Der Zusammenbruch des Dritten Reiches wird oft als die sogenannte “Stunde Null” bezeichnet.
Wie die nachfolgenden Entwicklungen jedoch gezeigt haben, kann nicht in dem
Verständnis von einem Neubeginn gesprochen werden, dass nun etwas vollkommen Neues
und noch nie Gewesenes seinen Anfang nahm, auch wenn dieses Gefühl bei vielen Zeitgenossen
vorherrschend gewesen sein mag. Kontinuitätslinien aus der Zeit des Nationalsozialismus
in das Nachkriegsdeutschland lassen sich in vielen Bereichen des öffentlichern, wie
auch des kulturellen Lebens nachweisen. Nur die Spitze des Eisberges bildeten hier die
engsten und als „tief braun“ geltenden Mitarbeiter Konrad Adenauers, wie zum Beispiel
Theodor Oberländer, Bundesvertriebenenminister von 1953 bis 1969, und Hans Maria
Globke, Oberregierungsrat im Innenministerium, die bereits eine nationalsozialistische Karriere
hinter sich hatten.1 Bis zur deutsch-deutschen Wiedervereinigung und dem Ende des
Kalten Krieges 1989 wird die bedingungslose Kapitulation von der deutschen Bevölkerung
als etwas sehr Zwiespältiges wahrgenommen, wie Theodor Heuß bereits 1949 bemerkte:
„Im Grunde genommen bleibt dieser 8.Mai 1945 die tragischste und fragwürdigste Paradoxie der Geschichte
für jeden von uns. Warum denn? Weil wir erlöst und vernichtet in einem gewesen sind.“2
Die Bewertung der jüngsten Vergangenheit wird zum Problem einer ganzen Gesellschaft
und führt den Bruch zweier Generationen herbei, wie Hans Werner Richter in seinem Artikel
„Warum schweigt die junge Generation“ in der Zeitung „Der Ruf“ zum Ausdruck
bringt:
„In Deutschland redet eine Generation, und in Deutschland schweigt eine Generation. [...]
1 Theodor Oberländer war im dritten Reich überzeugter Nationalsozialist, während es sich bei Hans Maria
Globke um den Kommentator der Nürnberger Rassengesetze. Vgl. dazu Glaser, Hermann: Deutsche Kultur.
Ein historischer Überblick von 1945 bis zur Gegenwart. München/ Wien 1997. S.190.
2 Zitiert nach Glaser. S.29f.
Inhaltsverzeichnis
A. Einleitung
B. Fred Dengers Wir heißen Euch hoffen. Schauspiel um die heutige Jugend.
1. Autor und Werk
1.1. Zum Autor
1.2. Inhaltszusammenfassung
1.3. Aufbau
2. Zeitgenössische Rezeption im Spiegel der Theatersituation nach 1945
2.1. Das Theater als Ort der moralischen Erneuerung
2.2. Der Erfolg von Fred Dengers Zeitstück
3. Wir heißen Euch hoffen als Heimkehrerdrama
3.1. Kriegsfolgen
3.2. Jugendliche Heimkehrer in Fred Dengers Stück
4. Das Wandlungsdrama
4.1. Das Prinzip Hoffnung
4.2. Liebe und Wandlung
5. Der Generationskonflikt
5.1. Die Führerschaft der „älteren“ Generation
5.2. Die verschiedenen Generation in Wir heißen Euch hoffen
6. Die Junge Generation in Claires Traum
6.1. Der Traum
6.2. Claires Kindheitsverlust
6.3. Die Frage der Verantwortung
7. Die Sprache der Jungen Generation
7.1. Sprachstil
7.2. Graphische Gestaltung
7.3. Weitere sprachliche Gestaltungselemente
7.4. Zusammenfassung
C. Ergebnisse
Literaturverzeichnis
Primärliteratur
Sekundärliteratur
A. Einleitung
