Bedingungen, Gesundheitsvorsorge, Integration in den Welthandel oder kriegerische Auseinandersetzungen beeinflussen auf direktem und indirek- tem Wege die Entwicklung eines Landes und damit die Lage der Armen und Hungernden. Die einzelnen Ziele sind mit den so genannten targets (engl. Zielvorgaben) verknüpft, da- durch in ihrer Mess- und Vergleichbarkeit und in ihrer Verbindlichkeit definiert. Die Akteure der Internationalen Entwicklungszusammenarbeit sind so verpflichtet, einem holistischen Anspruch nachzugehen der aus der Gesamtheit der acht Ziele hervorgeht, um möglichst viele negative Auswirkungen zu vermeiden, die bei einer Förderung nur eines Parameters oder eines separat behandelten Arbeitsfeldes auftreten könnten. Wenn etwa strukturbeding- ter Hunger ausschließlich durch direkte Nahrungsmittelhilfe zu beseitigen versucht wird, oh- ne die regionale Landwirtschaft in Lebensmittelproduktion und Vermarktung bzw. Verteilung mit einzubeziehen, besteht die Gefahr der Zerstörung der regionalen Märkte und lässt somit neue Armut entstehen. Dieser holistische Anspruch muss mit einem Maßnahmenkatalog ausgearbeitet werden, der möglichst viele Aufgabenfelder beinhaltet, um sichtbare Erfolge vorweisen zu können, die für die nationalen und supranationalen Organisationen vonnöten sind, um ihre Legitimation gegenüber den Armen und Benachteiligten, aber auch gegenüber den Finanziers der EZ, der steuerzahlenden Bevölkerung der Industrieländer zu gewährleis- ten. Mit dem MDG 8| Aufbau einer weltweiten Entwicklungspartnerschaft, ist zum Einen eine Erhöhung der Official Development Assistance auf verbindliche Prozentsätze der Bruttonati- onaleinkommen festgelegt. Zum Anderen wird in einigen Schlüsselfeldern, wie die Liberali- sierung der globalen Finanz- und Handelsmärkte, Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, Versorgung mit qualitativ hochwertigen und preisgünstigen Medikamenten, oder mit der Verminderung der digitalen Kluft zwischen Industrie- und Entwicklungsländern, ein verstärk- tes Engagement der Gebernationen gefordert.
[...]
1 Im Folgenden wird zwischen der Gesamtheit der Entwicklungsländer und Empfängerländern bzw. Partnerländern unterschieden. Wenn im Kontext die Zahlung von Entwicklungsmitteln oder die Beziehung zwischen Gebern von Entwicklungsleistungen und deren Empfängern im Vordergrund steht, wird von Empfängerländern gesprochen. Steht die partnerschaftliche Verbindung zwischen Geber und Empfängerland, etwa im Rahmen der neueren Reformprogramme im Vordergrund so wird i. d. R. der Begriff Partnerland verwendet.
2 United Nations. Aus Gründen der Vereinfachung und besseren Lesbarkeit werden im Folgenden i. d. R. die englischen, international gebräuchlichen Begrifflichkeiten der Entwicklungszusammenarbeit verwendet.
3 Millennium-Entwicklungsziele
4 Non Governmental Organisations
5 Taiwan, Hongkong, Südkorea, Singapur. Ferner Indonesien, Malaysia und Thailand (Tigerstaaten der zweiten Generation) (vgl. THIEL 2005, o. S.).
6 Die ODA wird von Staaten bzw. von öffentlichen Stellen mit dem Ziel der Förderung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung von Entwicklungsländern an ebendiese bzw. an deren Staatsangehörige oder an internationale Institutionen zugunsten von Entwicklungsländern vergeben. ODA muss zu mind. 25 % aus nichtrückzahlbaren Zuschüssen bestehen. In der Regel ist der Anteil der nichtrückzahlbaren Zuschüsse um ein vielfaches höher als der Grenzwert von 25 % (vgl. BMZ 2006a, S.426ff.).
7 Erklärung von Paris über die Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit
8 Transaktionskosten sind Kosten, die für die Abwicklung und Verwaltung der EZ anfallen (vgl. SIX 2006a, S. 14).
9 Sektoren im Kontext der EZ sind z. B. Wasser und Abwasser, Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen oder Gesundheitsvorsorge.
10 Organisation for Economic Co-operation and Development
11 Eine Liste der kontaktierten Koordinatoren ist im Anhang A6 und der Fragebogen von Burundi in Anhang A8 angefügt.
12 Good governance steht für leistungsfähige politische Institutionen, sowie einen verantwortungsvollen Umgang des Staates mit politischer Macht und öffentlichen Ressourcen (GTZ 2008a, o. S.)
