„Das einzig Überraschende an der Wirtschaftskrise von 2008 war die Tatsache, dass sie für so viele überraschend kam.“
So der Einstieg eines von vielen jüngst veröffentlichten Büchern, welche die schwerste Weltwirtschaftskrise seit der Großen Depression in den 1930er Jahren versucht aufzuarbeiten.
Was mit der US-Immobilienkrise begann, führte zur einer weltweiten Bankenkrise und endete über eine Wirtschaftskrise in einer globalen Staatenkrise. Der Internationale Währungsfonds (IWF) rechnete bereits im Oktober 2008 mit weltweiten Verlusten durch die Finanzkrise in Höhe von 1,4 Billionen Dollar.
Diese Arbeit soll:
-einen Überblick über die Entstehung der Finanzkrise geben,
-seinen Schwerpunkt auf die Finanzierungssituation von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) im Bezirk Weser-Ems setzen und
-einen Finanzierungsalternativenkatalog herausarbeiten.
Um die aktuelle Situation erfassen zu können, wurden dazu zwei Erhebungen im Bezirk Weser-Ems durchgeführt.
Adressaten der ersten Befragung waren kleine und mittelständische Unternehmen. Als Gegenstück dazu wurde die zweite Befragung mit Kreditinstituten der Region durchgeführt. So lässt sich aufgrund teilweiser identischer Fragestellungen die Finanzkrise aus zwei Blickwinkeln betrachten.
Hieraus wird ein Katalog mit Finanzierungsalternativen abgeleitet und unter der aktuellen Krisensituation bewertet.
Inhaltsverzeichnis
Abstract
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einführung, Problemstellung und Vorgehensweise
2 Von der Subprime-Krise zum Versagen des internationalen Finanzsystems
3 Die Krise als Chance zur Veränderung und Neuorientierung
3.1 Aus der Vergangenheit lernen
3.2 Die umfassendste US-Finanzreform seit 80 Jahren
3.3 Eine Reform der Ratingagenturen ist unvermeidbar
3.4 Basel III
3.5 „Geschäftsmodell Deutschland“ auf dem Prüfstand
3.6 Schlusswort zur Krise
4 Die Finanzierungssituation von kleinen und mittleren Unternehmen
4.1 Definition KMU
4.1.1 Bedeutung des deutschen Mittelstandes
4.2 Erhebung im Bezirk Weser-Ems
4.2.1 Erläuterungen zum methodischen Vorgehen
4.2.2 Die Fragebögen
4.2.2.1 Darstellung und Aufbau der Fragebögen
4.2.3 Durchführung und Ablauf der Befragung
4.3 Auswertung der Umfragen zur Finanzierungssituation von kleinen und mittleren Unternehmen im Bezirk Weser-Ems
4.3.1 Beschreibung der Stichprobe KMU-Erhebung
4.3.2 Beschreibung der Stichprobe Bank-Erhebung
4.3.3 Die Umfrageergebnisse
4.3.3.1 Identifikation der Stichprobe
4.3.3.2 Beziehung Bank und KMU in der Krise
4.3.3.3 Fördermittel für kleine und mittlere Unternehmen
4.3.3.4 Bewertung der Finanzkrise aus zwei Perspektiven
5 Bewertung möglicher Finanzierungsalternativen zum Bankkredit
5.1 Unternehmensfinanzierung in der Krise
5.2 Finanzwirtschaftliche Ziele zur Bewertung von Finanzierungsalternativen .
5.2.1 Erhalt der Sicherheit
5.2.2 Maximierung der Rentabilität
5.2.3 Aufrechterhaltung der Liquidität
5.2.4 Erhalt der Unabhängigkeit
5.3 Bewertungsschema
5.4 Alternative Finanzierungsformen
5.4.1 Leasing
5.4.2 Factoring
5.4.3 Mitarbeiterdarlehen
5.4.4 Mezzanine Finanzierungsinstrumente
5.4.4.1 Stille Gesellschaft
5.4.4.2 Nachrangdarlehen
5.4.5 Beteiligungskapital (Private Equity/Venture Capital)
5.5 Vergleich und Bewertung der Alternativen nach den ausgewählten finanzwirtschaftlichen Zielen
5.5.1 Erhalt der Sicherheit
5.5.2 Maximierung der Rentabilität
5.5.3 Aufrechterhaltung der Liquidität
5.5.4 Erhalt der Unabhängigkeit
5.6 Alternativenkatalog und Schlussbetrachtung
6 Fazit
Literaturverzeichnis
Monographien
Zeitschriften-/Zeitungsartikel
Internetquellen
Anhang
Anlage 1: Erhebungsbogen KMU
Anlage 2: Erhebungsbogen Bank
Anlage 3: Häufigkeitstabellen KMU-Erhebung
Anlage 4: Häufigkeitstabellen Bank-Erhebung
Eidesstattliche Versicherung
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Entwicklung Zinssatz für 30-Jahre Fixzins-Hypotheken seit 1974. (Quelle: Freddie Mac, eigene Darstellung)
Abbildung 2: S&P/Case-Shiller Home Price Indices (Quelle: www.standardandpoors.com)
Abbildung 3: Jährlich vergebene Eigenheimhypotheken: Ab 2006 ging die Nachfrage stark zurück (Quelle: Federal Reserve (Flow of Funds Z-1; eigene Darstellung)
Abbildung 4: Ausmaß der Krise im Zeitraum 2007 bis 2008 (Quelle: IWF)
Abbildung 5: Weiter voll auf Risiko (Quelle: Der Spiegel, 25/2010, S. 78.)
Abbildung 6: Export- und Importquote 2009 in Deutschland. (Quellen: Statistisches Bundesamt; IW Köln)
Abbildung 7: KMU-Anteile in Deutschland 2008 (Quelle: IfM Bonn)
Abbildung 8: Bezirk Weser-Ems: Eigene Darstellung (Quelle: Land Niedersachsen)
Abbildung 9: Darstellung des methodischen Ansatz (Quelle: verändert nach FLICK (2005), S. 45)
Abbildung 10: Kartogramm der befragten kleinen und mittleren Unternehmen (Quelle: Eigene Darstellung und Erhebung)
Abbildung 11: Umsätze in Mio. € im Jahr 2009 klassiert nach KMU-Kriterien (Quelle: Eigene Erhebung und Darstellung)
Abbildung 12: Branchenzugehörigkeit (Quelle: Eigene Erhebung und Darstellung)
Abbildung 13: Hauptbankverbindungen bei kleinen und mittleren Unternehmen (Quelle: Eigene Erhebung und Darstellung)
Abbildung 14: Entwicklung der Kreditaufnahme in den vergangen 12 Monaten (Quelle: Eigene Erhebung und Darstellung)
Abbildung 15: Einfluss ausgewählter Faktoren auf die Kreditvergabe aus Sicht der Kreditinstitute (Quelle: Eigene Erhebung und Darstellung)
Abbildung 16: Entwicklung der Kreditrichtlinien aus Bankensicht (Quelle: Eigene Darstellung und Erhebung)
Abbildung 17: Kreditklemme gruppiert nach Branche (Quelle: Eigene Erhebung und Darstellung)
Abbildung 18: Übersicht abgelehnte u. erhaltene Fördermittel, gruppiert nach Rechtsform (Quelle: Eigene Erhebung und Darstellung)
Abbildung 19: Ist das Ende der Krise in Sicht? (Quelle: Eigene Erhebung und Darstellung)
Abbildung 20: Wie lange dauert es, bis die Krise überwunden ist? (Quelle: Eigene Erhebung und Darstellung)
Abbildung 21: Bewertung unterschiedlicher Finanzierungsquellen (Eigene Erhebung und Darstellung)
Abbildung 22: Bewertung wichtiger Kriterien für die Kreditaufnahme (Quelle: Eigene Erhebung und Darstellung)
Abbildung 23: Das Factoring-Modell (Quelle: WÖHE (2002), S. 711)
Abbildung 24: IHK-Konjunkturklimaindex für die Region Oldenburg (Quelle: Oldenburgische Wirtschaft Nr. 8, August 2010, S. 15)
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: KMU-Definition der EU (Quelle: Die neue KMU-Definition, eigene Darstellung)
Tabelle 2: Unterschied zwischen Private Equity und Mezzanine (Quelle: OHNE VERFASSER: Vom Zwischenstockwerk hoch hinaus: Mezzanine, in: Weser-Ems Manager, Ausgabe 2, 2. Jahrgang, Februar 2009, S. 46)
Tabelle 3: Vor- und Nachteile von Venture-Capital (Quelle: Weser-Ems Manager 2/2008, S. 52)
Tabelle 4: Bewertung der Finanzierungsalternativen (Quelle: Eigene Darstellung)
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abstract
„ Das einzig Ü berraschende an der Wirtschaftskrise von 2008 war die Tatsache, dass sie für so vieleüberraschend kam. “ 1
So der Einstieg eines von vielen jüngst veröffentlichten Büchern, welche die schwerste Weltwirtschaftskrise seit der Großen Depression in den 1930er Jahren versucht aufzuarbeiten.