Der Zusammenbruch des Dritten Reiches wird oft als die sogenannte “Stunde Null” bezeichnet. Wie die nachfolgenden Entwicklungen jedoch gezeigt haben, kann nicht in dem Verständnis von einem Neubeginn gesprochen werden, dass nun etwas vollkommen Neues und noch nie Gewesenes seinen Anfang nahm, auch wenn dieses Gefühl bei vielen Zeitgenossen vorherrschend gewesen sein mag. Kontinuitätslinien aus der Zeit des Nationalsozialismus in das Nachkriegsdeutschland lassen sich in vielen Bereichen des öffentlichern, wie auch des kulturellen Lebens nachweisen. Nur die Spitze des Eisberges bildeten hier die engsten und als „tief braun“ geltenden Mitarbeiter Konrad Adenauers, wie zum Beispiel Theodor Oberländer, Bundesvertriebenenminister von 1953 bis 1969, und Hans Maria Globke, Oberregierungsrat im Innenministerium, die bereits eine nationalsozialistische Karriere hinter sich hatten.[1] Bis zur deutsch-deutschen Wiedervereinigung und dem Ende des Kalten Krieges 1989 wird die bedingungslose Kapitulation von der deutschen Bevölkerung als etwas sehr Zwiespältiges wahrgenommen, wie Theodor Heuß bereits 1949 bemerkte:
„Im Grunde genommen bleibt dieser 8.Mai 1945 die tragischste und fragwürdigste Paradoxie der Geschichte für jeden von uns. Warum denn? Weil wir erlöst und vernichtet in einem gewesen sind.“[2]
Die Bewertung der jüngsten Vergangenheit wird zum Problem einer ganzen Gesellschaft und führt den Bruch zweier Generationen herbei, wie Hans Werner Richter in seinem Artikel „Warum schweigt die junge Generation“ in der Zeitung „Der Ruf“ zum Ausdruck bringt:
„In Deutschland redet eine Generation, und in Deutschland schweigt eine Generation. Und während die eine sich immer mehr in das öffentliche Gespräch hineinflüchtet, während sie, gleichsam in eine Wolke von bußfertigem Weyrauch gehüllt, in die beruhigenden Schatten der Vergangenheit flieht , versinkt die andere immer mehr für das öffentliche Leben in ein düsteres, nebelhaftes Schweigen.“[3]
Gerade in Hinblick auf die neu im Entstehen begriffene Literatur und ihre Programmatik lässt sich in den Jahren 1945 bis 1949 eine große Kluft „zwischen der zeitgenössischen Bedeutung der Gegenwartsdramatik und ihrer literaturwissenschaftlichen Würdigung“[4] feststellen. Denn keineswegs verhielt es sich so, dass eine ganze Generation schwieg, sondern es handelte sich ganz im Gegenteil bei dieser
„`Verstummungsthese´ (...) (um) ein wirksames Repressionsmittel der professionellen Rezipienten gegen literarische Reaktionen der Jungen, die nicht ihren Erwartungen entsprachen.“[5]
Eine Konsequenz dieses bisher nur angedeuteten Generationskonfliktes spiegelt sich in der schweren Zugänglichkeit vieler Texte der Nachkriegszeit. Da die Literaturwissenschaft über einen langen Zeitraum hinweg der negativen Einschätzung der zeitgenössischen Kritik gefolgt ist, beachtete man die Mehrzahl der Zeitstücke, das heißt mindestens dreihundert Werke, kaum und sie gerieten, abgesehen von wenigen Ausnahmen wie das Heimkehrerdrama Draußen vor der Tür von Wolfgang Borchert, meines Erachtens zu Unrecht in Vergessenheit.[6]
Auch dem Schauspiel um die heutige Jugend (Untertitel) Wir heißen Euch hoffen des jungen Autors Fred Denger aus dem Jahr 1946 wurde eine solche Rezeptionsgeschichte zuteil. Obwohl das Stück große Erfolge bei dem zeitgenössischen Publikum feierte, gelangte es mit Ende der Nachkriegszeit eher selten zur Aufführung und wird kaum in einem der einschlägigen Theaterlexika erwähnt. Dennoch bietet es, wie ich in der nachfolgenden Untersuchung aufzeigen möchte, einen interessanten Einblick sowohl in die Mentalitätsgeschichte der unmittelbaren Nachkriegszeit, als auch in die Lebenssituation junger Menschen nach 1945. Als ein Vertreter der Jungen Generation versucht Fred Denger, den Belangen junger Menschen und ihren Problemen in der Auseinandersetzung mit der älteren Generation Gehör zu verschaffen.