13 Das Trickle-Down Theorem geht von einem allmählichen „Durchsickern” des Wohlstandes auch zu den ärmsten Gesellschaftsschichten aus, begriffsbestimmend war hier die US-Regierung unter R. Reagan, die mit diesem Ansatz Wohlstand für alle Amerikaner erreichen wollte (vgl. THE OXFORD PRESS 1998, o. S.).
14 Die von extremer Armut Betroffenen haben weniger als einen US$ pro Tag zur Verfügung.
15 Die aufgeführten Gründe gelten nicht für alle Staaten gleichermaßen. Sie können aber teilweise auch auf andere Weltregionen übertragen werden.
16 Konditionalitäten im EZ-Zusammenhang sind Kontroll- und Steuerungsmechanismen oder -vereinbarungen, die an die Vergabe von Zahlungen oder Leistungen gekoppelt sind.
17 Durch die Grüne Revolution konnte vor allem in Asien durch Züchtung und Einsatz von Hochleistungssorten (z. B. Reis) und unter hohem Düngemitteleinsatz der landwirtschaftliche Ertrag beträchtlich gesteigert werden und Hungersnöte vermieden werden. Aufgrund des hohen Einsatzes von Düngemitteln und Pestiziden sowie der hohen Abhängigkeit von den Agrarunternehmen, die Saatgut, Düngemittel und Pestizide vertreiben, wird die Grüne Revolution inzwischen kritisch betrachtet. Durch die Kombination von traditionellen Anbaumethoden, traditionellem Wissen sowie neuerer Agrarforschung könnte eine grüne ökologische Revolution diese Nachteile ausgleichen und dennoch die Erträge steigern (vgl. ELLIESEN 2008, S. 17).
18 Der HDI ist der statistische Teil des jährlichen Berichts über die menschliche Entwicklung (Human Development Report), herausgegeben vom UN Development Program (UNDP). Jedes Land wird mittels festgelegter Messgrößen und oben angegebenen Kriterien bewertet, und anschließend im HDI in eine Reihenfolge gebracht.
19 Entschuldungsinitiative für hochverschuldete, arme Länder, s. Kapitel 2.3.3.
20 Die Differenz entspricht den Entwicklungsleistungen der verschiedenen Institutionen der Europäischen Union.
21 Es handelt sich hier um die im Europäischen Markt weniger stark nachgefragten Teile außer Brustfilets und Schenkel.
22 Geflügelteile aus der EU: US$ 0,50 pro kg. Lebendhuhn vom westafrikanischen Binnenmarkt ca. US$ 1,5-2 pro kg (vgl. SHARMA 2006, S.25).
23 World Trade Organisation.
24 Eingebunden in die Lomé und Cotonou Verträge geschlossene Abkommen über Wirtschaftliche Zusammenarbeit, Handel sowie Strategien der Entwicklung zwischen der EU und Afrikanischen, Karibischen und Pazifischen Staaten (SIX /KÜBLBÖCK 2006, S. 18).
25 Foreign Direct Investments.
26 Am wenigsten entwickelte Länder. Kriterien, nach denen Länder von der UN als LDC eingestuft werden sind das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf, Lebenserwartung, Kalorienversorgung, Einschulungsrate, Alphabetisierungsrate, Anteil der heimischen Produktion, Instabilität der landwirtschaftlichen Produktion, Exportorientierung und die Bevölkerungszahl (vgl. BMZ 2006a, S. 410).
27 Gruppe der acht wichtigsten Industrienationen USA, Großbritannien, Japan, Italien, Frankreich, Deutschland, Kanada und Russland (letzteres ist seit 2006 vollwertiges Mitglied, vor 2006 bestand die Gruppe aus sieben Mitgliedsstaaten –G7) (vgl. BMZ 2006a, S. 415).
28 Heavily Indebted Poor Countries – hochverschuldete, arme Länder
29 Multilaterale Entschuldungsinitiative
30 Informationskluft zwischen reichen und armen Ländern oder Regionen.
31 Ca. 50% - in manchen Ländern sogar 70% - aller HIV-Infizierten erkranken auch an Tuberkulose, inzwischen ist TB die häufigste Todesursache Aidskranker geworden.
32 Auf dem Kopenhagener Weltsozialgipfel 1995 wurde der „Krieg gegen die Armut“ erklärt, mit dem Ziel, die Armut „auszurotten“. Im Jahr 1996 veröffentlichte die OECD das Strategiepapier „Shaping the 21st Century“ mit dem Ziel der Halbierung der absoluten Anzahl der extrem Armen (vgl. NUSCHELER / ROTH 2006, S. 18).
- Quote paper
- Sebastian David Stemshorn (Author), 2008, Die Auswirkungen der Paris Declaration on Aid Effectiveness auf die Deutsche Entwicklungszusammenarbeit , Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/167209
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