Was mit der US-Immobilienkrise begann, führte zur einer weltweiten Bankenkrise und endete über eine Wirtschaftskrise in einer globalen Staatenkrise. Der Internationale Währungsfonds (IWF) rechnete bereits im Oktober 2008 mit weltweiten Verlusten durch die Finanzkrise in Höhe von 1,4 Billionen Dollar.2
Diese Arbeit soll:
- einen Überblick über die Entstehung der Finanzkrise geben,
- seinen Schwerpunkt auf die Finanzierungssituation von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) im Bezirk Weser-Ems setzen und
- einen Finanzierungsalternativenkatalog herausarbeiten.
Um die aktuelle Situation erfassen zu können, wurden dazu zwei Erhebungen im Bezirk Weser-Ems durchgeführt.
Adressaten der ersten Befragung waren kleine und mittelständische Unternehmen. Als Gegenstück dazu wurde die zweite Befragung mit Kreditinstituten der Region durchgeführt. So lässt sich aufgrund teilweiser identischer Fragestellungen die Finanzkrise aus zwei Blickwinkeln betrachten.
Hieraus wird ein Katalog mit Finanzierungsalternativen abgeleitet und unter der aktuellen Krisensituation bewertet.
1 Einführung, Problemstellung und Vorgehensweise
Besonders in der aktuellen Situation einer weltweiten Wirtschaftskrise merkt der deutsche Mittelstand extrem seine Abhängigkeiten vom Bankensektor. Für viele Unternehmer ist der klassische Bankkredit Finanzierungsquelle Nummer eins. Andere Beteiligungsfinanzierungen stoßen aus Gründen der „Herr-im-Haus- Mentalität“3 und der „Furcht vor mangelnder Kontrolle“4 häufig auf Skepsis. Die Innenfinanzierung, der Bankkredit und partiell das Leasing stehen nach den Erwartungen deutscher Mittelständler auch weiterhin im Vordergrund.5
Wie sich nun die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise auf diesen betroffenen Unternehmenskreis auswirkt, ist Schwerpunkt dieser Arbeit.
Zuallererst wird in Kapitel 2 auf den Werdegang der Krise eingegangen und wie aufgrund einiger fauler US-Kredite beinahe das gesamte Finanzsystem kollabierte.
Das nächste Kapitel steht unter dem Namen „Krise als Chance“. Es soll versucht werden der Krise etwas Positives abzugewinnen bzw. einen Weg zur Neuorientierung aufzeigen und alte Standpunkte überdenken.
Kapitel 4 und 5 bilden den Hauptteil dieser Arbeit. Im ersten Teil wird auf zwei zu diesem Thema im Bezirk Weser-Ems durchgeführte Erhebungen eingegangen. Hierbei finden sowohl die Seite der kleinen und mittleren Unternehmen, sowie der Bankensektor seine Berücksichtigung. Es werden Vergleiche hergestellt und versucht Abhängigkeiten herauszufinden. Den Abschluss bildet eine Beurteilung der Finanzkrise aus KMU- und Bankensicht. Der zweite Hauptteil bezieht sich auf die gewonnenen Erkenntnisse der Erhebungen und baut sich systematisch auf dem ersten Hauptteil auf. Im Mittelpunkt stehen dabei alternative Finanzierungsformen zum klassischen Bankkredit. Aus den Umfrageergebnissen werden wichtige Bewertungskriterien abgeleitet und daraus ein Alternativenkatalog aufgestellt. Dieser wird danach auch im Hinblick auf eine Finanzkrise und den damit verbundenen Risiken und Chancen beurteilt.
Die Arbeit endet mit einer zusammenfassenden Schlussbetrachtung (Kapitel 6).
Die Literaturrecherche erfolgte in Bibliotheken, dem Internet sowie in aktuellen Fachzeitschriften und der Tagespresse. Wegen der Aktualität des Themas halfen besonders aktuelle Aufsätze und Veröffentlichungen weiter.
Detaillierte Informationen über die gewählte Literatur sind dem Literaturverzeichnis zu entnehmen.
2 Von der Subprime-Krise zum Versagen des internationalen Finanzsystems
Wenn alljährlich im Dezember die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS)6 zu »dem Wort des Jahres« aufruft, war es für die Finanzmärkte zum Jahreswechsel 2007/2008 klar, dass dafür nur ein Begriff in Frage kam: »Subprime«.7 Mit dem Antonym zu »prime«, was übersetzt so viel wie »zweitklassig« bedeutet, werden in den USA Hypothekarkredite bezeichnet, die an Kreditnehmer mit schlechter Bonität vergeben werden und die die schwerste internationale Finanzmarktkrise seit mehr als 20 Jahren ausgelöst haben.8
Als diese Subprime-Kredite dann tatsächlich ausfielen, kam so viel „Sand ins Getriebe“ der Finanzmärkte, dass für zwei heiße Wochen im August 2007 das ganze System zum Stillstand kam.
Aber fangen wir ganz vorne an:
» This is a world inhabited not by people who have to be persuaded to believe, but by people who want an excuse to believe. « 9
J.K. Galbraith10, The Great Crash of 1929
Traditionell finanzierten US-Amerikaner ihr Eigenheim mit 30-jährigen Fix-Zins- Hypothekarkrediten (30-Year Fixed-Rate Mortgages). Schwankte der Zinssatz für Kreditnehmer mit guter (prime) Bonität in den 90er-Jahren in einer Bandbreite zwischen 6,75% und 10,5%, betrug diese Rate, Anfang 2000, auf dem Höhepunkt des New-Economy-Booms noch 8,25%. Besonders nach dem Platzen der »Dotcom-Blase«11 im März 2000 und den Attentaten vom 11. September 2001, als die Notenbanken der USA, Europas und Japans die Leitzinsen allesamt auf immer neue Tiefstände drückten, begannen auch bald die langfristigen Zinsen zu fallen. Bereits zur Jahresmitte 2000 begann eine beispielslose Talfahrt, die im Juni 2003 mit einem bis dato Allzeittiefstand von 5,23% endete. Die Entwicklung der 30-Jahre Fixzins-Hypothek der letzten 35 Jahre zeigt Abbildung 1.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Entwicklung Zinssatz für 30-Jahre Fixzins-Hypotheken seit 1974. (Quelle: Freddie Mac, eigene Darstellung)
Da in den USA per Gesetz jede normale Hypothek vom Kreditnehmer jederzeit gekündigt werden darf,12 ist es dort üblich, alte Hypotheken bei fallenden
Zinsen zu kündigen und zu den neuen, niedrigeren Zinsen zu refinanzieren. Wer also eine alte, hochverzinste Hypothek laufen hatte, konnte diese zu niedrigeren Monatsraten refinanzieren oder bei einer gleichbleibenden Ratenhöhe eine höhere Hypothek erhalten. Die Differenz konnte als Cash eingestrichen werden, was in den USA unter home equity extraction bekannt ist. Zudem sind, wie in Abbildung 2 zu sehen, die Preise für Wohnimmobilien (S&P/Case-Shiller Home Price Indices) in den letzten zehn Jahren stark angestiegen. Je länger die letzte Refinanzierung somit zurücklag, ermöglichte der höhere Marktwert des Hauses ein umso höheres Kreditpotenzial. Dem US- Bürger, der eine brauchbare Kreditqualität und ein Haus vorweisen konnte, zeigte sich also eine schöne Vielfalt an Varianten, wie er von der ökonomischen Situation profitieren konnte.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: S&P/Case-Shiller Home Price Indices (Quelle: www.standardandpoors.com).
Aber nicht nur für Hausbesitzer boten sich verlockende Möglichkeiten, sondern auch der Neubau erwies sich unter der Bedingung billiger Kredite und steigender Immobilienpreise für mehrere Jahre als ungewöhnlich profitabel.
Ein weiterer Punkt der diese Entwicklung billigte, war, dass das Geld für diese Kredite nicht wie üblich von lokalen Banken und Bausparkassen aufgebracht werden musste, sondern es konnte - vermittelt von der Wall Street - bei amerikanischen und internationalen Investoren geholt werden. Diesen wurden mit Hypothekarkrediten besicherte Anleihen verkauft, die als so sicher wie USStaatsanleihen galten. Die Ratingagenturen bestätigten dies mit Brief und Siegel bzw. mit den gefragten AAA-Ratings.13
Daraus resultierte ein gewaltiger Schwall an Hypotheken. Abbildung 3 verdeutlicht den Anstieg an »home mortgage« Anfang 2001.
Abbildung 3: Jährlich vergebene Eigenheimhypotheken: Ab 2006 ging die Nachfrage stark zurück (Quelle: Federal Reserve (Flow of Funds Z-1; eigene Darstellung).