B. Fred Dengers Wir heißen Euch hoffen. Schauspiel um die heutige Jugend.
1. Autor und Werk
1.1. Zum Autor
Fred Denger wurde am 12. Juni1920 in Darmstadt geboren. Bis zum Zweiten Weltkrieg arbeitete er als Kaufmann, Buchhändler, Schauspieler und Landwirt. Im Januar 1946 verfasste der junge Autor das Schauspiel Wir heißen Euch hoffen, das am 3.April desselben Jahres am Deutschen Theater Berlin uraufgeführt wurde. 1947 siedelte er in den Westen über. In kurzem zeitlichen Abstand folgten die Stücke Die Pest [7] , Hunger [8] und Bikini [9] . 1949 erschien Fred Dengers erster Roman Der Zuchthauspfarrer von Tegel und es schlossen sich bis 1955 Tuch in fremden Betten, Der gottverdammte Jahrgang und Ultimo an. Ab 1957 wandte sich der deutsche Autor dem Film zu und verfasste bis zu seinem Tod am 30.Oktober 1983 Drehbücher. Unter anderem zu Filmen wie Fluchtweg St.Pauli (1958), Onkel Toms Hütte (1965), Old Surehand (1965) oder Winnetou und das Halbblut Apanatschi (1966).
1.2. Inhaltszusammenfassung
Wir heißen Euch hoffen zeigt eine Bande verwahrloster Jugendlicher inmitten der Trümmer Berlins im Jahre 1946. Die Heimkehrer und Waisen sichern sich ihren Lebensunterhalt durch kleinere Diebstähle und Betrügereien. Auf diese Weise versuchen sie, ihren enttäuschten Idealismus zu kompensieren und sich an der Gesellschaft für die an ihnen begangenen Vergehen zu rächen.
Zu Beginn des ersten Aktes befinden sich der Anführer Veit und das Mädchen Claire in einem Keller, der als Lager und Unterkunft der Clique dient. Im Gespräch der beiden wird deutlich, dass Veit an dem Sinn der kriminellen Aktivitäten der „Clique der Konsequenten“ zweifelt und eine aufkeimende Liebe gegenüber Claire verspürt. Die übrigen Bandenmitglieder kommen hinzu. Schall, ein Mann, der sich als Schmuckbetrüger vorstellt, wird in die Bande aufgenommen.
Der zweite Akt spielt in Claires Zimmer am Kurfürstendamm. Die Absteige wird von mehreren jungen Frauen und Mädchen bewohnt. Während die Vermieterin das Frühstück bringt, berichtet Claire von ihrem Traum der vergangenen Nacht, in welchem sie ein Kind gebar, das mit zunehmenden Alter immer hässlicher wurde und sich bei dem Versuch, die Mutter zu töten, selbst verletzte. Nach dem Besuch einer schwangeren Freundin, die Rat suchte, erscheint Veit und möchte Claire ausführen. Er gesteht ihr seine Erfahrungslosigkeit in Liebesbeziehungen und seine tiefen Gefühle, welche sie erwidert. Daraufhin versucht Claire, Veit zu verführen. Doch als dieser begreift, dass es sich bei den jungen Mädchen des Hauses um Prostituierte handelt, ist er erschüttert. Die bereits angedeuteten Zweifel an den verbrecherischen Geschäften der Bande steigern sich zu der Einsicht, durch seine Führerschaft eine Sünde an der Jugend zu begehen, die er mit seiner Philosophie zu Hass und Verbitterung anstachelt. Claires Liebe bietet sich als Ausweg und Fluchtmöglichkeit an. Dann treten Schall und Ria ein und berichten, dass die Polizei den Keller einkreise. Veit entschließt sich, seinen Jungen noch einmal beizustehen. Sie brechen gemeinsam auf.
