Stundeneröffnungen sind im Schulalltag meist ritualisierte Vorgänge, denen von den verschiedenen Lehrertypen unterschiedliche Bedeutung beigemessen werden. In der folgenden Untersuchung werden Stundeneröffnungen auf ihre Willkür oder bewussten Anwendung, auf ihre Überflüssigkeit sowie ihren Einfluss auf das Unterrichtsgeschehen untersucht.
Einleitung
Stundeneröffnungen sind im Schulalltag meist ritualisierte Vorgänge, denen von den verschiedenen Lehrertypen unterschiedliche Bedeutung beigemessen werden. In der folgenden Untersuchung werden Stundeneröffnungen auf ihre Willkür oder bewussten Anwendung, auf ihre Überflüssigkeit sowie ihren Einfluss auf das Unterrichtsgeschehen untersucht.
Darstellung des Forschungsstandes
In der aktuellen Schulpraxis sind nach mehreren Jahren der Ablehnung im Allgemeinen ritualisierte Vorgänge weitgehend wieder aufgegriffen und von ihrer positiven Seite wahrgenommen worden. Die vorherige Ablehnung kann damit zusammenhängen, dass eine große Anzahl der Lehrer aus der so genannten „Achtundsechziger“ –Generation stammen und mit Ritualen Instrumente autoritärer und starrer Pädagogik verstanden (vgl. Wagner- Willi 2005: 10; Greving/Paradies 1996: 26). Seit den 1980er Jahren hat sich diese Sicht jedoch verschoben und Rituale werden in der Schule als „essentiell für schulische Sozialisationsprozesse angesehen und von ihrer positiven Seite wahrgenommen“ (Wagner– Willi 2005: 10). Ein möglicher Grund dafür ist nach Greving/Paradies das Problem vieler Jugendlicher mit Disziplin und Autoritäten, die im außerschulischen Bereich kaum noch gefördert, in der Schule jedoch mit Ritualen zu beheben versucht werden. Es wird in diesem Zusammenhang jedoch differenziert und von „glaubwürdigen Ritualen“ gesprochen (vgl. Greving/Paradies 1996: 26).
Charakterisiert ist das Ritual der Stundeneröffnungsprozesse dadurch, dass es „standardisiert“ und „stereotyp“ „mehrmals täglich in immer gleicher Art und Weise“ verläuft (Greving/Paradies 1996: 26) und ihm eine „orientierende, ordnende und gemeinschaftsstiftende Funktion“ (Wagner– Willi 2005: 10) zugesprochen wird.
Zentrale Funktionen der Stundeneröffnungsrituale sind das Lösen aus dem Pausengeschehen oder der vorherigen Stunde und das Einstellen auf die neue Stunde, die Förderung einer klaren Unterrichtsstruktur, da deutliche Eckpunkte geschaffen werden, das Schaffen von Spannung auf das Neue, was nach dem regelmäßig Gleichen kommen wird und nicht zuletzt die Herstellung und Stabilisierung der Machtbalance zwischen Lehrern und Schülern (vgl. Greving/Paradies 1996: 26).
Auch in der ablehnenden Phase des „subjektiven Antiritualismus“ (Wagner- Willi 2005: 10) mancher Lehrer wurden diese standardisierten Rituale angewandt und spielen daher eine nicht unbedeutende Rolle in dieser kritischen Anfangsphase des Unterrichts.
Darstellung der Beobachtungsergebnisse
Die folgenden Unterrichtsbeobachtungen werden sich auf Stundeneröffnungsrituale verschiedener Lehrer, aber insbesondere auf die Eröffnungen eines Lehrers mit den Fächern Englisch und Sport an der XXX-Schule beziehen.
In der ersten Stunde stand Englisch in einer achten Klasse auf dem Stundenplan. Herr KL begrüßte die Klasse mit einem scheinbar einstudierten Ritual: er klatschte einmal in die Hände, pfiff durch die Zähne und rief „Servus!“, woraufhin die Klasse das „Servus!“ erwiderte. Anders als bei den Beobachtungen vieler anderer Lehrer, verlangte er von den SuS nicht den üblichen chorischen Begrüßungs-„Singsang“, sondern wählte einen lockereren Einstieg, der jedoch seine Wirkung nicht verfehlte, Ruhe in die Klasse zu bringen. Der betont schülernahe Einstieg zog sich durch all seine Klassen; in der vierten Stunde eröffnete er die Stunde mit „Moin, Moin!“, woraufhin die SuS der Klasse 7 denselben Gruß erwiderten. In der darauf folgenden Doppelstunde in einer Klasse 12 wirkte der Einstieg jedoch ruhiger, da Herr KL mit „So, Morning.“, den SuS den Beginn der Unterrichtsstunde aufzeigte. In der Sportstunde, in der wir in der achten und neunten Stunde hospitierten, gab es keine kollektive Begrüßung, da nicht alle gleichzeitig aus der Kabine kamen und diejenigen, die früher umgezogen waren, schon anfingen die Geräte aufzubauen.
In einer Freistunde unterhielten wir uns mit dem Lehrer und fragten ihn nach den Unterrichtseinstiegen, ob diese bewusst gewählt sind und warum er sich dem chorischen „Singsang“ vieler seiner Kollegen nicht anschließe. Er antwortete zunächst, dass er die ritualisierte Begrüßung nicht möge und bewusst auf eine schülernähere ausgewichen sei. Diese sei jedoch keineswegs beliebig gewählt. Er erklärte, dass er am Schuljahresbeginn jede Klasse gefragt habe, welche Begrüßung sie gerne haben möchte (abgesehen von dem bekannten chorischen „Singsang“). Dadurch hat er für jede Klasse eine individuelle Begrüßung, die von den SuS gewählt und damit auch als Stundenbeginn akzeptiert wird. Er erläuterte uns auch einen Fall, in dem alle SuS in der ersten Stunde, in der er Unterricht in der Klasse hielt, ohne Aufforderung aufgestanden seien, als er den Raum betrat. Von dieser Disziplin beeindruckt, behielt er dies speziell bei dieser Klasse bei, lässt die anderen Klassen für gewöhnlich jedoch nicht aufstehen.
Kontrastierend dazu, erschien der chorische „Singsang“ in den meisten anderen Klassen, in denen ich hospitiert habe, als lästiges und von vielen SuS veralbertes Ritual. Viele von ihnen, besonders in der Sekundarstufe I, nutzten diesen Einstieg um ihr Stimmvolumen zu testen und akzeptierten es meist nicht als Beginn einer neuen Phase. In mehr als der Hälfte der Fälle war nach dieser Begrüßung eine weitere Ermahnung zur Ruhe nötig, um mit dem Unterricht beginnen zu können.
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- Arbeit zitieren
- Carlos Steinebach (Autor:in), 2009, Stundeneröffnungsrituale, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/167183
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