Diese Hypotheken wurden nun gebündelt, in Risikoklassen geteilt und an Investoren wieder verkauft, was nach dem Platzen der New-Economy-Blase Anfang 2000 zum besten Geschäft an der Wall Street14 wurde. Die meist regionalen Banken und Hypothekarinstitute behielten dabei, die von ihnen generierten Hypotheken nicht lange in den eigenen Büchern, sondern verkauften sie an die großen Investmentbanken, die daraus marktfähige Anleihen produzierten. Da seit dem großem Börsencrash kein Geschäft mehr mit Aktien zu machen war und die Anleiherenditen teilweise unter die Inflationsrate zurückgefallen waren, konzentrierten sich die Investmentbanker verstärkt auf die Verarbeitung der aus diesen Hypotheken kommenden Zahlungsströme, die sie in immer kompliziertere Strukturen verpackten. Natürlich versuchten die Marketing-Experten der Investmentbanken und Hypothekenbranche die Nachfrage nach diesen Krediten besonders hoch zu halten. Die potenziellen Kreditnehmer wurden von den Vorteilen einer variabel verzinsten Hypothek überzeugt und gleichzeitig wurden deren Risiken15 heruntergespielt. Hatte der Kunde sich für eine so genannte ARM (adjustable rate mortgage) entschieden, konnte er mit einem gut halben Prozentpunkt niedrigeren Zinssatz gegenüber Fixzinsangeboten rechnen. Dadurch wurden nur noch höhere Kredite ermöglicht. Wer im Jahr 2000 eine Fixzinshypothek zu 8% abgeschlossen hatte, konnte also Mitte 2003 zu 4% refinanzieren und zahlte nur noch die Hälfte an Monatsraten bzw. konnte sich eine doppelt so hohe Hypothek bei gleichbleibenden Monatsraten leisten (vgl. Abbildung 1).
Andererseits waren an den Finanzmärkten variabel verzinste Hypotheken (ARMs) deshalb so beliebt, weil kein Kreditnehmer einen Anreiz hatte, die Hypotheken bei fallenden Zinsen zu kündigen. Das war aus Sicht der Investoren das einzige Risiko bei Prime- Hypotheken.16 Sofern es sich dabei um conforming loans handelte, die den Standards der staatlich reglementierten Hypothekenagenturen entsprachen (hohe Bonität, Unterschreitung maximaler Höhe und Beleihungsgrad), konnten diese Hypotheken von staatlichen oder halbstaatlichen Agenturen garantiert werden. Nachdem die Zinsen aber allmählich wieder anstiegen und die Prime-Refinanzierungen zu versiegen schienen, drohte das profitable Geschäft mit der Strukturierung von Hypothekarkrediten zum Erliegen zu kommen. Der Wall Street fehlte es an frischem Geld. Da sich nach »David Ricardo«17 jede Nachfrage auch sein Angebot schafft, wurde schnell ein Ersatz in Menschen, die wenige Jahre zuvor nicht einmal davon hätten träumen dürfen, jemals überhaupt einen Kredit zu erhalten, gefunden. Diese Gruppe wurde später unter den Namen »Ninjas« bekannt: »no income, no jobs, no assets«.18
Längst treten auch im Kreditgeschäft Phänomene auf, die unter den Stichwörtern Moral Hazard und Adverse Selection bekannt sind. Wörtlich übersetzt, bedeutet Ersteres „sittliche Gefährdung“. In diesem Zusammenhang ist es auf das Verhalten des Kreditnehmers abgestellt. Wenn sich der Person die Möglichkeit ergibt, den anderen zu schaden, gibt es für ihn keine moralische Grenze dies auch nicht zu tun. Der Kreditnehmer neigt zur Übernahme eines hohen Risikos, weil er einerseits den eventuell anfallenden Gewinn einstreichen würde und andererseits plant, mögliche Verluste der Bank anzuhängen. Dabei gilt für große Banken ähnliches: Ist eine Bank erst einmal groß genug, ist sie bereit jedes Risiko einzugehen. Sie machen riesige Profite, wenn alles gut geht und wenn etwas schief läuft, müssen Regierung und Notenbank einschreiten, um das Finanzsystem zu retten.
Unter Adverse Selection wird im Kreditgeschäft verstanden, dass gerade die Projekte, welche die größte Wahrscheinlichkeit haben schlecht (adverse) auszugehen, die höchsten Chancen haben, finanziert (selected) zu werden. Die Kreditnehmer, die bereit sind ein höheres Risiko einzugehen, sind oft auch bereit höhere Zinsen zu zahlen. Denn auch die höchsten Kosten kümmern denjenigen nur wenig, der von vornherein eingeplant hat, die Kredite nur im Erfolgsfall zu bedienen. Würde der Kreditgeber hohe Zinsen verlangen, spricht er nur noch Personen an, die anderweitig keinen Kredit mehr erhalten würden.
Dies sichert ihm zwar eine hohe Rendite, jedoch wird bei diesen Subprime- Hypotheken die Ausfallquote sehr hoch liegen. Durch dieses Verhalten schließt er Kredite mit Personen ab, die er normalerweise nicht auswählen würde (=adverse Selektion). Genau diese Phänomene wurden an den Finanzmärkten zwar von Anfang an diskutiert, aber man hielt sie für durchaus beherrschbar.
Unter dem Namen private label MBS19 wurden Anleihen etabliert, die auf Hypotheken basieren, welche nicht als conforming loans, also reguläre Kredite galten. Dementsprechend gab es auch keine Garantien von den government- sponsored enterprises.20 Entweder weil sie zu groß waren (jumbo loans) oder nicht die geforderten Kreditsicherheitsqualitäten aufwiesen (alt-a loans mit mittlerer und subprime loans mit schlechter Kreditqualität). Die Wall Street sah dieses nur mittelbar als Nachteil. Denn bei auf Conforming Loans basierenden Anleihen bestand das einzige Risiko darin, dass das Darlehen vorzeitig getilgt werden könnte (prepayment risk). Bei den private label MBS hingegen kam jetzt auch ein Ausfallrisiko (credit risk) hinzu. Dieses zusätzliche Unterscheidungsmerkmal bot den Investmentbankern neue Varianten das Risiko zu strukturieren.
Das aber gerade auf Menschen ohne ausreichendes Einkommen oder Vermögen zurückgegriffen wurde, lag nicht nur daran, dass sonst keine mehr verfügbar waren, sondern es lag viel mehr in der Gier des Menschen. Nur Subprime-Schuldner, die normalerweise nur erschwert Kredite bekamen, waren auch gewillt hohe Zinssätze zu zahlen. Diese hohen Zinsen brachten den Spielraum, um allen Beteiligten - abgesehen von den Kreditnehmern - eine motivierende Rendite zu versprechen. Zwar brachten auch kurzfristige Überziehungskredite oder Kreditkartenschulden eine höhere Rendite, doch handelte es sich hierbei meist um vergleichsweise geringe Summen. Einzelne Hypotheken beliefen sich kaum unter 100.000 Dollar, wodurch insgesamt ein gewaltiges Volumen erreicht wurde. Das Risiko, das die Kreditnehmer ohne Einkommen offensichtlich darstellten, wurde nicht als Problem, sondern eher als Chance gesehen. Denn der »Appetit auf Risiko« der internationalen Investoren war gewaltig, vorausgesetzt, es wurden ihnen ausreichend hohe Zinsen als Ausgleich versprochen.
Da die Grundstücke, die als Sicherheiten hinterlegt wurden, seit fast zehn Jahren im Preis kontinuierlich stiegen, herrschte leichtgläubig die Meinung, dass dies auch in Zukunft so sein werde und dass im Falle eines Zahlungsverzuges eben das Haus verwertet werden müsste. Tatsächlich waren die Hauspreise seit den 1930er Jahren in den USA im Landesschnitt kontinuierlich angestiegen. Den Hausbesitzern boten sich die Möglichkeiten, wenn sie einmal in Zahlungsschwierigkeiten kommen sollten, ihr Haus entweder wenn nötig mit Gewinn zu verkaufen und die Hypothek zu tilgen oder mit einer höheren Hypothek zu refinanzieren. Die zweite Variable, die das Ganze noch einfacher machte, war das seit 20 Jahren tendenziell zurückgegangene Zinsniveau. Dies führte dazu, dass selbst Hypothekarkredite mit schlechter Bonität seit zwei Jahrzehnten ausgesprochen niedrige Verlustraten aufwiesen und in den Akten der Banker so gut wie keine Kreditausfälle vermerkt waren. Diese Daten wurden nun in die Bewertungsmodelle mit einbezogen, womit die Preise der Hypotheken und denen darauf basierenden Wertpapiere errechnet wurden. So elegant oder kompliziert die mathematischen Modelle auch waren, die Ergebnisse sollten sich später jedenfalls als viel zu optimistisch herausstellen.