Im dritten Akt wartet währenddessen die Clique auf die Ankunft Veits. Angesichts der Bedrohung durch das starke Polizeiaufkommen zeigen sich erste Auflösungstendenzen der Bande. Nachdem Veits eingetroffen ist, bemüht er sich, die anderen zur Rückkehr in die Gesellschaft zu bewegen. Die plötzliche Wandlung ihres Anführers überzeugt die Bandenmitglieder nicht. Nur der vierzehnjährige Keks schließt sich Veit und Claire an. Im Laufe der Streitigkeiten um die Nachfolge in der Führerschaft und der gerechten Verteilung der Beute, trifft die Polizei ein. Schall gibt sich als Kriminalbeamter zu erkennen. Veit stellt sich der Polizei und der gerechten Strafe.
1.3. Aufbau
Fred Dengers Theaterstück, das den Untertitel Schauspiel um die heutige Jugend trägt, wird mit einem Vorwort eingeleitet, das zugleich auch als Nachwort dient und den Rahmen für die folgende Thematik bildet. Der Text lautet in beiden Fällen:
„Die sogenannte ´Systemzeit´ hatte Mut. Der heutige `Frieden´ schleicht feige um die tragischsten Probleme herum. Mut- mehr braucht es nicht zu diesem Stück.
Dann ist auch die heutige Jugend zu retten“.[10]
Zunächst fällt die Antithese zwischen dem proklamierten „Mut“ der „Systemzeit“ und der Feigheit des „Friedens“ ins Auge. Es scheint sich bei dieser Behauptung um eine gewollte Provokation des Autors zu handeln. Einer genaueren Interpretation dieser Textstelle werde ich mich jedoch zu einem späteren Zeitpunkt widmen. Die „heutige(n) Jugend“ wird als Adressat des Stückes genannt, deren „Rettung“ im Vordergrund steht.
Das Schauspiel besteht anti-klassisch aus drei Akten, die rein formal keine wei-
tere Unterteilung erfahren, abgesehen von den Auf- und Abgängen einzelner Personen. Die Trümmer Berlins nach den Zweiten Weltkrieg dienen als Kulisse. Der Zeitrahmen umfasst nahezu vierundzwanzig Stunden. Orte der Handlung sind im ersten und dritten Akt der Keller- und Lagerraum der Bande, während man sich im zweiten Akt in Claires Zimmer am Kurfürstendamm befindet. Dieser Ortswechsel fällt inhaltlich mit der Erkenntnis und Wandlung Veits zusammen und lässt sich aus ihr begründen. Wichtig in Hinblick die Aufführung des Stückes erscheint, dass die Kulisse keiner ausgefallenen Ausstattung bedarf und das Stück in seiner Ausgestaltung somit einfach zu realisieren ist.
Die Handlung wird von drei narrative Strängen getragen, die ineinander verschränkt sind. Zum einen wird die Liebesgeschichte zweier Außenseiter erzählt, die zueinander finden. In diesen Zusammenhang muss auch die Wandlungsgeschichte Veits vom kriminellen Anführer einer Jugendbande hin zum systemangepassten Büßer, der seiner gerechten Strafe entgegengeht, eingeordnet werden. Die thematische Einfassung bildet eine Kriminalgeschichte, die mit der Verhaftung einer Gruppe kleinkrimineller Jugendlicher endet.