Die Finanzmärkte hätten dabei durchaus Beispiele finden können, wie sich sinkende Hauspreise auf die Zahlungsmoral auswirken, z.B. im früheren »Manufacturing Belt«, dem ältesten Industriegebiet der USA. Es erstreckt sich im Nordosten entlang der großen Seen von Chicago über Boston, Washington D.C. bis nach New York. Als es Ende des 19. Jahrhunderts mit der Schwerindustrie und der Eisenerzförderung an diesem Ort zurückging, begann schleichend der Übergang vom »Manufacturing Belt« zum jetzt besser bekannten »Rust Belt«. Durch den unaufhaltsamen Strukturwandel verlor die Gegend seine wirtschaftliche Bedeutung. Die früher vorherrschende Schwerindustrie wurde zum Großteil in billiger produzierenden Entwicklungsländern ausgelagert.21 Die Menschen zog es in die wärmeren Gefilde Richtung Florida oder Kalifornien. Die Folge waren sinkende Immobilienpreise, Arbeitslosigkeit und steigendes Desinteresse an Immobilien. Das führte selbst bei Prime-Krediten zu einer Ausfallrate von 20% und mehr.22
Für die neuen Hypothekenvarianten, deren Zinsen nach zwei oder drei Jahren mit teaser rates23 stark angehoben wurden, gab es hingegen kaum Erfahrungswerte. Genauso wie es keine Erfahrungen über Kredite an Menschen mit schlechter Bonität gab. Anstatt wie von den Hypothekar- verkäufern gewünscht, begaben sich diese Schuldner lieber in die foreclosure24 als die Hypotheken rezufinanzieren oder die höheren Raten zu zahlen.
Mit der immer mehr aufschäumenden Euphorie wuchs auch die Anzahl der Skeptiker. Immerhin waren in den Jahren von 1997 bis 2002 in einigen Regionen die Hauspreise, um mehr als die Hälfte gestiegen und ab 2001 war von einer Housing Bubble schon die Rede gewesen. Dies rief aber eine große Schar an Skeptiker zu einer immer massiveren Kritik an den Notenbanken auf.
Ab 2001 war die Branche dann absolut nicht mehr zu halten (siehe auch Abbildung 3). Die Anzahl der vergebenen Eigenheimkredite stieg dramatisch an. Lag laut »Inside Mortgage Finance« 2001 der Anteil an Kreditnehmer mit schlechter Kreditwürdigkeit nur bei 7% aller US-Hypotheken und einem Volumen von 160 Milliarden US-Dollar, waren es 2006 schon 21% und 600 Milliarden.25
Aus einer nationalen Krise einer einzelnen Branche entwickelte sich über eine multinationale Krise der Finanzwirtschaft eine internationale Krise der gesamten Wirtschaft. 26 Ein Flächenbrand von dem selbst Staaten betroffen sind an denen die Finanzkrise noch fast spurlos vorbeiging, etwa die arabischen Staaten oder Japan. Das ganze Ausmaß der Krise im Zeitraum 2007 bis 2008 verdeutlicht die folgende Abbildung:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4: Ausmaß der Krise im Zeitraum 2007 bis 2008 (Quelle: IWF).
Und schon in der Finanzkrise gab es Staaten wie Island und Irland, die stärker litten als die USA, wo die Krise ihren Ursprung hatte.
3 Die Krise als Chance zur Veränderung und Neuorientierung
Krisen sind so alt und allgegenwärtig wie der Kapitalismus selbst. Sie kamen Anfang des 17. Jahrhunderts mit dem Kapitalismus auf und sind uns in kaum veränderter Form erhalten geblieben.27 Eine Binsenweisheit ist ebenfalls, dass auf Krisen oft Regulierungen und Reformen des Finanzsystems folgen. Unverkennbar ist auch, dass wir in der aktuellen Situation die größte Wirtschaftskrise nach der Großen Depression aus den 1930er Jahre erleben. So eine Nahtoderfahrung regt viele Überlegungen an, was eine Regierung unternehmen kann, um weitere Katastrophen abzuwenden oder sie gar in Zukunft zu vermeiden. Momentan hängt der Aufschwung noch am Tropf des Staates und der Europäischen Zentralbank. Die beschlossenen Hilfspakete zur Rettung bedrohter Banken sowie bedrohter Staaten reichen nicht aus, sonst sind am Ende auch die Retter bankrott. Angesichts der weltweit integrierten Finanzmärkte brauchen wir auch internationale Regeln.28 Im nationalen Alleingang ist gar nichts gewonnen. Es gilt die richtigen Lehren aus der Krise zu ziehen und aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. In den folgenden Abschnitten soll über mögliche Schlussfolgerungen aus der Krise diskutiert werden. Es ist nur eine beispielhafte Aufzählung und greift bei weiten nicht alle in der Politik und Gesellschaft diskutierten Punkten auf.
3.1 Aus der Vergangenheit lernen
Schon einmal ordnete eine Regierung als Reaktion auf eine Finanzkrise den Bankensektor neu. 1933 wurde unter dem damaligen US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt29 eines der mittlerweile berühmtesten Gesetze beschlossen, der Glass-Steagall-Act.30 Als in der Großen Depression nach 1929 rund 5.000 Banken zusammenbrachen und Millionen Sparer ihr Vermögen verloren, war dies die einzige Lösung, um die Turbulenzen, in die die Finanzmärkte zuvor geraten waren, wieder zu beruhigen.31 Das Gesetz zwang die Finanzinstitute sich zu entscheiden: Entweder verstanden sie sich von nun an als normale Geschäftsbank, die sich den klassischen Tätigkeiten, wie Verwaltung der Kundeneinlagen und Vergabe von Krediten oder sie bezeichneten sich als Investmentbank und konzentrierten sich ganz auf das Wertpapiergeschäft. Durch das Gesetz wurde das Vertrauen in den Bankensektor wieder hergestellt. Die Trennung blieb über sechs Jahrzehnte bestehen und wurde erst Ende der neunziger Jahre, als der Zeitgeist der „New Economy“ die Märkte berauschte, gelockert und unter der Regierung von Bill Clinton32 im November 1999 letztendlich ganz aufgehoben. In dieser Zeit überboten sich die Staaten, möglichst viele Regelungen für den Finanzsektor abzuschaffen, um die Branche vor lästigen Fesseln zu befreien.33
Jetzt wird unter dem Eindruck der Finanzkrise in den USA wieder eine Trennung des Bankensystems diskutiert. Präsidentenberater Paul Volcker, Ex- Notenbank-Chef und Urgestein der US-Finanzpolitik, fordert eine erneute Aufspaltung der Bankenwelt.34 Auf der einen Seite in Institute, die auf eigene Rechnung spekulative Geschäfte betreiben und auf der anderen Seite in Banken, die auf Spareinlagen und Notenbankkredite zurückgreifen.
Gefestigt wird seine Forderung gerade im Hinblick auf die aktuellen Vorsteuergewinne ausgewählter Banken, wie folgende Abbildung zeigt. Bereits jetzt wird wieder ein Großteil ihrer Gewinne mit Geschäften aus dem Investmentbanking erzielt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 5: Weiter voll auf Risiko (Quelle: Der Spiegel, 25/2010, S. 78.)
In den USA wäre dies nur eine Rückbesinnung auf den alten Normalzustand und auf die Konsequenzen, die schon einmal aus einer Weltwirtschaftskrise gezogen wurden. Die Banken wehren sich natürlich gegen so eine Beschneidung. Doch die Erfahrungen in den USA zeigten auch damals keine Einschränkung des Wirtschaftslebens. Die US-Wirtschaft wuchs in der Zeit sogar stärker als die vieler anderer Staaten.
3.2 Die umfassendste US-Finanzreform seit 80 Jahren
Die US-Wirtschaft hat die Krise zwar einigermaßen gut überstanden, doch die Angst vor einem neuen Kollaps ist noch immer hoch.35 Am Mittwoch, den 21.07.2010 unterzeichnete Präsident Barack Obama36 ein über 2.300 Seiten starkes Gesetzeswerk. Mit der umfassendsten Reform der vergangenen 80 Jahre ziehen Regierung und Kongress ihre Lehren aus der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise. Das nach seinen federführenden Autoren benannte Dodd- Frank-Gesetz soll durch strengere Auflagen für die Branche eine Wiederholung der schweren Finanzkrise von 2007 bis 2009 verhindern. Es wird eine Verbraucherschutzbehörde für Bankkunden eingeführt. Zudem wird es ein Insolvenzverfahren für Finanzkonzerne geben, das eine ordentliche Abwicklung in Fällen wie der Lehman-Pleite ermöglicht. Damit soll die Ansicht » too big to fail «, dass einige Firmen einfach zu groß sein, um Pleite zu gehen, begraben werden. Somit würden Amerikaner nie wieder die Zeche für die Fehler von der Wall-Street zahlen. Von Steuerzahlern finanzierte Rettungen wird es nicht mehr geben.37 Basierend auf einen Vorschlag (Kap. 3.1) des früheren Notenbankchefs und aktuellen Obama-Wirtschaftsberaters Paul Volcker wird der Eigenhandel der Geldhäuser mit staatlich versicherten Spareinlagen eingeschränkt. Sie dürfen in den hochprofitablen, aber risikoreichen Handel mit Hedge- und Private-Equity-Fonds nur sehr begrenzt investieren.38 In Zukunft wird ein neu geschaffener zehnköpfiger Regierungsrat unter Vorsitz des US- Finanzministers das Finanzsystem überwachen.39 Seine Aufgabe ist es, große Risiken für das Finanzsystem zu identifizieren.40 Werden Probleme bei systemrelevanten Finanz-Firmen erkannt, kann er diese gegebenenfalls der genaueren Kontrolle durch die Federal Reserve unterstellen. Rat und Fed erhalten die Vollmachten zusammenbrechende Firmen in letzter Instanz zu übernehmen oder abzuwickeln.
Es wird voraussichtlich noch viele Jahre dauern bis die Regulierungsbehörden die Einzelheiten in vielen Bereichen der Reform ausgearbeitet haben. Doch bereits jetzt erhält Obama in einem Punkt Lob:
„ Die Amerikaner stellen Transparenz her - sie versuchen, das Marktversagen zu beseitigen, aber nicht den Markt. Europa neige dagegen dazu, gefährlich erscheinende Geschäfte zu verbieten. Das ist für die Wirtschaft der schlechtere Weg. “ 41
3.3 Eine Reform der Ratingagenturen ist unvermeidbar
Ratingagenturen, die mit ihren Noten die Wahrscheinlichkeit eines Zahlungsausfalls angeben, spielen eine entscheidende Rolle für die Risikobewertung auf den Finanzmärkten. Die drei größten und bekanntesten sind die amerikanischen Ratingagenturen Standard & Poor’s, Moody’s Investors und Fitch Rating. Ratingagenturen vergeben Noten für fast alles, von Hypotheken über Unternehmensanleihen bis hin zu den Staatsschulden ganzer Nationen. Sie genießen heutzutage mit ihren Bewertungen größtes Vertrauen und erspart vielen eine eigene Prüfung der Risiken. Spätestens jedoch mit dem Ausbruch der Krise sind Ratingagenturen heftig in die Kritik geraten. Sie haben Ramschpapiere zu Bestnoten verholfen und Lehman noch kurz vor dem Untergang mit » A+ « bewertet.42 Um hier nicht vorschnell zu urteilen, sollte man erst auf die Entwicklung von Ratingagenturen zurückblicken.
Die Geschichte43 von Ratingagenturen geht bis in den frühen 1930er Jahren zurück. Einen Aufschwung erlebten sie 1975 mit der Zertifizierung durch die Börsenaufsicht. In den Anfangsjahren wurden Ratingagenturen von den Investoren finanziert, die einzelne Anlagen bewerten ließen. Als das Einnahme- modell mit der Zeit zunehmend uninteressanter wurde - viele Investoren haben sich die Bewertungen umsonst von Freunden besorgt - stellten die Rating- agenturen ihr Geschäftsmodell einfach um. Sie boten von nun an ihre Dienst- leistungen nicht mehr den Investoren, sondern den Ausgebern der Schuldtitel an. Dies entsprach auch den Reformen der Börsenaufsicht, die den Emittenten ein Rating für ihre Produkte vorschrieb. Hier sah man sich bald einen erheblichen Interessenkonflikt ausgesetzt. Die Banken, die Wertpapiere auf dem Markt bringen wollten, konnten sich bei den Agenturen nach dem besten Rating „umschauen“ und Angebote vergleichen. Ratingagenturen konnten die geplante Emission zwar als „Schrott“ bewerten, riskierten damit aber den Kunden zu verlieren. Das Interesse verlagerte sich immer mehr dahin, den Banken das zu geben, was sie verlangten, weil sie durch die Banken letztendlich finanziert wurden. Das ist so als würden Studenten ihren Professor für ihre Noten bezahlen. Wenn mehrere Professoren zur Auswahl stehen, würden diejenigen, die nur »Einser« verteilen bald beliebter sein und sie würden mehr verdienen als ihre strengeren Kollegen.
Eine andere nicht minder fragwürdige Einnahmequelle sind die „ Beratungs- “ oder „ Modellentwicklungsleistungen “ der Agenturen. Hier wandten sich Banken bei der Zusammenstellung ihrer strukturierten Finanzprodukte an eine der Ratingagenturen und ließen sich beraten, wie sie ihre Produkte gestalten müssen, dass sie in einem zweiten Schritt von derselben Agentur möglichst hoch bewertet werden. Auf diese Weise konnte die Ratingagentur gleich zweimal abkassieren, bei der Beratung und bei der Bewertung. Auch hier lässt sich ein passendes Beispiel aus dem Studentenleben finden: Das wäre so, als würde ein Professor dafür Geld nehmen, dass er seinen Studenten sagt, was sie lernen sollen, um in der Prüfung möglichst die besten Noten zu bekommen.
Ohne Zweifel muss sich etwas am Modell der Ratingagenturen ändern. Die Frage ist nur, wie man eine so sensible Sache umsetzt. Ratingagenturen besitzen mittlerweile eine halboffizielle Rolle. In allen Richtlinien, von den Bestimmungen der Börsenaufsicht bis zu den Eigenkapitalvorschriften von Basel II, werden die Agenturen offiziell als einzige Ratinginstanz anerkannt. Dadurch wird ihnen eine unverhältnismäßig hohe Macht zugesprochen und belebt nicht gerade den Wettbewerb. Hinzu kommen die sehr hohen Voraussetzungen für das begehrte Prädikat der Börsenaufsicht an neue Anwärter.44 Peter Bofinger, Mitglied im Sachverständigenrat der Bundes- regierung, fordert eine staatliche europäische Ratingagentur.45 Sie müsste von der EU gegründet und anfangs auch mitfinanziert werden. Bedingungslos müsste auch die Beratungsfunktion der Ratingagenturen verboten werden. Bislang sehen die neuen Vorschriften der Börsenaufsicht nur ein Verbot für Ratingagenturen, die von ihnen bewerteten Unternehmen zu beraten. Ebenfalls muss das aktuelle Geschäftsmodell, bei dem ein Emittent die Ratingagentur für die Bewertung seines Schuldtitels bezahlt, überdacht werden. Alles andere führt zu potenziellen Interessenskonflikten.
Der US-Ökonom Nouriel Roubini46, der die Finanzkrise voraussah, geht mit seiner Warnung vor unzureichenden Reformen sogar soweit, dass wenn die Staatengemeinschaft jetzt nicht eingreife noch größere und bedrohlichere Spekulationsblasen drohen.