Bereits im ersten Akt nehmen alle drei Stränge ihren Anfang und die für den weiteren Handlungsverlauf relevanten Figuren werden eingeführt. Dazu dient vor allem die Aufnahme Schalls in die Clique, dem die einzelnen Mitglieder vorgestellt werden. Im zweiten Akt bildet zunächst das Schicksal Claires und der anderen heimatlosen Mädchen den inhaltlichen Schwerpunkt, der dann um das Liebes- und Wandlungsmotiv erweitert wird. Im letzten Drittel des Aktes werden durch das Eintreffen Schalls und Rias alle drei Geschichten wieder zusammengeführt, die im dritten Akt ihre Auflösung finden. Die einzelnen Spannungsbögen sind linear angelegt und steigern sich zum Ende, jedoch in unterschiedlicher Intensität.
2. Zeitgenössische Rezeption im Spiegel der Theatersituation nach 1945
2.1. Das Theater als Ort der moralischen Erneuerung
Die offizielle Schließung aller Theater, die Goebbels am 1.September 1944 verfügt hatte, um die dort Beschäftigten für den Krieg zu mobilisieren, hielt bis zur Übernahme der Besatzungsmacht durch die Alliierten an. Doch bereits drei Wochen nach der bedingungslosen, deutschen Kapitulation fand die erste Premiere mit dem Schwank „Der Raub der Sabinerinnen“ im Berliner Renaissancetheater statt. Bis zum Ende des Jahres 1945 folgten 121 weitere Premieren. Gespielt wurden in den unzerstört gebliebenen Theaterhäusern vor allem Komödien, Kabaretts oder Operetten, die unterhalten und ablenken sollten von der unmittelbaren Gegenwart und eher selten die sogenannten Schauspiel-Klassiker. Außerdem gründeten sich zahlreiche neue Bühnen an Behelfsstätten wie Schulaulen, Wirtshäusern oder Kinosälen.[11]
Obwohl das Theater ebenso wie andere öffentlichkeitswirksame Berufszweige dem Entnazifizierungsprogramm der vier Besatzungsmächte unterworfen war und die Intendanten aufgrund ihrer politischen Belastung von ihren Funktionen entbunden wurden, gelangten zunächst die Oberspielleiter und auch Schauspieler in führende Positionen. Gustav Gründgens und Eugen Klöpfer sind nur zwei Namen einer weitgehenden Kontinuität im personellen Bereich. Daran änderte auch das bereits 1944 abgestimmte Vorgehen der Militärregierungen, den Theaterbetrieb nur nach Vergabe von Lizenzen an Unbelastete zu erlauben, die von Kultur-Offizieren vergeben werden konnten, nichts.[12] Berlin als Zentrum des Theaterlebens existierte nicht mehr und es bildeten sich im Laufe der Zeit in der gesamten Bundesrepublik eine Reihe gleichwertiger Metropolen wie Hamburg, Düsseldorf, Frankfurt und München.