„ Dann wäre das, was wir gerade erleben, nur ein Vorgeschmack dessen, was uns noch bevorsteht. “ 47
3.4 Basel III
Ein weiterer Ansatz ist das vom Baseler Bankenausschuss vorgeschlagene Reformwerk Basel III. Der Ausschuss ist ein internationales Gremium, dem Notenbanken und Aufsichtsbehörden aus 27 Industrie- und Schwellenländern angehören. Sie sollen internationale Standards für die Bankenaufsicht beschließen, um so die Risiken der Banken durch strengere Regulierungen zu begrenzen und künftige Krisen vorzubeugen. Die Beschlüsse des Ausschlusses haben nur Empfehlungscharakter, sind aber oft Basis für die Gesetzgebung. Am 18. Dezember 2009 hatte der Baseler Ausschuss umfassende Vorschläge für neue internationale Kapital- und Liquiditätsvorschriften für Banken vorgelegt. Zwei wichtige Punkte sind die neuen Liquiditätsregeln und die neuen, höheren Eigenkapitalquoten. In der Theorie ist das erstgenannte als » Goldene Bankregel « oder » Goldene Finanzierungsregel « bekannt und steht für die Fristenkongruenz (Kongruenz = Gleichheit). Die neue Regel soll verhindern, dass die Banken übermäßig kurzfristiges Geld leihen und dieses sehr langfristig verleihen. Als verbindliche Regelung zeichnet sich ab, dass Banken genügend sichere Anlagen haben müssen, um einen Monat flüssig zu bleiben. Die zweite, mittelfristige Kennziffer, die die Gefahr von Liquiditätsengpässen auf Sicht von einem Jahr bannen soll, wird voraussichtlich nicht im Pflichtteil der Aufsichtsregeln verankert. Von vielen Seiten ist man sich einig, dass diese Kennziffer nur als Beobachtungsgröße eingeführt werden soll.48
Der zweite wichtige Punkt von Basel III sind die höheren Eigenkapitalquoten. Hier sind aber noch viele Punkte offen, zum Beispiel wie hoch die Eigenkapitalquote sein solle und wie sie sich zusammenzusetzen habe.49 Diese technischen Punkte sind gerade für deutsche Banken von enormer Bedeutung, weil als hartes Kernkapital gelten nur Stammaktien und einbehaltene Gewinne, nicht aber eigenkapitalähnliche Instrumente wie stille Einlagen. Hier protestieren die Banken gegen eine zu scharfe Regulierung. Nach internen Berechnungen verschiedener Geldhäuser würde bei allen europäischen Banken ein Kapitalbedarf von bis zu 300 Mrd. Euro entstehen, sollten die geplanten Regeln Realität werden.50
Eine Überarbeitung der Vorschläge war bisher für Ende Juli 2010 geplant. Im September sollen weitere wichtige Eckpunkte festgelegt werden und im Dezember 2010 eine endgültige Abstimmung stattfinden.51 Der Zeitplan ist sehr straff gewählt. Wie genau die Vorschriften von Basel III letztendlich aussehen werden, ist also noch offen. Fraglich ist auch, wie die USA den Richtlinien von Basel III nachkommen will, es sei noch nicht mal klar, wann sie die bestehenden Richtlinien von Basel II endlich einführen.52 Unklar ist auch, wie deutsche Banken das Ratingverfahren handhaben. Ein Teilnehmer der in Kapitel 4 behandelten Erhebung hat mit den Ratingverfahren der Banken folgende Erfahrungen gemacht: „ Normalerweise soll man durch ein gutes Rating besser gestellt werden als andere Firmen. Doch auch nach mehrmaliger Aufforderung wurde ihm das eigene Rating nicht mitgeteilt. Die Bank hatte ihm nur geraten m ö glichst langfristig zu tilgen und begründete das mit sonst drohenden Zahlungsschwierigkeiten. Selbst im Gespräch mit anderen Firmen, sagten alle nur, dass sie schlechter geratet wurden als gedacht. Erschreckend sei auch, dass genau die Fachleute, welche die Dinge, die zur Krise geführt haben nicht richtig beurteilt haben jetzt, sein Unternehmen und den Markt auf dem es tätig ist beurteilen soll. “ 53 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Vorschläge von Basel III in die richtige Richtung gehen. Die Liquidität der Banken findet eine stärkere Beachtung und die Definition des Kernkapitals ist strikter.54
3.5 „Geschäftsmodell Deutschland“ auf dem Prüfstand
Gerade in dieser Zeit konnte man sehr deutlich die Auswirkungen der wirtschaftlichen Globalisierung erkennen. Die Länder sind enger miteinander verflochten, sodass sie stärker denn je darauf angewiesen sind, gemeinsam zu handeln und zu kooperieren. Kein Staat schafft alleine den Weg aus der Krise. Die deutsche Wirtschaft wurde wegen ihrer Abhängigkeit vom Export besonders hart von der Krise getroffen. Aufgrund der unsicheren Wirtschaftslage hatten Kunden aus aller Welt Investitionen in Maschinen und Anlagen zurückgestellt und damit der deutschen Industrie zweistellige Produktionseinbrüche beschert.55 Dies gibt Anlass, das „Geschäftsmodell Deutschland“ zu überdenken. Kritiker fordern, dass deutsche Unternehmen weniger von der globalen Nachfrage abhängig sein sollten, sondern vielmehr in heimischen Gefilden ihr Glück suchen.56 Besonders im Euro-Raum wird anhand eines Vergleichs der Leistungsbilanzen die starke Position des deutschen Außenhandels klar. In 2009 betrug in Deutschland der Handelsbilanz- überschuss 165 Mrd. Euro. Frankreich verzeichnete dagegen ein Defizit von 50 Mrd. Euro, Spanien von 27 Mrd. Euro und Italien von 11 Mrd. Euro.57 Zu den Kritikern zählt auch US-Präsident Obama mit seinem Brief an die Bundesregierung, „ weniger Export und weniger Sparen bitte, dafür mehr Konsum “ .58 Die starke Exportorientierung Deutschlands hätte in Europa das Ausmaß der Krise verstärkt und habe sich nicht bewährt. Die französische Wirtschaftsministerin Christine Lagarde warf Deutschland eine Wirtschaft zulasten der Partnerländer vor und forderte eine grundsätzliche Neuorientierung.59 Es wäre an der Zeit, den deutschen Sonderweg zu verlassen und neue, tragfähigere Wirtschaftsstrukturen zu schaffen. Was ist von diesen Ansichten zu halten?
Ganz zweifelslos hat Deutschland von der stürmischen Entwicklung der Weltmärkte der vergangenen Jahre in hohem Maße profitieren können. Trotz der Integration vieler neuer Länder auf den Weltmärkten konnte Deutschland in der internationalen Arbeitsteilung Marktanteile hinzu gewinnen. Abzulesen ist der Erfolg am starken Anstieg des deutschen Außenhandels (s. folgende Abbildung).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 6: Export- und Importquote 2009 in Deutschland.60 (Quellen: Statistisches Bundesamt; IW Köln).
Von 1993 an stiegen die Exporte viel schneller als das Bruttoinlandsprodukt, mit der Folge, dass die Exportquote von fast 23% auf gut 47% anstieg.61 Deutschland jetzt als rein exportorientiert abzustempeln wäre falsch. Auch die Importquote stieg im selben Zeitraum von gut 26% auf fast 41% ähnlich an. Folglich erhöhte sich der Offenheitsgrad von 49% auf 88%.
Die Ausrichtung der deutschen Volkswirtschaft in den letzten Jahren ist deshalb viel zutreffender als weltmarktorientiert anstatt exportorientiert zu beschreiben - ein wichtiger Unterschied.
Gewiss werden Länder, die stark auf dem Weltmarkt vertreten sind von der aktuellen Krise besonders hart getroffen. Das ist zwangsläufig die Schattenseite einer starken Exportorientierung. Aber das rechtfertigt noch lange nicht das „Deutsche Geschäftsmodell“ als überholt und nicht mehr zukunftsfähig einzumotten. Die Diagnose wäre zutreffend, wenn die Krise auf eine globale Überinvestition und dadurch zu einer starken Kreditexpansion zurückzuführen wäre62 und nicht, wie in den vorherigen Kapiteln gesehen, auf Funktions- störungen auf den Finanzmärkten. Forscher ist da schon die Aussage von einem der einflussreichsten Lobbyisten des Landes Manfred Wittenstein63, der von einer Neuorientierung gar nichts hält. „ Wir exportieren ja nicht b ö swillig “, sagt er. „ Den Weg zurückzudrehen wäre nicht gut. “ Und sowieso: „ Wer soll eigentlich durchsetzen, dass wir umsteuern? “ 64 Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel lehnt grundlegende Änderungen ab: „ Dort, wo wir stark sind, werden wir unsere Stärken nicht aufgeben “ .65
3.6 Schlusswort zur Krise
Inwieweit die aufgeführten Änderungen und Anregungen Umsetzung finden, wird sich mit der Zeit zeigen müssen. Ein positiver Rückschluss lässt sich aber bereits jetzt ziehen. Neben den ganzen negativen Auswirkungen der Krise hat sie auch einen heilsamen Effekt:
„ Der Markt hat gelernt, dass der Kredit nicht länger als Mitnahme-Produkt im Regal steht und damit praktisch an jeder Ecke zu haben ist. ” 66
Liquidität ist wieder zu einem Wert an sich geworden.
4 Die Finanzierungssituation von kleinen und mittleren Unternehmen
Das Hauptaugenmerk dieser Arbeit liegt auf den beiden folgenden Kapiteln. Den ersten Schwerpunkt setzt Kapitel 4 auf die Finanzierungssituation von kleinen und mittleren Unternehmen in der schwierigen Situation einer Finanzkrise, wie wir sie derzeit erleben. Kapitel 5 verwendet die errungenen Erkenntnisse aus dem vorherigen Kapitel und stellt Finanzierungsalternativen für kleine und mittlere Unternehmer heraus. Da eine holistische Bewertung gerade in Anbetracht der heterogenen Unternehmensgrößen zu sehr divergierenden Ergebnissen führen würde, bezieht sich diese Arbeit ausschließlich auf die Situation kleiner und mittlerer Unternehmen. Groß- sowie Kleinstunternehmen werden bei der Bearbeitung bewusst außen vor gelassen.
4.1 Definition KMU
In Deutschland werden die Begriffe KMU bzw. Mittelstand sehr häufig synonym von Politik, Behörden, Medien und Banken verwendet. Jedoch liegt dort oftmals ein unterschiedlicher Definitionsrahmen zugrunde, was zu Irritationen und Missverständnissen führt. Eine genaue Definition ist aber wichtig und soll Rechtssicherheit schaffen, z.B. bei der essentiellen Fragestellung, wer Fördermittel bekommt und wer nicht. Hierzu hat die EU-Kommission am 6. Mai 2003 ihre » Empfehlung zur Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen «67 aktualisiert. Diese Empfehlung kommt seit dem
1. Januar 2005 im Europäischen Wirtschaftsraum zur Anwendung und richtet sich an die Mitgliedsstaaten, die Europäische Investitionsbank und den Europäischen Investitionsfonds.68 Im Prinzip ist jedes Unternehmen ein KMU, das eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt und die EU-Kriterien, wie sie folgende Tabelle zeigt, erfüllt:
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Tabelle 1: KMU-Definition der EU (Quelle: Die neue KMU-Definition69, eigene Darstellung).