Die Urteile der Zeitgenossen über das Theaterleben in der ersten Nachkriegszeit gehen im Rückblick auseinander. Während Schauspieler wie Ernst Schröder oder Schriftsteller wie Günther Weisenborn vor allem den Glanz des Anfangs inmitten der Trümmerlandschaft Berlins betonen[13], beklagt der Theaterkritiker West-Berlins, Friedrich Luft, das Ausbleiben des politischen Theaters.[14] Diese unterschiedlichen Ansprüche an das Theater änderten jedoch nichts an der grundsätzlichen Einsicht, dass der Kultur und insbesondere der Bühne eine herausragende Stellung in Hinblick auf die Umerziehung der Deutschen zukam.[15] Praktisch bedeutete dies, dass in der entstehenden, hektischen Theaterbetriebsamkeit der Nachholbedarf an neuerer Dramenliteratur befriedigt werden musste und gleichzeitig Anschluss gesucht wurde an internationale Spielweisen. Da Deutschland nahezu zwölf Jahre von der kulturellen Entwicklung der restlichen Welt abgeschlossen war, bestimmten nun ausländische Stücke von Dramenautoren wie Jean-Paul Sartre, Tennessee Williams, Arthur Miller oder Jean Giraudoux die Spielpläne bis in die fünfziger Jahre.[16] In der ersten Zeit nach dem Krieg, also in der Spielzeit 1945/46 war die Auswahl der Stücke jedoch noch von sehr pragmatische Fragen bestimmt. Aufgrund der im Dritten Reich durchgeführten Säuberungen der Bibliotheken und des akuten Papiermangels, scheiterten Aufführungspläne oftmals bereits an der Beschaffung des dafür notwendigen Textbuches.[17]
Diese Internationalität auf der Bühne diente letztendlich auch dazu, das Vakuum an spielbarer deutscher Literatur zu schließen, welches die Kulturpolitik des Dritten Reiches verursacht hatte. Eine neue Generation von Bühnenautoren musste sich erst schreibend formen und zur Durchsetzung bei einem Publikum gelangen, dem noch jegliches historisch-politisches Verständnis fehlte. Bis zur Uraufführung von Wolfgang Borcherts Draußen vor der Tür in den Hamburger Kammerspielen 1947, landeten Stücke, welche die unmittelbare Vergangenheit thematisierten wie Die Illegalen von Günther Weisenborn oder Professor Mamlock von Friedrich Wolf in der Schublade. Ein wahrhaften Bühnenerfolg stellte Des Teufels General von Carl Zuckmayer dar, ein Stück, das bereits nach dem Ersten Weltkrieg verfasst worden war und nun zu neuer, doch auch umstrittener Aktualität gelangte aufgrund seiner Verherrlichung des Militärs.[18]
Große Hoffnung setzten die Zeitgenossen in die Junge Generation deutscher Autoren und deren Zeitstücke, welche den Hintergrund bilden sollten für eine Bestandsaufnahme der Gegenwart, von welchem aus man nach Perspektiven für die Zukunft suchen konnte.
2.2. Der Erfolg von Fred Dengers Zeitstück
Die Uraufführung des Schauspiels Wir heißen Euch hoffen fand im April 1946 am Deutschen Theater in Berlin unter der Regie Gustav von Wangenheims[19] statt. Das Stück wurde jedoch nicht in seiner ursprünglichen Form gezeigt, sondern in einer erweiterten und veränderten Fassung. Gustav von Wangenheim führte am Ende des zweiten Aktes die Gestalt der U-Bahn-Schaffnerin Kläre ein, eine progressives Parallelfigur zu Claire, welche diese für die zu leistende Aufbauarbeit im zerstörten Deutschland zu begeistern suchte. Daneben wurde der Schluss positiv-hoffnungsvoll gestaltet, indem Schall Veit die ihm bei der Verhaftung angelegten Handschellen abnehmen lässt und den Jugendlichen auffordert, ihm bei der Rettung der Jugend behilflich zu sein.[20]
Kaum ein anderes Stück außer Wolfgang Borcherts Draußen vor der Tür, das so kurz nach Kriegsende geschrieben worden ist, war so erfolgreich wie jenes von Fred Denger. Es wurde insgesamt zwölfmal am Deutschen Theater aufgeführt und elfmal in den verschiedenen Bezirken Berlins. Es folgten zahlreiche Übernahmen von anderen Bühnen, so dass es bis zur Währungsreform 1948 über 100 mal inszeniert worden ist, und eine Hörspielfassung, die am 18.Juli 1947 ausgestrahlt wurde.[21]
Auch die Presse ließ diesen Überraschungserfolg nicht unbeachtet, beurteilte das Stück jedoch sehr kontrovers.[22] In dem von Gustav von Wangenheim gestalteten Schluss deutete sich bereits die für die spätere sozialistische Dramatik bezeichnende Ankunftshandlung ab und löste eine breite Debatte zwischen Theaterkritikern der westlich lizenzierten Presse und jenen der SBZ aus. Ralf Trinks stellt in seiner Untersuchung der Heimkehrerstücke nach 1945 fest, dass es sich sogar um einen „Pressefeldzug (handelte), den die Tägliche Rundschau[23] entfachte“.[24] Demnach habe die Autorin und Journalistin der Täglichen Rundschau Ilse Jung Fred Denger in mehreren Artikeln und veröffentlichten Interviews zu einem Vorbild-Dichter stilisiert,[25] während andere Presseorgane die Begeisterung des jugendlichen Publikums und den Erfolg der sich an die Aufführung des Stückes anschließenden Podiumsdiskussionen feierten. Dabei habe es sich bei den Jugendlichen jedoch um Zuschauern gehandelt, die aufgrund ihrer einwandfreien politischen Gesinnung ausgewählt worden waren. Die Westberliner Presse bemängelte dagegen an Fred Dengers Schauspiel neben der Versöhnlichkeit des Schlusses vor allem ästhetisch-künstlerische Schwächen.
An der kontroversen Besprechung dieses Zeitstückes wird vor allem deutlich, wie stark der internationale Ost-West-Konflikt bereits zu diesem frühen Zeitpunkt in die kulturpolitischen Bereiche Einzug gehalten hat. Literatur und Theater konnten gerade in der geteilten Stadt Berlin nur unter erschwerten Bedingungen stattfinden, da hier die verschiedenen politischen Richtungen und Kulturen aufeinander prallten, die in den Intentionen der Autoren ihren Ausdruck fanden. In der östlichen wie in den westlichen Zonen begannen sich Institutionen eines literarischen Feldes zu formieren, deren Konzepte sich in Hinblick auf die erstrebten Zeile deutlich unterschieden.[26] Diese sich abzeichnende Spaltung der Autoren in verschiedene kulturpolitische Lager fand ihre Manifestation auf dem Ersten Deutschen Schriftstellerkongress, der vom 4.-8.Oktober 1947 in Berlin tagte.
Wie die vielfachen Inszenierungen und Aufführungen jedoch zeigen, kann der Erfolg von Wir heißen Euch hoffen nicht allein auf die Manipulationen der Presse in der Berliner SBZ zurückgeführt werden, wenn auch die öffentliche Diskussion die Neugier manches Zeitgenossen angeregt haben mag. In Anbetracht der Notsituation, in welcher sich viele Menschen nach 1945 befunden haben, mag vor allem die dargestellte, aktuelle Problematik in Fred Dengers Stück den Zuschauern attraktive Identifikationsmodelle angeboten haben, die im folgenden anhand verschiedener Motive untersuchen möchte. Dabei werde ich mich auf die Originalfassung des Schauspieles beschränken.
3. Wir heißen Euch hoffen als Heimkehrerdrama
3.1. Kriegsfolgen
Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches wurden die katastrophalen Folgen des Zweiten Weltkrieges sichtbar[27]: Über 55 Millionen Menschen hatte dieser Krieg das Leben gekostet. Bei Kriegsende zählte man allein in Deutschland 3,6 Millionen zerstörte und weitere 2,3 Millionen unbewohnbare Wohnungen. 7,5 Millionen Menschen waren obdachlos. 8-10 Millionen Displaced Persons [28] befanden sich auf dem Weg nach Hause.[29]
Sowohl die Integration von über 5 Millionen Kriegsheimkehrern, als auch die ansteigende Jugendkriminalität wurden zu drängenden Problemen der ersten Nachkriegsjahre.
[...]
[1] Theodor Oberländer war im dritten Reich überzeugter Nationalsozialist, während es sich bei Hans Maria Globke um den Kommentator der Nürnberger Rassengesetze. Vgl. dazu Glaser, Hermann: Deutsche Kultur. Ein historischer Überblick von 1945 bis zur Gegenwart. München/ Wien 1997. S.190.