Auf diese Definition bezieht sich die gesamte Arbeit und erlaubt so eine synonyme Verwendung der Begriffe KMU und Mittelstand.
4.1.1 Bedeutung des deutschen Mittelstandes
Die Arbeit legt ihren Schwerpunkt nicht willkürlich auf mittelständische Unternehmen. In Deutschland wird im Zusammenhang mit dem Mittelstand immer vom Motor der deutschen Wirtschaft gesprochen. Wie bedeutend dieser Bereich für Deutschland ist lässt sich leicht anhand einiger Zahlen belegen. Laut Schätzungen70 vom IfM Bonn sind 99,7% der 3,63 Mio. Unternehmen in Deutschland kleine und mittlere Unternehmen. 37,5% der Umsätze aller Unternehmen fielen im Jahr 2007 auf KMU zurück. Mit 21,15 Mio. Beschäftigten stellten sie 2008 zudem 70,5% aller Arbeitsplätze. Gerade mal 8% aller Arbeitnehmer sind bei Unternehmen mit mehr als 10.000 Mitarbeitern beschäftigt, wovon es in Deutschland gerade einmal 77 Stück gibt.71 Eine Zusammenfassung der wichtigsten Zahlen zeigt die nachfolgende Abbildung:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 7: KMU-Anteile in Deutschland 2008 (Quelle: IfM Bonn)72
EU-weit gesehen, gibt es etwa 23 Mio. KMU, die rund 75 Mio. Arbeitsplätze stellen und 99% des Unternehmensbestandes ausmachen.73
4.2 Erhebung im Bezirk Weser-Ems
Mittlerweile gibt es zahlreiche regionale74 sowie nationale75 empirische Untersuchungen zum Thema Wirtschaftskrise und Finanzierungssituation. Ein Großteil dieser Umfragen fokussiert sich in erster Linie nur auf eine Befragung in den eigenen Mitgliedsreihen - so z.B. die regelmäßigen Umfragen der regionalen Industrie- und Handelskammern, die dadurch eine holistische Betrachtung der Finanzierungssituation unter allen Marktteilnehmern außen vor lassen. Ein weiteres Manko solcher Umfragen ist die nicht selten unabhängige Betrachtung der Situation von nur einer Seite der Medaille. Eine Berücksichtigung beider beteiligten Marktteilnehmer - hier meist der Bankensektor als Kreditgeber und kleine und mittlere Unternehmen als Kreditnehmer - wird oft vernachlässigt.
Die folgende empirische Untersuchung versucht hier Abhilfe zu schaffen und unterscheidet sich von den bekannten Studien und Monatsreviews wie folgt: Um eine ganzheitliche Betrachtung der Finanzierungssituation von kleinen und mittleren Unternehmen zu gewährleisten, wurden zwei aufeinander abgestimmte Fragebogen erstellt. Adressat des ersten Fragebogens waren diese kleinen und mittleren Unternehmen. Der zweite Fragebogen richtete sich demnach an den Bankensektor, der zumeist die Funktion des Kreditgebers erfüllt. Durch teilweise sich ergänzende, aber auch identische Fragestellungen lässt sich sehr gut ein Vergleich der beteiligten Kreise herleiten.
Des Weiteren bezieht sich die Erhebung räumlich auf dem Bezirk Weser-Ems. Hierunter fallen die 17 Landkreise bzw. kreisfreien Städte: Ammerland, Aurich, Cloppenburg, Delmenhorst, Emden, Emsland, Friesland, Grafschaft Bentheim, Leer, Oldenburg, Oldenburg-Stadt, Osnabrück, Osnabrück-Stadt, Vechta, Wesermarsch, Wilhelmshaven und Wittmund. Die Erhebung erstreckt sich somit über das gesamte westliche Niedersachsen. Einen grafischen Überblick verschafft die folgende Abbildung:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 8: Bezirk Weser-Ems: Eigene Darstellung (Quelle: Land Niedersachsen).
4.2.1 Erläuterungen zum methodischen Vorgehen
Zur empirischen Untersuchung der Finanzierungssituation von kleinen und mittleren Unternehmen wurde ein gekoppeltes empirisches Design nach dem Prinzip der Triangulation gewählt. Triangulation bedeutet in diesem Fall schlicht, dass die Betrachtung des Forschungsgegenstandes aus zwei unterschiedlichen methodologischen Perspektiven erfolgt. Im Gegensatz zum traditionellen Verständnis von Triangulation, wonach die Kombination quantitativer und qualitativer Methoden zu einer gegenseitigen Validierung der Ergebnisse führt,76 liegt dieser Arbeit ein weniger objektivistisches Begriffsverständnis zugrunde (s. Abbildung 9).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 9: Darstellung des methodischen Ansatz (Quelle: verändert nach FLICK (2005), S. 45).
Die Ergebnisse der einzelnen Methoden sollen sich vor allem inhaltlich komplementieren und damit eine möglichst tiefe und breite Beschreibung sowie ein besseres Verständnis des Fragegegenstandes zulassen.77
4.2.2 Die Fragebögen
Für eine umfassende Ermittlung subjektiver Wahrnehmungen, Kognitionen und Einstellungen größerer Gruppen sind quantitative Erhebungsmethoden für die wirtschaftswissenschaftliche Forschung nach wie vor unverzichtbar. Aus diesem Grund erfolgte die Durchführung einer schriftlichen Befragung auf der Grundlage voll standardisierter Fragebögen.78 Ihr Aufbau soll im Folgenden näher erläutert werden.
[...]
1 Zitiert nach: STIGLITZ (2010), S. 27.
2 Vgl. IWF Bericht, http://www.stern.de/wirtschaft/news/maerkte/iwf-bericht-finanzkrise- vernichtet-14-billionen-dollar-641517.html [Zugriff: 11.05.2010].
3 Zitiert nach: Scherer, H.-W.: Zum klassischen Kredit gibt es inzwischen viele Alternativen, in: Handelsblatt v. 27.03.2004.
4 Zitiert nach: Ebenda.
5 Vgl. ebenda.
6 Die GfdS mit Sitz in Wiesbaden veröffentlichte zum ersten Mal 1972 das »Wort des Jahres«. Seither trifft eine Fachjury zum Jahreswechsel eine Vorauswahl der Spitzenwörter des ablaufenden Jahres und stellt sie der Presse zum Votum vor.
7 Anderer Ansicht war die Presse, die »Klimakatastrophe« zum Wort des Jahres 2007 wählte.
8 Vgl. SOMMER (2008), S. 1.
9 »Diese Welt wird nicht von Menschen bewohnt, die überzeugt werden müssen zu glauben, sondern von Menschen, die eine Entschuldigung dafür suchen, dass sie glauben.«
10 John Kenneth Galbraith (1908-2006) war einer der einflussreichsten Ökonomen des 20. Jahrhunderts.
11 Der Begriff »Dotcom-Blase« ist ein durch die Medien geprägter Kunstbegriff für eine im März 2000 geplatzte Spekulationsblase, die insbesondere die so genannten Dotcom -Unternehmen der New Economy betraf und vor allem in Industrieländern zu Vermögensverlusten für Kleinanleger führte. Der Begriff Dotcom bezieht sich dabei auf die Internet-Domain-Endung „.com“ (engl. für Company) (Quelle: Wikipedia).
12 Allerdings dürfen Vertragsstrafen vereinbart werden, was bei vielen Subprime-Hypotheken der Fall war und oft bis zu sechs Monatsraten ausmachte.
13 Vgl. SOMMER (2008), S. 6.
14 »Wall Street« ist hier natürlich nicht wörtlich zu nehmen, sondern als gebräuchliches Synonym für die Finanzsphäre; in Abgrenzung zu »Main Street«, der Realwirtschaft.
15 Risiken bestanden etwa darin, dass bei dieser Hypothekenvariante mit einem steigenden Zinsniveau auch empfindlich hohe Monatsraten fällig wurden, was ausgehend von den zu diesem Zeitpunkt herrschenden Niedrigzinsen über die langen Laufzeiten als höchst wahrscheinlich einzuschätzen war.