[2] Zitiert nach Glaser. S.29f.
[3] Richter, Hans-Werner: Warum schweigt die junge Generation. In: Der Ruf. Heft Nr.2 vom 02.09.1946. Zitiert nach Fischer, Ludwig: Die Zeit von 1945 bis 1967 als Phase der Gesellschafts- und Literaturentwicklung. In: ders. (Hg.): Literatur in der Bundesrepublik Deutschland bis 1967. München/Wien 1986. S.214-229. Hier 31ff.
[4] Vgl. dazu Trinks, Ralf: Zwischen Ende und Anfang. Die Heimkehrerdramatik der ersten Nachkriegsjahre (1945-1949). Würzburg 2002. S.18.
[5] Trinks. S.22.
[6] Trinks. S.27.
[7] Uraufführung 1946 in Potsdam.
[8] Uraufführung 1947 in Remscheid.
[9] Uraufführung 1948 im Göttinger Studio 48.
[10] S.2 und S.66.
[11] Vgl. dazu Rischbieter, Henning: Theater. In: Benz, Wolfgang (Hg.): Die Bundesrepublik Deutschland. Geschichte in drei Bänden. Band 4:Kultur. Frankfurt a.M. 1989. S.86-130. Hier S.86ff.
[12] Vgl. dazu Schneider, Rolf: Theater in einem besiegten Land. Dramaturgie der deutschen Nachkriegszeit 1945-1949. Frankfurt a.M./Berlin 1989. S.16-22.
[13] Vgl. dazu Schröder, Ernst: Das Leben verspielt. Frankfurt a.M. 1981. S.84 und Weisenborn, Günther: der gespaltene Horizont. Niederschrift eines Außenseiters. München/Wien/Basel 1964. S.36f.
[14] Vgl. dazu Luft, Friedrich: Berliner Theater 1945-1961. Hannover 1961. S.7.
[15] Vgl. dazu Trinks. S.24ff.
[16] Vgl. dazu Berg. S.494ff.
[17] Vgl. dazu Schrader. S.246f.
[18] Vgl. dazu Rischbieter. S.90ff.
[19] Gustav Wangenheim war in den zwanziger Jahren eine wichtige Kraft des Berliner Arbeitertheaters. Die Zeit zwischen 1933 und 1945 verbrachte er im sowjetischen Exil und kehrte nach Kriegsende nach Berlin zurück. Dort wurde er zu Beginn der Spielzeit 1945/46 Intendant des Deutschen Theaters.
[20] Vgl. dazu Trinks. S.181ff.
[21] Vgl. ebenda.
[22] Vgl. ebenda.
[23] Tageszeitung der Berliner SBZ.
[24] Ebenda.
[25] Vgl. dazu Tägliche Rundschau vom 5.Februar 1946 und 22.Februar 1946.
[26] Während sich in den westlichen Zonen hauptsächlich literarische und kulturelle Zeitschriften etablierten, die sich durch ihre Integrationsfähigkeit auszeichneten, gerieten östliche Institutionen unter den Vorwurf der sogenannten Volksfront-Politik und wurden in den westlichen Zonen verboten, wie z.B. der Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands.
[27] Die folgenden Zahlen beziehen sich, falls nicht anders vermerkt, auf Deutschland.
[28] Es handelte sich um Menschen aus allen Ländern Europas, die sich auf dem Weg aus den Lagern (Arbeits-, Internierungslager, aber auch Überlebende der Konzentrationslager) nach Hause befanden. Insgesamt befanden sich so 20-30 Millionen Menschen in Europa auf Wanderschaft.
[29] Vgl. dazu Glaser. S.19-23.
- Citar trabajo
- Nina Neitzert (Autor), 2003, Fred Denger - Wir heißen Euch hoffen. Schauspiel um die heutige Jugend. Ein Autor der Jungen Generation, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/16696
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