16 Vgl. SOMMER (2008), S. 7.
17 Vgl. RICARDO (1817), Principles of Political Economy and Taxation.
18 Kein Einkommen, keine Arbeit, keine Sicherheiten.
19 MBS steht für mortgage backed securities, mit Hypotheken unterlegte Anleihen.
20 Wie z.B. die 12 Federal Home Loan Banks.
21 Vgl. http://geografie.suite101.de/article.cfm/das_beltsystem_in_den_usa [Zugriff: 04.03.2010].
22 Vgl. SOMMER (2008), S. 9.
23 Def.: A very low but very temporary introductory rate on an adjustable rate mortgage or credit card (InvestorsWords.com dictionary).
24 Gerichtliche Zwangsvollstreckung.
25 Vgl. SOMMER (2008), S.10 f.
26 Vgl. ELSCHEN (2009), S. V.
27 Vgl. ROUBINI (2010), S. 357.
28 Vgl. TENFELDE, B.: Im Alleingang ist gar nichts gewonnen, Interview mit Manfred Weber (Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands deutscher Banken), in: Bersenbrücker Kreisblatt
v. 10.07.2010, S. 4.
29 Franklin D. Roosevelt (1882-1945), 32. Präsident der USA 1933 bis 1945.
30 Benannt ist er nach seinen Initiatoren, dem Senator Carter Glass aus Virginia und dem Kongress-Abgeordneten Henry B. Seagall, beide von der Demokratischen Partei.
31 Vgl. HAWRANEK, Dietmar u.a.: Die fünf Gebote, in: Der Spiegel, Band Nr. 25 - 21.06.2010, Hamburg: Spiegel-Verlag, S. 76.
32 Bill Clinton (1946), 42. Präsident der USA 1993 bis 2001.
33 Vgl. HAWRANEK, Dietmar u.a.: Die fünf Gebote, in: Der Spiegel, Band Nr. 2 - 21.06.2010, Hamburg: Spiegel-Verlag, S. 76.
34 Vgl. ebenda.
35 Vgl. BRÖNSTRUP, C.: Was die US-Finanzreform ändert, in: Der Tagesspiegel v. 25.06.2010, abrufbar unter: http://www.tagesspiegel.de/politik/was-die-us-finanzreform- aendert/1868668.html [05.08.2010].
36 Barack Hussein Obama II (1961), 44. Präsident der USA 2009 bis heute.
37 Vgl. OHNE VERFASSER: Die wichtigsten Eckpunkte, in: Zeit Online, abrufbar unter: http://www.zeit.de/politik/ausland/2010-07/us-finanzmarktreform-eckpunkte [05.08.2010].
38 Vgl. OHNE VERFASSER: US-Finanzreform in Kraft, in: Handelsblatt v. 21.07.2010.
39 Vgl. ebenda.
40 Vgl. hierzu in im Folgenden: OHNE VERFASSER: Die wichtigsten Eckpunkte, in: Zeit Online, abrufbar unter: http://www.zeit.de/politik/ausland/2010-07/us-finanzmarktreform-eckpunkte [05.08.2010].
41 Zitiert: Burghof, H.-P., Bankenprofessor an der Universität Hohenheim, BRÖNSTRUP, C.: Was die US-Finanzreform ändert, in: Der Tagesspiegel v. 25.06.2010, abrufbar unter: http://www.tagesspiegel.de/politik/was-die-us-finanzreform-aendert/1868668.html [05.08.2010]. 42 Vgl. HAWRANEK, D. u.a.: Die fünf Gebote, in: Der Spiegel, Band Nr. 25 - 21.06.2010, Hamburg: Spiegel-Verlag, S. 80.
43 Vgl. ROUBINI (2010), S. 264.
44 Vgl. ROUBINI (2010), S. 265.
45 Vgl. HAWRANEK, D. u.a.: Die fünf Gebote, in: Der Spiegel, Band Nr. 25 - 21.06.2010, Hamburg: Spiegel-Verlag, S. 80.
46 Nouriel ROUBINI, Jahrgang 1959, ist Wirtschaftsprofessor an der Stern School of Business der New York University. Unter Bill Clinton war er Wirtschaftsberater des Weißen Hauses und des amerikanischen Finanzministeriums. Seine einzigartige frühe und exakte Prognose der jüngsten globalen Finanzkrise brachte ihm den Spitznamen »Dr. Doom« (»Dr. Untergang«) ein. Er ist Gründer und Vorsitzender des Beratungsunternehmen RGE Monitor. Roubini ist einer der bekanntesten und gefragtesten Wirtschaftsexperten der Welt. Er präsentiert seine Ansichten regelmäßig auf internationalen Foren, wie dem Weltwirtschaftsforum in Davos und berät zahlreiche Notenbankchefs.
47 Zitiert: ROUBINI, Nouriel: Die fünf Gebote, in: Der Spiegel, Band Nr. 25 - 21.06.2010, Hamburg: Spiegel-Verlag, S. 93.
48 Vgl. OSMAN, Y. u. Drost, F. M.: Aufseher entschärfen Basel III, in: Handelsblatt v. 17.06.2010.
49 Vgl. OSMAN, Y. u.a.: Deutsche Bankenlobby blockiert den Kompromiss, in: Handelsblatt v. 28.07.2010.
50 Vgl. KÖHLER, P. u.a.: Banken drohen Lasten von bis zu 300 Milliarden Euro, in: Handelsblatt v. 29.01.2010.
51 Vgl. OSMAN, Y. u. Drost, F. M.: Aufseher entschärfen Basel III, in: Handelsblatt v. 17.06.2010.
52 Vgl. OSMAN, Y.: Banken protestieren gegen Basel III, in: Handelsblatt v. 20.04.2010.
53 Zitat Arce S. Teilnehmer der KMU-Erhebung.
54 Vgl. KÖHLER, P. u.a.: Banken drohen Lasten von bis zu 300 Milliarden Euro, in: Handelsblatt v. 29.01.2010.
55 Vgl. HEß, D.: Finanzierungsschwierigkeiten bedrohen Konjunkturerholung, in: Handelsblatt v.
19.01.2010.
56 Vgl. GRÖMLING, M. u.a. (2009), S. 94.
57 Vgl. HEINY, L.: Deutschland - unter Feuer, in: Financial Times Deutschland v. 30.07.2010.
58 Vgl. ebenda.
59 Vgl. ebenda.
60 Vgl. GRÖMLING, M. u.a. (2009), S. 95.
61 Vgl. hierzu und im Folgenden: GRÖMLING, M. u.a. (2009), S. 94 f.
62 Vgl. HÜTHER, M.: Ordnungspolitischer Einspruch: Optimismus in Strukturwandel, in: Handelsblatt v. 08.05.2009.
63 Manfred Wittenstein ist in zweiter Generation Chef der Wittenstein AG und Präsident des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagebau (VDMA).
64 Zitiert nach: HEINY, L.: Deutschland - unter Feuer, in: Financial Times Deutschland v.
30.07.2010.
65 Zitiert nach: Ebenda.
66 Zitiert: von Haller, Wilhelm, Deutsche Bank - Mitglied der Geschäftsleitung Firmenkunden Deutschland, LÖWER, Chris: Wer finanziert den Aufschwung, in: Handelsblatt v. 13.12.2009.
67 Siehe EU-Empfehlung 2003/361/EG.
68 Vgl. Die neue KMU-Definition, Benutzerhandbuch und Mustererklärung, S. 6, abrufbar unter: http://ec.europa.eu/enterprise/policies/sme/files/sme_definition/sme_user_guide_de.pdf [05.01.2010].
69 Vgl. Die neue KMU-Definition, Benutzerhandbuch und Mustererklärung, S. 14, abrufbar unter: http://ec.europa.eu/enterprise/policies/sme/files/sme_definition/sme_user_guide_de.pdf [05.01.2010].
70 Vgl. hierzu und im Folgenden: Schlüsseldaten des Mittelstandes in Deutschland 2007/2008, abrufbar unter: http://www.ifm-bonn.org/index.php?id=99 [31.07.2010].
71 Vgl. GIERSCH, T.: Warum Andere neidisch auf den deutschen Mittelstand blicken, in: Handelsblatt v. 15.04.2010.
72 Vgl. GIERSCH, T.: Warum Andere neidisch auf den deutschen Mittelstand blicken, in: Handelsblatt v. 15.04.2010.
73 Vgl. Die neue KMU-Definition, Benutzerhandbuch und Mustererklärung, S. 5, abrufbar unter: http://ec.europa.eu/enterprise/policies/sme/files/sme_definition/sme_user_guide_de.pdf [05.01.2010].
74 Vgl. z.B. Veröffentlichungen der regionalen Industrie- und Handelskammern.
75 Vgl. u.a. Monatsberichte KfW-Bank.
76 Vgl. u.a. DENZIN (1975).
77 Vgl. FLICK (2005), S. 44 ff.
78 Siehe Anlage 1 und 2 im Anhang.
- Citation du texte
- Patrick Bremer (Auteur), 2010, Die Finanzierungssituaton von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) in der derzeitigen Situation einer Finanz- und Wirtschaftskrise, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/167015
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